Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII.

Am folgenden Tage kam Ernst mit dem Rest eines schweren Katers zu Nettchen. Die Bierreise hatte in einem Tanzlokal geendet. Nettchen war ganz erschrocken und besorgt, doch er lachte sie aus. Er sei doch kein Schuljunge mehr und man müsse alles kennenlernen. Der Claus sei übrigens ein ganz famoser Kumpan.

Das schlimmste aber war, er hatte eine Bekanntschaft gemacht, die dauernde Folgen nach sich zog.

Unter den vielen, die zu Claus' Freundschaft gehörten, befand sich eine Schauspielerin und Filmdarstellerin, die es ihm angetan. Sie hieß Alla Alfada, oder vielmehr sie nannte sich so, ihr bürgerlicher Name war Alma Meyer.

Ernst lag an diesem Abend wie angeschossen in Nettchens Klappstuhl, und seine Augen brannten vor Verliebtheit.

»Sie ist ein Genie, sie verdient jährlich ein Vermögen mit ihrer genialen Begabung,« schwärmte er. »Es ist entzückend, wie sie das Geld verachtet, ihre Kunst ist alles für sie. Sie lachte, als sie hörte, daß ich arm sei und gestand mir, daß sie mich lieben würde, selbst wenn ich ein Bettler sei! Ihre Augen sind wie zwei Edelsteine und ihr Mund gleicht einer reifen Herzkirsche.«

Für das arme Nettchen kam jetzt eine schwere Prüfungszeit. Sie sah ihren Freund sehr selten und wenn er kam, quälte er sie mit den wechselvollsten Stimmungen. Entweder er war wie berauscht und rhapsodierte über die nie dagewesenen Reize und Tugenden seiner Alla, oder er glich einem Geschlagenen mit heimlichen Selbstmordgedanken.

Nettchen merkte, daß er seine Arbeit vernachlässige, und sie hatte Ursache zu fürchten, er gäbe mehr Geld aus als recht und gut sei. Sie kämpfte einen schweren Kampf mit sich selbst. Einmal versuchte sie ihm in das Gewissen zu reden und ihm Vorstellungen zu machen, daß er nicht auf dem rechten Wege sei. Doch sie kam schlecht damit an. Er wurde sehr unliebenswürdig und verbat sich Moralpredigten. Es tat ihr bitter weh als er sagte, sie könne die Schulmeistertochter nicht verleugnen, aber er verzichte auf eine Gouvernante.

An diesem Tage war sie so böse auf ihn und so schwer gekränkt, daß sie ihn aufgeben wollte. Doch die innere Stimme sagte ihr in der Stille der schlaflosen Nacht, das wäre eine schlechte Freundschaft, gerade jetzt brauche er sie mehr denn je. So blieb sie standhaft, aber ihre Augen blickten, als habe alles Leiden der Welt sich in ihnen gesammelt.

Eine ganze Woche ließ er sich nicht sehen, doch zum Schluß kam er, war wie immer lieb und nett mit ihr und sagte für den Sonntag seinen Besuch mit Alla Alfada an. Er habe Alla so viel von seinem Schwesterchen und ihrem Dachgarten erzählt, daß sie neugierig geworden und sie kennenlernen wolle.

Nettchen zitterte vor Erwartung. Sie glaubte an das echte Prinzessinnentum dieser Bühnendame, weil Ernst sie liebte. Und sie fühlte sich kaum würdig in der Gegenwart dieser mit allen Reizen des Leibes und der Seele Begnadeten zu atmen. Nein, Ernst sollte sich nicht in ihr täuschen.

Wie eine Schwester würde sie die aufnehmen, die er auserkoren. Sie dachte an Andersens Märchen von der kleinen Seejungfrau. Warum sollte es nur in Märchen solche Liebe und Treue geben? Die arme, kleine Seejungfrau folgte ihrem Prinzen bis zu dem Altar, vor dem er mit einer anderen stand, ob sie auch wie mit bloßen Füßen auf scharfen Messern ging.

In fieberhafter Aufregung schmückte Nettchen ihr Stübchen und den Dachgarten zum Empfang ihrer Gäste. Es war ein wundervoller, warmer Oktobertag, dessen Temperatur sich um die Mittagsstunde zur Hitze steigerte. Der Himmel strahlte in so tiefer Bläue, wie man sie nur im Herbst findet, und der Invalidenpark schimmerte von weitem in bunter Farbenpracht golden und rotleuchtenden Laubes zwischen kräftigem Grün. Nettchen hatte sich Frau Winkelmanns bestes, vergoldetes Kaffeegeschirr entliehen, und auf dem Tischchen der Dachlaube prangte neben einem kleinen Napfkuchen ein großer Blumenstrauß.

