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6. Kapitel

Herr Wolodyjowski und Sagloba standen am anderen Morgen auf den Wällen unter den Soldaten, aufmerksam auf das Lager hinblickend, von woher eine Menge Volk sich näherte.

Skrzetuski war zu einer Beratung beim Fürsten, sie benutzten einen Augenblick der Ruhe, um vom gestrigen Tage und von der jetzigen Bewegung im feindlichen Lager zu sprechen.

»Das prophezeit uns nichts Gutes,« sagte Sagloba, auf die schwarzen Massen deutend, welche wie eine Riesenwolke daherzogen. »Sie kommen gewiß, um wieder zu stürmen, und hier wollen die Hände nicht mehr dem Willen gehorchen.«

»Wo sollte denn ein Sturm stattfinden, am hellen Tage, zu dieser Zeit?« sagte der kleine Ritter. »Sie wollen nichts weiter, als unseren gestrigen Wall einnehmen, den neuen wieder unterminieren und uns dabei vom Morgen bis Abend beschießen.«

»Man könnte sie gut mit den Kanonen lichten.«

Wolodyjowski dämpfte die Stimme:

»Das Pulver ist knapp,« sagte er. »Bei diesem Verbrauch kann es, wie ich hörte, keine sechs Tage mehr reichen. Aber bis dahin kommt wohl der König.«

»Mag geschehen, was will,« sagte Sagloba. »Wenn nur unser armer Longinus glücklich durch wäre. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, mußte nur an ihn denken; so oft ich einschlummerte, sah ich ihn in Gefahr und fühlte eine solche Angst, daß ich am ganzen Körper schwitzte. Er ist der beste Mensch, den man in der Republik finden kann, selbst, wenn man dieselbe mit der Laterne drei Jahre und sechs Monate durchsuchte.«

»Warum habt Ihr ihn denn immer verspottet?«

»Weil mein Maul scheußlicher ist als mein Herz. Aber, macht mir das Herz nicht bluten mit der Erinnerung, da ich mir selbst Vorwürfe genug mache, und wenn, was Gott verhüte, ein Unglück über ihn käme, dann fände ich bis an mein Lebensende keine Ruhe.«

»So sehr braucht Ihr Euch nicht zu härmen. Er hatte nie einen Groll auf Euch, und ich hörte selbst, wie er einmal sagte: Der Mund ist faulig, aber das Herz ist golden!«

»Gott gebe dem edlen Freunde Gesundheit! Er verstand nie menschlich zu reden, aber ersetzte hundertfach diesen Mangel durch große Tugenden. Was glaubt Ihr, Herr Michael? Ob er glücklich durchgekommen ist?«

»Die Nacht war finster, und die Bauern nach der Niederlage schrecklich müde. Bei uns gab es keine guten Wachen, um so weniger bei ihnen.«

»So sei Gott die Ehre. Ich empfahl noch dem Herrn Longinus, er solle aufmerksam nach unserer Ärmsten, der Prinzessin forschen und fragen, ob man sie nicht irgendwo gesehen. Ich denke nämlich, Rzendzian muß mit ihr zu den königlichen Truppen entkommen sein. Longinus wird sich wohl nicht zur Ruhe begeben, sondern mit dem Könige hierherkommen. In diesem Falle hätten wir in kurzem Nachricht über sie.«

»Ich vertraue dem Witz dieses Burschen, daß er sie irgendwie gerettet hat. Ich könnte nie mehr fröhlich werden, wäre sie umgekommen; ich kenne sie erst kurze Zeit, aber ich glaube, hätte ich eine Schwester, sie wäre mir nicht lieber.«

»Sie ist für Euch eine Schwester, für mich eine Tochter. Von diesen Sorgen muß mir der Bart vollends bleichen, das Herz vor Kummer springen. Man braucht nur etwas liebzugewinnen – eins, zwei, drei, – fort ist es schon. – Und du sitze, sorge dich, gräme, härme dich, hänge deinen Gedanken nach; zum Überfluß hat man einen hungrigen Bauch und Löcher in der Mütze, durch welche, wie durch ein schlechtes Strohdach, Wasser auf die Glatze läuft. Die Hunde haben es jetzt in der Republik besser als die Edelleute, und uns vieren geht es von allen am schlimmsten. Es wird Zeit, sich auf den Weg in eine bessere Welt zu machen, Herr Michael, oder was meint Ihr?«

»Ich dachte schon manchmal, ob es nicht besser wäre, dem Skrzetuski alles zu sagen; mich hält nur das eine zurück, daß er selbst ihrer nicht mit einem Worte erwähnt, und geschah es, daß jemand ihren Namen nannte, da zuckte er nur zusammen, als bekäme er einen Stich ins Herz.«

»Sprecht ihm nur davon, reißt ihm die im Feuer dieses Krieges vernarbten Wunden wieder auf, während sie vielleicht schon irgend ein Tatar am Zopfe über den Perekop führt. Leuchtende Flammen stehen mir in den Augen, wenn ich daran denke. Es ist Zeit, zu sterben, es kann nicht anders sein; in der Welt ist nichts weiter als Qual. Wenn wenigstens Longinus glücklich durchgeschlichen wäre.«

»Er muß im Himmel größere Gnade finden als andere, denn er ist tugendhaft. Aber, seht einmal, Herr, was macht denn das Gesindel dort? Die Sonne blendet heute so, daß ich nichts sehe.«

»Sie durchbrechen unseren gestrigen Wall.«

»Und ich sagte es, daß es einen Sturm gibt. Gehen wir fort, Herr Michael, wir haben lange genug gestanden.«

»Sie graben nicht deshalb, um durchaus zum Sturme vorzugehen, aber sie müssen sich einen offenen Weg für den Rückzug schaffen. Dabei werden sie wohl ihre Maschinen dort hindurchbringen, in welchen ihre Schützen sitzen. Seht nur, Herr, sie graben, daß die Spaten knarren. Schon an die vierzig Schritte haben sie den Boden geebnet.«

»Jetzt sehe ich, aber es blendet heute fürchterlich.«

Sagloba bedeckte die Augen mit der Hand und sah hinüber. In diesem Augenblick stürzte sich durch die in den Wall gegrabene Lücke ein Volksstrom und breitete sich im Handumdrehen auf dem leeren Streifen zwischen den Wällen aus. Die einen fingen gleich an zu schießen, andere, indem sie mit den Spaten die Erde aufwühlten, schütteten einen neuen Wall auf, welcher als dritter Ring das polnische Lager einschließen sollte.

»Oho!« rief Wolodyjowski, »sagte ich es nicht. Sie bringen die Maschinen schon.«

»Nun, so bricht der Sturm leibhaftig los. Gehen wir fort,« sagte Sagloba.

»Nein, das sind andere Belluarden!« antwortete der kleine Ritter.

Und wirklich, die Maschinen, welche in der Öffnung erschienen, waren anders gebaut als die gewöhnlichen Höllenmaschinen. Ihre Wände bestanden aus Leitern, die mit Haspen verbunden, mit Kleidungsstücken und Fellen bedeckt waren, hinter welchen die besten Schützen von der Hälfte der Höhe bis an die Spitze derselben saßen und den Feind beunruhigten.

»Gehen wir, mögen die Hunde jene dort totbeißen!« wiederholte Sagloba.

»Wartet doch!« antwortete Wolodyjowski.

Und er fing an, die Maschinen der Reihe nach zu zählen, wie immer eine nach der anderen in der Öffnung erschien.

»Eins, zwei, drei ... man sieht, sie haben keinen geringen Vorrat ... vier, fünf, sechs – sie kommen immer höher ... sieben, acht ... jeden Hund auf unserem Schloßhofe müssen sie aus diesen Maschinen niederschießen, ihre auserlesensten Schützen müssen sich darin befinden – neun, zehn – man sieht jede ganz deutlich, denn die Sonne bescheint sie – elf ...«

Plötzlich unterbrach Herr Michael das Zählen.

»Was ist das?« fragte er verwunderten Tones.

»Wo?«

»Dort auf der höchsten hängt ein Mensch ...«

Sagloba strengte sein Auge an. In der Tat, auf der höchsten Maschine beleuchtete die Sonne einen nackten Menschenkörper, der sich an einem Strick hin und her bewegte, den Bewegungen der Belluarde folgend, wie ein riesengroßer Fächer.

