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Daisy sah des Vaters Teilnahme für Frankreich mit scheelen Augen. Während er himmlische Frühlingswochen im silbernen Licht Paris' mit Konferenzen verbrachte, führte sie die ausgeschnittensten Kleider, schicksten Hüte in fabelhaftem Aufmarsch an öffentliche Orte spazieren, ersetzte sie jeden Tag durch neue Einkäufe bei Paquin, Redfern aber auch bei Marthe Collot und Madelaine Vionnet und zeigte Frankreichs staunendem Volk, was ein richtiges amerikanisches Girl ist.
Anschluß an Bevölkerung nahm sie nicht über den Weg spitzfindiger Gespräche, doch aller möglichen Laute, Gerüche, Berührungen, Blicke; war auf dem Leben der unvergleichlichen Stadt ein keckster Akzent. Begegnete plünderte sie in bezug auf das, was sie an ihnen reizte, entkleidete mit Blick aus grauen Augen die Kokotte und Frau von Welt wie spröde Kadetten und zusammengestürzte Lebemänner. Sie schlürfte Paris als einen mit Würze und Parfüms gefüllten Markknochen, ohne sich den Magen zu verderben, aber ohne auch, wie sie sich alsbald gestand, je satt zu werden. Es schien, als lebe sie von lauter Gekröse und Schlagrahm, und immer mehr fehle belebende Grundkost.
Das machte sie aus körperlicher Schlaffheit endlich kritisch und feindlich. Nicht mehr naiv sah sie den Franzosen, aber aus der Perspektive der getäuschten Kundin; stellte fest, ihm mangle unbedingt Mark in Knochen, und er unterscheide sich von keinen Geschöpfen im Kino, die auch die dritte Dimension in die Tiefe vortäuschten, aber doch nur flach in Höhe und Breite agierten. Und auch sein Deutschenhaß sei nicht, wie der Vater meine, innerste zeitgenössische, sondern nur aus Überlieferung aufgepappte Notwendigkeit.
Stets, wenn ein Höhepunkt mit einem Franzosen erreicht war, und es sollte gerade Entscheidendes losgehen, schien er sie mit etwas zu vergleichen, eine Sache aus ihr machen zu wollen, zu der er schon von früher Beziehungen hatte, und zu deren Verständnis er sich nicht anstrengen mußte, während sie brannte, unvergleichlich sie selbst, nie dagewesen zu sein und mit ihm in ein unerhörtes Unbekanntes schmetternd aufzubrechen.
Sie merkte, vor lauter in ihm festgemachter Vergangenheit fiel dem Franzosen nichts anderes ein; er wollte von keiner Situation, daß sie neu sei, sondern hübsches verehrtes Vorbild nachahme. So war sein Leben und was damit zusammenhing, Kopie, während Daisy spürte, der zu entsprechen, brauche sie keine Fairfax zu sein, sondern das träfe die erste Beste. Schließlich glühte sie in ständigem Beleidigtsein, sah alle Frage, Antwort und noch intimste Berührung voraus, wie sie alles auf französischen Films ahnte, ehe es sich kitschig dort ereignete.
Eine tote Rasse sei das, die nach Modellen, nicht wirklich lebe und in Theatern, Kinos und sonst sich nur überzeuge, daß Kuß und anderer Akt nach Paradigmen klappe.
Sie konnte das gefilmte und nicht gefilmte Abschreiten von Regimentsfronten durch greisenhafte Zivilisten, starre Militärs, die sich zum Schluß unter gegenseitigem Anheften von Medaillen auf beide Backen schmatzten, Enthüllen von Denkmälern, Einsargen von Kriegshelden, Aufsagen ranziger Toaste oder abgekarteter Liebeserklärungen nicht mehr ertragen und ließ sich abends zu Haus von ihren Indianern stundenlang deren Kriegsgeheul vorbrüllen, um Elementares zu spüren und an es angeschlossen zu bleiben.
