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Die ›Gesellschaft zur Verwertung der Erdoberfläche‹ hält eine Sitzung ab. Eine kleine Auseinandersetzung zwischen Bezug und seinem Schwiegersohn

Seit einer Woche war man in Bezugs Palast mit den Vorbereitungen zur Verlobungsfeier beschäftigt. Alle Künste und Handwerke waren aufgeboten worden, und der große Saal, in dem das Hauptgemälde der Decke durch ein anderes ersetzt wurde, war unzugänglich, da ein Gerüst aufgeschlagen worden war, dessen Stangen und Balken den ganzen Raum brauchten. Dazwischen und darunter waren die Leute tätig, die die Wände mit den in Gold ausgeführten Reliefs zu verkleiden hatten. Diese Reliefs und das Deckengemälde stellten bekannte Szenen der griechischen Mythologie vor: Brautpaare und Hochzeiten von Göttern und Menschen. Die berühmtesten Künstler hatte Bezug vor Monaten in seinen Palast geladen, einige Tage bewirtet und ihre Zustimmung, diese Arbeiten zu übernehmen, selbst bei den Widerstrebenden durch eine ungemeine Liebenswürdigkeit und hohe Preise erreicht. Er war entschlossen, bei dieser Gelegenheit der Welt zu zeigen, daß seine Macht schon jetzt ohne Grenzen war, daß er die kostbarsten Dinge mit Geschmack für seine Verherrlichung anzuwenden verstand. Mit unerhörtem Aufwand war der ganze Palast von Grund auf umgewandelt worden, und als die Familie Bezugs und seine Angestellten am Tag vor der Feier von den verschiedenen Villen zurückkamen, konnten sie sich kaum in den neuen Räumen zurechtfinden.

Am Vorabend fand noch eine Beratung der Gesellschaft zur Verwertung der Erdoberfläche statt. Bezug hatte die bedeutendsten Aktionäre zur Feier geladen und verband damit eine Sitzung, in der er die Berichte über alle fünf Erdteile entgegennahm. Als die Vortragenden gesprochen hatten, stand Bezug auf und dankte allen für ihre Bemühungen. »Aber«, sagte er, »bei aller Anerkennung des Geleisteten kann ich Ihnen nicht verschweigen, daß ich etwas ungeduldig bin.« Und er fuhr in englischer Sprache fort, denn die meisten Aktionäre waren Engländer oder Amerikaner: »Ich sehe wohl Erfolge, aber diese Erfolge genügen mir nicht. Es geht etwas langsam vorwärts. Und ich sehe den Zeitpunkt noch immer nicht ab, an dem wir tatsächlich über allen Kulturboden der Erde gebieten werden. Wie lange schätzen Sie, meine Herren, daß es bis zu diesem Punkt noch dauern kann?«

Mister Smith aus Philadelphia, der am unteren Ende des Tisches saß, zwischen Gibson, dem Zündholzfabrikanten aus Liverpool, und Kontscharow, dem Ölmilliardär aus Baku, sagte nach einer Weile, als kein anderer sprach: »Ich schätze fünf Jahre ... wenn es so fortgeht wie bisher.«

»Wenn es so fortgeht ... nein, meine Herren, es darf nicht so fortgehen, es muß in ganz anderem Tempo gehen. Fünf Jahre, meine Herren! Das ist ganz unmöglich, das halte ich nicht aus.«

Mister Smith setzte den goldenen Zwicker höher hinauf und sagte noch langsamer: »Sie werden es wohl aushalten müssen. Wir haben ja auch unsere Kapitalien an diese Landkäufe gewendet und müssen sie vorläufig unverzinst lassen.«

Da wurde Bezug dunkelrot vor Zorn: »Herr, so meine ich es nicht. Ich kann das Hundertfache dessen, was ich bis jetzt aufgewendet habe, unverzinst liegen lassen und spüre nichts davon. Aber aus anderen Gründen, meine Herren! Was soll ich Ihnen sagen? Ich bin ungeduldig, ich bin nervös.«

»Sie haben viel Temperament!« sagte Mister Smith.

Und Gibson fügte hinzu: »In Geschäften darf man nicht nervös sein.«

»Man muß warten können«, sagte Kontscharow, der Ölmilliardär.

Thomas Bezug verbeugte sich spöttisch vor den Herren am unteren Ende des grünen Tisches, den man anstatt des Tisches mit Danae und dem Goldregen in das Arbeitszimmer gestellt hatte. Seine fleischigen Hände ließen, trotzdem er aufgestanden war, die grünen Schlangenköpfe der Sessellehne nicht los und seine Salzseeaugen inmitten der leeren Stellen seines Gesichtes unter den haarlosen Brauen und den Wölbungen der Stirn schienen trübe und stumpf. »Ich danke den Herren«, sagte er, »für die Anerkennung meines Temperamentes und für ihre freundlichen Ratschläge. Sie können mir glauben, daß ich auch kalt und ruhig sein kann, wenn es nötig ist. Hier aber scheint es notwendig zu sein, rasch vorwärts zu kommen. Warum? Für mich ist das keine Frage. Wir müssen im raschen Ansturm siegen, bevor die Völker Zeit haben, sich gegen uns zu wenden, und bevor die Regierungen die ungeheuere Tragweite unseres Planes erkannt haben. Wenn die Regierungen auf ihren langsamen Gedankenwegen einmal so weit gekommen oder wenn sie durch den Unwillen der öffentlichen Meinung dazu gezwungen werden, uns durch Gesetze Hindernisse in den Weg zu legen – dann ist es zu spät. Wir müssen die Macht in den Händen haben, ehe die Welt zur Besinnung kommt.«

»Gewiß«, stimmte Fratelli, der Makkaronifabrikant aus Mailand zu, und dann sagte er sehr schnell etwas auf Italienisch, das aber außer Bezug und zwei andern italienischen Milliardären niemand verstand.

»Gewiß,« sagte auch Mister Smith, »aber wir arbeiten ja auch schon fieberhaft. Unsere Agenten sind doch in fast allen Ländern, und unsere Unteragenten fast in jeder Stadt. Aber nicht an einem Mangel an Eifer liegt es oder an schlechter Organisation, sondern an der ungeheuren Größe der Aufgabe. Die Erde ist eben viel größer, als wir uns vorgestellt haben. Wir haben Widerstände zu überwinden. Es gibt viele Leute, die mit dem Boden, auf dem sie sitzen, sozusagen verwachsen sind. Die müssen erst mürbe gequält werden, ehe sie ihr Stück Land hergeben.«

»Und was geschieht mit den Bauern?« warf der Seidenfabrikant Vernier aus Lyon ein, der erst vor kurzem der Gesellschaft beigetreten war und zum erstenmal einer Versammlung beiwohnte.