»Es ist wahr,« sagte Sagloba.

Plötzlich erbleichte Wolodyjowski; er war weiß wie ein Stück Leinwand.

»Allmächtiger Gott! – Das ist Longinus!« – schrie er mit entsetzter Stimme.

Auf dem Walle entstand ein Geflüster, wie wenn der Wind durch die Blätter der Bäume fährt. Sagloba neigte den Kopf vornüber, bedeckte die Augen mit den Handtellern und flüsterte mit den bläulichen Lippen stöhnend:

»Jesus, Maria! Jesus, Maria! ...«

Jetzt verwandelte sich das Flüstern in ein Brausen verworrener Worte, und dann in ein Donnern, wie das Losbrechen eines Unwetters. Die Soldaten, welche auf den Wällen standen, hatten erkannt, daß dort an jener Schandleine der Genosse ihres Unglücks, der Ritter ohne Makel, Herr Longinus, hing, und Zorn, gräßlicher Zorn machte die Haare der Soldaten zu Berge steigen.

Sagloba hatte endlich die Hände von den Augen genommen. Er war schrecklich anzusehen. Das Gesicht war fahl, die Augen waren ihm aus den Höhlen getreten, und der Mund schaumbedeckt.

»Blut! Blut!« brüllte er so gräßlich, daß die Umstehenden ein Grausen überlief.

Er sprang in den Laufgraben. Ihm nach stürzte alles, was da auf den Wällen lebte. Keine Macht, selbst nicht der Befehl des Fürsten, hätte vermocht, diesen Wutausbruch zurückzuhalten. Die einen stiegen auf den Schultern der anderen aus dem Laufgraben heraus, hielten sich mit den Händen und den Zähnen am Rande des Grabens fest, und wer darüber kam, rannte blindlings davon, nicht darauf achtend, ob die anderen nachfolgten.

Die Belluarden rauchten wie Kohlenmeiler und bebten vom Donner der Schüsse, doch das hielt sie nicht ab. Sagloba rannte voraus, den Säbel über dem Kopfe schwingend, wütend, gräßlich anzusehen, wie ein toll gewordener Büffel. Erst jetzt sprangen die Kosaken ebenfalls mit Dreschflegeln und Sensen den Angreifern entgegen, es war, wie wenn zwei Wände mit ungeheurem Geprassel aufeinander stürzen. Aber die vollgefressene Jagdmeute kann sich nicht lange gegen hungrige und toll gewordene Wölfe wehren. Aus ihrer Stellung gedrängt, mit Säbeln gehauen, mit den Zähnen zerfleischt, gequetscht und geschlagen, hielten die Kosaken den Wutanprall nicht lange aus. Sie gerieten in Verwirrung und flohen dann der Öffnung im Walle zu.

Sagloba raste; er sprang wie eine Löwin, der man ihr Junges geraubt, in die dichteste Menge; röchelte, schnarchte, hieb, mordete und trat nieder, was ihm vor die Füße kam. Um ihn wurde es leer, und neben ihm schritt, eine zweite Vernichtungsflamme, Wolodyjowski, einem verwundeten Luchse ähnlich.

Die in den Belluarden versteckten Schützen wurden bis auf den letzten Mann niedergehauen, den Rest trieb man bis hinter die Wälle. Darauf stiegen die Soldaten auf die Belluarde, und nachdem sie Longinus losgebunden hatten, ließen sie ihn vorsichtig herunter.

Sagloba stürzte sich auf seinen Körper.

Wolodyjowski blutete ebenfalls das Herz, und er weinte bitterlich beim Anblick des toten Freundes. Es war leicht zu erkennen, auf welche Weise er gestorben war, denn der ganze Körper war mit Punkten bedeckt, die von den Pfeilspitzen herrührten. Nur das Gesicht war nicht verunstaltet, den einen Bogenschuß ausgenommen, welcher ihm eine lange Wunde an der Schläfe zurückgelassen hatte. Einige Tropfen Blut waren ihm auf der Wange zerronnen, die Augen waren geschlossen, und das bleiche Gesicht überzog ein heiteres Lächeln. Wäre nicht die bläuliche Farbe des Gesichtes, die Todeskälte, in den Zügen gewesen, man hätte glauben können, Longinus schlafe sanft. Die Gefährten trugen ihn in die Verschanzung und von dort in die Kapelle des Schlosses.

Abends wurde ein Sarg gezimmert; während der Nacht fand ein Begräbnis auf dem Kirchhofe in Sbarasch statt. Alle Geistlichen aus Sbarasch waren erschienen außer dem Priester Sabkowski, welcher beim letzten Sturm einen Schuß in den Rücken bekommen hatte und dem Tode nahe war. Auch der Fürst kam. Er hatte für diese Zeit den Oberbefehl dem Starosten von Krasnostaw übergeben. Ferner erschienen die Regimentarier, der Kronsfähnrich, der Fahnenträger von Nowogrod, Prschyjemski, Skrzetuski, Wolodyjowski, Sagloba und sämtliche Waffenbrüder der Fahne, in welcher der Verstorbene gedient hatte. Der Sarg wurde über dem frisch ausgeworfenen Grabe aufgestellt, und die Zeremonie nahm ihren Anfang.

Die Nacht war still und sternenhell; die Fackeln brannten ruhig und warfen ihren Schein auf die gelben Bretter des frischgezimmerten Sarges, auf die Gestalt des Geistlichen und die düsteren Gesichter der ringsum stehenden Ritter.

Der Rauch aus den Räuchergefäßen erhob sich ruhig und erfüllte die Luft mit dem Duft der Myrrhe und des Wacholders; die Stille wurde nur unterbrochen von dem unterdrückten Schluchzen Saglobas, den tiefen Seufzern, die aus der mächtigen Brust der Ritter aufstiegen, und dem fernen Donner der Geschütze auf den Wällen.

Da erhob Probst Muchowiezki die Hand zum Zeichen, daß er sprechen wolle, und die Ritter suchten den Atem anzuhalten; er schwieg noch einen Augenblick, dann heftete er den Blick auf das besternte Firmament und begann:

»Was höre ich dort für ein Klopfen an der Himmelspforte? fragte der greise Pförtner Christi, aus süßem Schlafe erwachend. Tue auf, heiliger Petrus, tue auf, ich bin es, Longinus.

Aber welcher Rang, welche Taten, welches Verdienst gibt dir den Mut, den ehrwürdigen Pförtner zu inkommodieren? Mit welchem Rechte willst du dort hinein, wohin weder das Recht der Geburt, und sei sie selbst so hoch als die deine, noch die Senatorenwürde, noch königliche Ämter, ja selbst die Majestät des Purpurs allein freien Eintritt gewähren, wohin man nicht auf der breiten Straße, in sechsspännigem Wagen, umgeben von Heiducken, fährt, sondern auf dem schmalen, dornigen Pfade der Tugend klimmen muß? Ach, öffne, heiliger Petrus, öffne schnell, denn eben auf diesem schmalen Pfade wandelte unser Gefährte und treuer Waffenbruder Longinus, bis er endlich zu dir gelangte wie eine vom Fluge ermüdete Taube. Er kommt nackt wie Lazarus, von Pfeilen durchbohrt wie der heilige Sebastian, arm wie Hiob, rein wie ein Mägdlein, welches den Mann nicht gekannt hat, demütig wie ein Lamm, geduldig und still, – ohne das Mal der Sünde, mit dem freudig dargebrachten Opfer des Blutes für das irdische Vaterland. Laß ihn ein, heiliger Petrus, denn wenn du ihn nicht einlässest, – wer sollte dann, in diesen Zeiten der Verderbnis und der Gottlosigkeit, den Himmel verdienen?

