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Und darin hatte ich mich denn auch nicht getäuscht. An dem nächsten Tage und in den folgenden glich die Gesellschaft einem Ameisenschwarm, in welchen unversehens ein Maikäfer hineingefallen ist. Welches Rennen, welches Laufen, welches Zusammenstecken eifrig nickender Köpfe! welche Geschäftigkeit nagender, beißender Zungen! welche krampfhaften Anstrengungen, dem wunderlichen Gast von einer, oder besser von allen Seiten zugleich beizukommen! ihn, wo möglich im Interesse der Republik auszubeuten, mit Schnürrock, Troddelstiefeln, Barret und Dolman Männerjacke der ungarischen Nationaltracht., Haut und Haaren liebevoll aufzuessen! Wie heißt er? wo kommt er her? wo will er hin? wo liegen seine Güter? wie reich ist er? – Diese und unzählige gleich interessante Fragen schwirrten und wirrten unaufhörlich durcheinander. Der erste Punkt ließ sich mit Hilfe des Fremdenbuches zu einem befriedigenden Abschluß bringen, denn dort stand in großen, von einem prachtvollen Schnörkel untermalten Schriftzügen, deutlich für Jedermann zu lesen: Hernad, George, Comte de Saros-Patac. Die zweite Frage suchte mau, da man sie nicht füglich bis in die romantischen Puszten des geheimnißvollen Ungarlandes ergründen konnte, wenigstens so weit als möglich zu verfolgen, nämlich bis nach Fichtenau, von woher der Fremde zuletzt gekommen war. Und nach Fichtenau wallfahrtete denn nun die Gesellschaft in größeren und kleineren Trupps, um in dem Fichtenauer Fremden-Buche abermals Hernad, George, Comte de Saros-Patac zu lesen, und in der Fichtenauer Conditorei, dem Kurhause schräg gegenüber, von denselben Erdbeertörtchcn mit Schlagsahne zu essen, von welchen der Graf – nach Aussage des Conditors – während seines zweitägigen Aufenthalts ebensoviel Dutzend Exemplare mit außerordentlichem Appetit verspeist haben sollte. – Die Frage nach Wohin? mußte unbeantwortet bleiben, da der Graf die Reize von Tannenburg hinreichend groß fand, ihrer Erforschung einige Wochen seiner kostbaren Zeit zu widmen – zum nachhaltigen Entzücken Doctor Kühleborns, der jetzt den kahlen Kopf noch höher als zuvor trug, und Jedem, der es hören wollte, und Vielen, die es eben so gern auch nicht gehört hätten, erklärte, daß seit und mit der Ankunft des Grafen Saros der Weltruf seines Bades vollständig stabilirt sei. Von Doctor Kühleborn konnte man auch, wenn gleich mehr in geheimnißvollen Andeutungen und vagen Umrissen, als mit der wünschenswerthen genauen Detaillirung die übrigen Rubriken in dem Nationale des erlauchten Fremden ausgefüllt erhalten. »Stand«: Besitzer unterschiedlicher Güter in allen Theilen Ungarns, Reichthum also ungeheuer, wegen der vielen darin verwickelten Pferde- und Schafheerden aber auf den weiten Puszten schwer zu bemessen. Für die Feststellung der Rubrik: »besondere Kennzeichen« sorgte die argusäugige Gesellschaft selbst. Die Länge seines schwarzen gezwirbelten Schnurrbartes wurde allgemein, wie auch von mir, auf einen halben Fuß rheinisch geschätzt. Auch darin kamen Alle überein, daß seine Augen, wenn auch klein, so doch schwarz und glänzend waren, daß seine Augenbrauen über der Nase zusammenliefen, und besagtes Sinneswerkzeug mehr, als mit den Gesetzen regelmäßiger Menschenschönheit vereinbar schien, in der Mitte zusammengedrückt und nach unten zu in die Höhe gerichtet war. Außerdem kennzeichnete er sich den Damen durch ein Glas, welches er an einer seidenen Schnur um den Hals trug, und sehr oft in das rechte Auge klemmte – öfter als nöthig nach Aussage der Herren, die am Billardtische mit ihm zusammengetroffen waren, und die untrügliche Schärfe seiner Sehorgane, so wie die nie fehlende Sicherheit seiner Hand nicht genug zu rühmen wußten.
