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Zehntes Kapitel.
Eingeweicht!

Unser zweiter Tag im Freien war reich an Genuß: Den ganzen Morgen über und den größten Teil des Nachmittags zogen wir auf Entdeckungen aus. Wir hatten das Zelt befestigt so gut es ging, ich nahm die Flinte, Euphemia die Angelrute und so brachen wir nach dem Bache auf – denn allzuweit durften wir uns nicht vom Zelte entfernen. Wenn ich auch keine Beute heimbrachte, so fing doch Euphemia drei kleine Fische, und der Ausflug bereitete uns große Freude.

Wir waren kaum wieder zurück und mit Vorbereitungen zum Abendessen beschäftigt, als Hauptmann Atkinson, einer unserer Nachbarn, uns mit seiner Frau einen Besuch abstattete. Der Hauptmann schien in sehr fröhlicher Stimmung.

»Juchhe!« rief er, »das ist lustig! – Wer hätte je gedacht, daß ein so häusliches Ehepaar solchen Spaß treiben würde! Eben haben wir's vom alten Johann erfahren und wollten nun einmal sehen, was hier vorgeht. Wie hübsch ist das alles, ich glaube, da könnte ich selbst mitmachen! Richten Sie sich doch einen Schießstand ein: wenn Sie das Buschwerk am Bach umhauen und die Scheibe da oben auf den Hügel stellen, können Sie hier im Grase liegen und den ganzen Tag knallen. Dann komme ich zu Ihnen heraus und wir üben uns zusammen im Schießen! – Wie lange denken Sie denn die Sache zu treiben?«

Ich erwiderte, daß ich zwei Wochen Urlaub habe, die wir hier zubringen wollten.

»Doch nicht wenn es regnet, alter Junge,« meinte er, »ich weiß, was es heißt, beim Regen biwakieren.«

Unterdessen war Frau Atkinson mit Euphemia ins Zelt gegangen, um sich unsere ganze Einrichtung zeigen zu lassen. »Hier ein Piknik zu halten müßte reizend sein,« sagte sie, »aber die ganze Nacht im Freien zuzubringen, das wäre nichts für mich!« – Dann wandte sie sich zu mir: »Müssen Sie denn fortwährend frische Luft atmen – Tag und Nacht? – Das mag eine vortreffliche Verordnung des Arztes sein, – aber mir dürfte er nicht damit kommen!«

»Frische Luft hätten Sie wohl auch näher haben können,« meinte der Hauptmann, »Sie brauchten ja nur zwei Wochen lang Tag und Nacht auf Ihrer hintern Veranda zu sitzen und Luft zu schnappen.«

»Das wohl,« versetzte ich, »nur wäre das ein schlechtes Vergnügen gewesen.«

»Ei, kochen Sie denn Ihr Essen selbst, oder wird es Ihnen vom Hause gebracht?« fragte der Hauptmann.

»Natürlich kochen wir selbst,« versicherte Euphemia; – »unser Abendbrot ist gleich fertig, wollen Sie nicht dableiben und mit uns speisen?« –

»Danke sehr,« versetzte Frau Atkinson, »aber wir müssen fort!«

»Ja, wir müssen gehen,« stimmte der Hauptmann bei. »Leben Sie wohl, – wenn es regnet, bringe ich Ihnen einen Regenschirm!«

»Bitte, bemühen Sie sich nicht,« sagte ich, »wir werden schon durchkommen, bei gutem wie bei schlechtem Wetter!«

»Jetzt würde ich dableiben,« meinte Euphemia, als sie fort waren, – »und wenn es regnete was vom Himmel herunter will!«

»Es ist wohl möglich,« sagte ich, nach den Wolken blickend, daß wir morgen einen kleinen Guß bekommen. Doch deshalb gehen wir noch lange nicht nach Hause, nicht wahr?« –

»Wir denken gar nicht daran, – auf so etwas sind wir vorbereitet; – aber ich wollte, sie wären nicht hier gewesen.« –

Richtig fing es schon in der Nacht an zu regnen und am ganzen nächsten Tag war das Wetter unfreundlich. Den Morgen über blieben wir im Zelt, holten unser Brettspiel vor und ich rauchte meine Pfeife dazu; auch hatte ich unter einem Baum in der Nähe ein Feuer angemacht, nicht etwa um die Luft auszutrocknen, sondern um dem Ganzen ein gemütlicheres Aussehen zu geben. Am Nachmittag zog ich meinen wasserdichten Rock an nebst Hut und Stiefeln und fischte wohl eine Stunde lang an verschiedenen Stellen des Baches, ohne jedoch einen erheblichen Fang zu thun. Darüber war ich sehr enttäuscht, da wir stark darauf gerechnet hatten, uns bei unserm Leben im Freien hauptsächlich von selbst gefangenen Fischen zu nähren, die uns das frische Fleisch ersetzen sollten.

