Adalbert Stifter
Der Hagestolz
Adalbert Stifter

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Einpaken.«

»Mein Gott, Kind, du hast ja noch nicht gegessen. Warte nur ein Weilchen. Jetzt wird es wohl schon warm sein.«

Victor wartete. Sie ging hinaus und brachte zwei Töpfchen, eine Schale, eine Tasse und ein Stük Milchbrod auf einem runden, reinen messingberänderten Brette herein. Sie stellte alles nieder, schenkte ein, kostete, ob es gut und gehörig warm sei, und schob dann das Ganze vor den Jüngling hin, es dem Dufte der Dinge überlassend, ob er ihn anloken werde oder nicht. Und in der That: ihre Erfahrung täuschte sie nicht; denn der Jüngling, der Anfangs nur ein wenig zu kosten begann, sezte sich endlich wieder nieder, und aß mit all dem guten Behagen und Gedeihen, das so sehr der Jugend eigen ist.

Sie war indessen allgemach fertig geworden, und ihre Abwischtücher zusammenlegend, schaute sie zu Zeiten freundlich und lächelnd auf ihn hin. Als er endlich alles Hereingebrachte verzehrt hatte, gab sie dem Spiz noch die kleinen Ueberreste, die da waren, und trug dann das Geschirr wieder in die Küche hinaus, daß es von der Magd gereinigt werde, wenn sie nach Hause komme; denn dieselbe war auf den Kirchenplaz des Thales hinaus gegangen, um manche Bedürfnisse für den heutigen Tag einzukaufen.

Als sie wieder von der Küche herein gekommen war, stellte sich die Frau vor Victor hin, und sagte: »Jetzt hast du dich erquikt, und nun höre mich an. Wenn ich wirklich deine Mutter wäre, wie du mich immer nennst, so würde ich recht böse auf dich werden, Victor; denn siehe ich muß dir sagen, daß dein Wort groß Unrecht ist, welches du erst sagtest, daß dich nichts mehr freue. Du verstehst es jetzt nur noch nicht, wie unrecht es ist. Wenn es selbst etwas Trauriges wäre, das auf dich harrt, so solltest du ein solches Wort nicht sagen. Siehe mich an, Victor, ich bin jetzt bald siebenzig Jahre alt, und sage noch nicht, daß mich nichts mehr freue, weil einen alles, alles freuen muß, da die Welt so schön ist und noch immer schöner wird, je länger man lebt. Ich muß dir nur gestehen – und du wirst selber auf meine Erfahrung kommen, wenn du älter wirst – als ich achtzehn Jahre alt war, sagte ich auch alle Augenblicke, mich freut nichts mehr – ich sagte es nehmlich, wenn mir diejenige Freude versagt wurde, die ich mir gerade einbildete. Dann wünschte ich alle Zeit weg, welche mich noch von einer künftigen Freude trennte, und bedachte nicht, welch ein kostbares Gut die Zeit ist. Wenn man älter wird, lernt man die Dinge und Weile, welche auch noch immer kürzer wird, erst recht schäzen. Alles, was Gott sendet, ist schön, wenn man es auch nicht begreift – und wenn man nur recht nachdenkt, so sieht man, daß es blos lauter Freude ist, was er gibt; das Leid legen wir nur selber dazu. Hast du im Hereingehen nicht gesehen, wie der Sallat an der Holzplanke, von dem noch gestern kaum eine Spur war, heute schon aller hervor ist?«

»Nein, ich habe es nicht gesehen,« antwortete Victor.