Doch dies waren Alles nur Beobachtungen, die auf der Oberfläche spielten, wie es von oberflächlichen Alltagsmenschen auch nicht anders zu verlangen war – in den geistreichen Cirkeln der Gesellschaft: in der Tafelrunde des Vicar von Wakefield, in dem Kreise, welcher sich um die schwarzäugige Frau Herkules und das habichtsnasige Fräulein Kernbeißer zu versammeln pflegte, wurden jene Themata psychologisch vertieft und in ihrer culturgeschichtlichen Bedeutung festgestellt. Lindau, der in seiner hohen Mission und Eigenschaft eines Prüfers und Kündigers der Herzen und Nieren, ein decidirter Parteigänger, und bald in diesem, bald in jenem Lager zu finden war, brachte die abenteuerlichsten Nachrichten aus beiden: wie das englische Kränzchen alles Ernstes überlegt habe, ob man jetzt nicht auch die ungarische Sprache in den Bereich der Studien ziehen müsse; wie die Fräulein Emma und Käthchen v. Pusterhausen sich gestern schon in schwesterlicher Eifersucht auf die Gunst des Fremden, der bis jetzt nur erst durch sein Augenglas mit ihnen gesprochen, die Augen beinahe ausgekratzt hätten; wie andrerseits zwischen Frau Herkules und Fräulein Kernbeißer ein ernstlicher Streit entstanden sei, indem die erstere behauptete, daß sie noch keinen schöneren Mann gesehen habe, als den Grafen, und überhaupt ein Deutscher auf diese romantische Erscheinung keinen Anspruch machen könne, während das alte Fräulein schwur, daß sie sechs Liebhaber gehabt habe, die sämmtlich Deutsche und alle schöner gewesen seien.
»O Gott, Gott,« seufzte der Dichter, während er mir am zweiten Tage nach Tische über einer Tasse Kaffe im Kurgarten diese Mittheilungen machte; »warum hast Du unsere Frauen so geschaffen, daß sie stets in der Fremde schweifen, während das Gute so nah liegt!«
»Sie können sich doch wahrhaftig nicht beklagen, Herr Lindau!« erwiderte ich; »Sie Auserwählter unter Tausenden, Sie Gebenedeiter der Damen! haben Sie es doch in zweimal vierundzwanzig Stunden dahin gebracht, daß Fräulein Kernbeißer gegen Sie nicht mehr die Krallen herauskehrt, und die langen Wimpern über den schwarzen Augen der kleinen Frau Herkules sich in einer Weise für Sie heben, die viel sagt.«
»Viel, aber nicht Alles, erwiderte der Dichter, indem er seine Fingernägel Revue passiren ließ; »sie hat fünf Augenaufschläge; ich bin erst beim dritten. Und dann, wie kann ich sie heirathen, trotzdem ihr feu Mr. Herkules ein hübsches Vermögen hinterlassen haben soll, da ich nicht weiß, ob ich in die Tochter nicht mehr verliebt bin, als in die Mutter.«
»Das Kind!« rief ich mit einem frommen Schauderblick auf den dreizehnjährigen Wildfang, der sich eben mit seinen jüngeren Geschwistern haschte, daß die kurzen Röcke nach hinten flatterten und die schwarzen Lockenhaare in der Luft flogen.
»Was wollen Sie!« sagte der Dichter; »dieser Menschenfrühling hat, wie der Frühling in der Natur, für jeden ächten Poeten einen unwiderstehlichen Zauber. Denken Sie an Dante's Beatrice, an Lord Byrons Janthe und nicht zuletzt an Horazens Matre Pulchra filia pulchior!«
»Nun, dann lassen Sie hören!« sagte ich, da ich bemerkte, daß der Dichter eine Bewegung nach seiner Brusttasche machte.
»Ich kann es Ihnen auch so recitiren Die Vorlag hat hier: »recticiren«; in SW 8, 1892, S. 91, korrigiert zu »recitiren«., es ist kaum eine Stunde alt; hören Sie!
