Der Jesuit
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Sie verließ heiterer, erleichterter den Vater. Die Dämmerung war schon eingebrochen. Die Türe ihrer Mutter war verriegelt. Das Dienstmädchen berichtete, die Frau Senatorin hätte Tee begehrt und hierauf das Zimmer verschlossen, um ruhig zu schlafen. Die alte Marthe wache an ihrem Lager.

»O welch eine Zerstörung alles häuslichen Friedens!« seufzte Justine, da sie an dem offenen Eßzimmer vorüber ging, das, verödet, vom blassen Mondlicht erhellt, die gemütlichen Abendgäste nicht aufwies, die sich vorzeiten wohl öfters darinnen einfanden. Justinens Schritte wurden schneller, als sie an der verschlossenen Türe des Zimmers hinschlüpfte, welches der verstorbene Birsher eine Nacht hindurch bewohnt hatte. Mit beengtem Atem betrat sie ihr eignes Zimmer. Die Lainez saß darinnen, lesend, und erhob sich bei Justinens Ankunft.

»Sie blieben recht lange, meine Verehrte,« sagte die Französin mit einem freundlichen Vorwurfe im blühenden Gesichte. »Die Pflicht allein, mein Amt in Ihre Hände niederzulegen, stärkte mich mit Geduld. Hier, meine Beste, ist all das kostbare Silberwerk, das man in der Verwirrung auf der Tafel gelassen – eine Beute für jeden kecken Dieb. Zählen Sie die Stücke, Mademoiselle. Ferner empfangen Sie die Schlüssel zu Speisekammer und Keller, die Sie mir anvertrauten, und entbinden Sie mich meiner Verantwortlichkeit.«

Justine küßte die Hilfreiche dankbar auf die Wange, erstaunte aber, als diese nach dem Mäntelchen und den Handschuhen griff. »Wollen Sie nicht bei mir bleiben?« fragte Justine verwundert, »ich bat Sie ja, mit unserm Hause vorlieb zu nehmen.« »Ach, diese Güte! meine beste Jungfer, darf ich sie annehmen! Besinnen Sie sich wohl. Welche Figur würde ich in Ihrem Hause darstellen, worein ich so unvermutet, unvorhergesehen kam? Das Staunen Ihres Vaters, der gar nicht ermutigende kalte Empfang Ihrer Mutter, das Glotzen der Domestiken ... Ach der Spott dieser letztern, bei allem, was ich anordnete – und ich verstehe doch, ein anständiges Haus zu verwalten – er schnitt mir ins Herz. Seht doch die Französin! hieß es rings um mich, und ich hatte Mühe, meinen Verdruß zu verbeißen; ein Unglücklicher ist ja doppelt reizbar! Erlauben Sie daher, daß ich Ihr freundliches Anerbieten ausschlagen darf.«

»Ei mit Nichten,« versetzte Justine sehr erbittert, »Sie erzählen mir da von Schändlichkeiten, denen ich ein schnelles Ende machen werde. Verzeihen Sie, liebe Frau, unserm dummen Mägdevolk vom Lande, dem alles lächerlich vorkommt, das nur ein wenig aus dem Geleise schreitet, welches diese Gänse Tag für Tag auszutreten gewohnt sind. Morgen sollen sie schon ernsthafter sein – ich stehe ihnen dafür. Sie kennen mich, und wissen, wie man mit mir fährt, wenn ich ungnädig bin. Ich verstehe die Mittel, solch unbescheidenes Gesindel zur Ordnung zu bringen. Nein, Madame, Sie müssen bleiben, meine Ehre steht auf dem Spiele; denn, was ich mir einmal vorgenommen, muß ich durchsetzen ... und wenn ...! Lächeln Sie nicht; man nennt mich allgemein die tolle Justine, und manchmal hat man recht.«

»Welche kindliche Naivität!« rief die Lainez und streichelte Justinens Hände, »eine Königin, so schön, so liebenswürdig, so lebhaft wie Sie auf Frankreichs Throne, und meine Landsleute würden Sie vergöttern!«

Justine sah Plötzlich mit großen und sehr unmutigen Augen in die Höhe. »Warum nicht gar?« sagte sie kurz abbrechend, »welche Schmeichelei! Sie können Ihr Vaterland nicht verleugnen, Madame Lainez!«

Die Französin war betreten, dann erwiderte sie mit dem schmachtenden Augenaufschlag, den sie vollkommen in der Gewalt hatte: »Verzeihen Sie, Mademoiselle. Entschuldigen Sie die fade Uebertreibung, womit sich mein Mund versündigte, mit der herzlichen Anhänglichkeit, die ich für Sie hege, und die etwas Besseres sagen wollte.«

Justine bereute schon das harte Wort und glaubte um so leichter dem Bittworte. »Das lasse ich mir gefallen,« sagte sie, der Lainez versöhnt die Hand reichend, »lernen Sie immerhin in Deutschland, das Ihr zweites Vaterland werden soll, sich deutscher aussprechen.«

Sie zog die Witwe vertraulich neben sich auf einen Stuhl und fuhr fort: »Hören Sie, wie ich mir alles, was Sie betrifft, klar und bar ausgesponnen habe. Sie bleiben vorderhand bei mir – unter dem Schutze Ihrer Königin,« setzte sie lächelnd bei. »Aber leider kann dieser unmittelbare Schutz nicht lange dauern, da mein eigenes Schicksal eine rasche Wendung nehmen, mich für immer von hier entfernen wird. Daher – nebenbei gesagt, darf Ihnen vor Vater und Mutter nicht bange sein; ich heiße Justine und stehe für alles – daher lasse ich an einem der nächsten Sonntage unsre Karosse einspannen, und bringe Sie, meine gute Frau, nach einem Städtchen in der Nachbarschaft, wo eine alte Base meines Vaters lebt; etwas taub, etwas stumpf, aber wohlhabend, gottesfürchtig, und mir mit uneigennütziger Liebe ergeben, ob sie gleich eine veraltete Jungfer ist. In ihrem Hause erhalten Sie Kost und Wohnung, und besuchen fleißig den Pfarrer der wallonischen Gemeinde in jener Stadt, wenden sich von der aufgedrungenen Religion zu der angebornen, und treten, da hoffentlich Ihr Wille ernstlich ist, öffentlich in den Schoß Ihrer Gemeinde zurück. Sind Sie so weit gekommen, so bedürfen Sie meiner Unterstützung nicht mehr. Ihre Verwandten zu Berlin werden Sie alsdann mit offenen Armen aufnehmen; mir bleibt das Bewußtsein einer rechtschaffenen Bemühung, und Ihnen, so Gott will, ein freundliches Andenken an ein unbedeutende« Mädchen, das man böse nennt, das sich aber schmeichelt, von Herzen gut zu sein.«

Die Lainez umarmte das zauberische Geschöpf mit Tränen in den Augen. »Ich bin Ihrer Wohltaten nicht würdig,« sagte sie, das Gesicht an Justinens Busen verbergend; »wo werde ich jemals ein Gemüt wie das Ihrige wiederfinden?«

Justine hielt ihr den Mund zu. »Wo werde ich jemals – –?« parodierte sie, aber aus dem Scherze wurde Ernst. Sie ließ den Kopf sinken und wiederholte langsam: »Wo werde ich jemals finden, was mir Glück bringt? Ach meine Liebe, ich habe heute ein recht traurig Gemüt, und meine Seele ist müde, wie mein Körper. Ich will gehen und den Vater fragen, ob er noch etwas wünscht. Dann wollen wir zu Bette. In jenem Kabinette habe ich Ihr Lager aufzuschlagen befohlen.«

»Heute noch nicht,« bat die Lainez, »ich habe zu Hause noch einiges zusammen zu räumen und zu packen. Morgen, wenn Sie's erlauben, will ich Ihrem Anerbieten nachkommen.«

»Ich werde Ihnen keinen Zwang auferlegen,« sagte Justine, wiewohl etwas verdrießlich, »morgen also. Aber es ist schon nahe an neun Uhr. So spät wollen Sie durch die Straßen gehen?«

»Die Witwe eines tapfern Soldaten fürchtet sich nicht.«

»Ei, wenn auch. Christine soll mit der Laterne vorausgehen. Aber – morgen nicht wahr? so bald als möglich? Ich sehne mich nach Ihrer Gesellschaft. Ich bedarf jetzt der Aufheiterung. Sie werden nicht zaubern, oder gar Ihr Wort zurücknehmen. Die Franzosen, sagt man, halten die Parole nicht zum allerbesten. Geben Sie mir ein Pfand, daß Sie gewiß kommen.«

»Ein Pfand, sonderbare« eigensinniges Mädchen? Ich würde Ihnen mein Herz schenken, wenn es möglich wäre. Nehmen Sie jedoch, was meinem Heizen zunächst ruht.«

Die Lainez zog ein Medaillon, das an einem schwarzen Samtbande um ihren Hals hing, hervor, nahm es ab und überlieferte es lächelnd der mißtrauischen Gläubigerin.

»Sieh doch!« rief Justine, als sie das Medaillon empfing und es von allen Seiten betrachtete, »welche schön gearbeitete Bilder! Erklären Sie mir, liebe Frau! Wer ist dieses herrliche Weib im Purpurmantel, mit der blitzenden Krone auf dem Haupte, und dem noch strahlenderen Scheine um dasselbe?«

»Es ist die fromme und selige Kaiserin Pulcheria, meine Patronin,« versetzte die Lainez, »ihre Schönheit war das Wunder ihrer Zeit; und ihre Tugend war ihren Reizen gleich, und die dankbare Erinnerung der Nachwelt versetzte sie unter die Heiligen!«

»Welche Anmut! welche Lieblichkeit!« fuhr Justine fort, »ja, wer so schön wäre! Diese Strahlen ...«

»Sind der Heiligschein, mit welchem die römische Kirche das Haupt der Gepriesenen umgibt. Die Bilder dieser Heiligen schmücken heiter und lebendig die Gotteshäuser, und es läßt recht angenehm, wenn Weihrauchwolken sie umnebeln, Kerzen davor stammen, Blumenbüsche um sie blühen und das Volk sich vor den Geehrten fromm verneigt.«

»Mit andern Worten: die Götzen anbetet. Ich weiß, unser Pastor hat schon oft dieses Tun in seinen Streit-Predigten berührt und einen heidnischen Greuel genannt.«

»Vielleicht ging er darin zu weit. Die Katholiken haben in diesen Bildern nur das Andenken frommer Tugendfürsten zu verehren, nicht das Holz, nicht den Stein.«

»So? Dann lasse ich mir'« gefallen. Ich finde die Sitte sogar hübsch. Man stellt ja auch Bildsäulen berühmter Männer in Städten auf. Wir haben zum Beispiel hier auf dem Rathause das Reiterbild eines Bürgermeisters aus der alten Zeit, der einst mit Opferung seines Lebens die Vaterstadt von Schimpf und Untergang gerettet hat. Das Bild steht wohl schön anzuschauen an der großen Treppe, aber die Leute gehen kalt vorüber und beachten's nicht. Stünde es in einer Kirche, würde es besser geehrt.«

Sie wendete das Medaillon um, stutzte etwas und fragte kleinlaut: »Das ist ein Mann, nicht wahr? Der Maler hätte ihm allenfalls einen Mantel um die Schultern werfen können.«

»Der Zweck wäre verfehlt gewesen; die Pfeile seines Martyriums müssen dem Gläubigen sichtbar sein. Man nennt den schönen Jüngling den heiligen Sebastian.«

Justine sah das Bild noch einmal flüchtig errötend an, legte es dann still auf den Tisch, warf ein Tuch darüber, und wünschte der scheidenden Lainez eine ziemlich einsilbige Gute Nacht!

