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Achtes Kapitel.

Indessen mußte sich doch irgendwie Alles arrangirt haben, denn als wir nicht weit hinter Tannenburg die steilansteigende Chaussee langsam hinaufklommen, konnten wir, da wir die zweiten in der Reihe waren, die ganze Caravane an einer Stelle überblicken. Die Chaise mit den Amerikanern schloß den Zug; aber ich sah sie nur einen Augenblick, dann machte der vielfach sich schlängelnde Weg eine Biegung.

O du herrliche Fahrt durch das Waldgebirge im zauberhaften Licht eines Herbstnachmittags! wie gern denk' ich deiner, wenn in einem schattigen Zimmer ein bequemer Fauteuil mich umfängt! Wie hüpfte mir das Herz im Leibe bei den energischen Stößen des Leiterwagens, die ich, gerade über einer der Achsen sitzend, so zu sagen, aus erster Hand erhielt! wie nervenstärkend waren die electrischen Schläge, welche man in das Rückgrat empfing, sobald man einen Versuch machte, an der guirlandenumwundenen Leiter nach hinten eine Lehne zu suchen! welch' herzliches Gelächter erweckte es, wenn man, während der muntere Wagen über einen Stein hüpfte, seinem vis-à-vis in die Arme flog! Wie blendend schön war der Glanz der schrägen Sonnenstrahlen, die nicht müde wurden, mir auf der ganzen Fahrt direct in die Augen zu scheinen! wie tief poetisch der Gesang der Jünglinge des Kegelklubs, die, von der Situation begeistert, in folgerichtiger Ideenassociation »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten« unisono anstimmten! wie aufregend der Moment, als an einer abschüssigen Stelle des Weges der vierte Wagen, dessen feurige Pferde doch auch ein Vergnügen haben wollten, aus der Reihe brach und in rasselnder Eile an uns vorüberdonnerte, während die geängsteten Insassen – die Damen des englischen Kränzchens mit ihren Herren – ein Zetergeschrei erhoben, laut genug, alle seit zwei Jahrtausenden eingeschlafenen Dryaden des Waldes aus ihrem Schlaf zu wecken! O, du herrliche, herrliche Fahrt! man fühlte förmlich eine Enttäuschung, als du nach zwei Stunden, ohne daß ein romantischer Unfall eingetreten wäre, vor dem Chausseehause auf dem Nonnenkopfe, ein ganz gewöhnliches Ende nahmst!

Denn hier war die erste Station der Festfahrer. Vom Nonnenkopfe sollte nach dem Programm unter Vortritt der Musik und Führung des Herrn Winzig, den man zu diesem Zweck engagirt hatte, paarweise durch den Forst auf schmalen, nur dem Jäger bekannten Pfaden zur Landgrafenschlucht gezogen werden, wo über dem verlassenen Porphyrschacht der Stein sich erhob, dem die Feier des Tages galt. Den Rückweg wollte man in der Kühle des Abends zu Fuß machen über die Helenenquelle, auf einem ziemlich steilen, aber viel näheren Wege. Man war froh, die Wagen los zu sein, über deren mangelhafte Construction nur eine Stimme war. Das unglückliche Vergnügungs-Comité wurde mit Vorwürfen überschüttet; Dr. Kühleborn bewies vergeblich, daß eine Leiterwagenfahrt die gesündeste Motion von der Welt, und die Menschheit eigentlich erst krank geworden sei, seitdem man die Thorheit begangen habe, die Wagen in Federn zu hängen.

»Nun, meine Nerven werden dies sobald nicht verwinden«, sagte Frau von Pusterhausen, die sich, in Ermangelung eines ihrer würdigeren Platzes, auf einen Chausseestein gesetzt hatte; »Du kannst von Glück sagen, Käthchen!«

Käthchen war, als sie am Arm ihres Sängers durch die überfüllten Leiterwagen irrte, von dem Inhaber eines der zwei Einspänner, einem behäbigen Bremer Kaufmann, der in weiser Vorsicht dies Fuhrwerk schon gestern Mittag mit Beschlag belegt hatte, aufgefordert worden, das noch restirende Drittel seines Sitzes (zwei Drittel brauchte er nothwendig selbst) einnehmen zu wollen, und sie hatte dies Anerbieten angenommen, während sich der Sänger noch irgendwo auf einen Leiterwagen klemmte. Die Folge war, daß der Bremer, den man im Pusterhausen'schen Lager bis dahin gar nicht beachtet hatte, auf dem Nonnenkopfe der dankbaren Mutter in aller Form vorgestellt, und von derselben des gnädigsten Empfanges gewürdigt wurde. »Ich fürchte nur, Herr« –

»A. B. Meier«, sagte der Bremer, »Firma A. B. Meier und Compagnie.«

»Ach, danke! mein Gedächtniß ist so erbärmlich! ich fürchte, Herr Abemeier, mein Käthchen wird Sie sehr belästigt haben.«

»Im Gegentheil«, rief Herr A. B. Meier, »im Gegentheil, die Last ist ganz auf meiner Seite! zwei hundert Pfund Zollgewicht netto unter Brüdern!« und der joviale Bremer lachte überlaut, Frau von Pusterhausen lächelte, Fräulein Emma kicherte und Fräulein Käthchen schlug erröthend die Augen nieder.

»Spiritus flau, Leberthran begehrt« murmelte Lindau, der neben mir stand und eben so wie ich diese Scene beobachtet hatte; »meinen Sie nicht?«

Ich hatte nicht Zeit, die weiteren Coursnotirungen des Sängers abzuwarten, denn meine Aufmerksamkeit war bereits anderweitig in Anspruch genommen. Die Amerikaner, welche mit ihrer Chaise den Zug geschlossen hatten, waren eben angelangt. Der Graf, welcher neben dem Kutscher auf dem Bock gesessen, war herabgesprungen, den Damen beim Aussteigen behilflich zu sein; Mr. Cunnigsby verhandelte mit dem Kutscher, wie es schien, nicht zur Zufriedenheit des Mannes, der wiederholt den Kopf schüttelte und als der Amerikaner sich von ihm abgewandt hatte, ein Gesicht schnitt, während er langsam die Stränge abstreifte. Dies fiel mir auf. Die andern Wagen waren bereits wieder umgekehrt? oder im Begriff fortzufahren. Sollte der Amerikaner den Rückweg zu Wagen machen wollen, und so einen Plan, den ich heute Morgen mit Egbert verabredet hatte, vereiteln?

Ich suchte Egbert, konnte ihn aber nicht entdecken. Vielleicht war er schon vorausgegangen. Der Zug, in den unterdessen – Dank dem unermüdlichen Eifer Dr. Kühleborn's und seines Generalstabes – eine Art von Ordnung gekommen war, setzte sich eben in Bewegung, voran der Riese, als Führer, dann die Musik, welche: »Wer hat dich, du schöner Wald« blies; dann die Jünglinge des Kegelclubs, fahneschwenkend und unisono den Text zur Melodie singend, hinter ihnen die schönen Kinder der schönen Mutter, weißgekleidet und Blumenkörbe tragend, dann die übrige Gesellschaft, paarweise, die Amerikaner – was man sehr beifällig bemerkte – mitten darunter, Ellen am Arm des Grafen, wie ich nur noch eben flüchtig sah, denn ich hatte mich hinter ein paar krause junge Tannen gesteckt, ungeduldig harrend, daß der Zug ganz an mir vorüber gezogen sein würde.

Endlich waren die Letzten im Walde verschwunden, der Platz vor dem Försterhause war leer bis auf die Chaise der Amerikaner; der Kutscher stand bei den Pferden und kraute sich hinter dem Ohr, von dem er die Mütze geschoben hatte. Ich trat rasch auf ihn zu.

