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A ls Sven am andern Tage aus einem unruhigen Schlaf, in welchen er gegen Morgen gefallen war, erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Er hatte sich kaum angekleidet, als es leise an seine Thür pochte und auf sein Herein! Frau Schmitz ins Zimmer trat.
»Gott sei Dank, daß Sie endlich auf sind, Herr Baron! Nein, welche Angst ich ausgestanden habe! Viermal habe ich schon an Ihre Schlafstubenthür' gepocht. Ich glaubte, der Herr Baron seien gestorben. Und Jesus Maria! wie bleich Sie sind! Eine Tasse Kaffee mit dem Gelben von einem Ei? was?«
Und Madame Schmitz eilte davon, daß die bunten Haubenbänder hinter ihr herflatterten und kam alsbald mit Sven's Frühstück zurück.
»Ja, ja,« sagte sie, während sie die Sachen zurechtsetzte; »ich habe es ja immer gesagt, dieses Haus ist so ungesund; es ist eine Schande, daß ein Mensch so einen feuchten Keller an seine Mitmenschen vermiethet und ihnen ihr schweres Geld dafür abnimmt.«
»Dies Haus? Ihr Haus?« sagte Sven verwundert.
»Jesus Maria! Der Herr Baron müssen wirklich recht unwohl sein!« rief Frau Schmitz, die magern Hände, zusammenschlagend; »mein Haus? – mein Haus ist das gesündeste in der ganzen Stadt!«
»Aber was für ein Haus meinen Sie denn?«
»Welches Haus ich meine? Nun, doch kein anderes, als das von Frau Bartelmann. Freilich, ein Wunder ist es nicht; es steht ja halb im Wasser.«
Und Frau Schmitz lächelte verächtlich und warf ihre widerspenstigen Haubenbänder über die Schulter.
»Aber ich verstehe Sie in der That nicht,« sagte Sven.
»O,« sagte Frau Schmitz, die Hände über einander reibend, und den Kopf von einer Seite zur andern neigend; »der Herr Baron wollen mich nicht verstehen. Freilich, es ist nicht schicklich, daß eine Wirthin, die es gut mit ihren Herren meint, weiß, wo sie ihre Abende zubringen. Und was geht es denn am Ende auch sie an, ob sie sich in feuchten Häusern den Schnupfen holen. Ich wollte mich auch eigentlich blos nach Mistreß Durham erkundigen, weil ich immer noch Theil an meinen Herrschaften nehme, obgleich sie mich nicht mit ihrem Besuche beehren und ungesunde Häuser, wo der Schwamm in allen Balken sitzt, meinem Hause vorziehen. Haben der Herr Baron sonst noch etwas zu befehlen?«
Madame Schmitz war so tief beleidigt, wie der Knix, mit dem sie ihre Rede schloß, tief war. Sven sah, daß es die höchste Zeit sei, die Erzürnte zu besänftigen. Konnte sie doch von Mrs. Durham erzählen! Madame Schmitz war in Svens Augen plötzlich eine sehr wichtige Person geworden.
»Aber, beste Madame Schmitz,« rief er, »weshalb haben Sie mir denn nicht gleich gesagt, daß das Haus von Frau Bartelmann dasselbe Haus ist, in welchem Mr. Durham wohnt; ich hatte es wirklich vergessen, daß Sie mir die Sache schon gestern mittheilten. Aber, wollen Sie nicht Platz nehmen, Madame Schmitz? Sie haben gewiß um diese Zeit nichts mehr in der Küche zu thun.«
»O, der Herr Baron sind zu gütig,« sagte die schnell besänftigte Frau Schmitz, sich abermals – aber diesmal ohne nervöse Gereiztheit – tief verbeugend und sich auf den äußersten Rand des dargebotenen Stuhles setzend.
