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Frühlingsstürme hatten über das Land gefegt. Die Vils ging hoch in schmutzigbraunen Fluten, schwarz dehnten sich die aufgerissenen Felder im Thale, schon lag es wie grüner Schimmer auf den Wiesen, an Baum und Strauch starrten die Knospen zum Springen geschwellt – es war, als hielte die Natur den Atem an und lauschte aus allen Poren von Stunde zu Stunde, ob es nicht endlich, endlich ertöne, das große Wort – Erwache!
In der Georgenstraße zu Amberg vor Hans Ruprecht Schmidthammers, des Goldschmieds, Werkstätte hielt der Knecht Mathes mit zwei Pferden, und drinnen handelte Hansjörg Portner um ein goldenes Kreuzlein für seine Schwägerin.
»Nehmt's getrost, Herr!« sagte der verwachsene Mann. »Vorgeboten ist nicht, und sind ja doch die Zeiten so schlecht. – Für einen ehrlichen Menschen sind sie schlecht,« setzte er hinzu; »denn glaubt mir, wollt' ich all das gestohlene und geraubte Zeug aufkaufen, das mir Soldaten und Juden tagtäglich ins Haus tragen – ja, dann!«
»Die Zeiten sind für jeden Menschen schlecht, Meister,« sagte Hansjörg und zog sein Beutelein.
»Für jeden ehrlichen Menschen,« wiederholte der Alte und trat in die Thüre. »Und was sie doch 131 heute so freundlich scheint, die Frau Sonne!« murmelte er und spähte straßauf und straßab.
Dann schloß er die Thüre und trat nahe an Portner: »Muß halt auch ein schön Schächtelein zuspendieren – nicht? – Ja, Herr Portner, so freundlich scheint heute die Frau Sonne, daß einem das Herz lachen möcht' im Leibe. Hab's wohl von meinem Vater selig angeerbt, die Freud' am Sonnenschein.«
»Die hat doch jeder Mensch,« meinte der Edelmann und zählte das Geld auf.
»Jawohl,« kam's zurück, »der eine so, der andre so. Wenn ich aber mit meinem seligen Vater über Land 'gangen bin, Herr Portner, und es ist die Sonne hinter den Bergen heraufkommen, so hat er immer den Hut abgenommen. Und oft hat er gesagt, aus ihr schaut ein Auge nieder auf die Erde, das alles durchdringt. Seh' noch seine silbernen Haar' blinken im Sonnenschein, und sind ja doch die meinigen auch schon über und über grau. – Und was für Erbärmlichkeiten mag wohl das goldige Sonnenauge sehen müssen, Herr, in den nächsten Tagen?« fragte er flüsternd. »Wißt Ihr denn nichts, Herr?«
»Die Zeiten sind schlecht, Meister,« sagte Hansjörg und steckte das Päcklein ins Wams.
»I was, für einen ehrlichen Menschen sind sie schlecht, für einen andern nicht. Morgen soll's ja losgehen. Wißt Ihr's nicht?«
»Morgen schon?« fragte der Junker.
»Ja, morgen. Und ist's nicht hart, Euer Gnaden? Heut abend noch geht der Trommelschlag, und morgen muß jeder Bürger und jede Bürgerin aufs Rathaus, und dann – entweder oder! Hart, Herr, hart! Ich bin ein alteingesessener Bürger; und alle meine Altvorderen sind Amberger Bürger gewesen, und auf 132 dem Grund und Boden da sitzen wir seit Menschengedenken, und aus dem alten Holzhaus, das vordem da gewesen ist, hat mein Guckahn das neue Steinhaus gebaut – schaut Euch nur den schönen Erker an – und jetzt heißt's: fort!«
Hansjörg schwieg und nickte.
»Herr Portner, Ihr haltet doch auch den für einen Tropfen und lausigen Gartknecht, der seinen Glauben abschwört, als wär' dieser Glaube ein schwer Unrecht gewesen?« fragte der Alte.