»Nun«, sagte ich, »und Sie bleiben hier, Christian? wollen denn die Amerikaner zurückfahren?«

»Sie wollen ja wohl«, sagte Christian.

»Haben Sie denn das gleich ausgemacht, Christian? Es schien mir, als ob Sie mit dem Amerikaner sich nicht einigen könnten?«

»Es war nichts nicht ausgemacht«, sagte Christian; »aber ich dachte, ich könnte auch zurückfahren, wie die Andern. Willst still stehen, Fuchs!« und Christian ließ seinen Peitschenstiel unsanft auf die Rippen des Sattelpferdes fallen.

»Und heute ist noch dazu Vor-Kirmeß, Christian; da wird gewiß in der Schenke getanzt; es wird spät werden, bis Sie zurückkommen.«

Christian warf einen verzweifelnden Blick nach dem Himmel, an welchem die heiße Nachmittagssonne schon ziemlich tief stand.

»Hören Sie, Christian«, sagte ich, »wenn vorher nichts ausgemacht war, sind Sie eigentlich gar nicht verpflichtet zu bleiben; es müßte Ihnen denn auf das Trinkgeld, das Ihnen der Amerikaner versprochen haben wird –«

Christian lachte höhnisch. »Ja Wohl, versprochen! ich habe aber noch keinen Groschen zu sehen bekommen, und fahre sie nun schon drei Wochen lang jeden Tag im Walde herum.«

Ich griff in die Tasche.

»Christian«, sagte ich; »ich glaube, Sie werden noch lange vergeblich auf das versprochene Trinkgeld warten. Jedenfalls sind fünf Thaler in Ihrer Hand besser, als zehn, die möglicherweise in des Amerikaners Portemonnaie stecken bleiben. Und nun machen Sie, daß Sie Ihre Pferde wieder angeschirrt bekommen, und trinken Sie heute Abend auf meine Gesundheit.«

Christian sah mich verblüfft an, kratzte sich mit der einen Hand hinter dem Ohr, ließ aber gleichzeitig aus der andern – der größern Sicherheit wegen – das Geld in seine Tasche gleiten, schob dann die Mütze mit einem resoluten Ruck zurecht, und griff den Pferden in die Zügel, sie wieder vor den Wagen drängend.

»Recht so, Christian«, sagte ich; »unser Einer will auch sein Vergnügen haben.«

Christian, der schon wieder auf dem Bock saß, grinste, hieb auf die Pferde und fuhr so schnell davon, als ob statt der Amerikaner sein eigenes böses Gewissen in der Chaise säße. Ich verfolgte den davonrollenden Wagen mit den Blicken, bis er hinter einer Waldecke verschwunden war, dann eilte ich dem Festzuge nach.

Von dem war natürlich nichts mehr zu sehen, aber ich hörte, wenn auch nur schwach und undeutlich, die Klänge der Musik. Ich hoffte, in zehn Minuten die Wallfahrer einzuholen.

Unglücklicherweise theilte sich der Weg. Ein Pfad führte durch den Hochwald bergab, ein anderer, an dem Rande des Waldes, hielt sich auf der Höhe, ja schien noch höher führen zu wollen. Ich schlug nach kurzem Besinnen den letzteren ein, da ich mich gehört zu haben erinnerte, daß der zukünftige, »Großfürstenstein« einer der höchsten Punkte der Umgegend sei. Freilich verstummte die Musik, nachdem ich kaum hundert Schritte gemacht hatte, aber sie konnten doch nicht »Wer hat dich, du schöner Wald« mit Grazie in infinitum spielen.

Schön war der Wald – das empfand selbst ich, so sehr auch mein Kopf in diesem Augenblicke mit anderen Dingen angefüllt war. Noch nie hatte ich ihn so schön gesehen, noch nie so tiefe satte Lichter auf den bemoosten Stämmen und in den dunklen Pyramiden der ehrwürdigen Tannen, noch nie so köstliche blaue Schatten in den Gründen, in die mein Blick von Zeit zu Zeit fiel. Und dann die märchenhafte Stille, daß es ordentlich ein lautes Geräusch machte, wenn mein Fuß auf ein vertrocknetes Zweiglein trat. Und dazu, in dieser kühleren Abendstunde nach dem heißen Tage, der würzige Harzduft, von dem der ganze Wald erfüllt war, wie ein Tempel von Weihrauch! und das melancholische Zirpen der Vögel – die einzigen Stimmen, die solche Stille nicht stören, die sie nur noch stiller, noch feierlicher machen! Ja, der Wald war schön, und das Leben war schön und die Liebe! Ich dachte der Gattin und der Kinder in der Ferne, und segnete sie mit meinem besten Segen! und dachte Egberts und seiner holden Geliebten, und wünschte ihnen von ganzem Herzen, daß sie so glücklich werden möchten, wie ich mich selbst in diesem Augenblick fühlte!

Aber jetzt hätte ich den Zug doch mittlerweile erreicht haben müssen. Wenn sie auch einen Vorsprung von zehn Minuten hatten, so war ich doch bereits eine Viertelstunde gegangen, und gewiß noch einmal so schnell, als der schwerfällige Zug mit seinen Musikanten, Fahnenschwenkern und blumentragenden Kindern.

Ich stand still, um mich zu orientiren. Der Pfad, auf dem ich mich befand, konnte, das sah ich nun wohl, nicht der rechte sein; indessen das Unglück war nicht groß. Ich mußte, wenn ich mich rechts durch den Wald schlug, auf den andern Pfad treffen, voraussichtlich direct auf die Wallfahrer, die ich jedenfalls schon überholt hatte, so daß ich bei demselben raschen Tempo gewiß die zwei Seiten des Dreiecks in derselben Zeit zurücklegte. Das Unterholz war nicht allzu dicht, der Boden allerdings fast überall mit Heidelbeerkraut fußhoch übersponnen, aber – es führt kein andrer Weg nach Küßnacht Schiller, »Wilhelm Tell«, dessen Monolog in IV, 3: »Durch diese hohle Gasse muß er kommen …« – und ich trat muthig in die Waldeshallen.

Anfangs ging es bergab – aber es mußte ja bergab gehen, der andere Pfad hatte auch bergab geführt; dann ging es bergauf, aber das war ein Glück, denn, wenn es immer bergab ging, konnte ich unmöglich auf den Großfürstenstein kommen, der doch bekanntlich einer der höchsten Punkte in der Umgegend war. Dann ging es wieder bergab, aber dergleichen launenhafte Terrainverhältnisse sind eben die Eigenthümlichkeit von Waldgebirgen; dann ging es wieder bergauf, – aber dies wird doch nachgerade zu arg! Zerklüftetes Urgestein, von nackten knotenreichen Tannenwurzeln, wie von Polypenarmen, umrankt; zwischendurch mächtige Farnkrautfächer, unter denen eine Quelle von den Felsen sickert und unten den schwarzen Waldboden, auf dem ich stehe, durchweicht! Da möchte man doch zu einer wilden Katze werden, um hinauf zu kommen! Und doch, wenn dies der Fuß des Großfürstensteines wäre, der eine Fuß, den er in den Wald setzt, während der andere auf der entgegengesetzten Seite, in der Landgrafenschlucht steht! Aber so müßte ich doch jetzt die Gesellschaft hören, zum wenigsten die Musik: wer hat dich du schöner Wald … ja wohl, ein schöner Wald, ein verhexter Wald! das ist nun schon das zweite Mal, daß er mich nasführt, und diesmal noch dazu unter höchst erschwerenden Umständen.