Und dann kam der große Augenblick.

Ach ja, sie war blendend, die Prinzessin von den Brettern mit dem Märchennamen; sie raschelte von Seide und Spitzen unter dem schicken Kostüm und sie glich genau den Idealgestalten in Jeannette Lafleurs Modejournalen. Ihr rassiges, etwas orientalisches Gesicht hatte die zarte Färbung von weiß und karminroten Rosenblättern, während der nicht zu kleine, volle Mund purpurn brannte und die Augen zwei schwarzen Diamanten glichen.

Aber – Nettchen fand plötzlich ihr ganzes Selbstgefühl wieder unter dem kritischen, vielsagenden Blick, mit dem Alla Alfada, oder richtiger Alma Meyer, sie und ihr kleines Heim abtaxierte.

»Guten Tag, Fräulein, – das ist ja die reine Hochtour bis zu Ihnen – hat mich der dumme Junge da hinaufgeschleppt – er hat manchmal so Katerideen – Sie müssen entschuldigen, daß wir sie überfallen, aber er ließ es sich ja nicht ausreden. Wo ist denn nun der berühmte Dachgarten? Ich hoffe, er entschädigt mich für die fürchterlichen Hintertreppen.«

Nettchen erschrak bis in das tiefste Herz über diese brutal geringschätzige Begrüßung, sie wagte es nicht, Ernst in die Augen zu sehen, so leid tat er ihr. Er versuchte denn auch den ungünstigen Eindruck abzuschwächen, und Nettchen kam ihm in zartester Weise zu Hilfe, doch die schöne Alla blieb ungerührt und machte kein Hehl aus ihrer sichtlich schlechten Laune. Als sie auf das Dach klettern sollte, stellte sie sich unerlaubt ungeschickt an, und zum Unglück blieb sie mit dem Spitzengeflirr ihrer Dessous am Fensterriegel hängen, was ihre Laune nicht verbesserte.

Sie lachte schrill über Nettchens Laube und nannte sie »ulkig«. Sie fragte Ernst, ob er nicht junge Damen von Katzen unterscheiden könne, das sei ihr doch im Leben noch nicht vorgekommen, daß man rußige Schornsteine und schmutzige Dächer schön fände. Jetzt wurde Ernst auch verstimmt, und Nettchen mußte ihre Liebenswürdigkeit verdoppeln, um der Stimmung das Peinliche zu nehmen. Sie ahnte aber nicht einmal, wie vorteilhaft sie mit ihrem natürlichen Takt und ihrer einfachen Würde gegen die innerliche Roheit der Bühnenprinzessin abstach. Schließlich brach eine Katastrophe herein.

Sie hatten bei Kaffee und Kuchen und mit sich selbst beschäftigt nicht darauf geachtet, daß hinter ihrem Rücken ein Wetter aufzog. Und wie es im Herbst bei außergewöhnlich sommerlicher Temperatur vorkommt, fegte plötzlich ein Wirbelwind über die Dächer, der Wolken von Staub und Ruß aufwühlte und gegen dessen föhnartige Gewalt Nettchens kleine Laube nicht standhalten konnte. Ranken und Stricke rissen, die Stangen bogen sich, Frau Winkelmanns vergoldetes Kaffeegeschirr geriet in die größte Gefahr, und erschrocken versuchten Ernst und Nettchen zu retten, was zu retten war. Alla kreischte laut, sie kümmerte sich um nichts, sondern stürzte schreiend nach dem Fenster, um sich in das schützende Zimmer zu flüchten.

Als Ernst und Nettchen nach einem Weilchen mit dem Kaffeegeschirr folgten, nachdem sie auch die Laube gegen gänzliche Zerstörung verwahrt hatten, fanden sie das Zimmer leer. Alla Alfada hatte schleunigst das Weite gesucht, um vor ausbrechendem Regen eine Straßenbahn zu erreichen, denn sie verspürte keine Lust sich länger in dieser »lächerlichen Bude« aufzuhalten. Neugierde und Eifersucht hatten sie hergeführt, weil Ernst so viel von Nettchen und ihrem Dachgarten gesprochen und geschwärmt. Doch ein einziger Blick auf diese Freundin seiner Kindheit hatte genügt, um sie zu überzeugen, daß Ernst in dieser Beziehung, wie in mancher anderen, einen sogenannten »Fimmel« habe, und daß es einen verlorenen Nachmittag für sie bedeute, sich in Dachregionen begeben zu haben, denen sie ja für ihre Person, dem Himmel sei Dank, seit einiger Zeit glücklich entronnen war.

