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XXI.

Oben auf dem Balkon des kleinen Zimmers, das die beiden Schwestern in St. Moritz-Dorf mit Mühe gefunden, lehnte Lotte, nagte nachdenklich mit ihren weißen Zähnen an einem Aprikosenkern und warf ihn endlich nach einer im Vorgarten tief unten hemmschleichenden Katze, dann schaute sie über die Schulter hinweg in die Stube nach Ellinor.

Die beiden hatten den ganzen Tag fast kein Wort miteinander gesprochen und das begann Lotte tödlich zu langweilen. Lieber noch sich zanken als dies dumpfe, vielsagende Schweigen. Aber Ellinor blieb stumm und blaß, und endlich fing die andere doch zu schwätzen an. Sie mußte reden. Das war ihr Bedürfnis.

»Der Meister Josephus hat's gut!« sagte sie wie im Selbstgespräch. »Der kutschiert jetzt in der Welt herum, amüsiert sich mit Prinzen und Prinzessinnen, und wir sitzen hier und warten. Zu dumm! Ich hab's mir neulich auf dem Schiff, wie ich seekrank war, überlegt: Das ganze Leben hindurch wird auf den Meister Josephus gewartet! Wie wir die Eltern verloren und ich noch ganz klein war und du mich bemuttert hast, kam es mir mit sechs Jahren schon völlig selbstverständlich vor, daß der ganze Tag sich darum drehte, ob der Meister Josephus zu Besuch kam und wann er kam und wie lange er blieb und in was für einer Laune er war ... ich bin förmlich dazu erzogen und hab's die ganze Zeit auch mitgemacht, ohne mir was dabei zu denken – aber jetzt hab' ich's satt. Jetzt emanzipiere ich mich! Unsinn, einen Mann so zu verwöhnen! Sich förmlich zu seinen Sklavinnen zu machen! Dadurch wird er ja so unleidlich, weil ihr alle Gott weiß was in ihm seht und verzückte Augen macht und einen Götzendienst mit dem armen Seppl treibt. Aber ich nicht! Ich bin gerade so viel wie seine Prinzessin, von der er sich spazieren fahren läßt. Ich bin ein freier Mensch und warte nicht mehr und gehe jetzt einfach fort, frische Luft schöpfen, ehe es ganz dunkel wird.«

Aber trotzdem blieb sie. »Weißt du, was nett wäre!« meinte sie sinnend. »Wenn die hohen Herrschaften mit dem Viererzug ihn hier vor dem Hause absetzten! Was das für ein Aufsehen gäbe! wir würden kolossal in der Achtung der ganzen Nachbarschaft steigen! Jetzt sehen uns ja alle Leute hier über die Achsel an. Hier muß man mindestens Millionärin oder Gräfin sein ... Gräfin Lottchen ... das klänge ganz gut ...«

Sie biß energisch in eine neue Aprikose, während ihre Schwester neben sie trat und die Straße hinabschaute. Sie erwiderte immer noch nichts.

»Du bist unausstehlich!« sagte Lotte weinerlich. »Das macht mich ganz verrückt. Ich hab' dir doch nichts getan! Ich hab' dem Seppl geraten, was ich für gut finde. Du kannst ihm ja deine Meinung sagen. Schließlich tut er ja doch, was er will. Wenn ich schließlich noch überschnappe, bist bloß du schuld daran, mit dem ewigen Schweigen ...«

Um die Ecke her tönte ein dumpfes Rollen und ein langgezogener sanfter Hornstoß. Lottes blaue Augen weiteten sich. »Er kommt!« flüsterte sie selig. »Der Viererzug – mein' ich! Nicht etwa den Seppl! Da sitzt er gravitätisch ganz vorn wie ein Pascha! Jetzt halten sie und stellen die Leiter an, damit er herunterklettern kann. Wie er rechts und links die Hände schüttelt und lacht ... recht linkisch tut er sich mit den hohen Herrschaften ... der Spitzbube ... Ein greulicher Spitzbube ist er! Zu nett! So ... Kinder ... jetzt fahrt nur weiter ... Adieu ...« Sie trat erschrocken zurück. »Du ... der Herzog hat heraufgeschaut ... ganz deutlich ... nach mir!«

