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Ich bin ein alter Mann und habe einundsiebenzig Jahre auf dem Rücken. Ich hab mir nit gedacht, daß einer mit einundsiebenzig Jahren noch so ein schwer Stück von ihm selber erzählen muß. Muß aber sein, muß sein, du alter Mensch mit deinem weißen Haar, es muß sein; denn deine Posterität muß es wissen, wie das alles gekommen ist und soll das lesen, was dir jetzo dein Herz niederdrücket. Schreien hätt ich mögen all die Zeit her und hab nit gedurft, aber ich hab mich zu meinem Herrgott ausgestreckt und habe geseufzet und der hat mich gehöret.
Jetzt will ich ein Zeugnis in mein Bibelbuch legen, wie daß der alt Spruch wahr ist, wo's heißt, daß des Menschen Herz ein trotzig Ding und ein verzagt Ding ist, und will dabei reden von meinem eigenen Herzen.
Und jetzt will ich der Reih nach anfangen. Denn es wird gar bald eine Zeit kommen, wo man alle die Begebenheiten, so sich inner den letzten Jahren in unserm 197 Land und in unserm Städtl zugetragen haben, nit mehr ganz genau weiß, und hernach wird die Zeit kommen, wo man sie ganz vergessen hat, weil neue Menschen da sind, die haben neue Kümmernis, haben auch wieder ihre neuen Freuden, aber die Bekümmernis ist größer, wie sie auch größer ist in unseren Tagen und allzeit vorher größer gewesen ist.
Zuvörderst will ich handeln von unsern Voreltern. Denn wir sind nit immer in dem Ort gesessen. Unser alt Heimat ist Böheim gewest. Unser Altvordern sind vor Zeiten von denen grausamen Hussiten verjaget worden, haben ihre Gütter mit dem Rücken angeschaut und sind froh gewest, weil sie etliche Pretiosen haben retten können, und haben sich ihr Leben gefristet im Elend. Sind aber verjagt worden, weil sie deutsche Edelleut gewest sind und nit haben von ihrem katholischen Glauben ablassen wollen.
Und mein Ältervater, Hans hat er geheißen, hat sich hier nahe bei der Grenz in Hohendreß niedergelassen und sein Leben in stiller Ruh beschlossen. Da droben, wo jetzo der Durchlauchtig Herzog Friedrich, Gott hab ihn selig, sein großes Schloß hat hinbauen lassen, in dem kleinen Jagdschlößl, so vor Zeiten da gestanden ist, hat er gewohnt, und hat mir meine Großmutter noch erzählt, daß er gar nit von denen alten Bedrängnissen geredt hat. Ihre Großmutter hätt's ihr oft gesagt. Daher wissen wir nur das eine, daß unsere Altvorderen 198 vornehme und mächtige Leut in ihrem Vaterland gewest sind und daß unser Ältervater Hans gar oft hinausgeschaut hat auf die böheimischen Wälder. Auch hat er etliche Pergamentbriefe hinterlassen, aus denen unsere alten böheimischen Rechte gut bewiesen zu werden vermöchten. Denk mir halt, daß er gehofft haben möcht, wiederum in seine Heimat zu gelangen zu seiner Zeit. Ist aber nit mehr hingekommen, sondern dahier gestorben und liegt in der Kirchen begraben. Ich hab mir gar oft als Schulbub den Stein angeschaut, wo er in ganzer Größ ausgehauen ist mit dem Falkenschild, und hab mit den Fingerlein sein Gesicht nachfahren.
Bei allerhand Gelegenheiten hab ich immer müssen an dem Steinbild vorbeigehen; wie sie meinen Vatern, Gott hab ihn selig, in seine Gruft geleget haben, wie sie hernach die Mutter zu ihm gebracht haben, wie ich mit meiner seligen Hausfrauen kopuliert worden bin, wie sie meinen Jörg über den Taufstein gehalten haben, immer hat der steinerne Mann zugeschaut.
Nachdeme die heilsame Reformation des Doktor Martin Lutheri aufgerichtet worden war, da sind meine seligen Großeltern in unserm Städtl ihm und seiner Lehr mit Freuden zugefallen, und so ist es kommen, daß unser Geschlecht, so doch vor Zeiten gut papistisch gewest ist, lutherisch worden ist.
Von diesen meinen Eltern bin ich in der Gottseligkeit auferzogen, fleißig zur Kirchen und Schulen 199 angehalten und später nacher Lauingen auf das gymnasium illustre geschickt worden.
Hernach haben sie mich in die Richterstuben gebracht und mit der Zeit als einen von den vornehmen Geschlechtern hiesigen Orts zum Richter gemacht. Ich hab dem alten Pfleger in . . . . . seine Tochter gefreiet und mit ihr in einem gesegneten Ehestand gelebt. Sie hat mir einen Sohn geboren, meinen herzlieben Jörg. Ich möcht wissen, wo der hat sein letztes Stündlein erleben müssen, denk mir, er wird wohl in der Feldschlacht gefallen sein. Ich hab nichts mehr von ihm hören können, seit er in den Krieg ausgezogen ist. Und so bin ich jetzt wieder ganz allein, nur mein Enkelkind, der Hans, ist bei mir, und für den hab ich gespart und gemehrt mein Hab und mein Gut, allein für ihn. Denn dieses mein Enkelkind ist der Einzige aus unserm alten Geschlecht nach mir, weil der Krieg und die Pest alle unsere Gefreundete dahingenommen hat. Und oft hab ich meine Äcker angeschaut und hab mir gedenkt, der Hans sollt einmal ein glücklicher Mensch werden. Aber anders ist's gekommen.
Wenn ich jetzt durch mein vieles Leid zurückschaue, so seh ich weit hinten eine gute Zeit liegen, aber weit hinten.
Ach, Herr Gott, was war unser alter Herzog Philipp Ludwig für ein braver, gottseliger, friedsamer Fürst. Gar gut hat er sein Leben lang in seinem Schlosse zu 200 Neuburg regiert, und seine Unterthanen haben ihn geehrt und geliebt landauf und landab. Und doch ist er mit Herzleid in die Gruben gefahren.
Der Mensch hat gar oft so mutige Gedanken, denket, sich ein stolzes Haus aufzuführen, da kommt ein Lüftlein her, und das Kartenhaus liegt am Boden. Das ist dann immer großes Herzeleid, am größten ist's aber, wenn einem die eigenen Kinder die Arbeit zu nichte machen.
Es hätt ihm wohl niemand prophezeien mögen, dem Herrn Herzog, daß ihm sein Erstgeborener, so er von seiner Gemahlin Anna, Gott segne sie, gehabt hat, ein so großes Leid anthun würde.
Wie das so gekommen ist, weiß kein Mensch genau, sagt der eine so, der andere anders. Denk mir halt, daß den jungen Herrn die Lieb zum irdischen Gut gepackt hat, und die ist stark im Menschenherzen und kennt man sie gar nit, bis daß sie aufstehet wie ein gewappneter Mann und alles niedertritt. Also, der junge Herr hat die Erbschaft von seiner Mutter wegen in den Jülicher Landen, nachdem sein Oheim gestorben war, angetreten. Er war aber zu schwach, als daß er sie hätte behaupten können und hat sich nach Hilf umgeschaut und dem Herzog Maximilian von Bayern seine Schwester Magdalena geheiratet. Da hat er sich dann schon Hilf und Kraft eingehandelt, aber der Kaufschilling ist sehr groß gewesen: er ist papistisch geworden.
In Neuburg sein alter Vater und seine Frau Mutter 201 haben sich von solchen Dingen nichts träumen lassen, daß er so etwas vorhätte; ist dazumal sogar das Gerede gewest, daß der junge Pfalzgraf nunmehr sein Ehegemahl wohl baldnächst zum rechten lutherischen Glauben bringen thäte. Da weiß ich's noch wie heut: auf einmal ginge von Neuburg ein Geschrei aus, der Pfalzgraf wär in Düsseldorf katholisch geworden, hätt mit einer brennenden Kerzen sein Bekenntnis abgelegt und der alte Herzog läg im Sterben.
Das erster ist wahr gewesen, das ander nicht ganz, aber nicht viel hat mehr daran gefehlt. Hat mir mein Schwager, Gott hab ihn selig, dazumal von Neuburg den ganzen Handel heraufgeschrieben, wie eines Tags von Düsseldorf bayerische Gesandte gekommen sind, haben allerlei Geschäfte vor dem Herrn Herzog ausgerichtet und ganz zuletzt auch vermeldet, daß der Herr Pfalzgraf wollt übertreten.
Und der Herr Herzog hat gar kein Wort herausbringen können, hat denen Gesandten nur mit der Hand abgewunken und ist in seine Schlafkammer gangen. Gleich darauf hat's aber auch schon das ganze Schloß gewußt und die ganze Stadt, und dann ist's ins Land hinausgekommen. Und ist viel Weinen und Heulen gewest allenthalben.
Und das ist der Anfang von einer bösen Zeit gewest, und sind nun Tage gekommen, von denen es heißt: sie gefallen uns nicht.
202 Der alte Herr Herzog hat die Sach nit lang überlebt und ist anno 1614 mit Jammer gestorben. Ich war dazumalen von Amtswegen in Laugingen und hab die bewegliche Predigt gehört, so der Hofprediger Hailbronner an der Gruft gehalten hat, und haben alle Leute geschluchzet und geweint, wie wenn ihnen Vater oder Mutter, Sohn oder Tochter, Weib oder Mann gestorben gewesen wär. Wird nit leicht ein Landesfürst mit solchen Schmerzen von seinen Unterthanen begraben worden sein. Denn sie haben's ja auch alle recht gut gewußt: wem das Land gehört, dem stehet zu, festzusetzen, in was für einer Religion dasselbige solle leben. Das ist ein harter Spruch, der bringt eitel Krieg, Leid und Schmerzen. Das haben wir hernach erfahren und dulden müssen.
Zwar für die nächste Zeit haben wir, die in den sulzbachischen Ländern und die im Hilpoltsteinischen, noch Aufschub und Galgenfrist gehabt. Denn wir sind unter des Herrn Pfalzgrafen jüngeren Gebrüdern August und Johann Friedrich Regierung gekommen. Aber im Neuburgischen hat's bald mit schweren Bedrückungen angehebt, und allenthalben sind die lutherischen Prädikanten abgesetzt, Meßpriester aufgestellt worden, und die, so sich nit haben fügen wollen, die hat man außer Lands getrieben zu ihrem großen Schaden.
Auch hier sind viele durchkommen und haben hernach im Bayreuthischen und im Sächsischen eine Zuflucht 203 gesucht, und haben wir gar oft einen Jammer gesehen, daß einem das Herz hätt brechen mögen.
