G. F. Streckfuss
Der Auswanderer nach Amerika
G. F. Streckfuss

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Es war am 13. April 1834, als ich in Begleitung meiner Kinder, ihrer Wärterin und zweier Gefährten Zeitz verließ, um mich auf den Einschiffungsplatz, Bremen zu begeben. Mit welchen Gefühlen ich die theure Vaterstadt verließ, wo ich meine Jugend verlebt, als Sohn, Bruder, Gatte, Vater und Bürger gewirkt; wo ich Gutes und Böses, Frohes und Trauriges erfahren hatte, an welcher alle meine Erinnerungen hingen, läßt sich nicht beschreiben. Ich ging wie im Traume, blickte nicht zurück auf die theure Heimath, so lang sie noch zu sehen war. Das lärmende Geräusch unsrer Begleitung ging mir schneidend durch die Seele. Einige Heiterkeit gewann ich erst wieder, als ich nach Bremen kam, wo das rege Leben in der heitern Seestadt mich aus meinem dunklen, fühllosen Zustande weckte. Tausende von Auswanderern waren vor uns angekommen, gleich uns hoffend, mit leichter Mühe Glück und Reichthum jenseits des Meeres zu finden. Wir Thoren alle! – Gewiß hat von diesen Tausenden der größte Theil sich bald enttäuscht gesehen! –

Bremen ist eine alte Stadt, mit krummen, engen Straßen, schönen Häusern, glücklichen, rechtlichen, freundlichen Bewohnern. Der arme Flüchtling wird hier gütig aufgenommen, billig bewirthet, und genießt hier vielleicht zum letztenmal die Freuden, die kein anderes Land so gut, als Deutschland geben kann. Ich fand dort an einem gewissen Schlöndorf einen gastfreundlichen Wirth, eine reinliche, artige Wirthin, ein hübsches Stübchen, gute und wohlfeile Kost; selbst einige Unglücksgefährten der bessern Art; alle von glänzender Hoffnung belebt, und mich selbst damit erfüllend.

Doch den Muth vieler schlug das Unglück nieder, welches das amerikanische Schiff unter Kapitain Roß gehabt hatte. Dieses Schiff war vor kurzem in der Weser gescheitert, und hatte einige dreißig seiner Passagiere verloren. Die Wohlthätigkeit der Bremer fand hier Gelegenheit, sich in schönstem Lichte zu zeigen. Die Geretteten, aller ihrer Habe beraubt, wurden frei einquartirt, beköstigt und überreich entschädiget. Ja mancher von ihnen ist reicher von Bremen abgefahren, als er dahin gekommen war.

Ich habe in Bremen einige wirklich sehr angenehme Tage verlebt, aber sie sollten auch für lange, lange Zeit die letzten seyn! –

Am 25. April erhielt ich die Anweisung, mich mit den Meinigen auf dem Weserkahn, Adelheid, einzuschiffen, welches uns nach dem Bremer Hafen bringen sollte. In dieses kleine enge Schiffchen wurden gegen 50 Personen verpackt. Gut, daß die Reise nur 24 Stunden dauerte; denn an niederlegen, schlafen, an den Genuß einer warmen Speise war hier nicht zu denken. Die sämmtlichen Passagiere gehörten zu der Brigg, Ella, das Schiff, welches uns aufnehmen sollte. Die Gesellschaft selbst bestand aus dem rohesten Auswurf mehrerer deutschen Stämme. Würtemberger, Baiern, Badener, Nassauer, Preußen, Sachsen, fluchten in allen deutschen Idiomen wild durcheinander. Ich sah mich unter den Gesichtern um, mit denen ich lange Zeit zusammen leben sollte, aber ich sah wenig Anziehendes. Züge genug; welche Furcht einflößen konnten. Die Nacht kam herbei, ein Schlafplätzchen mußte gesucht werden. Aber wo dieses finden. Ich brachte meine Kinder so gut ich konnte unter, wohl fühlend, daß es mir unmöglich seyn werde, selbst zu schlafen. Die Nacht war elend und der Raum des Schiffes mit Gestank erfüllt. Nach einer 24stündigen Reise kamen wir zwar glücklich in Bremer Hafen an; mußten aber, da die Schlafplätze auf der Brigg Ella noch nicht völlig eingerichtet waren, noch eine Nacht auf der Adelheid zubringen. Im Hafen selbst war Schnaps, Wein und schlechtes Bier genug, aber keine warme Speise zu bekommen. Eben so wenig erhielten wir etwas von dem Schiffe; mußten uns daher bequemen, uns selbst etwas zu kochen.

Das Schiff, auf dem wir überfahren sollten, war eine schöne kleine Brigg; aber wie sehr erschrack ich, als ich den Raum besah, der auf der Reise unser Aufenthaltsort werden sollte. Auf einer Leiter mußten wir in ein ziemlich enges Behältniß steigen, in welches 84 Menschen eingepreßt werden sollten. Die Schlafplätze, Behältnisse, 6 Fuß breit, 2 Fuß hoch und 5 Fuß tief, schienen passender für Schweine, als für Menschen eingerichtet zu seyn, und in ein solches Loch, das kaum für drei Menschen Raum genug hatte, mußten fünf kriechen. An eine Wendung in der Nacht war nicht zu denken. Zugleich waren sie so niedrig, daß man nur der Länge nach hinein kommen konnte. Ich, meine 2 Kinder, ihre Wärterin und ein Kaufmannsdiener, wurden in ein solches Loch verpackt. Diese Schlafplätze heißen Cogen, wahrscheinlich eine Ableitung von dem Wort Cobe, Schweinskobe. Sie gleichen zwar einigermaßen einem solchen Behältniß, stehen aber in mancher Hinsicht weit hinter diesem zurück.

Endlich am 4. Mai Nachts um 12 Uhr begünstigte der Wind unsere Abfahrt. Er wurde auch sogleich benutzt und wir gingen unter Segel. Ermüdung ließ mir es nicht bemerken; und als ich früh aufs Verdeck kam, bot sich mir zum erstenmal der Anblick der weiten öden Wasserfläche dar, welche die fast ausmündende Weser bildete; nur noch einen schmalen Strich Landes von weitem gewahrend. Der Tag war trübe und traurig, aber ein frischer Wind blähte die Segel; das Schiff glitt rasch und gewandt durch die ein wenig gekräuselten Wellen. Alle waren froh gestimmt; doch unsere gute Stimmung wurde durch den Anblick der hervorstehenden Masten des vor kurzem gescheiterten Schiffes sehr getrübt.