Als ich zurückkam, berieten wir diese Angelegenheit und kamen zu dem Schluß, daß wir, bei dem geringen Fischbestand in der Nähe unseres Lagers, den alten Johann beauftragen wollten, uns täglich Fleisch vom Metzger zu bringen und zugleich auch Brot, denn harter Zwieback mundete uns allen beiden nicht.

Die meiste Not hatten wir an jenem Abend mit unserm Feuer, das nicht brennen wollte. Es lag zwar viel Holz unter den Bäumen umher, aber es war alles naß geworden; einen kleinen Vorrat zu sammeln und im Trockenen aufzubewahren, daran hatten wir nicht gedacht! Endlich war das Feuer im Ofen angegangen; wir hatten den kleinen Tisch im Zelte aufgeschlagen und saßen noch gemütlich beim Nachtessen, als sich plötzlich ein starker Windstoß erhob und der Regen in Strömen herabgoß. – An einem Ende unseres Zeltes mochte die Leinwand schlecht befestigt gewesen sein, denn sie flatterte auf einmal in die Höhe und ehe wir's uns versahen, waren unsere Betten ganz unter Wasser gesetzt. Ich stürzte hinaus, um das Zelt wieder in stand zu setzen und war bald bis auf die Haut durchweicht; selbst Euphemia, die gleich ihren Regenmantel angezogen hatte, war durch und durch naß geworden, denn der Sturm peitschte den Regen nur so in das Zelt hinein. Zwar legte sich der Wind bald und es fiel nur noch ein feiner Strichregen, aber unser Zustand war recht jämmerlich, und es wurde neun Uhr bis wir einigermaßen wieder in Ordnung kamen.

»In den Betten können wir nicht schlafen,« meinte Euphemia.

»Sie sind ja zum Auswinden naß,« sagte ich, »wir müssen nach Hause gehen und etwas zum Zudecken holen; ich thue es zwar nicht gern, aber wir können uns doch nicht zu Tode erkälten.«

Es blieb uns nichts anderes übrig, und so brachen wir denn auf; eigentlich hätten wir nicht beide zu gehen brauchen, aber Euphemia weigerte sich allein zurückzubleiben. Es ist zwar keine Kleinigkeit, bei Nacht über Zäune zu klettern, wenn man dabei einen Regenschirm über seine Frau zu halten und eine Laterne zu tragen hat, aber wir erreichten doch endlich das Haus, trotz allen Zweifeln über den Fußweg, der bei Nacht auf einmal ganz anders aussah. »Lord Eduard« kam uns gleich am Thor entgegen gesprungen, aber zu meiner Freude erkannte er mich sofort und wedelte nur vertraulich mit dem Schwanze.

Ich trug den Schlüssel zur Hinterthüre in der Tasche, denn wir hatten uns die Möglichkeit offen halten wollen, zu jeder Zeit in das Haus zu gelangen, und so konnten wir hinein, ohne zu klingeln oder Pomona zu wecken.

Tiefe Stille herrschte im Hause, ich leuchtete mit der Laterne und wir schlichen uns leise die Treppe hinauf. Alles sah sauber und ordentlich aus: ein Bild der Gemütlichkeit und des Wohlbehagens, gegen das wir in unsern schmutzigen Stiefeln und durchnäßten Kleidern traurig abstachen. Während ich in der Kammer ein Bündel aus den Sachen machte, die wir mitnehmen wollten, sah Euphemia nach Pomona. Bald kehrte sie geräuschlosen Schrittes zurück.

»Sie schläft ganz fest,« sagte sie, »und ich hielt es für unnötig, sie zu wecken. Morgen wollen wir ihr durch Johann sagen lassen, daß wir hier gewesen sind. Du glaubst gar nicht wie behaglich sie dalag in dem saubern gemütlichen Bett, sie sah so glücklich aus, und das Zimmer war so freundlich und luftig! – Weißt du was – wenn die Nachbarn nicht wären, und besonders die Atkinsons, – ich ginge keinen Schritt wieder zurück!« –

»Ja,« sagte ich, »besondere Sehnsucht habe ich auch nicht danach; aber ich könnte doch nicht gut hier bleiben und Thompsons Sachen draußen ihrem Schicksal überlassen.«

»Bewahre,« meinte Euphemia, »das geht nicht. Wir lassen uns auch nicht so schnell aus dem Felde schlagen! Hast du alles beisammen?« –