Gleich darauf trat Meister Josephus ins Zimmer, trotzig, mit unstetem Blick und etwas gerötetem Gesicht. Lotte empfing ihn sehr unterwürfig. »Darf ich Hoheit den Mantel abnehmen?« flüsterte sie, »oder befehlen Hoheit ...«

»Ach ... geh weg, Lotte!« sagte der Siegfried ungnädig. »Schwätz nicht! Ich kann dein dummes Gesichtchen jetzt nicht sehen! Es tut mir weh!«

Sie blickte ihn forschend an. »Du, Seppl – ich glaub', ihr habt gehörig gepichelt! Leugne nicht. Du schaust mir gerade danach aus. Ganz erhitzt und aufgeregt!«

»Wir haben in Pontresina zu Mittag gegessen und eine Flasche Wein getrunken oder auch ein paar ... die anderen und ich ... oder eigentlich ich allein ... darf ich das vielleicht auch nicht mehr? Wird mir das auch schon verboten? Aber ich lasse mir nichts mehr verbieten! Ich hab' es satt!«

Er ging mit großen Schritten durch das Zinnner. Dann blieb er grimmig vor Lotte stehen und herrschte sie an: »Hab' ich dir nicht gesagt, daß du uns allein lassen sollst!«

Sie schmollte. »Es wird immer schöner! Jetzt wird man schon aus seinem eigenen Zimmer herausgeworfen! Dahin habt ihr alle ihn glücklich gebracht! Er kennt sich schon nicht mehr aus vor Übermut, der Herr Hofrat!«

Als er den Verdruß auf dem zarten, großäugigen Kindergesicht sah, wurde er sofort wieder weich. »Lieber Schatz! schau! ich bitt' dich ja – geh! Nur aus eine halbe Stunde!«

Lotte zuckte die Achseln. »Meinetwegen! ich setze mich drunten auf eine Bank und seh' mir das Feuerwerk überm See an, drüben im Bad: dort war's überhaupt viel netter als hier! Aber mit euch ist ja nichts los!«

Es dämmerte schon stark, als sie das Zimmer verließ. Bald brach der Abend ganz herein. Die blaue Seefläche vor dem Hause verschwamm im Dunkel und gleich darauf stiegen aus den buntfarbigen Lichtpünktchen der italienischen Nacht am anderen Ufer die ersten Raketen zu dem Sternenhimmel empor. Eine gedämpfte Musik klang aus der Ferne in das halbdunkle Zimmer. In ihm war es lange still zwischen den beiden, sich schattenhaft abzeichnenden Gestalten.

»Glaube nicht, daß ich dich um etwas bitte!« sagte Ellinor endlich in ruhigem Ton. »Dazu bin ich viel zu stolz. Und das Betteln würde ja auch gar nichts helfen! Wie wir zueinander stehen, muß alles frei gegeben und genommen werden! Sonst hat es keinen Wert. Ich hab' dir das bißchen gegeben, was ich hatte, du hast mir viel dafür gegeben – eigentlich den ganzen Inhalt für mein Leben. Soll das nun alles umsonst gewesen sein?«

»Ach ... umsonst ...« brummte der Meister Josephus. »Bloß weil ich mich entschlossen hab', zu dem Herzog zu gehen ... ja! ... Das hab' ich getan! Ich tu', was ich will, und ...«

»Sei wenigstens nicht klein in diesem Augenblick. Der ist doch entscheidend für uns beide. Du weißt, daß ich nicht das meine! Ich könnte mehr tragen als das ... alles ... ich ändere mich nicht. Wenn du nur nicht anders wirst ...«

»Ach ... ich bin alle Augenblicke anders! das ist eine alte Geschichte. Das heißt gar nichts! Das hab' ich so im Blut!«

»Ich meine, wenn du mir nicht ganz fremd wirst. Es ist etwas Fremdes zwischen uns und wächst immer mehr, du willst es mir nicht verraten und ich sehe es doch!«

»Was soll ich denn verraten? Überhaupt ... bin ich denn ein Schulbub?« Seine Stimme wurde heftiger. »Ein für allemal! ... ich hab' das Gegängel satt, ich bin ein alter Mann! Ich mag das nicht, daß mich da ewig was am Rockärmel zupft und mir immer ins Ohr tuschelt: Tu das nicht und jenes nicht und das schickt sich nicht für einen Meister! Ich pfeife auf euren Meister ... Es hat niemand ein Recht, mich ewig verdrießlich zu machen ...«