Schon den Tag nach unserer Abfahrt trat ein zwar nicht ungünstiger Wind ein; allein da er von der Seite kam, fing das Schiff an sehr zu schwanken. Hier trat nun schon jene Leidensperiode ein, der kein Schiff entgehen kann, das Neulinge trägt. Die Seekrankheit wurde allgemein. Das Zwischendeck verwandelte sich auf einmal in ein Hospital. Alles brach, ächzte und klagte. Auch meine Kinder bekamen diese Krankheit. Ich selbst blieb ganz davon verschont und konnte den Krankenwärter machen. Aber ich beging hierbei wiederholt eine Unklugheit, welche ich später sehr zu bereuen Ursache hatte. Nur zu oft habe ich mich ähnlicher Unvorsichtigkeiten anzuklagen gehabt. Ich hatte mich mit manchen Erquickungen, unter andern mit Wein, Zitronen, trocknem Obste und dergleichen versehen. Die armen Kranken, denen ich mehrfach davon mitgetheilt hatte, fingen bald an, sich etwas auszubitten, und mein Wein bekam zu viel Abnehmer. Unter meiner Bettstelle hatte eine Familie ihr Lager aufgeschlagen, wovon der Mann längere Zeit sehr krank war, und dessen Frau sich täglich Wein, Kirschen u. s. w. ausbat. Meine Chokolade war ihm ein treffliches Stärkungsmittel; meine braunschweiger Wurst war das Einzige, was er noch genießen konnte. Da sich mehrere solcher Gäste fanden, so war es natürlich, daß das, was ich für die ganze Reise berechnet hatte, bald abnahm. Als es gänzlich damit zur Neige gekommen war, war der arme Kranke zwar noch nicht gesund; aber da ich nun nichts mehr bieten konnte, so öffneten sie ihren eignen Vorrath. Sie hatten sich mit einem hübschen Fasse von gutem Rheinwein, Würsten und andern Lebensmitteln versehen und während ich und meine Kinder indeß mit der Schiffskost vorlieb nehmen mußten, lebte unter unserm Lager alles in Ueberfluß. Eine Flasche Wein, die ich mir einmal ausbat, mußte ich mit 50 Kreuzern bezahlen. Doch so geht es in der Welt! –

Auf den anfangs günstigen Wind, der uns übrigens bald nach dem Kanal trieb, folgte erst Windstille, bei welcher fast alle wieder gesund wurden, mit welcher wir aber nicht vorwärts kamen; dann gänzlich widriger Wind. Wir mußten bis zum Ekel gerade vor Dover kreuzen und mehrere Tage blieb uns diese Stadt in Gesicht. Unterdessen entwickelte sich der Charakter der Gesellschaft in der ich lebte, immer mehr; Flüche, Verwünschungen, waren an der Tagesordnung. Unreinlichkeit, Gestank und Schmutz wurden, nebst ihren häßlichen Begleitern – den Kleiderläusen – heimisch. Zwar hielt der sehr brave Kapitain, Martens, möglichst auf Reinlichkeit; zwar ließ er alltäglich unsere Höhlen mit Essig räuchern, aber wie konnte er Unreinlichkeit bannen; unsere Plagegeister, die Läuse, entfernen.

Länger als zwölf Tage wurden wir in Kanal herum getrieben. Anfänglich hatten wir die Erlaubniß, uns aus den Fässern Wasser nach Belieben zu pumpen. Da sich aber unsere Schiffahrt so ungemein verzögerte; da von den unbesonnenen Menschen das Trinkwasser bis zur Verschwendung verbraucht wurde; setzte uns der Kapitain, bedenklich, ob wir mit unserm Vorrath ausreichen würden, auf Rationen und zwar auf ziemlich knappe. Auf den Mann wurde täglich ohngefähr 1 Quart hergegeben, womit nebst Thee und Kaffe wir unsern Durst stillen sollten. Meine Kinder wollten aber immer trinken und ich habe, so lange, bis ich mich daran gewöhnte, oft wirklich Qualen des Durstes gelitten, welche durch den steten Genuß gesalzener Speisen noch vermehrt wurden.

Bei der langdauernden Fahrt im Kanal, kamen wir einigemal in große Gefahr, mit andern Schiffen zusammen zu stoßen, vorzüglich in dunkeln Nebelnächten. Einmal kam uns eines so nahe, daß es fast in unser Takelwerk kam. Die Gefahr bei solchem Zusammentreffen ist sehr groß. In dem Kanal hatten wir mehrere Besuche von kleinen Schiffen, welche bei uns anlegten und uns Fische, Brod, Gemüse und andere Erquickungen brachten. Ich kaufte selbst noch einiges englisches Weißbrod, das ungemein schön und wohlschmeckend war, und welches größtenteils meinen Kindern zum Besten kam.

Die Kost auf unserm Schiffe war übrigens gut und reichlich, und mundete mir, bei der guten Gesundheit, deren ich genoß, trefflich. Sie bestand aus Reis, Erbsen, Bohnen, Kartoffeln, Graupen und Sauerkraut; das Salzfleisch von Rind und Schwein war trefflich. Hierzu das steinharte, doch kräftige Schwarzbrod, und früh und Abends Kaffee und Thee. Spashaft war es zu sehen, wie des Mittags sich alles zum Kessel drängte; wie, nachdem man sich beim Verteilen des Fleisches erst um die Knochen gestritten hatte, jetzt keiner genug von dem Gemüse bekommen konnte, Um einige Bissen mehr oder weniger wurde gezankt, gestritten. Es war eine wahre Abfütterung, wenigstens könnte das Vieh nicht gieriger über sein Futter herfallen, als hier die Menschen. Endlich wurde nach langem Herumtreiben das Ende bei Kanals erreicht. Nun bot sich unsern Blicken nichts als die weite, traurige Oede des Meeres dar; da wir bisher, ausgenommen in der Nordsee, noch immer Land gesehen hatten. Es ist ein eigenes, in der That nicht sehr angenehmes Gefühl, welches den Menschen befällt, wenn er sich auf einer unermeßlichen Wasserfläche allein siehet, entfernt von aller menschlichen Gemeinschaft und Hülfe; außer der, welche ihm ein zerbrechliches Schiff gewährt. Das Schiff bildet für ihn ein enges bewegliches Gefängniß, schwebend über einem Abgrund, bewohnt von vielleicht Tausenden ihm noch unbekannten Wesen, deren Raub er durch einen leichten Zufall werden kann. Ein unbewachter Augenblick kann ihn über Bord stürzen; eine Fahrlässigkeit, ein Blitz, kann das Schiff entzünden, ein Sturm kann es zertrümmern. An Rettung ist kaum zu denken. Oft vergehen mehrere Tage, ehe nur von weitem ein Segel sich zeigt.