»Das muß jeder mit seinem Gewissen abmachen,« meinte Hansjörg unsicher.
»Der eine thut sich schwer mit seinem Gewissen, weil das Gewissen sein Herr ist; der andre thut sich leicht mit ihm als mit einem unterthänigen Knechte,« sagte der Alte. »Aber wohin denn? Fort, ja, fort! Das ist leicht gesagt. Fort mit Weib und Kindern – und ist doch überall Krieg!«
Der Alte stemmte die Fäuste auf den Ladentisch und sagte grimmig: »Unsre Väter hätten sich das Unrecht nimmermehr lassen anthun. Wie war's denn Anno 1592 im Winter? Hat uns der Kurfürst calvinisch machen können? Nichts hat er ausgerichtet. Es ward ihm abgetrutzt. – Wir haben keine Waffen, heißt's allerorten, und wir können nichts gegen die Soldateska. Ja, wo sind denn unsre Waffen? Im Zeughaus, dächt' ich! Giebt's keine Brechstangen mehr in der Stadt Amberg? O, genug! Aber keine Mannsbilder giebt's mehr in der traurigen Zeit. – Da – hört Ihr's, Herr Portner?«
Die Thüre ging auf, und ein dicker Mann trat ein. »Hört ihr's? Nun kommen sie vom Marktplatz herauf! Guten Abend, Herr Portner, guten Abend auch, Gevatter!«
133 »Guten Abend,« sagte der Goldschmied mürrisch, und Portner nickte.
»Is das ein Getrommel!« flüsterte der andre.
»Und was braucht's das Getrommel?« brummte der Goldschmied. »Weiß ja doch jeder, was ihm bevorsteht – nicht, Gevatter Scharf?«
Viele hundert Kinderfüßlein patschten die Gasse herauf hinter den rasselnden Trommeln; aber man hörte nichts von dem Patschen, die Trommeln gingen allzulaut.
Vor der Werkstätte hielt der Haufe, die Fenster zitterten unter dem Gerassel, mit offenen Mäulern standen die Kinder dichtgedrängt und horchten und gafften.
Die Trommeln schwiegen.
»Martinsviertel – alle Bürger – Inwohner – im Feiertagsgewand – morgen früh sieben Uhr – Rathaus!«
Die Trommeln ertönten aufs neue, und der Haufe wälzte sich weiter. –
Langsam ritt Hansjörg Portner mit seinem Knecht aus der Stadt.
»Und was soll denn einer da morgen sagen?« begann Scharf, der Hufschmied, in der Werkstätte des Goldschmieds.
»Gar nix, zuschlagen!« rief der verkrüppelte Mann.
»Ei, Gevatter, nit so laut, wenn uns jemand hörte!«
»Jawohl, so heißt's immer und überall!« schrie der andre noch lauter. »Mannsbilder giebt's nimmer in Amberg. Das sag' ich jedem, der's hören will. Das hab' ich auch dem Junker gesagt vorhin.«
134 »So ein Junker!« meinte Scharf und strich durch seinen Bart. »Die haben's doch in allen Stücken leichter als unsereins, auch in der Religion. An die geht keiner zu nahe.«
Der Alte zuckte die Achseln: »Weil der Kurfürst vielleicht die Junker im Chamischen mit seidenen Handschuhen angepackt hat? Sorg dich nit, Gevatter, an die kommt's auch noch!«
»Wenn einer nur wüßt', was er morgen sagen soll,« wiederholte der Hufschmied.
