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Philipp ging in seinem Arbeitskabinett ungeduldig auf und ab, setzte sich wieder an den Schreibtisch, drückte auf die Feder eines geheimen Schubfaches, nahm das Billett des Geheimrats heraus, eigentlich nur, um sich zu vergewissern, daß er sich in der Stunde nicht versehen; und da er das Blatt einmal in der Hand und sonst nichts zu tun hatte, las er es wiederum so sorgfältig durch, als ob er es zum ersten Male läse:
»Lieber Freund! Der Graf ist für uns von einer Wichtigkeit, die Sie noch immer zu unterschätzen scheinen. Daß er bis über die Ohren verschuldet, ist in meinen Augen für uns einfach eine Chance mehr; wir werden ihn um so billiger haben. Und haben müssen wir ihn. Die Schlappe, daß Fürst Prora sich definitiv weigert, als Mitbegründer zu fungieren, und sich höchstens je nachdem als simpler Aktionär beteiligen will, kann nur durch den Beitritt des Grafen einigermaßen ausgewetzt werden. Wir brauchen absolut einen hochadligen Namen nach oben und nach unten. Sie kennen den insularen Patriotismus nicht: Ein Leithammel muß erst vorangesprungen sein, freilich! Aber dann folgt auch die ganze Herde. Also, ein Königreich für den Leithammel! Das heißt in Zahlen ausgedruckt: erst einmal 50 000 Taler, die er, wie ich weiß, notwendig braucht, und die Sie oder Lübbener anschaffen müssen; sodann das Versprechen einer beliebig großen Anzahl goldener Berge, im Falle die Ostbahn zustande kommt – ein Fall, der schwerlich jemals eintreten wird; drittens – à conto der 50 000 und der goldenen Berge – das Versprechen seinerseits, auch in das Komitee einer Nordbahn zu treten. Ich werde heute abend alle Minen sprengen lassen und bringe ihn, unter irgendeinem Vorwand, den ich im Hereintreten affichieren werde. Lübbener muß auch zugegen sein, oder besser: später kommen – natürlich zufällig! Sollte ich den Grafen wider Erwarten vollständig obstinat und durchaus abgeneigt finden, den ersten Schritt zu tun, werde ich die Unterredung um neun Uhr abbrechen und komme dann allein.«
»P. S. Halten Sie sich ja an den jungen Werben! Er ist eine kostspielige Freundschaft – ich weiß es; aber wir dürfen jetzt die Kosten nicht scheuen und müssen das Verhältnis des Grafen zu den Werbens in jeder Weise begünstigen. Es wäre schön, wenn Sie uns ihn heute abend als Nachtisch servieren könnten; nur direkt einladen dürfen sie ihn nicht! Überhaupt bitte, im Auge zu behalten, daß das Ganze durchaus den Anstrich der Improvisation und des Zufälligen haben muß – Sie verstehen das ja!«
Philipp lachte in sich hinein, während er das Billett wieder einschloß: Ich denke, daß ich das verstehe.
Er wollte sich ungeduldig erheben, als die Flurglocke ertönte. Sofort ergriff er einige Papiere, die er zu dem Zwecke schon zurecht gelegt hatte, tauchte sogar die Feder ein und war überaus eifrig im Schreiben, als der Diener den Herrn Grafen Golm und den Geheimrat Schieler meldete.
Bitte die Herren, eintreten zu wollen, sagte Philipp über die Schulter, beugte sich über die Papiere und kritzelte weiter. Der Diener hatte den Herren bereits die Tür geöffnet, Philipp warf die Feder hin, erhob sich eilends, strich mit der Hand über die Stirn und sagte: Tausendmal Verzeihung! – hoffte, den Satz noch zu Ende zu bringen – die Relation, wissen Sie, Herr Geheimrat – Herr Graf Golm, ich schätze mich glücklich –
Wir stören Sie, lieber Freund, sagte der Geheimrat, aber ich hatte dem Herrn Grafen so viel von Ihrer köstlichen Galerie vorgeschwärmt, und da der Herr Graf nur auf so kurze Zeit hier ist –
Aber wir halten Sie von was anderm ab.
Von nichts, was mir interessanter und angenehmer wäre, Herr Graf, ich geben Ihnen mein Wort, ich hatte heute abend zufällig nichts vor, gar nichts – ich glaube sogar, ich wäre zu Hause geblieben.
Der Geheimrat drohte mit dem Finger.
Auf Ehre, Herr Geheimrat!
Philipp berührte die Glocke: Zünden Sie die Lampen in dem Salon an, auch in dem Speisezimmer! Und – Herr Graf, Herr Geheimrat – erweisen Sie mir die Ehre, mein frugales Junggesellenabendbrot mit mir zu teilen!
Keine Umstände, wenn ich bitten darf! sagte der Graf.
Verbieten sich von selbst, Herr Graf – ganz von selbst – darf ich die Herren ersuchen?
Der Diener hatte die Flügeltüren zum Salon geöffnet.
Sie haben schon hier einige sehr hübsche Sachen, wie mir scheint, sagte der Graf, der stehen blieb und sich in dem prachtvollen Arbeitskabinett umblickte.
Ein paar Kleinigkeiten, Herr Graf – was man so gern um sich hat –
Philipp hatte sich zu dem Bedienten gewandt, der eben in das Zimmer getreten war.
Das ist fatal. Da läßt sich eben ein Herr melden, der mich in einer dringenden Geschäftssache auf eine Minute zu sprechen wünscht –
Ich wiederhole meine Bitte – sagte der Graf.
Und ich protestiere noch einmal gegen jede gütige Rücksichtnahme, die in der Tat ganz unnötig – nur auf eine Minute –
Philipp komplimentierte die beiden Herren in den Salon, dessen Türen er hinter ihnen schloß.
