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Zweites Kapitel

Endlich, endlich war er gekommen, der so lang erwartete Basil!

In einer Sommernacht, als die laue Luft von dem lieblichen Duft der Rosen und dem süßen Wohlgeruch des Geißblattes und der schlanken weißen Lilien, die unter Lätitia Primroses Fenster blühten, ganz erfüllt war, kehrte der heiß Ersehnte endlich wieder.

Die Sterne fingen nicht an zu klingen, und keine Erschütterung der teilnahmlosen Natur that kund, daß dieser Ulysses, der sich so lange in der Fremde herumgetrieben, in die Arme seiner geduldigen Penelope zurückkehre.

Der liebliche Sommertag war zur Rüste gegangen und hatte sich selbst in Schlummer gesungen; Millionen Sterne funkelten an dem tiefblauen Himmel und beobachteten mit gewohnter Gleichgültigkeit das, was unter ihnen vorging, die Natur mit ihren mannigfaltigen Tönen hatte ihr endloses Jo-Paean angestimmt, worin sie sich weder durch Leid noch Freude der Menschen stören läßt, als dieser nicht mehr junge Geistliche zwischen den silberweißen, schlanken Lilien, von dem süßen Duft der linden Sommernacht umspielt, langsam den schmalen Gartenpfad heraufgeschritten kam.

Die Fenster des Landhäuschens waren weit geöffnet, und die mit Wohlgerüchen geschwängerte Luft trug alle Düfte und Töne der lieblichen Juninacht hinein.

Das Girren der Waldtauben, das Blöken der Schafe, das Brüllen der Rinder in der Ferne – das alles vernahm die lauschende Penelope, die so lange, lange Jahre gewartet und gehorcht hatte: aber jetzt drang kein Fußtritt zu ihrem Ohr und flüsterte ihr zu: »Er ist gekommen!«

Die Liebe hatte keinen beschwingten Boten vorausgesandt, der diesen von jahrelangem Lauschen müde gewordenen Ohren die frohe Kunde zugerufen hätte; und eben nahm Fräulein Lätitia Primrose vor dem altmodischen kleinen Spiegel in ihrem Dachzimmerchen bedächtig den Hut ab. Es war dies ein freundlicher Spiegel, der im Laufe der Zeiten so matt und blind geworden war, daß sie die Runzeln um die Augen, den vertieften, verschärften Zug um den Mund, die hohlen Wangen, die die einst reichen vollen Umrisse ihres Gesichtes völlig verändert hatten, und die Silbersträhnen, die sich nun deutlich aus dem verblichenen, von ihrem Bräutigam einst so sehr bewunderten goldbraunen Haar abhoben, nicht sehen konnte.

Mitleidvoller, milder Spiegel!

Dieser Ulysses »in den besten Jahren« schritt also langsam den Gartenpfad herauf; denn seine Sohlen waren nicht von Schwingen beflügelt, die ihn an den weißen Lilien vorbei eiligst in die Arme des Weibes hätten tragen können, das seiner so lange geharrt hatte.

Lätitia Primrose hatte den Hut abgenommen und strich langsam den schlichten, zierlichen Scheitel ihres abgeblaßten Haares glatt; dann ging sie die enge Treppe hinab und trat in das kleine, von den Wohlgerüchen der Sommernacht erfüllte Wohngemach.

Das Zimmer war nicht leer. Vor Ueberraschung und Staunen ganz atemlos, erblickte Lätitia in dem weichen Dämmerlicht eine stattliche, unbekannte Gestalt, die sich über Cynthia beugte, über Cynthia, die in einem enganliegenden, weißen Kleid dasaß, und der die widerspenstigen Haare wie gewöhnlich bis auf die Schultern herniederfielen. Dann hörte sie eine von unterdrückter Bewegung bebende Stimme zärtlich und leise ausrufen: »Mein Lieb, mein Lieb!«

Cynthia fühlte sich umschlungen, Küsse brannten auf ihren Wangen, und erschrocken und überrascht suchte sie sich der Umarmung zu erwehren.

Lätitias Herz krampfte sich schmerzlich zusammen, während sie gelassen vortrat und ihre Hand auf den Arm des Bräutigams legte.

