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Zweites Kapitel.
Eine neue Art Kostgänger

Bei dieser wahrhaft himmlischen Lebensweise hatten wir nur die eine Sorge, daß wir gar kein Geld zurücklegten. Da gab es so viele kleine Dinge, die wir brauchten, und so viele davon waren so billig, daß meine Einnahmen draufgingen, ich weiß nicht wie; und das paßte doch gar nicht zu den weisen Grundsätzen, nach denen ich meinen Haushalt einrichten wollte.

Wir überlegten uns die Sache hin und her und nachdem wir schon beinah' einen Monat in unserem neuen Heim verlebt hatten, kamen wir zu dem Entschluß, einen Kostgänger zu nehmen.

Ein solcher war bald gefunden; denn wir hatten einen jungen Mann in einem Mehlgeschäft kennen gelernt, der den lebhaften Wunsch hegte, bei uns zu wohnen. Bei seinen wiederholten Besuchen hatte er stets die Einrichtungen unseres Hauswesens höchlich bewundert, und so ging er leicht auf unsere Bedingungen ein. Wir ließen eine neue Scheidewand ziehen, und als das Zimmer fertig war, hielt unser Kostgänger mit seinem Koffer und einem großen rotsamtenen Lehnstuhl seinen Einzug in Ruderheim.

Unser Kostgänger gefiel uns sehr gut, aber er hatte seine Eigenheiten, wie andere Menschen auch. Vor allem gab er uns gern Ratschläge! In den ersten drei Tagen seines Aufenthalts hatte er uns schon mehr Verbesserungen angeraten, als uns in der ganzen Zeit eingefallen waren, seit wir einen eigenen Haushalt führten. Und was noch schlimmer war: seine Vorschläge waren meistens gut. Wäre dem nicht so gewesen, so hätte ich seine Bemerkungen weit ruhiger ertragen können, aber daß sie so richtig waren, machte sie mir doppelt verdrießlich.

Zuerst redete er in mich hinein, das Steuerruder zu entfernen, da es doch bei der Lage, in der sich unser Boot befand, für dasselbe ganz unnütz sei, und einen Bügeltisch daraus zu machen. Ich stellte ihm vor, daß nach den Gesetzen der Symmetrie das Steuerruder an Ort und Stelle bleiben müsse, daß der Name unseres Hauses keine Bedeutung mehr haben würde, wenn ich es fortnähme! Er aber entgegnete, daß »Bügeltischheim« ein ebenso guter Name sei, und daß bei solchen Fragen die Symmetrie gar nicht mit ins Spiel komme.

Schließlich setzte er seinen Vorschlag durch, der Bügeltisch wurde gemacht und Euphemia hatte ihre Freude daran. Das blieb aber nicht die einzige Veränderung, mit der er mich vexierte. Zunächst verwandelte er die äußerste Spitze des Vorderdecks in einen Blumengarten für Euphemia; er borgte sich einen Schubkarren, in welchem er eine Masse Ackerschlamm unser Landungsbrett hinaufkarrte, und als das Erdreich hoch genug aufgeschichtet war, ebenete er es und säete Blumensamen hinein. Es war dazu zwar schon etwas spät im Jahre, doch ging der meiste Samen noch auf, und ich hatte meine Freude an dem Garten, obgleich ich wünschte, ich hätte ihn selbst angelegt.

Eines Nachmittags kam ich früher als gewöhnlich aus dem Bureau und eilte nach Hause, um die Stunde Tageslicht vor dem Abendessen noch zu benutzen. Es hatte den Tag zuvor geregnet, und in einer Ecke unseres Schlafzimmers war schwärzliches Wasser von oben durchgeträufelt – der Boden unseres Gartens mußte wohl nicht ganz dicht sein –; ich hatte mir daher vorgenommen, die Spalten in der Decke gehörig zu verstopfen.

Als ich jedoch an die Biegung des Flusses kam, von wo aus ich unsere Behausung stets zuerst erblickte, konnte ich sie nicht entdecken. Je mehr ich mich dem Orte näherte, wo wir wohnten, um so größer wurde mein Entsetzen – es war kein Irrtum mehr möglich, das Boot war verschwunden! – Mir ging ein schreckliches Licht auf über die wahre Sachlage: Der Fluß war vom Regen angeschwollen, der Wasserstand sehr hoch geworden, und mein Haus war fortgeschwommen!