Ich zog meine Fuße aus dem Moorboden, in welchem sie zu versinken drohten, setzte mich in einiger Entfernung auf einen trockenen Stein und überlegte, was ich nun thun sollte. Das Zurück war nicht minder bedenklich, als das Vorwärts. Wer stand mir dafür – ich gewiß nicht! – daß ich in diesem Labyrinth von hinab – hinauf, hinauf – hinab den pfadlosen Pfad, den ich gekommen, wieder finden würde? Ueberdies war jetzt bereits eine Stunde vergangen, seitdem ich das Försterhaus verlassen, und man hatte höchstens zwei Stunden auf dem Großfürstenstein bleiben wollen, um noch mit dem letzten Abendlicht nach Tannenburg zurückzukehren. Traf ich also die Gesellschaft nicht bald, so hatte ich die Gewißheit, sie überhaupt nicht mehr zu treffen, und das würde mir des armen Egberts wegen sehr leid gethan haben. Die schöne, schöne Gelegenheit des Heimwegs durch den dunkelnden Wald – eine Gelegenheit, auf die wir so sehr gerechnet hatten und die uns doch ohne meine Dazwischenkunft entgangen wäre! Jetzt war es wieder möglich, sich an Ellen zu drängen, wenn ich muthig secundirte, und da saß ich hier im tiefen, tiefen Wald, verirrt, gefangen – es war zum Verzweifeln!

Ich sprang von meinem Sitze auf, und begann resolut die Felsenterrasse zu erklimmen, vielleicht, daß noch Alles gut ging, ich wenigstens, oben angelangt, einen Ueberblick über das Terrain bekam. Es war ein beschwerliches Stück Arbeit, viel beschwerlicher, als ich irgend gedacht hatte, und ging sehr langsam von Statten; denn die Höhe wurde immer schroffer. Der Schweiß rieselte mir von der Stirn in die Wimpern; meine Brust kochte und jetzt stand ich vor einer Felswand, die sich glatt und senkrecht wohl zwanzig Fuß über mir erhob. Dies geschah so plötzlich und der Eindruck der absoluten Unmöglichkeit, hier weiter zu kommen, war so überzeugend, daß ich in ein herzliches Gelächter ausbrach.

»Sesam, öffne dich!« sagte ich, indem ich mit meinem Stock gegen die Felswand pochte.

Aber, sei es, daß ich nicht den rechten Fleck getroffen, sei es, daß deutsche Berggeister auf arabische Zauberformeln nicht vereidigt sind – die Wand öffnete sich nicht, und es blieb mir nichts übrig, als zu sehen, ob sie nicht nach rechts oder links ein Ende nahm. Das that sie denn auch vernünftigerweise in einiger Entfernung, und das Steigen und Klettern begann von Neuem. Die Bäume fingen an, weniger hoch und dicht zu stehen, hörten endlich ganz auf und ich erklomm eine abschüssige mit Steinen und Heidekraut überdeckte Fläche und stand oben auf dem kahlen Gipfel des Berges. Keine Spur von einer Landgrafenschlucht, von einem Großfürstenstein; hier und da in der Nähe eine Lichtung, von deren einer Rauch aufstieg, sonst überall die dunkleren und helleren Wipfel des Waldes, und in der Ferne die ganze Kette des Gebirges, in der ich den Eiskopf mit seinem Thurm, den großen und kleinen Adlerberg, und andere mir bekannte Höhen unterschied.

Während ich die Felsen emporklomm, war es dunkler geworden; ich hatte in meinem Eifer nicht darauf geachtet, oder hatte es selbstverständlich gefunden, daß zwischen den Felsen unter den hohen breitkronigen Bäumen der Abend schneller hereinbrach. Jetzt blickte ich zum Himmel auf und sah, daß eine große, schwarze, an den Rändern ausgezackte Wolke schnell von Osten und zwar gegen den Wind, der sich plötzlich erhoben hatte, heraufzog. Der Wald wurde dunkel unter ihr, hier nur und da noch einige sonnebeschienene Stellen, die aber alsbald verschwanden, so daß nur ein einziges fahles Licht sich über das Wäldermeer breitete, dessen grüne Wellen jetzt zu rauschen begannen, während der Wind in eigenthümlich klagenden langen Stößen darüber hinstrich. Dazu leuchteten die fernen Höhenzüge, welche die Sonne noch traf, in beinahe unheimlichem Glanz, bis auch der urplötzlich erlosch, und in demselben Augenblick, unter gewaltigem Heulen des Sturmes, ein wolkenbruchartiger Regen niederfiel.

Hier war keine Zeit zum Besinnen. Ich eilte, was ich konnte, von der kahlen Höhe herunter, um unter den Bäumen wenigstens einigen Schutz vor dem Wetter zu finden. Dann, als ich dort angekommen, fiel mir ein, daß man nicht wissen könne, wie lange das dauern würde und daß ich doch wohl am besten thäte, den Rest des Tageslichtes zu meiner Rückkehr zu benutzen. Ich hatte mich noch, ehe ich den Gipfel verließ, überzeugt, daß der Rauch, den ich von der einen Lichtung hatte aufsteigen sehen, aus dem Schornstein des Försterhauses kommen müsse, und ich glaubte, die Richtung einhalten zu können. So eilte ich mit langen Schritten bergab durch den Wald, und hatte wirklich hier unten zwischen den dicken Stämmen weniger von dem Unwetter zu leiden.

Aber über mir tobte und ras'te die wilde Jagd. Die schwarzen Wolken streiften fast die hinüber und herüber schwankenden Häupter der Baumriesen, die, wie von Schmerz gefoltert, stöhnten und ächzten, während sie gegenseitig mit den knorrigen Riesenarmen auf einander losschlugen. Dazu prasselte und klatschte der Regen – ihr armen Kinder in euren weißen Kleidchen, dachte ich, wie wird es euch ergehen! Diesmal begünstigte mich der launische Geist des Waldes. Ich war kaum eine halbe Stunde immer querwaldein getrabt, als ich plötzlich, zu meiner nicht geringen Ueberraschung und Freude aus den Bäumen heraus auf den Platz vor dem Försterhause des Nonnenkopfes trat. In demselben Augenblicke mit mir langte, von der andern Seite kommend, die Gesellschaft an. Jupiter Pluvius! Die alten Römer riefen Jupiter Pluvius (»der Regnende«) zur Beendigung sommerlicher Dürren an. in welchem Zustande! helle Sommerkleider, bunte Bänder, kokette Strohhüte, nickende Federn, wallende Fahnen – Alles, Alles zu einem unterschiedslosen Grau zusammengeregnet – so drängte sie nach dem Försterhause, das, aus einer kleinen Gaststube, einer etwas größeren Wohnstube und einer rauchigen Küche bestehend, kaum dem vierten Theil der Eindringlinge ein kümmerliches Obdach gewährte. Ein kleiner Kuhstall und ein offener Schuppen bargen wohl auch noch einige Verzweifelte, aber das mußte auch dem Verzagtesten einleuchten: hier konnte die geschlagene Armee nicht Fuß fassen; sie mußte weiter zurück nach Tannenburg, das man in einer Stunde höchstens zu erreichen hoffen durfte, und nasser, als man schon war, konnte man auf keinen Fall werden.

