Adalbert Stifter
Der Hagestolz
Adalbert Stifter

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Er stellte seinen Vogel hin, ging mit Victor hinaus, zog einen Schlüssel aus seinem grauen Roke, und schloß damit die Thür der Holztreppe auf, die er hinter dem Jünglinge sogleich wieder versperrte.

Dieser lief die Treppe auf den Sandplaz hinab. Da hier die Fluth des Lichtes seinen erfreuten Augen entgegen schlug, wendete er sich ein wenig um, um das Haus von außen zu betrachten. Es war ein festes dunkles Gebäude mit dem einzigen Geschoße, in welchem er die heutige Nacht geschlafen hatte. An den offenen Fenstern erkannte er seine Zimmer. Denn alle andern waren zu, und prangten vielfach mit den schönen Farben der Verwitterung. Sie standen sämmtlich hinter festen starken Eisengittern. Das Hauptthor war verrammelt, und die hölzerne überdekte Treppe zu dem Sandplaze herab schien der einzige Eingang zu sein. Wie war das anders, als zu Hause, wo Fenster an Fenster offen stand, weiße sanfte Vorhänge wehten, und man von dem Garten aus das lustige Küchenfeuer flakern sehen konnte.

Victor wendete seine Augen nun gegen den freien Plaz, der von dem düsteren Hause weg ging. Er war das Freundlichste dieser Umgebung. Hinten an den Seiten des Hauses hatte er hohe Bäume, dann war er mit Sand bestreut, hatte hie und da ein Bänklein, mehrere Blumenstellen, und lief gegen den See in einen wirklichen Blumengarten und dann in Gebüsch aus. Zu beiden Seiten waren Bäume und Gesträuche. Victor ging auf diesem Plaze herum, und Luft und Sonnenschein thaten ihm sehr wohl.

Dann aber strebte er weiter, um die Dinge hier zu sehen. Eine uralte Lindenallee war ihm aufgefallen, die von dem Gebäude des Oheims weiter führte. Die Bäume waren so hoch und dicht, daß der Boden unter ihnen feucht war, und das Gras sich mit dem schönsten, zartesten Grün färbte. Victor ging in der Mitte dieser Allee fort. Er gelangte zu einem andern Gebäude, dessen hohes breites Thor verschlossen und eingerostet war. Ueber dem Bogen des Thores standen die steinernen Zeichen geistlicher Hoheit, Stab und Inful, nebst den andern Wappenzeichen des Ortes. Am Fuße des Bogens und des ganzen Holzthores war weiches dichtes Gras, zum Zeichen, daß hier lange kein menschlicher Tritt gewandelt war. Victor sah, daß er durch diese Pforte nicht in das Gebäude kommen konnte, er ging daher an demselben außen entlang und betrachtete es. Das Mauerwerk war ein aschgraues Vierek mit fast schwarzem Ziegeldache. Die überwuchernden Bäume der Insel waren hoch darüber hinaus gewachsen. Die Fenster hatten Gitter, aber hinter den meisten derselben standen statt des Glases graue vom Regen ausgewaschene Bretter. Es war wohl noch ein Pförtchen in dieses Haus, aber dasselbe war wie der Haupteingang verrammelt. Weiter zurük war eine hohe Mauer, welche wahrscheinlich den ganzen Zusammenhang von Gebäuden und Gärten umschloß, und als Eingang das Eisengitter des Oheims hatte. In einem ausspringenden Winkel dieser Mauer lag der Klostergarten, von dem aus Victor die zwei diken aber ungewöhnlich kurzen Thürme der Kirche erblikte. Die Obstbäume waren sehr verwildert und hingen häufig zerrissen darnieder. Einen Gegensaz mit dieser trauernden Vergangenheit machte die herumstehende blühende ewig junge Gegenwart. Die hohen Bergwände schauten mit der heitern Dämmerfarbe auf die grünende mit Pflanzenleben bedekte Insel herein, und so groß und so überwiegend war ihre Ruhe, daß die Trümmer der Gebäude, dieser Fußtritt einer unbekannten menschlichen Vergangenheit, nur ein graues Pünktlein waren, das nicht beachtet wird in diesem weithin knospenden und drängenden Leben. Dunkle Baumwipfel schatteten schon darüber, die Schlingpflanze kletterte mauerwärts und nikte hinein, unten blizte der See, und die Sonnenstrahlen feierten auf allen Höhen ein Fest in Gold- und Silbergeschmeide.

