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M an war mit dem Dampfschiffe den Fluß hinauf gefahren und in dem Städtchen am Fuße des Gebirges gelandet. Die Gesellschaft war sehr zahlreich, fast alle, die gestern Abend in Mrs. Durhams Salon versammelt gewesen waren: der Amerikaner, Dr. Müller, die junge Dame mit den blonden Locken und Andere, auch einige Engländer, Alte und Junge. Es wurde darüber berathschlagt, ob man den Berg hinauf reiten oder gehen wolle? und da natürlich keine Uebereinstimmung der Ansichten in diesem Punkte zu erzielen war, die Wahl einem Jeden anheimgestellt. Die Engländer zogen fast durchgängig vor, sich beritten zu machen. Ihnen schloß sich die junge Dame mit den blonden Locken an, da sie es sich äußerst romantisch dachte, in einer Cavalcade von Herren, die einzige Dame, stolz durch das Gebirge zu ziehen. Sie wünschte sich nur einen Falken auf die Hand, um das Bild vollkommen zu machen. Diese unschuldige Grille wurde ihr von Niemandem verdacht, mit Ausnahme des Privatdocenten Müller. Herr Müller war kein Reiter, war es nie gewesen. Das Reiten hatte für seine zart angelegte Natur sogar etwas entschieden Rohes, Gemeines, Widerwärtiges, Centaurenartiges. Er nannte das Reiten »eine Reminiscenz des barbarischen Mittelalters.« Herr Müller haßte das Mittelalter und was damit zusammenhing, wegen des Mangels an »logischer Präcision,« der Allem, was aus dieser Zeit stammte, anhaftete. Herr Müller docirte Logik und war modern vom Scheitel bis zur Sohle. Aber selbst die logischsten Köpfe können sich gegen die Wallungen des Herzens nicht immer ausreichend schützen und Herrn Müllers unlogisches Herz schmachtete in den Fesseln der Liebe – der Liebe zu jener romantischen Dame mit den Locken, die jetzt auf den barbarischen Einfall kam, sich einer Cavalcade langbeiniger Engländer auf kleinen Mauleseln anzuschließen. Herr Müller entschloß sich – mit lächelnder Miene, aber schwerem Herzen – ein stämmiges Pferdchen mit borstiger Mähne und unruhig blickenden Augen zu besteigen – das einzige, das übrig geblieben war, vermuthlich, weil es, mit hintenübergelegten Ohren, nach Jedem schnappte, der in seine Nähe kam. Die Cavalcade setzte sich in Bewegung, voran die Dame mit den blonden Locken; neben ihr und hinter ihr her Albions langbeinige Söhne, die sämmtlich von dem pretty girl entzückt waren, und es an etwas eckigen, aber wohlgemeinten Aufmerksamkeiten nicht fehlen ließen, und ganz zuletzt der Verächter des Mittelalters auf seinem widerspänstigen Pferdchen, das von Zeit zu Zeit in jene für den Reiter so äußerst unangenehme Bewegung gerieth, welche unter dem Namen »Bocken« allgemein bekannt ist.
Die übrige Gesellschaft folgte zu Fuß, im Anfang zusammenhaltend, dann aber je weiter man den Berg hinauf kam und je mühsamer der Weg wurde, sich in kleinere Partien trennend, indem die Rüstigeren oder Ungeduldigeren vorauseilten, die Schwächeren oder Bequemeren zurückblieben. Zu den Ersteren gehörten Mr. Durham und Benno, die den Uebrigen bald ganz und gar aus den Augen gekommen waren; zu den Letzteren schienen wenigstens Sven und Mrs. Durham zu gehören. Sven hatte sich, eingedenk der Strafpredigt Benno's, im Anfange von Cornelie fern gehalten – besonders auf dem Dampfschiffe, wo es überdieß unmöglich gewesen wäre, einer hundertäugigen Beobachtung zu entgehen. Und seltsam! Diese Zurückhaltung war ihm heute leichter geworden, als es nach dem überwältigenden Eindruck, den die schöne Frau gestern Abend auf ihn gemacht hatte, möglich schien. Er hatte Cornelie gestern beim Kerzenlicht und dem geisterhaften Schein des Mondes gesehen. Das war das rechte Licht für die stolze energische Schönheit dieser Frau und für ihren nicht krankhaften, aber blassen Teint. Die Sonne freut sich der frischen, wenn auch weniger schönen, Gesichter, freut sich der Jugend und der rothen Wangen, und hat selbst gegen Sommersprossen nichts, wenn sie nur durch ein schelmisches Grübchen in den Backen entschädigt wird. Sven bemerkte heute, daß Cornelie über die erste Jugend hinaus sei, daß Benno's scharfsinnige Bemerkung von der Schönheit, die über Nacht verblühen könnte, wirklich auf sie paßte. Freilich, sie war noch immer schön genug, und wenn der helle Tag vielleicht der sinnverwirrenden Macht ihrer Reize etwas raubte, so konnte wieder hier, im Freien, ihr wundervoller Wuchs zur Geltung kommen und die unnachahmliche Anmuth, mit der sie sich bewegte.