Indem die Witwe aus Justinens Türe trat, vernahm man in dem schräg gegenüber liegenden Zimmer des Senators ein starkes Geräusch, und Müssingers halberstickte Stimme, welche nach Leuten rief. »Mein Gott! was ist da wieder vorgefallen?« sagte Justine, auf das Gemach zueilend, und winkte der Lainez und der Magd, die derselben mit der Laterne vorausgehen sollte, sich zu entfernen, ohne weiter dem Geräusch nachzuforschen. Die Französin, der es in dem Hause unheimlich vorkam, trieb selbst die gaffende Magd zur Eile an. Sie erreichten beide, ohne sich umzusehen, die Treppe und stiegen schnell hinab. Doch unten am Geländer stand unbeweglich und lautlos eine breite weiße Gestalt, welche drohend den Arm gegen die Kommenden erhob, und alsdann im Dunkel niederzutauchen schien. Die erschrockene Lainez und die erschrockenere Magd stießen einen Schrei des Entsetzens aus. Die letztere ließ die Laterne fallen, welche zusammenklirrte und erlosch. Das Dienstmädchen rannte schreiend über die Treppe zurück; die Lainez aber, welche im Mondstrahl, der durch ein vergittertes Fenster fiel, die Haustüre wahrnahm, eilte schaudernd auf dieselbe zu, fand sie zu ihrer größten Freude nur angelehnt, riß sie auf und entfloh. Scheu zurückblickend, glaubte sie die grausende Erscheinung wieder auf der Schwelle des Hauses zu erblicken, auftauchend wie ein weißer Blitz, verschwindend wie dieser, und von Gespensterfurcht bedrängt, flüchtete sie aufs Geratewohl in die Gassen. Allenthalben waren diese leer; von ferne her hörte man die Schnarre eines Nachtwächters, endlich den geschwinden Schritt eines Kommenden... eine Handlaterne näherte sich, ihr blendender Schein führte die Flüchtige gerade auf den Mann los, der sie trug... der Doktor war's. »Ei, Madame! woher um diese Stunde? auf welchem Wege finde ich Euch?« Die zitternde Lainez bat um seine Hilfe, indem sie mit ein paar Worten ihre Angst schilderte.

Der Doktor, lächelnd bald, bald ernst und zweifelnd den Kopf schüttelnd, erbot sich, sie nach Hause zu führen. »Um Gottes willen, nein!« bat die Lainez dringend, »in dem alten Gebäude, allein... von aller Welt geschieden... würde mich heut' nach diesem Auftritte die Angst umbringen. Ich schwöre darauf, daß mir mein Mann erschienen ist. Seine weiße Uniform... sein drohendes Gesicht... meine Sünden... Hochwürdiger! nur unter Ihrem Schutze kann ich meine Seele beruhigen.«

»Bedenkt meinen Stand, liebe Frau,« versetzte Leupold beschwichtigend, »Eure Phantasie ist erhitzt; Ihr bedürft der Sorgfalt... was kann ich jedoch für Euch tun? Doch, wenn Ihr's wünscht, will ich meine Wirtin bewegen, Euch diese Nacht zu beherbergen.«

»Gleichviel!« rief die Lainez, »nur bringen Sie mich unter Menschen, oder ich sterbe an dem Schreck!«

Der Doktor winkte ihr, nebenher zu gehen, und förderte, dann und wann sie unterstützend, seinen Weg. »Ich kehre soeben von einem Kranken zurück,« sagte er, »den ich seit Abends Einbruch mit geistlichem Troste und endlich mit dem Leibe des Herrn erquickte.« Er zeigte auf die Saffiantasche, die er, unter seinem Oberrocke verborgen, auf der Brust trug, und in welcher er die Hostie insgeheim zu überbringen Pflegte. »Ein Glück, daß Ihr gerade mir begegnen mußtet. Meine fromme Hausmeisterin wird ein übriges tun, und morgen sollt Ihr mir mit gesammelten Kräften den Hergang der ganz absonderlichen Erscheinung mitteilen.«

Die Eigentümerin des Quartiers, welches der Doktor bewohnte, eine eifrige Anhängern der im Verborgenen waltenden Kirche, welche wußte, daß sie in der Lainez eine Verbreiterin dieser Kirche vor sich hatte, machte nicht die mindesten Umstände, in des Doktors Begehren zu willigen, und dieser letztere, Mitleid mit der Niedergeschlagenheit der Französin fühlend, lud sie ein, auf seinem Zimmer – bis die Wirtin ihr Lager bereitet haben würde – eine Tasse Kräutertee zu genießen, den er selbst aufs beste zu bereiten versprach. Die Lainez nahm mit Dank den Antrag des Mannes an, der aus Teilnahme für sie, die strenge Grenze, die sein Anstands- und Schicklichkeitsgefühl zwischen ihm und der Mitarbeiterin gezogen hatte, in etwas erweitern wollte. Als sie jedoch an des Doktors Hand dessen Wohnzimmer betrat, wurde ihr Auge von einem Besucher überrascht, der in dem Großvaterstuhl am Fenster saß, und kaum merklich mit dem Kopfe nickte, als James den Doktor mit seiner Begleiterin einließ.

»Gelobt sei Jesus Christus!« sprach der Fremde, und der Doktor, im höchsten Grade überrascht, erwiderte mit kaum hörbarer Stimme, sich tief verneigend, »in Ewigkeit. Der Herr segne Ihren Eingang, Pater Superior. Ihr Besuch ist eine unerwartete Freude.«

Der Superior, ein hagerer Mann mit ganz blassem Gesichte, aus welchem ein Paar dunkle Augen sprühten, lüftete ein wenig das Käppchen, das seinen Scheitel bedeckte. »Ich bin vor gar nicht langer Zeit angekommen,« sagte er, »bin herzlich müde, und habe mir die Freiheit genommen, bei Ihnen, mein Vater, meine Schlafstelle zu suchen, indem ich hier unbemerkt und sicherer zu sein glaube, als in dem verstecktesten Gasthofe. Es tut mir indessen leid, wenn ich hier stören sollte.«

Er warf einen zweideutigen Blick auf die Lainez. Der Doktor erriet dessen Sinn und sagte empfindlich: »Ich hoffe, Ew. Hochwürden bewiesen zu haben, daß mein sittliches Betragen kein Mißtrauen verdient. Der Zufall nur ...«

Mehr als seine Worte beruhigte die Französin selbst den argwöhnischen Geistlichen. Sie ging demütig auf ihn zu, küßte seine Hand, bat um seinen Segen, und erbot sich, alsbald das Zimmer zu verlassen. Der Superior schenkte ihr einen günstigen Blick, klopfte ihre Wange. »Lasse Sie's nur gut sein,« sprach er mit dem empfindlichen Uebergewicht, welches häufig von Priestern, den ihnen ganz ergebenen Weibern gegenüber, fühlbar gemacht wird, »ich kenne Sie ja, und hoffe in Ihr kein unwürdiges Rüstzeug vorgeschlagen zu haben. Vater Münzner wird mir alles genügend erklären. Sie kann sich indessen wegbegeben, denn wir haben hier noch allerlei zu bereden, das nicht für Sie ist.«

Noch ein gnädiger Schlag auf die Wange, und die Lainez, feuerrot und betreten, war entlassen. James sperrte das äußere Gitter und wollte den Herren eine gute Nacht wünschen. Der Superior verhinderte dieses; sprechend: »Verbleibe Er immer noch ein Weilchen, junger Mensch, Ab initio wird von Ihm die Rede sein.«

James bückte sich, und stumm stand er nebst seinem Pflegevater vor dem Superior, der gemächlich seinen Platz fort und fort behauptete.

»Ich habe den Juvenem allhier examiniert,« hob der Bequeme an, zu dem Doktor gewendet, »habe denselben doch noch nicht weit vorgerückt gefunden. Er scheint seine Studia oberflächlich betrieben zu haben, und – was am übelsten – das ernste und äußerst wichtige Ziel seiner künftigen Bestimmung nicht genug ins Auge zu fassen. Die Petulanz, so ich in seinem Wesen und seinen expressionibus wahrnehme, wird in seinen gegenwärtigen Beschäftigungen nur wachsen können. Es ist daher unumgänglich notwendig, daß er unter die Disziplin des Noviziatmeisters genommen werde.«

James errötete erlebend; der Doktor verneigte sich stumm. »Ich werde ihm vorläufig die exercitia Spiritualia unsers heiligen Ordensstifters und Regulators in die Hände geben,« fuhr der Superior fort, »und Er mag sich bereit halten, mir in das für Ihn bestimmte Kollegium zu folgen, sobald meine Geschäfte in hiesiger Gegend beendigt sein werden. Ich habe mit dem Pater Rektor schon die nötige Rücksprache genommen, wie es Ihr letzter Brief, Pater Münzner verlangt hat. Quod erat demonstrandum

James küßte des Superiors Hand und ging niedergeschlagen nach seiner Kammer. Der Doktor blickte ihm mitleidig nach und sagte nach einer Pause leise und demütig zu dem Superior: »Es kömmt mir beinahe vor, ehrwürdiger Herr, als ob ich mich in den Anlagen des jungen Mannes getäuscht hätte. Seine Geisteskräfte sind wohl scharf, allein noch schärfer ist der Trieb seines Herzens. Er begehrt, er verlangt wie ein kräftiger sinnlicher Jüngling. Er zeigt dann und wann Widerspruchsgeist, Grübelei ... es wird schwer halten, seine Vernunft in die wohltätigen Ketten des Glaubens zu legen, und ich würde mir's zum ewigen Vorwurf machen, gestaltete sich aus diesem in die Welt berufenen Jüngling ein schlechter Priester.«