Laß ihn ein, heiliger Himmelspförtner! Laß dieses Lamm ein, damit es werde auf der Himmelsweide, mag es sich stärken, denn es kommt hungrig aus Sbarasch ...«

So fing Probst Muchowiezki seine Rede an und schilderte darauf so wortreich das ganze Leben des Longinus, daß ein jeder sich, angesichts dieses Sarges mit dem Ritter ohne Makel, welcher die Geringsten an Bescheidenheit, die Größten aber an Tugend übertroffen hatte, armselig vorkam. Sie schlugen sich alle an die Brust, ein immer größerer Schmerz erfaßte sie, immer klarer kam ihnen die Erkenntnis, welchen unersetzlichen Verlust das Vaterland erlitten, welches Unglück dasselbe getroffen hatte. Und der Probst fuhr begeistert fort, und als er dann zu erzählen begann, wie Longinus das Lager verlassen und den Märtyrertod erlitten, da vergaß er ganz alle Zitate und Rhetorik, und als er die Abschiedsworte an die toten Überreste des Helden im Namen der Geistlichkeit, der Führer und des Heeres richtete, da fing er laut zu weinen an, und schluchzend, wie Sagloba, sprach er: »Fahre wohl, Bruder! Fahre wohl, lieber Gefährte! Nicht mehr dem irdischen Könige, sondern dem himmlischen, der sichersten Instanz, trägst du unser Wehklagen, unseren Hunger, unser Elend, unsere Not und unsere Bedrückung vor. – Sicherer wirst du uns dort Rettung auswirken, aber du selbst kehrst nicht mehr zurück; so weinen wir, so netzen wir deinen Sarg mit Tränen, weil wir dich, unseren liebsten Bruder, geliebt haben!«

Alle weinten mit dem edlen Geistlichen, der Fürst, die Regimentarier, die Soldaten, am meisten aber die Freunde des Toten. Als der Probst das » Requiem aeternam dona ei, Domine« anstimmte, da entstand ein allgemeines, lautes Schluchzen, obgleich sie alle abgehärtete, durch die tägliche Praxis an den Anblick des Todes gewöhnte Männer waren.

In dem Augenblick, als unter den Sarg die Stricke gelegt wurden, war es schwer, Sagloba von demselben fortzureißen, er klammerte sich an ihn, als sei ihm ein Bruder oder der Vater gestorben. Endlich vermochten Skrzetuski und Wolodyjowski ihn fortzuziehen. Der Fürst trat näher an den Sarg und nahm eine Handvoll Erde auf, der Geistliche sprach: » anima ejus ...« – die Seile rollten hinab, die Erde polterte auf den Sarg; man warf sie mit den Händen darauf, schüttete sie mit den Helmen in das Grab, und bald erhob sich über den Überresten des Herrn Longinus Podbipienta ein hoher Hügel, welchen das blasse, trübe Licht des Mondes beleuchtete.

Die drei Freunde kehrten aus der Stadt auf den Schloßhof zurück, von woher ihnen unaufhörlich das Knallen der Schüsse entgegenscholl. Sie gingen schweigend nebeneinander her, denn keiner von ihnen wollte das erste Wort sprechen, – aber andere, in Häuflein zusammenstehende Ritter unterhielten sich miteinander von dem Toten, ihn einstimmig lobend.

»Er hatte ein so ehrenvolles Begräbnis,« sagte ein Offizier, an Skrzetuski vorüberschreitend, »wie es selbst der Herr Schreiber von Sierakow nicht schöner hatte.«

»Er hatte es auch verdient!« antwortete ein anderer Offizier. »Wer hätte es noch unternommen, sich zum Könige durchzuschleichen.«

»Ich habe gehört, daß unter den Soldaten Wischniowiezkis einige Freiwillige sich meldeten,« setzte ein dritter hinzu. »Aber nach einem so abschreckenden Beispiel werden sie wohl die Lust zu diesem Vorhaben verloren haben.«

»Das ist auch unmöglich. Eine Schlange könnte kaum durch das Lager hindurchkriechen.«

»So wahr ich lebe; es wäre der pure Wahnsinn!«

Die Offiziere gingen vorüber. Wieder war alles still. Plötzlich sagte Wolodyjowski:

»Hast du es gehört, Johann?«

»Ich habe es gehört!« antwortete Skrzetuski. »Heut' ist an mir die Reihe.«

»Johann!« sagte Wolodyjowski ernst, »du kennst mich lange und weißt, daß ich vor einem Wagnis nicht zurückschrecke. Ein Wagnis ist aber doch etwas anderes als ein Selbstmord.«

»Und das sagst du, Michael?«

»Ich, weil ich dein Freund bin.«

»Auch ich bin dein Freund, – gib mir dein Ritterwort, daß du als dritter nicht gehst, wenn ich falle.«

»O! Das kann ich nicht!« rief Wolodyjowski aus.

»Nun, siehst du, Michael! Wie kannst du etwas von mir verlangen, was du selbst nicht tun würdest? Es geschehe Gottes Wille!«

»So laß mich mit dir gehen!«

»Der Fürst leidet es nicht, nein, ich und du, wir sind Soldaten und müssen gehorchen.«

Herr Michael verstummte, denn er war wirklich vor allem Soldat; so fing er nur an, mit dem Schnurrbart zu zucken, zuletzt sagte er:

»Die Nacht ist sehr hell, gehe nicht heute.«

»Ich wünsche auch, sie wäre dunkler,« antwortete Skrzetuski, »aber an einen Aufschub ist nicht zu denken. Das Wetter hat sich, wie du siehst, auf lange Zeit vollständig aufgeklärt. Hier mangelt das Pulver und die Lebensmittel; die Soldaten graben auf dem Schloßhofe schon nach Wurzeln, manchen fault schon das Zahnfleisch von dem Unrat, den sie essen. Ich gehe heute, jetzt gleich; bei dem Fürsten habe ich mich schon verabschiedet.«

»Ich sehe, du bist lebensmüde.«

Skrzetuski lächelte trübe.

»Laß mich doch, Michael! – Es ist gewiß, daß ich nicht in Wonne schwimme, aber freiwillig werde ich den Tod nicht suchen, denn das ist sündhaft. Übrigens handelt es sich nicht darum, zu sterben, sondern darum, zum Könige zu gelangen und das Lager zu erlösen.«

Plötzlich erfaßte Herrn Wolodyjowski ein heftiges Verlangen, dem Freunde alles die Prinzessin Betreffende zu sagen. Schon öffnete er die Lippen, da dachte er: »die Neuigkeit würde ihn verwirren, er würde um so leichter den Feinden in die Hände fallen.« Darum biß er sich in die Zunge und schwieg. Dafür fragte er:

»Welchen Weg willst du nehmen?«

»Ich sagte dem Fürsten, daß ich durch den Teich und später am Flusse entlang gehen werde, bis weit hinter das feindliche Lager. Der Fürst sagte auch, dieser Weg sei besser als jeder andere.«

»Ich sehe, es ist dir nicht zu raten,« entgegnete Wolodyjowski. »Nur einmal ist dem Menschen der Tod bestimmt, und er ist schöner auf dem Felde der Ehre als im Bett. Gott geleite dich, Gott geleite dich, Johann! Wenn wir uns in dieser Welt nicht wiedersehen, so doch in jener. Die Treue bewahre ich dir gewiß.«

»So wie ich dir – Gott lohne dir alles Gute. Und höre, Michael, wenn ich umkomme, so werden sie mich wohl nicht so präsentieren wie den Herrn Longinus, denn sie haben eine zu grausame Lehre bekommen, aber ihr erfahrt es wohl auf die eine oder andere Weise, sie lassen es euch wohl wissen. In diesem Falle mag der alte Sazwilichowski zu Chmielnizki gehen und meinen Körper von ihm holen, denn ich möchte nicht, daß er von den Hunden im Lager herumgezerrt werde.«

»Sei dessen gewiß!« antwortete Wolodyjowski.

Herr Sagloba, welcher zu Anfang nur mit halbem Ohr auf die Unterredung gehört hatte, verstand endlich, um was es sich handle, aber er fand nicht mehr die Kraft, zuzureden oder Skrzetuski von dem Wagnis abzuhalten, er stöhnte nur dumpf:

»Gestern jener, heute dieser. Gott! Gott! Gott! ...«

»Habt Vertrauen!« sagte Wolodyjowski.

»Herr Johann!« fing Sagloba an.

