Franz Stelzhamer
Groß-Piesenham
Franz Stelzhamer

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Ich erinnere mich auch, daß dieser brave Mann dem Richter Lidl jedesmal getreulich zur Seite stand im großen Rate der Männer und ihn immer kräftigst unterstützte mit seiner gediegenen Erfahrenheit und gründlichen Situationskenntnis.

Das Langergut hat die gar allerschönste Lage im ganzen Dorfe. Fast kastellartig an den ziemlich jähen Rand eines tiefen Abhanges kühn hingestellt, erfreut es sich der weitesten, sonnigsten Aussicht.

Der Abhang seinerseits ist selbst wieder voll natürlichen Reizes. Vorne, wo er gereutet und bloßgelegt, wächst nämlich eine ganze Flur von mächtigem, malerischem Unkraut. So pranget da, womit wir Kinder im Herbste trotz des bedeutenden Kratzens einander die Haare zu kämmen pflegten, in üppigster Entfaltung jene seltsame Stechapfelstaude, ferner – der großen, waldartig gescharten Nessel nicht zu gedenken – eine Menge wilden Salbeis; dann die großblättrige Klette, in behaglichster Fülle ausgebreitet; welche Unterhaltung bot sie uns mutwilligen Buben einmal unter uns selbst und erst dann gegen die Mädchen, wenn wir sie ihnen an die Rauhteile ihrer Bekleidung warfen oder gar in ihre langen Haare eindrehen konnten!

Es setzte zwar meistens Streit unter uns und von seiten der Mädchen Tränen und Anklage, allein, das eben war die Lust.

Noch interessanter war aber die »Leiten«, wo sie noch urwüchsig, ja ich darf sagen – urweltlich dastand, und, weiß Gott warum, vom Langer auch damals so belassen wurde. Ich zwar, mit meinen gewöhnlich bloßen Füßen, hatte mich niemals hineingetraut in das Gestrüpp von wilden Reben und Hopfen, das sich an den verschiedenen Stauden und größeren Bäumen emporrankte und aufwand, so daß es die »Leiten« oft förmlich überdachte; aber die anderen Buben, meine Kameraden, die gar nicht zu ahnen schienen, daß man auch im Sommer anders als bloßfüßig gehen könnte, die erzählten mir Wunder über Wunder.

Und ich mußte das glauben, denn was brachten sie mir für allerlei Schneckenhäuser, was für sonderbare Beeren, welch’ ganz andere Ruten und Gerten!

War das wunderbar genug, ich stellte es mir dann noch wunderbarer vor und das war der Lohn meiner Scheue, meiner Enthaltsamkeit.

Auf dem Langergute fiel lange Zeit nichts vor. Die Leutchen, Bauer und Bäuerin mitsamt ihren paar Kindern, lebten still und zurückgezogen in ihrem, auch nach außen vollkommen abgeschlossenen Gehöfte so ihr Leben dahin, daß man ihr Dasein kaum verspürte.

Endlich aber scholl eine Trauerkunde durch das Dorf.

Eines ihrer Mädchen, ein stets flinkes, rehartiges Geschöpfchen, hatte sich durch einen unglücklichen Sturz von der Leiter das eine Bein gebrochen.

Das war ein Schreck! Das war ein Jammer!

Bald darauf ging auch der alte Bader mit seinem Gehilfen schweigend und schnellen Schrittes durch das Dorf, um das Bein wieder einzurichten.

Wir Kinder alle und auch viele große Leute folgten mitleidsvoll, doch neugierig dem Bader auf dem Fuße.

Bald darauf hörten wir Käthchen schreien, schmerzlich schreien und wehklagen.

Unwillkürlich, wie geschrecktes Vieh, liefen wir Kinder von dannen, hierhin, dorthin, aber doch immer wieder zurück an Langers zugeriegeltes Tor.

Endlich war’s still. Vom Hause innen gegen das Tor erschollen Schritte – wir stoben wieder auseinander.

