August Sperl
Die Fahrt nach der alten Urkunde
August Sperl

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Das Schloß in der Mark.

Langsam zogen die Pferde den breitspurigen Wagen durch den tiefen Sand des Feldwegs. Die Gegend war öde und eben wie eine Tischplatte; Wiesen mit saurem Grase und weitgedehnte Stoppelfelder lagen zu beiden Seiten des Fahrwegs, und ganz draußen am Rande der Landschaft, wo Himmel und Erde zusammenstießen, da schwangen melancholische Windmühlen ihre gespenstigen Arme.

Anfangs hatten wir fröhlich geplaudert, der Vater und ich. Aber allmählich verstummte unser Gespräch, und es war nichts mehr zu hören, als das eintönige Schnauben der Pferde und das Knirschen und Stöhnen der Räder im Sande.

Stundenlang fuhren wir. Da traten die Wiesen und Felder zurück, und wir bogen in einen Föhrenwald. Eine Viertelstunde fuhren wir zwischen seinen verkrüppelten Stämmen, dann trat auch er wieder zurück, der Weg wurde fester und lief zwischen fetten Wiesen dahin, die 145 Pferde griffen munter aus, Leute arbeiteten hier und dort, und aus einer Insel von Obstbäumen schauten uns die ersten Hütten eines Dorfes entgegen: wir waren am Ziel unserer Fahrt, und der Wagen hielt vor dem Krug.

Wir entlohnten den Kutscher und standen nach ein paar Schritten im weiten Gutshofe des Herrensitzes. Langgestreckte, einförmige Gebäude, Ställe, Scheunen und eine stattliche Brennerei schlossen ihn auf drei Seiten ein; kein Mensch war auf dem großen Platze; alles sah aus wie die neue Zeit – bis auf das alte, graue Schloß mit seinem hohen Giebel und seinen moosigen Türmchen, das auf der vierten Seite des Hofes stand, das alte, graue Schloß Ellsdorf, hinter dessen Mauern in stiller Zurückgezogenheit die Letzte des norddeutschen Zweiges unseres Geschlechts wohnte.

Wir hatten uns angemeldet und noch gestern auf der letzten Station eine freundliche Antwort erhalten. Nun aber hatte sie uns wohl von einem Fenster aus gesehen; denn gerade, als wir dem Diener unsere Karten geben wollten, kam sie selbst, die greise Herrin des Schlosses, streckte uns beide Hände entgegen und lud uns herein in ein trauliches Gemach zu ebener Erde.

Sympathie! Ein seltsames, zauberhaftes, unerklärtes und unerklärliches Ding. Sie ist da, sie greift ans Herz, und ich bin gefangen. Antipathie – ihre Schwester! Auch sie kommt ungerufen, greift kalt ans 146 Herz, und ich bin zurückgestoßen. Oft wünschte ich mir recht sehnlich das bequeme Mittelding, mit dem es sich so gut durchs Leben gehen läßt, die Gleichgültigkeit. Ich habe sie mir auch schon in manchen Verhältnissen angewöhnt und bin gut dabei gefahren – aber in einem Punkte kann ich sie schlechterdings nimmer erwerben: in meinem Verkehre mit Frauen. Und hier will ich sie auch gar wohl entbehren; denn die Frau kennt ja selbst die Gleichgültigkeit nicht, weil sich in ihr alles auflöst in die zwei großen Gefühle Sympathie und Antipathie. Drum bleibet bei mir und stellet euch ruhig neben mich, ihr Schwestern, wenn ich mit Frauen rede, schlag eine Brücke, Sympathie, baue eine Scheidewand, Antipathie, wenn ich ihnen die Hand reiche, in die Augen sehe und – ihre Stimmen höre, und nach wie vor will ich hier dem ersten Eindrucke folgen, weil ich unzählige Male erkannt habe, daß er der richtige war.

Auch ihr hatte ich die Hand geküßt, ein paar Sekunden ins Antlitz geschaut, ihre Stimme gehört, und nun wußte ich, daß sie mir sympathisch war, saß ruhig auf dem grünen Polsterstuhle ihr und dem Vater gegenüber, betrachtete schüchtern ihre große, schlanke Gestalt, ihr einfaches, graues Seidenkleid, ihr feines, gütiges und doch so vornehmes Gesicht und ihr weißes Häubchen, und gab mich dem Zauber hin, der über ihr ausgegossen war, dem Zauber, den jedes edle Weib besitzt, mag es nun jung sein und blühend von Antlitz 147 und Gestalt und unerfahren – oder mag es welke Züge haben und graue Haare, eine alte Gestalt und eine Last von Erfahrungen.