Nur wenn man in die Nähe der Azoren kommt, belebt sich das Meer ein wenig wieder. Alle Schiffe aus und nach Ostindien und Amerika kommen bei ihnen vorbei.

Wenn sich ein Schiff von weitem zeigt, wird alles aufmerksam. Der Kapitain wie der Steuermann greifen nach dem Fernrohr. Jeder Matrose, jeder Reisende ist neugierig, gespannt auf dessen Annäherung. Man fühlt sich weniger einsam, man weiß, daß andere menschliche Wesen uns nahe sind. Es war übrigens eine traurige, langweilige Reise, die wir machten. Auf Windstille folgten widrige Winde, und auf diese oft Stürme. Doch gab es auch schöne Naturerscheinungen, deren Andenken mich noch ergötzt. Unbekannte Fische, welche unsere Neugierde erregten. Stürme, eben so großartig und erhaben für den Starken, als furchtbar und entmuthigend für den Schwachen.

Ich erlaube mir aus meinem Seeleben einige interessante Erscheinungen und Vorfälle auszuheben.

Der Himmel trübt sich; hunderte von Delphinen – Schweinfischen – umschwärmen mit lustigen Sprüngen das Schiff; zahllose Schwärme kommen herbei, um die fröhliche Gesellschaft zu vermehren. Alles betrachtet die gewandten muntern Geschöpfe.

So war es, als der Schiffszimmermann die scharfe Harpune ergriff, an das Vordertheil des Schiffes trat, und sie in die Seite eines dieser das Schiff umschwärmenden, mannsgroßen, Delphine schleuderte. Er war glücklich getroffen; die Harpune saß fest; und der Fisch sollte herauf gezogen werden; doch er sträubte sich gewaltig. Noch zwei Männer kamen dem Zimmermann zu Hülfe, man wollte ihn empor ziehen; doch kaum hob man ihn ein wenig aus seinem gewohnten Element, als er noch eine mächtige Anstrengung machte und mit Zurücklassung eines Stück Fleisches sich von dem Eisen losriß. Er entfloh, einen weiten blutigen Streifen hinter sich zurücklassend. Der Zimmermann betrachtete ärgerlich den Theil der Beute, der an dem Eisen zurück geblieben war, nicht ahnend, daß die Geister der Tiefe, welche er eben eines ihrer Unterthanen berauben wollte, schon für ihn selbst in ihrem Reiche ein Grab bereitet hatten.

Nach Untergang der Sonne giebt es auf dem Meere einzig schöne Erscheinungen, aus und mit welchen die Phantasie interessante Gemälde zusammensetzt; vorzüglich, wenn eine schwache Dämmerung sich über die Meeresfläche verbreitet. Eine jener wunderschönen Erscheinungen hatten wir, nachdem wir schon die kalten und nebeligen Regionen von Newfoundland verlassen hatten. Die weiche, amerikanische Luft, wehte lieblich zu uns herüber. Die Strahlen der untergehenden Sonne bildeten ein herrliches, nur diesem Himmel eignes Gemälde, dem eine warme Phantasie Ordnung und Bedeutung gab. Ueber uns schwebte ein reines dunkles Blau; am westlichen Horizonte aber zeigte sich ein vollständiges, von goldnen Rahmen eingefaßtes Gemälde. Eine weite Flur prangte mit Baumgruppen, welche goldne Blätter und Früchte trugen. Auf den vielfarbigen Wiesen weideten Heerden von Kameelen, Lämmern und andern Thieren. Paläste mit purpurrothen Dächern prangten im Hintergrunde. Eine paradiesische Landschaft schwebte in unbestimmten Zügen vor uns. Der große Maler hatte sie an sein prachtvolles Himmelszelt gezeichnet.

Indeß blähte ein guter Wind unsere Segel und unser Schiffchen flog vogelschnell durch die ruhigen Wellen dahin. Muntere Gesänge ertönten; Heiterkeit und Frohsinn herrschte durch die ganze, fast hundert Köpfe starke Menschenmenge. Es gab keinen Traurigen, keinen der sein Lager suchte.

Aber bald sollte diese Heiterkeit verstummen. Der Himmel trübt sich, Nebelschleier ziehen herauf, verdunkeln, bedecken ihn. Der Wind erhebt sich, wird heftig und immer heftiger, und geht endlich in Sturm über. Es blitzt und Donnerschläge erschüttern die Luft. Alles zieht sich zurück, den Seeleuten den Platz auf dem Verdecke überlassend.

Der Sturm saust und braust durch die Segel, zerreißt das Takelwerk; das Schiff steigt und fällt, von der Macht empörter Wogen hoch emporgehoben und zurückgeschleudert. Da ertönt durch das Geheul des Sturms, das Getöse der Elemente ein schrecklicher Ruf: der Zimmermann ist über Bord gefallen! –

Er war in dem Dunkel der Nacht vom Mast herabgestürzt, nur von erstem Steuermann bemerkt. Dieser, ein träger, roher Mann, wähnt, es sey ein Geräth herabgefallen und sagt mit seiner langsamen, dehnenden Stimme: »Kapitain, es fiel etwas über Bord.« Der Kapital« eilt nun sogleich an die bezeichnete Stelle und hört den Unglücklichen noch um Hülfe schreien. Man wirft ihm Seile zu; doch er kann sie nicht erfassen, und wenig Minuten daraus hat das Meer sein Opfer verschlungen.

Man beklagt den guten freundlichen Mann und bedauert seinen Verlust. Aber der Gewittersturm legt sich; ein schöner Morgen geht auf; und schon ist der Unglückliche vergessen.