Das Tor öffnet sich. Der Bader und sein Gehilfe treten heraus ins Freie. Die Bäuerin hatte den Beiden das Geleite gegeben. Sie sprach mit dem Bader, der mit dem Kopf nickte, aber sie mußte sich trotz seines Nickens mit dem Schürzenzipfel über die Augen fahren und wischen.

»Ist ‘s glücklich vorüber?« fragte eins von den großen Leuten. Er winkte wieder nur mit dem Kopfe und ging seines Weges.

Ach, vorüber war’s freilich, aber nicht glücklich, nicht gut.

Nach einigen Wochen nämlich ging durch das Dorf ein zweiter Bader.

Derselbe hatte einen grünen, fadenscheinigen, sehr langen Rock, an dem beide Schöße lauter Taschen waren, abgefärbte lederne Kniehosen, über die Waden Strümpfe von etwas zweifelhafter Weiße, die ihrerseits wieder in zwei schlottrigen Stiefeln von gröbster Fasson staken. Auf dem Kopfe trug er über einer schmutzig-weißen Zipfelhaube einen alten Filz, der nur von dem Träger selbst übertroffen wurde. Am linken Arm hatte er, wie eine zu Markt gehende Köchin, einen großen Strohkorb, bei uns »Zögger« genannt, hangen. In der Rechten aber trug er eine junge, geschälte Eiche als Stütze und zugleich Waffe gegen irgendwelchen Anfall von Hund oder Mensch.

Die Leute zu beiden Seiten des Dorfes rissen die Fenster auf und lauteten einander zu:

»Der Bader zu Waldzell, der muß zu Langers Käthchen, mein Gott, mein Gott!«

Der letzte Aufruf- die Appellation an Gott – hatte aber seinen guten Grund.

Der vorbeschriebene Bader nämlich, der zu seinem Anzug noch ein rotes, triefäugiges Gesicht zeigte, war, wie jener berühmte Ritter, der Mann ohne Furcht, wenn auch nicht ohne Tadel. Der schnitt und stach und brach, daß es eine Freude war, nämlich für ihn, weil er sich dafür bezahlen ließ. Wenn du ihm seinen Korb mit Schmalz und Eiern, seine Taschen mit Brot, Selchfleisch und dergleichen gefüllt und noch ein paar Gröschlein in sein Beutelchen gegeben hättest, er hätte dir dafür Arm und Bein gebrochen, alle Zähne aus den beiden Kiefern gezogen, er hätte dir den Kopf ab- und das Herz herausgeschnitten und dann – versteht sich – wieder alles so gut als möglich geheilt und hergestellt.

Darum seufzten und schauderten die Leute, wenn sie ihn sahen oder gar haben mußten.

Nun, und der ging jetzt durchs Dorf zu Käthchen.

Das erste war, daß er ihr den Fuß, der freilich schlecht geheilt, scheel und völlig unbrauchbar war, von neuem brach.

Daß es krachte und mit einer wahren Zerstörungslust von des Andern »schlechter Arbeit«, wie er es nannte, warf er sich auf das wehe Bein und fing dann in dem Trümmerwerk seine eigene Arbeit an.

Ei, das ist leicht gesagt und leicht getan, aber das Arme, das es angeht!

Er richtete auch – der Wahrheit zur Steuer – das Bein Käthchens wieder leidlich her. Käthchen kam, wiewohl ein wenig hinkend, nach wieder etlichen Wochen sogar zum Gehen und ging, ging wieder auf das Feld und Sonntags in die Kirche, aber sie ging doch nicht mehr lange. Die Tortur und die gelittenen Schmerzen hatten den Lebenskern angegriffen, ihre Frische und Blüte kehrte nicht wieder, sie starb noch im vorjungfräulichen Alter.

Die Alten wurden noch stiller, noch zurückgezogener und starben endlich auch.

Das hübsche Langergut bekam Eva, die jüngere Tochter, eine hübsche, stille, sittsame Jungfrau.

Die suchte sich von anderswoher einen braven Burschen zum Mann. Auf der Stätte der Trauer begann ein neues, fröhliches und glückliches Leben.

Die Blume blüht,
welkt ab und dorrt,
Dann treibt sie neu,
so geht es fort.


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