Adalbert Stifter
Der beschriebene Tännling
Adalbert Stifter

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Wenn eine Fläche des Waldes abgeschlagen ist, wenn die Scheite geordnet, getroknet, weggeführt sind, wenn die Reisige verbrannt wurden, wenn man keine Hütte der Holzhauer mehr sieht, und die Arbeiter fortgegangen sind, dann ist der erste Theil des Lebens eines Holzschlages aus, und es beginnt nun ein ganz anderer, stillerer, einfacherer, aber innigerer. Wenn die Halde leer dasteht, wenn sie nur mehr manchen schlechten stehengelassenen Baum wie eine Ruthe gekrümmt trägt, wenn die blosgelegten Kräuter und Gesträuche des Waldes zerrüttet und welkend herurn hängen, wenn mancher nicht ganz verbrannte Reisighaufen im Verwittern begriffen, und ein anderer in den Boden getreten und verkohlt ist: dann steht die einsame verlassene Bevölkerung von Strünken dahin, und es schaut der blaue Himmel und schauen die Wolken auf das offene Erdreich herein, das sie so viele Jahre nicht zu sehen bekommen haben. – Das erste, was nach langen Zeiten herbei kömmt, um die umgewandelte Stätte zu besezen, ist die kleine Erdbeere mit den kurzen zurük geschobenen Blättern. Sie sproßt zuerst auf der schwarzen Erde einzeln hervor, siedelt sich dann um Steine und liegen gebliebene Blöke an, überranket fleißig den Boden, bis nichts mehr zu sehen ist, und erfreut sich so sehr der Verlassenheit und der Hize um die alten sich abschälenden Stöke herum, daß es oft nicht anders ist, als wäre über ganze Fleke ein brennendes scharlachrothes Tuch ausgebreitet worden. Wenn es so ist, dann sammelt sich allgemach unter ihren Blättern die Nässe, und es erscheint auch schon die größere langstielige Erdbeere mit den gestrekten Blättern und den schlanken Früchten. Es beeilt sich die Himbeere, die Einbeere kömmt, manche seltsame fremdäugige Blume, Gräser, Gestrippe und breite Blätter von Kräutern; dann die Eidechse, die Käfer, Falter und summende Fliegen; mancher Schaft schießt empor mit den jungen feuchtgrünen Blättern; es wird ein neuer, rauher hochruthiger Anflug, der unter sich einen nassen sumpfigen Boden hat, und endlich nach Jahren ist wieder die Pracht des Waldes.

Dies ist der zweite Theil des Lebens eines Holzschlages.

Wenn es nicht so schön ist, wenn kein Wald mehr entstehen soll, dann werden die Waldgäste mit Absicht hintan gehalten, es wird gereutet, und lieber statt all' des Anfluges der Geselle des Menschen, das Wiesengras, heran gelokt, daß Mähepläze entstehen oder Weidepläze für das Vieh werden, wie man es mit dem Hausberge hinter Pernek gethan hat, der auch einmal eine schöne Wildniß war, und es jezt nicht mehr ist.

Wenn der Holzhauer auch schon die Stätte seines Wirkens verlassen hat, so liebt er sie doch noch immer, und wenn er nach langen Jahren durch den neuen Anwuchs geht, durch die Himbeergesträuche, durch die Gezweige, die Axt auf der Schulter oder die breite Säge über den Rüken gebunden, so wandelt er in seinem Reiche, er gedenkt der Tage, wo er hier gewirkt hat, und wenn er auch nun in andern frischen Wäldern beschäftigt ist, so gehört doch auch ein Theil seines Herzens der Stelle, auf der einst seine Hütte gestanden war.