»Ich habe schon ein Recht!« Sie stand auf und trat vor ihn hin. »Nach allem, was zwischen uns war und noch werden sollte. Dreizehn Jahre sind doch eine lange Zeit! die hab' ich dir geschenkt ... meine ganze Jugend hab' ich deiner Kunst geschenkt. Ich hab' ja nicht dich zuerst kennengelernt, sondern zuerst dein Werk! deinen ersten großen Erfolg damals in München, den ›Adam und Lilith‹, der jetzt in Amerika ist! Ich meine: ... die Bewunderung und Ehrfurcht vor deiner Kunst hat mich zu dir geführt, deiner Kunst hab' ich mich gewidmet all die langen Jahre. Wenn du deine Unglückstage gehabt hast und bist im Atelier herumgelaufen und wolltest alles zerschlagen und Steinklopfer werden – hab' ich dich da nicht ausgelacht und dir neuen Mut gegeben? Und wenn der Größenwahn mit dem Erfolg über dich gekommen ist – hab' ich dich nicht sachte wieder auf den Erdboden gestellt und dir gezeigt, daß du noch viel, viel mehr leisten kannst? Und wenn du im Übermut angefangen hast, mit deinem Können zu spielen, statt zu schaffen – hab' ich dich da nicht selbst vor deine halbfertigen Werke geführt und das nasse Tuch vom Ton genommen und hab' nur gelacht, wenn du zu schimpfen anfingst, um schließlich doch mit Feuereifer zu arbeiten? mit einem Wort – was wärst du ohne mich?«

»Das will ich dir sagen!« sprach Meister Josephus. »Ein Millionär und ein Lump von Künstler!«

»Nun also – habe ich es nicht ehrlich mit dir gemeint?«

»Ja, du warst mein guter Geist!« Er ging trotzig herum. »Aber die guten Geister sind langweilig! Ich will dahin, wo's amüsant ist. Wenn ich sterb', will ich von selber in die Hölle, da fühl' ich mich viel wohler ... unter dem Teufelszeug!«

Sie überhörte sein letztes Gemurmel. »Und wenn dann noch ein bißchen mehr dabei war als bloß deine Kunst ... sieh ... ich sprech' das ganz offen aus, und du weißt es ja ... ich möchte dir ja nur sagen ... es gibt nicht so arg viel Liebe in der Welt! Man muß froh sein, wenn man sie hat ... man soll sie nicht zertreten ... es kann einen selber nachher reuen!... Ich hab' dir meine Seele ... ich möchte sagen mit beiden Händen hingebracht und gesagt: nimm sie! Ich hab' dir gelebt... Alles mit dir durchgelitten und durchgestritten wie ein Stück von dir selbst ... und hab' weiß Gott nie Dank verlangt. Mir war das genug, in deiner Nähe zu sein! Aber eines bist du mir jetzt wenigstens schuldig: daß du wahr gegen mich bist!«

Er hatte sich in das Dunkel der Sofaecke geworfen. Es war, als ob er schluchzte.

Ihre Stimme bebte. »Ich halte es nicht mehr aus. Ich sehe, daß neben mir etwas geschieht ... ich merke es ganz deutlich ... und wage es doch nicht zu Ende zu denken ... der Zweifel ... die Angst bringen mich um! Sage mir die Wahrheit! Schonungslos! Es ist immer noch besser, als was ich die letzte Woche gelitten habe!«