»Diese Frage ist schon einmal aufgeworfen worden«, antwortete Fratelli zuvorkommend, »und wurde befriedigend gelöst. Wir müssen uns natürlich davor hüten, die Bauern schon jetzt alle vom Dorf in die Städte zu vertreiben. Das gäbe sehr bald eine Übervölkerung in den Zentren und alle peinlichen Folgen einer solchen: Wohnungsnot und Teuerung und endlich Unzufriedenheit und Aufstände gegen uns. Wir lassen die Bauern einstweilen als Pächter auf ihrem Grund. Als Pächter mit relativ geringen Pachtzinsen, damit sie die Güter in gutem Stande halten, aber mit Pachtverträgen von sehr kurzen Fristen. Und wenn wir dann erst so weit sind, so werden die Verträge alle mit einmal gekündigt.«

»Inzwischen sind die Städte«, fuhr der Bankier Rosengarten aus Berlin fort, »doch schon so überfüllt, daß es schwierig oder ganz unmöglich sein wird, sich dort eine Existenz zu gründen. Die gekündigten Pächter sind also gezwungen, auf dem Land zu bleiben, und wir bekommen so billige Arbeiter zur Bewirtschaftung unserer Ländereien.«

»Wenn wir erst soweit sind, haben wir schon die Macht in den Händen«, sagte Gibson. »Aber wie Mister Smith gesagt hat: es gibt ungemein viele Hartnäckige, zumeist hier in Deutschland und Österreich, wie ich mir berichten ließ. Das ist das eine Hindernis. Das andere aber ist, daß es auf der Erde noch ungemein viele kaum erforschte oder doch schwer zugängliche Gebiete gibt. Die Erwerbung dieser Gebiete ist schwierig, denn da stehen politische Bedenken der Kolonialstaaten im Wege. Aber noch schwieriger scheint es mir, diese Gebiete nachher rationell zu bewirtschaften.«

»Denken Sie«, sagte Kontscharow, »an diese ungeheuren, noch kaum zugänglichen Strecken in Sibirien, an die Urwälder Brasiliens, die vielen Südseeinseln, das Innere Australiens, soweit es zu bebauen ist, die wunderbaren, noch unverwerteten Wälder und Ackerbauländereien Zentralafrikas. Tibet, die Dschungeln Indiens, das Innere Chinas, wo es besonders schwer sein dürfte, unseren Plan durchzuführen.«

»Und doch müssen wir alle diese Gebiete haben.« Thomas Bezug hatte sich wieder niedergesetzt, ließ die Hände auf den Schlangenköpfen ruhen und sah einen der Geladenen nach dem andern an. »Wir müssen sie haben. Denn wir haben zu erwarten, daß, sobald wir hier in den schon kultivierten Ländern der Erfüllung unserer Wünsche näher rücken, sich eine neue Völkerwanderung nach diesen Gebieten ergießen wird. Alle Vertriebenen, die hier kein Auskommen finden, werden auf den Gedanken kommen, nach neuen Ländern auszuwandern. In diesem kritischen Moment müssen wir also diese Gebiete schon in unseren Händen haben. Sie müssen wissen, daß es dort, wo sie hin wollen, durchaus nicht anders ist als hier.«

»Gewiß! Ganz sicher! Das muß so weit sein.«

»Ich bin in der angenehmen Lage, Ihnen mitteilen zu können, daß meine Bemühungen in dieser Hinsicht schon einigen Erfolg haben. Gestern habe ich ein Telegramm bekommen, daß die Expedition zur Durchquerung Afrikas, die ich ausgerüstet habe, glücklich an der Westküste angekommen ist. Die Expedition hat eine Unzahl von Verträgen mit den Häuptlingen im Innern Afrikas abgeschlossen. Sie können es mir glauben, dort ist billiges Land zu kaufen. Aber vor allem ist mir eine Mitteilung wertvoll. Die Expedition ist in unserem Namen mit der Regierung des Kongostaates in Beziehungen getreten. Wir haben Aussicht, gegen Überlassung aller Hoheitsrechte an die belgische Regierung – selbstverständlich! – den ganzen Kongostaat in die Hände zu bekommen.«

»Vorzüglich, ausgezeichnet.«

»Ähnlich günstig sind die Berichte meiner tibetanischen Expedition, deren Leiter den Dalai Lama selbst gesprochen hat. Und auch in Indien stehen die Dinge gut, wenn uns die Regierung Indiens nicht Schwierigkeiten macht.«

»Dafür will ich mich einsetzen«, sagte Lord Hamilton.

»Unser Trust hat Nordamerika so ziemlich sicher«, fügte Mister Smith bei. »Freilich sind gerade dort noch einige ungeheure Vermögen, die sich uns bis jetzt noch nicht angeschlossen haben.«

»Läßt sich da nichts machen?« fragte Thomas Bezug ärgerlich.

Nach einigem Nachdenken antwortete Mister Smith: »Es ließe sich schon einiges machen ... wenn wir in unseren Mitteln nicht wählerisch sind.«

»Ich begreife Sie nicht, Mister Smith, natürlich dürfen wir in unseren Mitteln nicht wählerisch sein. Rechnen Sie auf meine Unterstützung in jeder Beziehung. Sie sehen also, meine Herren,« sagte Bezug und stand wieder auf, »daß Ihre Bedenken nicht viel zu sagen haben. Nach der Begeisterung, mit der Sie meinen Plan aufgenommen haben, habe ich überhaupt diese Bedenken gar nicht erwartet. Sie denken etwas klein von der Macht des Kapitals.«

»Und doch will es mir scheinen,« sagte da jemand, »wenn ich es recht betrachte, als ob da irgendwo etwas steckt, das nicht in die Rechnung stimmt. Ich denke, es ist unmöglich ...« Der Sprecher brach ab. Es war der Geschützfabrikant Behrens aus Aachen, ein noch junger Mann, bartlos, sonnenverbrannt, da er erst vor kurzer Zeit von der Elefantenjagd in Abessinien nach Europa zurückgekommen war.

Eine fürchterliche Stille brach nach diesem Wort über die Versammelten herein, und die Flügelschläge des schwarzen Geiers über dem Zifferblatt der Wanduhr wurden hörbar. Eins ... zwei ... drei ... vier ... fünf ... Der Geier saß mit vorgebeugtem Kopf auf seinem Platz, als spähe er über die Versammlung hin, mit krummem Schnabel und glühenden Augen, die scharfen Fänge wie zum Abstoß bereit. Langsam und unerbittlich schlugen seine Flügel im Takt des Pendels, als wäre er die Zeit selbst ...