Weiter vermochte er nichts zu sagen. Er lehnte nur den greisen, bekümmerten Kopf an die Brust des Ritters und schmiegte sich an ihn wie ein unbeholfenes Kind.

Eine Stunde später stieg Skrzetuski in das Wasser des westlichen Teiches hinab.

Die Nacht war so hell, und die Mitte des Teiches glänzte wie eine silberne Scheibe, aber Skrzetuski entschwand sogleich den Blicken der ihm Nachschauenden. Das Ufer war nämlich dicht mit Schilf, Rohr und Hirschwurzel bewachsen. Weiterhin, wo das Rohr lichter war, wuchs Samkraut, Nuphar und andere Wasserpflanzen. Dieses Gemisch breiter und schmaler Blätter, schleimiger Stengel und schlangenähnlicher Taue, welche sich um die Beine und den halben Leib schlangen, erschwerte unendlich das Vorwärtsschreiten, aber es verbarg wenigstens den Ritter den Blicken der Wachen. An ein Durchschwimmen der hellen Mittelscheibe war gar nicht zu denken, denn jeder dunkle Gegenstand auf ihr wäre leicht gesehen worden. Skrzetuski hatte also beschlossen, den ganzen Teich am Rande zu umschreiten bis zu dem Moor auf der anderen Seite, durch welches der Fluß in den Teich floß. Aller Wahrscheinlichkeit nach standen dort Wachen der Kosaken oder Tataren, aber dafür wuchs dort auch ein ganzer Rohrwald, dessen Rand nur zu Feldhütten für das Gesindel ausgehauen war. War das Moor erst erreicht, so konnte man sich sogar am Tage im Rohr fortbewegen, es sei denn, die Untiefen wären zu groß. Aber auch dieser Weg war grauenhaft. Unter diesem schlafenden Wasser barg sich oft ein ellentiefer Sumpf. Bei jedem Schritt Skrzetuskis kamen eine Menge Blasen an die Oberfläche des Wassers, deren Gesprudel man deutlich in der Stille hören konnte. Außerdem bildeten sich, trotz der Langsamkeit seiner Bewegungen, Wellenringe, welche von ihm aus immer weiter bis auf die unbewachsene Wasserfläche liefen, in denen sich dann die Mondstrahlen brachen. Hätte es geregnet, so wäre Skrzetuski mitten durch den Teich geschwommen und hätte in längstens einer halben Stunde das Moor erreicht, aber am Himmel stand nicht ein Wölkchen. Ganze Ströme grünlichen Lichtes flossen auf den Teich nieder, die Blätter der Wasserpflanzen in silberne Schilde und die Rohrwedel in silberne Federbüsche verwandelnd. Kein Lüftchen regte sich.

Glücklicherweise wurde das Gurgeln der Wasserblasen von dem Knattern des Gewehrfeuers übertönt, und als Skrzetuski das wahrnahm, bewegte er sich nur vorwärts, wenn die Salven auf den Wällen und in den Schanzen lebhafter wurden. Aber diese stille, klare Nacht hatte noch eine Schwierigkeit im Gefolge, denn ganze Schwärme Mücken erhoben sich aus dem Rohr, bildeten einen dichten Knäuel über seinem Kopfe, setzten sich ihm in das Gesicht, die Augen, und stachen empfindlich, ihm um die Ohren summend und ihre Totenlieder singend. Skrzetuski hatte, als er diesen Weg wählte, sich die Schwierigkeiten desselben nicht verhehlt, aber er hatte nicht alle vorhergesehen. Er hatte nicht an die Schrecknisse desselben gedacht. Jede Wassertiefe, und sei sie noch so bekannt, hat in der Nacht etwas Geheimnisvolles und Schreckenerregendes zugleich und wirft unwillkürlich die Frage auf: was verbirgt sich dort auf dem Boden? Und dieser Teich von Sbarasch war geradezu gräßlich. Das Wasser in demselben schien dickflüssiger als gewöhnliches Wasser und strömte einen Leichendunst aus. Faulten doch in ihm Hunderte Kosaken und Tataren. Beiderseits wurden zwar Leichen herausgezogen, aber wie viele konnten hier in diesem Rohrdickicht, diesen Hirschwurzeln verborgen sein? Skrzetuski umfing die Kühle der Wellen, aber der Schweiß floß ihm von der Stirn. Was sollte werden, wenn plötzlich zwei glattfeuchte Arme ihn umfaßten, oder wenn ein paar grünliche Augen unter den Blattpflanzen hervor ihn ansahen? Die langen Stengel der Seerosen schlugen ihm an die Kniee; die Haare stiegen ihm zu Berge, denn schon war ihm, als werde er von einem Ertrunkenen umarmt, der ihn nur faßte, um ihn nicht wieder loszulassen. »Jesus Maria! Jesus Maria!« flüsterte er, unaufhörlich sich vorwärts schiebend. Zuweilen hob er die Augen in die Höhe und fühlte sich beim Anblick des Mondes, der Sterne und des friedlichen Himmels erleichtert. »Gott lebt!« wiederholte er halblaut, so daß er sich selbst hören konnte. Manchmal sah er nach dem Ufer hin, und dann schien es ihm, als blicke er aus einer verdammten, unterirdischen Welt voll Unrat, schwarzer Untiefen, bleicher Mondlichter, Geister und Leichen auf Gottes gewöhnliche Erde, und eine solche Bangigkeit überkam ihn, daß er gleich aus diesem Rohrnetz dorthin geflohen wäre.

Aber er rückte immer weiter am Ufer vor und war schon weit vom Lager entfernt, als er auf dieser Gottes Erde mehrere Schritte vom Ufer einen Tataren zu Pferde stehen sah. – Er stand also still und blickte auf diese Gestalt, die, nach den einförmigen Bewegungen des Pferdekopfes zu schließen, schlief.

Es war ein wunderlicher Anblick. Der Tatar nickte fortwährend, als grüße er Skrzetuski schweigend, und dieser verwandte kein Auge von ihm. Es lag etwas Schreckliches darin, aber Skrzetuski atmete befriedigt auf, denn angesichts dieser greifbaren Gefahr schwanden hundertfach schwerer zu ertragende andere, eingebildete. Die Welt der Geister war entflohen, der Ritter gewann mit einemmal seine Kaltblütigkeit wieder; in seinem Kopfe drängten sich die Gedanken: schläft er, schläft er? Soll ich weitergehen oder warten?

Endlich ging er weiter, noch leiser auftretend, noch vorsichtiger als im Anfange seiner Wanderung. Er war schon auf dem halben Wege zum Moor und dem Flusse, als sich der Hauch eines leichten Windes regte. Bald wiegten sich die Rohrstengel und verursachten einer an den anderen stoßend ein starkes Rauschen, worüber Skrzetuski sich freute, da trotz aller Vorsicht, trotzdem er zuweilen mehrere Minuten über einem Schritt vorwärts zubrachte, doch eine unwillkürliche Bewegung, ein Straucheln oder Plätschern ihn verraten konnte. Jetzt, im lauten Rauschen des Rohres, das über den ganzen Teich sich breitete, ging er dreister vorwärts, und alles schien lebendig zu werden, denn auch das Wasser fing an, mit den wiegenden Wellen an das Ufer zu plätschern.

Aber diese Bewegung belebte nicht nur das Dickicht des Ufers, denn plötzlich zeigte sich ein dunkler Gegenstand vor Skrzetuski und fing an, ihm entgegenzutaumeln, als ob er sich zum Sprunge anschicke. Im ersten Augenblick hätte Skrzetuski bald aufgeschrien; Angst und Ekel erstickten fast den Ton in der Brust, und gleichzeitig schnürte ihm ein entsetzlicher Gedanke die Kehle zu.

Aber nach einer Weile, als der erste Gedanke, ein Wassergespenst vertrete ihm den Weg, vorüber war, blieb nur der Ekel, – und der Ritter ging weiter. Das Rauschen des Rohres dauerte fort und wurde immer stärker. Zwischen seinen wehenden Federbüschen hindurch sah Skrzetuski die zweite und dritte Tatarenwache. Er ging an ihnen und an einer vierten vorüber.