»Schonungslos...« Er hob wehmütig sein ganz vergrämtes, im Schein des aufgehenden Mondes bleich aussehendes Löwenhaupt. »Ach, Liebste ... das wäre ein schöner letzter Dank! Ich schonungslos gegen dich – das brächte ich nicht übers Herz! Was ich Treues und Gutes im Leben erfahren habe, seit meine Eltern hinüber sind, das dank' ich doch dir. Aber es gibt einen Kerl, gegen den will ich schonungslos sein – den will ich dir einmal zeigen, wie er ist! der Kerl heißt Joseph Ranggetiner und ist seines Zeichens Akademieprofessor und knetet in Ton allerhand dummes Zeug. Meine Liebe ... ob das ein Genie ist oder ein Lump ... darüber sind die Gelehrten noch uneinig. Soweit ich den Lümmel kenne, mein' ich: 's ist ein genialer Lump! Er hat was von 'nem Meister in sich! das siehst du! Ich meine ... den Funken von oben! das Heilige! Aber ein großer Meister ist rein! der ist einfältig, der ist fromm. Mag er Weiber küssen, soviel er will. Aber vor seiner Kunst faltet er die Hände, da bleibt alles andere hinter ihm, da steht er wie in einem weißen Kleid und hat einen Riegel zwischen sich und der Welt und betet wie in der Kirche! Ich aber ... ich will, daß die Kunst mir dient – mir, einem armseligen Kerl! Ich bin ein Lüderjahn ... ich habe allerhand Götter neben ihr ... ich habe nicht den Ernst ... drum bin und bleibe ich einer von den Krüppeln! Von den ewig Vergnügten. Von den Bezahlten,. Und so sieht mich die Lotte! die hat mir die Augen aufgemacht und mir gezeigt, daß bei einem Kerl wie mir alles umsonst ist ...«

Jetzt lief zum erstenmal ein Aufleuchten von Grimm über ihre Züge. »Und du läßt dich von ihr herunterziehen? du gibst einem halben Kinde die Macht über dich ...«

»Eben weil sie ein Kind ist! Sie ist so jung. Ich will auch jung bleiben!«

»Und wenn ich, dein bester Freund auf der Welt, dir den anderen Weg weise ...«

Er trat hastig vor sie hin. Seine Augen funkelten. Seine breite Brust atmete heftig unter den blonden Wellen des Siegfriedbarts. »... Dann sag' ich dir: Meine Liebe ... der Weg ist mir zu steil, da wird man alt auf halber Höhe. Man wird alt, wenn man immer dasselbe ist. Ich will gerne einmal ein aufrichtiger, einfältiger Meister sein ... am Sonntagnachmittag. Aber am Abend muß ich radschlagen und Grimassen schneiden und mit der ganzen Welt raufen wie auf dem Tanzboden. Sonst wird's mir zu langweilig. Ewig derselbe Kerl zu sein, ist fad. Du siehst an mir immer dasselbe – immer nur eine Seite ... die weiße, fromme. Aber so still dasitzen die ganze Zeit, als ob man photographiert werden sollte, das kann ich nicht. Ich bin nicht nur der Mensch, für den du mich hältst. In mir stecken zehn Menschen. Von denen will jeder einmal an die Reihe kommen – nicht bloß der eine. Da kann sich jeder was raussuchen bei mir und es bleibt noch ein Rest! Wer kennt mich denn? Ich kenn' mich selber nicht! IAcht bis zu Ende, Gott sei Dank! Zehn Seiten Hab' ich – zwanzig ... in allen Farben ... und viel Giftzeug darunter ... das glaub' mir ... und das will auch sein Recht! das ist sogar stärker als alles andere! So ... jetzt kennst du mich...«

»Nein! Denn dann hättest du mich ja betrogen die ganze Zeit!«

»Dann hab' ich eben gelogen und betrogen, da kann ich nichts dafür. Ich hab' mich nicht selber gemacht. Ich bin der Meister Josephus, ich bin ein Gott und ich bin ein Tier! Wer vor mir den Hut nicht abnehmen will, mag's bleiben lassen. Aber sie nehmen ihn ab, die Esel ... alle ... alle ... das macht ... sie wissen: ich bin ehrlich. Ganz ehrlich in jedem Augenblick. Daß ich im nächsten Augenblick anders bin, da kann ich nichts dafür, da muß man sich darein finden oder mich in Ruhe lassen!«

Er wurde grimmig. »Jawohl – in Ruhe lassen! Und wenn du das nicht kannst, dann müssen wir eben auseinander. Ich vertrag' das nicht mehr! Ewig so ein mahnendes Gewissen an meiner Seite ... so was Kränkliches, Graues! Ich bin ein ganzer Kerl! Lasse du mich meinen Weg zum Teufel gehen! Aber mach' mich nicht alt, mach' mich nicht krank, mach' mich nicht müde vor der Zeit! Gib mich frei! 's ist besser für uns beide. Wir passen nicht mehr zusammen! Du willst alt werden und ich will jung bleiben! Da muß der eine rechts, der andere links. Hab' Dank für deine Lieb' und Treue! Denk', ich sei tot oder ich hätt' dir eine Komödie vorgespielt die ganze Zeit von einem guten dummen Meister Josephus und du siehst mich heute zum erstenmal in meiner wahren Gestalt – mit Hörnern und Klauen! Die Lotte, die hat den Pferdefuß schon lange gemerkt, den du nie gesehen hast. Denk' von mir, was du willst ... aber jetzt lasse mich hinaus ... es kocht alles in mir! Ich hab' eine Wut gegen mich, ohrfeigen möcht' ich mich! Ich muß frische Luft schöpfen! Sonst erstick' ich!«

