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3

London, während achttägigen Aufenthalts war den Fairfax Qual. Von nichts als den Boches hörte man sprechen, und nichts kam sonst in Betracht. Was man über sie erreicht und von ihnen zu fürchten habe. Alle Zeitungen strotzten deutsche Brocken, in allem Gedruckten und Illustrierten las man deutsche »Weltauffassung« und »Kultur«.

Vom Morgen zum Abend gab es nichts als Kurse im Deutschen für Anfänger und Fortgeschrittene. Marx, Nietzsche und Einstein lernte man auswendig, dudelte Bach, Wagner und Mahler, und es schien, die siegreiche Nation, die seit Shakespeare geistig geruht hatte, wollte sich an Hand des inzwischen vom Besiegten glorreich Geleisteten zur Höhe der Zeit aufrichten.

Fairfax, der mindestens gehofft hatte, sich an einem Elementar-Englischem Vorschmack toller Genüsse auf dem Kontinent zu verschaffen, wurde schwer enttäuscht. Strikt zerfiel das Land nur in Northcliffe, das heißt den aus Haß gegen den Boche Existierenden oder die aus Respekt vor der großen deutschen Unbekannten Zitternden und Zagenden.

Vor so parasitärer Einstellung, die nichts Positives leistete, sondern passiv nur des Geschlagenen Geist erlitt, entsetzte sich Fairfax, und als ihn auf einem Kokottenball, den er zur Zerschmetterung ärgster Langeweile schleunigst angesetzt hatte, die erträglichste der sich anbietenden Huldinnen, Witwe eines englischen Kapitäns und selbst Schottin von Geburt mit deutschen Worten: »Na, Kleiner, was kannst du leisten?« ansprach, hatte er von Old England um so mehr genug, als Daisy erklärte, gentlemen bis in die Hofgesellschaft reichten, von allem andern abgesehen, ihrem Sioux geistig nicht das Wasser. Man wäre schon am fünften Abend abgereist, hätte Rullah, die älteste und ausgiebigste der Indianermädchen, nicht ein Karbunkel am linken Bein gehabt, das Abreise unmöglich machte.

So kam es noch zur Begegnung Fairfax mit dem britischen Finanzminister, der im Auftrag seiner Regierung Fairfax offiziell begrüßte und ihm die Vereinigten Königreiche endgültig verleidete.

Der Minister holte ihn aus, was er über neue Kredite Englands in den Vereinigten Staaten denke, und was die Ansicht der Bankiers von Wall Street sei. Purpurrot vor Zorn stotterte Fairfax, er kümmere sich den Teufel um Wall Street, wie es aber möglich sei, daß England überhaupt diesen abermaligen Kredit gebrauche, statt seine haushohen Schulden endlich zu zahlen. Sieger in großen Kriegen pflegten wie Japan und Amerika in Gold zu schwimmen, und wer kein Geld habe, sei im allgemeinen und im besonderen, gleich wie er selbst sich nenne, ein geschlagener Mann. Er setze sein Geld dahin, wo etwas los sei, habe sich aber überzeugt, England besitze an Irland und Indien zwei Hypotheken, für die es die Zinsen nicht aufbringe und lebe im übrigen von Frankreichs Chauvinismus, Belgiens Märtyrergeste, Amerikas wirklichem Unternehmertum und deutschen Methoden auf Pump. Pleiteres als England könne er sich nicht vorstellen, und was ihn persönlich anginge, natürlich keinen Schilling!

Auch die Einladung zum König Georg nahm er nicht mehr an, weil er eine Falle fürchtete, in der ihm der Monarch selbst noch die Summe abknöpfen wollte; ließ alle Agenten, Makler, Manager abweisen und auch Rosenthal Brothers nicht vor, die ihn im letzten Augenblick mit dem Angebot einer in Spiritus gut erhaltenen authentischen Fehlgeburt der jungfräulichen Königin Elisabeth von England locken wollten.

Nein, er hatte genug von diesem Land nichtgargekochter Roastbeefs und unverdaulichen Porterbiers, in dem sich Daisy aus Verzweiflung über ewigen Londoner Nebel, Tee und das bodenlose Dékolletté britischer Greisinnen zum erstenmal in ihrem Leben bis zur Bewußtlosigkeit besoffen hatte.

Für ihn hatte England im Krieg faulste Bilanz gemacht. Er, Fairfax, verstand sich auf Lebens Untertöne und hörte über fröhliche Gassenhauer klägliches Miauen eines Katzenjammers heraus. Beim Rückflug an die Küste sah er vom Flugzeug aus alle Schornsteine des Lands mit schwarzen Trauerfloren verhängt, und aller Qualm qualmte kläglich seitwärts.

»Ausgepumpt ist die Rasse nicht mehr entwicklungsfähig und ihr fehlt Humor Außerordentlichem gegenüber«, sagte er zu Daisy, die bedeutend nickte. »Sie sterben an englischen Grundsätzen und ihrer Sucht, zu unifizieren, konsolidieren. Etwas kann hier wie Krieg, Umsturz, Bolschewismus so originell wie möglich sein, zum Schluß wird alles englisch fad. Und kämen sie nach Ceylon, wo in Tropensonne Betonblöcke blühen und ausschlagen, der Engländer bliebe in Erstarrung unbewegt. Ich, der ich mich so auf die ersten waschechten Bolschewiken als Gegenspieler der Zukunft gefreut hatte, konnte sie in London von Konservativen nicht unterscheiden. So vernünftig und geschäftlich sprachen sie. Auch unter ihnen würde es in Großbritannien keine Carte blanche geben, mit der die großen Veränderungen und Geschäfte allein möglich sind, sondern nur ihre verwünschte Korrektheit, an der der irgendwie unternehmungslustige Mann krepiert.«

»Der Manager des Hotels hat auch übelgenommen, daß unsere Indianer sich in den Zimmern auf ihre Weise über Samt und Seide gehen ließen. Es war nicht genug, daß wir alles Zerstörte und nur Beschmutzte reichlich zahlten. Er soll geäußert haben, es sei im ganzen eine Schweinerei«, sagte Daisy. »Keinen Sinn für Nuance«, fauchte Fairfax. »Totes Volk. Von mir aus keinen Cent mehr.« »Aber das Embryo der Jungfraukönigin für zwei Millionen Pfund hättest du nehmen sollen.« »Seit wann ist London Markt für so ausgefallene Sachen?« sagte Fairfax. Und gibt es ein notorisches von ihr, gibt es in Frankreich, wo man Sinn für so etwas hat, bestimmt das Zweite. Und das kaufe ich für französische Franken um die Hälfte billiger.«

»Stimmt!« schloß Daisy.


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