Einmal bildete der Horizont eine Menge von halbbogenförmigen Streifen, deren Tiefe im reinsten Lichte glänzte; und die, je höher sie hinauf stiegen, erst im reinsten Gold, dann hell- und dunkelroth strahlten; zuletzt sich in ein liebliches Blau verloren. Ein andermal schien ein dichter Wald, von Wolken gebildet, uns ganz nahe zu liegen.

Einen Sturm zu beschreiben, dürfte vielleicht überflüssig seyn. Fast jeder, welcher eine weite Seereise machte, hat einen starken oder schwachen erlebt. Es fehlt daher nicht an Schilderungen desselben. Wir hatten fast in jeder Woche einen, und ich war so daran gewöhnt, daß selbst ein sehr heftiger mich nicht mehr schrecken konnte. Und welche interessanten, furchtbarschönen Scenen boten sich dann meinen Blicken dar. Berghohe Wogen wälzten sich auf unser kleines Schiffchen, hoben es bald hoch empor, bald stürzten sie es in einen Abgrund. Freilich giebt es starke Stöße dabei, und der Ungeübte, der sich während eines solchen Unwetters auf dem Deck befindet und sich nicht festbindet, ist in nicht geringer Gefahr über Bord geworfen zu werden. In einem solchen furchtbaren Unwetter, welches drei Tage und Nächte ununterbrochen forttobte, hatte sich alles unter das Deck verkrochen; ich war der einzige Reisende, der wenigstens den ersten Tag desselben es oben abhielt; und ich würde auch länger ausgehalten haben, wenn ich nicht zu sehr durchnäßt gewesen wäre, oder mich hätte umkleiden können. War der Anblick auf dem Deck erhaben und großartig, so war er unter dem Deck in der That theils niederschlagend, theils belustigend. Die Menschen, die bisher nur geflucht hatten, waren auf einmal umgewandelt. Hier lagen einige ruhig auf ihren Lagern; dort beteten andere still oder laut; hier stießen einige laute Seufzer aus, während andere weinten und jammerten. Ich suchte ein Stück schwarzes Brod hervor, übergoß es mit Wasser, zog einen derben Schluck aus der Rumflasche und gab mir einen Schwung, um in mein Bett zu kommen. Er gelang glücklich, trotz allem Schwanken des Schiffs. Ich aß mein Brod, empfahl dem Herrn des Lebens mich und die lieben Meinen und versuchte zu schlafen. Es würde mir auch gelungen seyn, wenn ich nicht daran durch die Ausbrüche der Verzagenden verhindert worden wäre.

Je heftiger der Sturm, je lauter wurde ihr Gebet; fürchtend, der Allwissende möchte sie nicht hören: Die Thoren, sie vergaßen, daß auch in Sturm und Unwetter eine weise Vorsicht über uns waltet, unsre Schicksale bestimmt! – Ich habe stets Vertrauen zu ihr gehabt; habe oft zu ihr gebetet; aber ich wartete ruhig ab: was sie mir zusenden werde; und durch Vertrauen und geduldiges Fügen in ihre Schickungen habe ich Muth und Kraft gewonnen, auch das Schwere zu ertragen, was ihr weiser Wille über mich verhängte.

Wahrend der drei Tage dieses Sturms war an warmes Essen nicht zu denken. Der Kapitain suchte diesem Mangel einigermaßen dadurch abzuhelfen: daß er Bier und Wein unter uns vertheilen ließ. Er tröstete uns auch mit der Versicherung: daß, da hier weit und breit keine gefährliche Stelle sey, wir furchtlos seyn konnten; insofern nur, die Masten nicht verloren gingen. Er gestand jedoch auch, daß man wohl zehnmal nach Amerika fahren könne, ohne einen solchen Sturm zu erleben.

Dieses Unwetter hatte uns übrigens tüchtig durchgeschüttelt; hatte unsere Kisten und Kasten so durcheinander geworfen und mit Wasser übergossen, daß es langer Zeit bedurfte, ehe alles wieder in Ordnung gebracht werden konnte. Vieles hatte Schaden gelitten. Ich selbst hatte mich sehr zu beklagen. Mein ganz neuer Hut und mehrere Kleidungsstücke waren gänzlich verdorben und durch die Zerstörung meines Schnupftabacks hatte ich einen höchst empfindlichen Verlust erlitten. Allmählig kamen die armen Zagenden wieder aus ihren Löchern hervor. Ich glaubte sie würden das Fluchen ein wenig verlernt haben; aber ich irrte; die an ihren Sachen vorgefundenen Beschädigungen ruften die Flüche aus ihren nicht sehr fernen Schlupfwinkeln wieder hervor, welche nun gleich einem etwas verhaltenen Strom mit verdoppelter Gewalt hervorbrachen; jedes Gefühl des Dankes gegen die gütige, rettende Vorsehung unterdrückten.

Bald kehrte jedoch alles zu seinem Gleichgewicht, zu seiner alten, wenn auch nicht sehr angenehmen, Gestalt zurück.

Um das Ekelhafte, welches auf unserm Schiffe herrschte, zu vermehren, trat bald nach unserer Abreise von Bremen die Blatternkrankheit ein, und 5 bis 6 junge Männer litten mehr oder weniger daran; so wie wir überhaupt auf der ganzen Reise fortwährend Kranke hatten. Eine zweite sehr große Unannehmlichkeit war die Zeitunordnung bei Vertheilung des Kaffe und der Speisen. Sie wurde nicht von dem Schiffskoch, sondern von einem dazu angestellten Passagier besorgt. Dieser, an der Quelle sitzend, hatte selbst immer Vorrath und kochte nicht, wenn das Wetter nur etwas ungünstig war, oder wenn er lieber schlafen wollte. Den Kaffe erhielten wir früh immer ziemlich spät; und der Obersteuermann machte sich sehr oft das Vergnügen, gerade zu der Zeit, wenn die braune Brühe vertheilt werden sollte, den Eingang zum Zwischendeck, ohne vorherige Benachrichtigung, durch Wegnahme der Leiter zu sperren, unter welchem Wasser, Bier, Seilwerk und mehrere andere Dinge lagen. Jedem, welcher so wie ich, seit vielen Jahren gewohnt war, früh etwas Warmes zu genießen, mußte es recht wehe thun, oft bis zur Mittagsstunde nüchtern herum laufen und wegen Mangel an Trinkgeschirr den fertigen Kaffe unberührt lassen zu müssen.