Der Superior sah den Doktor hoch und mißbilligend an. »Sie reden jetzt ganz anders, mein Vater, als Sie vor kurzer Zeit geschrieben. Welche unzeitige kränkelnde Philanthropie! Wären auch Sie von der Lüstelei, von dem empfindelnden Wahnsinn des Jahrhunderts ergriffen worden? Haben nicht auch wir begehrt und verlangt, und sind wir deshalb schlechte Priester geworden? Die Disziplin bändigt den Widerspruch: die rastlose Tätigkeit der Novizen steuert der Grübelsucht. Vernunft? Glauben? Sie sind nicht klar über die Grundsätze unserer Institutionen, ob Sie gleich Profeß und das vierte Gelübde getan haben. Fähige Geister gewinnen, dieselben nach ihrer Richtung beschäftigen, das ist unsere Aufgabe, und deren Erfüllung sichert das Gedeihen unserer Gesellschaft. Der nützliche Schwärmer, der ein begeisterter Apostel werden will, glaube. Der rein Vernünftige, geeignet, die politischen Zwecke unsers Daseins zu erreichen, gehorche, wo er nicht glauben kann. Und dieses Gehorsams Triebfeder ist sein Vorteil, das Interesse, das man ihm an seinem auferlegten Streben beizubringen hat. Und nach den geschickten Kombinationen unsers herrlichen Staats ist der Vorteil des einzelnen der Vorteil des Ganzen. Darum herrschen wir, darum siegen wir; darum beneidet man uns. Glauben Sie mir, Ihr Pflegling wird noch gut werden und reichliche Zinsen tragen, für das Geld, das wir an seine Bildung verschwendet haben und noch verschwenden werden. Nun zur wichtigern Sache, Pater Missionar. Ich habe Ihre Bücher durchblättert. Unser Kommerz über hiesigen Platz rentiert sich nicht besonders. Ob die Pariser uns Schaden bringen? oder ob die Schiffskapitäne, die unsere Frachten besorgen, Betrüger sind? Ist das erstere, so müssen wir die Augen zudrücken. Das zweite kann nur an Ort und Stelle erforscht werden. Ich erwarte darüber Befehle von dem Pater Provinzial. Ein geschickter Ordensmann hat zugleich mit meiner Eingabe ein Projekt eingesendet, das, wird es angenommen, dem Handelsfond unserer Gesellschaft unbegrenzten Vorteil bringen wirb. Es wird darin vorgeschlagen, den Sklavenhandel für Brasilien unter billigern Bedingungen zu übernehmen, als ihn bisher unsere unverschämten Schiffsmeister nebenbei getrieben haben.«

»Den Sklavenhandel?« fragte d« Doktor erschrocken.

»Ja,« versetzte der Superior gleichgültig, »der Trafik mit den schwarzen Negern bringt immense Dividenten.«

»Aber die Menschlichkeit, Pater Superior?« fragte der Doktor schaudernd weiter.

Der Jesuit lächelte vornehm. »Floskeln, lieber Pater Münzner. Diese Schwarzen sind eine untergeordnete Rasse: an schmutzigen Heiden, wie sie sind, ist nichts verloren. Überdies ist ihr Sklavenleben reicher an Genüssen, als ihre Freiheit.«

»Das Naturrecht, Pater Superior ...«

»Sie sind Doktor juris utriusque,« sagte dieser gähnend, »man hört es Ihnen an. Satis über diesen Punkt. Der Verfasser jenes Projekts wird belobt werden und es noch weit bringen. Wie weit ist's aber mit der heiligen Christenverbesserung gediehen?«

Der Doktor berichtete in Kürze, legte die Listen der kleinen Gemeinde vor, ihre Beiträge zum Kirchendienst, die Berechnung des Überschusses. Der Superior durchging die Liste schmunzelnd und zählend. »Viele Leute,« sagte er hierauf, »aber nichts Besonderes. Die meisten ex infima plebe

»Unser Herr Jesus Christus fand unter dieser Klasse seine ersten Jünger.«

»Hm! ja. Sehr viele Weibspersonen finde ich hier aufgezeichnet, zum Teil wohl aus den bessern Ständen. Nun ja; das sind die Lämmlein, die zum Paradiese locken. Aber ... aber ... ich vermisse denn doch die Männer von Gewicht. Ein paar Kaufleute ... ein Recheneiverwalter ... ein quieszierter Fünfzehner ... heilige Maria! was will das im ganzen heißen? Den Beschluß der Reihe macht doch endlich ein Senator. Wer ist der Mann? Derselbe, von dem Sie schon ein Wörtlein fallen ließen?«

»Derselbe, Pater Superior.«

»Hat seine Bekehrung sich so schnell gemacht? Gelobt sei der Herr. Dürfen wir von ihm hoffen?«

»Vieles. Er ist durch ein besonderes Verhängnis ganz der Unsrige geworden.«

»Favente Deo. Recht. Wie hat sich die Lainez gemacht?«

»Sie hat einiges getan, doch unwichtiges. Das Weib ist zu eitel, leichtsinnig und verliebt.«

»Bene dixisti, Pater Münzner. Eitel und verliebt. Nie Französin sieht überall hervor, und ihr Mann hat nicht so viel an ihr verloren. Es hat ihr indessen eine Zeitlang mit Proselyten recht geglückt. Sie ist sehr fromm und möchte die ganze Welt ins Paradies bringen. Eine lustige, schnakische Frauensperson im übrigen; nimmt nichts übel, und hat dem Pater Provinzial, der sie mir empfohlen, viele trübe Grillen verscherzt. Sie weiß allerlei von Sr. Hochwürden zu erzählen, und hält sich damit oben, so daß ihr sub manu eine ewige Versorgung aus der zu ähnlichen Zwecken bestimmten Kasse versprochen wurde. Hierin wurde aber eine kluge Reservatio mentalis beliebt. Ködert sie nicht mehr, so steckt man sie in ein Kloster und damit gut. Die Schwestern mögen sie dann füttern. Also hier hat sie wenig genützt?«

»Das Wichtigere hat sie vor kurzer Zeit übernommen: die Bekehrung der Tochter jenes Senators. Aber ein unseliger Zufall reißt hier alle Hoffnung ab.«

»Wieso?«

Der Doktor erzählte von der Ankunft des Verlobten, der seinen Heiratsantrag erneuernd, im Begriff stehe, das Mädchen unwiderruflich in ein protestantisches Land zu führen.

»Pessime« rief der Superior, »das darf nicht geschehen. Das Mädchen, als einzige Erbin eines sehr beträchtlichen Vermögens muß der Kirche zugewendet und von dem Anglikanen abgezogen werden. Wir hätten pro Studio et labore nichts als das leere Nachsehen? Nein lieber Pater Münzner! Lassen Sie uns in die Fußtapfen unserer würdigen Vorgänger treten, die auch nicht vom Heller des Armen ihre Kollegia und Profeßhäuser erbaut haben.«

»Wie wollen Sie aber vorbauen, Pater Superior? Ich mißbillige die Sache, weil es mich schmerzt, ein unschuldiges Schäflein auf ewig von der Herde, der es sich näherte, getrennt zu sehen, aber ich begreife nicht, wie ...«

»Sie begreifen nicht? Sind Sie nicht der Beichtvater des Senators? Pressen Sie sein Gewissen in die Schrauben ihrer gerühmten Dialektik. Einem gewandten Beichtvater ist nichts unmöglich. Experientia docet. Während Sie sein Herz mit den Sturmblöcken einer zerschmetternden Rhetorik belagern, ihm sein Kind im Feuer der Verdammnis zeigen, mag die Lainez von der andern Seite dem Mädchen kräftig, schlagend zusetzen. Ich habe schon Meisterstücke in dergleichen Angelegenheiten – Caeteris paribus – verrichten gesehen, selbst verrichtet.«

»Der Glaube ist in dem Senator nicht sonderlich stark genug, um ...«

»Res indifferens! So greifen Sie seine schwachen Seiten an. Cum auxilio divino muß alles gehen. Die Lainez soll nicht saumselig sein! pericolum in mora! Das Mädchen wird allerdings auch seine schwachen Seiten haben. Die Weiber sind gebrechlich. Ist unsere liebe Tochter in Hoffnung nicht etwa verliebt? Da könnte Ihr Pflegesohn benützt werden.«

»O weh! Steh uns der Himmel bei. Er ist in das Mädchen verliebt. Justine zeigt aber keine Spur von Empfänglichkeit.«

»Ein kalter Frosch? Desto besser. Sie muß ins Kloster; unserer Gesellschaft alles zuwenden, bis auf ein Pflichtteil für die Schwestern. Minime, Pater Münzner. Alles zur größern Ehre Gottes!«

»Sie legen mir da ein hartes Probestück auf,« versetzte der Doktor seufzend, »um des Eigennutzes willen ... ja, wenn es einzig die Sorgfalt für des Mädchens Seelenheil gälte!«

»Bilden Sie sich das ein, Pater Münzner. Ich erlaube es Ihnen. Aber, lassen Sie ja den goldgefiederten Vogel nicht aus. Und – beharrt das Mädchen auf Widerspenstigkeit, so muß es möglich gemacht werden, daß sie der Vater enterbt. Es muß möglich gemacht werden, Pater Münzner! Verstehen Sie mich wohl?«

»Ich verstehe,« antwortete der Doktor niedergebeugt.

»Nie sind die Zeiten schwieriger gewesen, als jetzt,« fuhr der Superior ruhig fort, »die langen Kriegsjahre haben das flammende Verlangen der Gläubigen, der Kirche wohl zu tun, gedämpft. Der Handel hat durch Kapereien gelitten. Viele fähige Studenten werden auf Kosten der Gesellschaft erhalten, gebildet, versendet. Man muß zu allen Hilfsmitteln greifen, um die überschwenglichen Kosten unserer Arbeiten zu decken. Die 300 000 Taler dürfen nicht nach Amerika, Der Wiklefit soll abziehen, oder – wenn alles nichts hilft ... nun; wir werden sehen. Ich verpflichte Sie, Pater Missionar, morgen alsobald Ihre Bemühungen, mir zu gehorsamen, anzutreten. Tun Sie die ersten Schläge, während ich mit dem verschmitzten Tormerpick Abrechnung halte. Wenn Ihrem Scharfsinn, was ich Ihnen andeutete, gelingt – und es muß gelingen – so sein Sie der vortrefflichsten Note in meinem vierteljährigen Zensurbericht an den General vergewissert.«

Ner Doktor, wenn schon im Herzen tief verwundet, verbeugte sich, wie es der Gehorsam erforderte, und brachte eine qualvolle Nacht unter dem Kampfe seines Gewissens und der Pflicht, die er beschworen, zu. James, der ihm am nächsten Morgen mit rotgeweinten Augen entgegentrat, zerriß seine Seele noch mehr.

»Mein Vater!« sagte ihm der junge Mann, auf dessen Zügen der Schmerz saß, »ich kann nicht in das Noviziat treten. Ich kann nicht, und sollte es mein Unglück sein!«

»Du mußt,« erwiderte ihm der Doktor streng und drehte sich von ihm, daß er das Mitgefühl nicht in den Zügen des Pflegers lese.