Endlich sagte Bezug, und in dem bleichen Gesicht, dessen Haut an die Farbe der Grottenolme erinnerte, begannen die Augen zu glimmen: »Ein Wort ist hier gefallen ... ein Wort, das ich nicht wiederholen will ... ein Wort, das wir nicht kennen, wir wollen es nicht gehört haben. Es wäre eine Schmach für uns, etwas darauf zu erwidern, Herr Behrens hätte aber dieses Wort am allerwenigsten gebrauchen sollen. Sie sind einer der Jüngsten hier und einer der Schwächsten. Sie haben ...« Rudolf Hainx, der neben Bezug saß, wies auf einen Posten der vor ihm aufgeschlagenen Liste. Bezug beugte sich herab und fuhr dann fort: »Sie haben der Gesellschaft die lächerliche Summe von fünfhundert Millionen zur Verfügung gestellt, Herr Behrens. Ich weiß nicht, ob Sie es nicht vorziehen zu schweigen, wenn Sie sich dessen erinnern?«

Unter den Versammelten befand sich auch Polydor Schleimkugel, der sein ungeheures Vermögen durch Fabrikation von Heiligenbildern, Rosenkränzen und Wallfahrtsandenken erworben hatte. Seit er durch einen päpstlichen Orden ausgezeichnet worden war, zeigte er eine große Vorliebe für das Violett der Kardinäle. Seine bis oben hin geschlossene Weste war violett und die Krawatte, die nur mit einem kleinen Stück darüber hinaussah, war von derselben Farbe. Sogar der Kopf, der auf dem unförmig dicken Körper saß, war violett, mit zarterer Abtönung im Nacken, einem runden blassen Mond in einem Kranz von violetten Haaren darüber und dann nach vorne rasch kräftiger getönt; die Backen zeigten sogar einen Anflug von Braun, während die starke Nase die reiche Palette alten Kupfers angenommen hatte. Trotz seines Umfangs lebte ein ungestümes Temperament in diesem Körper; und Schleimkugel war es, der, als nun wieder die Flügelschläge des schwarzen Geiers die Stille peitschten, aussprach, was alle dachten. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, daß aus dem Wasserglas vor ihm eine kleine Welle heraussprang, und sagte: »Ich glaube, niemand wird den Herrn Behrens hindern, noch jetzt zurückzutreten, wenn es ihm beliebt. Vielleicht erscheint ihm unser Geschäft nicht sicher genug. Oder nicht genug rentabel. Was weiß ich ... Er hat ein Wort gebraucht ...«

»Gewiß wird ihn niemand hindern, sich zurückzuziehen. In einem solchen Fall dürfte die Gesellschaft wohl geneigt sein, die vertragsmäßige Verpflichtung, die ja doch besteht, aufzuheben.«

Alle stimmten zu. Da stand Behrens rasch auf, trat hinter seinen Stuhl und schob diesen unter den Tisch. »Ich danke Ihnen, meine Herren,« sagte er, »es ist mir nur eben so eingefallen, irgendwo, in einem abessinischen Engpaß ... und es hat mir eben keine Ruhe gegeben. Das war kein Zweifel, ob unser Geschäft gesund und rentabel ist – was Herr Thomas Bezug unternimmt oder anregt, ist sicher gesund und rentabel. Aber es war ein Zweifel, ob dieses Geschäft anständig ist. Dafür ist Herr Bezug kein Bürge.«

»Geschütze fabrizieren, ist anständiger, nicht wahr ... Kanonen, mit denen die armen Teufel niedergeschossen werden«, rief Herr Rosengarten, der Mitglied der internationalen Friedensliga war.

Aber Behrens zog es vor, keine Antwort mehr zu geben, verbeugte sich und verließ das Zimmer unter dem Schweigen der Versammelten. Nach seinem Verschwinden begannen alle mit einmal durcheinander zu sprechen, und Mister Smith rief über den Tisch hin: »Wir hätten ihn nicht so ohne weiteres vom Vertrag lösen sollen.« Aber Bezug gab das Glockenzeichen und bat die Versammlung um Ruhe: »Meine Herren,« sagte er, »wir haben Wichtigeres zu tun. Lassen Sie uns den kleinen Zwischenfall vergessen. Es ist auch schon recht spät geworden, und ich möchte Sie morgen bei frischen Kräften und guter Laune sehen. Ich habe durch meinen Generalsekretär hier eine Reihe von Detailplänen ausarbeiten lassen, aus denen jeder der Herren ersehen kann, welcher Anteil an der Arbeit ihm zufällt. Welcher der Herren möchte die Aufgabe des Herrn Behrens übernehmen?«

»Ich«, sagte Schleimkugel und nahm neben seinem eigenen Plan auch den des ausgeschlossenen Gesellschafters entgegen.

»Und nun, meine Herren, gute Nacht, lassen Sie sich von den Dienern, die draußen warten, in Ihre Zimmer führen.« Nun war Bezug eine Weile mitten im Getümmel des Abschieds. Als letzter ging Schleimkugel. Er war ehrgeizig und wollte ein Lob des Führers hören. Und er fragte, indem er Bezug die Hand reichte: »Hab' ich nicht recht gehabt? ... mit diesem Behrens ... Es war doch das beste so. Das taugt doch nichts ... so ein Schlappschwanz.«

Bezug sah ihn mit seinen Salzseeaugen an und lächelte: »Gewiß war es am besten so. Nun – und wie gehen die Geschäfte?«

»Gut! Seitdem ich den Orden habe, noch besser.«

»Auch in Indien, Tibet und China?«

»Wie meinen Sie? ... was meinen ... ich verstehe ...«

»Ich meine die buddhistischen Gebetsmühlen, die Sie so nebenbei verkaufen. Sie wissen ja: Om mani padme hum

»Herrgott ... Schweigen Sie doch. Das weiß ja niemand. Das darf niemand wissen. Mein Orden ... Und wie haben Sie erfahren? ...«

»Man hat seine Quellen ...«

»Sie werden schweigen, nicht wahr ...«

»Gewiß ... Ich rechne auf Ihre Ergebenheit.«

»Was Sie wollen ... was Sie wollen ...«

Bezug und Rudolf Hainx waren allein. Als sich die schalldichte Tür hinter Schleimkugel geschlossen hatte, brach Hainx in ein tolles Gelächter aus. Er saß in dem Winkel, wo man inzwischen den runden Tisch mit Danae hingestellt hatte, in einen Lehnstuhl hingeworfen, und sein Körper zitterte unter dem unwiderstehlichen Sturm des Lachens.