Diese Entdeckungen machte Sven, während man langsam den Berg hinauf stieg. Er hatte es stets so einzurichten gewußt, daß er einer von den Letzten war, damit es ihm immer vergönnt wäre, Mrs. Durham beobachten zu können. Sie war im Anfang bei der ersten Gruppe gewesen, nicht lange darauf war sie bei der zweiten, da kam eine Aussicht nach rechts über den Strom fort, die gar zu entzückend war und die sie noch genießen wollte, während die Anderen weiter schritten, so mußte sie denn notwendig von der dritten Gruppe eingeholt werden, bei der sich zufälligerweise auch Sven befand. Da beide mehr Sinn für malerische Schönheiten hatten, als die Uebrigen, so konnte es nicht ausbleiben, daß sie öfter stehen blieben, um sich hier einer Fernsicht zu erfreuen, dort eine Felsenzacke ganz in der Nähe zu bewundern, und sich so bald von den Andern verlassen fanden.
»Wir sind allein geblieben;« sagte Mrs. Durham.'
»Wir wollen etwas schneller gehen;« erwiederte Sven.
»Wenn Ihnen an der Gesellschaft nicht mehr liegt, wie mir, so bleiben wir in demselben Tempo.«
»Mir an der Gesellschaft etwas liegen? nicht das Mindeste; aber ich glaubte, Ihnen desto mehr, oder ich wüßte sonst nicht, weshalb Sie sich einen solchen Zwang auferlegten.«
»Es ist eine Grille von Mr. Durham. Er bildet sich neuerdings ein, die Einsamkeit mache mich hypochondrisch. Deshalb ladet er zu uns, was nur den Wunsch blicken läßt, eingeladen zu werden. Apropos, ich habe Sie gestern schon fragen wollen, Herr von Tissow, welcher glückliche Zufall Sie denn eigentlich zu uns führte?«
»Ein Zufall in der That,« erwiederte Sven, »ein Zufall, wie er zufälliger nicht sein kann« – und er erzählte das Abenteuer, zu welchem Benno's Leichtsinn die Veranlassung gegeben hatte. Auch vergaß er nicht, den Eindruck zu erwähnen, den Mrs Durham's Bild auf ihn hervorbrachte. »Ich habe in meinem Leben,« sagte er, »kein Bild gesehen, das mich so in tiefinnerster Seele ergriffen hätte.«
»Ja,« sagte Cornelie, »es ist ein sonderbares Bild; manchmal ängstige ich mich selbst davor. Ich möchte wissen, ob ich jemals wirklich so aussehen könnte.«
»Noch gestern Abend sahen Sie so aus, genau so – freilich nur für einen Moment, als ich das Gedicht von Poe gelesen hatte.«
»Wissen Sie, daß mir dieses Gedicht eben so unheimlich ist, wie jenes Bild, das ich kaum für mein Bild halten kann. Wie geht das zu? Das Gedicht ist doch so schön.«
»Ja, es ist die Schönheit eines Sonnenunterganges über einen Friedhof mit eingesunkenen Kreuzen und halb von Moos überwachsenen Steinen. Es ist die Schönheit eines Mädchens, dessen dunkle Augen in einem Lichte glänzen, das viel zu magisch ist für diese prosaische Welt. Es ist, mit einem Worte, die Schönheit des Todes, und das volle energische Lebensgefühl hat Grauen vor dieser Schönheit.«
»Aber ich hasse das Leben – wohin führt dieser Pfad, der hier rechts von dem Wege an der Felsenwand entlang führt?«
»Auch hinauf auf den Gipfel. Aber er ist nur für den betretbar, der gänzlich frei von Schwindel ist.«
»Lassen Sie uns diesen Pfad gehen!«
»Um alles in der Welt nicht.«
»Glauben Sie, daß ich das Leben hassen könnte, wenn ich mich vor dem Tode fürchtete? Kommen Sie!«
Und Mrs. Durham schritt den schmalen Pfad voran. Ueber ihnen erhob sich die Felswand lothrecht, unter ihnen fiel sie, viele hundert Fuß tief, lothrecht hinab. Sven war in früheren Jahren hier oft gegangen; er hatte nie eine Anwandlung von Schwindel verspürt; heute schnürte ihm unsägliche Angst die Brust zusammen, nicht für sich, für das schöne, wunderbare Wesen, das da, wenige Fuß von ihm entfernt, leicht und sicher über die Steinblöcke schritt, von denen jeder einzelne sie in die Tiefe reißen konnte. Als sie die gefährliche Strecke ungefähr halb zurückgelegt hatten, wendete sich Mrs. Durham um.