»So bist du endlich zurückgekommen, Basil?« sagte sie liebevoll und freundlich.

Die Stimme war noch die alte, und in diesem Dämmerlicht erschien auch das Gesicht ganz unverändert, dies ruhige, liebe Antlitz, das in all diesen einsamen Jahren sein Leitstern gewesen war.

Sofort erkannte Basil es wieder und wurde seines Irrtums gewahr.

»Meine geliebte Lätitia,« rief er; aber die Begeisterung der ersten Begrüßung war für sie verloren.

Er hatte die kleine, zarte Gestalt in seine starken Arme geschlossen – wie war sie zusammengeschrumpft, seit er sie zum letztenmal so gehalten hatte! – und einen Kuß auf die weiße, von glatten Haaren umrahmte Stirn gedrückt. »Und wer ist die?« fragte er, seine Hand auf Cynthias Schulter legend.

»Das ist Cynthia,« erwiderte Lettice ruhig.

»Meine kleine Schwester,« sagte er und drehte sie dem Licht zu, um sie besser sehen zu können. »Sie ist dir sehr ähnlich, Lettice, nur ist sie viel größer und –« hübscher, hatte er sagen wollen; aber er verbesserte sich noch rechtzeitig und ergänzte »stärker als du.«

»Unsre liebe Schwester, deine wie meine, Basil,« sagte Lätitia, indem sie das zurückschreckende Mädchen näher zog und ihre Hand in die seine legte. »Du mußt sie auch recht lieb haben und ihr beweisen, daß dein Kommen kein Verlust, sondern ein Gewinn für sie ist. Das dumme Ding ist nämlich eifersüchtig auf dich.«

»Nun, ich meine wahrhaftig, ich hätte eher Grund, auf Cynthia eifersüchtig zu sein,« erwiderte ihr Bräutigam lachend.

Was für eine feste, volle, männliche Stimme er hatte, und wie sie so ungewohnt und sonderbar klang in dem dämmerigen Gemach! Ein Schauer überlief Cynthia bei diesem Ton, während sie, ihre Hand noch in der seinen, schüchtern und still neben ihm stand und nicht wagte, zu dem Gesicht aufzublicken, das lächelnd auf sie niedersah.

»Während dieser Tage der Trennung ist sie mein ein und alles gewesen, Basil. Sie war mein einziger Trost, und ohne sie hätte ich nicht weiterleben und warten können.«

Thränen flossen über Lätitias schmale Wangen, als ihr Geliebter sie wieder in seine Arme schloß. »Mein liebes Herz,« sagte er mit heiserer Stimme, »das ist nun alles vorüber! Jetzt trennen wir uns niemals wieder, meine geliebte, treue Lettice!«

»Nein,« erwiderte Lettice prosaisch, »das hoffe ich auch.«

Die Erregung des ersten Augenblicks hatte sich gelegt, und sie wurde sich bewußt, daß er ihr Haar zerzauste, und es fiel ihr ein, daß das kleine Dienstmädchen wohl gleich Licht bringen werde.

»Du mußt nun zwei lieben, statt einer, Basil. Nicht wahr, du wirst Cynthia um meinetwillen lieb haben?«

Es war Licht gebracht worden, und Basil Haworth betrachtete diese neue Kandidatin für seine Liebe mit freundlichem, brüderlichem Blick.

Schön, lieblich und schüchtern stand sie vor ihm und wagte nicht, seinen Blicken zu begegnen.

»Es wird nicht schwer sein, sie auch um ihrer selbst willen zu lieben,« sagte er leichthin.

Es lag für Cynthia schlechterdings kein Grund vor, über dies brüderliche Zugeständnis so tief zu erröten, falls nicht die brüderliche Begrüßung, mit der sie im Dämmerlicht des Sommerabends überrascht worden war, noch immer auf ihren glühenden Wangen brannte.

Diese ungewohnte rosige Glut kleidete sie vorzüglich; ihr Erröten war göttlich schön; selbst ihre Fingerspitzen und ihre kleinen Ohren waren rosig angehaucht, und als die schüchternen Augen endlich scheu und unsicher aufsahen, da strahlten sie in einem neuen Licht.