Der schönen Mutter schön're Tochter Du!
Du holdes Bild der reinsten Jugendblüthe,
Jungfräulich' Kind mit Deinem Blick voll Güte,
Voll Leidenschaft und sel'ger Götterruh.
Ich habe Dich-in Deinem Glanz geschaut!
Nicht schöner ist der Strahl der Maiensonne,
Wenn sie die Erde küßt in Morgenwonne
Und Perlennaß von Rosenknospen thaut.
Was soll Dein Licht dem todesmatten Aar!
Ach! nimmer hört ihr seinen Schlachtruf klingen,
Scheu in dem Horste birgt er seine Schwingen
Der stolzen Kraft, des heitern Schmuckes baar.
Dem müden Auge wird Dein Glanz zur Qual!
Und doch! laßt mich die schweren Wimper heben,
Noch diese eine Stunde will ich leben –
Ich seh' die Sonne ja zum letzten Mal!
Lindau starrte düster vor sich hin. »Wie finden Sie es?« fragte er in schwermüthigem Ton.
»Süß!«
»Das glaube ich. Ich habe es heute bei Tische gemacht, während der Pudding servirt wurde, von dem die Kleine eine enorme Portion aß.«
»Und die unglückliche Mutter?«
»Sie wird sich in ihr Schicksal finden.«
»Und der Mond von gestern und die Sonne von vorgestern?«
Lindau lächelte.
»Sie sind untergegangen,« sagte er; »untergegangen für immer in dem Dunstkreis, der den ungarischen Pferdehirten umwittert. Da geht er hin. Der reine Schmitson Teutwart Schmitson (1830-1863), deutsch-österreichischer Genre- und Tiermaler, der vor allem als realistischer Maler von Pferden und Rindern in Erscheinung trat. - Sein Name bezieht sich im Text also auf die den Gemeinten umgebende Stallsphäre.!«
Graf Saros schritt eben durch den Garten nach dem Platz unter der Platane, der ein für alle mal, als der beste, den Amerikanern reservirt war. Wir sahen, wie ihm Mr. Cunnigsby ein paar Schritte entgegenging und mit großer Cordialität die Hand schüttelte. Auch die Damen reichten ihm, als er herantrat, eine nach der andern die Hand; die Mutter lächelte sehr gnädig: Miß Virginia schien ihn zu necken, während er sich zu Miß Ellen wandte, die den Kopf über den Arbeitskorb beugte.
»Reizender Anblick,« sagte Lindau; »Achill unter den Mädchen. Sehen Sie nur, wie die kleine braunäugige Pflanzerhexe mit dem Puszten-Jüngling coquettirt! Racenkreuzung-- das ist die Hauptsache.«
»Sagen Sie mir einmal Ihre aufrichtige Meinung, Herr Lindau! welchen Eindruck macht der Graf auf Sie?«
»Ich rieche Pferde, sobald er in meine Nähe kommt,« antwortete Lindau. »Auch hat er jedenfalls Zeit seines Lebens viel mit Pferden hantirt; sehen Sie doch nur seine Hände an. Ich halte etwas auf eine aristokratische Hand, respective Fuß. Man kann nicht sagen, daß der Graf auf einem kleinen lebt.«
»Er soll es auch nicht nöthig haben.«
Lindau zuckte die Achseln.