»Ich muß nicht, mein Vater,« fuhr James mit kalter Entschlossenheit fort, »ich bin kein Leibeigener. Ich will Ihnen im Orden keine Schande machen. Ich tauge nicht dazu; ich verabscheue mich selbst, um der Winkelzüge, zu welchen ich mich brauchen ließ. Haben Sie Mitleid mit mir, Sie mein zweiter Vater!«

»Der Pater Superior nimmt mir meine Pflichten gegen dich, samt meinen Rechten auf deine Person ab,« erwiderte der Doktor, wie oben, »fasse und füge dich.«

»Ich mich fassen? ich mich fügen?« rief James, wie außer sich. »Ich soll mich in Klosterfesseln schmieden...? ich, der die Fesseln dieses Lebens nur mit Mühe trägt?«

»Mensch!« sagte der Doktor hierauf erschrocken und sah dem Jüngling aufmerksam ins Auge, »was sollen diese Worte bedeuten?«

»Meinen Ueberdruß an der Welt, Vater; meinen Ekel am Dasein. Ich bin zum Unglück geboren, wie die Meinigen zum elendesten Tode. Hier lächelte mir, dem Spion, dem elenden Hehler und Helfershelfer ein Stern der Wonne... ich fühlte Seligkeit!«

»Die Seligkeit eines Toren! Die Verzückung des heidnischen Bildhauers vor einem Marmorbilde!«

»Nein, mein Vater! ich war kein Tor; ich bin es nicht! Noch jetzt erhält mich der Gedanke, daß Galathee im Innern der kalten Brust Leben für mich empfindet! Aber, wenn das Geschick befiehlt, wenn sich erwahrt, was die Lainez mir soeben vertraute, wenn Justine einem andern angehören soll – dann höre ich auf, zu leben; bei Gott! ich höre auf, zu sein!«

»Wohlan!« entgegnete der Doktor bitter und verletzt, »so höre auf, wie tausend Narren deines Nebellandes, deren leeres Gehirn sich an der Leere ihres Lebens langweilt; höre auf, wie ein insolventer betrügerischer Schuldner, und überlasse mir, dem Getäuschten, die Last, deine Schulden an deine Ernährer zu bezahlen!«

»Mein Vater!« stammelte James, von Scham ergriffen, »was sagen Sie? O, Sie haben recht! Ich gehöre ja nicht mehr mein. Ich bin Ihnen und den Obern verschuldet, ich bin Ihr Sklave! O, so machen Sie mich zu Gelde! Verkaufen Sie mich, damit ich mein Leben hindurch unter Blut und Tränen arbeiten muß, um das Jahr zu bezahlen, damit Ihre Wohltaten fristeten!«

»Undankbarer, roher Mensch!« sagte der Doktor unwillig, so gehe hin und suche den Tod in eitlem Wahne. Du sollst mir nicht noch einmal vorwerfen, wie wenig ich für dich getan,«

Der erschütterte Ton des Doktors machte den besten Eindruck, James stürzte reuevoll vor ihm nieder, weinte auf seine Hände. »Ich soll leben? ich will leben!« schluchzte er, »aber wie wird es möglich sein, wenn Justine des Amerikaners Weib wird?«

Den Doktor traf's durchs Herz, Er blickte nach dem Gemache, in welchem der Despot seiner Handlungen noch schlief, erinnerte sich seines qualvollen Geschäfts, neigte sich zu James und – um wenigstens eine gute Frucht aus der hinterlistigen Tat zu gewinnen, die er vollbringen sollte: die Beruhigung einer verzweifelnden Seele – sagte er ihm: »Justine wirb nicht des Amerikaners Weib!«

Somit ging er von dem Staunenden, um den Senator zu besuchen. Ein finsterer, wolkenumzogener Tag paßte vortrefflich zu seiner Gemütsstimmung. Während des Gehens wollte er beten, aber dunkle Gedanken durchbrachen in Massen sein Gebet. In sich gekehrt, betrat er Müssingers Haus, »Sind der Herr Senator oben?« fragte er mit gesenktem Auge einen Menschen, der ihm entgegenkam, – »Ja, Monsieur,« antwortete man ihm kurz und unhöflich. Der Doktor sah auf, Nothhaft war der grobe Bescheidgeber, und nicht wenig erstaunt, den Mann vor sich zu schauen, mit dem er vorgestern einen Handel hatte abschließen wollen. Auch der Doktor erinnerte sich seiner. – »Sieh da, Monsieur!« sagte er, »finden wir uns hier? Sie blieben aus, Verehrter?« – »Ich weiß nicht, was Sie wollen!« schnauzte ihn der andere überrascht, verlegen, und unerkannt zu sein wünschend, an. »Ich kenne Sie nicht, Monsieur!«

Er zum Hause hinaus; der Doktor die Treppe hinan. Des Senators Gesicht trug alle Spuren einer mühselig durchwachten Nacht, und kaum verzog sich seine Lippe zu einem matten Willkommslächeln, als der Beichtiger eintrat.

»Sie finden mich schwach und krank,« sagte Müssinger, wieder in die Kissen seines Ruhebetts zurücksinkend, »doch ist mir Ihre Gegenwart von hohem Werte. Ein stürmisch rollendes Geschick hat mich, sozusagen, an Sie gebunden, während alle Wesen, welche die Natur mit mir verband, von mir abfallen zu wollen scheinen, und selbst übernatürliche sich in mein Verhängnis mischen. Eine Frage, hochwürdiger Herr, glauben Sie, daß zwischen sterblichen und abgeschiedenen Geistern von Sterblichen ein Rapport eintreten kann?«

Der Doktor stutzte. »Die Philosophie unserer Religion und häufige, von Zweiflern vergebens bestrittene Erfahrungen weisen mich an, Ihre Frage zu bejahen.«

Der Senator seufzte tief und stützte das wankende Haupt in die kraftlose Hand. »Hören Sie an,« erwiderte er alsdann, »was mir in den Spätabendstunden des gestrigen Tages begegnet ist. Von den mancherlei Gemütsbewegungen, die mich erschüttert hatten, wie von quälenden Mißverständnissen in meiner Häuslichkeit ermüdet, war ich in meine Stube gegangen, um zu ruhen, und einen erquickenden Schlaf zu tun. Ich las in dem Gebetbuche, das ich Ihrer Fürsorge verdanke, die Lampe brannte dunkel; aus meinen Betrachtungen erwachend, erhebe ich mich, den flackernden Docht zu putzen, da schaue ich zufällig nach der Türe, und diese steht halb offen, und zeigt mir eine Gestalt, die mich erbeben macht, die leichenhafte Gestalt des seligen Birsher in seinem weiten weißen Ueberrocke, den er zuletzt trug, mit hohlen, starrenden Augen. Ich will rufen, die Kehle ist mir zugeschnürt. Die Erscheinung öffnet dagegen den schaurigen Mund und ich vernehme die dumpfen Worte: Du hast mich umgebracht und willst auch die Tochter töten? Nicht nach Amerika! Wehe sonst! Wie Totenglocken sausten die Töne in mein Ohr und im Nu verflimmerte das Gespenst vor meinen angstvollen Blicken. Sein Abschied löste die Bande meiner Zunge. Außer mir stürzte ich in einem Sessel um, rief nach Hilfe; Justine kam, Leute kamen. Die Erscheinung ist von einigen gesehen worden und spurlos verschwunden. Ich befinde mich im gräßlichsten Seelensturm. Raten Sie, reichen Sie mir den Anker des Heils!«

Der Doktor kombinierte, still vor sich hinschauend, des Senators Aussage mit dem Behaupten der Lainez und betrachtete diesen Zwischenfall als einen Fingerzeig aus hohen Wolken zur Erreichung des ihm aufgegebenen Zwecks.

»Eine seltsame Begebenheit!« sagte er bedächtig und ernst, »der innersten Prüfung wert. Es scheint, als ob in der Zukunft Unheil brüte... als ob der Geist des Abgeschiedenen, der Ihre Tochter lieb gewonnen hatte, dieselbe zu retten, seinen Wohnort verlassen, ein notwendiger, warnender Helfer!«

Der Senator nickt stumm mit dem Kopfe. »Was würden Sie an meiner Statt tun, ehrwürdiger Mann?« fragte er.

Der Doktor zuckte die Achseln. »Fragen Sie lieber,« sprach er, »was ich vor jener bedeutungsvollen Erscheinung getan haben würde. Ich hätte meine Tochter nicht mit dem Amerikaner verlobt. Diese Leute sind Ihnen verderblich. Mit dem Vater zog ein bedauerliches Unheil in Ihre Wohnung. Der Sohn wird nicht viel Besseres bringen. Nennen Sie dieses Vorurteil. So wie es in der Natur Elemente gibt, die sich ewig Widerpart halten, so verflicht das Schicksal öfters gewisse Menschen in gegenseitige Feindseligkeit, ohne daß sie es ahnen. Wenn wir annehmen, daß mancher Tag, manche Stunde wichtiger ist, als die übrigen, warum nicht auch ein Menschenlos vor dem andern? Ich hätte Justinen dem jungen Manne nicht versprochen, nicht dieses Einschreiten einer unbekannten Macht herbeigerufen!«

»Ich war so heiter geworden,« versetzte der Senator, »ich sah eine furchtbare Wildnis, die mich entsetzt hatte, plötzlich geebnet. Sie wissen es, wir hatten uns zu offenem und heimlichem Krieg gegen den gefürchteten Gast gerüstet. Statt des Zürnenden, Argwöhnischen erschien jedoch ein Friedensengel; ein Johannes an milder Güte und Vertrauen. Ich konnte ihm die Tochter nicht weigern ... ich mochte es nicht,« setzte Müssinger stockend bei, »um oben den Schatten des Vaters zu versöhnen.«

»Unglücklicher!« sagte der Doktor mißbilligend. »Kaum in den Schoß der wahren Kirche aufgenommen, verkennen Sie deren Wohltaten? War nicht schon jede Sünde von Ihnen gewichen durch meine Absolution? Bedurften Sie noch eines Sühngedankens, der an heidnischen Irrtum grenzt? Mehr noch Herr Senator, dieser Vorsatz ist ein Verbrechen gegen die liebende Allmutter unserer gottseligen Herde. Sie werfen durch die Verbindung mit dem Protestanten Ihre Tochter in den Pfuhl der Verdammnis, statt sich Ihrer väterlichen Gewalt zu bedienen, sanft und ernst die Unbekehrte auf den Pfad des Heils zu bringen!«

»Mein Vater! das kann ich nicht,« entgegnete Müssinger entschlossen, »ich bin zum Bekehrer verdorben. Mein Kind wandle seinen Weg unter der Obhut des allbarmherzigen Vaters. Ist es dessen Wille, so wird meine Tochter selig werden, so wird sie zum wahren Hirten gelangen; so Gott will, ohne, wie ich, von einem grausamen Zusammentreffen aller Schrecknisse zu einem Uebertritt gezwungen zu werden, den ich ...«

Er schwieg plötzlich. Der Doktor ergänzte mit strafendem Blicke, »den ich jetzt schon von Herzen bereue. Sprechen Sie es nur aus, Ihre Verhältnisse haben sich ja so gestaltet, daß, was Sie getan, ganz unnötig war. Sie bedurften der Lossprechung nicht, weil der Sohn des Toten Ihnen freundlich entgegentrat; Sie bedurften meines Rates nicht, weil er Ihnen sogar die Gelder schenkte, vor deren Rückzahlung Ihre Dekonomie, vor deren Bewahrung Ihr zartes Gewissen schauderte. Sie bedurften meiner Hilfe gegen den Feind nicht, weil sich dieser selbst in Ihre Hände lieferte. Ihr Uebertritt war zwecklos. Sie wünschten ihn ungeschehen zu machen; beinahe wünschte ich es auch, weil Sie meine Teilnahme und mein Vertrauen auf eine unwürdige Weise mißbraucht haben.«