Ich hatte eben mit einigen Herren, unter denen auch Egbert war, diesen Plan besprochen und den Vorschlag gemacht, daß die Musik mit »Wer hat dich du schöner Wald« wiederum voranziehen müsse, den Verzagten Muth zu machen, und den Muth der Muthigen zu erhöhen, als aus dem Hause her ein großer Lärm ertönte. Der Amerikaner schien eben erst von der kleinen Frau Winzig in sichere Erfahrung gebracht zu haben, daß seine Hoffnung, auf dem Nonnenkopfe den Wagen, in welchem er gekommen, wieder zu finden, durch das Verschwinden von Wagen, Rossen und Rosselenker illusorisch geworden sei. Sein Zorn war, wie unter diesen Umständen fast verzeihlich, sehr groß; er fluchte mit anerkennenswerther Geläufigkeit und verlangte in peremptorischem Ton für sich und seine Gesellschaft Zimmer. Natürlich konnte diesem Verlangen schon aus dem Grunde nicht gewillfahrt werden, weil nur überhaupt ein Zimmer disponibel, und dies eine noch dazu anderweitig besetzt war. Es hatte sich nämlich herausgestellt, daß die schönen Kinder der schönen Mutter in diesem Unwetter unmöglich weiter mitgenommen werden konnten, um so weniger, als das kleinste Schwarzauge – das der Regen im wildesten Spiel getroffen haben mochte – sich bereits erkältet hatte, und mit brennender Stirn und klappernden Zähnen in einer Ecke des überfüllten Gastzimmerchens auf einem eiligst improvisirten Lager fieberte. Die Stube mußte geräumt werden, an ein Unterbringen der Amerikaner war gar nicht zu denken, besonders da jetzt der Riese, der unterwegs seinem Lieblingsgetränke eifrig zugesprochen hatte, seiner Frau zu Hilfe kam, und dem scheltenden Amerikaner, wenn nicht in gutem, so doch in verständlichem Deutsch erklärte, er würde ihn und seine ganze »Bagage« zum Hause hinauswerfen, falls er nicht selbst – und zwar unverzüglich – für sein Fortkommen sorgte.

Einem so höflichen Ersuchen des Riesen nicht nachzukommen, mochte dem Amerikaner mißlich erscheinen, um so mehr, als einige Herren, die den letzten Theil des Streites mit angehört hatten, ihre Empörung über die Brutalität des Sclavenzüchters ziemlich unverholen zu erkennen gegeben. Daß ich zu diesen Herren gehörte (die andern waren Egbert und Lindau) brauche ich wohl kaum zu bemerken. Ich erlaubte mir, Mr. Cunnigsby auf englisch mitzutheilen, weßhalb er das Zimmer, das bereits von zwei Damen – Frau Herkules und Fräulein Kernbeißer – und vier Kindern besetzt sei, nicht haben könne; daß es mir freilich sehr leid thue, wenn seine Damen sich noch einmal dem Unwetter aussetzen müßten, daß dies aber genau der Fall sei, in welchem sich noch ungefähr dreißig andere Damen ebenfalls befänden, und daß er wohl thun werde, sich der Gesellschaft anzuschließen, die bereits im Abmarsch begriffen sei.

Der Jaguar sah mich an, als ob er die größte Lust verspürte, mich zu verschlingen, erwiderte aber nichts, sondern drehte sich auf dem Absatz um, seine Gemahlin mit sich fortziehend, während der Graf Miß Ellen, die während der Zeit blaß und zitternd daneben gestanden hatte, den Arm reichte, und Lindau mit jener Geistesgegenwart, die diesen frauenhaft gesinnten Mann so vortheilhaft vor andern jungen Männern auszeichnete, Miß Virginia, um die sich Niemand bekümmerte, seinen Arm bot, der auch ohne Zögern – so groß war der Drang der Umstände – angenommen wurde.

Ich hielt Egbert einen Augenblick zurück und sagte:

»Egbert, jetzt oder nie! In diesem Zustande des absoluten Durchgeregnetseins ist dem Menschen Alles möglich, das Schlechteste, wie das Beste. Ich habe gethan, was ich konnte; thue Du das Deine. Wenn das Wetter nicht nachläßt, und ich hoffe, es läßt nicht nach – wird der Rückzug nach Tannenburg zu einer Déroute Wilde Flucht (militärisch). werden, und da muß sich ein Moment finden, wo Du Dich Ellen als Ritter zeigen kannst. Dann weißt Du, was Du zu thun und zu sagen hast. Und nun komm!«

Egbert antwortete nichts; aber das war ein gutes Zeichen. Es war seine Gewohnheit, nicht zu sprechen, wenn er zum Handeln entschlossen war. Auch war sein Schritt, mit dem er jetzt, den Andern nach, über die Wiese vor dem Försterhause in den Wald eilte, so energisch, daß ich Mühe hatte, ihm zu folgen.

Wir holten bald die Gesellschaft ein, die sich auf einem breiten, aber sehr steinigen Wege nur mit Mühe fortbewegte. Das Wetter wüthete fort, ja es schien seine Wuth noch zu steigern. Das Krachen in den alten Tannen war wirklich entsetzlich; die Gefahr, von einem herunterfallenden Aste oder einem stürzenden Baume erschlagen zu werden, drohend genug; und die Lage der Gesellschaft in der That erbarmenswerth. Vor allen natürlich hatten die Frauen zu leiden, deren dünnes Schuhzeug längst durchgeweicht war, da wir fortwährend in Wasserbächen wadeten, während ihre langen triefenden Kleider, mit denen der Sturm spielte, ihnen das schnellere Vorwärtsschreiten unendlich erschwerten. Man mußte es den Herren lassen, daß sie sich rüstig und mit Aufopferung ihrer selbst der Bedrängten annahmen; nichtsdestoweniger kam der Zug nur langsam von der Stelle; die Dunkelheit brach erstaunlich schnell herein und wir hatten immer noch nicht den Rand des Plateau's erreicht, von welchem mehrere steile, aber verhältnißmäßig kurze Wege nach Tannenburg hinabführten.

Egbert und ich hatten uns fortwährend, so gut es gehen wollte, in unmittelbarer Nähe der Amerikaner gehalten; schon einige Mal schien der ersehnte Moment gekommen, wo Egbert sich Ellens hätte bemächtigen können, aber wenn der Graf auch hin und wieder den Arm des jungen Mädchens losgelassen hatte, um selbst besser fortkommen zu können, so war er doch immer dicht an ihrer Seite geblieben. Ich fing an sehr ungeduldig zu werden, Egbert blieb schweigsam, verwandte aber kein Auge von dem dicht vor uns schreitenden Paar.

Endlich traten wir aus dem Hochwald auf den kahlen Rand; aber nun traf uns auch das Wetter mit voller Gewalt. Ein wahrer Wolkenbruch goß auf uns herab, oder vielmehr wurde uns von der tollen Windsbraut entgegengeschleudert, während aus den Schluchten, in die wir hinab sollten, dichte Nebel uns entgegenwallten und den schwachen Rest von Tageslicht gänzlich auszulöschen drohten. Die Verwirrung wurde grenzenlos, alle Ordnung löste sich. Ein Theil der Gesellschaft flüchtete wieder unter die Bäume, während ein anderer den breiteren und sehr steinigen Fahrweg verfolgte, den wir bisher gegangen und der auch hier weiter hinab führte, und ein dritter Theil den Zurufen einiger des Weges kundiger Herren nach in einen Waldpfad drängte, wo die mannshohen Tannen wenigstens einigen Schutz versprachen.

Da sah ich Ellen unmittelbar an meiner Seite, allein, angstvoll um sich blickend. In demselben Momente war aber auch Egbert da. Ich ergriff beide Hände des Mädchens und sagte: »wollen Sie ihm vertrauen? er wird Sie sicher geleiten!«

Ein neuer Guß brach über uns herein, zugleich zuckte eine fürchterliche Helligkeit durch den Wasserdunst, der ein gewaltiger Donner folgte.

Ich mußte gerade in den Blitz hineingesehen haben, denn ich stand einen Moment wie geblendet; als ich wieder um mich zu blicken vermochte, sah ich Egbert und Ellen nicht mehr. Sie konnten nur in dem schmalen Waldpfad, der sich dicht vor uns aufgethan hatte, verschwunden sein.