Als Ernst das leere Zimmer sah, sagte er kein Wort, und wieder betrübte und schämte sich Nettchen in [ihrer] Seele, so daß sie ihn nicht anzusehen wagte. Er brach hastig auf und verabschiedete sich kurz. Nettchen saß allein mit dem vergoldeten Kaffeegeschirr, dem halb verzehrten Napfkuchen und dem schönen Blumenstrauß. Das Herz tat ihr bitter weh.

Nach diesem Sonntag ließ sich Ernst anderthalb Wochen nicht bei Nettchen sehen. Es war eine trübe Zeit.

Die Sorge um ihn lastete schwer auf ihr, denn trotz ihrer Unerfahrenheit und ihrer kindlichen Auffassung des Verhältnisses hatte sie den vollen Eindruck, daß es Unheil für ihn bedeute und ihm nichts Gutes bringen könne. Endlich klopfte er eines Abends wieder an ihre Tür, und sie erschrak bei seinem Anblick. Er fiel in einen Stuhl wie ein gebrochener Mann.

»Ernst, was ist dir? Mir kannst du alles sagen,« rief sie und griff nach seiner schlaff herabhängenden Rechten. Er riß sich krampfhaft zusammen.

»Laß nur, ich kann nicht darüber reden. Es ist alles aus, und so viel sollst du wissen – sie ist meiner Liebe nicht würdig!«

Als ob Nettchen das nicht schon gewußt hätte!

Sie fragte an diesem Abend nicht weiter, sie war nur doppelt lieb und freundlich zu ihm, umsorgte und pflegte ihn mit dem Besten, das sie herbeischaffen konnte und versuchte ihn auf andere, angenehme und heitere Gedanken zu bringen, obgleich ihr traurig zu Mut war. Sie las ihm Briefe von zu Hause vor, plauderte von der Heimat und machte Pläne für den nahenden Winter. Zu ihrer großen Freude sah sie ihm an, wie unendlich wohl ihm das tat. Er nahm einmal ihre Hand, drückte sie und sagte: »Nettchen, wenn ich dich nicht hätte!«

Er kam sehr bald wieder und sie erfuhr alles. Es war eine sehr alltägliche Geschichte, aber für ihn ein grausames, unerhörtes Erlebnis, es hatte seine Unerfahrenheit dazu gehört, sich himmelblauen Illusionen hinzugeben. »Sie« war natürlich weder ein Genie noch ein Talent, sondern ihre Jugend und körperlichen Reize, die durch das übliche Bühnengeschick in die Augen fielen, verschafften ihr die Möglichkeit zu einem üppigen Leben. Die Stunde kam und konnte nicht ausbleiben, wo Ernst die furchtbare Entdeckung machte, daß sie die Freundin eines der großen Konfektionäre der Leipziger Straße sei. Und als er wie ein Wahnsinniger zu Claus gestürzt, um ihn zur Rede zu stellen, warum er ihm nicht von vornherein die Wahrheit gesagt, wurde er von ihm gehörig ausgelacht und verspottet. Claus war zynisch genug zu sagen: »Seien Sie doch froh, wenn ein anderer das große Portemonnaie hat, ohne das es bei diesen Damen nicht abgeht. Und wenn das dumme Göhr Ihnen aus purer Passion nachläuft.«

Seitdem hatte er einen Widerwillen gegen Claus. Und seine gesunde, unverdorbene Natur empfand einen solchen Ekel, daß er Alla Alfada nicht mehr sehen konnte.

Sehr bald erfuhr Nettchen auch, was sie längst vermutet und gefürchtet, daß er mit seinen Finanzen in Unordnung geraten und seine Arbeit vernachlässigt habe. Seine Gewissensbisse und Reue waren verzweifelt, und wie ein kluges Mütterchen suchte sie zuerst nur ihn wieder aufzurichten und ihm neuen Lebensmut zu geben. Dann überlegte und rechnete sie mit ihm, wie der Schaden gut zu machen sei und welche Einschränkungen möglich wären, um das Defizit in seiner Kasse zu decken. Ja, sie half ihm vorläufig mit ihren kleinen Ersparnissen über das Schlimmste hinweg, und zu ihrer unendlichen Genugtuung brachte sie ihn langsam wieder in das rechte Geleise, und es gelang, seine Schulden, die nicht bedeutend waren, nach und nach abzuzahlen, ohne irgendeine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es war freilich eine harte Zeit der Entbehrungen für ihn gewesen, und ohne ihre Stütze und moralische Energie, die immer wieder sein Ehrgefühl anfeuerte, hätte er es nicht vermocht.