»Ungarn ist weit von hier, und wer weiß, ob unter den Pferden, die der Herr Graf, wie ich höre, gern vorreitet, nicht einige faule sind. Kühleborn hält ihn für reich, oder thut wenigstens so; aber vergessen Sie nicht, daß der Doctor ein Interesse daran hat, seine Gesellschaft so glänzend als nur irgend möglich herauszustaffiren. Was hat der Mann im Anfang, als noch weniger hier waren, mit mir gekrebst! Ich war der Dichter der Dichter, der größte Lyriker aller Zeiten! Dann kam Ihr Freund; halb Rügen sollte ihm gehören; der Fürst von P. sollte ein Betteljunge im Vergleich mit ihm sein. Dann kamen die Amerikaner: sie brachten Louisiana und Texas in ihren Portefeuilles mit; jetzt ist's das Gestirn des Grafen, das culminirt. Ihr Freund steht im Nadir Der dem Zenit genau gegenüberliegende Punkt der Himmelskugel.. Der arme Mensch – wenn Sie meinem sympathetischen Herzen diesen familiären Ausdruck gestatten wollen – thut mir leid. Er scheint es mit seinen Passionen schrecklich ernst zu nehmen, und die Hoffnungslosigkeit seines Falles ist jetzt wohl offenbar. Wie schnell man übrigens in jenem Quartier sich abnutzt, und wie mitleidslos man, wenn man aufgebraucht ist, weggeworfen wird, können Sie an dem armen Schelm, dem Bergfeld sehen. Eine ausgepreßte Citrone ist doch ein stolzer Anblick.«
Der Genannte trat eben zu uns. Er wagte sich gar nicht mehr in die Nähe des heiligen Baumes. Da er sonst nicht zu den besonders scheuen Menschen gehörte, mußte die Behandlung, welche er erfahren hatte, sehr schlecht gewesen sein.
»Was bringt Ihr, Fernando, so trüb und so bleich« »Was willst du, Fernando, so trüb und bleich?« Erste Zeile der Ballade »Columbus« von Louise Brachmann (1777-1822)., sagte Lindau, indem er, um dem Angekommenen Platz zu machen, seine Beine von dem dritten Stuhl an unserem Tische nahm.
»Sie haben gut spotten«, sagte der junge Kaufmann; »mir ist wirklich schlecht genug zu Muthe. Haben Sie nicht gesehen, wie sie mich bei Tische behandelt haben! nicht drei Worte haben sie mit mir gesprochen.«
»Es fiel allgemein auf«, bemerkte Lindau.
»Nicht wahr?« fuhr Bergfeld eifrig fort; »man mußte es wohl bemerken; dieser Wechsel des Betragens ist zu groß; aber ich werde es mir nicht gefallen lassen; ich werde Rechenschaft verlangen.«
»Wenn Sie Miß Virginia herausfordern wollen«, sagte Lindau, »so wählen Sie mich wenigstens zum Secundanten.«
»Ach, wer spricht von Miß Virginia«, erwiderte der junge Mann, ohne auf das faunische Lächeln, das unter dem blonden Schnurrbart des Dichters spielte, zu achten; »von Mr. Cunnigsby will ich wissen, woran ich bin. Ich halte es wenigstens nicht für Recht, zuerst die Freundschaft so weit zu treiben, daß man Geld von einem annimmt.«
»Hat man das gethan?« fragte ich erstaunt.
»Eine Kleinigkeit«, erwiderte der junge Kaufmann; »neulich auf der Tour nach dem Eiskopf. Der Wirth wollte das amerikanische Gold nicht annehmen; Mr. Cunnigsby wandte sich an mich, ich hatte gerade einen Hundertthalerschein in der Tasche« –
»Der sich viel stattlicher ausnahm, als ein Fünf- oder Zehnthalerschein, mit dem Ihre Zeche auch bezahlt gewesen wäre«, bemerkte Lindau.
»Nun ja«, sagte der junge Kaufmann; »ich gebe das zu. Und dann erinnert man sich an hundert Thaler, die man geliehen hat, eher als an fünf; aber freilich für solche Crösusse ist zwischen hundert Thalern und fünf kein Unterschied. Jedenfalls ist das aber kein Grund, zu thun, als ob ich nicht mehr auf der Welt sei, und mich zu den Partien, die ich früher immer arrangiren mußte, nicht einmal mehr aufzufordern.«
»Auch Patroklos ist gestorben«, murmelte Lindau.
»Wie sagten Sie?« fragte Herr Bergfeld.
»Ich meine, man bricht eben zu einer Partie auf, die Sie nicht arrangirt haben.«
Vor dem Kurgarten war die Chaise, die der Kurhauswirth an die Gäste zu verleihen pflegte, vorgefahren; die Gesellschaft unter dem heiligen Baum brach auf; Graf Saros war den Damen beim Umhängen ihrer Shawls und Mantillen behilflich; dann bot er Miß Ellen den Arm, wahrend der Jaguar seine Frau und Miß Virginia führte. So schritten sie durch den Garten, bestiegen den Wagen (der Graf setzte sich zu dem Kutscher), und rollten davon.