Es war Mittwoch – der Tag, an dem unser Kostgänger früher nach Hause zu kommen pflegte: ich drückte mir den Hut ins Gesicht und biß mir auf die Lippen: »Der Unglücksmensch,« brummte ich unwillig in den Bart, »hat irgend eine Dummheit mit dem Anker gemacht, er behauptete schon lange, daß er unnütz sei, und so hat er meine Abwesenheit benützt, um ihn einzuziehen; das Boot hat sich losgemacht und schwimmt nun fort – fort mit meiner Frau und meiner ganzen Habe!« –

Euphemia war verschwunden samt Ruderheim, – wohin, das wußte ich nicht, und mit ihnen der abscheuliche Plänemacher! –

Ich lief in wilder Verzweiflung am Ufer entlang, ich rief, ich schrie, aber die Mannschaft aller vorbeisegelnden Fahrzeuge – es waren ihrer nur zwei – kümmerte sich wenig um die Schmerzen eines Mitmenschen auf festem Lande, und meine Worte verhallten ungehört.

Ein Mann mit einer Axt auf der Schulter kam mir entgegen: – noch ehe ich ihn erreicht hatte, rief ich ihm zu:

»Holla! haben Sie nicht ein Boot gesehen, ein Haus meine ich, das den Fluß hinunterschwimmt?«

»Ein Boothaus?« fragte der Mann.

»Nein, ein Hausboot,« stieß ich keuchend heraus.

»Ne, ich hab' kein's g'sehen.«

Der Glückliche ging weiter – vielleicht heim, zu Weib und Kind! – Aber ich – wo war mein Weib und mein Heim! –

Von allen Leuten, denen ich begegnete, war keinem ein fortgeschwommenes Kanalboot aufgefallen.

Tausend Gedanken kreuzten sich mir im Kopf, während ich am Ufer des Flusses entlang lief: Wenn der unglückselige Kostgänger nicht aus dem Steuerruder einen Bügeltisch gemacht hätte, so könnte er jetzt ans Ufer steuern! – Und wieder und immer wieder verwünschte ich alle seine Vorschläge, Pläne und Verbesserungen.

Ich war schon nahe daran, den Verstand zu verlieren, als mir jemand zurief: »Sie da – laufen Sie etwa einem Kanalboot nach, das fortgeschwommen ist?«

»Ja wohl,« stöhnte ich angsterfüllt.

»Das dacht' ich mir gleich, Sie sehen ganz darnach aus! Wenn Sie wissen wollen, wo es ist, so gehen Sie nach der Petersspitze, da steckt's fest im Schilf.«

»Wo ist denn das?« fragte ich.

»Oh, 'ne Meile weiter oben – ich sah's mit der Flut herauftreiben, und dacht' gleich bei mir, nun wird wohl bald jemand kommen und hinterherlaufen! – Ist denn 'was an Bord?«

'Was an Bord?! – es war mir nicht möglich auf diese Frage zu antworten – es trieb mich weiter, den Fluß entlang: Hatte das Boot Schiffbruch gelitten? Ich wagte nicht, den Gedanken zu fassen und war kaum noch meiner Sinne mächtig.

Der Mann rief mir nach, und ich stand still: Was würde ich hören müssen! –

»Holla! Sie da,« rief er – »ein bischen Tabak für mich?«

In zwei Sprüngen stand ich wieder neben ihm und hielt ihn an seinem schmutzigen Rockschoß fest:

»Reden Sie, Mensch, ich kann die Wahrheit ertragen! War das Boot ein Wrack?« –

Er sah mich mit einem seltsamen Ausdruck an, den ich mir nicht recht erklären konnte.

»Können Sie's aber auch gewiß ertragen?« meinte er.

»O ja,« sagte ich, am ganzen Leibe zitternd.

»Na, dann sollen Sie's erfahren,« rief er, riß mir den Rockschoß aus der Hand und sprang davon, »ich will's Ihnen ganz genau sagen – ich weiß es selber nicht!« –

»Sie sind wohl verrückt!« schrie er mir noch von weitem nach, ich aber achtete nicht darauf und lief nach der Petersspitze. Noch hatte ich sie nicht erreicht, als ich das Boot erblickte, das sich mit dem Schnabel zwischen dem hohen Schilf im Schlamme festgefahren hatte, während der Rumpf in den Fluß hinausragte. Es schien ganz verlassen, aber ich wollte das Ärgste wissen und eilte darauf los. Um an Bord zu gelangen, mußte ich durch Schlamm und Röhricht waten, und dann in die Höhe klettern, so gut es ging. Es war kein leichtes Stück Arbeit, zweimal sank ich bis über die Kniee ins Wasser und hätte ich mich nicht mit beiden Händen an den Schilfstengeln festgehalten, so wäre ich umgefallen und in dem schrecklichen Morast erstickt! Als ich mich bis zu dem Boot durchgearbeitet hatte, sah ich keine Möglichkeit hinaufzukommen, das Landungsbrett mußte fortgeschwommen sein, und was hätte es mir auch nützen können in meiner Lage. Aber die Verzweiflung gab mir Kraft, – ich umklammerte den Pfosten, der am Bug des Kanalboots festgemacht war und half mir mit Händen und Füßen in die Höhe. Wie froh war ich, daß das alte Boot so viele Spalten und Risse hatte, in denen ich einen Stützpunkt und Anhalt fand! Zwar glitt ich mehrmals wieder hinunter und bespritzte mich mit Schlamm von oben bis unten, aber endlich gelang es mir, den Pfosten hinaufzuklettern und das Deck zu erreichen; mit Blitzesschnelle war ich an der Treppe und stürmte hinunter!