Ja, wenn es doch alle Frauen wüßten, was uns an ihnen so lieb ist! Sie würden sich weniger grämen, wenn die Schönheit ihrer Erscheinung zu verfallen beginnt oder auch wenn andere glänzender sind als sie. Denn sie alle können ja ein Gut erwerben und besitzen, das unabhängig ist von Form und Schönheit, das unendlich höher steht als Form und Schönheit, das viel, viel wahrer ist als Form und Schönheit, das ihr bestes Erbteil, ihre Seele, widerspiegelt – die Anmut. Die Schönheit ist ein Halbes; denn ohne die Anmut ist sie kalt und tot. Aber die Anmut ist ein Ganzes, in sich Abgeschlossenes; denn sie bedarf der Schönheit nicht. Darum freue dich, du schöne Frau, deiner Schönheit, aber im stillen ringe, ringe unablässig nach deiner Krone, der Anmut. Und du minderbegünstigte Schwester der Schönen erwirb dir die Anmut, freue dich, daß die Anmut so hoch über der Schönheit steht wie die Seele über dem Leib, und freue dich, daß du die Anmut in deiner Hand hast – weil du auch Herrin bist über das Dichten und Trachten und Leben und Weben und Sinnen und Fühlen deiner Seele. Nimm die Seele in gute Zucht, ihr Glanz wird aus deinen Augen strahlen, die edlen Menschen werden dich lieben; denn was ist immer und immer die letzte, höchste Sehnsucht der Liebe? Die Seele!

148 Ich überließ das Gespräch meinem Vater und schaute verstohlen in der altmodischen Stube umher. Allen Gemächern des Schlosses, hatte unsere Verwandte gesagt, ziehe sie dieses kleine Zimmer vor, habe hier die Geräte, unter denen sie einst als Kind im Elternhause gespielt, um sich versammelt und verbringe nun den Abend ihres Lebens in stillen Erinnerungen an die vergangenen Zeiten. Die alten, meist aus dem vorigen Jahrhundert stammenden Dinge, hier die feingebohnte, geschweifte Kommode, dort die schweren Polstersessel, das Nähtischchen in der Fensternische, das Kerdernwappen auf Glas am Fensterrahmen, die kleine abgegriffene Bibliothek, machten das Zimmer so wohnlich, daß auch ich keinen Augenblick nach den Prachtgemächern des Schlosses Verlangen trug.

»Hier, hinter Ihnen«, sagte die Dame eben zum Vater, »hängt das Bild meines seligen Bruders.« Da konnte auch ich mit Anstand noch weiter umherschauen und sah mir die Ölgemälde an der Wand an, dort den prächtigen Männerkopf mit den weißen Haaren und den scharfen, blauen Augen, der mich so ernst anblickte, hier jugendfrische Mädchengesichter mit runden Wangen, die mich fröhlich und schalkhaft aus den steifen, ausgeschnittenen Prachtkleidern einer längst versunkenen Zeit anlachten, herzige Mädchen – die Großtanten der alten Frau vor mir auf dem Sofa.

Der Vater fragte, die Cousine antwortete, immer eifriger wurde das Gespräch, und zuletzt schloß sie einen 149 großen Rokokosekretär auf und kramte aus seinen unergründlichen Schubladen alte Schätze hervor. Nun löste sich auch mir die Zunge zu mancher schüchternen Frage.

Da waren dicke Stammbücher mit Ledereinbänden und abgegriffenem Goldschnitt, in denen man sich auf ewig Treue geschworen und mit französischen Brocken viel Artiges gesagt hatte. Kecke Soldatensprüche standen auf den vergilbten Blättern neben empfindsamen Schäferweisen, und viel war zu lesen auf welsch von vertu, honneur und fidélité, unter traurige Abschiedsworte hatte ein anderer in der Weinlaune ein nichtsnutziges Sprüchlein hingeschmiert – jetzt stand es da seit hundert Jahren –, wir sahen feste Männerzüge bei zierlicher Frauenhand, alles bunt durcheinander, gleichsam Federzeichnungen aus einer entschwundenen Zeit.

Dann kamen alte, schöngemalte Stammtafeln mit Wappen und Arabesken, kunstvolle Ketten und Ringe – längst moderten die Finger und Gelenke, die sich stolz mit ihnen geschmückt hatten – und während die Matrone das alles zeigte, erzählte sie ruhig und freundlich von Freud und Leid der Vergangenheit; ich hätte stundenlang schauen und hören mögen.

»Was ist denn das?« rief da auf einmal der Vater und zeigte auf ein großes Pastellbild in einer verschossenen, blauen Samtkapsel.

»Auch ein Kerdern«, sagte die Dame leise. »Vielleicht später von ihm. Sehen Sie sich einstweilen das 150 Bild an.« Dabei wandte sie sich ab und begann, die Sachen wieder in die Laden zu legen.

Es war das Kniestück eines Knaben von hinreißender Schönheit. Er hatte ein goldgesticktes Jagdgewand an, die kleine Rechte umspannte den Griff eines Hirschfängers, mit der Linken hielt er den schwarzen Federhut. Trotzig schaute er aus blauen Augen, der schmale Mund war fest geschlossen, das ungepuderte Haupthaar hing ihm in die eckige, große Stirne und fiel in schwarzen Locken auf die Schultern hernieder.

