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Märzenstaub lag auf den Heerstraßen, lauwarm war die Luft, und im blinkenden Morgensonnenscheine dehnte sich die alte, hochgetürmte Stadt.
In den Gassen und auf den Plätzen drängte sich das festlich geschmückte Volk, und in den Fenstern bis hinauf unter die Giebel starrte Kopf an Kopf.
König Gustav Adolf hatte sich aufgemacht aus dem Feldlager bei Fürth, seinen Einzug zu halten in Nürnberg. –
Weit außen vor dem Spittlerthore, am Rande der Straße, stand eine kleine Schar: vornehme, gebietende Männer in abgetragenen Wämsern, höfische Frauen mit vergrämten Gesichtern, Kinder in ausgewachsenen Kleidchen und dennoch Herrenkinder – eine seltsame Schar, abgesondert von all dem andern nürnbergischen Volke, das sich dort hinten drängte vor dem Thore der Stadt.
In der Ferne erhob sich eine Staubwolke, kam näher und näher, wurde größer und größer. Trompeten schmetterten, vielhundert Rosse trappelten schrittweise heran, von den Türmen klangen die Glocken, von den Wällen krachten donnernde Schüsse, über das Häuflein an der staubigen Heerstraße ging es wie Zittern und Beben.
398 Durch Mark und Bein drang das Geschmetter, und in tiefen Reihen ritten die nürnbergischen Reiter vorüber.
»Hansjörg!« rief eine gedämpfte Stimme aus der Schar am Wege, und ein Mann bückte sich und hob ein Mägdlein hoch empor. »Der Ohm, Dora, der Ohm!« Und mit ernstem, unbewegtem Antlitze nickte Hansjörg Portner auf den Bruder herüber.
»Herr Portner!« flüsterte einer neben Georg, während oben auf der Straße die große Schar nürnbergischer Ratsherren in feierlichem Zuge vorbeikam. »Hört Ihr nicht, Herr Portner? Mich dünkt, aus dem Fähnrich ist ein Rittmeister geworden!«
»Ich traue meinen Augen kaum,« antwortete Georg und stellte sein Kind auf die Erde.
»Das ist geschwinde gegangen,« sagte der andre, und seine Worte verhallten im Trompetengeschmetter der schwedischen Reiter.
»Hast du die Veilchen, Dora?« fragte Frau Anna Felicitas und bückte sich zu ihrem Kinde.
»Ganz fest,« sagte Dora, hob die Augen und wies der Mutter die kleine Faust mit dem Sträußlein.
Paarweise kamen die zwölf herrlichen Leibrosse des Königs, und zwölfmal funkelte auf schwarzem Sammet das goldgestickte schwedische Wappen im Lichte der Frühlingsonne.
»Dora,« flüsterte Georg Portner und hob das Kind auf den Arm, »da sieh, da kommt der König geritten!«
»Der dort?« fragte das Kind.
»Nein, der dort, sieh, dort, der gewaltige Reiter, den schau dir an!« Und er entblößte das Haupt.
Der Zug stockte, und hart vor dem Häuflein am Wege hielt Gustav Adolf. Mit unbedeckten Häuptern standen die Männer und Knaben, mit gefalteten Händen 399 die Frauen und Mädchen, und alle blickten lautlos hinauf zu dem Helden, der die großen blauen Augen unverwandt auf das riesige Städtebild gerichtet hielt.
Da rief ein Greis aus der Schar am Wege mit lauter Stimme: »Unser Blut für König Gustav Adolf, unsern Retter aus –« Thränen entstürzten seinen Augen, und es versagte ihm die Stimme.
»– aus aller Not!« schrie Georg Portner von Theuern, trat neben das Pferd des Königs und hob sein Kind empor.
König Gustav Adolf neigte mit freundlichem Lächeln das Haupt und nahm die Veilchen aus der kleinen Hand.
Georg Portner trat zurück und rief mit bebender Stimme: »Vivat König Friedrich, unser allergnädigster Kurfürst und Herr!«
Trompeten schmetterten, und langsam setzte sich der Zug in Bewegung.
König Gustav Adolf war es gewohnt, daß man ihn allerorten also begrüßte; doch auf dieser stillen Schar am Wege hatten seine Blicke länger geruht als sonst. Und im Weiterreiten winkte er gnädig mit der Rechten hinab, wandte das Haupt und fragte den bleichen, vergrämten Herrn an seiner Linken: »Wer sind wohl die armen Menschen?«
»Vertriebene Ritterschaft aus meinen Erblanden, Euer Liebden,« sagte der Winterkönig, und es klang wie verhaltenes Schluchzen.