Es that mir leid, daß Egbert nicht Zeuge dieses neuen Beweises der so auffallend rasch wachsenden Intimität zwischen den Amerikanern und dem Ungarn gewesen war, indessen brachte jeder Tag, beinahe jede Stunde dergleichen. Bei Tische saß der Graf jetzt auf dem Platze, den ihm der arme Bergfeld so Hals über Kopf hatte räumen müssen. (Herr Bergfeld hatte an dem zweiten Tische ein Unterkommen gefunden, von wo er unverwandten Auges nach seinem verlorenen Eden starrte und in Folge dessen unter den Compotschüsseln und Saucieren ein solches Unheil anrichtete, daß keine Dame mehr neben ihm sitzen wollte.) Nach Tische Rendezvous unter dem heiligen Baum, oder Ballspiel mit den jungen Damen, während die glücklichen Eltern wohlwollend zuschauten; gegen Abend Spaziergänge in den Wäldern, sehr häufig Ausfahrten, aber immer »unter sich« mit strenger Ausschließung der übrigen Bade-Plebs. Und was diesem in den Augen eines unglücklichen Liebhabers schon hinreichend schauderhaften Treiben die Krone aufsetzte: es war augenscheinlich, daß der Graf Miß Ellen – Egbert's Ellen! – der braunäugigen, lebhaften und eigentlich nicht minder schönen Virginia vorzog. Er trug mit Vorliebe ihren Shawl; führte, wo es irgend ging, sie am Arm, richtete bei Tisch fast ausschließlich das Wort an sie.
Man hätte denken sollen, daß dies Alles genug und mehr als genug gewesen sei, um Egbert von seiner Leidenschaft zu heilen, aber so eine rechte Liebe ist wie ein alter Fuchs, der noch immer einen Ausweg findet, wenn der erfahrenste Teckelhund ihn schon verloren giebt.
»Ich will jede Hoffnung fahren lassen, ich will auf der Stelle abreisen, will thun, was Du willst«, rief er, »sobald ich sehe, daß sie die Bewerbungen dieses widerlichen Menschen irgendwie ermuntert, sobald Du mir beweisen kannst, daß sie auch nur einen Schritt thut, den nicht die ganz gewöhnliche Höflichkeit vorschreibt. Bis dahin will ich an sie glauben; so engelreine Züge können nicht lügen.«
»Aber, lieber Freund«, entgegnete ich, »was Du für Kälte hältst, ist vielleicht nichts weiter, als Resultat der Erziehung oder des Temperaments der jungen Dame, und beweist gar nichts dagegen, daß sie in ein paar Monaten, oder Wochen – was weiß ich! Gräfin Saros sein wird.«
»Möglich«, erwiderte Egbert; »aber das will ich eben abwarten. Ich will den Glauben an sie nicht aufgeben, bis nichts mehr zu glauben ist. Vorläufig laß mir meinen Glauben: so reine Züge können nicht lügen.«
Dabei blieb er, und vergebens, daß ich ihn beim Wort zu nehmen und das schöne Mädchen bei einem jener Schritte zu ertappen suchte, die Egbert von ihrem »Verrath« hätten überzeugen können. Ihr Betragen gegen den Fremden hielt sich in der That innerhalb der Grenzen einfacher Höflichkeit; ja, ich glaubte zu bemerken, daß sie in den letzten Tagen noch stiller und schüchterner geworden war, als vorher, daß sie wirklich nur geschehen ließ, was sie nicht hindern konnte, was sie vielleicht gern gehindert hätte. Und dann kamen Augenblicke, oder vielmehr Blicke der Augen, welche eine Beobachtung, die ich das erste Mal bei Tische gemacht hatte, zu bestätigen schienen, schnelle, verstohlene, sich alsbald wieder scheu hinter den langen Wimpern verbergende Blicke, die Niemand gelten konnten, wenn nicht Egbert, der düster und grimmig neben mir saß und von dem unberührten Teller das Schicksal seiner Liebe zu lesen schien.