»Sie sehen blaß aus, Herr von Tissow,« sagte sie, und es schwebte etwas wie ein spöttisches Lächeln um ihre Lippen. »Fürchten Sie sich?«
»Ich mich? nein. Aber Sie wissen, daß eine Gefahr, die man selbst heiteren Muthes erträgt, schauerlich wird, wenn sich ihr Jemand aussetzt, der –«
»Nun, der –«
»Bitte, gehen Sie weiter; die Strecke ist gleich zu Ende. Nur noch um diese Ecke; es ist die schlimmste Stelle; halten Sie sich am Felsen fest, und sehen Sie nicht nach rechts in den Abgrund!«
Mrs. Durham schritt weiter, blieb genau an der von Sven bezeichneten Stelle stehen, und blickte, die Arme über der Brust verschränkend, in die Tiefe. Der Wind, der hier auf dieser luftigen Höhe freies Spiel hatte, wehte mit ihrem Gewande und peitschte den weißen Schleier ihres Hutes wie eine Flagge.
»O, hier ist es schön,« rief sie. »Hier fühlt man, daß die schwere Bürde des Lebens doch auch federleicht ist; fühlt, daß man sie abschütteln kann, wie eine seidene Flocke. O, wie das herrlich ist! Dies ist der glücklichste Augenblick, den ich seit langer, langer Zeit gehabt habe!«
Ihr Blick richtete sich mit einer Art von Gier in die Tiefe. Ihr Busen wogte. Sie zog den einen Handschuh von der Hand und warf ihn hinab, als wollte sie dem Tod ein Pfand hinschleudern, um das er mit ihr kämpfen könnte.
Sven konnte den Anblick nicht länger ertragen. Er umfaßte die schöne Gestalt mit starkem Arm und zog sie um die Ecke herum, einige Schritte, bis er die kleine Platte erreichte, auf welche dieser Felsenpfad mündete. Hier ließ er sie aus seinen Armen und sagte:
»Verzeihen Sie! ich vermochte dieses Spiel mit der Gefahr nicht länger mit anzusehen. Ich wußte, daß ich mir durch diese Kühnheit Ihren Unwillen für immer zuziehen könnte, aber ich wollte das immer lieber, als Sie vor meinen Augen in den Abgrund stürzen sehen.«
Cornelie hatte, während Sven zu ihr sprach, die Augen mit einem unerklärlichen Ausdruck auf ihn geheftet, regungslos dagestanden, nur daß ein leichter Schauer, wie ein Fieberanfall, durch ihren Körper zu zucken schien. Die dunklen Augen wurden noch dunkler, noch glänzender, und aus den dunklen Augen rollten zwei helle Thränen, denen bald andere und andere folgten. Sie wandte sich ab, setzte sich auf einen der großen, moosbewachsenen Steine, die hier und da auf dem Boden lagen, drückte ihr Gesicht in ihr Tuch und brach in ein leidenschaftliches Weinen aus, von dem ihr ganzer Körper krampfhaft geschüttelt wurde.
Sven's Bewegung war kaum geringer. Sein Herz war von Mitleid und Liebe zum Ueberfließen voll. Er warf sich vor der Weinenden auf die Knie; er suchte ihre Hände zu erfassen; er bat, er beschwor sie, ihm zu sagen, daß er sie nicht beleidigt habe.