Sie trat vor die Türe. »Erst sage mir noch das Letzte. Das, was ich eigentlich von dir wissen wollte. Ich hab' zwei Menschen auf der Welt, die ich lieb hab' – dich und die Lotte! Habt ihr beide, meine einzigen Menschen auf der Welt – alles, was mein ist – habt ihr beide mich belogen und betrogen? du, der mir versprochen hat, mich ... und die Lotte, für die ich alles getan hab' ...«

In seinen Augen glitzerte ganz hinten ein grünliches Gefunkel. Sein Gesicht war grimmig böse, schlecht durch und durch. Sie machte einen Schritt zur Seite, entsetzt vor der erwachenden Brutalität der blonden Bestie. Wie ein großer blauäugiger Teufel, stand er fremd im Mondschatten vor ihr. Aber er kämpfte sich nieder. Stumm, mit einem trotzigen Faustgriff riß er die Türe auf und lief hinaus. Sie hörte, wie die Treppe unter seinem schweren Schritte krachte.

Er hatte nicht geantwortet. Ein letzter lächerlicher Rest von Hoffnung flackerte in ihr. Sie eilte auf den Balkon. Vielleicht stand er da unten. Vielleicht kehrte er doch zurück ...

Da trat er hinaus in die helle Nacht. Langsam, mit gesenktem Haupt. Ihr Herzschlag stockte.

»Sepperl!« klang aus dem Dunkel unten eine sanfte Mädchenstimme. »Lieber Sepperl ... warum schreist du denn so schrecklich? Man hört's bis hier herunter. Ein Glück, daß kein Mensch in der Nähe ist ... alles beim Feuerwerk ...«

Er blieb stehen. »Wo bist du denn, Lotte?«

»Hier!« Sie ging langsam auf ihn zu wie ein müdes Kind. Im Mondschein lag ein ängstliches Lächeln auf ihren reizenden Zügen. »Ich hab' geweint. Ich bin so traurig, weil du vorhin so häßlich gegen mich warst ...«

»Ich häßlich gegen dich ...« Er faßte ihre Hände und flüsterte heiß, fiebernd auf sie ein. »... Du ... du mein Süßes ... mein Liebes ... du...« Und plötzlich bedeckte er ihr Gesicht mit wütenden Küssen. »Meine kleine Prinzessin ... mein Märchen ... mein Traum ... ich bring' dir alles ... dein Schloß im Wald ... die goldenen Vögel ... auf den Händen trag' ich dich hin ... ich küsse dir die Füße ... ich...«

Sie rang, sich loszumachen. »Um Gottes willen ... Ellinor...« keuchte sie unter seinen Küssen.

»Ach, Ellinor! das war gestern! Ich schau' mich nach keinem um im Leben. Ich brauche keinen im Leben! Nur dich will ich haben ... dich...«

»Ellinor!« flüsterte sie wieder, sich ihm entwindend, mit erstickter Stimme, und jetzt merkte er, wohin ihr angstvoller Blick wies ... nach dem Schatten da oben auf dem Balkon.

Er blieb eine Sekunde betäubt stehen, während Lotte mit drei langen, scheuen Sprüngen vor ihm in das Haus flüchtete. Dann warf er trotzig das blondmähnige Haupt in den Nacken, zuckte die Schultern und ging mit festem Schritt die Straße hinab.

Die oben sah dem Meister Josephus nicht nach. Ihre Augen waren in der Weite, dort, wo über dem Firn der Höhen ein ferner rosiger Abendschein sich langsam scheidend in der Nacht verlor. Eine letzte Sehnsucht zog sie dort hinauf: Die Liebe ist tot! Nun geh du mit ihr sterben...

 


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