Das Vorenthalten des Wassers veranlaßte oft komische Diebesscenen. Jeder suchte sich davon zuzueignen, wo er es nur konnte. Der Augenblick, wo der grobe Obersteuermann, oder sonst ein ihm ähnlicher Matrose, nicht auf dem Decke war, wurde stets zu kleinen Entwendungen benutzt; und wenn Wasser aus den Fässern im Raume heraus gepumpt wurde, wobei der Obersteuermann immer die Aufsicht führte, entwandte jeder so viel davon, als er nur konnte. Hierin war die ganze werthe Reisegesellschaft stets eines Sinnes; denn die Allgemeinheit des Vergehens schloß den Mund eines Jeden. Ich muß gestehen, daß ich einer der ärgsten und verwegendsten Diebe war; obgleich zum erstenmal in meinem Leben.

Noch einmal sollte unsern Eisenfressern im Zwischendeck das Fluchmaul, wenn auch nur auf eine kurze Zeit, ein wenig gestopft und der, von vielen in Winkel geworfene Rosenkranz wieder hervorgesucht werden. Schon hatten sich uns Spuren von der Annäherung an das Land gezeigt; Vögel, solche, die nicht tief in See gehen, Seegewächse und eine mildere Luft – Seeschwalben und Sturmvögel waren dagegen unsere steten Begleiter, und wir trafen oft mitten im Meere große Schwärme von Fischreihern an; – da umzog sich der Himmel auf einmal mit einem dicken, schwarzen Wolkenschleier, welcher sich immer tiefer und tiefer und fast bis auf unsere Masten senkte, und sich endlich in schweren Gewittern entladete. Feurige Schlangen durchzuckten zugleich die Lüfte, begleitet von einem dumpfen Donner. Starke, in Amerika so gewöhnliche Regengüsse stürzten auf uns herab. Ich habe in dem Sturm der Elemente immer etwas Erhabenes gefühlt und ich blieb, so lange das Gewitter währte, trotz des strömenden Regens auf dem Deck; wo auch der Kapitain und die Matrosen blieben; nachdem sie die Segel eingezogen hatten. Das war das einzige Gewitter wahrend meiner Seereise, welches mir gefährlich schien und wobei ich Donner hörte. Donner hört man nur bei sehr starken Gewittern und in einiger Nähe des Landes. In der That, die Schiffe schweben bei nahen Gewittern in großer Gefahr. Man hat häufig Beispiele, daß der Blitz in dieselben geschlagen hat; denn auf der endlosen Fläche bilden sie mit ihren, mit Eisen beschlagenen Masten, die einzigen Anziehungspunkte.

Immer häufiger wurden nun die Anzeigen von dem nahen Lande. Weiße Seemöven zeigten sich in der Ferne; Schmetterlinge von schönen Farben umflatterten uns; kleine Vögel setzten sich auf unsere Masten. Immer mehrere Segel stiegen am Saume des Horizonts herauf. Endlich erschien ein weißer Silberstreif; es war Land. Ein kleines, niedliches Schiffchen, gerufen durch die aufgezogene Flagge, fliegt jetzt pfeilschnell herbei – es ist ein Lothsenschiff –; eilt an uns vorüber, dreht sich gewandt um und legt an. Ein feiner, wohlgekleideter Mann steigt heraus und in unser Schiff; wird von dem Kapitain freundlich empfangen und übernimmt die Leitung desselben. Jetzt erscheinet die Spitze des Leuchtthurms von Kap May. Immer mehr und mehr entwickeln sich vor unsern Augen die Umrisse des Landes. Das Städtchen auf Kap May taucht auf, von Bäumen, mit dunklem Grün begränzet; schon wehen die Lüfte des Landes balsamisch zu uns herüber. Endlich wird der Eingang der Delawara-Bay erreicht. Wir sind nun von zahlreichen Schiffen umschwärmt; ein Hamburger Schiff mit Auswanderern, fährt so nahe neben uns, daß wir uns ohne Sprachrohr unterhalten können. Das Wetter ist das herrlichste; der Wind der günstigste; doch anfänglich nur die waldige Küste von New Jersey sichtbar; aber bald erblicken wir auch die gegenüber liegende des Delaware-Staats. Ueberall angebauet und prangend mit schönen, zum Theil prachtvollen Gebäuden. So gleiten wir schnell dahin; die schönsten Landschaften in Auge. Nachts gegen zwölf Uhr werfen wir Anker; da der Wind still geworden und die Ebbe eingetreten war.

Die Nacht ist sternhell, lau, herrlich; zu uns herüber schimmern die Lichter der gastlichen Wohnungen. Friede und Ruhe schwebt über der ganzen Gegend. Wie glücklich fühlten wir uns, so nahe der neuen Heimath. Hier hofften wir unser Glück zu gründen. Doch wie wenige mögen das gefunden haben, was sie suchten; und, um es zu finden, den Gefahren des Meeres trotzten! –

Am andern Morgen war zwar Windstille; allein, da um 6 Uhr die Fluth eintrat, wurden Boote vor das Schiff gehängt und dieses buxiret. Der lustige Gesang der Matrosen erleichterte die Arbeit, stimmte mit dem der Matrosen zusammen, welche das Hamburger Schiff buxirten. Aber bald wurde die schwere Arbeit überflüßig; schon um 8 Uhr erhob sich ein frischer Wind und schnell erreichen wir nun das Ende der Bay, und fahren in den Delaware-Strom ein. Endlich sind wir um die Ecke bei New Castle herum und nun wird Philadelphia sichtbar. Die Naviyard, wo das große Schiff Pensilvania noch unter einem vier Stock hohen, hölzernen Hause auf dem Werft liegt, zeigt sich nebst mehrern Thürmen zuerst unsern Blicken, und breitet sich dann unabsehbar, prachtvoll, in fast schnurgerader Linie vor uns aus, belagert von zahllosen Schiffen. Wir erreichen es endlich, und an der Mulberry Straße werfen wir gegen 4 Uhr Nachmittags Anker. Wir sind nun in Amerika! –