»Lachen Sie doch nicht«, sagte Bezug und ingrimmig setzte er hinzu: »Idioten! Mit solchen Idioten soll man arbeiten. Keine Spannung in diesen schlaffen Nervenbündeln. Kein Geist. Die haben ihr Vermögen im Schlaf erworben.«

Rudolf Hainx stand auf und ging im Zimmer auf und ab: »Wenn die wüßten, daß sie bloß Werkzeuge sind! Wenn die eine Ahnung hätten, was Thomas Bezug eigentlich plant!«

»Die werden alle vor mir kriechen müssen. Die vor allem. Das wird mir ein Vergnügen sein. Sie werden den Ärger büßen, den ich jetzt mit ihnen habe. Dieser Behrens ...« und nach kurzem Nachdenken fuhr Bezug fort: »Ich habe nicht Lust, zu warten. Sein Kapital könnte ich vermissen. Aber daß er es gewagt hat, sich offen gegen mich aufzulehnen ... es ist unerhört ... Hören Sie, wie steht es eigentlich mit ihm. Ich meine, wie sind seine Verhältnisse ...«

Aus dem Wandschrank, in dem die Handbibliothek Bezugs untergebracht war, nahm Hainx das große Auskunftsbuch über alle an der Gesellschaft Beteiligten. Es enthielt genaue Angaben über das Vermögen jedes einzelnen, über seine Familienverhältnisse, seine Lebensgewohnheiten, bis herab zu den kleinsten Details. Hainx schlug das Blatt Behrens auf. »Behrens ist unverheiratet ... er ist der einzige Erbe des Vermögens ... es sind keine näheren Verwandten da, nicht einmal uneheliche Kinder, denn seine einzige Leidenschaft ist die Jagd ... der nächste Verwandte ist ein Onkel, Theodor Behrens ...«

»Den kenne ich,« sagte Bezug, »der ist zuverlässig.«

»Behrens hat bis jetzt kein Testament gemacht. Wenn er stirbt, fällt das ganze Vermögen an diesen Onkel.«

»Gut. Schreiben Sie augenblicklich einen Expreßbrief an Theodor Behrens. Ob er geneigt wäre ... verstehen Sie ... unserer Gesellschaft beizutreten, falls er die Verfügung über das ganze Vermögen hätte. Verstehen Sie. Fein, natürlich, wie Sie es ja können. Und ich erbitte mir telegraphische Antwort: Ja oder nein ... nicht mehr. Morgen abend muß ich die Antwort haben. – Gute Nacht.«

Bezug stieg die Treppe hinab. Eben hatten die Monteure des Elektrizitätswerkes ihre Arbeit vollendet und erprobten die Wirkung. An Stelle der Stufen aus Granit hatte man überall Glasstufen angebracht und unter diesen elektrische Glühlichter verteilt, die wie aus einem unterirdischen Reich je nach der Farbe der Stufe erstrahlten. In einem dämmerigen Rot ging Bezug hinab, und es war, als trete er auf kaum erkaltete Lava. Die Säulen der Loggia waren durch Alabasterbäume ersetzt worden, die sich weiter oben verzweigten und goldene Früchte trugen. Auch die Stämme dieser Alabasterbäume waren von innen heraus erleuchtet. Mit der grünstrahlenden Treppe, die in den Park hinabführte, und den nachtdunkeln, wuchtigen Bäumen dahinter gab die milchweiße Dämmerung dieses Raumes eine glückliche Wirkung, mit der Bezug zufrieden war. In der großen Halle wurde eben das Gerüst abgetragen, und schon waren hundert Arbeiter damit beschäftigt, die großen Marmortische aufzustellen. Abweichend von der sonstigen Art solcher Gastmähler sollten hier die Gäste nicht an eine einzige lange Tafel gezwungen werden, sondern man verteilte einzelne Tische im ganzen Raum, an denen sich die Geladenen nach Lust und Laune zusammenfinden konnten. Diese Tische waren von unermeßlichem Wert, denn sie stammten aus allen Zeiten und Kulturen. Ägyptische, griechische, etruskische Ausgrabungen hatten steinerne Tische geliefert, alle Formen von der derben, steifbeinigen Manier des romanischen Stils bis zum graziösen, reich ornamentierten und verschnörkelten Tisch des Rokoko, der besonneneren schmalbrüstigen Art des Empire und der behaglichen Ruhe der Biedermeierzeit waren vertreten. An den beiden schmäleren Wänden des Saales wurden eben die Büfetts errichtet. Bezug rief den Leiter der Arbeiten zu sich heran: »Herr Professor,« sagte er, »die Sache muß um acht Uhr morgens fertig sein.«

»Es ist unmöglich,« sagte der Professor, »ich muß ...«

Da wurde Bezug heftig: »Ich will das Wort nicht hören ... hören Sie! ... Bei mir darf nichts unmöglich sein. Lassen Sie noch so viel Arbeiter kommen, als Sie brauchen. Darauf darf es doch nicht ankommen ... Sie haben sich verpflichtet, um acht Uhr fertig zu sein. Und Sie müssen fertig sein ...«

Achselzuckend entfernte sich der Professor. Eben wollte Bezug die bläulich strahlende Treppe zu seinem Schlafzimmer hinaufsteigen, als er Behrens unter den Arbeitern bemerkte, der zusah, wie die Reliefplatten in die Vorderwand des einen Büfetts gefügt wurden. Bezug ging auf ihn zu: »Ich freue mich, Sie noch hier zu treffen«, sagte er.

Mit leichter Verlegenheit antwortete Behrens: »Ja – ich bin noch hier. Ich konnte mich nicht trennen. Es ist fabelhaft. was Sie für dieses Fest aufwenden.«

»Es freut mich, Sie zu treffen,« wiederholte Bezug, »ich möchte nicht gern, daß Sie mit dem Eindruck weggehen, den Sie vorhin in der Sitzung empfangen haben mögen. Geschäft ist Geschäft, nicht wahr? Da gibt es keine Liebenswürdigkeit und keine Freundschaft. Aber das soll unsere persönlichen Beziehungen nicht trüben. Man muß da zu unterscheiden verstehen.«

Behrens sah Bezug ins Gesicht, aber er sah nur eine aufrichtige Freundlichkeit und unverstellte Biederkeit, so daß es ihn fast reute, vorhin in der Sitzung der Angreifer und Verletzer gewesen zu sein: »Gewiß bin ich Ihrer Meinung,« sagte er, als er sich von der Ehrlichkeit Bezugs überzeugt hatte, »gewiß! wir wollen, wenn es Ihnen recht ist, den Zwischenfall vergessen.«

»Und nun werden Sie sicher auch nicht nein sagen, wenn ich meine Einladung wiederhole. Sie bleiben doch mein Gast. Ich schätze Sie viel zu sehr, um nicht zu bedauern, wenn Sie morgen fehlen sollten.«

»Ich habe allerdings schon den Auftrag gegeben, meine Sachen ins Hotel Bristol zu schaffen ...«

»Das tut mir aber außerordentlich leid. Man könnte ja die Sachen wieder holen lassen.«