Der Alte lachte verächtlich. »Das kann ich mir an den zehn Fingern abzählen, und ich seh' auch jedes einzelne Gesicht, ich sag' dir, jeden Mann und jedes Weib seh' ich leibhaftig vor mir! – Paß auf, Scharf, kannst dir eine Antwort heraussuchen!« fuhr er spöttisch fort. »In einer mächtig langen Reihe stehen wir alle auf dem Marktplatze drunten, und ringsum steht die Soldateska mit brennenden Lunten, und einzeln werden wir hinaufgeführt in den großen Saal, weißt, wo die Kurfürsten hängen und der Kaiser Karl. Und da kannst du sagen: will mich unterweisen lassen; berichtet man mich eines Besseren, so ist mir nit zuwider, katholisch zu werden. Kannst auch sagen: will der erste nit sein und will der letzte nit sein; wie andern geschieht, so geschehe auch mir. Oder: diese Religion gefällt mir gar wohl; wenn andre sich dazu begeben, will ich's desgleichen thun. Oder: ich begehre beim gemeinen Haufen zu bleiben. Oder: was die Obrigkeit haben will, das muß der Unterthan thun; Durchlaucht wird schon wissen, was recht ist. Oder –« nun trat der alte Mann ganz nahe vor den Dicken – »sag doch gleich mit aufgehobenen Händen: ich halte dafür, es ist eine Schickung Gottes; mein Gemüt führt mich selbst dazu; will gern 135 katholisch werden. – Und wahrlich, wahrlich, ich sage dir, dann wirst du genug Rösser zu beschlagen kriegen bis an dein Ende!«
Der Hufschmied stand in tiefem Sinnen, der Alte wandte sich ab und kramte in seinem Handwerkszeug. Dann fuhr er mit gleichgültiger Stimme fort: »Kannst aber auch antworten – habe zurzeit noch keine Affektion zu dieser Religion. Oder: befinde solches zurzeit in meinem Herzen nit. Oder: kann so geschwind nit ja sagen, noch zurzeit von meiner evangelischen Religion abtreten. Oder: ist eine Gewissenssache; will mich beraten mit meinem Gewissen.«
Der Hufschmied sagte noch immer nichts, der Alte aber kam wieder ganz nahe an ihn heran und schloß mit ausgestreckter Hand, laut und langsam: »Oder kannst auch sagen – Kurfürstliche Durchlaucht hat Macht über mich bis hierher und nit weiter. Kurfürstliche Durchlaucht ist ein hoher Potentat, und es zittern viele Hunderttausend vor ihm, aber meine Seele zittert mit nichten vor ihm. Denn es ist einer, der steht hoch über Seiner Durchlaucht, und mit diesem Herrn aller Herren habe ich eine Liga und Bündnis geschlossen, die will ich nicht brechen. Kurfürstliche Durchlaucht kann mir den Leib töten – wie Gott will. Ich habe mich resolviert und begehre, auf mein Bekenntnis zu leben und zu sterben. Amen.«
Der andre schwieg und kaute an seinem Daumennagel. Dann sagte er nachdenklich, als hätte er den Urgrund aller menschlichen Dinge entdeckt: »'s ist halt eine neue, geschwinde Zeit, und mein Vater seliger hat's oft erzählt – damals hat sie angehoben, die neue Zeit, wie das Gebot ausgangen ist zu Amberg in der Stadt, daß keiner sich unterstehe, weder bei Tag noch bei Nacht ein Gefäß durchs Fenster 136 auszuleeren. Und vordem war's doch erlaubt in der ganzen Stadt vom Hußausläuten bis an den Morgen. Und dann haben s' uns diese Freiheit beschnitten, und das ist der böse Anfang gewesen.«
»Zu dumm!« knurrte der Goldschmied.
»Das sag' ich auch,« bestätigte der Hufschmied.
»Dein Geschwätz,« sagte der Alte.
»Ja, 's ist aber doch so?« fragte der Hufschmied verwundert.
»Die Sonne ist hinuntergegangen, Gevatter, ich muß die Werkstatt schließen,« mahnte der Goldschmied nach einer Weile.
»Und was werdet Ihr dann morgen auf dem Rathaus antworten?« fragte der Dicke und schickte sich an, zu gehen.
Der Alte lachte fast unhörbar.