»O, weinen Sie nicht! weinen Sie nicht so!« rief er, »dies ist noch fürchterlicher, als Sie am Rand des Abgrundes stehen zu sehen!«
«Lassen Sie mich weinen!« schluchzte die schöne Frau, »Sie wissen nicht, welche Wohlthat diese Thränen für mich sind.«
Sie wurde allmälig ruhiger; ihr Körper bebte nicht mehr, aber noch immer flossen ihre Thränen, wie ein Quell, der endlich die Schranken, die ihn hemmten, durchbrochen hat. Sven blickte sich ängstlich um, ob nicht eines Lauschers Ohr, eines Spähers Auge das Geheimniß dieses Auftritts entweihen könnte. Aber seine Besorgniß war unnöthig. Nach der Seite, von der sie gekommen waren, schiebt sich die Felswand wie ein Riegel vor, nach der andern Seite leitet der Pfad, rauh, mit Blöcken übersäet, kaum erklimmbar, durch dichtes Gebüsch weiter hinauf; hinter ihnen, lothrecht, ragt wol noch zweihundert Fuß und drüber, die steinerne Felsenmauer, die auf ihrer Krone die Burgruine trägt. Wenn man gerade über sich hinaufblickt, kann man sie eben noch, von dem tiefblauen Himmel scharf sich abhebend, erblicken. Die Platte, auf der sich Sven und Mrs. Durham befanden, ist wie eine letzte Stufe für den Fuß eines Riesen, der die steile Felsentreppe emporklimmt; groß genug, um sich auf ihr vollkommen sicher zu fühlen und doch so winzig klein in Verhältniß mit den gewaltigen Dimensionen rings umher, daß man in freier Luft zu schweben scheint. Nach vorn und nach den Seiten ist der Blick unbegrenzt. Unmittelbar unter uns fluthet der Strom, man glaubt einen Stein auf das Deck des Dampfers schleudern zu können, der mit ungeheurer Geschwindigkeit zu Thal schießt und weil man Meilen mit dem Blick umspannen kann, kaum von der Stelle zu kommen scheint. Nach rechts verfolgt das Auge den Lauf des sich in majestätischen Windungen umschlängelnden Flusses durch die weite Ebene bis zu der »heiligen Stadt« Köln; der Blick erfolgt vom Drachenfels im Siebengebirge, und die Universitätsstadt am »großen Fluss« ist Bonn, wo auch Spielhagen selbst studiert hatte. Das später genannte Dorf ist Königswinter. – Anm.d.Hrsg. an seinem Ufer; nach links ruht der Blick in der Nähe mit Entzücken auf der herrlichen Landschaft, wo Fluß und Insel und Ufer, Stadt und Dorf, grüner Weinberg und brauner Fels in wunderbarer Harmonie zu dem lieblichsten Bilde zusammentreten, das, über den engen Nahmen der Ufer hinauswachsend, in mächtigen Hügelwellen weiterschwillt, bis es am Horizont von blauen Bergen eingerahmt wird.
Wie still es ist rings umher! Das Geräusch der in das Wasser peitschenden Räder des Dampfers dringt nicht hinauf bis zu dieser Höhe. Drüben am Ufer bemerkt man die Pygmäengestalt eines Jägers. Er feuert auf ein Wild, das vielleicht aus dem Röhricht aufflatterte – man sieht deutlich das blaue Säulchen des Pulverrauchs – aber man hört nichts – nichts, als das Schwirren der Insecten in den Brombeersträuchen, die überall um uns her zwischen den Felsblöcken emporwachsen – das, und den lustigen Schrei des Falken, der hoch über uns, und hoch selbst noch über der Ruine, seine Kreise in den blauen Lüften zieht.
Sven sah nichts von diesem einzigen Bilde; er kniete vor der schönen Weinenden; er hielt eine ihrer Hände in der seinen; er sprach zu ihr gute, milde Worte, wie sie, dem Menschen selbst kaum bewußt, aus dem Herzen unerschöpflich quillen, wenn es von Liebe und Mitleid in seinem tiefsten Grunde erregt ist.
»Ja, weinen Sie, weinen Sie,« sagte Sven, »es ist besser so, viel besser, als die stumme Qual, die Ihnen das Herz zusammenschnürt und wie eine Märtyrerkrone auf Ihrer schönen Stirne liegt. Habe ich selbst doch noch heute Nacht Ihnen nichts Besseres zu wünschen gewußt, als Thränen: Ja, weinen Sie, weinen Sie! und wenn die finstere Wolke, die über Ihren Augen ruhte, weggethaut ist, dann wird Ihr Blick wieder klar werden, und Sie werden erkennen, wie reich das Leben trotz alledem und alledem ist und wie schön die Welt.«
Cornelie hatte das Tuch von den Augen genommen. Die Thränen hatten jede Spur von Härte und Stolz aus ihren schönen Antlitz gewischt, es war weich und mild, wie eines Kindes Antlitz. Ihr Auge vermied nicht Sven anzublicken., es sah ihn nicht; es ruhte voll und groß in der duftigen Ferne, als dämmere dort das Glück herauf, von dem die Stimme an ihrer Seite prophetisch sprach.