Bald nachher erhielten wir Erlaubnis, das Land zu betreten. Ich benutzte diese sogleich; warf mich in ein bereit stehendes Boot, und ruderte der nahen Stadt zu. Hier fand ich mich sehr angenehm überrascht. Ich betrat eine der schönsten Straßen von Philadelphia, die Mulberry Straße, welche mit prachtvollen Häusern verzieret, breit und schnurgerade durch die Stadt läuft. In allen Häusern ziehen herrliche Verkaufsladen – Storen – meine Blicke an; munteres Getümmel herrscht überall. Leicht und reinlich gekleidete Männer, Mädchen und Frauen, leichte ätherische Gestalten, drängen sich durch die Straßen; schwarze Gesichter grinsen mir entgegen; häßlich für den, der sich an ihre Gesichtszüge und Farbe noch nicht gewöhnt hat. Ich glaubte einen interessanten Traum zu träumen. Leider wurde ich bald und unsanft daraus erweckt. Denn schon an diesem Tage sollte ich eine Bemerkung machen, welche mich unsanft berühren mußte.

Ich kehrte mit einigen Gefährten in einer Schenkstube ein, um mir hier den lang entbehrten Genuß des Bieres zu verschaffen; und bemerkte sogleich, daß das Englische was ich sprach und mühsam erlernt hatte, von niemanden verstanden wurde; so wie auch ich niemanden verstehen konnte. Eine Hoffnung, die ich auf diese Kenntniß gesetzt hatte, war demnach schon am ersten Tage verschwunden. Auch gefiel es mir nicht, daß ich für 2 kleine Gläser Bier 12½ Cents – 4 ggr. – bezahlen mußte. Ich kehrte bald zum Schiffe zurück, nachdem ich meinen Kindern Brod, Aepfel und etwas Zuckerwerk, alles zu ziemlich theuren Preisen, eingekauft hatte. Ich brauche nicht zu erzählen, welche Freude ich damit anrichtete und wie gierig sie nach so langer Entbehrung darüber herfielen.

Den andern Tag besuchte ich meinen Freund, R***. Er empfing mich ungemein freundlich, verschaffte mir sogleich selbst bei der Witwe Neumann in der Cherry-Straße eine Wohnung; und nahm meine Kinder für so lange bei sich auf, bis ich meine Einrichtung getroffen haben würde. Da die Wärterin meiner Kinder mir noch unentbehrlich war, so war ich genöthigt, auch für sie Wohnung und Kost zu bezahlen. Sie wohnte mit mir bei der Witwe Neumann, und ich bezahlte für uns beide die Woche 4 Dollars oder 6 Preuß. Thaler; ziemlich wenig für dort; denn die Kost war gut. Ich mußte mich einige Tage erholen; aber schon jetzt beunruhigte mich die Sorge: mit was ich mich ernähren wolle. Ich machte bald Bekanntschaft mit den dortigen Deutschen, aber auch dabei die Erfahrung, daß der Erwerb nicht so leicht sey, wie man in Europa sich einbildet. Guten Rath erhält man in Amerika nicht leicht; und man ist sich anfangs selbst überlassen. Jeder der dahin kommt, ist Glücksritter. Er will hier reich und glücklich werden. Allein, ein Fehltritt; und er ist unglücklich; und wie leicht ist dieser? – Es gehören Glücksfälle, angestrengte Arbeit dazu, um hier ein Glück zu gründen. Oft ist der Erfolg nur das Resultat von Betrügereien! – Jeder fühlt, daß es äußerst schwer ist, einen Rath zu geben; und selbst mehrere meiner nähern Freunde, die übrigens stets sehr gütig gegen mich waren, gaben mir kalt die Antwort: guter Rath ist theuer.