Mit der Zeit haben wir nichts mehr gefürchtet, weil alles beim alten geblieben ist. Unsere Prädikanten haben uns Gottes Wort verkündigt, haben uns das heilige Abendmahl gespendet, haben unsere Kindlein getauft, und so haben wir zuletzt geglaubt, daß es jetzt gar nimmer anders kommen könnt.
Jetzt ist's bald ein Jahr her. Anno 1627 im Sommer. Da bin ich in meiner Amtsstuben ans Fenster gangen und hab auf den Schloßhof hinausgeschaut. Es ist ein schöner Tag gewest, so gegen Abend zu. Ich hab mich damalen an allem gefreuet, am schönen Wetter, am Lindenbaum im Schloßhof, so über und über geblühet hat, und an meinem Enkelkind, das auf der Bank unter der Linden gesessen ist und eingeschlafen ist.
Da klopft's an meiner Thür, und auf mein Geheiß kommt ein Reitersmann in staubigem Wams mit glutrotem Angesicht, der gibt mir einen Brief. Ich schau die Handschrift an und das Insiegel und seh, daß er vom Landschreiber in Weiden selber geschrieben ist. War keine gute Botschaft; denn es stund darinnen, daß nunmehr morgen in besagtem Städtlein und im ganzen Amt Weiden die Prädikanten sollten abgeschafft werden und daß dem Pfalzgrafen von Neuburg sein Vizekanzler Labricque mit Jesuiten und Soldaten selbsten am Platz wär. Jetzt, hab ich mir gedacht, ist also das böse Wetter 204 da, und drüben beim Nachbar schlägt's ein, und es war nit schwer, weiter zu denken.
Ich leg den Brief zusammen. Hernach hab ich den Mann ausgefragt, ob er was wüßt, und der hat mir gar viel erzählt von Zwietracht unter der Bürgerschaft und papistischen heimlichen Umtrieben, und hat sich immerfort die Augen gewischt.
Wie der Mann fort war und ich da sitz in meinem Stuhl und das Herz voll von schweren Gedanken hab, da klopft's wieder, und es kommt einer herein, den ich niemals gern bei mir gesehen hab. Der Hans Wildauer war's, meiner leiblichen Schwester Sohn.
Der war ein ungeratener Sohn von jeher. Schon als Bub war er gegen jedermann und jedermann gegen ihn, und nur die starke Hand von seinem Vater hat ihn bändigen können. Da hat man gehofft, wenn er erst zu seinen Jahren kommen thäte, dann thäte sich's ändern; denn es sind schon oft aus bösen Buben brave Männer geworden und auch umgekehrt. Aber wie er in seine Jahre kommen ist, ist es immer ärger mit ihm worden, und er hat geglaubt, es gäb ihm die Edelmannsfreiheit seines Vaters Freiheit zu allem Bösen. Er war ein gescheuter Mensch, und da haben sie ihn auf die hohe Schule nacher Altdorf geschickt, haben ihn die Rechte studieren lassen. Dort ist er dann noch ganz und gar verdorben, ist zuletzt in den Krieg gegangen und vor etlichen Jahren wieder als Lump heimgekehrt. Sein Vater ist damalen 205 mit Herzleid in die Gruben gefahren, und der Hans hat ihm die meisten Nägel in seinen Sarg zurecht gemacht gehabt. Jetzt hat er dann das Regiment auf dem Gut und im Schloß übernommen, und obschon die böse Kriegszeit war und ein jeder seine Sach hat zusammenhalten müssen, hat er mit der Verschwendung angefangen.
Oft, oft hab ich ihn verwarnt und hab ihn auf seine Pflicht verwiesen, auf seine Mutter und auf seine kleinen Geschwisterte hingedeutet, aber es hat nichts geholfen, und nach wie vor ist der Hans den ganzen Tag im Wirtshaus gelegen und hat sein Gut verkommen lassen; den Berg herunter geht's aber geschwinder als hinauf, und es hat nit lang gedauert, so war der Hans gar tief verschuldet. Krieg und teure Zeit haben das Ihrige gethan, das meiste aber dem Hans sein wüstes Leben und vornehmlich sein wildes Spielen.
Um meiner armen Schwester willen hab ich ein schönes Stück Geld in das Loch da drüben geworfen, hab aber auch dem Hans allzeit die Wahrheit gesagt in der Güte und in der Härte, und so ist's gekommen, daß er mich gehaßt hat. Zuletzt hab ich's wohl gesehen, daß ich den Knopf auf den Beutel thun müßt, weil ich mit dem Geld doch nur dem Lasterleben vom Hans helfen thäte.
Jetzt ist er vor mir gestanden mit seinem bösen Gesicht. Er war schon lang nit mehr über meine Schwellen gekommen gewest, und ich frag ihn um sein Begehr.
206 »Vetter, ich brauch Geld und bin derhalben zu Euch gekommen,« sagt der.
Sag ich: »Weißt du nit, daß ich für dich und deine böse Wirtschaft keinen Kreuzer mehr geb? Zu was brauchst du denn das Geld, und wie viel soll's denn sein?«
»Zu was ichs brauch, kann ich nit sagen. Fünfzig Gulden sollten's sein.«
»Fünfzig Gulden?« sag ich und glaub, ich hör nit recht. »Weiß deine Mutter darum?«
»Nein,« sagt er und schaut auf den Boden.
»Hans,« sag ich, »zu was brauchst du die fünfzig Gulden? So viel Geld? Wer hat denn in der schweren Zeit so viel baares Geld? Ich nit.«
»Ha, Vetter, ich muß das Geld bis heut Abend haben. Da hängt mehr dran, als Ihr wißt. Ihr könnt mich ja nit leiden, ich weiß schon. Aber, Vetter, ich bin doch der leibliche Sohn von Eurer Schwester. An dem Geld hängt meine Ehr und die Ehr von meinen Geschwisterten und alles unser Hab und Gut. Vetter, ich kann's Euch nit sagen, zu was ich's brauch, aber glaubt mir's, daß so viel dran hängt, daß Ihr gar wohl die Amtskasse dort im Eck aufmachen solltet. Thut mich retten. Die nackte Not hat mich zu Euch hertrieben.«
»Hans,« sag ich, »das mit der Amtskasse hab ich besser nit gehört. Was ist's. Zu was brauchst du die fünfzig Gulden? Da steckt etwas Böses dahinter.« Und 207 ich tret näher an ihn heran und schau ihn scharf an. »Hast du die fünfzig Gulden notwendig, damit du was verdeckst?«
Ich weiß selber nit, wie ich da drauf gekommen bin. Aber der Hans ist käsweiß geworden und hat gesagt:
»Vetter, ich sag's nit, aber es wird Euch reuen. Ich bin nit herkommen, daß ich mir eine Predigt halten laß, sondern daß ich mich rette. Wollt Ihr mir das Geld geben oder nit? Denkt daran, daß ich immer noch Euer Schwestersohn bin.«
Denk ich mir, daß ich ihn bei denen Worten packen könnt und sag: »Ja, du bist der leibliche Sohn von meiner Schwester, und weil du dasselbige Blut hast wie ich, so thut's mir leid, daß du so verkommst. Sag mir, zu was du das Geld brauchst. Du hast was auf deinem Gewissen. Sag mir's, ich will schauen, ob ich dir helfen kann, wenngleich ich keine zehn Gulden baar daliegen hab. Vielleicht kann ich gutstehen für dich. Aber wissen muß ich's, zu was du's brauchst.«
»Vetter,« sagt er und schaut mich wild an, »da steh ich, und da hinten steht Euere Amtskasse. Gebt mir das Geld. In zwei Stunden muß ich's haben.«
»Nein,« sag ich. »Ich hab's nit, und wenn du mir's nit sagen kannst, zu was du's brauchst, hernach ist's sicherlich eine große Schlechtigkeit.«
Da stößt der Hans seine Jagdflinten auf den Fußboden und sagt langsam, indem daß er mich wild anschaut:
208 »An die Stund werdet Ihr noch denken, Vetter.«
Und damit ist er zur Thür hinausgangen.
Ja, ich hab noch oft an die Stund gedacht. Der Hans hat recht gehabt. Aber mein Trost ist allzeit der gewesen, daß ich's nit anders gemacht hätt und nit anders hätt machen können, auch wenn ich alles voraus gewußt hätt.
Jetzt hab ich genug gehabt und ist mir's zu eng geworden in der Stuben. Ich bin in den Schloßhof, hab mein Enkelkind an die Hand genommen und bin durch die kleine Schloßpforte hinten hinaus in die Felder gegangen.
Da draußen war alles so schön, und die Felder sind so prächtig gestanden, als wär eitel Frieden auf der Erden und als wenn's keinen Neuburgischen Vizekanzler und keinen Religionshader und keine ungeratenen Menschen gäb.
Wie wir eine Weile gehen und wie mir das Herz immer schwerer wird, währenddem mein kleiner Hans Blümelein sucht und Feifalter fängt, kommt gegen uns her der alt Superintendent Böheimb. Der hat den Kopf mit den weißen Haaren noch tiefer als sonsten getragen, und ich hab's ihm gleich angemerkt, daß er die böse Botschaft auch schon wüßt. Wir haben uns die Hände geben. Dann hat er gesagt: »Lieber Jörg! Jetzt wird sich's einmal weisen müssen, was einer für Nutz gethan hat. Vierzig Jahr hab ich jetzo Gottes Wort an 209 dem einen Ort gelehrt und denk mir wohl, daß ich inner der nächsten Zeit in ein groß Examen geh. Solches hab ich nimmer erwartet in meinen alten Tagen. Ja, das letzte Examen, das hab ich wohl alleweil vor Augen gehabt und hab mir gar viel auf die Gnade des Heilands zu gut gehalten. Hab demütig vor unsern Herrgott hintreten wollen und bin, wenn ich's recht bedenk, wohl doch stolz gewest auf das, was ich inner der vierzig Jahren gethan hab: ist mir seltsam, wie viele Winkel das menschliche Herz hat, so einer selber nit kennt. Ich fürcht mich vor der Prüfung, so die Neuburgischen jetzo mit mir und meinem Werk anfangen werden. Zwar für mein eigene Person ist's mir nit leid; mich könnten sie meinethalben morgen ins Elend treiben, dieweil es allerorten auf Erden ganz gleich weit in den Himmel hinauf ist. Aber, Jörg, ich sag Euch, das wird wohl, soviel ich die Menschen kenne, einen schreckhaften Abfall geben, und darauf hab ich große Angst. Jetzt wird's bald heißen, wie anderer Orten auch, Ehr und Hab und Gut mit Unehr und mit dem Bettelstab eintauschen – oder papistisch werden. Und da werden gar viele, die bis jetzt gedacht haben, daß sie gut lutherisch sind, auf einmal die Sach von einer andern Seiten anschauen. Da kommen dann die irdischen Respekt auf Weib und Kind, und viele schwere Gedanken machen den geraden Weg dunkel. Anreizungen und Bedrängnisse werden zusammenhelfen, und bald wird's so sein, daß nur grad 210 keiner anfangen mag, weil's ja der Nachbar auch noch nit than hat. Dann wird dann bloß einer das Exempel geben dürfen, damit die andern alle nachlaufen. Ja, Jörg, in dem Feuer werden nit viel bleiben. Nit als ob unsere Sach schwach wär; aber die Menschen sind schwach, allenthalben dieselbigen.