»Ja, was ich sagen wollte, liebe Frau Schmitz,« fuhr Sven fort. »Das Haus ist allerdings sehr feucht, und ich sagte auch gestern so zu Mrs. Durham.«
»Wirklich? Und hat sie auch von mir gesprochen?«
»O, gewiß.«
»Und da hat sie mir wol allerlei Böses nachgesagt?« fragte Frau Schmitz und es spiegelte sich eine eigenthümliche Besorgniß in ihren Zügen.«
»Ihnen Böses? weshalb Böses?«
»Nun die Herrschaften sind so eigen. Bald haben sie dies zu tadeln und bald das. Und passirt es nun gar, daß ein unordentliches Mädchen etwas weggebracht hat – gleich muß es die arme Wirthin genommen haben.«
»Ich versichere Sie, liebe Frau Schmitz, daß ein solcher häßlicher Verdacht nicht über die Lippen von Mrs. Durham gekommen ist.«
Frau Schmitz schien durch diese Erklärung ganz besonders beruhigt zu werden. Ihre Rührung war sogar so groß, daß sie die Zipfel ihrer Schürze nehmen mußte, um sich die Augen zu trocknen. Sven wußte nicht, was er von diesem Benehmen denken sollte. Er kam auf den Verdacht, zu welchem Frau Schmitz, exaltirtes Wesen öfters Veranlassung gab, daß die gute Dame in dem Genuß spirituöser Getränke nicht dasjenige Maß zu halten wisse, welches für eine ungetrübte Seelenstimmung so nothwendig ist.
»Ja, ja,« seufzte Frau Schmitz, »ich habe es ja immer gesagt: Missis Durham ist die beste, genteelste, nobelste Frau auf der Welt, und Alles, was von ihrer Herkunft erzählt wird, ist nur Klatsch, auf den kein vernünftiger Mensch hinhören muß. Ja, wenn die Herrschaften ohne Dienstboten leben könnten! aber diese Mädchen, diese Mädchen! Da stehen sie stundenlang am Brunnen und lassen die Eimer überlaufen, während sie sich die Geheimnisse ihrer Herrschaften in die Ohren tuscheln, und wir armen Frauen, wir kriegen dann Alles wieder zu hören; denn, sagen Sie selbst, Herr Baron, man kann doch auch am Ende solchem armen Dinge den Mund nicht verbieten, wenn es in der Küche am Feuer steht und es sich für uns sauer werden läßt.«
»Ei freilich nicht,« bemerkte Sven.
»Denken sich der Herr Baron«, sagte Frau Schmitz, durch diese Bestimmung ermuthigt, ihren Stuhl ein Haar Zoll näher rückend, »da hat Missis Durham's Sophie – es ist noch immer dasselbe Mädchen, das Missis Durham in Dienst nahm, als sie vor vier Jahren bei mir wohnte – meiner Ursel erzählt; – aber wie gesagt, wer kann auf dergleichen Geschwätz etwas geben. Man kann doch am Ende, wenn man zehn oder zwölf Jahre verheiratet ist, nicht noch immer wie die Turteltäubchen leben. Du lieber Himmel! mein Köbes (Gott hab' ihn selig!) war der beste Mann von der Welt, wenn er mir auch viele Sorgen gemacht hat, aber – Jesus Maria! da klopft es – und ich bin hier ganz allein mit dem Herrn Baron, was sollen die Leute –«
Und die vortreffliche Frau Schmitz sprang wie electrisirt von ihrem Stuhle auf, schoß auf die Thür zu und hätte fast Benno übergerannt, der, ohne die Antwort auf sein Klopfen abzuwarten, so eben ins Zimmer trat.
»Nun, beim Zeus!« sagte Benno; der enteilenden Dame lachend nachschauend; »ich glaube gar, ich habe Dich in einem zärtlichen tête à tête mit Deiner Spinne gestört! Guten Morgen, carissime! schlecht geschlafen? Du siehst verdammt hohläugig aus! ich merke, meine Praxis, die ich dem Dociren zu Liebe fast schon an den Nagel gehängt hatte, kommt wieder in Schwung. Rathe einmal, zu wem ich heute morgen gerufen bin?«
»Ich kann es wirklich nicht ahnen, willst Du eine Cigarre rauchen?«
»Danke, das heißt: bitte! Deine Cigarren sind famos – zu Durhams!«
»Zu wem?« rief Sven, in die Höhe fahrend.
Zu Durham's oder Dörhem's – ich weiß nicht, wie es richtig ist. Das aber ist richtig, daß ich heute Morgen in diese Familie gerufen bin, um – aber Du hast gewiß Deinem Laubfrosch heute Morgen noch kein Frühstück vorgesetzt. Das arme Thier hat nun seit acht Tage nichts im Magen, als höchstens die schlechte Behandlung, die ihm seitdem zu Theil geworden ist. Ich muß ihm mit einer wohlgenährten Fliege unter die Arme greifen.«
Und Benno fing an im Zimmer umherzurennen und mit der Hand über die Wände und Möbeln zu fahren.
»Und was solltest Du dort, wenn man fragen darf?« sagte Sven, der unterdessen seine Verwirrung bemeistert hatte, mit möglichster Ruhe.