»Hochwürdiger Herr ...«

»Ich gehe von Ihnen; wohl! Bedenken Sie jedoch, daß, indem ich auf immer von Ihnen scheide, mein Segens- und Lösespruch zunichte wird. Sie werden in Ihre Irrtümer, in Ihre Zweifel, in Ihre Gewissensqualen zurückfallen; eine Beute der mahnenden Geisterwelt werden, Ihre Tochter mit Ihnen ins Verderben reißen, und, statt einst mit Klara vereint, himmlische Wonne zu genießen, in Ohnmacht und Pein vergehen, weil Ihr Ohr taub geblieben, weil Sie die irdischen Stimmen und die Stimmen von Jenseits nicht gehört!«

»Ach! welch ein Abgrund von Trostlosigkeit und Furcht!« klagte der Senator, den Doktor, der zu gehen Miene machte, zurückhaltend; »verlassen Sie mich nicht! raten Sie mir, helfen Sie mir! Mich verläßt der Verstand und Gott, wenn Sie von mir scheiden!«

»Wo bleibt Ihre Entschlossenheit, Herr Senator? Ihr unbiegsamer Charakter?«

»Ich bin nicht mehr Mössinger,« versetzte der Senator tiefgebeugt, »ich kenne mich selbst nicht mehr. Wenn Sie verlangen, will ich, womöglich, alles zurücknehmen; aber... der Betrag jener Wechsel ... wird Georg denselben nicht fordern, wenn aus der Hochzeit nichts wird?«

»Sind denn die Wechsel nicht in Ihren Händen? Ich bevollmächtige Sie, zu beschwören, daß Sie an Birsher, den Vater, das Geld gezahlt. Sie leisten den Eid mit dem stillschweigenden Sinnesvorbehalt, daß Sie die Notausflucht auf dem Wege wieder ausgleichen wollen, den ich Ihnen bereits angegeben, und alles ist in völliger Richtigkeit, Ihr Heil bewahrt.«

Der Senator stand entschlossen aber unzufrieden auf und entließ mit den Zeichen einer völligen Sinnesänderung den Doktor, an welchem Justine hastig und kalt grüßend vorüber zum Vater ging.

»Verhüten Sie doch Unheil, bester Vater,« sagte sie schnell und mit Tränen des Unmuts in den Augen, »erklären Sie sich gegen die Mutter. Sie räumt ihre kostbarsten Sachen zusammen, sie verschließt ihre Schränke, sie will heute abend das Haus verlassen. Welch eine Schande für uns, wenn das geschieht! Reden Sie mit ihr, und ein grausames Mißverständnis wird sich heben!«

Des Senators bleiches Gesicht verwandelte sich in ein zornrotes. Erschrocken und verletzt zugleich eilte er, dem Justine zuredend und ermahnend folgte, dem Gemach seines Weibes zu. Jakobine war gerade beschäftigt, aus Schubfächern und Kommoden ihre Kleider, ihre Wäsche zu nehmen und die ungeheuern Schränke damit anzufüllen, die sie, voll von ihrer Aussteuer einst ins Haus gebracht. Sie zuckte etwas zusammen, als sie den Senator wahrnahm, ließ sich jedoch nicht stören, drehte ihm den Rücken und kramte, ohne ein Wort zu reden, weiter fort.

Auf die dreimal und immer heftiger wiederholte Frage des Gatten: »Jakobine! Was machst du da?« antwortete sie endlich, der Anrede überdrüssig, kurz und verächtlich: »Du siehst'«.«

»Du packst ein?«

»Ja.«

»Warum?«

»Ich gehe fort; heute noch.«

»Jakobine! von deinem Ehemanne? aus deinem Hause? von deinem Kinde?«

»Ist Justine ein brav Mädchen, so geht sie mit. Wo nicht, desto schlimmer für sie.«

»Lieblose! Blödsinnige!« donnerte Müssinger, kaum seiner mächtig, »wiegelst du wieder mein Kind gegen mich auf? Was tat ich dir, Besessene? Rede endlich!«

Die Senatorin schwieg in galligem Stumpfsinn. Justine, den bebenden Vater betrachtend, und alles fürchtend, lief auf die Mutter zu, faßte deren Hände und bat weich und flehend: »So reden Sie doch, Mutter. Beendigen Sie doch diesen greulichen Zwist, Justine bittet Sie herzlich darum!«

Die Senatorin schob sie heftig von sich und trieb ihre Geschäfte weiter. Justine folgte ihr ins andere Zimmer, versuchte noch ein Bittwort, und da auch dieses nicht fruchtete, stellte sie sich der ausweichenden Mutter in den Weg und sagte mit geschärftem Nachdruck: »Sie werden jetzo dem Aergernis im Hause auf eine ober die andere Weise ein Ende machen, Mutter. Sie werden es, so wahr ich Justine heiße. Sollen die Dienstleute noch mehr des schändlichen Geredes unter die Leute bringen? Soll mein – der Unschuldigen Wohl unter Ihrer Übeln Laune leiden? Geben Sie jetzt noch nicht dem billigen Verlangen meines Herrn Vaters nach, so nenne ich Sie nie mehr meine Mutter!«

»Unglückskind!« zürnte Jakobine, »hätte ich dich nicht geboren!«

»O du Rabenmutter!« rief der Senator, der ihnen gefolgt war und nun voll Wut auf Jakobine zuging, »bist du denn wert, daß dich die Sonne bescheint?« Seine Hand suchte und fand das spanische Rohr am Kamin. Justine hielt ihn mit aller Kraft zurück. Die Senatorin jedoch, ohne die drohende Bewegung zu fürchten, stellte sich ihm trotzig entgegen und rief herausfordernd: »Nun, so komm an! Schlage mich tot, wie den alten Birsher, dessen Gespenst schauderlich im Hause herumgeht, und mit dir, dem Schuldigen, alle Unschuldigen quält, daß sie unmöglich ausdauern können!«

Wie Bildsäulen standen der Senator vor dem Donnerworte seines Weibes – Justine vor dem Erschrecken des Vaters. Er hatte die entsetzliche Entwicklung nicht geahnt. Justine hatte sie geahnt, aber nicht das Verstummen des Beschuldigten, den ihr Gemüt bisher freigesprochen. Mit Mühe gewann Müssinger seine Sinne wieder und die Sprache. »Lasse mich mit diesem Weibe, deiner Mutter, allein!« sagte er mit erlöschender Stimme, blaß wie der Tod, und winkte dem Mädchen, zu gehen.

»O du mein Herrgott!« kreischte das Weib, »er will mich mißhandeln!«

»Bleibe, tolles Weib!« entgegnete der Senator und zog sie mit solcher Gewalt auf einen Sessel nieder, daß sie plötzlich verstummte, sich nicht mehr regte.

Justine wich nun auf ein zweites Zeichen ihres Vaters der traurigen Szene aus, die sich unter ihren Augen entsponnen hatte. In der Wohnstube kam ihr Georg Birsher entgegen; freundlich, offen, ruhig wie gestern.

»Ich sehe Sie gerne, liebe und gute Miß,« sagte er, »Ihr Anblick ist mir ein Trost vor dem traurigen Geschäfte, das mich erwartet. Die Kommissarien des Gerichts werden erscheinen und mir den Nachlaß des Vaters übergeben. Schenken Sie mir zuvor das Köstlichere, Ihre Gewogenheit.«

»Ich habe nichts gegen Sie, Monsieur,« versetzte Justine, verlegen an der Schürze zupfend, »was wird aber Ihnen an der Gewogenheit einer Jungfer, wie ich bin, liegen?«

»Viel; weil aus der Gewogenheit herzlichere Freundschaft werden kann. Sehen Sie, Miß; als mein Vater sagte, Georg, du wirst heiraten und das Mädchen nehmen, das ich dir bestimme, ein deutsches wirtliches Mädchen, das mein Korrespondent sehr lobt an Eigenschaften und Vermögen! Da dachte ich bei mir selbst, in Gottes Namen! Der Vater will's, aber ich kann's schon erwarten. Als ich Europa betrat und hörte, daß mein Vater gestorben, dachte ich, sein Verlobungswort lebt zwar noch. Wird es mir jedoch zurückgegeben, ist mir's gleichviel. – Als ich aber hier ankam, in Ihr leuchtendes Auge sah, und tief in Ihr Herz – da wurde es anders. Seitdem denke ich, es würde ein Unglück für mich sein, wenn ein solches Kapital mir entginge. Ohne Umschweife denn, meine werte Jungfer! Ihr Herr Vater wird mit Ihnen geredet haben. Ich bin ein ehrlicher Mann, suche eine ehrliche Frau und wünsche Sie an diese Stelle. Was antworten Sie hierauf?«

Justine sah auf die Spitzen ihres Aermels, dann fest und sicher in Georgs festes und sicheres Auge und sprach ohne Umstände: »Was mein Herr Vater will, ist mir, einer gehorsamen Tochter recht. Ich kann Sie, glaube ich, wohl leiden, mein Herr. Ich will mit Ihnen gehen, wenn Sie es wünschen; als Ihr Weib und Ihre treueste Freundin.«

Birsher verbeugte sich sehr erfreut und versetzte: »Wollten Sie mir nicht erlauben, holdselige Braut, einen Kuß auf Ihre Wange drücken und Ihnen ein Pfand dieser Stunde verehren zu dürfen?«

Justine nickte freundlich und duldete den verschämten Kuß. Georg zog hierauf einen schlichten goldenen Reif vom Finger, steckte ihn an ihre Hand und sprach: »Amerikanisch Gold, echt und klar, wie amerikanische Treue! Der Brautschmuck von brasilianischen Steinen, den mein Herr Vater Ihnen zugedacht und den ich Ihnen bald überreichen werde dürfen, ist zwar zehnmal schöner als dieser Ring. Ich bilde mir jedoch ein, daß der Ring mehr Wert für Sie haben werde, weil er von mir kömmt, und nicht vom freiwerbenben Vater eines willenlosen Sohnes.«

»Sie scharmieren mich durch das artige Präsent!« versicherte Justine lächelnd und entfernte sich mit dreimaliger Verbeugung, weil die Kommissarien sich hören ließen. Im Begriff, dem Vater diese Nachricht zu bringen, begegnete sie ihm, der aus der Mutter Zimmer trat. Er schien gefaßt. Die Senatorin saß, wie die klaffende Türe sehen ließ, mit gefalteten Händen, stumpf brütend und niedergeschlagen auf einem Stuhle. Justine wünschte dem Vater schüchtern Glück, zur Beruhigung der Mutter.