Da ist mir's jetzt ein großer Trost gewesen, daß ich just Euch zuerst gesehen hab, wie mir das alles durch den Kopf gegangen ist.«
Und dann hat er mir die Hand gedruckt und ist weiter gegangen. Ich hab nichts gesagt. Aber es ist mir auf einmal ein starker Muth ins Herz gezogen, ich hab mich höher aufgerichtet und hab mir mit leiser Stimm den Vers gesungen:
»Und wenn die Welt voll Teufel wär
Und wollt uns gar verschlingen,
So fürchten wir uns nit so sehr,
Es soll uns doch gelingen. – –
Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib,
Laß fahren dahin. Sie habens kein Gewinn,
Das Reich muß uns doch bleiben.«
Der das zuerst gesungen hat, der hat gewußt, was um die Anfechtung ist, und hat sie bezwungen. Warum sollten wir sie nit auch bezwingen?
So kriegt einer gar oft einen großen Mut, wenn ein anderer mit einem traurig gewest ist. Es ist grad, als ob's leichter zum tragen wär.
Indem sind wir auf den Fleck kommen, wo meine 211 eigenen Grundstück anheben, wo ein Acker am andern, eine Wiesen an der andern liegt bis weit hin zu dem Föhrenwald drüben, der auch mir zugehört, wohl an die dreihundert Tagwerk.
An dem Fleck bin ich oft gestanden mit meiner seligen Hausfrauen, und da haben wir uns immer gefreut, wenn ein neues Äckerl ums andere hat hinzu gekauft werden können, und gar oft haben wir hinübergeschaut auf die böheimischen Berge, und ich hab meiner Katharina von den alten Geschichten erzählt und hab meine Freud gehabt, daß der Stamm jetzt im fremden Land so gute Wurzeln getrieben hat. Und wenn wir dann wieder heimwärts gangen sind, so hat von drüben her das Wildauer Schloß geschauet, und haben wir gewußt, daß da ein Weib im Glück sitzt, meine Schwester. Wie ich das jetzt alles denk, muß ich mich umschauen; da ist das Schloß am alten Fleck gestanden, aber ich bin alt geworden, und alles ist anders als ehevor. Meine Hausfrau ist tot, der alte Wildauer ist tot, und das Unglück hat sich zu seinem Weib an den Herd gesetzt; überall draußen ist Krieg und Totschlag, mein Jörg ist verschollen, und jetzt wollen sie uns auch noch unsern Glauben nehmen. Da ruf ich mein Enkelkind, das ist das einzige, was ich hab; das kommt herzu und fragt mich, ob wir heimgehen. »Ja, Kind«, sag ich, »wir wollen heimgehen,« und murmel zwischen den Zähnen:
»Und wenn die Welt voll Teufel wär.«
212 Ich wollt mein Enkelkind heimführen und hernach zu meiner Schwester nach Wildau gehen. Denn ich hab immer wieder an dem Hans sein Begehr denken müssen.
Wie ich jetzt ins Städtl komm, seh ich vor dem Rathaus einen großen Haufen von denen Burgern, Weiber, und Kinder, und wie sie mir Platz machen, liegt da ein toter Mann mitten auf der Straßen auf einer Tannzweigbahren. Frag ich die Leut, was denn das wär; ich konnt's auch nit erkennen, ob der Mann aus dem Ort wär, weil sein Angesicht voll Blut und Geschmötz war. Antwortet der Burgermeister, das wär der Conntz Schwarz, den hätt die Wurzenliesel im roten Holz gefunden und der Hirt Andres hätt ihn auf der Bahre heraufgetragen, weil sie nit gewußt hätten, was Gerichtsbrauch wär. Er müßt erschossen worden sein.
Währenddem er das sagt und ich's jetzt auch kenne, daß es der Conntz Schwarz ist, drängt sich sein Weib durchs Volk, ganz weiß, ohn einen Laut; alle machen ihr Platz, sie aber fällt auf den Leichnam, wischt ihm das Blut und den Unrat aus dem Gesicht, schaut ihm in die Augen, die schon ganz starr sind, reißt ihm's Pfaid auf, greift nach dem Herzen und wie sie sieht, daß alles aus ist, thut sie einen gräßlichen Schrei und bleibt liegen. Ich tret hin zu ihr, pack sie bei der Hand und sprech ihr Trostwort zu. Aber sie hat mich nit gehört. Zuletzt hab ich sie mit Gewalt forttragen lassen.
Den Toten haben sie ins Rathaus gelegt. Ich aber 213 bin auch hineingegangen, damit ich das protocollum über den Fall aufnähme, wie meines Amts als Richter ist.
Da kommt der Hirt zu mir und sagt, er möcht mich unter vier Augen sprechen. Ich heiß alle hinausgehen, er aber hebt an und erzählt mir, wie daß vor zwei Tagen der Wildauer mit dem Conntz Schwarz in den Wald gegangen wäre und sie große Heimlichkeiten mit einander geredet hätten. Er wär im Jungholz gelegen und hätt's alles gehört. Frag ich, was das für Heimlichkeiten gewesen wären. Sagt der Hirt, sie hätten heftig miteinander gestritten und er hätt nur immer gehört, wie der Conntz Schwarz vom Botenmathes geredt hätt, den sie in der vorigen Wochen auf der Nürnberger Straßen erschlagen gefunden haben, und daß er wohl wüßt, wer's gethan hat, und daß er um fünfzig Gulden schweigen thät.
Da ist mir's kalt und heiß geworden. »Weiter!« hab ich gesagt.
Ja, weiter wüßt er nichts, sagt der Hirt, was sie noch mehr geredet hätten, das hätt er nimmer verstanden. Sie wären weiter ins Holz hineingangen. Hätt auch nichts von den Sachen ausgesagt, weil er sich nit in fremde Sachen einmengen wollt. Er wär froh, wenn er Frieden hätt. Heut aber, vor einer Stund, wär der Schwarz wieder ins rote Holz gangen, und bald darauf wär auch der Wildauer denselbigen Weg kommen. Er hätt nit sonderlich drauf geachtet, denn er wollt seine 214 Ruh haben. Auch das hätt er nit sonderlich beachtet, wie bald darauf weit drinnen im Holz ein Schuß gefallen wär. Denn es werd gar oft geschossen. Wie aber nach einer Weile die Wurzenliesl aus dem Holz geloffen wär und geschrien hätt, daß der Conntz Schwarz tot drinnen läg, und wie er's richtig so gefunden hätt, da hab er ihn mit seinem Buben heraufgetragen und mach jetzt seine Aussag. Bät aber, daß man ihn nit in Ungelegenheiten bringen möchte.
Wie ich das alles hör, mein ich, daß mich die Füß nimmer tragen. Denn jetzt konnt ich mir nit wohl was anders denken, als daß meiner Schwester Sohn ein zwiefacher Mörder wär.
Ich sag dem Hirten, er soll's nit weiter reden und in der Nähe bleiben. Hernach schick ich gleich zween Amtsknecht nacher Wildau und laß den Hans vor mich fordern. Anders konnt ich's von Pflichtwegen nit machen. Aber bald darauf sagt im Ort einer dem andern ins Ohr, daß der Wildauer mit in den Handel verwickelt sein müßt.
Wie ich meine Schreiberei fertig hab, geh ich ins Schloß hinauf in meine Behausung.
Dabei hab ich mir meine Gedanken gemacht über dies und über das. Vor den Hausthüren hab ich im Vorübergehen die Leut beisammenstehen gesehen, die haben über die Sachen geredet, der eine so, der andere anderst. Und allenthalben haben sie sich an mich hergemacht und haben mich um meine Meinung gefragt von wegen der 215 Religionsänderung, so die Neuburgischen mit uns vorhätten. Hab ihnen gesagt, was ich selber gewußt habe. Wie ich aber vor dem roten Ochsen vorbeikomme, waren die Fenster offen, und ich hör aus dem Geschrei eine gar laute Stimme, und wie ich horch, ist's der Ochsenwirt, der haut grad in den Tisch hinein und schreit: »Und wenn der Teufel selber nacher Hohendreß käm, papistisch werden wir nit.« Und sie schrieen alle, und war ein großes Saufen.
Oben auf dem Kirchenplatz hab ich ins Pfarrhaus hineingeschaut, wo auch die Fenster offen stehen. Da sitzt der Böheimb und liest in seinem Bibelbuch. Ich ruf ihn an und sag ihm eine gute Nacht. Er aber kommt ans Fenster und sagt: »Schlafet wohl, wenn Ihr könnt, Jörg. Vor dem Schlafengehen aber schauet Euch doch noch Johann. 13, 7 an. Vielleicht geht's hernach besser.«
Wie ich heimkomm, steht der Wildauer mit den Amtsknechten unter dem Lindenbaum. Fragt mich trotzig, was ich will. Ich heiße den Wildauer zu mir hereinkommen, faß ihn fest ins Aug und sag ihm ins Angesicht, daß er den Conntz Schwarz erschossen hätt und daß ich wohl wüßte, warum.
Der Hans hält mein Anschauen gar wohl aus und sagt frech, daß er auch schon von der Sach gehört hätt, er wüßt aber nit, wie man seine Person darein bringen wollte. Er wär auch gar nit im roten Holz gewesen, sondern wo ganz anders, im Kirchenholz.
216 Da sag ich, indem ich einen Schritt ihm näher auf den Leib tret, daß er nit allein heut im roten Holz gewest wär, sondern auch vor zwei Tagen, und daß der Sauhirt von einem Handel, so sich da zugetragen, erzählt hätt, und daß jetzt wohl auch die Sache mit dem Botenmathes ans Licht kommen könnt. Da wird der Mensch aschgrau im Gesicht und schlägt die Augen nieder. Ich frag ihn, ob er noch etwas zu sagen hätte, krieg aber keine Antwort. Da ruf ich die Büttel und heiß ihn in den Turm in Ketten legen. Und der Hans geht ohne Widerred mit.