»Und wenn,« fuhr Sven fort, und seine Stimme bebte, »wenn Sie eines Freundes bedürfen, der nur den einen Wunsch hat, Sie glücklich zu wissen, der Alles daran setzen würde, Sie glücklich zu machen – o, so vertrauen Sie mir! Ich denke nicht an mich; ich will kein Glück für mich; und wenn mir in diesen Stunden ein solches Glück vorgaukelte, so war es ein Traum, der ausgeträumt ist. Eine Stimme in meinem Herzen sagt mir, daß ich Ihr guter Engel werden kann, wenn ich mit reinem Willen nach diesem hohen Ziele strebe. O, kein Priester hat je das Allerheiligste seines Tempels so behütet, wie ich Ihr Glück behüten und beschirmen will.«
»Mein Glück?« sagte Cornelie, und ein wehmüthiges Lächeln spielte um ihre Lippen. »Mein Glück? wo ist es? was ist es? weiß ich es doch selber kaum. – Lassen Sie uns weiter gehen!«
Sie erhob sich und ging schweigend ein paar Schritte.
»Herr von Tissow,« sagte sie, plötzlich wieder stehen bleibend.
Sven wandte sich.
»Geben Sie mir Ihre Hand!«
Sven ergriff die schöne Hand und wollte sie an seine Lippen ziehen.
»Nein, nein! nicht! ich bin dieser Huldigung nicht werth. Und dann: Sie sind ja mein Freund! Nicht wahr, Sie sind es? Sie wollen es sein?«
»Ja.«
»Ich danke Ihnen! o, wie sehr, wie sehr danke ich Ihnen!«
Sie drückte seine Hand mit inniger Wärme.
»Nun kommen Sie! Lassen Sie uns zu den Anderen zurückkehren.«
Von der Felsenspalte windet sich nach der andern Seite der Pfad durch dichtes Gebüsch steil in die Höhe. Er ist beschwerlich, aber ohne Gefahr zu gehen. Sven half Mrs. Durham über die schlimmsten Stellen hinweg, ein paar Mal mußte er ihr die Hand reichen, um sie empor zu ziehen. Aber gesprochen wurde kein Wort. Ehe Sven und die schöne Frau sich von ihrer Erschütterung so weit erholen konnten, um der Rede wieder mächtig zu sein, hatten sie schon die Höhe erreicht und traten aus den Büschen hinaus auf den freien Platz vor dem Gasthause, das auf dem Plateau unterhalb des eigentlichen Gipfels des Berges, der die Ruine trägt, erbaut ist. Hier fanden sie die Gesellschaft in so großer Unruhe, daß ihr Kommen kaum bemerkt wurde. Das kleine widerspänstige Pferd des Privatdocenten hatte sich, kurz bevor man auf der Höhe angelangt war, ganz plötzlich eines Andern besonnen und war mit seinem unglücklichen Reiter, der sich krampfhaft in den Mähnen festhielt, den Weg, den es gekommen war, zurückgaloppirt. Niemand hatte das scheue Thier aufzuhalten vermocht; einige der Reiter hatten sich sofort aufgemacht, den Flüchtling zu verfolgen. Man wußte nicht, ob es ihnen gelingen werde, ihn einzuholen und fürchtete, der Docent werde ernstlichen Schaden nehmen. Die junge Dame, deren romantische Grille die Veranlassung zu dem ganzen Unglück gegeben hatte, war sehr blaß; Benno suchte sie zu trösten, indem er der unmaßgeblichen Meinung war, der Docent werde ganz gewiß glücklich mit einem Arm- oder Beinbruch davon kommen. Da ertönte lustiges Geschrei den Weg herauf, und bald erblickte man die Reiter, welche dem Flüchtling nachgesetzt waren, in ihrer Mitte den Privatdocenten, der noch immer auf seinem widerspänstigen Pferde saß und nur der Sicherheit halber die Führung desselben zwei der jungen Herren anvertraut hatte, die das bissige kleine Thier am Zügel führten. Der Docent trug eine stattliche Krone von Eichenlaub, die ihm ein Spaßvogel statt des Hutes, welchen er bei seinem Sturmritt verloren, auf sein logisches Haupt gedrückt hatte. Die Damen klaschten bei diesem Anblick in die Hände, die Herren riefen Bravo! und die Dame mit den blonden Locken lispelte ihm, als er von seinem Renner, der voller Bosheit hinter ihm her schnappte, abgestiegen war, zu: »Du hast's erreicht, Octavio!«