Lange besahen wir das Bild. »Sollte man's glauben, daß er zum Geschlechte gehört?« sagte der Vater. »Er sieht so fremd aus!«

Dann gaben wir die Kapsel unserer Wirtin hinüber.

Es war Essenszeit geworden. Zwei Stunden hatten wir uns mit den alten Sachen beschäftigt und hatten geglaubt, es wären nur wenige Minuten. Daß die Urkunde auch hier nicht lag, wußten wir, als die Greisin den Schreibtisch schloß und uns zu Tische bat. Sie hatte uns wohl alles gezeigt, was sie besaß, und so fragten wir sie auch nicht mehr weiter danach.

Der Vater gab der Cousine den Arm, ich ging allein hinter den beiden in das Speisezimmer. Mir dünkt, ich hätte nichts dagegen gehabt, wäre eines der lieblichen Mädchen aus seinem Goldrahmen dort oben herabgestiegen und hätte gesagt: »Ihren Arm, s'il vous plaît, monsieur cousin!« – –

151 Nach dem Diner schlenderten der Vater und ich auf den verschlungenen Wegen des Parkes umher. Die Ruhe nach all den vielen Eindrücken that uns sehr wohl.

Als wir wieder in die Nähe des Schlosses kamen, sahen wir die alte Dame unter ihren Blumen auf der Terrasse stehen. Wir traten herzu und verloren uns im Gespräche mit ihr bald wieder unter die Bäume. Nach dieser Seite des Parkes waren wir vorhin nicht gekommen. Je weiter wir gingen, desto tiefer hingen die Zweige über den Weg herein, feines Gras lugte zwischen dem Kies hervor, und die Bäume standen so dicht, daß kein Sonnenstrahl durch ihr Geäste dringen konnte. Offenbar gab unsere Verwandte die Richtung an, und ich wunderte mich, daß sie uns in diesen abgelegenen Teil des Parkes führte.

Da lichteten sich plötzlich die Bäume, wir traten auf einen freien Platz und standen vor einem kleinen Mausoleum aus blendend weißem Marmor.

»Das Grab meines seligen Mannes,« sagte die alte Frau und trat still mit gefalteten Händen an das niedere, schwarze Gitter der Thüre. Dort stand sie mit geneigtem Haupte und schien zu beten, und auch wir standen ehrfürchtig vor der geweihten Stätte und entblößten die Häupter.

Wir kehrten sodann auf demselben Wege zurück auf die Wiese, die hinter dem Schlosse lag, und gingen 152 unter die große Linde, die mit ihren langen Ästen wie mit einem Zeltdache die grüne Fläche beschattete.

Die Dame bat, wir sollten uns an den kleinen Gartentisch unter den Baum setzen. Sie selbst ging ins Haus und kam nach kurzer Zeit wieder.

Ich bemerkte, daß ihr Antlitz ein klein wenig lebhafter als vordem gefärbt war. Sie setzte sich nun auch zu uns und legte ein Quartheft, das in festes, schwarzes Papier gebunden war, vor sich auf den Tisch.

Dann sprachen wir von verschiedenen Dingen. Sie erzählte uns von ihrem Leben, das im Sommer und im Winter gleichmäßig und ohne große Veränderungen dahinfließe. Nur der Herbst bringe mancherlei Abwechslung; da kämen die Kinder ihres Sohnes aus der Hauptstadt und genössen ihre Ferien in dem großen Park, auf dem weiten Hofe, in den Ställen und, wenn es gerade regne, in dem Stübchen der Großmutter.

»Ich habe Ihnen noch nichts von meinem Bruder, dem Oberst, erzählt,« sagte die Greisin plötzlich, »und von seinem Sohne und,« setzte sie leise hinzu, »von dem alten Bild in der blauen Samtkapsel.« Dann wandte sie sich zu mir und fragte: »Wollen Sie dieses Heft nehmen und das vorlesen, was darinnen steht? Ich weiß, daß es für Sie beide von Interesse sein wird.«

Ich nahm das Heft und schlug es auf. Eine schöne, klare Schrift sah mir entgegen. Ich begann zu lesen: 153

»Mein Sohn Georg! Du wirst in den nächsten Tagen das Haus Deines Vaters verlassen, und ich werde allein zurückbleiben. Du weißt, daß ich beim Abschiednehmen nie viele Worte mache; ich bin niemals ein Mann von vielen Worten gewesen. Aber Dein Gehen betrübt mich sehr, ich weiß ja gar nicht, ob ich bei meinem Alter und bei meiner schlechten Gesundheit Dich noch sehen werde.

Deshalb entschloß ich mich, Dir einen kleinen schriftlichen Abschied auf die Hochschule mitzugeben und darinnen einiges aufzuzeichnen, was Dir Fingerzeige für Deine Zukunft zu geben vermag. Merke sie; denn die Worte der Alten sind Wegweiser für die Jungen; wenn sie sich danach richten, dann werden sie nicht viel in der Irre gehen; wenn sie aber auf eigene Faust ihre Straße suchen, dann müssen sie oft großes Weggeld zahlen.