Jetzt wars ganz Nacht; da hat mir die Lies das Licht gebracht, und hernach stellt sie sich vor mich hin, macht ein ganz trübseliges Gesicht und fängt zum Heulen an und fragt mich, wo sie denn die silbernen Löffel und den güldenen Becher und die Halsketten hingraben soll, sie hätt gehört, daß jetzo die Feind kommen und alles zusammenschlagen wie Anno einundzwanzig. Machen's auch schon alle Weiber im Städtl so. Ich hab schier lachen müssen über die Weibsleut, die gar oft den Gaul just am Schwanz aufzaumen, hab's ihr aber, obschon mit Müh, begreiflich gemacht, wie daß es jetzt nit auf silberne Löffel und güldene Becher gehen wird, sondern um ein ganz anderes Ding und daß sie lieber beten sollt, daß wir unsere reine Lehr behalten dürfen. Da ist sie hernach fortgegangen.
Ich aber hab nunmehr mein Bibelbuch 217 hervorgezogen und hab Joh. 13, 7 aufgeschlagen. Da stehet aber geschrieben:
»Was ich thue, das weißt du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren.« –
Ja, lieber Enkel oder Urenkel oder wer sonsten meine Handschrift lieset, jetzt sind dann böse Tage kommen.
Sowie der Kommissar in Weiden fertig war mit seinem Geschäft, ist er gegen unser Städtl mit seiner Soldateska gezogen und hat mit Trommelschlag und Vorweisung seiner Befehle die Reformation in Kirchen und Schulen verkündigen lassen, hat den alten Superintendent Böheimb sowie die Schuldiener ihres Amts entsetzt, einem Jesuitenpater mit Namen Strobl das Kirchenwesen übergeben und zugleich alle weltliche Gewalt an sich genommen, also, daß ich nur mehr dem Namen nach Richter gewest bin. Zu allererst aber hat er den Wildauer unter vier Augen verhört, wohl zwei Stunden lang, und gleich darauf, weil ihm nichts nachgewiesen werden könnt, auf freien Fuß gesetzt. Bald danach aber haben wir gemerkt, was für eine Bewandtnus es mit seiner Unschuld hätt. Denn der erste, welcher übergetreten ist, war der Wildauer, und ist dem zu Ehren in der Kirche eine feierliche Prozession gewest, und ist der Vizekanzler mit einer brinnenden Kerzen mitmarschieret und haben ein Tedeum darüber gesungen. Hernach aber ist's bald offenkundig geworden, daß der Mensch sich seinem Gutthäter als Spionierer verschrieben hat. Und der hat 218 ihn wohl brauchen können, weil nit leicht einer von Kind auf so gut im Städtl bekannt gewest ist als der Hans. Ja, und auch mich hat er ins Unglück gebracht nach Gottes Willen. Aber ich will alles fein der Reih nach erzählen.
In der nächstfolgenden Zeit hat der Kommissar auf allen Dörfern die Prädikanten abgesetzt und Priester eingesetzt, vornehmlich Jesuiten. Dazwischen ist er oft wieder zu uns gekommen, sind aber nur etliche geringe Leut ihrem Glauben untreu worden. Alle Sonntag haben wir ohne Unterschied in die Kirchen gehen und der Meß beiwohnen müssen, aber gezwungen hat man uns vorerst noch zu nichts anderem. Da haben denn nun die meisten Hausväter in ihren Häusern den Ihrigen aus der Bibel oder aus guten Büchern Gottesdienst gehalten, und hat man morgens und abends in den Häusern singen und beten gehört.
Das hat der Kommissarius recht wohl gewußt, hat bei sich gedacht: wenn man den Hund zahm machen will, so muß man ihm das Futter nehmen, und hat den Beschluß gefaßt, in allen Behausungen die geistlichen Bücher zu konfiszieren. Da ist er hernach mit dem Wildauer und etlichen Soldaten von Haus zu Haus gangen und hat alle die Bibeln und Postillen zusammengepackt. Da haben die Leute protestiert und gejammert und den Labricque angefleht. Aber der war hart wie ein Stein. Zuletzt ist er auch zu mir gekommen und hat mich 219 gefragt, was ich alles hätt. Da hab ich ihm die Postille Lutheri und den kleinen Katechismus gezeigt. Mein Bibelbuch samt etlichen Schriften Lutheri hab ich in einem geheimen Wandschränkel samt den alten Pergamentbriefen von meinen Voreltern her verborgen gehabt, so bloß mir und meiner seligen Hausfrauen bekannt war. So hab ich es gewähnet. Der Kommissarius hat alles durchgesucht und gerade zornig fortgehen wollen, weil er nit mehr gefunden. Da kommt der Wildauer in die Stuben, schaut die Postille und den Katechismus an, wirft mir einen frechen Blick zu, geht an die Wand, druckt am rechten Ort, daß das verborgen Schränkel aufspringt, und gibt dem Labricque mein Bibelbuch. Die andern Schriften hat er nit beachtet.
Da übermannt mich der Zorn, ich tret an den Kommissar, reiß ihm das Buch aus der Hand und schrei: »Und wenn der Herzog von Neuburg selber käme, so sollt er's nit haben.« Der Kommissar steht ganz weiß vor Zorn da und wirft mir ein paar grausame, tückische Augen zu, geht aber ohne ein einziges Wort hinaus. Der Wildauer ihm nach. Mein Bibelbuch aber hab ich behalten, und hat es niemand mehr gefunden bis heute, wo ich die Begebenheiten alle dareinschreibe. Das aber hab ich jetzt gar wohl gewußt: der Kommissar ist von Stund an mein Todfeind.
Am Abend haben sie auf dem Schloßhof ein großes Feuer anzunden und alle die konfiszierten Bücher darein 220 geworfen. Lichterloh hat es in die Höh gebrannt, und die Funken sind weit umhergeflogen. Vor dem brinnenden Haufen aber stund der Kommissar mit seinem finstern Gesicht und neben ihm der Wildauer. Der sprache gar eifrig in ihn hinein.
Und von allen Seiten haben die Soldaten immer noch mit Hohngeschrei die Arm voll Bücher herzubracht und haben's in die Flammen geworfen samt dürrem Holz, und es hat gekracht, und die brinnenden Ballen sind geborsten und wieder geborsten, und die Kriegsleut haben mit Hacken in die heiligen Bücher gestoßen, als ob sie leibhaftige Teufel wären.
Ich hab nimmer hinschauen können, hab mein Enkelkind in der Wohnstuben aufgesucht, und ist mir so schwer im Herzen gewesen, als ob mein ganzes Hab und Gut verbronnen wär. –
Mitten in der Nacht darauf bin ich auf einmal erwachet. Mir deuchte, wie wenn ich leise Rufe und Schritte unter meiner Schlafkammer gehört hätt. Denn zur Nachtzeit schlaf ich nit gar fest. Und es hat mich nicht getäuscht gehabt; wie ich ganz wach bin, hör ich's wieder, und war mir, als ob ich auch Waffenklirren vernehmen thäte. In dem Augenblick haut auch schon einer an die Hausthür, daß es nur so kracht, und hernach noch einmal und auch ein drittes Mal.
Ich werf meine Kleider um, so schnell ich vermag, und lauf die Stiegen hinunter. Drunten steht schon die 221 Lies mit einem Licht, und kann vor Schrecken kein Wort reden.
Jetzt schreit einer vor der Thür: »Im Namen des Herzogs, macht auf.«
Ich geh hin und schieb den Riegel zurück. Da steht ein Haufe Soldaten draußen mit Fackeln in den Händen, und wie mich der Hauptmann sieht, schreit er, sie sollen mich greifen.
Ich tret frei hinaus und wehr die ab, so mich ergreifen wollen. Die halten auch inne, kann sein von wegen meinem weißen Haar. Ich sag zum Hauptmann, daß ich nit wüßt, was ich mir hätt zu schulden kommen lassen, müßt dagegen protestieren, daß man mich alten Mann zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett hole. Ich wollt den Herrn Vizekanzler sprechen.
Da schreit mich der Hauptmann an: »Gieb dich, lutherischer Hund. Der Vizekanzler will mit solchen Rebellen nichts zu thun haben. Hier stehe ich auf sein Geheiß.« Zu seinen Knechten aber sagte er, sie sollen mich eilend binden.
Wie die jetzt auf mich eindringen, da hab ich unter der Linden von ferne einen Menschen stehen sehen, hat grad einer in der Näh seine Fackel auf den Boden gestoßen, daß sie hellauf gebrennt hat, und ich hab gemeint, es wär dort unter der Linden dem Wildauer sein Gesicht.
So haben sie mich gebunden und auf einen Karren 222 auf einen Bund Stroh gelegt. Zwei Soldaten haben sich zu mir gesetzt, der Kutscher hat die Gäule antrieben, und wir sind in die finstere Nacht hinausgefahren. An der Thür ist die alte Lies gestanden, und ein Soldat hat ihr das Maul zugehalten, damit sie nit schreien sollte.
Die ganze Nacht sind wir in einem fort gefahren, ich hab an mein Enkelkind denken müssen, und war mir so schwer in meinem Herzen. Am andern Morgen aber hab ich auch gesehen, daß es gen Neuburg geht.
Den Weg hab ich vordem schon oft gemacht gehabt. Aber so sauer und so weit ist er mir noch niemalen vorkommen, als damalen in der heißen Zeit. Tag und Nacht sind wir in einem fort gefahren, bis zuletzt die Neuburger Türme sichtbar geworden sind. Ist ein trübselig Ding, wenn einer mit traurigen Gedanken so ganz allein sein muß.
Zuletzt, vor sieben Jahren, bin ich auch in Neuburg gewest, dazumal, wo wir dem Jörgen sein schönes Weib, die Mannlichin, von Augsburg heimgeholt haben. Und in Neuburg hab ich dem Herrn Herzog aufgewartet, weil er mich zu ihm befohlen hat, und ward gar sehr geehret.
Jetzt bin ich dieselbige Straßen gefahren auf dem Karren, und das Volk ist zusammengeloffen und haben den Missethäter angeschaut, und hab ich auch zuweilen meinen Namen hören müssen, dieweil den Richter von Hohendreß gar viele von den Hofdienern gekannt haben.
223 Da bin ich froh gewest, wie sie mich haben vor dem Turm absteigen lassen.
Hoch hinauf hab ich steigen müssen und wär nimmer allein hinaufgekommen, wenn mir die Soldaten nit geholfen hätten. War ganz krankmütig. Zuletzt hat der Büttel eine Stuben aufgesperrt und mich hineingehen geheißen. Da war ich also im Gefängnus.
Wie ich allein war, hab ich mich auf das Bett hingesetzt und über mein Unglück nachgedacht. Da sind mir allerhand Bibelvers durch den Kopf gangen, und hat mich fast gewundert, wie viele auf mich just grad gepasset haben, als wären sie für mich geschrieben. Vornehmlich aber ist mir der Spruch nimmer aus dem Sinn gekommen, wo's heißt: »Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet.«
Mit der Zeit ist's Abend worden, und in der Stadt drunten haben's die Lichtlein anzunden.