»Ob Du fragen darfst? – wieder nichts – warum solltest Du nicht fragen dürfen? – halt! jetzt hab' ich dich, junge Schwärmerin – hinein zu dem grünen Galan, der dich vor Liebe auffressen wird. Haps! wie der Kerl schluckt! Gelt! das schmeckt prächtig? – So, nun stehe ich zu Deiner Disposition. Was ich bei unsern englischen Freunden sollte? mir einen allerliebsten Jungen mit braunen Locken ansehen, der mich ungemein an Dich erinnert hat, als Du noch im Flügelkleide an Mamachens Schleppe hingst – und mein ärztliches Gutachten darüber abzugeben, ob ein böser Husten, der ihn vor einer Stunde befallen hat, die Bräune sei, oder nicht. Bei der Teilnahme, die sich in Deinen Zügen ausprägt, steht zu vermuthen, daß es Dich freuen wird, zu hören, wie für den Augenblick keine Gefahr ist. Indessen« – fuhr Benno ernster fort; »ich fürchte, der hübsche Junge wird nicht alt werden; ich habe ihn auscultirt und Verschiedenes an seiner Lunge entdeckt, was mir keineswegs gefällt.«
»Aber wie kam es, daß man grade zu Dir schickte?«
»Nun, die Frage ist naiv. Vermuthlich, weil man mich für das hält, was ich bin: für einen nicht ganz ungeschickten Jünger Aeskulaps; und weil Mr. Durham und ich seit gestern Abend geschworne Freunde sind.«
»Gefällt Dir Mr. Durham?«
»Ausnehmend; ja vielleicht so gut, wie Dir –«
»Nun?«
»Laß mich Deinen Puls fühlen.«
»Weshalb?«
»Zu sehen, ob Du etwa heute besonders nervös bist. Eins, zwei, drei – o, es geht – also, wie Dir Mrs. Durham, oder Cornelie, um sie bei ihrem schönen Vornamen zu nennen.«
»Cornelie heißt sie? wie hast Du das so schnell herausgebracht? weshalb meinst Du, daß mir Mrs. Cornelie Durham gefällt?«
»Herzensmann, glaubst Du denn, daß man blind und taub ist? Meinst Du, ich habe nicht bemerkt, wie schnell ein gewisses Opernglas bei Seite gelegt wird, wenn man zufälligerweise ohne anzuklopfen ins Zimmer tritt? wähnst Du, ich habe den Narren vergessen, der gestern dem unglücklichen Müller einer unschuldigen Aeußerung wegen an den Kopf geworfen wurde? Denkst Du, daß es nicht auffällt, wenn man schöne Frauen in einer Gesellschaft, die nicht groß ist, Minuten lang fixirt, und hernach eine halbe Stunde lang im Mondenschein mit ihnen schwärmt? Der kleine Müller sagte mir heute Morgen –«
»Wer ist denn nur dieser ewige kleine Müller?«
»Hast Du denn gestern Abend den blonden Jüngling mit den rothen Backen am Theetisch nicht bemerkt?«
»Der mit der blonden Dame, welcher nur noch ein rothes Band, mit einem Glöckchen daran, um den Hals fehlte, um sie vollkommen zu machen, so geistreich discutirte?«
»Eben der – also der kleine Müller erzählte mir heute Morgen, die ganze Stadt spreche von der Gnade, die Du vor der schönen Mrs. Durham Augen gefunden haben müßtest, denn bis jetzt hat sich noch keiner rühmen können, ihre Aufmerksamkeit auch nur vorübergehend auf sich gezogen zu haben.«
»Und warum erzählst Du mir diesen Klatsch?«
»Um Dich auf etwas aufmerksam zu machen, das Dir wahrscheinlich bei der Einseitigkeit Deiner Beobachtungen entgangen ist und ich vermuthlich auch nicht bemerkt haben würde, wäre ich nicht darauf hingewiesen worden. Ich achte sonst, wie Du weißt, auf dergleichen nicht. Eh bien! man hatte mir gesagt, daß Mr. und Mrs. Durham nicht allzuglücklich mit einander lebten und nach dem, was ich heute Morgen gesehen habe, muß ich gestehen, daß mir dieses on dit einigen Grund zu haben scheint.«
»Was hast Du gesehen?«
»Eigentlich nichts, wenn Du willst, und doch, wenn Du willst, sehr viel. Als ich kam, wurde ich von Mr. Durham empfangen und an das Bett des Kleinen geführt. In dem Zimmer stand noch ein Bett. Nach den Pistolen, die darüber hingen, zu schließen, war es Mr. Durham's – nebenbei höchst spartanisches – Lager. Ich untersuchte das Kind und wir sprachen dann, da es eingeschlafen war, in dem Fenster stehend, über eine halbe Stunde miteinander, und ich kann sagen, daß die Achtung, die ich schon gestern von Mr. Durham hatte, durch diese Unterredung noch um ein Bedeutendes vermehrt ist. Ich glaubte, daß Frau Cornelie ebenfalls erscheinen würde, aber keine Cornelie ließ sich sehen. Endlich fragte ich nach ihr. ›Mrs. Durham ist in ihrem Zimmer, glaube ich,‹ sagte Mr. Durham. ›Wollen Sie ihr einen Besuch machen?‹ Da ich nicht Mrs. Durham's halber gekommen war, so dankte ich und sagte: ich hätte Eile, und trollte mich.«
»Ich sehe in dem Allen nichts Absonderliches,« sagte Sven.