»Noch eins!« sagte der Hufschmied und wandte sich unter der offenen Thüre. »Gesetzt den Fall, wenn nun mein Weib sich akkemmediert und ich bleib' aber bei meinem Glauben?«
»In Amberg sitzen vier lutherische Weiber aus dem Chamischen und essen das Brot der Armut mit Thränen, derweil ihre katholisch gewordenen Männer und Kinder dort im Lande geblieben sind. Giebt halt solch halsstarrig Volk, Gevatter.«
»Aber da hebt ja die Obrigkeit gar selber den Ehestand auf?« sagte der Hufschmied und machte ein sehr verwundertes Gesicht.
Der Alte nickte und lachte leise.
»Die Obrigkeit – selber!« murmelte der Hufschmied und ging durch die Dämmerung nach seiner Behausung.
Dann blieb er stehen und sann und fuhr fort: 137 »Selber!« Es klang wie Zungenschnalzen. Dann hob er zu pfeifen an.
»Lustig, Meister Scharf?« sagte einer im Vorbeigehen, griff an seinen Hut und bog um die Ecke.
›Immer lustig, der Meister Scharf, sogar heut noch lustig! Jetzt mir wär's Pfeifen, meiner Treu, längst vergangen, wenn ich zu allem andern in der bösen Zeit auch noch dem sein' Drachen hätt'.‹
*
Es war am nächsten Abend. Schrägher fielen die Strahlen der Sonne; in Gold getaucht erschien die uralte Stadt.
Auf dem Marktplatze stand die Soldateska unter den Waffen, wie der Goldschmied gesagt hatte, und vom Morgen bis zum Abend hatte man die Leute aus dem Martinsviertel einzeln die vordere Stiege des Rathauses hinaufgeführt, einzeln in den Saal vor den Landrichter und die Kommissäre gerufen und sie hernach über die hintere Stiege ins Freie entlassen.
»Gleich als die Schafe des geblendeten Riesen – wie hat er doch geheißen?« flüsterte ein Schreiber am grünen Tische seinem Nachbarn zu.
»Polyphemos,« antwortete dieser. »Nur daß der Riese in unserm Falle nicht geblendet ist und also ganz genau sieht, wie viele Wölfe mit den Schafen zwischen seinen Beinen durchlaufen möchten.«
»Sehr viele Wölfe,« meinte der andre nachdenklich.
Es wäre noch ein Dutzend Personen draußen, ob die heut auch kommen sollten, fragte der Einspännig den vorsitzenden Landrichter.
»Immer zu!« befahl dieser; »dann können wir morgen gleich das zweite Viertel vornehmen.«
138 »Es ist eine wahre Stickluft in dem Saale,« flüsterte der erste Schreiber.
»Kein Wunder. Schau dir nur die angstvollen Schächer an – der Schweiß bricht ihnen aus allen Poren, als wären s' auf dem Hochgericht, und läuft ihnen den Buckel hinunter!« kam die Antwort zurück.
»Und wenn die wüßten, wie's uns oft selber angst ist unter ihnen, wenn wir durch die Gassen spazieren!« sagte der erste.
Die Thüre ging auf, und der Einspännig führte ein altes, gebrechliches Männlein an den Tisch.
»Der ist stockblind, Herr Landrichter,« erklärte er und zog sich in seine Ecke zurück.
»Wie heißt du?«
»Hans Wiesendt, Euer Gnaden,« sagte der Greis und richtete die erloschenen Augen starr auf den Landrichter.