Auch mir hat der Büttel ein Licht gebracht benebst der Speis. Aber ich hab keinen Bissen essen können, aber gar großen Durst hab ich gehabt, und der Wasserkrug ist bald leer gewest. Und mein Kopf war so schwer, und bald war mir's heiß, bald war mir's kalt, und hab mich letztlich zur Ruhe gelegt.
In der Nacht bin ich von bösen Träumen heimgesuchet worden, hab den Vizekanzler mit den Soldaten bei dem brinnenden Holzstoß gesehen, die haben mit den 224 Hacken unter die Bücher gestiert, und ich stand neben ihnen und warf mein Bibelbuch in das Feuer.
Dann bin ich aufgewacht und hab nit gewußt, wo ich bin, und hernach bin ich wieder in Schlaf verfallen und wieder von meinem Seufzen erwecket worden. Ist eine greuliche Nacht gewesen.
Gegen Morgen hab ich fester geschlafen. Da wach ich auf, weil sich etwas in der Stuben geregt hat, und seh gerad, wie durch die Thür eine große, schwarze Mannsgestalt kommt, die hat das Habit von denen Jesuitern an, ich hab's wohl gekennt.
Der Jesuiter schaut auf mich herüber, und ich sehe, daß er ein arges Gesicht hat, hager, mit einer großen, krummen Nasen und ganz kohlschwarzen Augen.
Der Jesuiter sagt kein Wort, nimmt ein Büchl aus seinem Ordenskleide und legt es schweigsam auf die Bank am Fenster. Hernach geht er fort, wie er gekommen war.
Jetzt hab ich mich zum Aufstehen bereitet. Das ist mir aber gar sauer geworden, nur mit Not hab ich mich erheben können. Da hab ich an eine schwere Krankheit denken müssen.
Dann hab ich mich auf die Bank gesetzt und nach dem Büchel gegriffen, so der Schwarze dagelassen. Das war nit groß, aber vorn auf der ersten Seiten stund geschrieben, daß es der Catechismus Petri Canisii wär.
Da hat's mir gegraut im Herzen und hab an die 225 Zeit denken müssen, wo der Herr Herzog hat im Land ausschreien lassen, wie daß er durch dem Canisius seine Schrift wieder zum alten katholischen Glauben gekommen wär. Ich hab das Büchlein niemalen gesehen gehabt und wollt's auch jetzt nit lesen; denn es ist mir gewesen, als ob die schwarzen Buchstaben lebendig wären und wollten mir wie böse Tierlein durch die Augen in den Kopf.
Gar sehr langsam ist mir die Zeit hingangen. Ausgenommen den schweigsamen Büttel hab ich keinen Menschen zu schauen gekriegt. Hab auch schon gegen die Mittagszeit mein Lager aufgesucht, weil mir's gar elend zu Mute war.
Die Nacht ist noch böser gewest als die vorige, und wie ich am andern Morgen aufwach, sitzt der Schwarze mit der Habichtsnasen an meinem Bett und schaut mit seinen Stechaugen unverwandt auf mich her. Ich auf ihn. Hernach fragt er: »Habt Ihr das heilsame Büchlein des Petri Canisii schon gelesen?«
Ich: »Nein, denn ich bin ein Protestant und wollt mir solches nit geziemen.«
Er: »Grade deswegen. Es wär recht gut für Eure Seel, wenn Ihr's recht bald thätet, ehe daß es zu spät ist.«
Damit ist er aus der Thür gangen, ganz leise.
Ich aber konnte heut nit aufstehen, habe den ganzen Tag an die weiße Decken hinaufgeschaut und immer an 226 den kleinen Hans denken müssen. Gegen den Abend habe ich den Kerkermeister gebeten, er solle mir einen Physikus holen, ich wär krank. Antwortet er, er wollt's besorgen.
Hat nit lang gewähret, so ist der Jesuiter zur Thür hereinkommen. Hat mich gefragt, ob ich den Canisius gelesen hätt. Sag ich: »Nein, denn ich bin krank.« Sagt er, daß der Canisius die beste Arzenei wär für alle Krankheiten, so von der Seel ausgehen. Und solchen Ursprung hätt auch meine Krankheit, die käm nur von meiner Herzenshärtigkeit. Hernach sagte er: »Weil Ihr also den Canisius nicht selber lesen wollt, so muß ich Euch wohl Unterweisung geben. Denn eher kommt Ihr nimmer aus dem Turm, bis Ihr Euren Unglauben abgeschworen habt.«
Ich: »Das werde ich niemalen thun.«
Da hat er zum erstenmal gelacht und gesagt, das verstehe ich nicht und werde schon noch anders davon denken. Wenn ein erleuchter Fürst sein Bekenntnis ändert, hernach werden's wohl auch die Unterthanen thun können.
Jetzt hub er an und sprache viel über die katholische Religion, wie daß die seie die alleinseligmachende. Ich hab mit meinem müden Kopf nichts behalten können.
Auf einmal hat er gefragt, wie alt mein Hans wär. Bin ich erschrocken, daß er von dem was wüßt, und sag: »Acht Jahr.« Da lacht er wieder verstohlens und steht auf. Bevor er hinausgangen ist, hat er mir ein 227 Tränklein gemischt und gesagt, daß mir das helfen thäte. Ich hab's zu mir genommen, und ist mir besser worden.
Aber die ganze Nacht hab ich an meinen Hans denken müssen, warum wohl der Schwarze so gefragt hätt. Konnt mir's nit beantworten.
Am andern Morgen ist der Pater wieder an meinem Bett gesessen und hat gefragt, ob ich mich besonnen hätt.
Ich: »Nein.«
Nunmehr ist er mit seinen Unterweisungen fortgefahren und hat lange gesprochen. Ganz zuletzt hab ich ihn gefragt, was er wohl mit meinem Enkelkind gemeint hätt, wo denn das wäre. Da hat er gelacht: »Beim Pater Strobel ist's in der Unterweisung. Der hat mir auch geschrieben, daß es gute Talenta habe.«
Da erschreck ich bis in den Tod. Denn ich hab's ja wohl gewußt, daß der Pater Strobel der Jesuit in Hohendreß ist. Der Schwarze aber hat mich fest angeschaut und gesagt: »Ja, Herr Richter, da wird sich gar viel verändern bis Ihr wieder heimkommt. Jetzt hat man den Prozeß gegen Euch angefangen von wegen Eurer Widersetzlichkeit gegen den Kommissar. Da wird's wohl so kommen, daß Ihr etliche Jahr im Kerker gehalten werdet. Und wenn Ihr hernach wieder herauskommt, dann ist Euer Hans ein gar stattlicher Bub und wohl befestiget in der katholischen Lehr.«
Da hab ich meine Augen zugemacht und hab nichts 228 mehr sehen wollen von der Bosheit an meinem Lager. Der Jesuit aber ist aufgestanden und gangen.
Bis dahin hab ich's im Gedächtnis behalten, was an jedem Tag geschehen ist. Von da an aber kommt's mir durcheinander, weil die Krankheit wieder ärger worden ist und das Fieber, und draußen hat jeden Tag die Sonne gar heiß gescheinet. Immer am Morgen ist der Pater an meinem Lager gesessen, hat ruhig geredt, immer das nämliche. Zuweilen hat er mir auch eine Medizin geben, und da ist mir's hernach immer besser worden. Und wenn ich hab denken können, dann hab ich den Hans vor dem Pater Strobel sitzen sehen und hab oftmalen gewunschen, daß ich doch daheim wär.
Etliche Wochen bin ich so gelegen; es ist mir nit besser aber auch nit schlechter gangen.
Eines Tages fragt mich der Pater wieder, ob ich mich jetzt nach so langer Unterweisung besonnen hätte.
Sag ich: »Nein.«
»Dann müßt Ihr wohl aus dem Land gehen und das Elend bauen.«
»Will ich auch. Ich und mein Hans werden wohl gutthätige Leut finden draußen im Elend. Ich werd so nimmer lang leben.«
»Ja, Herr Richter,« sagt der Pater, »aber vordem daß Ihr fortziehet, müsset Ihr drei Jahr im Gefängnus liegen. Die gelinde Strafe hat man Euch heut zuerkannt für Eure Rebellion und aufrührerischen Reden. 229 Bis dahin ist dann Euer Hans katholisch geworden; ja, ja, der Pater Strobel und seine Lebzelten. Was schaut Ihr mich denn so an, Herr Richter? Es ist alles so, wie ich Euch sag. Eure Güter werden konfiszieret, wie es gegen Rebellen sich geziemt, der Hans wird geistlich, und Ihr könnt im Elend verderben. Weil Ihr's nit besser haben wollt. Schaut, wie schön könntet Ihr's haben, wenn Euer alter Kopf nit gar so hart wär. Gar oft fragt mich der Herr Herzog, ob Ihr Euch noch nit habt bekehren lassen. Ich glaub wohl, daß er in Eurer Rebellionssach Gnad für Recht thäte ergehen lassen, wenn Ihr Euern Ketzerglauben abschwören wolltet. Schaut, wenn's auch im Herzen nit auf einmal geht, das verlangt ja niemand von Euch. Mit der Zeit werdet Ihr dann schon auch im Herzen katholisch. Jetzt denket nur an Euern Hans, schwört ab und gebt ein öffentliches Zeugnis, und dann werden gar viele Euerm Exempel folgen. Gebt nach. Wider die Gwalt könnt Ihr nit. Gebt nach.«
Da hab ich mich auf meinen Arm gestützt und hab ihm zugerufen: »Hebe Dich weg von mir, Satanas.«
Er aber ist aufgestanden, hat leise gelacht und ist aus der Thür gangen.
Den ganzen Tag hat's mir in den Ohren geklungen: der Hans wird ein katholischer Priester, ein Jesuit. Der Hans, mein Enkelkind, wird ein Jesuiter. Daß Gott erbarm! Immer wieder hab ich gesagt: ein Jesuiter!
230 Am Abend kommt der Büttel, der stellt das Essen an mein Lager, ruckt die Bank, legt die Decken zurecht. Hernach macht er die Thür auf, schaut hinaus, kommt wieder und stellt sich vor mich hin. »Herr,« sagte er leise, »die Wänd haben Ohren, ich dürft kein Wort mit Euch reden, aber ich muß es Euch sagen, weil ich im Herzen auch lutherisch bin. Jetzt wird's bald anders werden bei Euch im Sulzbachischen. Der Kurfürst von Sachsen hat an den Kaiser geschrieben von wegen Euerm Reformationswesen. Ich hab's von meinem Bruder, der ist Schreiber in Sulzbach. Ich kann Euch nit mehr sagen und bitt Euch, verratet mich nit.« Damit ist er fortgangen.
Jetzt war ich allein, und jetzt war die Anfechtung bei mir. Immer hab ich denken müssen: ich drei Jahr im Gefängnis, der Hans beim Pater Strobel. So ist's mir die ganze Nacht nit aus dem Kopf gangen, und am Morgen ist der Jesuiter zum erstenmal nit kommen, und den Tag über bin ich wieder allein gewest mit meinen Gedanken.