»Es steht nicht dafür. Mitternacht ist ohnehin schon vorbei, und ob ich die wenigen Stunden bis zum Morgen hier oder in einem Hotelzimmer schlafe, macht nichts aus.«

»Sie hätten es bei mir bequemer.«

»Wenn man, wie ich, gewöhnt ist, in Wäldern und abessinischen Dörfern zu übernachten, legt man der Bequemlichkeit keinen solchen Wert bei. Lassen wir es also dabei. Aber morgen werde ich mich bei Ihnen einfinden.«

»Sie müssen dann kommen, um mir die Hand zu drücken. Denn es könnte sein, daß ich Sie im Getümmel nicht finde.«

»Sie haben eine Menge Menschen geladen?«

»Gegen fünfhundert Personen. Meine Geschäftsfreunde, die Spitzen der Zivil- und Militärbehörden. Seine Exzellenz, der Statthalter hat bestimmt zugesagt. Dann Künstler, Gelehrte und Journalisten.«

»Sie werden die Welt in Erstaunen setzen. Man wird sich nicht satt sehen können.«

»Aber ich hoffe, daß man sich satt essen wird. Ich habe einige nette Überraschungen vorbereitet. Sehen Sie zum Beispiel die beiden Büfetts, die man hier errichtet. Das eine Büfett ist durchaus auf das Antike gestimmt. Die Reliefs, die Sie hier sehen, sind alles attische Arbeiten aus der besten Zeit. Der Triumphzug des Bacchus vorne soll ein ganz wunderbares Kunstwerk sein, wie der Leiter meiner Ausgrabungen versichert. Das andere Büfett dort oben ist als Gegensatz dazu vollkommen modern. Sie sehen das an der Linienführung. Dort beruht die Kostbarkeit zunächst in der hervorragenden künstlerischen Arbeit und dann auf den verwendeten edlen Materialien. Alle Holzteile sind aus irgendeinem brasilianischen Holz – den Namen habe ich mir nicht gemerkt – hergestellt, das von ungeheurem Wert ist. Der grüne Stein stammt von einem Malachitblock aus dem Ural, den ich vom Zaren für eine Gefälligkeit als Geschenk erhalten habe.«

»Es wäre ein bizarrer Gedanke und Ihrer würdig, auch die Speisen in diesen Büfetts dem Stil anzupassen.«

Bezug sah Behrens an und antwortete mit leiser und höflicher Ironie: »Finden Sie? Nun – ich bin wirklich auf diesen Gedanken gekommen. Im modernen Büfett finden Sie alles, was die Gegenwart für gut und köstlich hält. Darin werden Sie wohl Bescheid wissen. Aber drüben ... nun, was glauben Sie wohl? haben Sie das ›Gastmahl des Trimalchio‹ gelesen? Nun – alles was Sie da an antiken Leckerbissen aufgezählt finden, wird in diesem Büfett zu haben sein. Die Speisen werden von einem gebildeten Koch – ich darf wohl so sagen – unter Beistand und Aufsicht zweier Archäologen hergestellt. Nach gewissen Rezepten, mit deren Auffindung sich eine kleine Schar von Gelehrten alle Mühe gegeben hat. Nur die mit Sklavenfleisch gefütterten Muränen fehlen in diesem Speisezettel. Leider füttert man heute die Fische nicht mehr mit Sklavenfleisch. Ich gäbe etwas darum, wenn ich auch diese Speise meinen Gästen vorsetzen dürfte. Leider verbietet das die sogenannte Humanität. Sie werden sehen, wie sich morgen die Gelehrten und Künstler an diesem Büfett drängen werden.«

Ein großer Triumph leuchtete auf dem Grund von Bezugs toten Augen. Und mit einemmal erschienen Behrens alle diese Vorbereitungen zu dem Feste so seltsam und verrucht und unheimlich, daß er sich beeilte, ins Freie zu kommen. Es war ihm mit einemmal, als sei die weite luftige Halle mit einem Dunst erfüllt, der sich um die Gestalt Bezugs zu verdichten schien und ihn verhüllte. Er bemühte sich zu lächeln: »Wenn Sie morgen so viel von Ihren Gästen verlangen, so wird es geraten sein, bald ins Bett zu gehen. Gute Nacht.«

Er ging und Bezug sah ihm mit plötzlich verändertem Gesicht nach. Langsam, unwiderstehlich wie Zangen schlossen sich seine Finger, als erwürge er irgendein Tier. Dann ging er die blaue strahlende Treppe zu seinem Schlafzimmer hinauf. Aber er schritt zuerst an der Tür seines Zimmers vorbei, bis zum Ende des Ganges, wo das Zimmer lag, das von allen Hausgenossen nur Bezug betrat. Außer ihm ging nur ein Mann hier aus und ein, der wie ein Geheimnis kam und verschwand und niemals mit irgendeinem der Diener oder der Familie zusammentreffen durfte. Er benutzte die kleine versteckte Treppe hier am Ende des Ganges, zu der außer ihm niemand den Schlüssel hatte. Ein strenges Verbot lag über diesem Teil des Palastes, und seit Bezug ein neugieriges Stubenmädchen auf der Stelle entlassen hatte, hüteten sich die übrigen vor diesem gebannten Ort. Bezug blieb vor der mit Eisen beschlagenen Tür stehen, hob die Hand, ließ sie aber zögernd wieder sinken, als scheue er sich zu tun, was er sich vorgenommen hatte. Mit dem Anschein lustiger Ornamentik verbanden die Eisenbeschläge der Tür große Festigkeit, als gäbe es hinter ihr etwas zu hüten. Inmitten der Ornamente, die der fratzenhaften Art des gotischen Geschmackes angenähert waren, befand sich ein Schieber, vor dem ein kleines, zierliches Schloß hing. Bezug lehnte sich tief aufstöhnend an die Tür, und es war, als horche er gespannt nach Geräuschen von innen. Dann nahm er einen kleinen Schlüssel aus der Westentasche, sperrte auf, hob das Schloß aus seinen Ösen und zog den Schieber zurück. Durch das kleine Fenster dahinter brach helles Licht und mit dem Licht zugleich Geräusch, als habe es längst schon einen Ausweg gesucht. Ein sonderbares Winseln und in gleichem Abstand ein lautes Plärren ... Bezug hielt sich stöhnend an einem der vorstehenden Ornamente und zog den Kopf zurück. Drinnen bellte ein Hund, kam an die Tür und sprang heulend zu dem Fenster hinauf. Nach einer Weile wurde das Fenster geöffnet. »Sind Sie es, Herr Bezug?« fragte jemand.