Ich wurde gerade erst fünfzehn Jahre alt, als der Krieg gegen Rußland begann. Alle Welt war voll von dem Namen Napoleon. Ihr jungen Leute wißt das gar nicht, wie sehr dieser Mann damals nicht allein über die Länder, sondern auch über die Herzen der Menschen herrschte. Aber es war eine Herrschaft des Schreckens, und wenn man an ihn dachte, so dachte man dabei nur an Krieg und Not.

Mein Vater haßte diesen Mann, wie er sonst nie einen Menschen haßte. Oft sagte er von ihm: »Gott hat ihn aus seiner Niedrigkeit emporgehoben, wie er 154 der giftigen Pest aus dem Sumpfe hervorzukriechen gebietet, wenn er ihrer zur Züchtigung der Menschen bedarf. Ist seine Zeit um, dann wird er ihn vor aller Welt wegwerfen, was wir vielleicht bald erleben werden.« Er hat es nicht mehr erlebt; aber, bei Gott, ich hab' es gesehen!

Ich wollte, so jung ich war, mit in den Krieg gegen die Russen.

Ich weiß es noch, wie wenn es gestern gewesen wäre: es war ein kalter Abend, und den ganzen Tag über waren starke Regengüsse gefallen. Die Stadt lag voll von Truppen, und bis in den Abend dauerte das Trommeln. Ich hatte eine besondere Ungeduld, ging im dämmerigen Zimmer auf und ab und zählte die Minuten an den Zeigern der Wanduhr. Dabei dachte ich, daß es jetzt wohl längst entschieden wäre. Aber ich wußte nicht, wie.

Der Reitknecht des Vaters kam, zündete die Kerzen an und deckte den Tisch. Er warf neue Scheiter in den Kamin, und das Feuer schlug hoch empor. Dann ging er.

Meine Ungeduld wurde größer. Ich trat an den Kamin und stieß den Feuerhacken unter die brennenden Klötze, ich trat ans Fenster und sah in die Dunkelheit. Ich weiß es genau, was ich an jenem Abend that.

Zuletzt warf ich mich in den alten Lehnstuhl des Vaters, und nun begegnete mir etwas Seltsames. Eine Mahnung magst Du es nennen.

155 Ich erfuhr des öftern solche Mahnungen, wenn mir im Leben wichtige Veränderungen bevorstanden. Gewöhnlich war es irgend eine starke Erinnerung. So auch damals, als ich nicht Herr über meine Ungeduld zu werden vermochte.

Meinem Stuhle gerade gegenüber hing das Bild meiner Mutter, hell beleuchtet. Du kennst es ja, das Bild. Ich hatte – gleich Dir – meine Mutter sehr früh verloren. Ich war noch nicht sieben Jahre alt, als sie starb. Als ich nun so dasaß und ungeduldig wartete und verloren in meinen Gedanken auf das Bild hinsah, da kam es mir auf einmal vor, als schauten die großen, blauen Augen besonders gütig auf mich herab und wollten mein unruhiges Herz zu sich emporziehen. Es ergriff mich eine starke Sehnsucht nach der toten Mutter, und ich mußte weinen. Nun bin ich mir heute nicht klar darüber, ob ich wachte oder träumte, aber das weiß ich: auf einmal war mir's, als ob jemand ganz langsam etwas von meinen Augen wegzöge, und ich sah mich als Kind in Erkhoff draußen in meinem Bette liegen. Ich war schwer krank und hatte Schmerzen, meine Mutter aber beugte sich herab auf mich und sah mich an, wie aus dem Bilde, und das große goldene Kreuz, das sie auch auf dem Bilde trägt, hing an dem breiten, blauen Bande vor meinen Augen. Sie strich mir die Haare aus der Stirne und sagte: »Du mußt geduldig sein, Willy; ich habe dich ja so lieb.« Da griff 156 ich nach dem Kreuz an ihrer Brust, sie aber knüpfte es rasch ab und legte mir's in die Hände, indem sie sagte: »Willy, ja, nimm das Kreuz. Das hilft uns allen.« Und sie küßte mich. Ich schlief mit dem Kreuze ein und empfand meine Schmerzen nicht mehr.

Das stand deutlich vor mir und erfüllte mich mit einem wunderbaren Frieden. Ich erhob mich und schürte das Feuer. Alles war stille im Haus und auf den Straßen. Dann kniete ich nieder vor dem Bilde und sagte leise: »Ja, Mutter, das Kreuz will ich halten. Ich weiß, was du mir auch heute sagen wolltest. Mutter, ich will geduldig sein.«

Die Erinnerung an das Kreuz, Georg, hat mich auch später noch in mancher bösen Ungeduld zur rechten Zeit gemahnt, und ich habe es erfahren, daß nur der Geduldige stark ist. Georg, nimm auch das Kreuz, und sei geduldig. –

Endlich kam der Vater die Treppe herauf. Ich hörte, wie ihm der Reitknecht den Mantel abnahm. Dann trat er ein, und ich grüßte ihn mit dem festen Vorsatz: ja, Mutter, ich will geduldig sein.