Ich folgte ihnen nicht; was sollte ich auch bei ihnen? wenn sie sich jetzt nicht fanden, war Alles vergebens gewesen; auf jeden Fall konnte ich nichts mehr thun.

Es waren nur noch Wenige, die unter den großen Bäumen standen; die Amerikaner und der Graf waren nicht unter ihnen; sie mußten also bereits den Fußweg eingeschlagen haben. Das that denn auch ich, da ich meinte, daß Frau von Pusterhausen und ihre Töchter, die ich bei den Nachzüglern entdeckte, unter dem Schutze des Bremers und einiger anderen Herren (zu denen Lindau nicht gehörte) wohl ohne mich nach Hause kommen würden.

So begann ich denn den steinigen Weg hinabzusteigen, ohne mich eben sehr zu beeilen. Das Wetter hatte mit der furchtbaren Explosion augenscheinlich seinen höchsten Trumpf ausgespielt; es regnete zwar noch immer stark, aber doch mit einer gewissen Gleichmäßigkeit, die sehr angenehm gegen die ungestüme Raserei von vorhin abstach. Ueberdies war ich allmälig durch Alles, was ich heute Nachmittag erlebt, in eine Art von übermüthiger Laune gekommen, in der ich das Ganze und das Einzelne höchst ergötzlich fand, besonders die Copulation Egberts und Ellens auf der kahlen Haide am Rande des Waldes unter Donner und Blitz. Meine Gedanken weilten fortwährend bei ihnen. Ich kannte den Weg, den sie gingen, gut genug, um mir die Situation vollständig vergegenwärtigen zu können. Der Weg war schmal – so mußten sie nahe bei einander bleiben; an einzelnen Stellen steil und steinig – so mußte er ihr die Hand reichen, mußte sie sich auf ihn stützen. Das gab ihm gleich die köstlichste Gelegenheit, ihr seine Liebe gleichsam handgreiflich zu machen. Eine zartfühlende Frau weiß in solchen Situationen sehr bald den Mann, der liebt, von dem, der nicht liebt, und wiederum den Mann mit anmuthig-feinen Sitten von dem rohen Mann zu unterscheiden. Und dann werden sie ja doch auch sprechen. Er wird sagen: ich segne dieses Unwetter, das mir ein Glück verschafft – nein, das wird er nun just nicht sagen; aber etwas der Art. Und dann wird sie sagen – ja, was wird sie denn sagen? Wie lächerlich, daß ich mir darüber den Kopf zerbreche, als ob ich das Alles in einer Novelle zu schreiben hätte! Hop, heissa! daß ich keine zu schreiben habe, sondern hier im Walde umherlaufen kann, im lieben, nassen Walde, während da ein paar hundert Schritt weiter unter wirklichen Tannen eine wirkliche Novelle spielt! O ich Diplomat, ich Kuppler, ich Tausendsassa!

Und ich sprang und lachte, daß die Andern, von denen ich jetzt die Letzten erreicht hatte, sich verwundert umblickten. Die Amerikaner sah ich nicht; sie mußten schon einen zu großen Vorsprung haben; aber Jemand kam uns von unten herauf entgegen, eiligen Schrittes. Es war der Graf; er hatte vermuthlich Miß Ellen voran im Zuge geglaubt, hatte sie dort nicht gefunden, und suchte sie jetzt unter den Nachzüglern. Er kam dicht an mir vorüber; ich konnte deutlich trotz der hereinbrechenden Dunkelheit sehen, daß sein plumpes Gesicht von Eile und Aerger glühte. Ich hörte ihn dann nach kurzer Zeit wieder hinter uns herkommen, und sah ihn abermals an uns vorübertraben. Er kannte offenbar jenen zweiten Weg nicht, und wußte nun nicht mehr, wo er das Mädchen suchen sollte. Ich machte mir die Freude, ihm auf französisch zuzurufen, ob er etwas verloren habe? Er antwortete, was ich nicht verstand, – möglicherweise einen ungarischen Fluch. Ich lachte.

So ging es bergab, immer bergab. Der Regen ließ mehr und mehr nach. Die Gesellschaft, die jetzt sicher war, in wenigen Minuten unter Dach zu sein, fing an, den Humor von der Sache zu empfinden. Die Männer scherzten, die Damen, die bisher lautlos durch wahre Waldbäche gewadet waren, kreischten wenn sie jetzt über eine schmale Rinne springen sollten, und – wahrhaftig! da erschallte ja wieder aus den kunstgeübten Kehlen eines halben Duzend der Jünglinge des Kegelklubs unisono: »Wer hat dich, du schöner Wald!« –

So zogen wir lachend, scherzend, singend in Tannenburg ein und trennten uns auf dem Platze vor dem Kurhause, die Herren unter dem Versprechen, sich sobald als möglich in dem Speisesaale zu einer Bowle zusammenzufinden.

Ich hatte mich vergeblich nach Egbert umgeschaut. Vermuthlich war er schon vor mir angekommen, denn der Weg, den er gegangen, war der bei weitem kürzere. Gern hätte ich ihn sogleich aufgesucht, aber die Vernunft gebot denn doch, sich nach dieser wunderlichen Berg- und Wasserfahrt erst einmal umzuziehen.

In dem Kurhaus war ein großer Lärm. In allen Zimmern zu gleicher Zeit wurden die Klingeln gezogen, wurde nach warmem Wasser, nach Handtüchern, nach Thee und Arac gerufen. Die Noth war groß, denn der vielgewandte Louis fehlte überall, ein über Hals und Kopf aus dem Nachbarstädtchen verschriebener Kellner wußte nirgend Bescheid, und mit der guten tauben Alten konnte sich keiner verständigen. Ich half mir selbst auf meiner Mansarde so gut ich konnte. Meine Ungeduld, Egbert zu sprechen, ließ mich in kürzester Frist aus meinen nassen Kleidern in trockene kommen; dann eilte ich in den andern Flügel und traf Egbert in sehr derangirter Toilette, wie er eben mit seinem Stiefelknecht, der zu weit war und die durchgeweichten Stiefel nicht energisch genug faßte, in einem grimmigen Kampfe lag.

»Abscheuliches Thier!« schalt der Zornige, »welcher Esel hat dich gemacht! Ach, Fritz, sie ist schöner, lieblicher, als ich sagen kann, als ich mir je habe träumen lassen, daß ein Geschöpf auf Erden sein könne. So, nun bricht das Ungethüm noch entzwei – was sie gesagt hat? ich weiß es nicht; ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Bitte, schließe doch einmal die Kommode auf – nein, den obersten Kasten, links! – Wir sind einig. Sie wird nie einen andern heirathen, nie! – Gott, das ist ja ein Badetuch, ich sagte ja: links! danke! Nun mögen sie kommen, Alle, – ich will schon mit ihnen fertig werden. – Ob man uns gesehen hat? natürlich! wir trafen hier vor dem Kurhause zusammen. Ich sagte dem Alten: ich habe mir die Erlaubniß genommen, Ihrem Fräulein Tochter auf der letzten Strecke des Weges behilflich zu sein. Der Affe von einem Grafen, der auch da war, wollte sich wichtig machen und meinte: ich würde ein ander Mal besser thun, zu warten, bis man mich zu dergleichen aufforderte; ich sagte, ich wüßte sehr gut, was ich zu thun hätte, und er wäre sicherlich der Letzte, von dem ich Rath erbitten oder annehmen würde. Dieser Schuft! hätte er nur noch ein Wort gesagt, ich hätte ihn zu Boden geschlagen; aber er hielt wohlweislich sein freches Maul und trollte sich. Aber wir kommen noch einmal zusammen, und dann mag er sich vorsehen. So, nun bin ich fertig. Ich habe einen furchtbaren Durst. Wir wollen eine Flasche Champagner trinken; ich könnte ein Meer austrinken!«