»Was nutzt es dich,« hab ich mir dacht, »gegen die Gewalt kannst du nit, alter Mensch. Drei Jahr ist eine lange Zeit. Und wie hat der Jesuiter gesprochen? Wenn's auch nit auf einmal geht, hat er gesagt, das verlangt auch niemand von Euch. Und wie hat der Büttel gesagt? Lang kann's nimmer dauern, hat er gesagt. Jawohl, wenn ich aber halsstarrig bleib, dann 231 lassen sie mich meine Straf absitzen, und dagegen kann mir auch der Kurfürst von Sachsen nit helfen. Derweilen ist aber mein Enkelkind schutzlos und verlassen, und es ist denen Jesuitern gar leicht, wenn etwa ihr Stündlein kommt, das Kind mit ihnen fortzunehmen. Und wenn ich aber mit dem Maul nachgeben thät, könnt ich's dann nit erretten?«
Alles dieses hab ich bei mir beweget, und wenn ich's heut recht bedenke, so hab ich auch an meine sauer erworbenen Güter gedacht und daß ich die meinem Enkelkind zusammenhalten müßt.
Am andern Morgen steht vor meiner Lagerstatt ein Junker in schönen Kleidern, der legt ein beschrieben Blatt auf die Bank, langt eine zugeschnittene Feder aus seinem Wams, stellt auch ein Tintenhorn daneben und geht wieder fort.
Ich hab das Blatt genommen und gelesen:
Ich Jörg von Kerdern bekenne und thue kund allen denen, die diesen Brief lesen, daß ich mit gesunden Sinnen meinen lutherischen Ketzerglauben abgeschworen habe und den rechten, alleinseligmachenden katholischen Glauben angenommen habe. Deß zur Urkund hab ich meine eigenhändige Namensunterschrift hierhergesetzet und mein eigen Insigul dazu gedrucket.
Nein, hab ich mir gedacht, hab das Blatt genommen, 232 in ganz kleine Stuckeln zerrissen, das Fenster aufgemacht und in den Wind gestreuet.
Jetzt ist's ruhiger worden in mir. Aber es hat nit lang gewähret, dann sind die alten Gedanken wieder kommen. Und sie sind stärker gewest als ehevor, und wie's Abend worden ist, hat's mich reuen wollen, daß ich nit unterschrieben hab, und wie am andern Morgen der Junker wieder kommen ist und wieder so ein Papier hingelegt hat, da hab ich die Feder tief eingetunkt und hab meinen guten Namen daruntergesetzt und mein Insiegel in spanisch Wachs daneben gedruckt.
Hernach aber sind friedlose Tage kommen. Etzliche Wochen lang bin ich noch krank gelegen drunten im Jesuiterkloster. Und es war mir nach dem Unterschreiben viel ärger geworden. Und das Fieber hat mich gehabt Tag und Nacht, und böse Träum haben mich geängstiget, und wenn ich wach gewest bin, ist mir's noch viel schwerer im Herzen gewest, weil's dann kein Traum mehr war, sondern die Wahrheit.
Wie ich wieder gesund bin worden, hat mich der durchlauchtige Herr Herzog in Gnaden entlassen, hat mir zu meinem Richteramt noch das Umgelderamt zugeleget, und ich bin heimgereiset.
Es ist ein Samstag gewest, wo ich zur Nachtzeit im Städtl eingefahren bin, und war eine finstere Nacht. Die Lies hat mich mit Freudengeschreie empfangen, und der kleine Hans ist an mir hinaufgesprungen und hat 233 gesagt: »Jetzt bleibst du aber auch ganz da, Großvater. Der Herr Pater hat's versprochen. Schau, was mir der Herr Pater geschenkt hat.« Und mit dem zieht er ein hölzern Muttergottesbildlein mit dem Kind aus seinem Wämslein, macht's Kreuz und küßt's dreimal.
Ich hab nichts sagen können, hab ihn an der Hand genommen und bin in die Stuben hinein. Da hängt hinter der Thür, ganz tief drunten, ein Weihkessel, und der Hans tunkt sein Händlein hinein und macht wieder das Kreuz. »Großvater«, sagt er, »thust du dich nit auch besprengen, daß du in Himmel kommst? Die Lies thut's auch immer nit.« Jetzt hab ich eine Thränen verdruckt und bin mir gar elend und erbärmlich vorkommen. Die Lies aber hat zum reden angefangen und hat mir verzählt, wie daß der Kommissar seit vierzehn Tägen fort wäre, daß sie den Hans alle Tag zum Pater holen, ungeacht ihres Sträubens, und wie sie den Weihkessel mit harten Bedrohungen hereingehängt haben. »Ja, Herr, alle Wohlgesinnten warten mit Schmerzen auf Euch, zumalen der Superintendent Böheimb im Sterben liegt. Viele aber haben ihren Glauben abgeschworen, weil die Bedrängnis zu groß ist. Und auch von Euch, Herr, hat man ein Gered ausgesprengt, ich aber hab's gar nit geglaubt. Weil Ihr nur wieder da seid. Und der Wildauer ist auch nit lang Sekretarius gewest. Er hat dem Kommissarius viel Geld genommen und ist bei Nacht entwichen, und Euer Schwester ist hernach mit ihren 234 Kindlein ins Elend gejagt worden, weiß niemand, wohin sie sich geflücht hat.« – –
Ich hab an demselbigen Abend das Kind bald in sein Bettlein bringen heißen, und wie ich allein gewest bin, schau ich zum Fenster in die Nacht hinaus. Hör ich drunten zween Mannspersonen vorübergehen, von denen sagt der eine: »Ihm ist wohl, uns aber ist übel. Er ist ein frommer Priester gewest vor dem Herrn. Gottes Segen über ihn in der Ewigkeit.« – »Amen,« sagt der andere. »Und wohl thut's mir im Herzen, daß er das mit unserm Richter nimmer erlebt hat; das hätt ihm sein Sterbstündlein schwer gemacht. Da muß doch der Satan seine Händ mit im Spiel gehabt haben. Es kann nit anders sein. Auf den alten Jörg hätt ich Stein und Bein geschworen.« »Ja,« sagt der andere, »du weißt aber auch nit, wie sehr sie ihn etwan in Neuburg drangsalieret haben.« Damit sind sie um die Ecken gewest.
Ich aber hab mich in meinen Stuhl gesetzt und lang darüber nachgedacht, wie das alles so kommen wär. Und da hab ich mir gewünscht, es möcht doch meine Hausfrauen selig noch leben. Hernach aber hab ich mir mein Bibelbuch hervorgeholt und hab das Lesen versucht. Hab lang gelesen, aber keinen Trost funden; es sind mir alle Wort wie Schwerter ins Herz gefahren.
Am Sonntag in der Fruh ist der Pater Strobel in meine Stuben kommen, hat ein honigsüßes Gesicht 235 gemacht und mir die Hand geben, hat gesagt, daß er und alle wohl Affektionierte eine große Freude hätten und daß einem so respektablen Manne gar viele nachfolgen werden (und so ist's auch kommen). Und dann hat er viel vom Hans geredet, wie der ein braver Bub wär und alle Tag zunähm. »Ihr werdet's heut im Hochamt sehen, was der brav ministrieren kann.«
Ich hab dem Menschen gar wenig geantwortet und viel Pein gelitten.
Wie's hernach Zeit geworden ist, bin ich in die Kirchen gangen. Auf der Gassen hab ich nit rechts und nit links geschaut und hab mich geschämt. Alle ansehnlichen Burger sind mir ausgewichen, allein schlecht Gesindlich hat mich mit viel Freud gegrüßt und haben sich nahe an mich heran gemacht. Und ich hab zu mir in meinem Herzen gesagt: hilft dir alles nichts, du gehörst jetzt zum argen Haufen, der seine Ehr und seinen Glauben um irdischer Respekt willen verkauft.
In der Kirchen hab ich mich in meinen Stuhl gesetzt, wo gleich daneben meines Geschlechts Erbgruft ist. Und es hat mir gedünket, als schaute mich der Ahn gar wild an mit seinem Steingesicht. Da hab ich mich trösten wollen in meinem Herzen, daß der auch ein Katholischer gewest war; aber das ist nit gangen und hat mir keinen Trost bracht; denn ich hab mir sagen müssen, daß der um seines papistischen Glaubens willen seine Güter und sein Vaterland mit dem Rücken angeschauet 236 hat, ich aber hab ja meinen Glauben verkauft wie ein alt Wams. Und ich hab in einem fort hinschauen müssen, und seine Augen haben mir ins Herz gefressen. Hernach ist das Hochamt gewest, und mein Bub hat dem Pater ministrieret. Ich aber hab nit weinen und hab nit beten können. Wie das Amt aus gewest ist, haben's einen Prozessionsgang in der Kirchen gemacht, das Rauchfaß geschwenket und der heiligen Jungfrau gedankt, daß wieder einer den Ketzerglauben abgeschworen hat. Und der Mensch war ich. – –
Jetzt ist ein harter Winter kommen. Ich bin im Herzen lutherisch gewest, und mit dem Maul hab ich papistisch beten müssen. Ich hab es nit verhindern können, daß der Hans alle Tag zum Pater geloffen ist. Da hab ich es zuerst versucht und hab ihm am Abend immer wieder das ausgeredet, was er am Tag gehört gehabt hat. Aber gar bald hab ich gesehen, daß ich's so nit anstellen darf, wenn ich ihn nit verderben will. Da hab ich zuletzt geschwiegen und geseufzet. Ich mußt auch dem Pater von Amtswegen Beistand leisten, wenn sich etwan einiger Widersatz gegen ihn begabe. Und das war mir hart über die Maßen. Ist mein alleiniger Trost gewest, wann ich hab recht viel zu thun gehabt, wie dann das alt Sprüchwort wahr ist, wo's heißt:
Arbeit und Fleiß das sind die Flügel,
So tragen über Strom und Hügel.
Ist wahr und ist doch auch nit wahr, maßen bei 237 mir der Strom gar zu tief und der Hügel ein großer Berg gewest ist, über die ich nit hab hinüber kommen können, weilen sie mein schlecht Gewissen gewest sind.
Weiß aber nit, was für ein End dieses alles genommen hätt, wenn mir nit unser Herr Gott den rechten Weg gezeigt hätt.