»Nun, Willy?«

»Ich darf nicht mit, Vater? Sagen Sie mir's, ich glaube, ich kann's ertragen.« Es stieg mir aber dabei das Blut gegen das Gesicht.

Da trat der Vater zu mir heran und legte mir seine Hände auf die Schultern:

157 »So ist's recht, mein Sohn! Du bist jetzt ruhiger als vorher. Das geziemt einem Soldaten. Des Königs Majestät hat dich zum Fahnenjunker in meinem Regiment ernannt. Sei mir gegrüßt, Kamerad!«

Da ward's mir heiß vor Freude, und ich rief: »Vater, Mutter!« – –

Georg, jeder Mensch hört in wichtigen Augenblicken Stimmen, sei es nun von innen oder von außen. Aber das Eine gehört dazu: Nicht auf eigene Faust vorwärts laufen – manchmal stille stehen und horchen, horchen!!

In den letzten Tagen vor unserm Ausmarsch schrieb mir ein alter Freund unseres Hauses einen Spruch in mein Stammbuch und machte eine Zeichnung dazu. Der Spruch lautete: sic fata eunt. Die Zeichnung war einfach: es war eine Linie im Zickzack. Dieser Mann kannte unsere Geschicke und wußte, daß Spruch und Zeichnung auf unser Geschlecht passen. Denn unser Geschlecht mußte auch immer auf und ab gehen und wird wohl auch noch lange Wege auf und ab gehen müssen, bis sie dereinst zu dem Letzten seinen zerbrochenen Schild in die Grube legen. –

Ich erzählte dir viel von den Schicksalen unserer Väter, als ich im vergangenen Herbste von meiner süddeutschen Reise zurückgekehrt war. Du wirst selbst sagen müssen, daß der Spruch und die Zeichnung wahr sind. Es ist aber sehr gut, wenn man die Vergangenheit immer vor Augen behält; dann kann ja das 158 Kommende nicht überraschen. Mein Urgroßvater starb im Unglück; ich teilte dir alles mit, was ich davon aus alten Briefen weiß und im vergangenen Herbste in dem Kirchenbuch gelesen hatte. Du weißt, daß sein jüngerer Sohn zu Ansehen und Vermögen gelangte, du weißt, daß der Sohn dieses Mannes als armer Offizier in unsere jetzige Heimat zog und nach harten Schicksalen wieder zu großem Besitz gelangte, du weißt, daß mein Vater, der im Glücke aufwuchs, noch kurz vor seinem Tode bei Polozk die Kunde von dem Verlust von Erckhoff bekam. Die Untreue und die Kriegszeit hatten es uns zu Verlust gebracht. Mit bitteren Sorgen um meine und meiner Schwester Zukunft starb er – du weißt aber, daß ich ein sorgenloses Leben habe und daß meine Schwester auf einem der größten Rittergüter der Mark sitzt. Auf und ab, auf und ab gingen unsere Wege, auch der deine kann wieder abwärts gehen – aber, Georg, das wahre Glück ist nur wenig von vergänglichen Dingen abhängig.

Darum gehe ruhig deine Straße, und wenn dir's einmal im Leben enge werden will, dann schau' empor zum Himmel, der sich auch über dem dunkelsten Thale wölbt, und gehe aufrecht; denn unser Herrgott will keine gebeugten Nacken.

Damit du das aber könnest, mußt du auch alles vermeiden, was dich zum Knechte machen würde – und das brauche ich dir wohl nicht erst aufzuzählen.

Ich sprach dir niemals viel von Grundsätzen. 159 Belade dich nicht mit vielen Grundsätzen; die machen hochmütig. Dein einziger Grundsatz sei: ich will treu sein. Den halte fest. Mein alter Lehrer in Erkhoff, der selige Pastor, von dem ich dir schon oft erzählte, schrieb mir damals vor dem russischen Feldzug in mein Stammbuch:

»Sei treu! Die Treue gleicht einem Edelsteine, der im Lichte lag und alle Strahlen der Sonne in sich aufsog. Hernach leuchtet er im Dunkeln mit all dem fremden Glanze. Nach allen Seiten streckt sich die Treue, alles im Menschenleben umspannt sie: das Herz bewahrt sie, daß es rein bleibt, sie neigt es hin zum Feinde und tilgt den Haß, und aus einer andern Welt hat sie ihre Kraft.«

Ja, halte die Treue, Georg!

Als ich in jenen Tagen zum letztenmale bei dem Pastor saß, da sagte er zu mir: »Werde anders als dein Bruder war, Willy.«

Ich wußte nicht, was er meinte, und sah ihn lächelnd an; denn ich hatte ja keinen Bruder.

