Adalbert Stifter
Der Hagestolz
Adalbert Stifter

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Die Mutter hat gesagt, ich möchte heute noch ein freundliches Wort zu dir sagen, weil wir öfter mit einander gezankt haben – ich möchte noch gut reden, ehe ich auf immer fort gehe – – und da bin ich gekommen, Hanna, um dich zu bitten, daß du nicht auf mich böse seiest.«

»Wie redest du nur, ich bin ja in meinem ganzen Leben nicht böse auf dich gewesen.«

»O ich weiß es jezt recht gut, du bist immer die Gequälte und Geduldige gewesen.«

»Victor, ängstige mich nicht, das ist dir nur heute so.«

»Nein, du warst immer gut, ich dachte es nur nicht so. Höre mich an, Hanna, dir will ich mein ganzes Herz ausschütten: ich bin ein unbeschreiblich unglüklicher Mensch.«

»Heiliger Gott! Victor, mein lieber Victor! was ist dir denn so schwer?«

»Siehst du, den ganzen Tag hängen mir die niederziehenden Thränen in dem Haupte, ich muß sie zurük halten, daß sie mir nicht aus den Augen fallen. Als ich nach dem Mittagsessen an dem traurigen Wasser und an dem Buchengewände hinauf ging, war es nicht eigentlich lange Weile, sondern, daß mich nur keine Augen anschauen möchten – – und da dachte ich mir: ich habe doch gar niemand auf der ganzen großen weiten Erde, keinen Vater, keine Mutter, keine Schwester. Mein Oheim bedroht mir meine wenigen Habseligkeiten, weil ihm mein Vater schuldig war, und die Einzigen, die mir Gutes thun, muß ich verlassen.«

»O Victor, lieber Victor, kränke dich nicht zu sehr. Dein Vater und deine Mutter sind freilich gestorben; aber das ist schon lange her, daß du sie kaum gekannt hast. Dafür hast du eine andere Mutter gefunden, die dich so liebt, wie eine wahre – und du hast ja zeither keine Klage wegen der Verstorbenen gethan. Daß wir jezt scheiden müssen, ist sehr, sehr traurig; aber versündige dich nicht an Gott, Victor, der uns die Prüfung auferlegt hat. Trage sie ohne Murren – ich trug sie auch schon den ganzen Tag her, und murrte nicht; ich hätte sie auch getragen, wenn du gar nicht mehr zu mir gekommen wärest, um mit mir zu reden.«

»O Hanna, Hanna!«

»Und wenn du auch fort bist, werden wir sorgen, was wir dir schiken sollen, wir werden für dich bethen und ich werde alle Tage in den Garten gehen, und auf die Berge schauen, über die du fort gegangen bist.«

»Nein, thue es nicht; sonst wäre es gar zu kläglich.«

»Warum denn?«

»Weil doch alles nicht hilft – und weil es nicht das allein ist, daß ich scheiden muß und daß wir uns trennen müssen.«

»Was ist denn?«

»Daß alles vorüber ist, und daß ich der einsamste Mensch auf Erden bin.«

»Aber Victor, Victor.«

»Ich werde nie heirathen – es kann nicht sein – – es wird nicht möglich werden. Du siehst also, ich werde keine Heimath haben, ich gehöre niemanden an; die Andern werden mich vergessen – und es ist gut. – Begreifst du es? – – Ich habe es nie gewußt, aber jezt ist es ganz klar – ganz klar. Siehst du es nicht? – – Warum schweigst du denn plözlich, Hanna?«

»Victor!«

»Was, Hanna?«

»Dachtest du schon?«

»Ich dachte.«

»Nun?«

»Nun – nun – es ist ja alles vergeblich, alles umsonst.«

»Bleibe ihr treu, Victor!«

»Ewig, ewig; aber es ist umsonst.«

»Warum denn?«

»Ich sagte dir ja, daß mir mein Oheim das Gut, das einzige, was übrig blieb, nimmt. Sie ist wohlhabend, ich bin arm, und kann noch lange, lange Zeit kein Weib ernähren. Da wird einer um sie werben kommen, der sie ernähren, ihr schöne Kleider und Geschenke geben kann, und den wird sie nehmen.«

»Nein, nein, nein, Victor, das thut sie nicht – das thut sie ewig nicht. Sie wird dich ihr ganzes Leben lang so lieben, wie du sie, und wird dich nicht verlassen, wie du sie nicht verläßst.«

»O liebe, liebe Hanna!«

»Lieber Victor!«

»Und es wird gewiß eine Zeit kommen, wo ich wieder zurück komme – da werde ich nie ungeduldig werden, und wir werden leben, wie zwei Geschwister, die sich über alles, alles lieben, was nur immer diese Erde tragen kann, und die sich ewig, ewig treu bleiben werden.«

»Ewig, ewig,« sagte sie, indem sie rasch seine dargebothenen Hände ergriff.


 << zurück weiter >>