Angenehmer Mann, dieser Herr Schmidt – sagte der Graf.
Nicht wahr? erwiderte der Geheimrat.
Der Graf ließ seine erstaunten Blicke durch das stattliche Gemach schweifen, dessen fast überreicher Bilderschmuck und sonstige prachtvolle Ausstattung in dem hellen Licht der Kronleuchter und Kandelaber sich freilich glänzend genug ausnahm.
Aber das ist fürstlich, sagte er.
Und doch nur ein blasser Schatten von der Pracht, die der Mann in seinem neuen Hause in der Wilhelmstraße entfalten wird.
Ich weiß nicht, erwiderte der Graf, dieser Luxus hat denn doch auch in den Augen von unsereinem etwas Deprimierendes. Im Gegenteil, sollte ich meinen, etwas Encouragierendes, sagte der Geheimrat. – Wenn Leute ohne Namen – oder gar mit einem solchen Namen – ohne Verbindung, ohne Vermögen von Haus aus – Herr Schmidt ist seines Zeichens einfacher Maurermeister – es in so kurzer Zeit zu solchen Resultaten bringen – was in der Welt ist euch Herren, die ihr so ungemessene Vorteile der Geburt, der Konnexionen und Protektionen, des ererbten Gutes vor ihnen voraus habt, unerreichbar, vorausgesetzt, daß ihr euch von gewissen, allerdings sehr ehrwürdigen Vorurteilen freimacht und frisch und fröhlich zugreift, wie es jene Leute tun.
Und was hat den Mann so heraufgebracht?
In erster Linie seine Intelligenz, Findigkeit und Energie, in zweiter einige glückliche Terrain- und Häuserspekulationen, die Hauptsache war freilich die Entreprise unserer Eisenbahn.
Jetzt ist mir auch erklärlich, weshalb eure Aktionäre fortwährend darüber lamentieren, daß ihr zu teuer gebaut, sagte der Graf mit einem ironischen Lächeln.
Philipp kam aus dem Arbeitskabinett, dessen Tür er wieder hinter sich schloß.
Ich fürchte, indiskret zu sein, sagte er mit halblauter Stimme, sich zum Grafen wendend, – aber ich habe die Unvorsichtigkeit gehabt, Ihren Namen zu nennen, und mein Geschäftsfreund bittet so dringend –
Wer ist es? fragte der Graf
Herr Hugo Lübbener –
Der Graf entfärbte sich ein wenig und warf dem Geheimrat einen schnellen, verstohlenen Blick zu, dem dieser unerschütterlich standhielt.
Mein Bankier, sagte der Graf.
Das hat er mir nicht einmal mitgeteilt! rief Philipp – dann darf ich doch gewiß –
Es wird mir sehr angenehm sein, sagte der Graf, ein wenig verdrießlich.
Das trifft sich ja wundervoll, lästerte der Geheimrat ihm zu, während Philipp durch die Tür, die er offen ließ, in das Kabinett rief: Nur näher, Sie Geheimniskrämer, Sie! Sollte wohl glauben, daß die Firma allein schon bei dem Herrn Grafen so gut akkreditiert ist –
Wie der Herr Graf bei der Firma, sagte Herr Hugo Lübbener im Hereintreten. – Nehme mir die Freiheit, Herr Graf, da der Herr Graf mir nicht die Ehre erwiesen –
Hatte bei Gott noch keine Zeit, rief der Graf, die Hand, die ihm Herr Lübbener etwas zaghaft bot, an den Fingerspitzen ergreifend, – eine Welt von Geschäften –
Kennen wir, die wir beständig in der Geschäftswelt leben, sagte Herr Lübbener, – nicht wahr, Herr Geheimrat? – Aber nun will ich, nachdem ich die Freude und die Ehre gehabt, auch nicht einen Augenblick länger –
Und er machte eine rückschreitende Bewegung nach der Tür. Der Graf warf einen Blick auf den Geheimrat, der die Augenbrauen in die Höhe zog.
Aber wenn Sie um meinetwillen – um unsertwillen gehen, Herr Lübbener – sagte der Graf; – wir sind hier, um die köstliche Sammlung unseres liebenswürdigen Wirtes zu bewundern –
Deren größter Bewunderer und Kenner Herr Lübbener selbst ist, fiel der Geheimrat ein.
Weil ich ein paar gute Sachen besitze? sagte Herr Lübbener; – du lieber Gott! Man muß wohl heutzutage die Kunst, oder vielmehr die Herren Künstler protegieren. Das Beste fischt einem ja doch Freund Schmidt immer vor der Nase weg. Gestern stand dieser Riefstahl bei Lepke im Fenster, heute hängt er natürlich hier. Was haben Sie nur gegeben, Schmidt?
Was glauben Sie?
In jedem Falle nur die Hälfte.
Philipp lachte, als ob er den alten Börsenwitz zum ersten Male hörte, der Geheimrat krähte wie ein alter, sehr heiserer Hahn bei Regenwetter, der Graf schien höchlich amüsiert.
Was wollen die Herren? rief er – ein solches Bild ist einfach unschätzbar.
Philipp hatte das Licht des Reflektors auf das Bild fallen lassen, das freilich nun erst seine ganze Schönheit enthüllte.
Wirklich magnifique! sagte der Graf.
Er war noch etwas näher getreten, so daß er selbst in den Lichtkegel geriet. Der Anblick des so hell erleuchteten Grafen mußte für die drei anderen Herren, die etwas zurückstanden, etwas besonders Komisches haben. Sie tauschten schnelle Blicke untereinander aus und verzogen sämtlich die Gesichter zu einem schadenfrohen Lächeln.