Ich mußte etwas ergreifen, das Schwinden meiner Kasse mahnte mich täglich daran. Ich hatte in Deutschland gelernt, guten Essig zu machen und ich hoffte, mir mit dieser Kunst hier etwas verdienen zu können. Meine mir bereits gewonnenen Freunde sprachen mir den Erfolg davon weder zu noch ab; waren mir jedoch behülflich, ein hübsches Haus für 70 Dollars, jährlichen Zins, zu miethen. Da ich noch so manche Hülfe fand, so eilte ich, mich etwas einzurichten und den nöthigen Apparat zu meiner kleinen Fabrik anzukaufen und nun fabrizirte ich, was nur möglich war. Auch gerieth meine Waare recht schön. Kaum war etwas fertig, so fand ich Gelegenheit 6 Barrels an eine Weinhandlung für einen leidlichen Preis zu verkaufen. Dies ermuthigte mich ungemein und ich steckte beinahe meine ganze Habe in diese Fabrikation. Mein ganzer Hof lag voll von Fässern; aber alle meine Bemühungen, meine Waare wieder an den Mann zu bringen, waren vergebens. Bald gerieth ich in Noth und Geldverlegenheit. Wo ich hinkam und meine Waare ausbot, brauchte man sie entweder nicht, oder bot mir einen elenden Preis; oder konnte mich so wenig verstehen, als ich sie selbst verstand. Ich fing jetzt an, an dem Nöthigsten Mangel zu leiden. Meine Essigbrauerei stand nun natürlich still; und selbst zu dem nothwendigsten Lebensbedarf fehlte mir das Geld. Um mir und meinen Kindern nur den unentbehrlichsten Unterhalt zu verschaffen, mußten mein hübsches Silberzeug, ein Theil meiner Wäsche und mehrere andere Sachen verkauft werden. Der Hauszins war gefällig; und ich mußte mich endlich entschließen, meinen Essig in die Auction zu geben. Der Verkauf erfolgte; aber der Erlöß war unbedeutend und betrug nur ein weniges mehr, als das war, was mir die leeren Fässer und das verschiedene Fuhrlohn gekostet hatte. Es deckte nicht den Miethzins; noch viel weniger meinen Lebensbedarf. In dieser Noth sah ich mich genöthiget, einen Herrn, an den ich empfohlen war, um ein Darlehn anzusprechen. Ich erhielt es von seiner Güte; und wurde dadurch in den Stand gesetzt, den schuldigen Miethzins zu bezahlen. Mit dem Ueberrest fing ich einen kleinen Hausirhandel an, nachdem ich meine Kinder bei meinem Freund R*** untergebracht hatte, und durchwanderte mit kurzen Waaren den größten Theil des Staates Pensylvanien und einen Theil von Newjersey und Delaware. Ob ich schon alle zerstreut liegende Bauerhäuser besuchte, vergingen doch manchmal halbe Tage, ohne daß ich etwas eingenommen hätte; denn entweder hatte man kein Geld, oder es waren vor mir Hausirer dagewesen; welche hier in Menge herumstreifen. Ich trat in manches schöne Haus, in welchem kein Cent zu finden war. So nahm ich kaum so viel ein, um mich selbst hinzubringen; aber womit sollte ich meine Kinder ernähren, für welche ich das übrigens sehr billige Kostgeld von 1½ Dollars wöchentlich zu zahlen hatte. Doch trieb ich dieses so wenig einträgliche Geschäft bis in den harten Winter von 1834 bis 1835. Dieser trat erst nach Weihnachten und zwar mit einer ungemein grimmigen Kälte ein. Ohne sie zu scheuen, setzte ich meinen Handel bis im Januar 1835 fort, wo ich eines Abends, in tiefem Schnee und ganz erfroren nach Eastown kam; einem hübschen Städtchen am Delaware, und in ein Wirthshaus eintrat. Eine Anzahl Gäste saß um den glühenden Ofen herum; und als sie mich, den bleichen und ganz mit Schnee bedeckten Krämer eintreten sahen, mochte sie wohl ein Gefühl des Mitleids ergreifen; denn fast jeder kaufte mir etwas ab; und ich machte so am Abend noch eine hübsche Einnahme; nachdem ich den ganzen Tag in fürchterlichem Schneewetter herumgelaufen war, ohne kaum die Zeche zu lösen. Während ich mit meinem Handel beschäftiget war, beobachtete mich ein ältlicher Mann hinter dem Ofen, manchmal lächelnd; doch schweigend und scheinbar theilnahmlos. Er ließ mich denselben ruhig beendigen; dann aber stand er auf, klopfte mich auf die Schulter und hieß mich ihm folgen. Vor der Thür war seine erste Frage: ob ich einen Lizenz: – Gewerbschein – zum Hausirhandel habe? Ich war noch so fremd in Amerika, daß ich ihn – er sprach es leise aus – gar nicht verstand und ihn deshalb verwundert ansah. Mein langer, wohl 10 Tage alter Bart, fiel ihm auf und er fragte mich weiter: ob ich ein Jude sey; und wollte, als ich es verneinte, es nicht glauben. Glücklicher Weise hatte ich meinen vaterländischen Paß bei mir, den ich ihm vorlegte. Nun wurde er etwas milder, sah mich mitleidig an und sagte: da ich sehe, daß du ein ehrlicher, protestantischer Christ bist, so will ich dich laufen lassen, ob ich gleich dadurch 25 Dollars verliere. Ich bin den Juden nicht gut und würde dich, wärest du einer, nicht so milde behandeln. Wollte ich mich deiner bemächtigen, müßtest du 50 Dollars Strafe bezahlen; oder müßtest, bis du sie aufbringen könntest, in die Jail – Gefängniß – wandern, und die Hälfte des Strafgeldes gehörte mein. Doch ich will darauf verzichten; verzichte du aber auch auf dein Gewerbe, und suche dir lieber ein anderes; denn über kurz oder lang wirst du doch erwischt und dann unglücklich.

Nachdem er dies gesagt hatte, drückte er mir die Hand und entfernte sich. Ich war wie von Donner gerührt. Also auch diesen armseligen Erwerb mußte ich aufgeben; oder, wollte ich ihn fortsetzen, meine Freiheit. Was sollte, wenn ich mein kleines Eigenthum verlor; oder in das Gefängniß wandern mußte, aus meinen armen Kindern werden? Und wie sollte ich die Steuern für den Gewerbschein aufbringen, welche in Pensilvanien jährlich 18 Dollars – 27 Thlr. – in Maryland 40 Dollars – 60 Thlr. – in Columbien 60 Dollars – 90 Thlr. – betragen haben würden? –

Der freundliche Wirth mochte, als ich wieder in die Stube eingetreten war, meine Verlegenheit bemerken und errathen, was es gegeben habe. Er rühmte den menschlichen Konstabler, lachte über seinen Judenhaß, rieth mir aber auch mein Gewerbe niederzulegen. Ich entschloß mich, die Nacht in seinem Hause zu bleiben; und ich athmete wieder etwas freier, als er theilnehmend erklärte: wir wollen morgen sehen was zu thun seyn wird! – Als ich am Morgen erwachte, war die ganze Luft mit dicken Schneeflocken erfüllt und ich ließ mich um so lieber in Eastown halten; da ich das Handelsgeschäft fortzusetzen nicht den Muth hatte. Der gefällige Wirth trug Sorge, daß der Ueberrest meiner Waaren von einem dortigen Kaufmann um einen mäßigen Preis angenommen wurde. Den Tag darauf trat ich leer meinen Weg nach dem 60 englische Meilen entfernten Philadelphia an, welches ich bei heftiger Kälte in 2 Tagen erreichte. Mein Ausflug war mir ungemein sauer geworden und hatte mir nur Schaden gebracht.

Um nun nicht ganz brodlos zu seyn, fing ich in Philadelphia an, Dinte, eau de Cologne zu fertigen und mit Kalendern, Fleckkugeln, Leichtdornpflaster zu handeln, und verkaufte davon so viel, daß ich die Hälfte des Kostgeldes für meine Kinder an R*** bezahlen konnte. Ich wurde aber täglich ärmer und R*** mehr schuldig.