Mit Cynthia war soeben die große Verwandlung vorgegangen, der jede Tochter Evas früher oder später unterworfen wird. Das alte Ammenmärchen, das Tag um Tag aufs neue aufgeführt wird, hatte sich in dem dämmerigen Zwielicht in Lätitias Wohngemach wiederholt, und der Märchenprinz, der ziemlich dick und mit der nüchternen Tracht eines Landpfarrers angethan war, saß, seiner Rolle gänzlich unbewußt, mit übergeschlagenen Beinen in Lätitias bequemstem Lehnsessel.

Ja, der Zauber, in dessen Bann sich Cynthias sorgloses, eintöniges Leben bisher abgespielt hatte, war gebrochen; eine entzückende Glut lag über ihrem lieblichen Antlitz; ihre träumerischen blauen Augen blickten liebevoll und warm; ein weicherer Zug legte sich um die schwellenden roten Lippen, die sich unter dem ungewohnten Druck stolzer zu wölben schienen, und ein bis dahin verborgenes Grübchen wagte sich schüchtern hervor.

Ja, es war die sinnige alte Mär von der Prinzessin, die verzaubert schläft, bis der Märchenprinz – er kommt, sie weiß nicht, wann! – zu ihr dringt, den Zauber bricht und sie mit seinem Kuß erweckt. Es war die köstliche alte Geschichte, die das Glück und die Reinheit eines unschuldvollen Heims symbolisch darstellt – nur daß es im Märchen der Geliebte der Prinzessin selbst, und ach! – nicht der ihrer Schwester ist!

Das glückliche Liebespaar hatte sich nach dieser langen Trennungszeit so viel zu erzählen, daß es nicht zu verwundern war, wenn Basil Haworth bis tief in die Sommernacht hinein bei seiner unermüdlichen Penelope sitzen blieb und ihr seine Abenteuer berichtete.

Lätitia hatte Cynthia früh zu Bett geschickt, weil sie mit der ängstlichen Sorgfalt, die ein Teil ihres Wesens geworden war, bemerkte, daß das junge Mädchen infolge der ungewohnten Erregung sehr erhitzt aussah.

Sie verabschiedete sich zärtlich von ihrer jungen Schwester und versprach ihr für später ein Brausepulver und für den nächsten Morgen eine Tasse Sennesblätterthee. Dann saß sie Hand in Hand mit dem Mann ihrer Liebe und lauschte seinen Erzählungen über die ereignisreichen Jahre, während welcher sie voneinander getrennt gewesen waren, und weidete ihre Augen an dem Anblick des getreuen Ulysses.

»Wie hübsch er geworden ist,« sagte sie sich mit einem unklaren Gefühl schmerzlicher Sorge, als fürchte sie, seine männliche Schönheit könne eine neue Schranke zwischen ihnen errichten.

Die Sonne Indiens hatte sein Antlitz dunkler gefärbt, der rotbraune Bart, den Cynthia im Scherz angekündigt hatte, war nun wirklich da in all seiner erschrecklichen Wildheit, und auf seine Stirn fielen glänzende, kastanienbraune Locken, die er, wie in seiner Jugend, mit der Lätitia wohlbekannten Bewegung zurückwarf.

Während sie so neben ihm saß und in dem gedämpften Schein der Lampe mit zärtlichem, vollbefriedigtem Blick die lieben trauten Züge in seinem Antlitz wieder fand, da dachte sie, daß er eigentlich gar nicht gealtert habe, sondern nur noch viel, viel hübscher und edler geworden sei.

Und er? Seine Augen waren wohl heller als ihr Spiegel, aber ebensowenig zuverlässig; denn sie sahen doppelt. Hinter der gealterten, mageren Penelope, die ihn mit ihren zitternden Händen umfaßte, hinter dem verblühten Weib an seiner Seite erblickten sie die treue, aufopfernde Freundin und Beraterin seiner Jünglings- und Mannesjahre, deren treue Liebe der Segen und die Freude seines Lebens gewesen war.

Als Basil Haworth an jenem Abend in seinem Zimmer im Gasthof zum Engel niederkniete und sein Nachtgebet sprach, dankte er seinem Gott von ganzem Herzen, daß er ihm durch all diese wechselreichen Jahre diesen Segen erhalten hatte, und gelobte, auf seinen Knieen liegend, dem geliebten Weib, das seiner so lange geharrt hatte, die Treue zu bewahren.