Bei diesen Worten umarmte mich der gute Junge. Ich erwiderte die Umarmung von Herzen. Konnte ihm doch Keiner sein Glück mehr gönnen, als ich! hatte doch Keiner zu diesem seinem Glücke so viel geholfen als ich! dennoch, oder vielmehr gerade deshalb, konnte ich mich der Sorge nicht erwehren. Wußte ich doch am Besten, wie schwer es gehalten hatte, den Stein so weit zu wälzen und bis zum Gipfel hinauf war noch so mancher Schritt! Diese Siegesfreude schien mir frevelhaft voreilig. Ich dachte an die Furcht des Mädchens vor ihrem Vater, an die Brutalität dieses Vaters; auch den Grafen konnte ich nicht – in diesem Falle wenigstens nicht – für einen so verächtlichen Gegner halten. Er war reich und frech und besaß das Vertrauen der Eltern.

Ich machte Egbert auf das Alles aufmerksam, während wir über den Corridor nach dem Speisesaale schritten. Aber er wollte nichts davon hören. Wir hatten in seltsamster Weise die Rollen gewechselt. Ich, der ich immer zum Handeln gedrängt hatte, mahnte jetzt zur Vorsicht; Egbert, der Zweifler, der Fainéant, war auf einmal zum kühnen, siegesgewissen Ritter geworden.

»Was willst Du«, rief er, indem er die Hand auf den Drücker der Saalthür legte, »seitdem ich weiß, daß sie mich liebt, ist mir alles Andere gleichgültig.«

Im Saale ging es bunt her. Eine große Anzahl von Herren hatte sich bereits um einen langen Tisch zusammengefunden; jeden Augenblick kamen andere herzu, von denen, die schon saßen, mit Halloh und Lachen begrüßt. Manche Costüme waren in der Eile wunderlich gerathen. Auch das erweckte Scherz und Gelächter. Die sonst so decente Ruhe im Saale hatte heute Abend einem übermüthigen Lärmen Platz gemacht. Die wenigen Damen, die anfänglich noch zugegen gewesen waren, zogen sich bald zurück. Man unterhielt sich in burschikosem Ton. Die Kellner eilten ab und zu, dem immer neuen Rufen nach Champagner (dem einzigen Wein, der im Kursaale getrunken werden durfte) zu genügen. Man machte sich mit den gefüllten Gläsern von Tisch zu Tisch Besuche, um anzustoßen und die erlebten Abenteuer auszutauschen. Die Scene wurde mit jeder Minute lärmender.

Ich hatte mich mit Egbert gleich Anfangs an den größeren Tisch gesetzt, der zumeist von Jünglingen des Kegelclubs eingenommen war. Eine Hand legte sich auf meine Schulter; es war Lindau. Er schien mich sprechen zu wollen; ich stand auf, er zog mich geheimnißvoll in eine Ecke.

»Sie haben sich viel um die Amerikaner bekümmert», sagte er; »wissen Sie etwas Authentisches über Mr. Cunnigsby's Verhältnisse?«

»Nein«, erwiderte ich, »weßhalb?«

Der Sänger machte ein noch geheimnißvolleres Gesicht. »Sie kennen mich genug«, sagte er, »um zu wissen, daß ich kein Prahler bin; aber ich glaube, heute Abend alles Ernstes eine Eroberung gemacht zu haben. Sie sahen, daß ich oben auf dem Nonnenkopfe Miß Virginia meinen Arm bot; ich habe sie auf dem ganzen Wege nicht aus diesem Arm gelassen. Wir haben nicht viel mit einander gesprochen; mein Englisch begünstigt nicht eben eine sehr lebhafte Conversation; aber sie hat sich während des ganzen Weges auf mich gestützt, in einer Weise, für die es nur eine Erklärung giebt.«

»Ich gratulire, lieber Freund!« sagte ich.

»Danke!« sagte Lindau, »indessen, wie Wrangel im Wallenstein sagt: es sind so manche Zweifel noch zu lösen. Ich will für dieses Mal sicher gehen. Ich nähme ein paar Rittergüter in Deutschland lieber, aber ich bin auch mit einigen Zuckerplantagen in Louisiana zufrieden; nur, wie gesagt, sicher müssen sie sein.«

»Aber was wird Fräulein Käthchen dazu sagen«, rief ich lachend, »noch dazu nach dem Sonett von heute Morgen?«

»Käthchen ist für mich verloren«, antwortete der Dichter in seinem tragischsten Tone; »ein Mädchen, das sich Hals über Kopf in Leberthran stürzt, kann nicht das Weib Arthur Lindau's werden. Ich habe sie aufgegeben, oder sie mich, wie Sie wollen. Ich sehe, daß Sie ungeduldig werden: nur noch Eins. Der Graf, – da kommt er eben herein – ich habe seine Bekanntschaft ebenfalls nebenbei gemacht; er ist auf Ihren Freund sehr ungehalten. Ich gestehe, daß ich Egberts Benehmen gleicherweise nicht ganz zu billigen vermag. Man ist einem anerkannten Liebhaber einige Rücksichten schuldig, und sein Benehmen vorhin gegen den Grafen, als wir vor dem Kurhause zusammentrafen, war – um es milde auszudrücken – rücksichtslos im hohen Grade. Aber mon dieu, was ist denn das!«

Ich antwortete nicht, sondern eilte von Lindau fort nach dem Tische des Kegelclubs, wo meine Anwesenheit in hohem Grade nöthig schien. Man hatte sich von den Sitzen erhoben, man sprach, man schrie durcheinander. Ich sah, wie der Graf, der eben in den Saal getreten war, schimpfend und heftig gesticulirend vor Egbert stand.

»Lassen Sie Ihre Hände in Ruh'!« hörte ich Egberts helle und starke Stimme rufen; »oder ich schlage Sie nieder wie einen Hund!«

Ich wollte zwischen die Streitenden springen, aber schon war es geschehen. Egbert, dessen herkulische Kraft selbst unter seinen kräftigen Landsleuten sprichwörtlich war, hatte den Grafen, so lang und breit er war, mit einem Faustschlage zu Boden gebracht. Der Graf erhob sich sogleich wieder und sprang, ehe wir ihn aufhalten konnten, mit einem Wuthgeheul auf seinen Gegner zu, der ihn mit einem zweiten Faustschlage empfing. Der Graf stürzte abermals zu Boden, diesmal ohne sich wieder erheben zu können.

»Es thut mir leid«, sagte Egbert, »aber die Herren sind Zeugen, daß er es nicht anders gewollt hat.«

Ich hatte mich mit Lindau und einigen Andern bemüht, den Grafen aufzurichten. Er lag so starr da, daß ich einen Augenblick glaubte, Egbert habe ihn getödtet; aber dieser Schrecken war glücklicher Weise unnöthig gewesen. Nach ein paar Momenten schlug er die Augen auf, blickte wild umher und konnte sich, wenn gleich nicht ohne große Anstrengung, mit Hilfe Lindau's und der Andern in die Höhe heben. Ich war, als ich sah, daß ihm augenscheinlich kein ernsteres Leid, als was ich ihm von Herzen wünschte, geschehen war, zurückgetreten, da ich es für unschicklich hielt, als Egberts Secundant mich mehr als unbedingt nöthig mit seinem Gegner zu befassen.