»Gewerbe?«
»Schlosser. Nun aber blind und verlassen.«
»Wie alt?«
»An die fünfundsiebenzig Jahr.«
»Keine Kinder, die für dich sorgen?«
»Niemand, Euer Gnaden. Leb' in der Bürgerpfründ'.«
»Willst du dich accomodieren?«
»Kann nichts andres mehr lernen, Euer Gnaden, in meinem hohen Alter.«
»Dann mußt du fort, aus der Stadt. Ueberleg dir's, ich rate dir gut.«
»Kann nichts andres mehr lernen, kann nicht, Euer Gnaden.«
»Du jammerst mich,« sagte der Landrichter, und seine Stimme klang gewaltig. »Drum, noch einmal, – überleg dir's!«
139 »Kann nichts andres mehr lernen. Will leben und sterben bei meiner Religion. Mir geschehe, was sein muß.«
»Schreiben!« befahl der Vorsitzende und strich den schwarzen Knebelbart. »Hans Wiesendt, Schlosser, blind und verlassen, erklärt, dennoch bei seiner Religion zu sterben, er könne nichts andres mehr verstehen.«
»Lernen,« sagte der Blinde mit Nachdruck.
»Du brauchst aber das andre gar nicht gleich auf einmal zu verstehen, armer Tropf. Kurfürstliche Durchlaucht hat schon Geduld mit dir,« erklärte der Landrichter.
»Armer Tropf?« Der Blinde richtete sich gerade auf, stützte sich fest auf seinen Stab und starrte ins Leere. »Hat Euch der Herr Kurfürst aufgetragen: ›Wenn der blinde Wiesendt vor dich geführt wird, hernach thu ihm auch noch extra einen Schimpf an, Landrichter!‹ –?«
»Ab!« sagte der Landrichter, stützte die Ellbogen auf das grüne Tuch und legte vornehm die Fingerspitzen aneinander, Daumen gegen Daumen, Zeigefinger gegen Zeigefinger – alle zehn. »Der nächste!«
Der Einspännig führte den Blinden hinaus, der erste Schreiber am grünen Tische aber flüsterte: »Bei dem hab' ich, meiner Treu, keinen Angstschweiß gesehen.«
»Das arme Hascherl kann halt nimmer schwitzen,« raunte der andre, lächelte selbstgefällig über seinen Witz und schnitt an seiner Feder.
»Sabina Scharfin, Hufschmiedshausfrau!« rief der Einspännig, und eine lange Frauensperson im höchsten Staate einer ambergischen Bürgerin trat in den Saal.
»Da heißt es nun eben einen schwerwiegenden 140 Entschluß fassen, Gnaden Herr Landrichter,« sagte sie ausdrucksvoll, machte einen tiefen Knicks, erhob sich und stand mit gefalteten Händen vor dem grünen Tische. »Nun freilich, freilich, ich hab's ja schon lang vorausgesehen. Und ich sag's ja immer, man kann's Seiner Kurfürstlichen Durchlaucht nicht in übel nehmen, wenn sie Ordnung haben wollen in ihren Landen. O, ich kenn' mich aus, wie's in der Welt ist, hab' ich ja doch Ihrer Hoheit der Frau Fürstin von Anhalt hier zu Amberg in die zehn Jahre zur höchsten Zufriedenheit als eine Kammermagd aufgewartet, und hätt's mir auch niemand geweissagt, daß ich einst neben einem gemeinen Hufschmied durchs Leben gehen, und –«
»Willst du mir da vielleicht deine ganze Biographie erzählen?« fragte der Landrichter und klopfte mit dem Bleistifte auf das grüne Tuch. »Willst du dich accommodieren oder nicht?«
»Ich sag's ja, Euer Gnaden,« fuhr sie fort, und ihre Stimme schetterte durch den Saal, »ein schwerwiegender Entschluß tritt nun heran. Und ich bin wirklich zu bedauern, so wie so, und in der schweren Zeit doppelt: denn er ist mein nicht wert, und aussprechen, Euer Gnaden, aussprechen kann ich mich mit dem Hufschmied nicht.« Sie strich verschämt über den Rock und musterte geschwinde die Kommissäre, Sekretäre und Schreiber am Tische.
»Vorwärts! Was wird denn der Mann thun?« drängte der Landrichter.