Am nächsten Morgen trank Cynthia den für sie bereiteten Sennesblätterthee nicht. Ob nun ihr frühes Aufstehen oder der Umstand, daß sie bei ihrem Morgenspaziergang auf den taubedeckten Feldwegen mit ihrem neuen Verwandten, der sich ihrer in so überraschender Weise bemächtigt hatte, zusammengetroffen war, die Rosen der Gesundheit wieder auf ihre Wangen gezaubert hatte, jedenfalls war es für jedermann, selbst für die ängstliche Lätitia ersichtlich, daß sie keines Sennesblätterthees bedurfte.

Wie lieblich sah sie aus im hellen Morgensonnenschein, in ihrem schlichten weißen Kleid; in welcher Frische blühten die Rosen auf ihren Wangen, die mit den Rosen an ihrer Brust wetteiferten!

Auch der ehrwürdige Basil Haworth mochte dies denken, als er sie über den Frühstückstisch weg betrachtete, während der Sonnenschein zwischen den Passionsblumen hindurch strömte und wunderbare, unbeschreiblich schöne Tinten auf ihr anstößiges Haar, zauberte, dessen Farbe auch ohne die Nachhilfe der Sonne feurig genug gewesen wäre.

Seine Augen mußten, sehr gegen seinen Willen, diesem Gedanken Ausdruck verliehen haben; denn sie benahm sich scheuer und schüchterner als je.

»Ich möchte so gern, daß ihr recht, recht gute Freunde würdet,« äußerte Lätitia und blickte von einem zum andern; und als sie nach beendetem Mahle aufstand, um in den Garten hinauszugehen, nahm sie die beiden an der Hand. »Mein Liebling,« sagte sie und küßte das junge Mädchen, »nicht wahr, du hast Basil jetzt ganz vergeben, daß er zwischen uns tritt? Sage ihm das selbst und versprich ihm, daß du ihn wie einen Bruder lieben willst. Komm, ich will dich deinem Bruder geben.« Und da fügte sie die Hände der beiden zusammen, als sie auf der Veranda zwischen ihnen stand: »Basil, dies ist deine Schwester!«

Cynthia erbebte und wurde totenblaß, als Basil die weiche, warme Hand drückte, die in der seinen lag.

»Mein liebes kleines Schwesterchen,« sagte er und küßte sie feierlich, aber etwas verlegen auf die Stirn, während eine dunkle Röte sein braunes Antlitz überflog; denn er war nicht gewohnt, Schwestern zu küssen. »Du mußt keine Angst vor mir haben; denn ich bin kein neuer Bruder, sondern habe dich gekannt und lieb gehabt, seit du auf der Welt bist. Nie habe ich einen Brief von Lettice erhalten, der nicht mindestens zur Hälfte von dir gehandelt und von deiner Schönheit, deiner Gutherzigkeit, deinem netten Wesen und hauptsächlich immer wieder von deiner Liebe zu ihr erzählt hätte.«

Unter seinem Kuß war sie errötet; aber bei diesen Worten geriet sie völlig außer sich. Leidenschaftlich warf sie ihre Arme um Lätitias Hals und barg das Antlitz an ihrem Busen.

»Meine geliebte Lätitia,« schluchzte sie, »du, die mir mehr als eine Mutter war! Und das ist alles, was ich dir zu geben habe, meine armselige, wertlose Liebe! O, Lettice, ich habe dich nie auch nur halbwegs lieb genug gehabt! Bis jetzt habe ich keine Ahnung gehabt von dem Opfer, das du mir gebracht hast! Wie kann ich dir das jemals vergelten?«

Basil Haworth ging in den Garten und überließ es Lätitia, das schluchzende Mädchen zu beruhigen.

»Aber mein liebes, liebes Kind,« rief sie bekümmert und durch die Aufregung ihrer Schwester aus ihrer gewohnten Ruhe aufgeschreckt, »im Vergleich zu dem Trost, den ich in dir gefunden habe, ist es ja gar kein Opfer gewesen! Morgen würde ich es noch einmal thun, so alt ich auch bin und so wenig Zeit – zum Glück – und – und – zur Liebe – mir auch noch übrig bleibt,« fügte das arme Ding verlegen hinzu.