»Ja ... Kommen Sie heraus.«

Ein kleiner Kampf entstand an der Tür, als die inneren Riegel zurückgezogen waren und sie geöffnet werden sollte. Der Hund wollte sich zugleich mit hinausdrängen und war durchaus nicht geneigt, sich zurückhalten zu lassen. »Gehst du zurück ... Kusch dich, Barry ... zurück.« Endlich wurde der Kampf durch einen Fußtritt entschieden, der Hund heulte auf, und durch den schmalen Türspalt zwängte sich ein Mann. Er war hochgewachsen, breitschultrig mit hängenden, schlenkernden Armen, und ein wilder roter Bart ging bis auf die Brust herab.

»Wie steht es?« fragte Bezug.

»Wie soll es stehen? Immer ziemlich gleich.« Der Ton des Mannes war wenig unterwürfig, nicht dem anderer Bediensteter Bezugs zu vergleichen, die ihren Herrn fürchteten und vor seinem Zorn und seiner Macht bebten. Dieser Mann sprach, als ob es ihm gegönnt sei, zu erfahren, wo diese Macht zu Ende war, und als ob ihm schon das allein Bezug gegenüber eine andere Stellung gebe. »Seit ein paar Tagen und Nächten ziemlich gleich. Etwas ärger eher als sonst. Vorige Woche war er ruhig, aber jetzt treibt er es wieder recht arg. Ich glaube, heute wird die Krise eintreten, und dann wird er wieder ruhiger werden.«

»Nun ... und im allgemeinen?«

»Im allgemeinen geht es eher schlechter als besser. Hört man denn nichts im Haus davon? Manchmal brüllt er, daß ich denke, die Decke muß einstürzen.«

»Es war gut, daß ich die Wände, die Decke und den Boden schalldicht verstärken ließ, als sich sein Zustand verschlimmerte. Früher hat man doch hie und da noch etwas gehört. Jetzt ist alles still.«

»Das ist gut.« Und dann setzte der Mann lachend hinzu: »Da erfährt man wenigstens nicht, was für eine Art von wildem Tier Herr Bezug in seinem Haus hält.« Bezug fuhr auf, wie von einem Hieb ins Gesicht getroffen und machte einen schnellen Schritt, als wolle er sich auf den Mann stürzen, der ihm mit gemeinem Lachen entgegensah. Aber er bezwang sich, nahm sein Taschentuch vor und wischte über die nasse Stirn. »Ich wünsche solche Worte nicht zu hören«, sagte er endlich mühsam.

»Na was denn? was denn?« antwortete der andere brutal. »Ist es denn nicht so? Ist er denn mehr als ein wildes Tier.«

»Gehen Sie jetzt hinein. Gute Nacht!«

Mit einem Brummen schloß der Mann die eisenbeschlagene Tür auf und ging. Bezug befestigte wieder das Vorhängeschloß an dem Schieber, stand noch eine Weile und ging dann mit schweren Schritten und hängendem Kopf in sein Schlafzimmer. Es war wieder ganz still in dem langen Gang, nur gedämpft, wie unter der Erde hervor, kam der Lärm der nächtlichen Arbeit, Rufe, die ihre Bedeutung verloren hatten, ab und zu ein härterer Schlag, ein plötzlicher Stoß, der sich im Gemäuer fortpflanzte, so daß die elektrischen Lichtbirnen in ihrem Rankenwerk leise zu schwanken begannen. Durch das Fenster am Ende des Ganges kam das Mondlicht, ganz leise und zögernd, als schliche es sich irgendwo ein, wo man es nicht liebte. Und es traf mit dem Lichte der elektrischen Lampen in der Mitte des Weges zusammen und mischte sich mit ihm zu einer seltsamen, milchigen Helle, die wie leuchtender Nebel über dem schweren Teppich und den Fliesen lag. Nach einer Stunde ging die eisenbeschlagene Tür ganz lautlos auf und zögernd trat der Rotbärtige in den Mondschein. Langsam an den Wänden schleichend, gewann er die Türe von Bezugs Schlafzimmer und kauerte sich hier nieder, das Ohr ganz nahe an dem glatten, kühlen Getäfel, das vom doppelten Licht überrieselt war. Drinnen ging Bezug auf und ab. In gleichmäßigen Pausen trat Stille ein, wenn er über den großen Teppich ging; dann wurden immer einige Schritte auf dem nackten Boden laut. So ging er auf und ab, vom Fenster zur Tür und wieder zurück, immer auf und ab ... auf und ab. Und vor der Tür kauerte der Wächter, lachte in sich hinein und murmelte, und seine Augen starrten auf das Holz, als sähe er hindurch, wie Bezug immer gleichmäßig auf und ab ging ... bleich, mit geschlossenen Lippen, mit nasser Stirn, wie ihn kein anderer gesehen hatte, als der Mann, der mit dem Lächeln des Hasses vor seiner Tür kauerte. –

Am Morgen wurde Bezug gemeldet, daß ihn Doktor Hecht zu sprechen wünsche. Bezug war schon früh mit seiner Toilette fertig geworden und hatte um acht Uhr schon einen Rundgang unternommen, um sich zu überzeugen, ob alles bereit sei. Er fand den Leiter der Arbeiten, von der schlaflosen Nacht und der Aufregung erschöpft, hinter einer der Blumenwände im großen Saal schlafend und weckte ihn, um ihm seine Zufriedenheit damit auszusprechen, daß die Arbeit zur festgesetzten Zeit fertig geworden sei. Mit großer Liebenswürdigkeit bat er ihn, sich in die Kanzlei zu bemühen, um dort das Honorar entgegenzunehmen. Dann ging er wieder in sein Schlafzimmer und nahm die Morgenzeitung vor, um die blau angestrichenen Artikel zu lesen, die von dem heutigen Fest im Hause Bezugs berichteten.

»Haben Sie schon gelesen,« rief er Hecht entgegen, »was für ein großer Mann Sie sind?«

»Bin ich auch«, antwortete Hecht ruhig und setzte sich Bezug an dem Lesetisch gegenüber.

Bezug sah ihn an, und Hecht empfand den Blick als Hohn. »Sie sind gekommen, um mir guten Morgen zu sagen«, sagte Bezug nach einer Weile. »Ich freue mich und danke Ihnen. Und außerdem ist es mir sehr angenehm, daß ich ungestört mit Ihnen sprechen kann. Im Laufe des Tages wird sich wenig Gelegenheit dazu finden.«

»Was haben Sie mir zu sagen?«

Die unterirdische Feindschaft, die zwischen den beiden Männern bestand, machte beide vorsichtig und trieb zur äußersten Anspannung aller Kräfte, sobald sie miteinander zu tun hatten. Aber dabei wollten sie doch nichts davon merken lassen und bemühten sich den Anschein zu erwecken, als fühlten sie sich vollkommen sicher und ließen sich im vollen Vertrauen auf die Ehrlichkeit des anderen gehen. Nachdem sie sich ein für allemal mit zynischer Offenheit ausgesprochen hatten, zogen sie es vor, in stillschweigender Übereinkunft Reibungen zu vermeiden und einander nur jene Seite zuzukehren, die mit einer schönen Lasur versehen war. Aber heute fühlten beide, daß ein Augenblick gekommen war, in dem man die Höflichkeit der Spitzbuben beiseitesetzen mußte.