Jetzt reifte sowohl bei mir als bei R*** der Entschluß: tiefer in das Land hinein zu gehen. Ich verkaufte alles einigermaßen entbehrliche, brachte dadurch noch ein ziemliches Sümmchen zusammen und bestimmte den 26. Februar zur Abreise. R*** hatte seine Wohnung aufgegeben. Eine Schweitzer Familie bezog sie, ehe er noch ausgezogen war. Alles war gepackt und die Post bereits bestellt, als sich fand, daß er das zur Bezahlung seiner Schulden nöthige Geld nicht zusammen bringen könne. Nichts destoweniger wollte er abreisen und seine Schulden später tilgen. Aber ein Konstabler erschien mit einem Arrest-Befehl, – Warrant –; bemächtigt sich seiner und führte ihn wegen einer Schuld von 34 Dollars vor den Friedensrichter – Sqire. Da er nicht gleich bezahlen kann, wird er in das Gefängniß gebracht. Am andern Tag bürgt ihn zwar ein Freund wieder los, aber blos unter der Bedingung: daß er vor der Court-Sitzung Philadelphia nicht verlassen wolle. Unsere Reise mußte also unterbleiben und was noch schlimmer war, wir hatten keine Wohnung; da die, welche wir inne gehabt hatten, anderweit besetzt waren. R*** miethete sich ein kleines Stübchen; ich blieb noch einige Tage bei den ehrlichen biedern Menschen und miethete mich endlich in dem hölzernen Häuschen eines Schneiders, Rödel, ein. Auf das Anrathen meiner Freunde wollte ich eine kleine Tabaks-Fabrik anlegen. Dieses Geschäft schien etwas zu versprechen. Ich schnitt den Tabak auf deutsche Art, und da ich schon hübsche Bekanntschaften unter den Deutschen gemacht hatte, bekam ich gleich anfänglich mehrere Bestellungen. Aber, obgleich wir im Anfange des März waren, kehrte doch der Winter auf das heftigste zurück und zur Vermehrung des Unglücks erkrankte mein jüngstes Kind an Scharlachfieber. Das Holz stieg auf 12 Dollars die Klafter. Mein Tabak gefror, anstatt zu trocknen, in meiner Wohnung, in welche von allen Seiten der Wind hinein blies. Ich brauchte Holz, mein Kind Wartung und Pflege; und mein kleines Geschäft stand bald still. Ueberdies fing auch R*** und nächst ihm, eine bedeutende Tabakfabrik an, einen gleichen Artikel zu machen. So verging unter schweren Sorgen der März und ein Theil des Aprils, als eine Anzeige, welche zur Empfehlung meines Tabaks in die deutsche Zeitung: alte und neue Welt –, eingerückt worden war, einen Landsmann veranlaßte, mir zu schreiben und mich aufzustöbern, zu ihm nach Baltimore zu kommen und mit ihm ein Compagnie-Geschäft in Tabak, Destilation und dergleichen anzufangen. In meiner damaligen Lage, nahm ich diese Einladung für einen Wink der Vorsehung. Der Mann, welcher mir schrieb, besaß in der Heimath ein Haus und Feld; und ich kannte ihn von keiner unvortheilhaften Seite. Auch hoffte ich, und, wie sich bald auswies, mit Recht, daß mir Hülfe aus Europa nicht mehr fern seyn werde. Ich schrieb ihm ganz offen über meine Umstände und bat, er möge mir Nachricht geben, wenn ich nicht kommen solle; ich wolle zwar gern arbeiten, könne meine Arbeit aber vor der Hand nicht mit eigenem Vermögen unterstützen. Mit umgehender Post kam eine Wiederholung seiner Einladung und es blieb mir nun kein Zweifel mehr übrig, daß mich der Mann brauchen wolle und könne. Dem ohngeachtet schrieb ich ihm aus Vorsicht noch einmal und bat ihn: mir es ja abzusagen, wenn ich, so geldlos wie ich sey, nicht kommen solle. Aber es kam keine Antwort; ich entschloß mich kurz und schiffte mich am 44. April 1835 auf dem Dampfschiff nach Baltimore ein.

Kaum angelangt und während ich noch einen Wagen zur Fortbringung meiner Sachen suche, kam auch schon N***s Gattin auf das Schiff, um mich zu ihrem Ehemann zu führen, dessen Wohnung in der ziemlich entfernten Vorstadt – Point – lag. Der weite Weg wurde meinen Kindern unendlich sauer; doch bald war er überstanden und nun zeigte sie mir von weitem ein hölzernes Häuschen, was sie als ihre Wohnung andeutete. Schon jetzt sank mir der Muth, denn ich hatte ein hübsches Wirthshaus erwartet. Sobald N*** meine Ankunft bemerkt, kommt er mir fröhlich entgegen, umarmt und küßt mich. Ich trete ein und finde 3 halbvolle Schnapsflaschen; also doch etwas, was einem Wirthshaus ähnelt; aber sonst ein fast leeres Behältniß, nur mit einigen hölzernen Stühlen, einer wackligen, hölzernen Bank und einem alten Tisch versehen. In dem Hinterstübchen, wohin er mich sogleich führte, war es ziemlich warm, aber es schien von alten Bretern und Balken zusammen geflickt zu seyn. Ich verbarg den Schreck und das Entsetzen, welches mich bei den so unzweideutigen Spuren von Armuth befiel, so gut ich nur konnte und unterhielt mich mit N***, der später als ich die Vaterstadt verlassen hatte, über die dort vorgefallenen Begebenheiten, und suchte, große Ermüdung vorschützend, zeitig mein Bett. Ermüdung war auch wirklich da, und sie machte mir es möglich, den Kummer durch den Schlaf zu verscheuchen. Am andern Morgen schwanden, rücksichtlich meiner Vermuthungen und Befürchtungen von vorigem Abend, alle Zweifel. Kaum hatte ich Kaffe getrunken, als N*** die Größe meiner Kasse zu erfahren suchte, welche in der bedeutenden Summe von 3 Dollars bestand. Ich gab ihm hinreichenden Aufschluß darüber; und obgleich sein bisher freundliches Gesicht sich etwas verlängerte, zog es sich doch schnell in seine regelmäßige Ordnung zurück. Er meinte, einen Blick auf meine doch noch ziemlich vollen Kisten werfend: dies sey freilich wenig und ein Glück für mich, daß ich zu ihm gekommen sey. Mit wenigem Gelde könne man hier doch manchmal viel anfangen. Ihm selbst fehle Geld, und müsse ihm fehlen; denn er habe seine ganze Habe in seine Wirthschaft gesteckt und diese gehe deswegen nicht nach Wunsch, weil er oft die Getränke nicht habe, die von seinen Kunden verlangt würden. So leide er jetzt Mangel an Bier, ich möge deshalb einen Dollar auslegen, damit er ein Fäßchen Bier kaufen könne. Ich hätte freilich gern die paar Thaler für kleine nothwendige Bedürfnisse aufgespart; aber was wollte ich machen, der Dollar mußte heraus.


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