»So meinte auch vorhin der Laubfrosch, als er die Fliege verschluckte. Wir finden etwas, das uns convenirt, niemals absonderlich. Wer aber der Frau seines Nächsten den Hof macht –«
»Benno!«
»Ach was! ich bin Dein ältester Freund und wenn ich noch mit meiner Meinung hinter dem Berge halten wollte, so verdiente ich Stockprügel. Du machst dieser Frau den Hof, und wenn Du es noch nicht thust, so wirst Du es thun. Verlasse Dich darauf! Und was ich Dir ans Herz legen wollte, ist nun dies. Nimm Dich in Deinem Benehmen gegen Mrs. Durham wol in Acht. Mr. Durham versteht keinen Spaß und Mrs. Durham auch nicht. Das heißt: sie ist genau in den Jahren, wo die Frauen, besonders wenn sie nicht ganz glücklich sind, und oft selbst noch dann – sich nur selten eine Gelegenheit zur Intrigue entgehen lassen. Sie wissen: heute sind sie noch jung und morgen werden sie es nicht mehr sein; heute sind sie noch schön und alle Welt liegt zu ihren Füßen und morgen wird sie Niemand mehr beachten. Dies Bewußtsein ängstigt sie. Wenn sie noch irgend eine Forderung an das Leben zu haben glauben – und welche Frau, welcher Mensch, wenn Du willst, wähnte sich nicht der Gläubiger des Lebens und wäre es nicht auch im gewissen Sinne! – jetzt in der elften Stunde soll das Leben diese Forderung erfüllen. Jetzt fällt ihnen plötzlich ein, daß sie eigentlich noch nie nach ihrem rechten Werthe gewürdigt und niemals so geliebt worden sind, wie sie es verdienen. Nun schauen sie sich die Männer doppelt scharf an, ob sie nicht den Rechten entdecken können, den Mandatar, der Vollmacht hat, alle auf das Leben ausgestellten Wechsel einzulösen. Und glauben sie ihn nun gefunden zu haben, so wird ihnen Mann und Kind, Haus und Hof, und Alles, was ihr ist, gleichgültig, sie werfen mit der größten Kaltblütigkeit die ganze Mahlzeit zum Fenster hinaus um des einen einzigen Stückchen Zuckers Willen, das ihnen so süß erscheint und meistens einen so bittern Nachgeschmack hat. Und nun sehe ich Dir an, daß Du vor Ungeduld über meine Vorlesung aus der Haut fahren möchtest und schließe dieselbe deshalb mit dem Worte des Dichters: ein Zeisig war's und keine Nachtigall! Adieu mein lieber Sperber! heute Nachmittag kannst Du zeigen, ob Du scharfe Fänge hast. Stelle Dich nur pünktlich ein. Wir fahren mit dem Dampfschiff hinauf und mit einem Ruderboot zurück. Me miserum! es ist schon ein Viertel auf zwölf; die höchste Zeit, daß ich ins Colleg komme!«
Benno stülpte seinen Hut auf den Kopf und lief aus dem Zimmer.
Sven war froh, als er allein war. Die beiden Gespräche, mit Benno und seiner Wirthin, die sich, seltsam genug, ohne daß er eine directe Veranlassung dazu gegeben hatte, um Mrs. Durham und nur um sie drehten, hatten ihm für den übrigen Theil des Morgens vollauf Stoff zum Nachdenken gegeben.