»Ich muß den halben Teich schon umgangen haben,« dachte er und erhob sich ein wenig aus dem Rohr, um zu erkennen, wo er sich befinde Da stieß etwas an seine Füße, er sah sich um und erblickte dicht neben seinen Knieen ein menschliches Gesicht.

»Das ist schon der zweite,« dachte er.

Diesmal erschrak er nicht, denn diese zweite Leiche lag auf dem Rücken und hatte in ihrer Regungslosigkeit nicht den Anschein des Lebens und der Bewegung. Skrzetuski beschleunigte nur seinen Schritt, um nicht schwindlig zu werden. Das Röhricht wurde immer dichter, was einerseits eine größere Sicherheit bot, andererseits das Fortkommen unermeßlich erschwerte. Es verfloß noch eine halbe Stunde, noch eine Stunde, er ging immerzu und ermüdete immer mehr. Das Wasser war stellenweise so seicht, daß es ihm kaum bis an die Knöchel reichte, stellenweise fiel er dafür wieder bis fast unter die Arme hinein. Das ungemein langsame Herausziehen der Füße aus dem Sumpf ermüdete ihn besonders. Seine Stirn war schweißbedeckt, und gleichzeitig durchrieselten ihn von Zeit zu Zeit kalte Schauer.

»Was soll das bedeuten?« dachte er angstvoll. »Packt mich nicht das Delirium? Das Moor ist noch nicht zu sehen. Wenn ich nun im Rohrdickicht den Platz nicht erkenne und vorübergehe?«

Das war eine gräßliche Gefahr, denn auf diese Weise konnte er die ganze Nacht um den Teich herumkreisen und am Morgen sich an derselben Stelle finden, von welcher er ausgegangen war, oder in Feindeshände fallen.

»Ich habe einen schlimmen Weg erwählt,« dachte er, und der Mut sank ihm, »über den Teich geht es nicht, ich kehre um und gehe morgen, wie Longinus ging; bis morgen könnte ich ausruhen.«

Dennoch ging er vorwärts, denn er erkannte, daß er sich selbst betrüge, wenn er sich verspreche, zurückzugehen und auszuruhen. Auch fiel ihm ein, daß, da er so langsam ging und alle Augenblicke anhielt, er noch nicht an dem Moor sein könne. Aber der Gedanke an ein Ausruhen befiel ihn immer stärker. Mitunter hatte er Lust, sich irgendwo in den Schlamm zu legen, um wenigstens aufzuatmen. So kämpfte er mit den eigenen Gedanken und betete gleichzeitig. Immer öfter wiederholten sich die kalten Schauer, immer schwächer zog er die Füße aus dem Schlamm. Der Anblick der Tatarenwachen hatte ihn aufgemuntert, aber er fühlte, daß der Geist ebenso erlahmte wie der Körper, und daß Fieberhitze ihn ergreife.

Wieder verfloß eine halbe Stunde; noch immer wollte das Moor sich nicht zeigen

Dafür stieß er immer öfter auf die Leichen Ertrunkener. Die Nacht, die Angst, die Leichen, das Rauschen des Rohres, die Strapazen und die Schlaflosigkeit verwirrten ihm die Sinne. Er fing an Visionen zu haben. Er sah – Helene in Kudak, und er fährt mit Rzendzian auf einem Prahm den Dniepr stromabwärts. Das Rohr rauscht – er vernimmt das Lied: »Hörst du's wogen droben ... wie die Stürme toben!« Probst Muchowiezki wartet mit der Stola, und Herr Christoph Grodschizki vertritt Vaterstelle ... Das Mädchen sieht alle Tage von den Mauern auf den Fluß herab – man wartet nur darauf, daß sie in die Hände klatsche und rufe: »Er kommt, er kommt!«

»Gnädiger Herr!« sagte Rzendzian, ihn am Ärmel ziehend, »dort steht das Fräulein! ...«

Skrzetuski erwacht. Die verwirrten Rohrstengel haben ihn aufgehalten. Die Vision schwindet, die Besinnung kehrt wieder. Jetzt fühlt er nicht mehr solche Müdigkeit, das Fieber gibt ihm Kräfte.

»Ist das Moor noch nicht da?«

Aber ringsum dieselben Rohrstengel, als wäre er nicht vom Fleck gekommen. Am Flusse muß offenes Wasser sein, das ist also noch nicht das Moor.

Der Ritter geht weiter, aber die Gedanken kehren mit unerbittlichem Eigensinn zu der schönen Vision zurück. Umsonst wehrt sich Skrzetuski, umsonst fängt er an zu beten: »O, benedeite Jungfrau!« umsonst bemühte er sich, bei voller Besinnung zu bleiben, – wieder strömt der Dniepr, Prahme, Kähne – Kudak, Sitsch, – jetzt ist die Vision regelloser, eine Menge Personen sind da: neben Helene auch der Fürst und Chmielnizki, der Lagerhauptmann, Longinus, Sagloba, Bohun, Wolodyjowski, – alle festlich gekleidet zu seiner Hochzeit. Aber, wo soll diese Hochzeit sein? Sie sind in einer unbekannten Stadt, es ist nicht Lubnie, nicht Roslogi, nicht Sitsch, nicht Kudak. – Wasser ist es, auf welchem Leichen umherschwimmen.

Skrzetuski ermuntert sich zum zweitenmal, vielmehr ermunterte ihn ein starkes Geräusch, welches von der Seite kommt, wohin er geht, – er bleibt also stehen und horcht.

Das Geräusch kommt näher, man unterscheidet ein Rasseln und Plätschern – es ist ein Boot.

Man sieht es schon durch das Rohr. Es sitzen zwei Kriegsknechte darin. – Der eine führt das Ruder, der andere hält in der Hand eine lange Stange, die von ferne silbern glänzt, und zerteilt damit die Wasserpflanzen.

Skrzetuski tauchte bis an den Hals in das Wasser, so daß nur der Kopf in das Schilf ragte, und sah hin.

»Ist das eine gewöhnliche Wache, oder sind sie mir auf der Spur?« dachte er.

Aber bald erkannte er an den ruhigen, sorglosen Bewegungen der Männer, daß es eine gewöhnliche Wache sein müsse. Es mußte mehr denn ein Boot auf dem Teiche sein, und wenn die Kosaken ihm auf der Spur wären, so versammelten sich wohl etliche Boote und ein Menschenhaufen.

Unterdessen waren sie vorübergefahren, das Rauschen übertönte die Worte. Skrzetuski fing mit dem Ohr nur folgendes Bruchstück ihrer Unterhaltung auf:

»Der Teufel möge sie holen, daß sie uns dieses stinkende Wasser zu hüten befehlen!«

Und der Kahn verschwand hinter dem Röhricht; nur der im Vorderraum stehende Kosak schlug mit seiner Stange in regelmäßigen Schlägen zwischen die Wasserpflanzen, als wollte er die Fische verscheuchen.

Skrzetuski ging weiter.

Nach einiger Zeit sah er wieder eine Tatarenwache dicht am Ufer. Das Mondlicht fiel unmittelbar auf das Gesicht des Nohajers, welches einer Hundeschnauze ähnlich war. Aber Skrzetuski fürchtete jetzt weniger diese Wachen als den Verlust der Besinnung. Er raffte daher alle Willensstärke zusammen, um sich klar zu werden, wo er sich befinde und wohin er gehe. Aber dieser Kampf vergrößerte seine Müdigkeit, und bald bemerkte er, daß er alles doppelt und dreifach sah, daß auf Augenblicke der Teich ihm als Lagerhof erschien und die Rohrhaufen als Zelte. Dann wollte er Herrn Wolodyjowski rufen, daß er mit ihm gehe, dennoch blieb bei ihm so viel Besinnung, sich zu sagen, daß er das nicht dürfe.

»Rufe nicht! Rufe nicht!« wiederholte er sich unaufhörlich, »das würde dein Verderben!«

Aber dieser Kampf mit sich selbst wurde ihm immer schwerer. Er hatte Sbarasch verlassen, schwach vor Hunger und Schlaflosigkeit, an welcher dort die Soldaten schon starben. Diese nächtliche Wanderung, das kalte Bad, der Leichendunst, das Umherirren im Schlamm und das Durchreißen der Wurzeln der Wasserpflanzen hatten ihn vollends geschwächt. Dazu kam die Aufregung, die Angst und der Schmerz von den Mückenstichen, welche ihm das Gesicht so zerstochen hatten, daß es mit Blut überzogen war – er fühlte, wenn er nicht bald das Moor erreiche, müsse er an das Ufer gehen, um eher von dem betroffen zu werden, was ihn treffen mußte, oder zwischen diesem Röhricht hinfallen und ertrinken.