Ich hütete mich natürlich, den Hoffnungsfunken, den ich hier und da in der Asche dieses sonst so hoffnungslosen Falles aufblitzen sah, in die Seele des Freundes zu werfen und so das Unglück noch größer zu machen, aber ich kann nicht leugnen, daß ich mit einer Art von Angst den Funken verfolgte und mit frommen Wünschen hütete und segnete. Die Sache war erstens, daß ich dem schönen Mädchen nicht nur nicht gram sein konnte, sondern in aller Stille und mit aller Ehrbarkeit, die einem Gatten und Vater ziemt, für sie schwärmte; zweitens, daß ich meinen braven Egbert aufrichtig liebte, und ihm von Herzen ein Glück gönnte, welches die gütigen Götter auf jeden Fall nicht für mich bestimmt hatten, und drittens, daß ich den Herrn Grafen Saros-Patac abscheulich fand, und in jeder Beziehung dieses Glückes vollkommen unwürdig erachtete.
Nicht, daß sich der Graf jene Insolenz, in welcher Mr. Cunnigsby Meister war, ebenfalls hätte zu Schulden kommen lassen! Auch er freilich suchte die Gesellschaft nicht, wies doch aber die jüngeren Herren, die sich an ihn drängten, nicht zurück, sondern nahm ihnen mit einer Herablassung, die jene gewiß zu schätzen wußten, eine Partie Billard nach der andern ab. Daß der Herr Graf seinen aristokratischen Gewohnheiten in diesen bürgerlichen Kreisen treu blieb, gern Wetten proponirte (die er regelmäßig gewann), auch Whist nicht gern den Point unter fünf Groschen spielte – konnte ihm am Ende Niemand mit Recht verdenken, da seine Opfer ja freiwillig und mit einer gewissen Wonne bluteten. Viel, sehr viel schlimmer war in meinen Augen seine Haltung, seine Miene, sein Lachen, der Ton seiner Stimme; – ich erzürnte mich ganz ernstlich mit Frau Herkules, die nicht müde werden konnte, von dem »romantischen Zauber« dieser Erscheinung zu sprechen.
»Ich bitte Sie, gnädige Frau«, rief ich, »im Namen alles Schönheitsgefühls und aller Aesthetik bitte ich Sie, sagen Sie mir, was Sie an dieser frechen Stumpfnase, an diesem öden Lächeln um die breiten Lippen, an diesen rapiden Zickzackbewegungen der langen Arme, an diesen unverhältnißmäßig kurzen Schritten der nicht minder langen Beine so Reizendes finden!«
»Darüber läßt sich mit Euch Männern nicht sprechen«, sagte Frau Herkules mit ihrem zweiten Augenaufschlage.
»Ich sollte doch denken«, meinte ich, »es läßt sich über Alles sprechen.«
Frau Herkules schüttelte den Kopf.
»Sie würden mich nicht verstehen, vielleicht auch nicht verstehen wollen. Man hört so schwer, wenn die Eitelkeit verletzt wird. Ich gestehe, daß ich mir diesen Mann kaum anders denken kann, als auf einem Steppenroß bei Sonnenuntergang über die Puszte jagend, oder in der Nacht mit Zigeunern um das Lagerfeuer liegend, und daß, wenn ich ihn mir so denke – aber noch einmal: es ist ganz vergeblich, so etwas zu detailliren. Es ist damit wie mit der Liebe; man liebt entweder, oder man liebt nicht; aber warum man liebt, oder nicht liebt, wer kann das sagen!«
Die älteste Tochter, Lindau's Maiensonne von vorgestern, kam herangesprungen. Sie trug einen Blumenstrauß an der Brust; ihre Wangen glühten, ihre dunklen Augen blitzten.
»Wie kamst Du zu den Blumen, Kind!« fragte die Mama.
Das Mädchen erröthete noch tiefer: »Er hat ihn mir geschenkt«, sagte sie mit schüchternem Stolz.