»Ich habe ihn vor Sonnenaufgang angeschaut, und mich darüber gefreut,« sagte die Frau. »Ich werde es mir von nun an sogar so einrichten, daß kein Mensch von mir mehr sagen kann, er habe mich eine Thräne aus Schmerz weinen gesehen, wenn auch ein Schmerz käme, der doch wieder nur eine andere Art Freude ist. In meiner Jugend habe ich große, große, und heiße Schmerzen gehabt; aber sie sind alle zu meinem Wohle und zu meiner Besserung – oft sogar zu irdischem Glüke ausgefallen. Ich sage das alles, Victor, weil du bald fort gehst. Du solltest Gott sehr danken, mein Kind, daß du die jungen Glieder und den gesunden Körper hast, um hinaus gehen und alle die Freuden und Wonnen aufsuchen zu können, die nicht zu uns herein kommen. – – Siehe, du hast kein Vermögen – dein Vater hat von dem Mißgeschicke, das ihn hienieden traf, vieles selbst verschuldet, jenseits wird er wohl die ewige Seligkeit haben; denn er war ein guter Mann und hat immer ein weiches Herz gehabt, wie du. Als sie dich nach der Verordnung des Testamentes deines verstorbenen Vaters zu mir brachten, damit du bei mir lebest, und auf dem Dorfe für dich lernest, um was sie dich dann immer in der Stadt fragen würden, hattest du so viel als nichts. Aber du bist herangewachsen, und nun hast du sogar das Amt erhalten, um welches so viele geworben haben, und um welches sie dich beneiden. Daß du jetzt fort mußt, ist nichts, und liegt in der Natur begründet; denn alle die Männer müssen von der Mutter, und müssen wirken. Du hast daher lauter Gutes erfahren. Du sollst deßhalb zu Gott dein Gebet verrichten, daß er dir alles gegeben hat, und du sollst demüthig sein, daß du die Gaben hast, es zu verdienen. – – Siehst du, Victor, alles das zusammengefaßt, würde ich über deine Rede böse sein, wenn ich deine Mutter wäre, weil du Gott den Herrn nicht erkennst: aber weil ich deine Mutter nicht bin, so weiß ich nicht, ob ich dir so viel Liebes und Gutes gethan habe, daß ich mich sonst auch erzürnen darf, und zu dir sagen: Kind, das ist nicht recht von dir, und es ist ganz und gar nicht gut.«

»Mutter, ich habe es auch in dem Sinne nicht gemeint, wie ihr es nehmt,« sagte Victor.

»Ich weiß, mein Kind, und betrübe dich auch nicht zu sehr über meine Rede,« erwiederte die Mutter. »Ich muß dir nun auch sagen, Victor, daß du jezt gar nicht so arm bist, als du vielleicht denken magst. Ich habe dir oft gesagt, wie ich erschroken bin – das heißt, aus Freude bin ich erschroken – als ich erfahren habe, dein Vater hätte in sein Testament gesezt, daß du bei mir erzogen werden sollest. Er hat mich schon recht gut gekannt und hat das Vertrauen zu mir gehabt. Ich glaube, es wird nicht getäuscht worden sein. Victor, mein liebes, mein theures Kind, ich werde dir jezt sagen, was du hast. Du hast an Linnen – das ist der auserlesenste Theil unserer Kleider, weil er am nächsten an dem Körper ist, und ihn schüzt und gesund erhält – so viel, daß du täglich wechseln kannst, wie du es bei mir gelernt hast. Wir haben alles ausgebessert, daß kein Faden davon schadhaft ist. Für die Zukunft wirst du immer noch erhalten, was du brauchst. Hanna bleicht draußen Stüke, wovon die Hälfte schon für dich gerechnet ist – und Striken, Nähen, Ausbessern werden wir besorgen. Im andern Gewande bist du anständig; du kannst dich dreimal anders anziehen, das nicht gerechnet, was du eben am Leibe hast. Es ist jezt alles feiner hergerichtet worden, als du es bisher gehabt hast; denn ein Mann, Victor, der sein erstes Amt antritt, ist wie ein Bräutigam, der ausgestattet wird – und er soll auch im Stande der Gnade sein, wie ein Bräutigam. Das Geld, welches sie mir alle Jahre für deinen Unterhalt geben mußten, habe ich angelegt, und habe immer die Zinsen wieder dazu gethan. Das hast du nun alles. Der Vormund weiß es nicht und braucht es auch nicht zu wissen; denn du mußt ja auch etwas für dich haben, daß du es ausgeben kannst, wenn sich andere sehen lassen, damit dir das Herz nicht zu wehe thut. Wenn dir dein Oheim das kleine Gütchen entreißt, welches noch da ist, so betrübe dich nicht, Victor; denn es sind so viele Schulden darauf, daß kaum mehr ein einziger Dachziegel dazu gehört. Ich bin in dem Amte gewesen, und habe mir es für dich aufschlagen lassen, damit ich es weiß. Manches Mal einen Nothpfennig bekommst du schon von mir auch noch. So ist alles gut. – Zu deinem Oheime mußt du nun schon die Reise machen, ehe du in das Amt eintrittst, weil er es so wünscht. Wer weiß, wozu es gut ist – du verstehst das noch nicht. Der Vormund erkennt auch die Nothwendigkeit, daß du dich dem Wunsche einer Fußwanderung zu dem Oheime fügest. Hast du gestern Rosina gesehen?«


 << zurück weiter >>