»Die Albernheit hält in ihrem Kopfe offne Bank,« sagte der Senator eiskalt und verächtlich, »man muß sie verblüffen, da mit Räson nicht anzukommen ist. Ich habe ihr geschworen, daß ich sie als verrückt ins Irrenhaus bringen lasse, wenn sie noch einen Schwank macht, wie gestern an dem tollen Teufelstage. Du stehst mir dafür, daß sie mittlerweile nicht aus dem Hause geht. Die Verleumder, die ihr solche Schandmücken in das Ohr gesetzt, will ich schon finden, schon züchtigen.«

Justine freute sich der Ruhe ihres Vaters. Sie schien ihr ein Bürge seiner Schuldlosigkeit. Sie wollte seine Zufriedenheit erhöhen und sagte: »Sie werden mich loben, Herr Vater. Justine ist gehorsam und eilig, Ihren Wünschen zu entsprechen, Monsieur Birsher kam vor einer Viertelstunde, er hat mit mir geredet, ich trage seinen Verlobungsring. Hier ist er, lieber Vater!«

Des Senators Gesicht verzog sich düster und unwillig, »Warum diese Eile?« brauste er auf, »alles zur Unzeit! Das Donnerwetter soll ... Welche Plage mit unbesonnenen Weibern!«

»Mein Vater ...« fragte Justine scheu, »welche Aenderung? sagten Sie nicht gestern ...«

»Heute ist nicht gestern, und gestern war nicht heute!« versetzte Müssinger. »Der Ring muß zurück! Ich will's, ich befehle es dir!«

»Sie befehlen mir Ungerechtigkeiten!« sagte Justine von kränkender Beschämung gepeinigt, »was müßte Herr Birsher glauben? Ich will nicht als wahnsinnig ausgeschrien werden, besinnen Sie sich doch, mein Vater!«

»Ihr seid wahnsinnig, du und deine Mutter!« antwortete ihr in der höchsten Aufregung der Senator und rannte dahin, wo die Kommissarien seiner warteten.

Justine schlug staunend die Hände zusammen, fühlte sich an die Stirne, um sich zu überzeugen, daß sie in der Tat wache und alles vorige gehört habe.

»Ich soll nicht fort?« fragte sie sich schmerzhaft. »O nicht doch! fort nach Amerika, wenn das Leben daselbst hundertmal einförmiger wäre, denn hier. Fort! hinaus in die Ferne! hinaus nur aus diesem Hause, in dem sich alles Unheil vereint, um uns samt und sonders nach und nach um den Verstand zu bringen, wie es uns schon um Herz und Gemüt und Sorglosigkeit und Frieden brachte. Ich wollte ja lieber unter Fremden mein tägliches Brot verdienen, als es unter solcher Seelenangst verzehren zu müssen; ich wollte lieber ... gleich einer Flüchtigen ...«

Sie hielt inne. »Ei, die Lainez!« fuhr sie fort, »wo bleibt die gute Frau, deren Umgang allein jetzo meinen Geist erheitern könnte? Sollte sie, ihrem Pfande zum Trotz, wortbrüchig werden? ...«

Sie zog langsam, zögernd und errötend, das Medaillon der Lainez aus der Tasche und trat, von jungfräulicher Scheu und Neugierde zugleich befallen, au« dem Vorsälchen der Mutter in einen kleinen Versteck, kaum einen Kreuzstock breit, ein Altänchen nach dem Hofe bildend, auf welchem eine Anzahl von Blumenstöcken an Geländer und Wand hingereiht war, von freierer Luft heimgesucht und durch ein schirmendes Dach vor Sonnenhitze und Regen beschützt. Dieser Blumenwinkel am äußersten Ende des Hauses, stand mit dem, ebenfalls von Küche, Wohnstube und Gesindezimmer entlegenen Vorsaale der Senatorin vermittelst einer Türe in Verbindung, in der eine drahtvergitterte Glasscheibe angebracht, vor welcher ein Vorhang befestigt war. In der Mitte der Blumentöpfe, auf einen leeren Fleck des Gestells derselben, kauerte sich Justine nieder und betrachtete, sich zu zerstreuen und ihrem Vorwitze zu genügen, die Heiligenbilder der Lainez, Der heiligen Pulcheria wurde indessen kaum ein Blick geschenkt, der schöne Sebastian fesselte ihre Aufmerksamkeit. Der Maler hatte in dem kleinen Bilde ein großes Stück geliefert, und der Beschauer wußte nicht, was er vorzüglich daran preisen sollte: die männliche Formenschönheit des Märtyrers, die zu den Sinnen sprach, oder die himmlische Verklärung, die sowohl in seinem Gesichte, als auf seinen Gliedern lag, und jeder Sinnlichkeit wehrte ... oder den magischen geheimnisvollen Farbenzauber, der aus den Blumen hervorging, die aus den stürzenden Blutstropfen des Heiligen sproßten; oder endlich das herrliche Schauspiel des aufgeschlossenen Himmels, der seine Goldstrahlen um das jugendliche schöne Haupt des Sterbenden legte, aus dessen Wolkenkranze die heilige Mutter sah und der Heiland und ihre dienenden Engel!

Justine konnte sich nicht satt sehen an dem lieblichen Meisterwerke, und so oft eine seltsame innere Beklemmung sie zwang, den Blick wegzuwenden, flugs kehrte er zu dem Bilde wieder zurück. Sie stellte es endlich, verschämt und dennoch zu kleinem Frevel versucht, in die Zweige einer jungen, grün und glänzend aufsprossenden Myrte. Sie dachte sich den Altar hinzu, nicht den violettbehangenen der Johanniskirche, sondern den rot und weiß geschmückten aus der Johanniterkapelle; die Kerzen und den Weihrauch, von denen die Lainez gesprochen. Das Bild jener heimlichen Messe gesellte sich zu dem ganzen Begriff, und – siehe da! in blühende schmeichelnde Formen gestaltete sich vor dem Mädchen der römische verpönte Gottesdienst, und es dachte bei sich: die Mittagsländer mit ihren heitern Tempeln müßten doch schön sein, wie ihr Kirchendienst fröhlich; glänzend und begeisternd, wie ihre Heiligenbilder zart, rührend und ideal. Da wurde der schweigend überlegenden und prüfenden Jungfrau plötzlich zu Mute, als sei Herr Georg Birsher an ihre Seite getreten und frage sie mit seiner ruhigen und männlichen Stimme: »Wozu das alles, liebe Miß? Ich fürchte, was Sie da treiben, sieht einer kleinen Sünde ähnlich auf ein Haar. Lassen Sie den raschbewegten Mittagskindern ihren bunten lustigen Schauspieldienst und das Heer ihrer Heiligen und Seligen, zu denen man betet. Ihr wandelbarer Geist verlangt einen Blumenflor, auf dem er flattere und wühle, und schaue und genieße wie die Biene, denn der Süden zeugt rasches Blut und glühende Sinne, Bleiben Sie jedoch, gute Miß, in der Bahn des Nordens, des gemütreichen, lang und beständig Empfindenden, zufrieden mit einem Gotte, mit einem treuen Herzen. Und dieses Herz – bin ich gleich nicht schön wie der pfeildurchbohrte Sebastian, nicht Teilnahme erregend, wie ein anderer, der mir gefährlicher wäre, als der tote Heilige – dieses treue Herz finden Sie in mir!«

Justinens Phantasie hatte ihr eine so artige Täuschung vorgemacht, daß sie jetzt selbst verwundert aussah, ob Birsher wirklich zugegen. Nein! er war nicht da. Ihr Auge sank zu Boden, aber ihr Ohr wurde von einem kreischenden Schrei erreicht, von der Mutter Stimme. »Das Gespenst!« flüsterte sie erschreckend und hob mechanisch obgleich schaudernd den Vorhang von dem Türfensterchen. Der Mutter Zimmer war offen, auf dem Sofa lag Jakobine, wie von Konvulsionen durchschauert; über den Vorsaal nach der Ausgangstüre schlurfte langsam eine weiße Gestalt. Vom Schrecken zu einer heldenmütigen Entschlossenheit übergehend, sprang Justine aus ihrem Versteck, eilte der schnell sich fortbewegenden Gestalt, die diese Dazwischenkunft nicht vermutet hatte, um so hastiger nach, faßte auf der Schwelle das fliegende weiße Gewand und rief ihr wacker zu: »Halt! ergib dich! du allzeit fertiges Gespenst!«

Dieses letztere hielt nicht, sondern ließ den Oberrock in den Händen der tapfern Angreiferin; ein Mann entsprang diese Hülle, ließ Perücke und andern Ballast, der ihm zu beliebiger Ausstopfung gedient hatte, feig im Stich und floh, da von der großen Treppe sowohl der Senator als mehrere Domestiken auf Jakobinens Geschrei herbeikamen, eine schmale Wendelstiege hinab, die zum Magazin und Brunnen des Hauses führte. Der Geist rannte hier dem zufällig herankommenden Berndt in die Hände.

»Halt! wer bist du, Deserteur?«

»Laß mich! Bruder Berndt! um Gottes willen!«

»Was? Dort oben schreit man nach Hilfe? und was gilt's? ich habe hier den Dieb? Halte still, und komm mit.«

»Kennst du mich denn nicht? Parbleu ... sei kein Kind!«

»Eben deshalb, guter Freund! Weil ich kein Kind bin, und weil ich dich kenne, komm mit. Deine Zwischenträgerei hat mich um den Dienst gebracht; meine Unerbittlichkeit soll dich zuschanden machen, du Baalssohn!«

So sanftmütig auch Berndt diese Rede sagte, so derb packten seine Fäuste den Gegner und trugen ihn beinahe in die Höhe. Justine, Senator und Gesinde empfingen den Ertappten und führten ihn vor die Senatorin. Nachdem der Senator hierauf die Domestiken entfernt hatte, um ihnen nicht die Vapeurs seiner Frau und die Scham des entlarvten Geistes länger zum Schauspiel zu geben, sagte er zu Jakobine: »Sieh hier das übernatürliche Wesen, das seit gestern unser Haus umzuwälzen sich bemühte, das aus dem Grabe wiederkehrte, um Einspruch in eine Hochzeit zu tun, die ihm mißfiel, und denke daran, daß deine Ungerechtigkeit gegen mich aus eben so nichtiger Quelle fließt.«

»Nothhaft!« rief die Senatorin, plötzlich ihrer Krämpfe vergessend und zornig aufspringend, »Nothhaft! Er niederträchtiger Bursche! Was bedeutet die schändliche Maskerade? Man hätte den Tod davon haben können! Am hellen Tage zu spuken! Den Amerikaner wieder aufleben zu lassen! Meinen armen Kopf zu verwirren! Ich hoffe, daß Herr Senator Müssinger Ihn exemplarisch zur Rechenschaft wird ziehen lassen! Auf dem Rathause, vor allen Richtern und Volk!«

»Ich hoffe, daß der Herr Senator das unterlassen werden,« entgegnete Rothhaft mit einem giftigen Drohblicke auf denselben. »Was in diesem Hause nur als ein unschuldiger Fokus passierte, könnte am geeigneten Orte zum Ernste werden, und Ihre Beleidigungen, Frau Senatorin, muß ich mir ebenso ernstlich verbitten. Ich bin nicht mehr der Kommis in Ihrem Hause; ich bin mein eigner Herr und alle Tage fähig, einen Ratsherrn abzugeben, wie Ihr Herr Liebster.«