Ist nach der Weihnachtszeit allenthalben ein groß Geschrei gewest, wie daß der Schulmeister von Wildau ein Gesichte hätte gesehen in der Kirchen daselbsten, und sind geschriebene Blätter durchs ganze Land in die Häuser getragen worden; hat niemand gewußt, von wem, und haben die Frommen frohlockt, die Papisten aber haben Wut geschnaubet. Auch mir haben's einen solchen Zettel gelegt. Da drauf stund geschrieben:
»Den 28. Dezembris anno 1627 am katholischen dritten Weihnachtfeiertag ist mir Lorenz Bscherer, Schulmeister zu Wildau, in unserer Kirchen daselbst begegnet: Erstlich als ich zu Morgens früh das Gebet geläutet hab und nunmehr nach demselben wieder über die Kirchen herfürgangen und nahe zur Kirchthür kommen bin, ist damals so ein herzets schönes Knäblein bei sechs oder sieben Jahren alt anzusehen gegen mich zur Kirchenthür eingangen, hat ein schneeweiß Hemdlein angehabt und ein offenes Büchlein in seinen Händen, als lese es, und ein kleines Wehrlein an seiner Seiten. Ist für mich ausgangen, hat aber nichts gesagt, ist über die Kirchen hintergehatschet, wie ein anderes Kind in seinen 238 Schühlein dahinhatschet. Was es bedeuten wird, das weiß ich nicht. Gott weiß es, ich hab es aber gänzlich dafür, es sei ein Engel Gottes gewest. Gott wölle allen denjenigen, die bei der reinen Evangelischen Lehr gedenken beständig zu bleiben, gnädig beistehen und sie in wahrer Beständigkeit erhalten.«
»Item anno 1628 den 16. Januar, wie ich zu Abends abermal habe das Gebet geläutet, hat es anheben zu singen: ›Allein Gott in der Höh sei Ehr‹ so demütig, daß es unmöglich ist, daß ein Mensch eine solche Stimm könnt machen. Habe damals nichts gesehen, bin im Namen Gottes in meinem Beruf fortgangen und geschwind in die Schul geloffen, meinem Weib solches zu weisen. Wie wir wieder vor die Kirchenthür kommen, ist es schon wieder still gewesen, und haben nichts mehr gehört.«
»Item am 23. Januar, da ich abermals zu Morgens früh das Gebet hab wollen läuten und zur Kirchthür eingehe, da gehet abermals das Knäblein unter der Chorthür herfür, hat in der linken Hand ein Büchlein und in der rechten Hand einen Kelich, der Mond hat so hell geschienen, als wäre es bei dem Tag. Es hat einen weißen Chorrock angehabt wie ein evangelischer Pfarr. Da erschrick ich und will zurückgehen. Darauf hebt's an und sagt: ›Erschrick nicht, gehe nur her.‹ Darauf gehe ich im Namen Gottes hin und warte meines Läutens. Indessen kommt's unter die Glockenthür und hebt 239 abermals an, ich sollt nit erschrecken. »Das Büchlein, das ich hab,« spricht es, »das bedeutet den lutherischen Glauben; denn der ist recht und in Gottes Wort gegründet, und er stimmt mit demselben überein. Aber groß Unrecht thun die, welche um des zeitlichen Guts davon abfallen.«
»Ja, und das wollen wir auch nit, sondern wollen fest dabei bleiben und uns dies zum Trost nehmen: Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn.
Sei nit betrübt, ich bitte,
In solcher Glaubensnot,
Lern dich in Gottes Sitte
Recht schicken, ihm zu Lob.
Gut, Ehr und Leib und Leben,
Vieltausend Christen rein
Haben gewagt gar eben,
Die jetzt im Himmel sein.
Ein Örtlein wird Gott zeigen
Etwa in Landen weit,
Der Völker Herzen neigen
Zu uns in Mildigkeit,
Daß sie uns nehmen aufe
In ihre Häuserlein,
Bis uns Gott nimmt zu Haufe
Ins Paradies hinein.«
Ich hab den Schulmeister von Wildau niemalen für einen besondern Helden taxiert. Er ist auch immerdar ein singulärer Mann gewest und ist immer gern seine 240 eigenen Wege gangen, hat mit niemanden Feindschaft gehabt. Mit denen Prophezeiungen aber, daß er das, was er in der Kirchen gesehen und gehört, also unerschrocken kund geben hat, ist er in einen schweren Kampf eingetreten, und das End von dem Handel ist gewest, daß ihm die Jesuiter haben Soldaten ins Haus gelegt, die haben ihn hart bedrängt, damit er widerrufen sollte, haben ihm seine Nahrung weggessen. Aber nichts hat geholfen, standhaft ist er geblieben, und zuletzt, wie es nimmer zum Tragen gewest ist, ist er in die böheimischen Wälder entwichen. Hab nichts mehr von dem Propheten von Wildau gehört, wie sie ihn spöttlich benamset haben.
Von der Zeit an aber hab ich meinen Jammer nimmer zu tragen vermocht und hab demselbigen ein End gemacht, weil ich mich geschämt hab vor dem Schulmeister seiner Mannhaftigkeit, der keine zeitliche Respekt geachtet, sondern gesagt hat, was er geglaubet und gesehen.
Und heut schreiben wir den 17. Mai 1628, und wenn ich von Stund an mein Bibelbuch hervorhol, so brauch ich mich nimmer lassen verdammen von dem, was da drinnen steht, weil ich kein Papist mehr bin. Das macht, ich hab heut diesen Brief geschrieben und an den Herrn Herzog geschickt:
»Wie mich vor nunmehro einem halben Jahr Euer Durchlaucht in audentia in Hochdero Schloß mit dem 241 Umgelderamt begnadiget haben, da haben Sie gesagt, ich solle meine Sach gut machen. Hab auch allen Fleiß auf mein Ambt verwendet, und liegen im Schloßkeller an 4000 Gulden Umgeld vergraben, so ich bei denen währenden Kriegsläuften nit nacher Neuburg schicken kann, bitt E. D., daß Sie nunmehr einen andern Umgelder und einen andern Richter mögen in Gnaden annehmen, weilen ich von wegen habender großer Gewissensnöten fürderhin nit kann papistisch bleiben. Bitt, E. D. mögen mich aus sonderbarlicher landsfürstlicher Mildigkeit meine Straßen ziehen lassen. Besser, das Elend bauen denn Gottes Feind sein. Man muß Gott mehr gehorchen denn den Menschen. Thue mich E. D. zu Gnaden empfehlen.
Jörg von Kerdern,
Richter und Umgelder in Hohendreß.«
Ist mir friedlich im Herzen geworden hernach. Und jetzo, wie ich das schreib, trägt ein reitender Bote den Brief schon gen Neuburg.
* * *
Ich Lorenz Bscherer, gewester Schuelmeister zu Wildau, schreib jetzo da weiter, wo der Herr Richter, Gott hab ihn selig, aufgehört hat. Hätt meiner Lebtag nit gedacht, daß ich in dem gestrengen Herrn sein Bibelbuch eine Chronika schreiben sollt. Das ist aber also kommen:
Wie ich dazumalen in die Wälder entwichen bin, 242 haben mir gutthätige Holzhauer einen Unterschlupf gewähret. Dieweilen sie aber selbsten nit viel gehabt haben, ist es mir gar schlecht ergangen. Da hat es sich eines Tages begeben, daß mich der Hunger aus dem Wald nacher Waidhaus getrieben hat.
Ist um die Mittagszeit gewest, wie ich in das Dorf kommen bin. Da hab ich gesehen, daß allerhand zerlumptes Kriegsvolk im Dorf liegt, waren Gartbrüder, so an die fünfzig Mann. Die haben gar wilde Reden geführet, haben Schwerter geschärft, Kugeln gegossen, und weil sie mich nit gekennt haben, thaten sie ohne Scheu von ihrem Vorhaben reden, wie daß sie auf Hohendreß wollten ziehen. Und wie ich weiter hinhorch, da kommt ums Eck ein böser Bekannter von mir, der Wildauer. Da hab ich mich auf die Seiten gemacht und bin, so schnell ich gekonnt hab, zwei Stunden gen Hohendreß geloffen.
Dorten hab ich mich hinten zum Schloß hineingeschlichen, bin zum Richter in seine Amtsstuben getreten und hab ihm meine Aussag gemacht. Hab's ihm gesagt, daß ein großer Haufen drüben in Waidhaus läg und auf den Abend das Städtlein überrumpeln wollt.
Der Herr Richter hat ein gar ernsthaft Gesicht gemacht, hat mir in kurzem gedankt und gesagt, daß vor dreien Tagen alle Soldaten, so im Städtl gelegen waren, zu einer besondern Verrichtung weggezogen wären. Hernach hat er mir einen Imbiß heißen vorsetzen und ist 243 selbsten ins Städtl hinunter gangen, hat die Burger aufs Rathaus kommen lassen. Bin hernach auch hinberufen worden, hab alles erzählen müssen. Es waren aber dazumal nit mehr denn achtzig Männer in dem Städtl, ganz alte Leut und unausgewachsene Junge.
Der Richter hat ihnen mit beweglichen, kurzen Worten vorgestellt, wie daß die, so jetzo kommen werden, Mordbrenner sind, und daß sie, die Burger, jetzo nur Gott den Herrn zum Helfer haben.
Schreit einer aus dem Haufen, was der Herr Richter für einen Herrgott meinen thät, den papistischen oder den lutherischen, und ob er meinet, daß vielleicht der papistische der stärker wär; er für seine Person wüßt's nit, könnt auch niemanden danach fragen, sintemalen der Pater Strobel vor etlichen Minuten mit den drei übrigen Soldaten zum Thor hinaus gen Weiden geflohen wär.
Der alt Richter ist ganz rot worden vor Zorn bis unter die Haar, hat aber ruhig gesagt, daß er für seine Person an den dreieinigen, allmächtigen Gott glaube, der Himmel und Erden geschaffen hat und uns auch in dieser Bedrängnus helfen könnt. Darauf hin hat der andere sein Maul gehalten, ich aber hab mir gedenket, daß der stolze Richter doch jetzo ein recht armer Mann wär. –
Jetzt ist alles auseinander geloffen, und auf den Gassen und in den Häusern hat ein erbärmlich Geschrei angehebt, so die Weiber und Kinder vollführet haben. Die Mannsbilder aber haben Piken, Musketen, Schwerter 244 geholet, haben Sensen grad geschlagen und die Thore zugesperrt. Es war aber die Mauer ums Städtl so schadhaft, daß mir gegrauset hat. Überall ist der alt Richter vorndran gewest, und die Leut haben ein großes Zutrauen zu ihm gehabt, trotz denen spöttlichen Reden vom Ochsenwirt.
Gegen den Abend zu sind die Männer allsamt auf der Mauer gewest, aber es hat sich nichts gerühret im Wald gen Waidhaus zu.
Wie's so still war, hat mich der Richter beim Arm genommen, hat mich auf die Seiten geführt und hat mir gesagt, er hätt eine große Summ Gelds, an die viertausend Gulden, im Schloßkeller eingraben. Es wüßt niemand was davon, weil er niemand vertrauen könnt. Mir aber wollt er's zeigen, ich sollt mit ihm gehen.