In einer Staubwolke wälzte sich der endlose Zug durch das gähnende Thor, die Glocken klangen, die Kanonen krachten, und das Volk schrie: »Vivat König Gustav Adolf!«
*
Um dieselbe Stunde ritten zwei Knechte des Landrichters über die Holzbrücke im Dorfe Theuern, und 400 hinter ihnen trollte ein Häuflein zerlumpter Kinder.
An der zerfallenen Steinbrücke machten die Reiter Halt, und lachend wies der eine von ihnen über die weißen Strunke der Linden, auf die brandgeschwärzten Ruinen des Herrenhauses. »Etwa dort?« fragte er.
»Da hält kein Nagel mehr,« brummte der andre und trieb seinen Gaul über den weiten Kirchenplatz, hinein in das enge Gäßlein. Mit patschenden Sohlen rannten die Kinder wortlos hinter den Reitern.
Im hellen Sonnenscheine ragte das uralte Steinhaus der Portner hinter dem tiefen Graben und sah mit seinen engen Gucklöchern trotzig wie immer hinaus über die Strohdächer des Dorfes ins Land, und trotzig wie immer sprang der Hirsch im Steinschilde über dem rundbogigen Thore.
»Da wird's wohl besser halten,« brummte der Knecht, nahm einen Hammer aus der Satteltasche, steckte vier Eisennägel zwischen die Lippen, zog einen beschriebenen Bogen aus dem Wamse, entfaltete ihn und trieb seinen Gaul über die Bohlenbrücke hart an das verschlossene Thor. Dann stellte er sich in den Bügeln und schlug das weiße Papier an den eichenen Flügel.
Dumpf hallten die Hammerschläge, und neugierig gafften die Kinder.
»So, da hängt's, und da bleibt's hängen im Namen Seiner Durchlaucht des Kurfürsten, bis daß es abfault in Regen und Sonnenschein!« rief der Knecht des Landrichters, steckte den Hammer in die Satteltasche und ritt über die Brücke.
Neben dem andern Knechte wandte er den Gaul noch einmal und besah sich sein Werk. Dann trabten sie beide von dannen.
Neugierig kamen die Kinder heran und glotzten 401 auf das weiße Blatt mit dem großen Siegel. Aber sie konnten's nicht lesen.
Da kam hier einer und dort einer aus den Hütten gegangen, und nach kurzer Zeit stand ein Haufe zerlumpter Gestalten auf der Holzbrücke unter dem finstern Bau.
Und einer hob an, laut zu lesen, konnte nicht mehr weiter, buchstabierte, stockte, ein andrer half ihm, sie lasen miteinander, die übrigen halfen hier mit und murmelten dort und machten ihre Bemerkungen, und die Kinder begannen sich zu balgen. Dann lief der Haufe auseinander, und stille lag der alte Bau im Frühlingsonnenscheine, schwarz glitzerten die Buchstaben:
»Wir thun ihn hiemit in die Acht und Vervestung gefallen sein öffentlich verkündigen und erklären, also daß er aus dem Frieden in Unfrieden gesetzt und sein Leib und Leben wie eines Vogels in der Luft einem jeden in unserm anvertrauten Fürstentum, Gericht und Landen preisgegeben sei. Welches wir denn hiemit jedermänniglich zur Nachricht nit allein eröffnen, sondern wir thun auch allen Eingesessenen befehlen, daß sie mit ihm Hansjörg Portner von Theuern keine Gemeinschaft haben, ihn weder ätzen noch tränken, nicht behausen, nicht herbergen, ihm nicht Vorschub, Rat oder Hilfe thun, so lieb einem jeden ist, den Verlust seiner Güter, auch Leib- und Lebensstrafe zu vermeiden.«
Ein lindes Lüftlein summte über den alten Bau, und es klang vielleicht, als flüsterte ein Kind: ›Mutter, wie viele Portnersärge mögen wohl schon auf der Schwelle da gestanden sein?‹
Aber trotzig wie seit hundert und hundert Jahren sprang der wuchtige Hirsch im Steinschilde hoch über 402 dem rundbogigen Thore, und die ewige Sonne lachte herab auf das nordgauische Land.
*
In blutrote Wolken versank der feurige Ball, das Licht unzähliger Fackeln kämpfte mit dem Lichte des scheidenden Tages. Trompeten schmetterten, tausendfache Rufe brausten die Straßen Nürnbergs entlang, von allen Türmen riefen die Glocken den Abschied: König Gustav Adolf ritt aus der Stadt, hinein in den Abend.
Hinter ihm aber ritt mit glühenden Wangen Hansjörg Portner von Theuern, einer von den Schwachen, die stark geworden waren im Elend, einer von den Helden, denen wir Deutschen das köstlichste Gut dieser Erde verdanken – die Freiheit.