Jener Morast und die Mündung des Flusses erschienen ihm ein Hafen der Erlösung, obgleich dort neue Schwierigkeiten und Gefahren seiner warteten.

Er kämpfte gegen das Fieber und ging, immer mehr die Vorsicht außer acht lassend. In der Fieberhitze hörte Skrzetuski menschliche Stimmen, Unterhaltungen, ihm war, als ob dieser Teich von ihm rede. Würde er den Fluß erreichen oder nicht? Würde er sich herausarbeiten oder stecken bleiben? Die Mücken sangen über ihm mit ihren dünnen Stimmchen immer melancholischer, das Wasser wurde immer tiefer, – bald reichte es ihm bis an die Hüften, dann an die Brust. Er dachte, wenn es zum Schwimmen komme, müsse er sich in diesem Wirrsal von Pflanzen verhaspeln und ertrinken.

Und wieder befiel ihn die unwiderstehliche und unüberwindliche Lust, Wolodyjowski zu Hilfe zu rufen; – schon legte er die Hände hohl an den Mund, um zu schreien:

»Michael! Michael!«

Glücklicherweise traf ihn ein Rohrstengel mit dem feuchten Wedel in das Gesicht. Er kam zur Besinnung und sah vor sich, ein klein wenig nach rechts, einen matten Schimmer.

Jetzt sah er nur immer dorthin und ging eine Zeitlang mit Ausdauer auf den Schein los.

Plötzlich hielt er an. Er sah quer vor sich einen Streifen klaren Wassers. Er atmete auf. Das war der Fluß, und an beiden Seiten desselben das Moor.

»Jetzt werde ich aufhören am Ufer zu kreisen und über diesen Keil gehen,« dachte er.

Auf beiden Seiten des Keiles zogen sich zwei schmale Streifen Rohr hin. Der Ritter ging in demjenigen weiter, zu welchem er gelangt war, und erkannte nach einer Weile, daß er auf dem rechten Wege sei. Er sah sich um. Der Teich lag schon hinter ihm; er schritt einen schmalen Streifen entlang, welcher nichts anderes sein konnte als der Fluß.

Das Wasser war hier auch kälter. Aber nach einer Weile erfaßte ihn eine unüberwindliche Müdigkeit. Die Füße zitterten unter ihm, und vor den Augen schwebte ihm eine schwarze Wolke.

»Es geht nicht mehr,« dachte er, »ich gehe ans Ufer und lege mich hin, ich kann nicht weiter, ich muß ausruhen.«

Da fiel er auf die Kniee und ertastete mit den Händen einen trockenen Busch, der mit Moos bewachsen war wie ein Inselchen mitten im Schilf.

Er setzte sich darauf und fing an mit den Händen das blutige Gesicht abzuwischen und dabei tief zu atmen.

Nach einer Weile drang der Geruch von Rauch in seine Nase, und als er sich dem Ufer zuwandte, erblickte er etwa hundert Schritt entfernt ein Feuer, und um dasselbe ein Häufchen Menschen.

Er war vollständig in gleicher Linie mit diesem Feuer, und wenn der Wind das Rohr auseinanderbog, konnte er genau alles sehen. Auf den ersten Blick hatte er tatarische Troßknechte erkannt, welche um das Feuer saßen und aßen.

Da erfaßte ihn ein entsetzlicher Heißhunger. Den Morgen vorher hatte er einen Bissen Pferdefleisch gegessen, der nicht imstande gewesen wäre, ein zwei Monate altes Wolfshündchen zu sättigen; seitdem hatte er nichts mehr genossen.

Er fing also an, die neben ihm wachsenden runden Stengel der Wasserrose abzubeißen und hastig auszusaugen. Er stillte damit den Hunger und gleichzeitig den Durst, der ihn ebenfalls quälte.

Dabei sah er fortwährend auf das Feuer, welches immer mehr erblaßte und erbleichte. Die Menschen um dasselbe waren wie in einen Nebel gehüllt und schienen sich zu entfernen.

»Aho! Schlaf befällt mich! Ich schlafe hier ein!« dachte der Ritter.

Aber an dem Feuer entstand plötzlich eine Bewegung. Die Troßknechte standen auf. Bald drang zu den Ohren Skrzetuskis der Ruf: »Losch, Losch!«

Ein kurzes Wiehern antwortete dem Rufe. Das Feuer verödete und erlosch. Eine Weile noch hörte der Ritter ein Pfeifen und den dumpfen Hufschlag der Pferde auf der feuchten Wiese.

Skrzetuski konnte nicht verstehen, warum die Troßknechte aufbrachen. Er bemerkte, daß die Rohrwedel und die Blattscheiben bleicher wurden, das Wasser anders leuchtete als bei den Strahlen des Mondes, und die Luft sich in einen leichten Nebel hüllte.

Er blickte um sich – es tagte.

Die ganze Nacht war ihm mit dem Umkreisen des Teiches vergangen, ehe er das Moor und den Fluß erreicht hatte.

Er war kaum am Anfang des Weges. Jetzt mußte er am Tage den Fluß entlang an dem Lager vorbeizukommen suchen.

Die Luft sog immer mehr das Licht der Dämmerung auf. Im Osten nahm der Horizont eine blaßgrüne Färbung an.

Skrzetuski ließ sich von dem Busch wieder in den Sumpf herab, und nachdem er kurz darauf das Ufer erreicht hatte, bog er die Rohrbüschel auseinander und sah auf die Wiese.

In einer Entfernung von etwa fünfhundert Schritt sah man einen tatarischen Wachtposten, sonst war die Wiese leer, nur das Feuer blinkte noch in der Nähe im Erlöschen auf dem trockenen Fleck. Der Ritter beschloß, zwischen den hohen Gräsern, die hier und da mit Schilf durchwachsen waren, bis dorthin zu kriechen.

Als er den Feuerherd erreicht hatte, suchte er eifrig nach Überresten der Mahlzeit. Er fand auch einige frisch benagte Hammelknochen mit Resten von Sehnen und Fett, nebst einigen gebackenen Wasserrüben, welche sich noch in der Asche vorfanden. Er fing nun mit der Gier eines wilden Tieres an zu essen, bis er sah, daß die Wachtposten, welche am Wege aufgestellt waren, über die Wiese zum Lager zurückkehrten und sich ihm näherten.

Da trat er den Rückweg an und verschwand in wenigen Minuten im Rohr. Nachdem er seinen Busch wiedergefunden, legte er sich lautlos auf demselben nieder. Die Wachen zogen vorüber. Skrzetuski machte sich sogleich an die Knochen, welche er mitgenommen hatte, und die zwischen seinen mächtigen Kinnladen bald krachten wie zwischen Wolfszähnen. Er nagte die Sehnen, das Fett ab, sog das Mark daraus, zerkaute die knöcherne Masse und stillte so den ersten Hunger. Ein solches Morgenmahl hatte er schon lange nicht in Sbarasch gehabt.

Jetzt fühlte er sich gestärkt. Sowohl die Nahrung als auch der erwachende Tag erfrischten ihn. Es wurde immer heller. Die Färbung der östlichen Seite des Himmels ging aus der gräulichen in eine rosenrote und goldige über. Zwar belästigte die Morgenfrische den Ritter sehr, aber der Gedanke tröstete ihn, daß bald die Sonne seinen müden Körper erwärmen werde. Er sah sich genau um, wo er sich befand. Der Busch war ziemlich groß, etwas kurz, aber dafür so breit, daß zwei Menschen sich bequem darauf niederlegen konnten. Das Rohr umgab ihn ringsum wie eine Mauer, ihn völlig den Blicken Neugieriger entziehend.