Aber ich hatte doch einen Bruder gehabt. Auch du weißt bis heute nichts von ihm; heute will ich dir von ihm zum erstenmal erzählen, was mir damals der Pastor von ihm sagte. Er war viel älter als ich und aus der ersten Ehe meines Vaters geboren. Der Pastor schenkte mir damals ein Gemälde in einer blauen Samtkapsel, welches ihn als Knaben darstellt. Es geht nun in deine Hände über und mit ihm dieser alte, ganz mürbe 160 gewordene Brief von seiner Hand. Möge das Bild und der Brief samt dem, was der Pastor schrieb, dich ebenso geleiten, wie es deinen Vater durch seine Jugend führte.«

Ich hielt inne und schaute fragend auf die alte Dame. Sie nahm aus einer kleinen Ledertasche zwei vergilbte Papiere und reichte sie mir herüber, indem sie sagte: »Das Bild haben Sie ja heute schon in meinem Zimmer gesehen.«

Ich las:

»Wohlehrwürdiger Herr Pastor! Da lieg ich in dem einsamen Bauernhof. Es ist jetzt zehn Wochen her, daß ich mich hierher geschleppt habe. Was mir fehlt, weiß ich selbst nicht recht. Ich muß viel husten und kann mich nicht auf den Beinen halten. Wenn nur der Winter aufhörte. Ich sah seit diesen zehn Wochen keinen Sonnenstrahl mehr, weil der Hof fast den ganzen Winter über im Schatten liegt. Ich komme wohl nicht mehr in die Heimat hinaus; ich glaube auch, es wäre gar nicht gut. Ich will tot sein für meinen Vater.

Ich habe viel böse Zeit zum Nachdenken, und das thut weher als mein Husten. Ich will's Ihnen noch sagen. Nehmen Sie's für eine Beichte, aber nicht für eine Kirchenbeichte, an die glaub' ich nicht. Sie wissen ja die Geschichte, Sie wissen, wie schlecht ich gehandelt habe und daß mir mein Vater nicht vergeben konnte, daß ich die Treue gebrochen habe. Aber das wissen Sie nicht: es brennt mich wie höllisches Feuer, daß ich das 161 Mädchen betrog. Und das will ich: sagen Sie meinem Bruder, wenn er in die Jahre kommt, daß er nie solle ein Weib betrügen. Ein Weib ist so sehr vertrauensvoll, ist um so vertrauensvoller, je unschuldsvoller sie ist. Ein Weib ist so ganz Hingebung und Liebe. Darum ist der ein Schurke, der ein liebendes Weib betrügt. Ich habe es verlernt, was Sünde und was Tugend ist. Man kann's auch nicht so recht auseinanderhalten. Aber das weiß ich, wenn einer ein Weib betrügt, dann geht's ihm schlecht. Er hat kein Glück und findet keine Ruhe, die Rachegeister verfolgen ihn, wohin er geht. Wenn ich an Schutzengel glaubte, dann glaubte ich auch, daß so ein unschuldiges Weib einen ganz besonderen Engel besitzt und daß mich der Schutzengel des Mädchens seither durch alle Länder verfolgt. Wohin ich überall kam, das kann ich nicht schreiben, ich schreibe den Brief überhaupt in Zwischenräumen, weil ich so müde bin. Ich war überall, wo Napoleon war. Ich habe nirgends Ruhe gefunden; bloß in der Schlacht war mir's wohl. Derhalben lebte ich als ein wilder Soldat.

Unsinn ist's, es gibt ja keine Rachegeister, weil es keine Geister gibt. Ich glaube nichts mehr von Ihrer Lehre. Ich habe alles verloren. Aber warum fürchte ich mich denn so? Ich komme mir vor wie jener Mann, der in der Hölle saß und Pein litt und nur wünschte, daß seine Brüder nicht auch an diesen Ort kämen. Herr Pastor, Himmel und Hölle sind Märchen. Die Qual 162 aber ist kein Märchen. Und ich will nicht, daß mein Bruder einst auch solche Qualen leidet. Darum sagen Sie ihm, aus meiner Qual rufe ich ihm zu, er solle kein Weib betrügen.

Sagen Sie ihm, ich sei der Seelenqual unterlegen, sei schwach wie ein Kind gewesen. Sagen Sie ihm aber auch, daß ich sonst niemals gerade zu den Schwachen gehörte. Sagen Sie ihm auch den Spruch, den ich unter mein Wappen schrieb, den Spruch: »Ich will«. Es kam aber immer das, was ich nicht wollte, und was ich wollte, das kam nicht.