Allmählich wurde er wieder der alte, fröhliche Junge. Die Wunde, die ihm geschlagen, erwies sich nicht als lebensgefährlich, sie heilte aus. Und wenn ihm etwas von seinem harmlosen, gutgläubigen Knabensinn verloren gegangen, so hatte er an Erfahrung und Lebenskenntnis gewonnen, die kein Mann zu seiner Festigung im Daseinskampf entbehren kann. Nettchen kam diese Notwendigkeit nicht ganz klar zum Bewußtsein, sie besaß jedoch so viel Verständnis für sein innerstes Wesen, um zu fühlen, daß er reifer und männlicher geworden.

Von Claus von Dahlwitz hielt ihn seit dieser Begebenheit eine Abneigung zurück, die von Anfang an das vorwaltende Gefühl gewesen und nur im Rausch seines Liebesabenteuers eine Wandlung erfahren hatte. Bei der ersten Gelegenheit überbrachte er seinem Pflegevater den Brief von der Generalin und teilte ihm ihre Wünsche und Ansichten in Betreff der Majoratsstiftung mit. Der Pfarrer schüttelte dazu den Kopf. Er lehnte jeden Zweifel an dem lauteren Charakter der Herrin von Schönermark entrüstet ab und nannte es eine bewußte Unwahrheit, wenn die Generalin behaupte, daß ihre Schwägerin das Erbe durch Intrige an sich gebracht und den Bruder mit seinem Sohne darum betrogen habe.

Es war eine bittere Stunde für die Generalin, als sie folgendes Antwortschreiben von Pastor Wegerich erhielt:

   

Hochgeehrte, gnädigste Frau!

Ihr geschätztes Schreiben kam heute durch meinen Pflegesohn in meine Hände, und ich beeile mich, nach eingehender Prüfung seines Inhalts, die Antwort zu geben, wie ich sie nach Recht und Gewissen geben muß. Fräulein von Dahlwitz hat bereits vor einiger Zeit – es mag ein Jahr her sein – ernstlich in Erwägung gezogen, ob es ratsam sei, ein Familienmajorat zu stiften. Und sie hat die Angelegenheit mit mir besprochen. Wie stets und in allen Dingen stellte das gnädige Fräulein ausschließlich das Wohl und das Interesse der Familie obenan, im Hinblick auf zukünftiges Gedeihen und Fortbestehen, und sie ging mit dem Ernst und der Pflichttreue, die sie sowohl in kleinen wie in großen Entscheidungen auszeichnen, mit Gott und ihrem Gewissen zu Rate, was das Rechte zu tun sei. Nachdem alles, was dafür und dawider sprach, gründlich überlegt und erwogen worden, verzichtete sie auf diesen Lieblingswunsch einer Majoratsstiftung. Ich halte es für meine Pflicht, gnädige Frau, die ausschlaggebenden Gründe mitzuteilen. Das gnädige Fräulein, das mit mütterlichem Interesse die Entwicklung ihres Neffen beobachtet hat, weiß, daß er für den Beruf eines echten, rechten Landwirts keine Neigung und Veranlagung besitzt. Doch hält sie ihn seinen Fähigkeiten nach für prädestiniert, als Diplomat oder sonstwie Staatsbeamter dem Vaterlande zu nutzen und den Familiennamen zu neuen Ehren zu bringen. Sie bezweifelt jedoch, daß er die Arbeitslasten auf sich nehmen würde, die der höhere Staatsdienst bedingt, wenn er von früher Jugend an seine Zukunft als Majoratserbe gesichert wüßte. In mütterlicher Vorsorge wünscht sie ihn zu höchster Leistungsfähigkeit anzuspornen, und nach bereits gemachten Erfahrungen hält sie es für notwendig, einen erzieherischen Zwang auf ihn ausüben zu können, durch die Abhängigkeit von ihrer Zufriedenheit und ihrem Beifall. Es ist ihr fester Vorsatz, keinen Unwürdigen, sondern nur einen erprobten Charakter als ihren Nachfolger auf der geliebten Scholle, dem Erbe der Väter, zu sehen, und ich bin überzeugt, für diesen Wunsch volles Verständnis bei Ihnen, gnädigste Frau, zu finden. Ich kann es nicht übernehmen, Fräulein von Dahlwitz von neuem Unruhe und Gewissenskonflikte zu verursachen, indem ich versuche, ihren Entschluß wankend zu machen. Es würde auch sicher nichts daran ändern, denn Ihre Fräulein Schwägerin bleibt fest und ist nicht zu beirren, wo sie glaubt, das Rechte nach reiflicher Prüfung erkannt zu haben. Auch muß ich ihr beistimmen und bin nicht imstande gegen meine bessere Einsicht zu handeln. Mich Euer Hochwohlgeboren zu Gnaden empfehlend