»Hier finden sie mich nicht,« dachte Skrzetuski, »es sei denn, sie wollten Fische im Rohr fangen; aber Fische gibt es nicht, die sind von der Fäulnis krepiert. Hier will ich ausruhen und überlegen, was weiter zu tun ist.«

Und er dachte nach, ob er im Flusse weitergehen sollte, oder nicht. Zuletzt beschloß er zu gehen, sobald der Wind sich regte und das Rohr sich wiegte. Im entgegengesetzten Falle mußten die Bewegung und das Geräusch ihn verraten, besonders, da er wahrscheinlich dicht am Lager vorüber mußte.

»Ich danke dir, Gott, daß ich noch lebe!« flüsterte er leise.

Und er erhob den Blick zum Himmel, dann flogen seine Gedanken hinüber in das polnische Lager. Von hier aus war das Schloß deutlich zu sehen, besonders jetzt, wo es von den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne vergoldet wurde. Vielleicht betrachtet jetzt jemand auf dem Turme durch das Fernrohr den Teich und das Rohr, und Wolodyjowski und Sagloba werden wohl den ganzen Tag von den Wällen ausblicken, ob sie ihn nicht an irgend einer Belluarde aufgehängt sehen.

»Sie werden mich nicht sehen!« dachte Skrzetuski, und seine Brust erfüllte ein wonniges Gefühl der Sicherheit. »Sie werden mich nicht sehen! ...« wiederholte er mehrere Male. «Ich habe zwar erst eine kurze Strecke Weges gemacht, aber sie wollte gemacht sein. Gott wird mir weiter helfen.«

Hier versetzte ihn seine Einbildungskraft schon hinter das Lager – in die Wälder, hinter welchen sich das königliche Heer, der allgemeine Aufruf des Landes, Husaren, Fußvolk und fremdländische Regimenter befanden. Die Erde stöhnt unter der Last der Menschen, Pferde und Kanonen, und mitten in diesem Ameisenhaufen des Königs Majestät.

Dann sah er eine unermeßliche Schlacht, zersprengte Lager, – den Fürsten mit der ganzen Reiterei, über Leichenhaufen dahinjagend, die Heere begrüßend.

Die schmerzenden, angeschwollenen Augen schlössen sich vor dem blendenden Licht, sein Kopf neigte sich unter dem Übermaß der Gedanken. Eine wohltuende Schwäche befiel ihn, endlich streckte er sich der Länge nach hin und schlief ein.

Das Rohr rauschte. Die Sonne stieg hoch am Himmel empor und erwärmte mit ihrem heißen Blick den Ritter und trocknete seine Kleider – er schlief fest und unbeweglich. Wer ihn so auf dem Riedebusch liegen gesehen hätte, das blutende Gesicht nach oben gekehrt, der hätte geglaubt, es sei eine Leiche, die das Wasser ausgeworfen. Stunden verflossen, er schlief noch immer. Die Sonne hatte den Zenit erreicht und fing an, am Himmelsgewölbe wieder hinabzusteigen – er schlief noch. Erst ein durchdringendes Quieken sich beißender Pferde von der Wiese her und das laute Rufen der Troßknechte, welche mit Peitschen auf die Lagerhengste losschlugen, erweckte ihn.

Er rieb sich die Augen, blickte um sich und suchte sich zu erinnern, wo er sei. Er sah in die Höhe. Auf dem von den letzten Strahlen der Sonne noch rot gefärbten Himmel blinkten schon die Sterne, – er hatte den ganzen Tag verschlafen.

Skrzetuski fühlte sich aber weder ausgeruht noch gestärkt, im Gegenteil; alle Glieder schmerzten ihn. Aber er dachte, daß gerade die neue Strapaze ihm die Frische des Körpers zurückgeben werde, und, die Füße in das Wasser setzend, trat er ohne Zögern die Wanderung wieder an.

Er ging jetzt im klaren Wasser dicht am Rohr entlang, um nicht durch das Geräusch seiner Schritte die Aufmerksamkeit der am Ufer hütenden Troßknechte zu erregen. Die letzten Schimmer erloschen, es war ziemlich finster, denn der Mond war noch nicht hinter den Wäldern heraufgestiegen. Das Wasser war so tief, daß Skrzetuski stellenweise den Boden unter den Füßen verlor und schwimmen mußte, was ihm schwer wurde, da er in Kleidern war und gegen den Strom ging, welcher ihn immer rückwärts drängte. Dafür hätte aber auch das schärfste Tatarenauge diesen Kopf nicht entdeckt, welcher sich an der dunklen Rohrwand fortbewegte. Er kam also ziemlich schnell vorwärts, teils schwimmend, größtenteils aber bis an die Hüften oder unter die Arme im Wasser watend, bis er endlich zu einer Stelle gelangte, an welcher seine Augen schon zu beiden Seiten des Flusses Tausende von Lichtern gewahrten.

»Das sind die Lager,« dachte er, »jetzt helfe mir Gott!«

Und er horchte.

Ein Gesumme von verschiedenen Stimmen drang an sein Ohr. Ja, das waren die Lager. An dem linken Ufer des Flusses, seinem Laufe folgend, stand das Kosakenlager mit seinen Tausenden von Zelten und Wagen – an dem rechten das Tatarenlager, – beide widerhallend von Lärmen und Summen, voll menschlichem Stimmengewirr, wilden Klängen der Trommeln und Pfeifen, Gebrüll des Viehes, Pferdegewieher und Rufen. Der Fluß teilte sie, indem er zugleich ein Hindernis für die Zänkereien und Totschlägereien wurde, da die Tataren neben den Kosaken sich nicht ruhig verhalten konnten. Er war an dieser Stelle auch breiter, vielleicht absichtlich verbreitert. Aber nach den Feuern zu schließen lagen die Zelte und Wagen auf einer und die Rohrhütten auf der anderen Seite, nur etliche Schritte vom Ufer entfernt. Dicht am Wasser standen sicher Wachen.

Das Rohr und das Schilf wurden lichter, ersichtlich waren die Ufer gegenüber den beiden Lagern gelichtet. Skrzetuski schlich sich noch einige Schritte weiter, dann blieb er stehen. Eine unheimliche Gewalt ging von diesem Ameisenhaufen aus. Ihm war in diesem Augenblick zumute, als sei die ganze Wachsamkeit, der ganze Grimm dieser Tausende menschlicher Wesen auf ihn gerichtet; er fühlte ihr gegenüber eine vollständige Machtlosigkeit, eine völlige Wehrlosigkeit. Er war so allein.

»Hier kommt niemand durch!« dachte er.

Aber er schlich noch weiter, denn ihn zog eine unbezähmbare, schmerzliche Neugier vorwärts. Er wollte diese schreckliche Macht näher sehen.

Plötzlich stand er still. Der Rohrwald war zu Ende, als sei er mit einem Messer abgeschnitten. Vielleicht auch hatte man das Rohr zu Rohrhütten ausgehauen. Weiterhin waren die klaren Wellen rot gefärbt von den darin sich spiegelnden Feuern.

Zwei große, helle Feuer brannten dicht an den Ufern. Bei dem einen stand ein Tatar zu Pferde, bei dem anderen ein Kosak, den langen Spieß in der Hand. Beide waren dem Wasser zugewandt. In der Ferne waren noch mehrere solcher Wachen zu sehen.

Die Strahlen der Flammen warfen einen Schein über den Fluß, welcher aussah wie eine feurige Brücke. Das Ufer entlang im Wasser lagen zwei Reihen kleiner Boote, welche von den Teichwachen benutzt wurden.

»Es ist unmöglich, hier unbemerkt durchzukommen!« murmelte Skrzetuski.

Und plötzlich packte ihn wilde Verzweiflung. Er konnte nicht vorwärts, nicht rückwärts! Ein Tag und eine Nacht war verflossen, seit er sich im Schlamme und im Röhricht herumtrieb. Hatte er die faulige Luft nur darum geatmet und darum durchnäßt vom Wasser den Teich umgangen, um hier, nachdem er die feindlichen Lager erreicht, zwischen denen hindurchzuschlüpfen er sich vorgenommen hatte, zu der Erkenntnis zu kommen, daß das unmöglich sei?