Seit einigen Nächten plagt mich ein Traum. Ich schreite durch einen langen, dunklen Gang. Am Ende ist eine starke Thüre. Aus einem Spalt sehe ich ein glänzendes Licht. Ich weiß nicht, warum ich durch die Thüre will. Ich reiße daran mit aller Kraft. Sie geht aber nicht auf. Und immer mehr reiße ich und reiße mir die Hand blutig. Dann wache ich auf und liege in Schweiß. Alle Nacht. Was ist das nur für eine Thüre? Ich weiß es nicht. Wenn nur Sie . . . Sie machten wohl die Thüre auf . . . . Ohne Sie komme ich nicht durch die Thüre. Erzählen Sie den Traum meinem Bruder. Und ihr . . . .

Ach, was habe ich da gestern geschrieben, sie ist ja tot. Ich bin so schwach. Ihr Gesicht sehe ich immer, ihre blonden Haare wickeln sich um meine Finger. Jetzt habe ich noch einen Traum; jetzt kommt sie immer selber. 163 Sie hat einen Schleier und ist schön und lebt. Heute Nacht kam sie so an mein Bett. Ich schrie vor Freude, weil sie lebte und alles gut war. Da kam sie noch näher, riß den Schleier ab. Es war ein Totenantlitz, das sagte: »Ich bin deine vergeudete Jugend.« Da schrie ich wieder, nebenan im Stall krähte der Hahn, ich erwachte. Heute bin ich wieder klar. Wenn nur die Träume und die Thüre nicht wären! Wenn ich doch beten könnte! Was beten! Ich will nicht. Aber meinem Bruder sollen Sie alles sagen. Meinem Vater nichts. Der hat sie ja wie eine Tochter geliebt. Der kann mir nicht verzeihen. Oder doch vielleicht, wenn er wüßte, daß ich in der Qual liege.

All mein Geld habe ich den Leuten gegeben, die mich von der Straße aufgehoben haben und hier liegen lassen. Der Pfarrer wird den Brief besorgen. Heute kommt er zum Siegeln.

Wenn nur Sie da wären . . . . Herr Pastor, der Brief ist für meinen Bruder. Leben Sie wohl.

Veit von Kerdern, Lieutenant.«

* * *

Ich hielt inne. Die alte Frau trocknete sich die Augen, mein Vater sah ernst vor sich nieder.

Dann nahm ich das zweite Blatt und las:

»Mein Pflegesohn! Ich sage Dir zu dem Briefe nichts weiter, es bleibe Dir alles so, wie es der 164 Fieberkranke selbst geschrieben hat. Alles andere sind Dinge, die in ihren Einzelheiten vergessen und vergraben sein sollen. Es hing viel falsches Gold, viel Flitter an dieser Liebe, Eitelkeit und Kurzsichtigkeit und gefährliche Tändelei. Tausendmal tausendmal hat dieselbe Geschichte schon gespielt, tausendmal tausendmal wird sie noch spielen, die Welt zuckt die Achseln darüber und geht ihre Wege weiter. Du nimm den Brief und lies daraus das nackte, unverhüllte Ende solcher Geschichten. Das wollte Dein Bruder. Gott gebe ihm sein ewiges Leben. Ich hoffe, es ist ihm die Thüre noch aufgethan worden. Ich schöpfe diese Hoffnung aus einem Briefe des dortigen Pfarrers, den ich vernichten mußte. Wenn Du einmal ganz allein mit Deinem Vater zusammen bist, vielleicht vor einer Schlacht, dann laß ihn den Brief lesen. Ich habe es versucht und keinen Erfolg gehabt. Vielleicht findest Du die rechte Stunde.

»Nun aber noch ein paar Worte, weil ich Dir sehr zugethan bin.

»Es ist ein gewaltiges Wesen in dem schwachen Weibe. Wohl keiner von uns Männern geht durch das Leben, ohne daß er einmal unter diesem Einflusse gestanden wäre, sehr vielen geben die Frauen überhaupt unmerklich ihre Lebensrichtung.

»Möge Dir Gott, der Dir die Mutter versagt hat, solche Frauen in den Weg führen, die Dich emporheben und in hellen Kreisen halten. Aber unterscheide die 165 Frauen wohl, und höre aus der Tiefe meiner Erfahrung ein untrügliches Kennzeichen:

»Du wirst mit Männern mancher Art zusammenkommen und wirst an ihnen die verschiedensten Weltanschauungen kennen lernen, Du wirst solche sehen, die am Alten hängen mit allen Fasern ihres Seins, Du wirst auch solche sehen, die das Alte weggedacht, meist wohl wegverloren haben. Und diese werden in der Mehrzahl sein, sie gehen ihre Wege, leugnen die alten Lehren ihrer Kindheit, zehren, ohne es zu wissen, noch immer mit dem Verstande an der reichen Erbschaft des Glaubens und können so ihren irdischen Beruf wohl ausfüllen. Aber das Weib, das Gott verloren hat und sich frei dünkt, das hat auch sich selbst verloren und ist eine Unfreie geworden; denn das Weib ist ja zum Glauben geboren, es muß glauben und vertrauen in allen Lebenslagen. Es muß der Mutter glauben, weil es vom Leben nur sehr wenig sieht, es muß dem fremden Manne glauben und vertrauen, der es zur Ehe begehrt, und wehe ihm, wenn es in stolzer Sicherheit den Glauben an seinen Gott verliert. Denn das Weib trägt ein großes Herz in der Brust, in diesem Herzen wohnen seine besten Güter, Glauben und Vertrauen, und wenn dies Herz gottverlassen wird, dann liegt es bald ganz öde und kalt, und böse Geister halten ihren Einzug in den verlassenen Raum.