»Ach Gott, da« Lästermaul!« seufzte die Senatorin weinerlich und aufhetzend. »Ich zittere noch vor Schreck an allen Gliedern, und Er tut, als ob Er Fug und Recht gehabt hätte. Müssinger! wenn du das leidest...« – »Ein Wort, Herr Exprinzipal!« sagte Nothhaft unverschämt, und zog den Senator beiseite, »wir wollen uns nicht über die Gründe verbreiten, die mich zu der Vermummung bestimmt haben. Ich tue Ihnen damit einen Gefallen, so wie ich den ganzen Plan zu Ihrem Besten allein angelegt habe. Vorderhand lasse ich Ihnen noch die Wahl, mich als Schwiegersohn anzunehmen und den Amerikaner aus dem Hause zu weisen, oder versichert zu sein, daß meine schonende Freundschaft für Sie ein Ende erreichen wird.«

»Er ist ein schlechter Mensch!« polterte der Senator hitzig, »was werde ich auf seine elenden Drohungen geben? Packe Er sich aus meinem Hause! Ich habe nichts mit Ihm gemein. Setze Er sich in seine Heimat hin, und rate und verkaufe und spuke Er fort so viel als Er will. Ich warne Ihn, sich ferner hier betreten zu lassen. Ich würde sonst meine Anklage bei dem Polizeiaufsichter anbringen müssen, während ich jetzt noch den Skandal, den er verursachte, mit Schweigen übergehen will.«

Nothhaft schnitt ein grimmig-saures Gesicht. »Na!« sagte er trotzig, »ich gehe, Herr Senator. Schreiben Sie das heutige Datum ins Kamin. Wünsche allerseits wohl zu leben. Und Sie, meine beste Jungfer! bittet Sie nicht ein wenig um Pardon für mich, da sie mich doch eigentlich in die saubere Patsche versetzt hat?«

»Ich freue mich, Monsieur, Ihn ertappt zu haben, während sich Männer vor dem Popanz fürchteten,« versetzte Justine spöttisch, »ich bin recht vergnügt, daß nun auch die ganze Stadt von Ihm glauben wird, was ich schon längst von Ihm behauptete, daß Er eine bösartige Kröte ist, und damit Punktum.«

»Damit noch nicht Punktum!« erwiderte Nothhaft frech und ergrimmt, »ich werde die Ehre haben, so Gott will, ein Weiteres von mir vernehmen zu lassen. Er aber, Mosje Berndt, Er wahre seine Ohren! Gott befohlen!«

»Du ruchloses Höllenkind!« rief Berndt dem Davoneilenden nach, »der leibige Gottseibeiuns muß wenigstens dein Großvater gewesen sein!«

Der Senator hatte indessen seine Partie genommen. Die alte Energie schien in den Mann zurückgekehrt zu sein. »Keine unnötige Betbrüdern!« sagte er scharf, aber freundlich zu dem Augenverdreher, »wir müssen vor der Natter auf der Hut sein. Seh' Er nach, daß der Bengel seine Effekten noch in dieser Stunde aus dem Hause schaffe. Dann laufe Er und zeige Er auf der Börse an, daß Nothhaft nicht mehr in meinen Diensten steht. Lasse Er merken, daß er mit Schimpf und Schande aus dem Hause kömmt. Aber von der Gespenstergeschichte kein Wort, Sonst bleibt's beim Quartalabschied. Unterdessen bedanke ich mich bei Ihm schönstens.«

Berndt eilte, vergnügt über seine gesicherte Existenz, den Befehlen des Prinzipals zu genügen. Der Senator wendete sich zu Justine: »Dir, mein Mädchen, danke ich insbesondere. Dein Mut hat uns die Augen geöffnet. Der Bursche wußte, mit wem er's zu tun hatte. Zu mir kam er in der melancholischen Nacht, meiner leichtgläubigen, schreckbaren Frau erschien er am Mittage, wahrscheinlich, weil das Gespenst am Abend nicht durch die verschlossene Türe dringen konnte. Auf den Aberglauben der Dienstleute konnte er's bei Tage wie bei Nacht wagen. Allein zu Justine kam er nicht. Er hat das Mädchen mit Recht gefürchtet. Mir bleibt jetzo noch einiges zu tun. Meine Gegenwart ist im Hause entbehrlich. Ich war bei Eröffnung der Schränke. Man hat sich überzeugt, daß alle Siegel unverletzt geblieben. Ich will ausgehen, Justine! meinen Hut, meinen braunen Rock mit der schmalen Stickerei. Den Mantel, den Degen! Ich muß zum zweiten Bürgermeister gehen. Der Kerl von Nothhaft muß aus der Stadt, ehe die Sonne untergeht, ehe er mir Stänkereien macht; ich fürchte, der Bursche hat tausend Kniffe im Kopfe. Ich werde auch dem Steuerkommissär meinen Besuch machen. Ich werde ihn ernstlich wegen des Geschwätzes seiner Frau bedrohen. Beruhige dich, Jakobine! Du sahst, daß der Geist des Verstorbenen eine Posse war. Du wirst einsehen, daß die Kommissärin in dem, was sie dir auf dem Ritterhofe vertraute, eine Lüge gesagt hat.«

»Das gebe Gott!« entgegnete die Senatorin phlegmatisch und die Hände in dem Schoß faltend, »ich reiße mich nicht gerne aus meiner Ruhe und verlasse nicht mit Pläsir dieses Haus. Aber, wann du in der Tat ein so schlechter Mensch wärst, wie die Leute sagen ...«

»Schweig!« unterbrach sie der Senator finster, denn Justine kam mit Rock, Mantel, Hut und Degen. Während Müssinger sich in den Interimsstaat der Ratsherren warf, kam auch Georg Birsher hinzu. »Ich komme, Ihnen für die Bewahrung meines Eigentums zu danken,« sagte er zu dem Senator, »welche Gerüchte haben sich jedoch zu meinem Ohr gefunden? Meines Vaters Geist soll sich gezeigt und sich endlich, von einer mutigen Amazone ergriffen, in einen Ladenschwengel verwandelt haben?«

»Dummes Zeug!« erwiderte der Senator verdrießlich, »das Domestikenvolk hat doch tausend Zungen. Beruhigen sich Ew. Edeln. Es war ein einfältiger Nebenbuhlerstreich.«

»So?« versetzte Birsher lächelnd, »die Bosheit scheiterte sicherlich an Ihrem Ringe, beste Jungfer Braut. Die Wilden meines Vaterlandes beschenken sich mit solchen Talismanen, und vielleicht ist dieser Ring ein solcher. Erlauben Sie, Verehrteste, daß ich Ihren Heldenmut und Ihre Treue mit diesem Diamantschmucke belohne, der freilich schon Ihr Eigentum ist. Die Rose von Edelsteinen, die ich ebenfalls in dieses Kästchen gelegt habe, bitte ich, Ihrer Frau Mama, meiner allerwertesten Schwiegermutter, als ein dürftiges Pfand meiner Ergebenheit zuzustellen.«

Er hielt dem Mädchen freundlich das geöffnete Etui hin, aus welchem ein Meer von Demantenglanz strahlte. Die Senatorin zwinkerte lüstern mit den Augen; Justine, ein weigerndes Kompliment machend, las in dem Gesichte des Vaters, dessen Sinnesänderung sie beunruhigte. Der Senator bemerkte ihre Verlegenheit und fuhr rasch und lebendig dazwischen, »angenommen, meine Tochter!« sagte er freundlich und dringend, »alles geht wieder im rechten Gleise! Die Stimmen aus der Unterwelt haben gelogen, und im übrigen ... will ich schon fertig werden. Ew. Edeln werden also mein Schwiegersohn!«

Die Senatorin hatte sich der Diamanten bemächtigt und bekräftigte des Mannes Wort mit einem tiefen verbindlichen Knicks. Der Amerikaner umarmte den Senator, küßte der Senatorin beide Hände, der beruhigten Justine beide Wangen und die Stirne.

»Eine Bedingung indessen!« fuhr der Senator zwischen beide Verlobte tretend fort, »ich trage an Sie, bester Sohn und Handelsfreund, eine heilige Schuld ab, indem ich Ihnen mein Liebstes gebe. Ich habe jedoch meine Gründe, warum ich die Heirat fürs erste ganz geheim gehalten, und endlich in Bälde und Stille gefeiert wissen will, damit nicht ferner eine Albernheit dazwischen komme. Mein Buchhalter und –« hier seufzte er, »Doktor Leupold schweigen wie beeidigte Männer. Knall und Fall! heute über acht Tage die Kopulation in Liebkirchen; und dann, mein Brautpaar, zu Schiffe, und fort, in Gottes Namen! Jetzo aber Gott befohlen!«

»Wenn Justine mein wird,« sagte Georg, »so bedarf ich keines Gepränges, und so wenig ich mir's nehmen lassen werde, zu Neuyork mit einer hübschen Frau groß zu tun, so wenig dringe ich hier, in der fremden Stadt, auf diese Befriedigung meiner Eitelkeit. In vierzehn Tagen ungefähr geht ein holländisches Schiff, das auf dem Texel liegt, nach Amerika unter Segel. Ich werde an van den Hoecken schreiben, daß er dessen Kajüte für uns miete. Bis dahin sind wir zu Amsterdam und reisefertig. Nicht wahr, Justine?«

Justine nickte stumm aber bewegt mit dem Kopfe. In der Senatorin Gesicht zeigte sich sogar ein flüchtiger Wehmutsschatten des Gedankens an Justinens Scheiden. Dem Senator gingen die Augen über. Er drückte allen hastig die Hände und entfernte sich rasch, seinen Geschäften nachzugehen.

Das Herz wurde ihm leichter, er sah Nothhafts Koffer von den Packknechten nach dem Gasthause schaffen. Sein Herz wurde ihm schwerer; der Doktor begegnete ihm bald hierauf.