Als wir die Treppe hinabstiegen, mußten wir vor der halbgeöffneten Thüre unseres eigenen Schlafzimmers vorbei und ich konnte es mir nicht versagen, die Laterne in die Höhe zu halten und einen Blick hineinzuwerfen. Da war das Bett mit dem blendend weißen Überwurf und den glatten weichen Kissen, die Lehnstühle, die hübschen Vorhänge, der warme weiche Teppich mit dem freundlichen Muster, die Kommode mit Euphemias Arbeitskorb; auf dem kleinen Tisch lag noch das Buch, das wir zusammen gelesen hatten, da standen meine Pantoffeln, mein – –

»Komm,« sagte Euphemia, »ich kann den Anblick nicht ertragen, – es ist gerade als läge ein totes Kind da drinnen!« –

So eilten wir denn in Regen und Wind hinaus; – am Schuppen blieben wir stehen und nahmen einen armvoll trockenes Holz zum Anzünden mit, das Euphemia tragen mußte, während ich das Bündel, den Regenschirm und die Laterne hielt.

Als wir das Thor hinter uns schlossen, stieß Lord Eduard ein kurzes eigentümliches Gebell aus, aber ob es ein zärtliches Lebewohl oder Spott und Hohn bedeuten sollte, konnte ich nicht unterscheiden.

Wir fanden im Lager alles, wie wir es verlassen hatten; allein trotz der trockenen Decken, die wir über unsere Betten breiteten, schlief ich nicht gut, da ich immer an die nassen Matratzen denken mußte, die darunter lagen; auch störte ich Euphemia mehrmals im Schlaf, indem ich sie fragte, ob bei ihr die Nässe nicht etwa durchkäme.

Zu unserer großen Freude war der nächste Tag klar und heiter und ich beschloß das schöne Wetter für eine Bootfahrt auf dem Flusse zu benutzen: wir wollten den Tag über umherrudern und wenn wir Lust bekamen auszuruhen, an schattigen Plätzen am Ufer anlegen. Aber was sollte mit dem Zelte geschehen? – Es mit allem Zubehör so lange ohne Aufsicht zu lassen, war unmöglich.

Als der alte Johann mit Wasser, Milch und einem Korb voll Gemüse erschien, erzählten wir ihm von dem geplanten Ausflug, und was uns daran hinderte. Der gute Mann, der sich nicht so leicht einen Vorteil entwischen ließ, riet uns sehr, die Fahrt nicht aufzugeben und schlug vor, seine Frau nebst zwei Kindern herzuschicken, welche während unserer Abwesenheit auf das Zelt acht geben sollten.

Seine gute Alte, meinte er, könne ihre Näharbeit ebenso gut hier vornehmen als zu Hause, und für 50 Cents bleibe sie gern den ganzen Tag über da.

Wir willigten ein; Johanns Frau kam mit drei Kindern, von denen sie keines zurücklassen wollte, weil sie noch zu klein seien, und übernahm die Sorge für das Lager.

Der Tag verging uns ganz so genußreich, wie wir erwartet hatten, und als wir müde und hungrig zurückkamen, waren wir entzückt, unser Abendessen bereit zu finden. Für diesen Dienst verlangte Johanns Frau noch 25 Cents extra und wir gaben sie ihr gern, aber ihr Anerbieten jeden Tag zu kommen, die Küche zu besorgen und alles in Ordnung zu halten, nahmen wir nicht an.

»Am Sonnabend können Sie aber kommen, und alles putzen und aufräumen,« meinte Euphemia, die sich die Sache noch einmal überlegt hatte.

Den nächsten Tag, es war Freitag, – ging ich morgens mit der Flinte aus. Bis jetzt hatte ich noch keine Beute heimgebracht, denn in der Nähe des Zeltes bemerkte ich keine Vögel, die man schießen durfte, ohne mit den Jagdgesetzen in Konflikt zu geraten. Deshalb ging ich auf der Straße weiter am Fluß hinauf. – Wildes Geflügel sah ich nicht, aber nach einer Weile kam mir ein Mann mit einem Fuhrwerk entgegen.

»Heda!« rief er und hielt die Zügel straff, »was knallen Sie hier auf offener Landstraße mit ihrer Flinte und machen die Pferde wild!«

Da ich keinen einzigen Schuß gethan hatte, fand ich den Menschen sehr unverschämt.

»Warten Sie doch erst, bis ich wirklich knalle,« sagte ich, »dann können Sie ja noch immer Lärm schlagen.«

»Nein,« entgegnete er, »ich warte lieber nicht – mein Pferd wird leicht scheu!« Damit fuhr er auf und davon.

Ich hatte mich über den Mann geärgert, aber da die Pferde ja wirklich scheu werden konnten, verließ ich die Straße und kehrte über ein paar Stoppelfelder nach dem Zelt zurück. Von Vögeln war nichts zu sehen, und ich kam kein einzigmal zum Schuß.