»Wie das?«
»Ich begegnete ihm am Teich, weißt Du, Mutter, wo der Gärtner wohnt; ich wollte ihn erst nicht nehmen, da hat er ihn mir selbst angesteckt.«
»Aber schlecht«, sagte die Mama, aus deren dunklen Augen der Widerschein des Stolzes aus den dunklen Augen der Tochter leuchtete; »ich will sie Dir anders arrangiren, und aus dem Strauß bleibt noch diese Aster für das Haar; so!«
»Wer ist ›Er?‹« wagte ich zu fragen.
»Das kann doch aber auch nur ein Mann fragen«, erwiderte die putzsüchtige Mama; »der Graf, mein Kind, nicht wahr?«
»Nun natürlich!« erwiderte das Kind, die vollen Lippen schürzend.
»Der schönen Mutter schön're Tochter Du!« murmelte ich, indem ich mich erhob; »es geht doch nichts über eine vernünftige Erziehung.«
Mein eigenes Verhältniß zum Grafen war sehr oberflächlich. Nur einmal, gleich in den ersten Tagen, hatten wir – ich weiß nicht bei welcher Veranlassung – mit einander gesprochen. Da ich bemerkt hatte, daß er das Deutsche nur sehr gebrochen sprach, glaubte ich ihm eine Höflichkeit zu erweisen, wenn ich ihn französisch anredete; er hatte mir ebenfalls auf französisch – und nebenbei in einem erbärmlichen Französisch – erwidert, daß ich ihm eine Gefälligkeit erweisen würde, wenn ich deutsch mit ihm spräche, da er sich längere Zeit in Deutschland aufzuhalten gedenke, und ihm viel daran gelegen sei, die Sprache des Landes so schnell als möglich zu lernen. Ich war natürlich seinem Wunsche sofort nachgekommen, aber es war bei einigen gleichgiltigen Phrasen geblieben. Seitdem schien er mich viel eher zu meiden, als zu suchen. Zwar grüßte er mich höflich, wenn wir uns auf den Treppen und Corridoren des Kurhauses, im Garten oder auf der Promenade begegneten; aber es war jene Höflichkeit, die deutlicher, als Worte sagt: »Sie thun mir einen unendlichen Gefallen, werther Herr, wenn Sie mir drei Schritte vom Leibe bleiben.« Ich hatte entschiedenes Unglück bei unsern hohen Fremden. Auch in meinem Verhältniß zu den Amerikanern hatte ich nach jenem ersten kühnen Anlauf nur Rückschritte gemacht. Mr. Cunnigsby blickte, so oft ich an ihm vorüber kam, durch mich hindurch in nebelhafte Ferne, und seine Damen schienen strenge Ordre zu haben, mich niemals in der Nähe, sondern ebenfalls in jenem fernen Nebelland zu suchen. Ich fing an, den Mann zu hassen, und erging mich, um meinem Hasse Luft zu machen, in Briefen an einen Freund in Berlin, der längere Zeit in dem Süden der Vereinigten Staaten gelebt hatte, in den heftigsten Schmähreden gegen die rebellischen Baumwollenjunker, und fragte, ob dieser Jaguar, den ich mit einigermaßen lebhaften Farben schilderte, nicht der wahre Typus der Race sei, von deren moralischer Verkommenheit er selbst so haarsträubende Dinge zu erzählen wußte.
Je tiefer ich mich aber in diesen Haß gegen den Mann hineinredete, der die Liebe des armen Egbert zu dem schönen Mädchen und nebenbei meine Eigenliebe so unbarmherzig unter die dicken Sohlen seiner Stiefel trat, und gegen jenen andern Mann, dessen ganzes Verdienst meiner Ansicht nach in seinem gewichsten Schnurrbart, seinem Schnürrocke und seinen fabelhaften Pusztenpferden lag, und der dessen ungeachtet die schöne Beute davonzutragen bestimmt schien – ich sage, je tiefer ich mich in den Haß gegen diese beiden Menschen hineinredete und hineinschrieb, um so wunderlicher wurde mir die Abgötterei, mit der sich die Badegesellschaft – ein paar Vernünftigere ausgenommen – unter die Räder der Götzen in den Staub warf. Und doch sollte dieser Fanatismus der Selbstentäußerung noch einer Steigerung fähig sein, wie ein merkwürdiges Ereigniß, das an einem der nächsten Tage eintrat, deutlich genug bewies.