Bezug goß aus der emaillierten Kanne, die auf dem Lesetisch stand, zwei Glaser mit einer grünen Flüssigkeit voll und lud den Schwiegersohn ein zu trinken. »Was ich Ihnen zu sagen habe?« antwortete er und sog die Flüssigkeit durch einen Strohhalm ein. »Können Sie das wirklich nicht denken? – Aber, trinken Sie, trinken Sie ... es ist japanisches Veilchenöl, das ich vom japanischen Gesandten in Wien bekommen habe ... ein kostbares und köstliches Getränk ... Ja – also, ich muß Ihnen sagen, daß ich nicht gewohnt bin, meine Geschäftsfreunde erst auf die Erfüllung ihrer Verträge aufmerksam zu machen.«

Hecht, der eben an seinem Strohhalm sog, schlug die Augen mit dem Ausdruck reiner Verwunderung auf.

»Sie wollen nicht verstehen? Nun also: wie lautet unser Vertrag? Ich gebe Ihnen meine Tochter und Sie teilen mir Ihre Entdeckung mit. Nicht wahr.«

»Gewiß!«

»Nun also – heute gebe ich Ihnen meine Tochter. Und ich erwarte nun, daß auch Sie den Vertrag erfüllen.«

Kopfschüttelnd sah Hecht den Schwiegervater an: »Lieber Herr Bezug. Sie sind köstlich wie Ihr Veilchenöl! Apropos: Veilchenöl – ist es wahr, daß dieses Öl in Japan ausschließlich der kaiserlichen Familie vorbehalten ist, die davon an die höchsten Würdenträger abgibt?«

Es war Hecht gelungen, Bezug ungeduldig zu machen, und er fühlte sich dadurch nur noch sicherer und fester. »Was haben Sie mir also darauf zu antworten?« fragte Bezug und knickte seinen Strohhalm mitten entzwei.

»Ich antworte Ihnen, daß Sie Ihre Bedingungen noch gar nicht erfüllt haben.«

»Nicht?«

»Nein. Sie haben versprochen, mir Ihre Tochter zu geben.«

»Nun, heute gebe ich Sie Ihnen.«

»Nein: heute wiederholen Sie erst das Versprechen öffentlich, mir Ihre Tochter geben zu wollen.«

»Das ist so gut, als gäbe ich sie Ihnen schon heute. Ich kann doch nach einer öffentlichen Verlobung nichts mehr rückgängig machen. Die öffentliche Meinung ...«

»Lieber Herr Bezug, was wollen Sie mit diesen leeren Worten? Die öffentliche Meinung. Haben Sie sich jemals um sie gekümmert? Die öffentliche Meinung bestimmt nicht Sie, sondern Sie bestimmen die öffentliche Meinung. Man weiß ja doch, wie es gemacht wird.«

Bezug warf den Strohhalm zerknittert auf den Tisch. Er fühlte sich heute gar nicht Herr seiner Kraft und bedurfte ihrer mehr als jemals, wenn er das ungeheuere Fest übersehen und seinen Zwecken dienstbar machen wollte. Und dabei war er fast besinnungslos vor Zorn, daß ihm Hecht im Zweikampf gewachsen schien, unwillig wie ein Meister, der gezwungen wird, einen Ebenbürtigen anzuerkennen. »Also sagen Sie, was wollen Sie eigentlich ...?«

»Ich will meine Zusage erfüllen; ich habe Ihnen damals durch ein Experiment gezeigt, daß ich es kann und daß meine Entdeckung kein Schwindel ist. Sie sind also sicher. Aber ich bin nicht eher sicher, als bis Sie mir Ihre Tochter wirklich gegeben haben.«

»Da müssen Sie noch Geduld haben. Denn gestern hat man in der Sitzung behauptet, daß es noch fünf Jahre dauern werde, bevor wir so weit sind, daß unser Plan durchgeführt werden kann.«

»Wir können ja inzwischen beginnen, die großen Maschinen zu erbauen. Und wenn wir diese Bauten beendet haben, werden Sie sich überzeugen können, daß meine Entdeckung auch im großen wirksam ist. Dann ist der Zeitpunkt für die Erfüllung unseres Vertrages da.«

Bezug war aufgestanden und ging, ohne zu antworten, im Zimmer auf und ab.

Nun stand auch Hecht auf: »Aber nicht um über den Zeitpunkt zu streiten, bin ich gekommen,« fuhr er fort, »sondern um Sie zu fragen, ob Sie Ihre Bedingung überhaupt erfüllen können.«

Den Rücken gegen Hecht gewendet, stand Bezug am Fenster und zuckte die Achsel, ohne eine Antwort zu geben.

»Elisabeth ist der einzige Mensch, über den Sie wenig oder gar keine Macht haben. – Außer mir und noch einem, den Sie fürchten.«

Bezug fuhr herum und sah Hecht drohend an.

»Jawohl, den Sie fürchten. Sie wissen, wen ich meine. Nun – Sie wollen mir Ihre Tochter geben.«

»Sie werden Sie bekommen.«

»Ja! Sie werden mir Ihre Tochter geben. Gut. Aber werde ich sie wirklich besitzen? Die Juristen machen einen feinen Unterschied zwischen matrimonium ratum und matrimonium consumptum. Und um diesen Unterschied handelt es sich auch hier. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich unseren Vertrag so auslege, daß Ihre Bedingung erst durch das matrimonium consumptum erfüllt ist. Um Ihnen das zu sagen, bin ich gekommen.«

Bezug, der sich aus dem Angriff in die Verteidigung gedrängt sah, griff mit krampfigen Fingern in die Brüsseler Spitzen des Fenstervorhangs. Nach einer Weile sagte er: »Sonderbar, das wird doch Ihre Sache sein, lieber Freund. Sie können doch vom Vater nicht verlangen, daß er seiner Tochter zuredet, ihren Mann zu erhören.«

»Ich sage Ihnen das bloß, damit Sie nicht behaupten, ich sei vertragsbrüchig geworden.«