Victor hätte recht gerne die ganze Insel durchgewandert, die nicht groß sein mußte, und die er gerne erkundschaftet hätte, aber er überzeugte sich schon, daß wirklich, wie er vermuthet hatte, das ehemalige Kloster sammt allen Nebengebäuden und Gartenanlagen von einer Mauer umfangen war, wenn auch oft blühende Gebüsche die Steine derselben verdekten. Er ging wieder auf den Sandplaz zurük. Hier stand er eine gute Weile vor dem Gitterthore, sah die Stäbe an und versuchte an dem Schlosse. Doch zu dem Oheime hinauf gehen, und ihn bitten, daß er öffnen lasse – das vermochte er nicht, er hatte einen Widerwillen davor. Außer den zwei alten Dienern, dem betagten Christoph und der alten Frau, war es wie ausgestorben in dem ganzen Gebäude. Er ließ daher von dem Gitter ab, und wandelte auf dem offenen Plaze vorwärts gegen den See, um von dem Felsenufer, wenn hier auch eines wäre, in das Wasser hinab zu schauen. Es war ein Felsenufer, und zwar, da er am äußersten Rande draußen stand, ein häuserhohes. Unten säumte das Wasser sanft den Strand; gegenüber stand die Grisel mit freundlichem Bergfuße, der seine weißen Steine und seine schimmernden Dinge im Wasser spiegelte. Und wenn er auf die Bergmauern ringsum schaute, an denen das Wasser dunkel, reglos und faltenlos lag, so war ihm, wie in einem Gefängnisse, und als sollte es ihm hier beinahe ängstlich werden. Er versuchte, ob nicht eine Stelle zum hinunterklettern an das Wasser zu finden wäre, aber die von Regen und Sturm gepeitschte Wand war glatt, wie Eisen, ja sie ging sogar gegen das Wasser zu einwärts und überwölbte sich. Wie groß müssen erst die Wände der Grisel sein, dachte Victor, die schon von hier aus gesehen wie Paläste empor steigen, während das Felsenufer der Insel, da wir herfuhren, nur wie ein weißer Sandstreifen erschienen war.

Als er hier wieder eine Weile gestanden war, ging er längs des Saumes dahin, bis er an die Einfangungsmauer an der Seite des Klosters käme. Er kam dahin, und die Mauer stieg mit glattem Rande fallrecht in das Wasser nieder. Dann wendete er um, und wandelte wieder an dem Saume fort, bis er neuerdings an die Mauer an der dem Kloster entgegenliegenden Seite käme. Aber ehe er dahin gelangte, traf er etwas anderes. Es stand eine gemauerte Höhlung da, wie die Thür eines Kellers, die hinter sich abwärts gehende Stufen zeigte. Victor meinte, dies könnte eine Treppe sein, die zum See hinab führe, um etwa Wasser herauf zu holen. Sogleich schlug er den Weg hinab ein, der in der That wie eine überwölbte Kellerstiege war, und auf unzähligen Stufen nieder führte. Er gelangte wirklich an das Wasser, aber wie erstaunte er, als er statt eines armen Schöpfungsplazes, wie etwa zum Begießen der Pflanzen nöthig wäre, einen wahrhaften Wassersaal erblikte. Da er aus dem Dunkel der Treppe heraus kam, sah er zwei Seitenwände aus großen Quadern in den See hinaus laufen, steinerne Simse an ihren Seiten führend, daß man auf ihnen neben dem Wasserspiegel, der den Fußboden der Halle bildete, hin gehen konnte. Oben war ein festes Dach, die Mauern hatten keine Fenster, und alles Licht kam durch die gegen den See gerichtete Wand herein, die ein Gitter aus sehr starken Eichenbohlen war. Die vierte, nehmlich die Rükwand, bildete der Fels der Insel. Viele Pflöke waren in den Grund getrieben und an manchen derselben hing mittelst eines Eisenschlosses ein Kahn. Der Raum war sehr groß und mußte einst viele solche Kähne in sich liegen gehabt haben, wie das vielfach abgeschleifte Ansehen der Eisenringe der Pflöke zeigte; aber jezt waren nur mehr vier da, die ziemlich neu waren, sehr gut gebaut, und mit Ketten und versperrten Schlössern in den Ringen hingen. Das Bohlenwerk hatte mehrere Thüren zum Hinausfahren in den See, aber sie waren alle verschlossen, und die Balken gingen unersichtlich tief in das Wasser hinab.

Victor blieb stehen und sah in die grünblinkenden Lichter des Seees, die zwischen den schwarzen Balken des Eichenholzes herein schienen. Er sezte sich dann nach einer Weile auf den Rand eines Kahnes, um mit der Hand die Wärme des Seewassers zu prüfen. Es war nicht so kalt, als er es wegen seiner durchsichtigen Klarheit geschäzt hatte. Seit seiner Kindheit war das Schwimmen eines seiner liebsten Vergnügen gewesen. Als er daher gehört hatte, das Haus seines Oheims liege auf einer Insel, nahm er sein Schwimmkleid in dem Ränzlein mit, um dieser Uebung recht oft nach zu gehen. Dies fiel ihm hier in dem Wassersaale augenblicklich ein, und er begann die Stellen wegen künftigen Schwimmübungen mit den Augen zu prüfen, aber er erkannte gleich die Unmöglichkeit; denn, wo die Kähne hingen, war es zu seicht, und wo es tiefer wurde, gingen gleich die Bohlen in das Wasser nieder. Zum Durchkommen durch die Bohlen war ebenfalls keine Aussicht vorhanden; denn sie waren so enge an einander, daß sich nicht der schlankste Körper hätte hinaus zwängen können. Es blieb daher nichts übrig, als sich dieses Wasserhaus für die Zukunft zum bloßen Badeplaze zu bestimmen.


 << zurück weiter >>