Da bin ich mitgangen, und der Herr Richter hat mir alles gezeigt, damit ich's dem Herrn Herzog könnt zu wissen thun, wenn ihm etwas zustoßen thäte im Handgemeng.
Hernach hat er mir seinen Hans aufs Herz bunden, ich sollt ihn halt nit verlassen, wenn ich mich noch ein bißl rühren könnt. Auch das hab ich ihm in seine Hand versprochen, und zuletzt hat er mir in seiner Wohnstuben einen ganz heimlichen Platz gezeigt unter einer Bodendielen. Da ist sein Bibelbuch gelegen. Das sollt ich seinem Hans bewahren, damit er es wüßt, hat der Richter gesagt, was seinem Großvater inner der letzten Zeit 245 widerfahren wär. Da stünd's drinnen. Und damit hat er mir gezeigt, wie der Holzdeckel zum öffnen wär.
Währenddem erhebt sich im Städtl ein wild Geschrei und ein gar grausames Schießen. Lauft der Richter aus der Stuben mit einem Schwert, ich ihm nach mit meiner Piken. Am Hofthor aber rennt uns ein großer Haufen Weiber und Kinder in den Weg, daß wir nit hinaus können, die schreien und halten uns fest, daß wir bei ihnen bleiben sollen, sagen, der Feind hätt das Städtl von der andern Seiten überrumpelt, wär ein grausam Handgemenge und müßt der Feind gleich kommen.
Hat der Richter gesagt, sie sollen in den Schloßkeller gehen und beten und sich ruhig verhalten. Er wollt sie nit verlassen. Seine Magd und sein Enkelkind hat er auch hineingehen heißen.
Grad wie wir die große Hofthür haben zuschließen wollen, ist noch ein Haufen aus dem Städtl hergeloffen, Männer und Weiber, die haben geschrieen, daß alles aus wär. Hab die Weiber in den Keller gewiesen, und die Männer haben mir geholfen, den großen Balken vor die Hofthür zu schieben. Und wir haben unsere Seelen Gott befohlen. Wie ich mich umschau, ist der alt Herr Richter nimmer dagewest. Hab ich nit gewußt, wo der hingekommen wär, und hab Umfrag gehalten. Währenddem kommt aus dem Schloß ein Mannsbild; mein ich, es wär ein Knecht. Ruf ihn an, er solle nach dem Richter suchen. Schau ich näher zu, ist's der alt Herr Richter selbsten 246 gewest. Der hat sich in ein Knechtsgewand gekleidet und hat sein Schwert in der Hand. Er ist zu uns herangetreten und hat gesagt, es sollt ihn keiner verraten. Sie sollten sagen, wenn der Feind das Schloß berennete, daß der Richter nit da wär und daß keiner was von Geld wüßt. Haben's alle gelobt, haben ihnen gar wohl denken können, daß der Richter Geld vergraben hätt.
Im Städtl unten hat das Schießen mit der Zeit ganz aufgehört. Bald aber hat das Feuer aus den Dächern herausgeschlagen, und die Funken sind bis zu uns heraufgeflogen.
Hernach haben wir gehört, wie ein großer Hauf her aufs Schloß geloffen ist, und vor dem gesperrten Thor hat einer gerufen: »In Teufels Namen machet auf.« Auf unserer Seiten war alles still. Da hab ich mir ein Herz genommen und gerufen: »Wo unser Herr Gott ist, da haben die Teufel kein Gewalt.« Schreit der Wildauer: »Wo ist der Richter, der Halunk?« Sag ich: »Der ist nit da, der muß wohl im Städtl drunten sein.«
»Macht auf,« schreit der Wildauer und stößt ans Thor.
Währenddem hört man einen schweren Wagen auf das Thor herfahren, und es hebt ein groß Geschrei an. Und eh wir's uns recht bedenken, rennt auch schon die Deichsel ans Thor. Das haben's in die zehn oder zwölf Mal gethan bis daß das Thor gesprengt war, 247 und hernach sind sie in den Hof gedrungen. Ich aber hab einen Schlag auf den Schädel gekriegt, daß ich hintenüber gefallen bin und mir die Besinnung geschwunden ist. – – –
Wie ich wieder aufwach, war's Nacht. Unter der Linden aber ist der Feind in einem Haufen gestanden und haben Fackeln in den Händen gehabt, und war ganz still im Hof.
Jetzt hör ich den Wildauer: »Zum drittenmal frag ich dich: wo ist das Geld? Ich weiß es sicherlich, daß du viel Geld vergraben hast. Wenn's nit so wär, dann hättest du dich nit in dies Gewand gekleidet.«
Darauf hör ich den alten Richter, wie er mit ruhiger Stimm sagt: »Ich hab kein Geld für dich.«
Ich heb langsam meinen Kopf, und da seh ich den Richter unter der Linden stehen und bei ihm den Wildauer.
Der schreit wiederum: »Du hast gewißlich Geld vergraben. In deiner Amtskassa liegen nur etlich lumpige Gulden. Steh Red!«
Da hat der alte Herr Richter kein Wort mehr gesagt und ist ruhig dagestanden.
Der Wildauer aber hat gelacht, ist ganz nahe vor den alten Mann getreten und hat gesagt mit großem Nachdruck: »Dir will ich's Maul aufmachen. Schafft Roßhaar, ihr Leut!«
Und wie das Roßhaar da war, haben sie dem 248 Greisen die Händ auf dem Rücken zusammenbunden, haben ihm mit Gewalt die Zähn auseinander gerissen, und der Wildauer hat ihm die Zung durchstochen, das Haar durchgestecket und gesagt: »So, jetzt wirst die Engel im Himmel singen hören, Alter! Paß fein auf, ob's papistisch oder lutherisch singen.« Und mit dem hat er das Roßhaar auf- und abgezogen, daß dem Richter die Kniee gewanket haben. Haben ihn gehalten. Zuletzt hat der Wildauer das Haar aus der Zunge herausgerissen, daß das Blut geloffen ist, und hat geschrieen: »Wo ist das Geld?«
Der alte Mann hat laut gestöhnet. Gesagt aber hat er kein Wort.
Hernach aber hat ihm der Wildauer die Daumen lassen schrauben, und der Richter hat sich am Boden gewunden und nichts sich lassen erpressen.
Zuletzt haben's ihm die Schuh auszogen und haben ihm die nackenden Sohlen mit Salz eingerieben. Und eine Geis haben sie herzugetrieben, die hat das Salz weglecken müssen, und wenn's weg war, haben sie's neu eingerieben, und das Tier hat weiter geleckt, und der alte Mann hat sich gekrümmt auf der Erden und hat wie toll gelacht. Und die Soldaten haben ihren Mutwillen mit ihm trieben.
Der Wildauer aber hat sich neben ihn gekniet und das Ohr an dem alten Mann seinen Mund gelegt. Und nach einer langen Zeit hat er gesagt: »Weg die Geis! 249 Jetzt weiß ich, wo's ist.« Und hat sich aufrecht über den Richter gestellt und gespottet.
Indem kommt der kleine Haus (woher der entkommen war, weiß ich nit, denk mir, er möcht sich haben im Keller verborgen, wie die Soldaten haben daselbst alles ausgesuchet). Der schreit in einem fort: »Großvater, Großvater! Wo bist du?« Und lauft gradwegs auf die Linden zu. Dort packen's ihn, auf daß er's besser sehen könnt, hebt ihn einer in die Höh.
Da sieht der Hans den Wildauer und schreit: »Helft mir, Vetter! Wo ist der Großvater? Jesus, Maria und Joseph! Da liegt er.«
Der Wildauer dreht sich herum und reißt dem Soldaten den Buben vom Arm, hält ihm den Mund zu mit seiner blutigen Hand, nimmt ihn und schleppt ihn ans Haus und stößt ihn hinein. Drauf schlägt er die Thür zu und sagt zu den Soldaten: »Wer dem Kind was thut, der hat's mit mir zu schaffen.«
Also ist das Kerderngeschlecht nit gar abgestorben in dieser bösen Zeit, sondern einer ist gerettet worden durch Gottes Willen.
Was hernach kommen ist, das weiß ich nit mehr. Sind mir wiederum die Sinne geschwunden.
Bin lang gelegen, und wie ich aufwach, scheint die Sonn in den Hof herein.
Ich steh auf, so gut's geht, und geh unter die Linden. Da liegt der alt Richter, blutig, mit offenen Augen, und 250 ist tot. Daneben aber liegt der kleine Hans, der hat seinen Arm auf seine Brust gelegt und schlaft. Ich hab mich niedergekniet und hab dem Greisen seine Augen zudruckt. Gott sei ihm und uns allen ein gnädiger Richter. Amen.
Der ganze Hof war still wie eine Totenkammer. Hinten am Schloß ist die Kellerthür weit aufgestanden, und was nit hat entkommen können, das war tot und war gräßlich zum ansehen. Auch die Lies, dem Richter seine Magd, ist tot dagelegen.
Jetzt hab ich mich aufgemacht und bin in dem Richter seine Stuben gangen und hab die Bodendielen aufgehoben. Da ist das Bibelbuch gelegen samt etlichen alten Pergamentbriefen und etlichen anderen Büchern, alles unversehrt.
Ich konnt's nit wohl mit mir nehmen. Derohalben hab ich die Dielen wieder drauf gelegt.
Hernach hab ich den Hans geweckt. Der hat das Weinen angefangen. Ich aber hab ihn mit guten Worten weggezogen und hab ihm Brot zum essen geben, so ich noch in der Taschen bei mir gehabt.
Indessen sind versprengte Männer und Weiber herzugekommen, und weil die Sonn gar heiß gebrennt hat, haben wir angefangen, die Toten zu begraben in ein großes Grab. Und weilen alle Häuser im ganzen Ort ausgeplündert waren, so haben wir die Toten nit in Linnen wickeln können. Ist also auch der vornehme 251 Herr Richter ohn ein Leichentuch in die Gruben gelegt worden.
Jetzt, wie ich das alles schreib, sind vier Jahr vergangen, seitdem sich das zugetragen hat.
Das ist eine harte Zeit gewest; sie haben dem Hans auch alle seine Äcker und Wiesen und Hölzer konfisziert, von wegen dem Umgeld, so die Soldaten aus der Amtskassen geraubt haben. Ich hab's dem Hans alles zum Gedächtnis aufgezeichnet, und ich weiß jetzt auch, daß der alt Richter im Frieden mit seinem Gott dahingefahren ist.
Gott sei uns allen gnädig in dieser schweren letzten Zeit. Lob, Ehr und Dank aber seie ihm dafür, daß wir wieder ruhig unserm Glauben leben dürfen, seitdem die Schweden ins Reich kommen sind. Lob und Dank. 252