»Haben Sie Grund anzunehmen, daß es beim matrimonium ratum bleiben könnte?«

»Ich habe allen Grund dazu.« Und plötzlich trat Hecht ganz nahe an Bezug heran, bleich, mit verwirrt glänzenden Augen und halb offenem Mund. Er würgte an einem Wort und endlich sagte er, mit einer ganz veränderten heiseren Stimme: »Ihre Tochter haßt mich! Sie haßt mich ... noch mehr als Sie mich selbst hassen.«

Nun gewann Bezug dem Aufgeregten gegenüber wieder volle Ruhe: »Ist's möglich? Man sollte nicht denken ...! Ah – das muß freilich für Sie peinlich sein.«

Hecht stand da, als höre er nichts von Bezugs Worten, die von Schadenfreude innerlich erglühten. Und in diesem Augenblick, in dem er die Herrschaft über sich verloren zu haben schien, sagte er etwas, das er wohl sonst verschwiegen hätte: »Und ich liebe sie ... ich liebe sie ... nein, ich hasse sie ... aber ich begehre sie ... es ist unerträglich.«

»Freilich, freilich ... Ich will Ihnen einen Rat geben. Seien Sie liebenswürdig. Und hilft das nichts, so seien Sie brutal. Das wirkt noch immer am meisten. Wenn sie erst Ihre Frau ist, so schlagen Sie sie und zerren sie an den Haaren herum. Ich habe damit die besten Erfolge erzielt. Versuchen Sie es zuerst, immer um sie herum zu sein und sie an Ihre Gegenwart zu gewöhnen. Und wenn das nicht anschlägt, so zeigen Sie sich einige Wochen nicht, vernachlässigen Sie Elisabeth – das pflegt gewöhnlich zu wirken.«

Bezug hatte Hecht unterschätzt. Im Bestreben seinen Vorteil auszunutzen und sich durch Hohn von dem Übermaß seines Zornes zu befreien, hatte er Hecht Zeit gegeben, sich zu sammeln. Kalt und ruhig hörte ihn der Gegner bis zu Ende an; dann sagte er: »Ich danke Ihnen, lieber Schwiegervater, für Ihre gutgemeinten Ratschläge. Es wird von den Umständen abhängen, welches Verfahren ich einschlage. Ich habe mich nur für verpflichtet gehalten, Ihnen gerade am heutigen Tag von meinen Bedenken bezüglich unseres Vertrages Mitteilung zu machen. Wollen Sie mich jetzt entschuldigen. Ich habe noch Toilette zu machen.«

Bezug sah noch immer nach der Türe, als Hecht schon fort war. Seine Spannkraft ließ plötzlich nach und er saß noch frierend und gedankenlos in seinem Lehnstuhl, als Hainx eintrat, um Bericht zu erstatten. Überrascht fuhr Bezug auf, und da er nicht liebte, in einem Zustand von Schwäche gesehen zu werden, schrie er Hainx an: »Warum klopfen Sie nicht an?«

Obzwar Hainx dreimal geklopft hatte, ohne eine Antwort zu erhalten, hütete er sich vor einer Verantwortung, die Bezug hätte davon überzeugen müssen, daß er nicht ganz gerüstet gewesen war. Es war Zeit aufzubrechen, denn der erste Teil der Feier, die kirchliche Einsegnung und der Wechsel der Verlobungsringe, sollte beginnen; der Bischof war bereits eingetroffen. Die Szene sollte im engsten Familienkreis stattfinden, und Bezug erhob sich, um Frau Agathe aus ihren Zimmern abzuholen. Sie lag in voller Toilette, doch vom Ankleiden bis aufs äußerste erschöpft, einen kleinen Tisch mit Medikamenten neben sich auf dem Sofa und wandte den Kopf mit einem Zug des Leidens nach der Türe, als sei selbst diese leise Bewegung für sie zuviel.

»Bist du bereit?« fragte Bezug.

»Muß es schon sein? Ich fühle mich heute eher aufgelegt ins Bett zu gehen, als ein Fest über mich ergehen zu lassen.«

Mattschimmernde Perlen lagen auf dem bloßen Hals, der noch immer schön aus Spitzen hervorblühte. Bezug trat hinter seine Frau und sagte grausam: »Alles muß sterben ...«

Da fuhr Agathe auf und stützte sich auf einen Arm, indem sie versuchte, Bezug ins Gesicht zu sehen: »Warum sagst du mir das? Bin ich wirklich so krank? Hat dir der Arzt etwas gesagt?«

»Ich meine die Perlen, meine Liebe, nicht dich. Die Perlen müssen sterben, wenn du sie nicht öfter trägst. Du weißt doch daß ihr Glanz eine begrenzte Dauer hat; er verlischt, wenn sie die Berührung mit der Haut einer Frau entbehren müssen. Du trägst diese Perlen zu selten. Schenke sie Elisabeth.«

Agathe war wieder zurückgesunken und sagte empört: »Elisabeth hat Schmuck genug. Sie wird diese Perlen nicht verlangen. Du verwöhnst sie ohnehin ... es ist himmelschreiend.«

»Sie ist die Tochter des reichsten Mannes der Welt ...«

Mit einem Blick auf ihre Medizinflaschen entsann sich Agathe ihres Zustandes und fuhr wehmütig fort, mit leiser Stimme wie ein Gnadenbild: »Bist du es also schon ... vor einem halben Jahr warst du es noch nicht.«

»Es haben noch drei Milliarden gefehlt, um der erste zu werden.«

»So ... was hilft das mir? – Mein Kopf muß innen voll Geschwüre sein. Und ich spüre, wie sich das Blut in meinem Gehirn vergiftet.«

»Ich muß dich mit aller Entschiedenheit ersuchen, endlich aufzustehen. Der Bischof ist schon unten, vorwärts.«

Zuerst ließ Agathe die Füße langsam vom Sofa gleiten und lag mit gewölbtem Leib, den Kopf etwas nach hinten, auf den Ellenbogen. Dann streckte sie den linken Arm lang auf die Lehne hin und stützte sich behutsam auf die rechte Hand, daß sie endlich mit zurückgesunkenem Kopf und geschlossenen Augen zum Sitzen kam. Ächzend saß sie einige Minuten da, bevor sie sich vollkommen erhob. Bezug stand ihr gegenüber und beobachtete sie mit unverborgenem Vergnügen. Seine Frau war der einzige Mensch, der ihm wirklich Spaß machte. Sie allein war von dem wühlenden Mißtrauen ausgenommen, das er gegen alle hatte. Wenn sie weniger beschränkt gewesen wäre, so hätte er ihr vielleicht vieles anvertraut, aber er kehrte sich von diesem Wunsch immer wieder ab, denn wenn sie klüger gewesen wäre, so hätte er ihr doch auch mißtrauen müssen.

Mit einem spöttischen Gesicht reichte er ihr den Arm und schritt mit ihr, königlich und mit ernstem Gesicht durch zwei Reihen von Dienern nach unten.


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