alleruntertänigst

Martin Wegerich,
Pfarrer zu Schönermark und Kerkow.

 

Zornig schleuderte die Generalin den Brief, den sie ihrem Sohn vorgelesen, auf den Frühstückstisch, an dem sie saßen. Es war an einem Sonntagmorgen und die Sonntage pflegte Claus, wenn er nichts Besseres vor hatte, bei seiner Mutter in Potsdam zu verleben.

»Das nenne ich Farbe bekennen!« rief sie höhnend, »der alte Betbruder, der sich sicher fühlt, in der Gunst seiner Gönnerin, seines bevorzugten Beichtschäfleins, hat sich demaskiert! Da hast du's! Meine schlimmsten Befürchtungen werden wie gewöhnlich zutreffen. Sie machen gemeinschaftliche Sache gegen dich! Du bist der Unwürdige und daß der Würdige zur rechten Zeit zur Stelle ist, dafür wird der Herr Pastor zu Schönermark und Kerkow schon sorgen. Neuer Romanstoff: die Närrin und ihr Heiliger!«

»Werde nur nicht gleich hysterisch, Mama,« bemerkte Claus, nervös das Gesicht verziehend, »Du hast eben mal wieder eine – pardon – Dummheit gemacht. Dafür haben wir beide Ohrfeigen bekommen, die wir nicht erwidern können. Ich habe es dir ja vorher gesagt. Überlaß nur um Gottes willen meine Angelegenheiten mir selbst, denn wenn du diplomatisch wirst – das läuft immer auf die bekannte Geschichte vom Elefanten im Porzellanladen hinaus.«

»Ich bin es gewöhnt, von dir Undank und Ungezogenheiten zu ernten, wie und wo ich mich auch immer für dich opfere, und mit deinem Vater war es dasselbe! Hätte er auf mich gehört und zur rechten Zeit das Testament angefochten –«

Claus sprang auf und warf die kleine Frühstücksserviette ungeduldig auf den zierlich gedeckten und reich besetzten Tisch.

»Ich fahre mit dem nächsten Zug nach Berlin zurück, wenn du mir den Sonntag mit diesem alten Zank und Stank verdirbst, der ebenso verrottet und antiquiert wie zwecklos ist. Der Brief hier von dem Gemütsmenschen, dem lieben, alten Martin, läßt mich kalt, weil er mir nichts Neues bringt. Ich bin vollkommen orientiert und war keinen Augenblick im Zweifel über Tantens Absicht, mich unter der Fuchtel der Abhängigkeit von ihrer Gunst oder Ungunst zu erhalten. Gegen solche Leute gibt es nur eine Waffe: man macht ihnen etwas vor. Tugendbonzen sind niemals scharfsichtig, da spielt man eben etwas Theater. Wenn man aber, wie Du, ihnen offen sagt, was man wünscht, werden sie sofort mißtrauisch, und man erhält eine Absage.«

»Wenn es nur immer möglich wäre, ihnen etwas vorzumachen! Als du relegiert wurdest, war es nichts mit dem Theaterspielen.«

»Schrecklich, wie hartnäckig Frauen in dem Bestreben werden, uns Männern das Leben zu vergällen, wenn sie es uns nicht mehr versüßen können! Aber du wirst erlauben, daß ich mir auf meine Fasson einen angenehmen Sonntag mache, statt ihn mir auf deine verderben zu lassen. Also auf Wiedersehn zum Mittagessen ohne Beilage gewürzter und gepfefferter Privatkorrespondenzen.«

Mit diesen Worten verließ Claus seine Mutter, die schwer geärgert zurückblieb und vor Zorn weinte.


 << zurück weiter >>