Da saß meine Frau in größter Behaglichkeit am Eßtisch, unserm Kostgänger gegenüber, mit dem sie Dame spielte! –

Bei meinem plötzlichen Eintreten fuhren beide auf und mein Aussehen erschreckte sie noch mehr.

Euphemia stürzte auf mich zu: »Um Gotteswillen,« rief sie, – »was ist denn geschehen?« –

»Was geschehen ist?« stieß ich keuchend hervor.

»Wie sehen Sie denn aber aus!« rief der Kostgänger und faßte mich beim Arm. »Sind Sie denn hineingefallen?« –

Euphemia und der Kostgänger sahen einander sprachlos an, bis ich zu Atem kam.

»Ihr wißt wohl gar nicht,« schrie ich, »daß Ihr fortgeschwommen seid!«

»Unmöglich!« rief der Kostgänger und sprang aufs Verdeck.

Trotz meines Schlammes und Schmutzes fiel mir Euphemia um den Hals und ich erzählte ihr was vorgefallen. Sie hatte keine Ahnung davon gehabt, das Boot war so leise fortgeschwommen und so geräuschlos zwischen das Schilf gefahren, daß die ganze Reise sie nicht einmal in ihrem Damenspiel gestört hatte.

»Er spielt so ausgezeichnet,« schluchzte Euphemia, »und gerade als du kamst, war ich nahe daran, ihn zu schlagen, ich hatte schon zwei Damen und zwei Steine auf der vorletzten Reihe – und du bist fast ertrunken! Du wirst dich zu Tode erkälten, und – und ach, er hatte nur eine Dame!« –

Ich wusch mich, zog meine Sonntagskleider an und ging dann mit Euphemia auf das Verdeck, wo der Kostgänger, mit untergeschlagenen Armen und in tiefe Gedanken verloren bei dem Petunienbeet stand.

»Sie hatten recht mit dem Anker,« sagte er, sich zu uns wendend, »ich hätte ihn nicht einziehen sollen, weil er aber so klein war, glaubte ich, er würde uns als Gartenhacke nützlicher sein.«

»Ein kleiner Anker thut manchmal große Dienste,« entgegnete ich in etwas scharfem Ton, »wenn er an einen Baum festgehakt ist.«

»Das ist nicht so ohne!« meinte er.

Es war spät geworden und als unsere Aufregung sich etwas gelegt hatte, stellte sich der Hunger ein. Zum Glück hatten wir alles Nötige an Bord und da es für unsern Haushalt eigentlich nicht in Betracht kam, wo er sich befand, verzehrten wir unser Abendbrot wie gewöhnlich; der Kessel war sogar während des Damenspiels aufs Feuer gestellt worden.

Nach dem Abendessen gingen wir wie immer zum Rauchen auf das Verdeck, aber zwischen mir und dem Kostgänger herrschte eine etwas kühle Stimmung.

Als ich am andern Morgen früh aufstand, um zu sehen, was nun zu thun sei, fand ich den Kostgänger am nahen Ufer stehen.

»Halloh!« rief er, »die Flut hat sich verlaufen und ich bin ganz bequem aufs Trockene gekommen. Bleiben Sie nur drüben, ich habe ein paar Maulesel bestellt, um das Boot ins Schlepptau zu nehmen, wenn die Flut wieder steigt; das Landungsbrett habe ich auch gefunden, es ist eine Viertelmeile unterhalb ans Land geschwemmt worden.«

Am Nachmittag kamen die Maulesel und auch zwei Männer mit langen Seilen und wir wurden zurückbugsiert an den Platz, wo wir hingehörten.

Dort sind wir noch, – auch der Kostgänger bleibt bei uns, da das Wetter noch schön ist und die kühle Stimmung zwischen uns allmählich wieder abnimmt. Das Boot aber ist an beiden Enden mit Tauen befestigt und ich sehe täglich zweimal nach, ob alles in Ordnung ist.

Die Petunien wachsen wunderschön, aber die Geranien wollen nicht gedeihen, vielleicht ist die Erde nicht tief genug für sie. Mich wundert, daß der Kostgänger noch keinen Vorschlag gemacht hat, wie sich das verbessern ließe; mehrmals schien er schon im Begriff es zu thun, aber aus irgend einem Grunde schweigt er immer wieder still.


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