Der lange Hanns arbeitete in dem Schlage des Thußwaldes. Der Thußwald aber liegt so weit in der Tiefe der Bergrüken zurük, daß die Holzarbeiter die ganze Woche dort beschäftigt sein mußten, und nur an Sonntägen den weiten Weg zu den Menschen und in die Kirche hinaus machen konnten. Hanns war wie ein König in seinem bunten, einsamen, entfernten Schlage. Theils gehorchten manche ihm freiwillig, weil er ein guter Anordner war, theils scheuten sich manche, weil er große Körperkräfte besaß, und theils ehrten ihn Viele, weil er ein vorzüglicher Arbeiter war. Da stand er nun entweder an einem Stamme, zirkelte die Stelle, wo er angesägt werden solle, daß er wanke, weiche, und sausend und krachend in das andere Gehölze nieder stürze – oder er war um den gefallenen Baum beschäftigt, im Gestrippe und Geniste stehend, daß die Aeste und Zweige weg kämen, und der Stamm frei zur Arbeit würde – oder er half schon ihn in Stüke zu zertheilen, und da rollte seine Säge frisch und tüchtig hin und her – oder sein Arm schwang den Schlägel, daß er klingend auf den Keil fiel – oder er stand hoch auf einem Stoße, die dargereichten Scheite schnell legend, daß ihm zwei Handreicher nicht folgen konnten, und daß es unter ihm zusehends wuchs. Er war gewöhnlich zur Arbeit gehörig gekleidet. An seinem Oberleibe hatte er schier kein Gewand; denn das grobe Hemd war zurük geschlagen, und an den Armen weit über den Ellbogen aufgestellt; um die Lenden war das linnene Kleid, an den Füßen hatte er die starken jedem Dorne und Splitter trozenden Bundschuhe an, und auf dem Haupte war gewöhnlich nichts, als das röthliche leuchtende Haar.

So ging die Woche dahin, und so vollendete die Sonne fünfmal ihren Kreislauf um den Himmel, und beschien fünfmal die seltsamen verschiedenartigen Dinge des Holzschlages.

Wenn es am Samstage Mittag wurde, da hörte das Wochenwerk auf, und es wurden Anstalten zum Fortgehen getroffen. Ruhe herrschte auf dem Plaze, alle Werkzeuge, Kleiderstüke, Töpfe und dergleichen wurden zusammen gelesen, die Arbeiter trafen bei der Hütte ein, dort wurde einiges zusammengeschnürt, daß man es mitnehme, Anderes wurde geborgen, daß es da bleibe, schönere Kleider wurden aus den Truhen hervor gesucht, es wurden Angesichter gewaschen, Manches wurde noch genestelt, und einige und andere schlugen den Weg ein, der sie eben ihrer Heimath zuführte. Mancher ganz Faule blieb auch da und verschlief den Sonntag vor der Hütte in der lautlosen Stille des Holzschlages, von nichts besucht, als von dem raschelnden Grase und von der stummen Hize des Tages.

Der größere Theil der Arbeiter ging gegen Pernek und Pichlern hinaus. Sie mußten Anfangs durch den Thußwald, dann über die Thußeke, dann über einen Berg, die rauhe Hochstraß geheißen, dann durch Auen, und dann führte der Weg in das Thal, durch das man gegen Pernek kommen konnte. Man plauderte gerne auf diesem Gange, man klapperte mit den eisernen Keilen, man jauchzte oder sang, man schlug sich Feuer und rauchte. Vom Holzschlage weg gingen Alle miteinander, die diese Richtung hatten, aber je weiter der Weg führte, desto wenigere wurden sie immer; denn bald nahm der Eine Abschied und ging seitwärts, bald der Andere, so wie ihr Weg in ihre Heimath von dem allgemein eingeschlagenen Wege abführte, und nicht selten geschah es, daß, wenn die untergehende Sonne glutig am Rande der Seewand lag, und jeder emporragende Zaunpfahl, ja eine herausstehende Aehre einen langen Schattenstreifen über das Getreide warf, Hanns allein durch die Perneker Felder ging, und den Weg hinab gegen Pichlern einschlug. Er ging auf dem Fahrwege hinab, er bog um die große Linde des Schwarzmüllers, zielte gegen die ferneren dünnen Föhrenstämme, und schritt auf das weiße Häuschen zu.

Wenn er dort anlangte, war meistens die Mutter, wie sie es am Abende gewohnt war, Außen herum. Sie schlichtete etwas an dem Holze, oder that sonst etwas, oder betete, indem sie herum ging, und häufig zur Ziege redete, die sie nicht eher in den Stall that, als bis sie selber in die Stube ging. Im Innern saß Hanna in einem reinen schimmernden Gewande. Sie hatte vorher jedes Stäubchen von dem Tische, der Bank, dem Stuhle und dem Fußboden gefegt; denn auch das gehörte mit zu ihren Eigenthümlichkeiten, daß sie außerordentlich reinlich war. Sie wollte nicht mit der Hand und nicht mit dem Gewande an Staub rühren.

»Die wird Gott strafen, daß sie so stolz ist,« sagten oft die Leute, »und ihn dazu, daß er so verblendet ist, und ihr Alles anhängt. «


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