Als Lätitia sich etwas später im Garten zu ihrem Bräutigam gesellte, hatte sie rote Augen, und auf ihrem guten Gesicht zeigten sich Thränenspuren. In dem verräterischen Morgensonnenschein, der alle Krähenfüße und Runzeln in ihrem hageren Gesicht und alle Silberfäden in ihrem braunen Haar unbarmherzig beleuchtete, sah sie so viel älter, magerer und grauer aus als den Abend zuvor im Lampenlicht, so daß Basil sie unwillkürlich mit einem leisen Gefühl peinlicher Ueberraschung begrüßte. Wie alt war sie doch geworden in diesen zwanzig Jahren! Mit der Röte der Scham auf seinen gebräunten Wangen unterdrückte er indes diese Empfindung sofort. Hatte sie nicht während all dieser einsamen Jahre für ihn gebetet, um ihn geweint, vielleicht auch manche Nacht um seinetwillen durchwacht, wie eben nur ein Weib beten, wachen und warten kann um des Mannes willen, den es liebt?

Ganz gewiß, sie sollte nicht umsonst geweint und gebetet haben!

Der ehrwürdige Basil Haworth war ein wackerer, an Prüfungen und Leiden gewöhnter Mann, der in den zwanzig Jahren seiner Missionsthätigkeit unter den schwierigsten Verhältnissen gelernt hatte, täglich und stündlich sich selbst zu opfern; deshalb war nicht anzunehmen, daß er jetzt straucheln könnte. Außerdem war er aber auch eine ritterliche Natur und bebte in seinem innersten Herzen davor zurück, sich selbst einzugestehen, daß er – enttäuscht war.

Je grausamer sich ihm die Wahrheit aufdrängte, als er an diesem balsamischen Junimorgen mit Lätitia Primrose zwischen den blühenden Bohnenbeeten in ihrem einfachen Küchengarten auf und ab ging, desto entschlossener drängte er sie zurück.

»Sie ist ein Engel,« sagte er aufs entschiedenste zu sich selbst, »und ich bin ihrer gar nicht wert!«

Der Engel trug einen Schutzhut aus lila Kattun, der im Winde flatterte, und das dünne, graue Haar, das sich befreit hatte, sah fahl und mäusegrau aus in dem grausamen Sonnenschein, der jede Runzel, jede tiefere Linie in ihrem sanften Gesicht verriet und in unfreundlichster Weise noch verschärfte.

Mit ihrem schlichten, einfachen Wesen war sie dem grauen Lavendel, der über die niedrige Hecke hing, und dem Rosmarin, der unter der Gartenmauer wuchs, zu vergleichen.

Ob die Sonne diese Pflanzen bescheint, ob willkommene Regentropfen ihre duftenden Blätter erfrischen, sie treiben keine Blüten, sie haben keine schöne Knospe zu entfalten. Sie bleiben sich immer gleich, sie verbreiten stets den nämlichen Duft, und auch der Besuch des schönsten Schillervogels vermöchte ihnen nicht mehr zu entlocken.

Die Ankunft ihres Jugendgeliebten hatte keinen wärmeren Hauch auf Lätitia Primroses welke Wangen, keinen lebhafteren Glanz in ihre milden Augen gebracht. Sie gab alle Tage ihr Bestes und hielt nichts zurück für besondere Gelegenheiten. Genau so, wie mit ihrem Wesen, hielt sie es auch mit ihrer Kleidung. Kein Endchen Band, kein Stückchen Spitze hatte sie an ihrem schlichten Anzug hinzugethan, dem Geliebten zu gefallen, der aus weiter Ferne kam, um sein schon so lange gegebenes Gelöbnis einzulösen. Ein ganz gewöhnliches Waschkleid, das sie rund um die Taille ausgesteckt hatte, um es vor Schaden zu bewahren, eine weite Gartenschürze mit umfangreichen Taschen, und ein Paar abgetragener, plumper Lederhandschuhe vervollständigten die Gartentoilette des Engels, als er an der Seite seines Geliebten zwischen seinen mit duftendem Thymian und Majoran, mit Raute und Kümmel eingefaßten Erbsen- und Bohnenbeeten spazieren ging.

