Adalbert Stifter
Der Hagestolz
Adalbert Stifter

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Der andere Tag, der letzte, den Victor in diesem Hause zuzubringen hatte, brachte nichts Ungewöhnliches. Man pakte noch manches, man ordnete das schon Geordnete noch einmal, man that, wie es in solchen Fällen sehr gewöhnlich ist, gegen einander, als sollte gar nichts vorfallen, und so war der Vormittag bald vorüber.

Nach dem Mittagsessen, als man kaum aufgestanden war, ging Victor schon an dem Bache durch die Gegend hinauf, und wandelte für sich allein dem Buchengewände und dessen Steinhängen zu.

»Laß ihn gehen, laß ihn gehen,« sagte die alte Frau für sich, »das Herz wird ihm schwer sein.«

»Mutter, wo ist denn Victor?« fragte Hanna einmal im Laufe des Nachmittages.

»Er ist Abschied nehmen gegangen,« antwortete diese, »von der Gegend ist er Abschied nehmen gegangen. Mein Gott! er hat ja nichts anders. Der Vormund, ein so vortrefflicher und vorsorglicher Mann er ist, ist ihm doch ferne, und so sind es auch die Angehörigen des Vormundes.«

Hanna erwiederte auf diese Worte nichts – – gar nicht den leisesten Laut erwiederte sie darauf, und ging zwischen das Gebüsche der kleinen Pflaumenbäume hinein.

Der Rest des Nachmittages verging in diesem Hause, wie gewöhnlich. Die Menschen verbrachten ihn mit den Arbeiten, die ihnen zukamen, die Vögel in ihren Bäumen verzwitscherten ihn, die Hühner gingen in dem Hofe herum, die Gräser und Pflanzen gediehen ein wenig weiter, und die Berge schmükten sich mit Abendgold.

Als die Sonne schon von dem Himmel verschwunden war, und nur mehr die goldblasse, ahnungsreiche Kuppel über dem Thale stand – darum ahnungsreich, weil sie morgen als eben so goldblasse Frühkuppel über dem Thale stehen, und denjenigen auf immer fortführen wird, den hier alle so lieben – als diese Kuppel über dem Thale glänzte, kam Victor von seinem Gange, auf den er sich so eilig nach dem Essen begeben hatte, zurük. Er ging längs der Gartenplanke, um das Pförtchen zu gewinnen, das von der Leinwandbleiche hineinführt. Die weißen Linnenstreifen waren nicht mehr da, nur das grünere und nassere Gras wies die Stellen, wo sie unter Tags gelegen waren – manche Fenster waren über die Gartenbeete gedekt, weil der blanke Himmel eine kühle Nacht versprach – von dem Hause stieg ein dünnes Rauchsäulchen auf, weil die Mutter schon vielleicht für das Abendessen sorgte. Victor hatte sein Angesicht dem Abendhimmel zugewendet, es wurde von demselben sanft beleuchtet, die kühlere Luft floß durch seine Haare, und der Himmel spiegelte sich in dem trauernden Auge.

Hanna hatte ihn beinahe dicht an sich vorüber gehen gesehen, da sie an der inneren Wand der Gartenplanke stand, aber sie hatte nicht den Muth gehabt, ihn anzureden. Das Mädchen war beschäftigt von einem struppigen geschornen Busche Stüke eines Seidenstoffes herab zu lesen, die in einem getrennten Kleide bestanden, gefärbt worden waren, und unter Tags zum Troknen sich auf dem Busche befunden hatten. Stük nach Stük nahm sie herab, und legte sie auf ein Häufchen zusammen. Da sie nach einer Weile umblikte, sah sie Victor im Garten bei der großen Rosenheke stehen.

Später sah sie ihn wieder bei der Heke des blauen Hollunders stehen, der schon Knospen hatte. Der Hollunder aber war viel näher gegen sie her, als die Rosenheke. Dann ging er wieder ein wenig weiter, und endlich kam er zu ihr herzu, und sagte: »Ich will dir etwas hinein tragen helfen, Hanna.«

»Ach nein, Victor, ich danke dir,« antwortete sie, »es sind ja nur ein par leichte Läppchen, die ich färbte und hier troknen ließ.«

»Hat sie dir die Sonne denn nicht sehr ausgezogen?«

»Nein; dieses Blau muß man in die Sonne legen, vorzüglich in die Frühlingssonne, da wird es immer schöner.«

»Nun, und ist es schön geworden?«

»Sieh her.«

»Ach ich verstehe es doch nicht.«

»Es ist nicht so schön geworden, wie die Bänder im vorigen Jahre, aber doch schön genug.«

»Es ist sehr feine Seide.«

»Sehr fein.«

»Gibt es noch feinere?«

»Ja, es gibt noch viel feinere.«

»Und möchtest du recht viele schöne seidene Kleider haben?«

»Nein; sie sind zum Festtagsgewande sehr vorzüglich; aber da man nicht viel Festgewand braucht, so wünsche ich nicht viel Seide. Die andern Kleider sind auch schön, und Seide ist immer ein stolzes Tragen.«

»Ist der Seidenwurm nicht ein recht armes Ding?«

»Warum, Victor? «

»Weil man ihn tödten muß, um sein Gewebe zu bekommen.«

»Thut man das?«

»Ja, man siedet sein Gespinnst im Wasserdunst, oder räuchert es in Schwefel, damit das Thier drinnen stirbt; denn sonst frißt es die Fäden durch, und kömmt als Schmetterling heraus.«


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