Lindau und noch ein Paar führten den Grafen aus dem Saal, und die Thüre hatte sich kaum hinter der Gruppe geschlossen, als die bange Stille, die während des Kampfes selbst und der folgenden Ohnmachtsscene in dem Raume geherrscht hatte, einem großen Lärm Platz machte. Jeder wollte seine Auffassung der Angelegenheit zur Geltung bringen; doch hörte ich aus der babylonischen Verwirrung so viel heraus, daß man beinahe allgemein auf des Grafen Seite stand, und die schmähliche Behandlung einer so vornehmen Person als eine Art von Majestätsverbrechen ansah. Nur einige Brummstimmen behaupteten: der Graf sei zu brutal gewesen, Egbert habe sich das nicht bieten lassen können. Es sei gut, daß der Graf endlich einmal an den Rechten gekommen ist. Seine Unverschämtheit hätte schon längst eine Lection verdient.

Möglicherweise waren die Eigenthümer dieser Brummstimmen solche Jünglinge des Kegelclubs, deren Verluste an den Grafen beim Whist oder Billard das Maaß des Erträglichen überstiegen hatten.

Wenigstens behauptete Egbert das, als wir einige Minuten später auf seinem Zimmer angekommen waren. Er hatte sich eine Cigarre angezündet und rauchte, in der Sophaecke sitzend, als ob Alles in bester Ordnung sei, und ihn kein Mensch, noch ehe die Cigarre ausgeraucht, auf Tod und Leben gefordert haben werde.

»Ich wußte, daß es so kommen würde«, sagte er, »und bin deshalb doppelt froh, daß ich es nicht provocirt habe. Er stolperte über meine ausgestreckten Füße; ich bin überzeugt: mit Willen, denn, anstatt sich zu entschuldigen, wie es seine verdammte Pflicht war, wurde er sofort grob, und zwar in der gemeinsten Weise. Ich glaube, er hat gedacht, ich würde mich durch seine Bramarbasmiene einschüchtern lassen und ihm das Feld räumen. Jetzt wundert er sich vermuthlich schon darüber, wie sehr er sich verrechnet hat.«

Ich ging mit unruhigen Schritten auf und nieder, jeden Augenblick erwartend, daß es an die Thür pochen würde. Egbert hatte auch noch kaum die letzten Worte gesagt, als ich einen Schritt auf dem Corridor hörte. Ich öffnete die Thür, Lindau stand davor.

»Sogleich zu Ihren Diensten«, sagte ich, indem ich mich wieder in das Zimmer wandte.

»Es ist Lindau«, sagte ich zu Egbert.

» Bon,« erwiderte Egbert, »macht es ganz nach Belieben unter euch ab. Mir ist Alles recht.«

Ich drückte dem braven Jungen die Hand und ging hinaus.

»Ist es Ihnen genehm, daß wir die Verhandlungen auf meinem Zimmer vornehmen«, fragte Lindau.

Mir war durchaus nicht lächerlich zu Muthe, aber Lindau's diplomatischer Ton und zugeknöpfte Haltung hätten mich doch fast zum Lachen gebracht.

»Ich pflege nur die heiteren Dinge scherzhaft, die ernsten aber desto ernster zu nehmen«, fuhr er fort, während wir die Treppe hinaufstiegen, »und des Fall ist sehr ernst in jeder Beziehung und in jedem Sinne. Es ist mir ein Räthsel, daß sich der Herr Graf Saros-Patak nicht sämmtliche Rippen im Leibe zerbrochen hat: procumbit humi bos Virgil, Aeneis, Buch V, V. 481: » sternitur exanimisque tremens procumbit humi bos« (ausgestreckt und leblos fällt der Bulle zitternd zu Boden). – ich verstehe jetzt erst die onomatopoetische Schönheit dieses Verses. Auch ist er noch bis auf diesen Augenblick gewissermaßen im Dunkeln über seinen Zustand, da ihm beide Augen von den Schlägen, die übrigens mit bewunderungswürdiger Kunst beide Male auf den oberen Theil des Nasenbeins applicirt wurden, einigermaßen verschwollen sind, so daß ich kalte Umschläge verordnet habe. Aber, um in medias res zu kommen: mein Freund, der Herr Graf Saros-Patak, ist auf meine Vorschläge mit der anerkennenswerthesten Bereitwilligkeit eingegangen. Ich proponire also: gezogene Pistolen, zehn Schritt Distance, Rendezvous der Wald irgendwo, Zeit morgen früh, aber nicht zu früh, da ich nach solchen Strapazen gern ein paar Stunden länger schlafe.«

»Ich glaube, daß fünfzehn Schritt auch hinreichen würden«, sagte ich, »da mein Freund nicht nach Blut dürstet, und der Graf Ihnen die Feststellung der Bedingungen überlassen zu.haben scheint.«

»Keinen Zollbreit mehr;« erwiderte Lindau; »der Fall ist, oder sagen wir, die Fälle waren zu schwer. Ich habe nie einem Rencontre beigewohnt, wo die Notwendigkeit, daß Einer auf dem Platze blieb, so indicirt war.«

»Wenn Ihnen der Graf so nah stände, wie mir Egbert, würden Sie geneigter sein, die Sache in einem besseren Lichte zu sehen.«

»Verzeihen Sie«, erwiderte Lindau, »ich lasse mich in diesen Dingen nie von Gefühlswallungen bestimmen, obgleich Sie nach den Mittheilungen, die ich vorhin die Ehre hatte, Ihnen zu machen, leicht ermessen können, wie sehr ich in dieser ganzen Angelegenheit auch gemüthlich afficirt bin. Der Graf steht mir seit ein paar Stunden so nah, wie man sich, ohne blutsverwandt zu sein, überhaupt nur stehen kann.«

Ich wußte nicht mehr, was ich aus Lindau machen sollte. War ich mit ihm wirklich auf der Grenze angekommen, wo der Schalk aufhörte und der Narr anfing? Glaubte er alles Ernstes auf Miß Virginia einen so tiefen Eindruck gemacht zu haben? oder – was wahrscheinlicher, mindestens ebenso wahrscheinlich war – hatte die üppige Schönheit des Mädchens ihn wirklich um seine blasirte Ruhe gebracht? und spiegelte ihm seine Eitelkeit vor, daß es ihm ein Leichtes sein werde, eine Kokette an sich zu fesseln, und die Hindernisse, die sich mit der Verbindung der reichen Pflanzertochter mit einem vermögenslosen preußischen Kreisrichter entgegenstellten, aus dem Wege zu räumen? Glaubte er sich die Familie zu verbinden dadurch, daß er entschieden für den Grafen Partei ergriff, und den Nebenbuhler desselben unschädlich machen half? Aber wenn, wie ich wünschte und hoffte, das Duell einen für Egbert günstigen Ausgang nahm? –

»Mein Freund ist ein ausgezeichneter Pistolenschütze«, sagte ich; »und unendlich kaltblütig. Wenn ich ein Freund des Grafen wäre, so würde mich das Duell mit großer Sorge erfüllen.«

Lindau zuckte die Achseln. »Ich vermuthe, daß auch der Herr Graf mit Pistolen umzugehen versteht«, sagte er, » ad vocem Pistolen! Wie kommen wir zu diesem nothwendigen Requisit? Führen Sie welche mit sich?«

»Nein; Sie?«

»Ich glaube kaum«, sagte Lindau nachdenklich; »die Pistolen, zu denen ich gelegentlich kam, haben es niemals lange bei mir ausgehalten. Aber ich erinnere mich, gehört zu haben, daß der Posthalter hier welche hat. Vielleicht leiht er sie uns. Sollen wir einmal anfragen?«

Ich hatte nichts dagegen. Wir machten uns durch das dunkle Dorf auf den Weg nach der Posthalterei. Der Posthalter – ein Veteran aus den Befreiungskriegen – war sofort bereit, unserem Wunsche nachzukommen. Es hätten schon öfter Herren damit nach der Scheibe geschossen.