»Ach, das ist's eben, Euer Gnaden,« stöhnte sie und bedeckte die Augen mit der Hand. »Wo ich doch so für die Ordnung bin – er ist mein nicht wert. Ich fürchte stark, er ist ein Halsstarriger.«
»Und die Frau will sich accommodieren?« fragte 141 der Landrichter geschäftsmäßig. »Schreiben! Sabina Scharf, Weib des –«
»O, nicht so geschwind, Euer Gnaden, um Vergebung, nur eine demütige Frage: Gesetzt den Fall« – sie sah lauernd auf den Vorsitzenden – »wenn nun, angenommen, daß mein Ehemann, wie er mir gestern strikte kundgethan hat, gestern abend, wenn er sich nicht accommodiert –?«
»Dann kann er ehestens durchs Stadtthor hinaus direkt zum Teufel fahren,« erklärte der Landrichter.
»Und darf mir das Haus übern Kopf weg verkaufen, wo doch zwei Drittel vom Kaufschilling mit meinem Geld bezahlt sind?« fragte das Weib und lauschte mit gespannten Zügen.
»I was, das wird man ihm schon zeigen!«
»Und entschuldigt schon, Euer Gnaden, – hernach . . .« Frau Sabina Scharf zupfte verschämt an ihrem Aermel. »Hernach, wenn er mich also verläßt, kann ich mich dann – Euer Gnaden entschuldigt schon – wieder anderweitig verehelichen?«
»Gewiß,« sagte der Landrichter mit Würde, und die Schreiber und Sekretäre lachten verstohlen, und der zweite Schreiber raunte dem ersten zu: »Magst s'?«
Frau Sabine Scharf stand in ihrer ganzen Länge da, hatte die Hände unter der Brust gefaltet, die Lider gesenkt und erklärte mit großartiger Betonung: »Ich kann das Seiner Durchlaucht gar nicht in übel nehmen, daß sie Ordnung haben will in Amberg, Ordnung muß sein; und ich befinde in meinem Herzen, daß ich gern katholisch werde.«
»Und willst dich bis Ostern zur Beicht einstellen?« kam die Frage vom Tische.
»O, morgen, Euer Gnaden,« antwortete Frau Sabine Scharf und schlug die Lider auf, »morgen!«
142 »Schreibet!« befahl der Landrichter, und die Federn raschelten.
»Und reinen Mund halten, Scharfin, bis nach der Beichte!« drohte der Landrichter. »Auch der Mann erfährt nichts davon!«
»Hi,« lachte Frau Sabina, »beileib, kein Schnaufer – der!«
Sie knickste, und hinter ihr schloß sich die Thüre.
»Magst s'?« flüsterte der zweite Schreiber noch einmal, während ein Gemurmel den Tisch entlang ging.
Wieder öffnete sich die Thüre, und breitspurig trat der Hufschmied herein, drehte den Hut zwischen den Fäusten, besah sich die Herren am Tische, einen nach dem andern, und schritt geradenwegs auf den Landrichter zu.
»No, Euer Gnaden, was hat s' denn g'sagt?« fragte er vertraulich und wies mit dem Daumen über die Schulter zurück. – »No, halt mei' Alte, Euer Gnaden –?«
»Merke dir von vornherein, hier ist nicht Mann und nicht Weib, nicht Vater und nicht Sohn,« sagte der Landrichter mit Würde.
»Kinder haben wir keine,« warf der Hufschmied ein.
»– sondern jeder giebt die Erklärung ab für seine Person,« schloß der Landrichter. »Und übrigens werdet ihr euch wohl vorher miteinander besprochen haben, du und dein Weib?« setzte er lauernd bei.
»O ja, so, so, Euer Gnaden. Jetzt ich denk' mir halt, mit der – na, Herr Landrichter, die wenn ihren Kopf aufsetzt, ich denk' mir, der Kurfürst selber –«
»Seine Kurfürstliche Durchlaucht!« unterbrach ihn der Vorsitzende.