»Solche Frauen meide. Sie sind arm und können 166 Dir nichts geben, und wenn sie auch noch so geistreich wären. Meide solche, sie sind tönendes Erz und klingende Schellen.« – –

Ich nahm das Heft des Obersten und las weiter:

»Behalte die Briefe; sie sind ganz mürbe, weil ich sie immer bei mir getragen habe. Auf dem Briefe meines Bruders siehst Du halbverwaschene Zeilen. Es sind Thränen, die mein Vater am Abend vor Polozk darüber vergossen hat. Ich saß dabei und sah ihn zum erstenmal weinen und wußte, daß er ihm nun verziehen habe.

»Noch eines, Georg! Du gehörst zu denen, welche sich bald die Herzen der Menschen durch ihr einnehmendes Wesen gewinnen, und viele Wege werden sich Dir in Eile ebnen, welche andern oft lange unzugänglich sind. Mißtraue dieser Eigenschaft; denn nichts verdirbt den Charakter mehr, als die allgemeine Beliebtheit. Es ist schön, mit vielen Menschen in Frieden zu leben; befreundet kannst Du nur mit wenigen sein; das liegt im Wesen der Freundschaft. Zudem ist das Leben ein Kampf allerorts, und es geziemt dem Manne dieses: wenn sein Name genannt wird, dann sollen die einen sich freuen, die andern aber die Zähne aufeinanderbeißen. Geh keinem Ehrenhandel aus dem Wege; denn die Ehre gleicht einem Ei ohne Schale. Sorge, daß das Recht auf Deiner Seite sei, versuche alles, damit der Friede erhalten werde. Stehst Du aber, dann stehe ohne Haß. Sonst wehe Dir! Gehe im Frieden und kämpfe. Wieso 167 im Frieden gehen und kämpfen? Georg, das Leben des Jünglings ist ein Ringkampf des Geistes mit dem Fleisch. Den kämpfe brav und nimm Dir zu Herzen den Wahlspruch meines Vaters:

»Sei unverdrossen und laß und laß nit ab.«

* * *

Ich hatte geendet und wollte das Heft weglegen. Da sagte die alte Frau, ich solle doch auch den Brief lesen, der zwischen den letzten Blättern liege. Ich sah nach und fand ihn. Der Brief lautete also:

»Lieber Vater! Wenn Du diese Zeilen vor Augen bekommst, dann habe ich einen schweren Gang hinter mir und habe alle, die mir lieb sind, verlassen. Ich las oft in dem Hefte, das Du mir gabst. Ich danke Dir für alles, was Du mir darin geschrieben hast. Vater, Hermann wird Dir alles erzählen, wie es mit diesem unseligen Duell gewesen ist. Ich bin schwer daran gegangen; aber ich mußte ja die Ehre meiner Braut verteidigen. Hermann wird Dir alles sagen, er muß gleich zu Dir reisen. Vater, ich glaube, Du hättest sie sehr geliebt. Sie hat ein großes Herz, wie es Dein Lehrer schrieb, und gute Geister wohnen darinnen. Hermann wird Dir ihren Namen nennen. Besuche sie, ich glaube, sie wird sehr schwer leiden. In den nächsten Wochen hätte ich Dir über sie geschrieben. Gräme Dich nicht, lieber Vater. Es ist ja nur eine kurze Zeit. – Eines wußte ich in der letzten Woche nicht: ob ich noch beten könne mit 168 diesem Vorhaben. Jetzt weiß ich es, ich kann's. Und ich werde auch morgen so stehen, wie Du mir geschrieben hast: ohne Haß.

Lebe wohl, lieber Vater. Grüße die Tante von mir, die gute Tante. Es ist doch gut, daß die Mutter nicht mehr lebt. Gott behüte Dich, Vater. Die Welt ist mir sehr enge, überall stoßen sich meine Gedanken. Aber hoch über mir wölbt sich der Himmel. Gott sei uns allen gnädig!

Dein Georg.«

* * *

Es war schon dunkel, als wir nach einem langen Rundgang durch die Prachtgemächer des Schlosses in der altmodischen Stube Abschied nahmen.

Dann fuhren wir in dem offenen Wagen vom Hofe. Noch einmal schwenkten wir die Hüte und riefen ein Lebewohl zurück.

Sternklar war die Nacht. Hinter uns versank gemach das Schloß samt dem Parke, vor uns dehnte sich die Heide in der Dunkelheit. Wir sprachen nichts; aber ich wußte, es klang auch dem Vater im Herzen:

 

 


 


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