Aber auch die Rückkehr war unmöglich. Der Ritter wußte, daß er Kraft genug finden würde, sich vorwärts zu schleppen, – rückwärts zu gehen – niemals. In seiner Verzweiflung lag gleichzeitig eine dumpfe Wut. Im ersten Augenblick wollte er aus dem Wasser treten, die Wache erwürgen, dann sich auf die Menge werfen und – sterben.

Der Wind rauschte wieder in geheimnisvollem Flüstern durchs Rohr, indem er gleichzeitig die Klänge der Glocken von Sbarasch herübertrug.

»Skrzetuski fing an heiß zu beten; er schlug an die Brust und flehte den Himmel um Rettung an, mit der Kraft und dem verzweifelten Glauben eines Ertrinkenden. Er betete; während es in den Lagern unheilvoll lärmte, wie eine Antwort auf sein Gebet. Schwarze, vom Feuer rötlich angehauchte Gestalten zogen hin und her, wie Herden von Teufeln in der Hölle, – die Wachen standen regungslos – der Fluß strömte in feurigen Wellen dahin.

»Die Feuer werden erlöschen, wenn die stille Nacht kommt,« sagte Skrzetuski und wartete.

Es verrannen eine, zwei Stunden. Der Lärm verringerte sich, die Feuer fingen wirklich an, allmählich zu erlöschen, ausgenommen die zwei Wachtfeuer, welche immer heller loderten.

Die Wachen lösten sich ab. – Es war vorauszusehen, daß sie so bis zum Morgen stehen würden.

Skrzetuski kam der Gedanke, daß er vielleicht am Tage leichter sich durchstehlen könnte, – er verwarf ihn jedoch sogleich. Am Tage wurde Wasser geschöpft, das Vieh getränkt, gebadet, der Fluß mußte dann voller Menschen sein.

Plötzlich fiel der Blick Skrzetuskis auf die Boote.

An beiden Seiten der Ufer standen etwa zwanzig bis dreißig Boote in einer Reihe, und an der Seite des Tatarenlagers reichte das Schilf bis zu den ersten.

Skrzetuski tauchte bis an den Hals in das Wasser und schlich langsam auf dieselben zu, die Augen dabei fest auf die Tatarenwache geheftet.

Nach Ablauf einer halben Stunde war er dicht am ersten Boot. Sein Plan war einfach. Die aufwärts gehenden Hinterteile der Boote erhoben sich über das Wasser, eine Art Gewölbe bildend, durch welches ein Menschenkopf mit Leichtigkeit sich hindurchquetschen konnte. Wenn alle Boote Seite an Seite, dicht nebeneinander lagen, konnte die Tatarenwache den unter ihr durchschlüpfenden Kopf nicht gewahren. Gefährlicher war die Kosakenwache, – aber auch diese konnte ihn nicht erblicken, denn trotz des gegenüberliegenden Feuers herrschte unter den Kähnen Dämmerung. Einen anderen Weg gab es nicht.

Skrzetuski schwankte nicht länger, und bald befand er sich unter den Hinterteilen der Boote.

Er kroch oder wand sich vielmehr auf allen vieren fort, denn das Wasser war seicht. Er war dem dicht am Ufer stehenden Tataren so nahe, daß er das Schnaufen seines Pferdes hörte. Einen Augenblick hielt er an und horchte. Die Boote stießen glücklicherweise mit den Seiten zusammen. Jetzt heftete er seine Augen fest auf die Kosakenwache, die er ganz deutlich vor sich sah. Aber diese blickte in das Tatarenlager. Der Ritter hatte etwa fünfzehn Boote hinter sich, als er plötzlich am Ufer Schritte und Menschenstimmen hörte. Er duckte sich sofort und horchte. Auf seinen Reisen in der Krim hatte er tatarisch sprechen gelernt. Ein kalter Schauer durchlief seinen ganzen Körper, als er jetzt die befehlenden Worte hörte:

»Einsitzen und fahren!«

Dem Ritter wurde es siedend heiß, obgleich er im Wasser war. Wenn die, welche fahren sollten, sich gerade in das Boot setzten, unter welchem er in diesem Augenblick sich verbarg, so war er verloren; setzten sie sich in eines der vor ihm liegenden, so war er ebenfalls verloren, denn dann blieb vor ihm ein leerer, hellerleuchteter Raum. Jede Sekunde wurde ihm zu einer Stunde. Da dröhnten Tritte auf den Brettern – die Tataren setzten sich in das vierte oder fünfte Boot gleich hinter ihm – stießen ab und ruderten in der Richtung nach dem Teiche zu. Aber diese Tätigkeit lenkte die Aufmerksamkeit der Kosakenwache auf die Boote. Skrzetuski lag wohl eine halbe Stunde regungslos. Erst als die Wache abgelöst wurde, kroch er wieder weiter.

Auf diese Weise erreichte er das Ende der Bootreihe. Hinter dem letzten Boot stand schon wieder Schilf und etwas weiter das Rohr. Als der Ritter dieses erreicht hatte, fiel er atemlos und schweißbedeckt auf die Kniee und dankte Gott von ganzem Herzen.

Jetzt ging er etwas dreister vorwärts, jede noch so leise Regung benutzend, welche das Rohr rauschen machte. Von Zeit zu Zeit blickte er rückwärts. Die Wachtfeuer fingen an sich zu entfernen; sie blinkten undeutlicher, wurden schwächer. Die Rohr- und Schilfränder wurden immer dichter und schwärzer, denn die Ufer wurden sumpfiger. Die Wachen mußten nicht mehr so nahe stehen – das Summen aus den Lagern wurde schwächer. Eine übernatürliche Kraft stärkte die Glieder des Ritters. Er drängte sich durch das Röhricht über die Riedgrasbüsche, sank in den Schlamm ein, fiel in tiefes Wasser, schwamm und erhob sich wieder. Noch wagte er es nicht, das Ufer zu betreten, aber schon fühlte er sich fast gerettet. Er konnte sich selbst nicht Rechenschaft geben, wie lange er so ging, aber als er wieder zurückblickte, erschienen ihm die Wachtfeuer nur noch wie fern blinkende kleine Punkte. Noch einige hundert Schritte, und sie waren ganz verschwunden. Der Mond ging auf, ringsum war es still. Da hörte er ein stärkeres, mächtigeres Rauschen, als das Rauschen des Rohres. Skrzetuski hätte vor Freude fast laut aufgeschrien – zu beiden Seiten des Flusses breitete sich der Wald aus.

Jetzt lenkte er seine Schritte dem Ufer zu und stieg aus dem Röhricht hervor. Harzduft strömte ihm entgegen; der Kiefernwald schloß sich dicht an das Röhricht und das Schilf an. Hier und da glänzten in der schwarzen Tiefe silbern die breiten Zweige der Farnkräuter.

Der Ritter sank zum zweiten Male in die Kniee und küßte betend die Erde. Er war gerettet.

Dann tauchte er in das Waldesdunkel, sich selbst fragend, wohin er zu gehen habe? – Wohin würden diese Wälder führen? Wo war der König und das Heer?

Der Weg war noch nicht vollendet – er war nicht leicht und nicht sicher. Aber, wenn er dachte, daß er aus Sbarasch entkommen, daß er durch Wachen, Lager und Sümpfe und eine halbe Million Feinde sich hindurchgeschlichen, dann schienen ihm alle Gefahren vorüber und dieser Wald eine lichte Straße, welche direkt zu des Königs Majestät führte.

Und so ging dieser hungrige und durchfrorene Armselige, schmutzig vom eigenen Blute, rotem Flußerz und schwarzem Schlamme, – Freude und die Hoffnung im Herzen, daß er bald anders, mächtiger nach Sbarasch zurückkehren werde.

»Jetzt bleibt ihr nicht mehr hoffnungslos dem Hungertode preisgegeben,« sagte er, der Freunde in Sbarasch gedenkend, »denn ich bringe euch den König!«

Und dieses Ritterherz freute sich der nahen Rettung des Fürsten, der Regimentarier, der Soldaten, Wolodyjowskis und Saglobas und aller der in den Schanzen von Sbarasch eingeschlossenen Ritter.

Die Tiefe des Waldes öffnete sich vor ihm und umfing ihn schützend.


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