143 »No ja, Herr Landrichter, wenn der selber käm' und saget: ›Sabine‹, wenn der saget, ›Sabine, da gleich auf der Stell' mußt jetzt katholisch werden‹ – Herr Landrichter, habt Ihr's positiv von ihr verlangt?«
»Freilich!« kam die Antwort vom Tische.
Es war schon sehr dämmerig im Saale, doch der Hufschmied stand so, daß ein verirrter Lichtschein vom Fenster auf sein pfiffiges Gesicht fiel, und der zweite Schreiber stieß den ersten an.
»Die Kerzen!« befahl der Landrichter, und der Diener ging hinaus.
»Der Herr Landrichter entschuldigt schon,« begann der Hufschmied und drehte den Hut bedächtig zwischen den Fäusten, »gesetzt nun den Fall, wenn mein Weib halsstarrig ist –?«
»Dann kann sie ehestens durchs Stadtthor hinaus direkt zum Teufel fahren,« erklärte der Landrichter.
»Und da hebt dann, entschuldigt schon, die Obrigkeit selber den Ehestand auf?« erkundigte sich der Schmied.
»Ja, wenn der andre Teil in seiner Halsstarrigkeit verharrt.«
»Und was ihr zugehört, muß ich hinauszahlen? Entschuldigt schon!«
»Das wird sich zeigen.«
»O, Herr Landrichter, ich zahl's gern.«
»Nun also!« drängte der Landrichter.
Und im unsicheren Lichte der Kerzen schrieben die Schreiber: ›Hufschmied Scharf hält's dafür, es sei dies eine Schickung Gottes, sein Gemüt führe ihn selbst dazu; will gern katholisch werden.‹
»An Ostern?« fragte der Landrichter.
»O, morgen, Euer Gnaden!« seufzte der Schmied.
144 »Und reinen Mund gehalten bis nach der Beichte, Scharf!« drohte der Landrichter mit gnädiger Miene. »Das Weib erfährt nichts davon!«
»Ha,« lachte der Schmied, »beileib!«
Die Thüre hatte sich geschlossen, und der Herr Landrichter lächelte hörbar, und der Regierungskommissarius lachte ziemlich laut, und zuletzt lächelten und lachten alle am ganzen Tische, je nach Unterschied des Ranges und der Würde.
Und der Regierungskommissarius neigte sich gegen den Landrichter und wisperte vernehmlich: »Herr Kollega, ich schätze, die beiden sind einander dennoch wert.«
Draußen war es ganz dunkel, und im Saale war es nicht sehr hell. Aber das Geschäft war bald vollendet für diesen Tag. Es kamen nur noch etliche wenige, leise klangen die gedrückten, angstvollen Antworten, und flüchtig raschelten die Federn: ›Wie's Gott will, kann's in meinem Gewissen nicht befinden.‹ – ›Will der erste nicht sein und nicht der letzte, will mich bedenken.‹ – ›Wie einem andern geschieht, so geschehe mir auch.‹ –
Zuletzt kam der Turmwächter von Sankt Martin vor den grünen Tisch.
Ob er sich accommodieren wolle oder den Wanderstab ergreifen?
Der Turmwächter besann sich, indessen sein Magen vernehmlich knurrte. Er sei schon alt, und die Beine thäten ihm elend wehe, den ganzen Tag hab' er auf dem Pflaster drunten stehen und warten müssen, sagte er mürrisch. Ihm sei's im übrigen gleich, er sei ein gereifter Mann, kenne alle Religionen bis hinein ins Türkische. Zudem sitz' er auf einem erhabenen Orte, 145 schaue herunter, komme ihm oft vor, als sähe er Ameisen krabbeln unter ihm in den Gassen und auf den Plätzen; höre auch die Glocken unter seinem Sitze, was nicht jeder von sich behaupten könne.
Solle sich kurz fassen!
Wolle sich kurz fassen, sei bereit zu parieren. Aber eines möcht' er noch fragen: ob er's wohl frei herausreden dürfe?