Ein Frühlingssonntag war's auf der Rennbahn in Longchamps! Das offizielle Paris und Europa prangten auf Tribünen wie ein bunter verblühter Blumenkorb, der öde roch. Es herrschten Peau d'Espagne und Ambre de Nubie vor. Fairfax auf weithin sichtbarem Ehrenplatz an der Rampe der großen Regierungsloge bei den Ministern, bezeichnete Daisy das versammelte Publikum als neue Auslese, die er »Kleptokratie« nannte. Diese Klasse habe die insgesamt fünfzehnhundert Milliarden Franken Kriegsanleihen sämtlicher Nationen in ihre Tasche gebracht, eine hübsche Summe, die ihr die arbeitende Menschheit mit jährlich neunzig Milliarden verzinsen müsse.
Alles rollte rings schon wie Film und klassisch am Schnürchen ab. Man brauchte gar nicht hinzusehen. Wieder waren vor dem ersten Start durch einen Marschall von Frankreich drei Brave mit knallenden Küssen und viel Salut gefeiert und photographiert worden, und alle Welt wie Glas, starrte auf das, was fabelhaft sich ereignen sollte: die Ankunft der englischen Königin auf dem Rennplatz und ihr strahlender Empfang durch Frankreichs Oberhaupt!
Daisy blies dem Vater ins Ohr, seine Neugier begriffe sie nicht. Wie ihn oft Gesehenes und an sich Fades eine Sekunde reizen könnte. Fairfax sagte, es reize ihn nicht. Er stelle nur wieder fest und ziehe Schlüsse. Daisy zischte, man solle endlich aus diesem Leichengestank nach Deutschland oder besser gleich heim nach New York aufbrechen. Ihr stünde das Abendland bis in den Hals. Fairfax schloß, er sei noch nicht schlüssig.
Da aber brausten schon Vive la France Rufe wie aus tausend Grammophonen, wedelten Trikoloren und Spitzentaschentücher, wölbten sich Männerbrüste und Frauenbusen. Da tuschten Orchester, kurbelten Operateure, ratterten Flugzeuge, und sank jedes Menschenglied in das gewollte repräsentative Großbild.
Wolken rollten am Himmel zurück und ließen Sonne auf die mit sechs rassigen Schimmeln mit Vorreitern à la Daumont gefahrene Prachtgalakutsche der in Weiß und Heliotrop gekleideten britischen Souveränin blitzen. Licht, Luft und Landschaft standen Hände an der Hosennaht.
In diesem Augenblick, als Zehntausende ein Hauch Respekt standen, und nur Daisy Fairfax Revolte war – es kippten Standarten, es standen die präsentierten Degen auf, als strahlend der Präsident in hohem Hut mit rotem Band des Großkordons der Ehrenlegion auf der Brust, dem haltenden Wagen der Königin und ihrer Damen nahte – es kreischten Marseillaisen und der Himmel hielt den Atem an – in diesem feierlichen Moment spreizte das hinterste Handpferd, prachtvolle Stute, trotz aller Gegenbewegungen des Jockeys, der sie ritt, die Hinterbeine so weit es konnte und ließ einen mächtigen, nicht endenwollenden Strahl plätschernd zur Erde sausen.
Alles starrt und staunt in Grauen. Als ginge Frankreich in einem Moment zu Grund, schien es, als seines Oberhaupts gebügelte Frackhose von der Sintflut bespritzt wurde, und die Umgebung sie mit Taschentüchern nur eben trocknen mußte.
Da aber wurde die allgemeine Lähmung durch Lachen gelöst, ein Prusten, Schreien, Gellen, das aus einem Mädchenmund spritzte, trillerte, sich überschlug, und das der umstehende Kreis von Menschen zu beschwichtigen suchte. Das aber toller platzte, tobte, kicherte, bis die Person vor Lachen vom Stuhl sank, und ihr Haupt jäh von der Bogenbrüstung verschwand.
Der Regierungsloge! Empörung war allgemein und grenzenlos!
Aber der Auftritt hatte zur Folge, daß die Stute inzwischen vollendet hatte, die Feier noch einigermaßen rollte, der Speech, god save the queen steigen konnte, und Frankreichs Ehre wieder einmal gerettet war!