Der alte Schnauzbart humpelte in das Nebenzimmer und kam alsbald mit den Waffen zurück: einer riesigen Reiterpistole mit Pfannenschloß, und einem andern ganz kuriosen Instrument, das schon mehr Carabiner als Pistole war, und nach der sonderbaren Construction und der Ornamentirung zu schließen, einem sehr respectablen Büchsenschmied aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges seine Entstehung verdankte.

»Es sind mir schon hundert Thaler für die da geboten worden«, sagte der Schnauzbart triumphirend, aber ich gebe sie nicht dafür weg; und was die andere betrifft, die habe ich einem französischen Dragoner in der Schlacht von Waterloo, den ich vom Pferde hieb, abgenommen. Ja, ja, das ging heiß her an dem Tage!«

Lindau, der mit großer Aufmerksamkeit die beiden Mordinstrumente betrachtet hatte, sah mich jetzt fragend an.

»Ich denke«, sagte ich, »das weiland Eigenthum des französischen Dragoners in die Hand nehmend, »wir begnügen uns mit dieser hier.«

»Habe auch noch Kugeln und Pulver«, sagte der Alte; »es kommen öfter Herren zu mir, die ein wenig nach der Scheibe schießen wollen. Die Herren müssen sich nur vorsehen, der Abzug geht ein bischen schwer, und das war ein Glück, sonst hätte mich der Kerl unfehlbar todtgeschossen.«

Wir ließen den Alten gewähren, um keinen Verdacht zu erregen, und verabschiedeten uns dann unter vielen Danksagungen von ihm, die Reiterpistole nebst obligatem Kugelbeutel mit uns nehmend.

»Es wird uns nichts übrig bleiben«, sagte Lindau, als wir wieder durch die dunkle windige Nacht nach dem Kurhause zurückschritten, »wir müssen morgen nach S. fahren. Dort finden wir hoffentlich ein Paar, das noch aus diesem Jahrhundert stammt.«

Dazu war allerdings Aussicht, insofern S. bekanntlich eine einzige große Gewehrfabrik ist. Nichtsdestoweniger verwünschte ich Lindau's Einfall; ich hatte bereits an das Nichtvorhandensein von Waffen die Hoffnung geknüpft, das leidige Duell auf unbestimmte Zeit hinausschieben, vielleicht vereiteln zu können.

»Dann«, fuhr Lindau fort, »machen wir die Sache, denke ich, so, S. ist drei Meilen von hier. Wir können um Mittag dort sein; unsere Geschäfte werden uns nicht lange in Anspruch nehmen; wir diniren im Deutschen Hause, wo man nebenbei sehr gut speist. Wir nehmen den Rückweg über Fichtenau, wo wir um vier oder fünf eintreffen. Dort kann das Duell in aller Stille – so weit man bei einem Pistolenduell von Stille reden kann – vor sich gehen. Aerztliche Hilfe ist dort so gut wie hier; und sollte ja Einer auf dem Platze bleiben, was ich übrigens durchaus nicht wünsche, nun – nach meiner Philosophie stirbt es sich überall gleich schlecht. Ich werde also, wenn es Ihnen recht ist, den Wagen auf sieben Uhr bestellen. Gute Nacht.«

Der philosophische Dichter stieg die Treppe zu seiner Etage hinan; ich begab mich noch einmal zu Egbert, den ich in der Sophaecke in derselben Position fand, in der ich ihn zuletzt gesehen, nur daß die Tabackswolke um ihn her seitdem bedeutend an Dichtigkeit zugenommen hatte. Ich theilte ihm die Verabredungen mit, die ich eben mit Lindau getroffen. Er gab gleichgiltig zu Allem seine Zustimmung, wurde aber sofort beredt, sobald ich nur einmal Ellens Namen genannt hatte. Mit einem Feuer, das sein gutes Gesicht eigenthümlich verschönte, erzählte er mir nun ausführlich die Einzelnheiten seiner Liebeswerbung, wie sie anfangs beide kein Wort gesprochen, wie er sie nur immer geführt und gestützt und halb getragen habe, wie sie dann plötzlich in Thränen ausgebrochen sei, und wie er da angefangen, zu reden, er wisse selbst nicht mehr was, und wie sie zuerst nur immer stärker geweint, dann aber stiller und stiller geworden sei, und ihren Kopf zuletzt für einen Augenblick an seine Brust gelehnt habe.

»Ja«, rief er, »es war nur ein Augenblick, aber wenn ich hundert Millionen Jahre lebe, ich würde ihn nicht vergessen! Und da sollte ich einem solchen Affen, einem solchen grinsenden Pavian das Feld räumen! Ich will es zufrieden sein, wenn er findet, daß er mit den Schlägen, die er erhalten, sehr gnädig weggekommen sei, läßt er sie aber noch nicht in Ruhe, wagt er, seine frechen Hundeaugen noch immer zu ihr zu erheben, nun dann, so schieße ich ihn todt wie einen Hund, und ich glaube nicht, daß meine Gewissensbisse hinterher sehr groß sein werden.«

Ich kannte Egbert hinreichend, um zu wissen, daß dies seine ganz eigentliche Meinung von der Angelegenheit sei, und daß es mir gar nichts helfen würde, wollte ich versuchen, ihn für den Grafen milder zu stimmen. Ich wußte, daß von dem Augenblicke an, wo das schöne Mädchen ihm ihre Liebe zu erkennen gegeben, er sie als die Seine betrachtete, und, wie er selbst niemals von ihr lassen, so sie auch gegen eine Welt vertheidigen würde. Bescheiden in seinen Ansprüchen, aber mit felsenharter Festigkeit auf dem bestehend, was er einmal für sein gutes Recht erkannt, sich selbst und seinen Worten treu durch alle Schwankungen der Verhältnisse und alle Launen des Zufalls – so hatte ich ihn gekannt, als wir noch zusammen auf der Schulbank saßen, so hatte ich ihn damals geliebt; so fand ich ihn, so liebte ich ihn auch in diesem kritischen Augenblick.

Wir kamen auf alte Zeiten zu sprechen; er schien ganz vergessen zu haben, was mich noch so spät auf sein Zimmer geführt; nur an der liebevollen Pietät, mit der er bei jenen Erinnerungen weilte, an der ungewöhnlich großen Wärme, mit welcher er sodann über meine Verhältnisse, Aussichten, Pläne, über meine Frau und meine Kinder sprach, erkannte ich die tiefinnere Erregung seines edlen Herzens. Es war spät geworden, als wir uns endlich die Hände schüttelten und ich ihn verließ, um meine Mansarde aufzusuchen.

Als ich über den Platz schritt, der die beiden Flügel des Kurhauses trennte, sah ich zwei Männer in eifrigem Gespräch, das, als ich in die Nähe kam, verstummte. Auch drückten sie sich auf die Seite. Trotzdem und trotz der Dunkelheit hatte ich in den beiden Gestalten Mr. Cunnigsby und den Grafen erkannt.

Was hatten die Beiden jetzt die Köpfe zusammenzustecken? und noch dazu hier, auf dem windigen Vorplatz, in dunkler Nacht?

Diese Frage war ebenso einfach, als die Antwort schwierig. Etwas Gutes war es sicher nicht, über dem diese edlen Seelen brüteten. Das war mein letzter Gedanke, bevor der Schlaf auf die Wimpern des von den mancherlei Strapazen dieses ereignißreichen Tages gänzlich Erschöpften sank.



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