Soll's nur geschwind sagen!
Ob's wahr sei, was er gehört, daß nämlich jeder, der sich accommodiere, etwas hinten hinaufgebrannt bekomme, etwa ein Handzeichen oder sonst etwas, wie die kurfürstlichen Rösser? Wär' das der Fall, dann müßt' er sich's doch noch überlegen; denn solches fiele ihm beschwerlich.
Solle sich keine derartigen Gedanken machen, sei nicht wahr.
Dann wollt' er sich bis Ostern accommodieren.
Alle menschliche Erbärmlichkeit, aber auch alles, was groß ist im gottentstammten Menschen, war durch den Saal geflutet wie ein Strom.
Im weißen Mondlichte schliefen Stadt und Land, und im Dämmerscheine lag der öde Saal.
Was ist denn das? Es bewegt sich. Ohne Zweifel, es bewegt sich! Aber nein, das kann ja nicht sein. Da drüben steht ein Fenster offen, weil die Luft hinaus muß, die dumpfe Luft, und am offenen Fenster bewegt sich der schwere Vorhang, und sein Schatten gleitet über das Antlitz des großen Karl schräg gegenüber. Siehe, da wieder! – Und doch nicht, nein, es regt sich leibhaftig, sieh nur, die großen Augen suchen unter den Bildern an den Wänden und heften sich auf das düstere Bild des 146 Kurfürsten über dem grünen Tische. Und jetzt, aber sieh nur, jetzt öffnet der Kaiser den Mund. – – Hast du's gehört? Ach, ganz laut und vernehmlich:
»Kurfürst, da hast du ein halsstarriges Volk.«
»Leider Gottes, Herr Kaiser.«
»Aber mich dünkt, du machst allzuviel Umstände, mein Sohn.«
Sieh nur, wie hart die blauen Augen des Kaisers aus seinem ehrwürdigen Gesichte schauen!
»Umstände, Herr Kaiser? Ich denke, meine Amtleute verfahren summarisch!«
Sieh nur, jetzt verzieht der große Karl den Mund zu einem Lächeln, sieh nur, wie grausig –!
»Summarisch? Mein Sohn, summarisch bin ich mit meinen Sachsen verfahren. Du kennst doch die Geschichte?«
Horch nur, jetzt ist es, als ob der Kurfürst seufzte in seiner Dunkelheit –
»Wer kennete diese Geschichte nicht, Herr Kaiser? Einer von den Strahlen im Strahlenglanze Eures Ruhmes sind die Sachsen.«
»Nun also! Hast du nicht auch Hartnäckige genug?«
»Die Zeiten haben sich geändert, Herr Kaiser, seitdem die viertausend Köpfe auf die Erde gekollert sind zu Verden.«
»Viertausendfünfhundert, mein Sohn!«
»Vergebt, Herr Kaiser, viertausendfünfhundert.«
»Fehlt es dir an Schwertern?«
»Wir haben mehr als genug.«
147 »An Blöcken?«
»Auch Blöcke, Herr Kaiser.
»Und da drunten dehnt sich doch ein großer Marktplatz mit guten Abflußrinnen?«
»Die Zeiten haben sich geändert, Herr Kaiser.«
»Ach was, die Zeit sind wir, mein Sohn.«
»Doch nicht so ganz, Herr Kaiser.«
»Mein Sohn, ihr Leute von heutzutage habt einen schwächlichen Willen.«
Horch, was hat nun der Kurfürst gemurmelt, fast als schämte er sich, es laut zu sagen vor den Ohren des großen Karl?
»Wahrhaftig, am Willen fehlt's nicht, Herr Kaiser; aber ich sag's ja, die Zeit, die Zeit.«
»Die Zeit, mein Sohn, sind wir!« murmelt der Kaiser und schließt seine Augen.
»Die Zeit sind wir,« murmelt der Kurfürst und starrt in den Saal. 148