»Nun, mein verehrter Herr?« fragte der Jesuit zutraulich und forschend, »Ihr Gesicht trägt das Gepräge eines freudigern Sinns? Gewiß haben Sie Ihren Entschluß gefaßt und sind mit Ihrem Gewissen aufs reine gekommen,«

»Das bin ich, hochwürdiger Herr,« sagte der Senator hierauf mutig, und zu der Waffe des Doppelsinnes greifend, »ich werde in bezug auf meine Tochter tun, was recht ist.«

»Dafür segne Sie Gott und der Dank Ihres Kindes!« erwiderte der Doktor mit Salbung und verließ den ungeduldig Fortschreitenden. Während dieser zum Bürgermeister wanderte, um bei demselben gegen Nothhaft zu prozedieren, und hierauf den Steuerkommissär aufsuchte, ihm zu sagen, daß dessen Weib sich unterstanden, gegen seine Ehefrau schändliche Injurien und Kalumnien über ihn an den Tag zu legen, und dem Kommissär zu drohen, im Wiederholungsfalle seine geschärfte Klage vor den Gerichten anzubringen; währenddessen traf der Doktor Leupold sehr zufrieden mit dem Superior und dem Schiffskapitän auf der Promenade am Schwanenmarkte zusammen. Der Kapitän war in seiner Uniform, der Superior als Quäker gekleidet. Die Anhänger dieser Sekte waren dazumal selten zu schauen und von dem Volke sehr geehrt, weil die sonderbare Einfachheit des Äußeren vieles von dem Innern hoffen ließ. Der Lakonismus dieser Leute, die Gewohnheit derselben, den Hut auf dem Kopfe zu behalten, ihre schmucklose Kleidung und ihr schulmeisterlicher Gang sagten dem Superior als Larve vorzüglich zu, um darunter Tonsur und Priesterschritt zu verbergen. So zufrieden der Doktor zu den Herren trat, so unzufrieden waren diese gegenseitig, wie Leupold bemerkte. Der Superior blickte sehr vornehm und niederschmetternd vor sich hin. Der Kapitän sah verdrießlich aus, und ungeduldig mit dem Stocke in dem Sand stochernd, rief er den nahenden Doktor an, sagend: »Sehr recht, mein würdiger Herr, daß Sie kommen. Der sehr geehrte Herr und Freund zu meiner Seite hat mich aufs Korn genommen und will mir den Spiegel samt Mast und Korb und Rahen mit einer Ladung zerschmettern. Helfen Sie mir auf. Bezeugen Sie, daß ich der ehrlichste niederländische Schiffskapitän bin, der jemals die See befuhr. Ist es wahr, daß ich schmutzige Prozente von meiner Fracht nehme? Ist es wahr, daß ich Seelenverkäuferei und Negerspedition nebenbei betreibe, und somit meine Fracht an Qualität und Quantität in Gefahr setze und schmälere?«

»Ich habe keine Beweise dafür,« versetzte der Doktor, »die Korrespondenten melden bisweilen dergleichen, mein guter Herr Tormerpick, und wenn der sehr ehrwürdige Herr an Eurer Seite dasselbe behauptet, so muß er wohl genauer unterrichtet sein!«

»Den Donner auch!« sagte Tormerpick mit galligem Ausdruck, »es sollen mich hunderttausend Tonnen voll Teufel regieren, wenn es wahr ist; so wahr ich John Tormerpick heiße und mein Vater, der wackerste Steuermann, von einem Hai gefressen wurde; Gott habe ihn selig. Wahr ist's, daß die Verleumdung am besten Rufe am eifrigsten nagt, und ich will gar nicht leugnen, daß darauf hin meiner Redlichkeit mancher unpassende Antrag gemacht wurde. Wie ich ihn aber stets zurückgewiesen habe? Bei allen Signalen, dort läuft just einer, der mir gestern abend« in der Schenke eine dito Eröffnung machte!«

Der Kapitän deutete auf Nothhaft, der in der Ferne quer über die Straße ging. Der Doktor lächelte, an seine Unterredung mit dem Menschen gedenkend. Der Kapitän nahm's für ein ungläubiges Lächeln und beteuerte seine Aussage mit einem seemännischen Kraftworte.

»Es waren ihrer zwei beisammen,« sagte er ausführlicher, »der Mensch dort, wie er mir sagte, ein Ladenschwengel aus einem vornehmen Hause allhier, und ein anderer, ein Hamburger Ellenreiter, der von seinem Prinzipal weggejagt worden sein mußte, so abgerissen und liederlich sah er aus. Die Burschen tranken Bier und schwatzten von Hamburg, von dem Lotto ... weiß Gott! wovon? Endlich schlief der Hamburger, der am meisten geschrien hatte, ein, und der andere kam auf mich zu und erzählte mir von einem jungen englischen Rindfleischesser, dessen er gern geraten möchte, wenn ich demselben eine Kommißbrotpfarrei zu Batavia verschaffen wollte. Nun wissen Sie wohl, meine geehrten Herren, daß man für einen achtzehnjährigen englischen Burschen, der noch obendrein von guter Familie sein soll, einen ordentlichen Batzen Handgeld bekömmt, und daß mancher Kapitän im Dienste unserer hochmögenden Herren eingeschlagen haben würde, wäre es nur aus Tück und Tort gegen die Halunken von England, und weil sogar die Transportkosten bezahlt werden sollten; aber Kapitän Tormerpick hat den Werber derb heimgeschickt, daß er nicht mehr anfragen soll!«

»Armer James!« dachte der Doktor bei sich, der nun den Zusammenhang begriff; dann setzte er laut bei: »ich möchte Euch wahrhaftig nicht raten, Kapitän, in den Handel einzugehen. Ich kenne den bezeichneten Jüngling und prophezeie Euch schlechte Folgen, wenn Ihr Euch an demselben vergreifen solltet.«

Der Kapitän machte ein sehr langes und albernes Gesicht; der Superior setzte mit einem sehr finstern hinzu: »Überhaupt, Kapitän, gebe ich Euch noch die Weisung in den Kauf, in Zukunft Eure Taxe, Zollisten und Spesen billig einzurichten. Die Gesellschaft möchte ansonst leicht dazu bewogen werden, unter den holländischen Kapitänen einen Stellvertreter für Euch zu erwählen. Quod notandum!«

Tormerpick führte sich mit verschiedenen Gemeinplätzen und oberflächlichen Bereitwilligkeits-Versicherungen ab. Der Superior sandte ihm noch einige Anmerkungen nach und sagte alsdann zu dem Doktor: »Pater Münzner! ich bin nicht sehr mit Ihnen zufrieden. Sie sehen dem Schiffs- und Speditorenvolk nicht genugsam auf die Finger. Sie schaden dadurch den Benefizdividenden unserer Gesellschaft: sind auch zu nachsichtig gegen mangelhafte Zahler, sind auch zu freigebig gegen Arme, Ihr Almosenbuch, das ich heute durchblätterte, strotzt von Ausgaben aus Ihrer Kassa. Das geht nicht. Almosengeben mit billigem Maß und Ziel ist nützlich; es empfiehlt, es bindet. Die diesem Zwecke entsprechende Quelle muß jedoch aus den Taschen christlicher Wohltäter in den Sack der Armut geleitet werden; nicht aus dem Vorrate der Gesellschaft, die nur verstattet, größere Summen herzuleihen, welche doppelten und dreifachen Zins zu tragen versprechen. Ich glaube, wir tun ohnehin schon genug an der Menschheit. Nebenbei, mein lieber Pater, verschwenden Sie Ihre Freigebigkeit an Unwürdige. Was soll zum Beispiel die namhafte Unterstützung bedeuten, die Sie einem Komödianten zugewendet haben? In der Tat, wäre mir Ihr reiner Sittenwandel nicht bekannt, ich würde vermuten, der Komödiant sei im Besitze eines hübschen Weibes.«

Der Doktor, seinen Verdruß bezwingend, erzählte sein Zusammentreffen mit Litzach. Der Superior beruhigte sich. »Ein Zögling der Gesellschaft?« sagte er alsdann, »das ist etwas anderes. Das war ein Ehrenpunkt. Was soll aber mit dem liederlichen Subjekte werden? Er darf nicht faulenzen. Man muß ihm Beschäftigung geben. War er ein guter Akteur, so muß er in zwanzig Kleider passen. Ich werde darauf denken. Nun aber ein Weiteres, mein Bruder und Freund im Herrn. Sie sind einer großen Lauheit im Bekehrungsgeschäfte angeklagt worden. Sie wollen nur diejenigen, wie ich höre, in den Bund der Kirche aufnehmen, an welchen Ihr Gemüt einigen Teil nimmt. Sie haben verschiedene Bekehrungen der Lainez getadelt, stehen sich überhaupt mit der artigen Witib nicht zum Besten. Nehmen Sie sich in acht. Die Lainez hat sich bitter beschwert. Sie wissen, was die Person bei dem Provinzial gilt; Sie stellen sich einer empfindlichen Demütigung bloß. Der Lainez darf nichts geschehen; weder von Ihnen, noch von dem jungen White, der sie quasi verächtlich behandelt. Es ist freilich, in betreff des Provinzials, gut, daß der junge Mensch sie nicht liebt, allein hassen soll er sie ebensowenig. Kein Wort der Erwiderung, Pater Münzner. Wir sind völlig über obige Punkte aufgeklärt worden und es sollte uns leid tun, Ihrer in unserem Berichte nach Rom ungünstig erwähnen zu müssen. Den Provinzial ... hunc tu amice caveto! wie der Heide sagt. Satis von obigem Gegenstande. Ein Weiteres. Wie steht es mit dem Senator?«

»Wohl,« versicherte der Doktor mit freierer Brust, »die projektierte Heirat wird in sich selbst zerfallen. Ein seltsamer Gespensterglaube hat sich ins Mittel geschlagen, um –«

»Gleichviel,« schaltete der Superior ein, »jedes Mittel taugt. Fürs erste, natürlicherweise, lehrt die Klugheit, alle Umstände so zufällig als möglich zu kombinieren; hilft aber der Alltagsgang zu nichts dann mögen spanische Fliegen angewendet werden. Ich habe der Lainez die Instruktion gegeben, in dem Hause des Senators alle Minen anzuzünden, um das sonderbare Gänschen von Tochter zu stimmen. Ich habe, im Namen der Gesellschaft, eine wahre Passion auf ihr Vermögen.«

»Zu Ihrem Troste darf ich Ihnen also sagen,« versetzte der Doktor, über des Vorgesetzten heißhungrigen Geiz seufzend, »daß Justinens Vater mir sein Wort gegeben, daß der Amerikaner nicht sein Schwiegersohn werden soll.«

»Quod sufficit. Indessen geht die Zeit hin und die Lainez wird schon das übrige tun.«

Während beide nun hingegen, völlig überzeugt, der Senator folge ihren Eingebungen unbedingt, fertigte dieser einen Brief nach Liebkirchen an den Prediger ab, um die Hochzeit geheimnisvoll vorzubereiten, Nothhaft schien von der Erde verschwunden und das Schweigen über die Heiratssache wurde vortrefflich bewahrt. Die Senatorin, welche befürchtete, um der Geistergeschichte willen ausgelacht zu werden, sah ihre Muhmen nicht bei sich. Die Männer beobachteten das Geheimnis unverbrüchlich. Justinens Zunge – sie konnte wohl sonst verschweigen – brach zuerst das Siegel. Mit der Lainez, die in dem Hause eingezogen war, auf ihrem Zimmer arbeitend und über die Geisterhistorie lachend, sagte sie im Uebermute ihrer neu erwachenden Zufriedenheit: Mit der Entlarvung des Spuks kam alles wieder ins Gleis, und diese Wäsche, an welcher wir arbeiten, meine Beste, ist mein Brautzeug. Ich werde Herrn Birshers Frau –«

Die Lainez erschrak, faßte sich und erfuhr nach ein paar gleichgültigen Fragen auch das Nähere aus dem Munde der Braut.


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