Als ich am Nachmittag mit Euphemia unter dem Baum beim Zelte saß, sahen wir zu unserm Erstaunen Pomona auf die Halbinsel zukommen! Ich war sehr böse darüber, denn wir hatten ihr den bestimmten Befehl hinterlassen, sich unter keinerlei Vorwand vom Hause zu entfernen. Wenn sie irgend etwas brauchte, sollte sie an den Zaun hinter der Scheune gehen und über das kleine Feld hinüber nach einem der zahlreichen Familienmitglieder des alten Johann rufen. Bei dieser Maßregel glaubte ich für die Sicherheit aufs beste gesorgt zu haben.

Schon von weitem rief ich ihr zu:

»Warum hast du das Haus verlassen, Pomona? Du weißt doch, daß ich nicht will, daß es leer bleibt, – ich dachte, du hattest das begriffen!« –

»Es ist auch nicht leer,« erwiderte Pomona in gleichmütigem Ton. »Ihr früherer Kostgänger ist da mit Frau und Kind.«

Euphemia und ich sahen einander bestürzt an.

»Sie sind mit dem 1 Uhr 14 Zug gekommen,« fuhr Pomona fort, »und vom Bahnhof zu Fuß gegangen; das Kind hat er auf dem Arm getragen.«

»Das kann ja gar nicht sein,« rief Euphemia, »ihr Kind ist ja verheiratet.«

»Dann muß es sehr jung geheiratet haben, denn es ist jetzt erst vier Jahre alt!«

»Oh, ich weiß,« meinte Euphemia, »es ist das Enkelkind!«

»Enkelkind?« wiederholte Pomona und machte ein unbeschreiblich verdutztes Gesicht.

»Wie lange wollen sie denn bleiben?« fragte Euphemia, »und hast du ihnen gesagt, wo wir sind?«

»Wie lange sie bleiben, weiß ich nicht,« meinte Pomona, »ich habe gesagt, Sie seien bei Freunden auf dem Lande zum Besuch, und ob Sie heute Abend wieder kämen, sei unbestimmt.«

»Wie konntest du ihnen solche Unwahrheiten sagen?!« rief Euphemia.

»Es ist ja die reine Wahrheit,« meinte Pomona. »Jeder ist doch sein eigener Freund, und ehe ich wußte, ob es Ihnen recht sei, wollte ich dem Kostgänger nicht sagen, wo Sie sind. So habe ich sie denn dagelassen und bin schnell einmal zum alten Johann gelaufen und dann hierher!«

Pomona hatte alles so klüglich eingerichtet, daß wir sie unmöglich schelten konnten.

»Was machten sie denn?« fragte Euphemia.

»Als ich in die Wohnstube kam, saß sie bei dem Kinde, das auf dem Sofa schlief, und der Kostgänger war draußen im Hofe bei »Lord« und wollte ihm Kunststücke beibringen.«

»Er soll sich nur in acht nehmen!«

»Oh, der Hund ist an der Kette und macht ein schreckliches Geknurre! – Was soll ich denn aber mit den Gästen anfangen?«

Das war freilich schwer zu entscheiden, – denn, wenn wir zu ihnen gingen, konnten wir unser Zelt nur lieber gleich abbrechen. – So beschlossen wir denn nach langer Beratung, unter den obwaltenden Umständen und nach dem was Pomona über unsern Aufenthalt gesagt hatte, zu bleiben wo wir waren, und ihr die Sorge für unsere Gäste zu überlassen. Wenn sie noch am Abend zur Stadt zurück wollten, sollte sie ihnen ein gutes Abendessen besorgen, und wenn sie die Nacht über da blieben, am andern Morgen das Frühstück für sie bereiten.

»Sind wir erst wieder zu Hause und in Ordnung,« sagte Euphemia, »so laden wir sie auf ein paar Tage zu uns ein, ich möchte das Kind gar zu gerne sehen, aber jetzt geht das doch nicht.«

»Nein,« versetzte ich, »wenn wir sie in unserm Hause begrüßen, bleiben sie gewiß die Nacht über da, und dann müßte ich erst das Zelt mit allem Gerät fortschaffen lassen, denn hier stehen bleiben könnte es nicht.«

»Gesetzt, wir kampierten viele Meilen von hier in den Wäldern von Maine,« sagte Euphemia, »so könnten wir doch unser Lager nicht verlassen, wenn jemand in unserem Haus einkehrte! Es ist doch eigentlich ganz dasselbe.«

»Gewiß,« versetzte ich; Pomona aber kehrte nach Hause zurück, um ihr neues Amt zu verwalten.


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