Inmitten dieser hausbackenen Umgebung und im hellen Schein der Junisonne entwarfen sie ihre Zukunftspläne. Ein brauner Hänfling sang im Fliederstrauch: aber sein schwaches, unmelodisches Gezwitscher wurde von dem jubelnden Lied einer Lerche übertönt, die nur noch als ein winziger Punkt am Himmel sichtbar war.

Die scheuen Waldtauben hatten sich davongemacht, um ihr Liebeswerben im Schutze des Waldes fortzusetzen: aber die Amsel war keck und naseweis und lauschte von einem mit reifenden Früchten beladenen Kirschbaum aus der uralten, ewig neuen Geschichte.

Diese Geschichte ist, seit sie vom ersten Menschenpaar in einem andern Garten erstmals erzählt wurde, in tausenderlei Weise unzähligemal wiederholt worden; aber sicherlich nie mit edlerer Treue und mit selbstloserer Hingebung, als zwischen den Bohnenblüten in Lätitias kleinem Küchengarten.

Trotz allen aufrichtigen Sonnenscheins, der alle Verheerungen der Zeit in dem verblühten Gesicht unter dem lilafarbenen Schutzhute enthüllte, bat Basil Haworth seine Braut, ihren Hochzeitstag möglichst früh anzusetzen.

Mit Thränen in den Augen legte das arme Geschöpf seine Hände in den schrecklichen Handschuhen auf Basils Arm und sagte sanft: »O, Basil, es ist also doch so weit gekommen!«

»Natürlich ist es so weit gekommen,« antwortete er leichthin, während er sich innerlich die ganze Zeit wiederholte, er sei der Liebe dieses teuren Weibes gar nicht wert. »Es wäre für uns beide besser gewesen, wenn es schon vor zwanzig Jahren so weit gekommen wäre, Lettice,« seufzte er leise und drückte dabei die gütigen Hände auf seinem Arm, »aber nun heißt es, je eher, desto besser.«

»Ich muß mit Cynthia darüber sprechen,« erwiderte sie sanft, »ich will nach all diesen Jahren dein Glück nicht mehr verzögern, Basil; aber es ist noch sehr viel zu ordnen.«

»Noch sehr viel?« wiederholte er überrascht.

»Ja,« sagte sie ruhig, »mein Bezirk, meine Armen,« wieder füllten sich ihre Augen mit Thränen, »meine lieben Armen, und dann der Garten. Es ist so schade, ihn gerade jetzt abzugeben, wo alles so schön steht; und das Haus –«

»Das Haus?« wiederholte er. »Aber Cynthia wird doch wohl in diesem Hause wohnen bleiben?«

»Nein, Cynthia geht mit mir, ich könnte mich unmöglich von ihr trennen. O, Basil, lieber Basil, du wirst doch wohl nichts dagegen haben?«

»Nein,« antwortete er traurig: »nein, ich habe nichts dagegen.«

In diesem Augenblick kam der Gegenstand ihres Gesprächs zwischen den schlanken, weißen Lilien und der Rosenhecke auf die beiden zugeschritten: ihr enganliegendes weißes Kleid hob die edlen Formen ihrer schönen Gestalt aufs vorteilhafteste hervor, die Rosen an ihrer Brust blühten nicht herrlicher, als die Rosen auf ihren Wangen, und der Junisonnenschein, der ihr unbedecktes Haupt umfloß, verwandelte ihr unbändiges Haar in flüssiges Gold.

»Nein,« wiederholte er noch einmal traurig, »nein, ich habe nichts dagegen.«

Die Amsel flog pfeifend davon: der Kuckuck aber, der bisher auswärts seinen Geschäften nachgegangen war, kam eilends zurück und ließ von der hohen Rüster herab sein »Kuckuck, Kuckuck« ertönen, und der zahme Star, der von seinem Weidenkäfig in der Vorhalle aus alles mit angehört hatte, wiederholte ernst und bedächtig: »Nein, ich habe – nichts – dagegen. Nein – ich habe – nichts dagegen!«


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