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»Eine junge Dame von zwanzig Jahren wird vermißt. Sie verließ ihr Heim am 29. Juli sehr früh morgens unter verdächtigen Umständen.
»Größe: fünf Fuß, fünf Zoll; Gesichtsfarbe hell; Haar lichtes Rotbraun; Augen blau; Zähne weiß und regelmäßig; Gestalt ebenmäßig und schön.
»Trug, als sie zum letztenmal gesehen wurde, ein leichtes, weißes Kleid, war dermalen ohne Hut und ohne Schuhe, Wäsche gezeichnet mit C.
»Hundert Pfund Belohnung werden der oder denjenigen Personen ausbezahlt, die irgendwelche auf die Spur des vermißten jungen Mädchens oder zur Identifizierung seiner Leiche, falls es tot gefunden werden sollte, führende Mitteilungen machen können.«
Diese, unter Gutheißung des Magistrats, der die Voruntersuchung bei Cynthias geheimnisvollem Verschwinden geführt hatte, von dem Polizeivorstand von Silverton veröffentlichte Bekanntmachung wurde viele Meilen in der Runde allüberall angeschlagen und in allen Zeitungen des Bezirks veröffentlicht. Die Angelegenheit war Lätitia völlig aus der Hand genommen; die Königin, vertreten durch die vereinte Weisheit der obrigkeitlichen Personen Silvertons, hatte den Fall aufgegriffen und führte ihn auf Kosten und Verantwortung der Krone.
Lätitia hatte nichts zu thun, als abzuwarten. Natürlich blieb ihre Thür den Neugierigen sowohl als den Unverschämten verschlossen; denn sie verlangte kein Mitgefühl mit ihrem Leid und begehrte ebensowenig, die Neugier ihrer Nachbarn zu befriedigen. All den mehr oder weniger versteckten Andeutungen gegenüber, die ihr gegen die Schwester, die sie von der Wiege auf an Mutterstatt erzogen, und gegen den Geliebten, dem sie seit den Tagen ihrer Jugend unbedingt vertraut hatte, gemacht wurden, stellte sie sich völlig taub.
Ruhig, aber entschlossen, weigerte sie sich, dem Klatsch und den in ihrer Welt, in ihrer engen Welt, für die sie so viel gethan und von der sie so wenig gefordert hatte, verbreiteten Gerüchten ihr Ohr zu leihen. Mit all dem schlichten, unerschütterlichen, rührenden Vertrauen ihrer Tugend weigerte sie sich, zu glauben, daß ihr Geliebter falsch und ihre Schwester nichtswürdig sei.
Der Pfarrer von Silverton, der die am Tage von Cynthias Verschwinden bei geschlossenen Thüren gehaltene Sitzung geleitet hatte, zürnte ihr, daß sie die Besuche dieses Verlobten, der so viel Schmach und Schande auf die Kirche gebracht und sich geweigert hatte, die verdächtigen Umstände zu erklären, die ihn mit dem Verschwinden des Mädchens in Verbindung brachten, noch immer duldete. Wie der Pfarrer, so dachte auch die Gemeinde, und man tadelte sie allgemein, wie man sie einstens getadelt hatte, als sie die undankbare Last auf sich genommen hatte. Alle hatten gewußt, daß dabei nichts Gutes herauskommen könne. Was hatte sich auch von den angeborenen Instinkten des Kindes einer rothaarigen Milchmagd andres erwarten lassen?
Dagegen suchten Lätitias arme Nachbarn, die Bewohner von Little Silver, das arme, einsame Weib in ihrem Leid zu trösten, so gut sie es in ihrer rauhen Weise konnten, und thaten in ihrer Anwesenheit nie ihres Bräutigams Erwähnung, den die von Nächstenliebe erfüllte vornehme Welt von Silverton längst ungehört verdammt hatte.
Wohl hatten auch sie ihre eigenen Ansichten über den Fall; aber mit seltenem Zartgefühl behielten sie sie für sich; denn auch diese schlichten Köpfe waren der Ueberzeugung, daß man ihrer »lieben Dame«, wie sie Lätitia zärtlich nannten, übel mitgespielt habe.
Unter sich beehrten sie den Pfarrer mit den kräftigsten Schimpfnamen; aber in Lätitias Anwesenheit fiel nie ein Wort zu seinen Ungunsten.
»Zwanzig Jahre lang hat sie auf ihn gewartet, und nun, wo er endlich zurückgekommen ist, hat er sich mit ihrer schwachen kleinen Schwester ›verhängt‹ und sie an seinem Hochzeitstage verschwinden lassen. O, der ist schlau, und sie ist besser daran ohne ihn.«
»Verhängt,« mit diesem Wort bezeichnete man in Silverton einstimmig die Beziehungen Basils zu dem verschwundenen Mädchen.
Verhängt! und zwar in so gründlicher, verhängnisvoller Weise, daß ihm in seinem Bestreben, wieder frei zu kommen, nichts andres übrig geblieben war, als den gordischen Knoten zu durchhauen.
Er wäre jedenfalls nicht der erste Liebhaber im Westen Englands gewesen, der die Liebe und das Vertrauen eines schönen Mädchen auf diese Weise gelohnt hätte.
Von der Hochzeit war nicht mehr die Rede. Lätitia hatte die Erledigung dieser Frage beiseite geschoben, bis Cynthia aufgefunden sein würde. Und er war nicht blind gegen den entsetzlichen Verdacht, mit dem ihn die Männer betrachteten, wenn er durch die geschäftsreichen Straßen der Stadt ging, und bemerkte wohl, wie ihn die Frauen mieden und ihre Kinder beiseite zogen. Mit unsäglicher Bitterkeit und Demütigung empfand er, daß das Kainszeichen auf seiner Stirne brannte, daß er in den Augen der Welt ein Mörder war.
Längst schon hatten ihn die Menschen vor ihren Richterstuhl gezogen und schuldig befunden. Nur ein gütiges Antlitz lächelte ihm voll unbedingten Vertrauens zu, nur eine gütige Hand bebte nicht mit Verachtung und Abscheu vor seiner Berührung zurück, das abgehärmte Gesicht und die magere Hand des Weibes, gegen das er sich versündigt hatte.
Nun gab es nichts mehr, was ihn unter diesen Menschen zurückhielt, keine Pflicht, nachdem alles mögliche geschehen war, um das verschwundene Mädchen ausfindig zu machen; kein Band, nachdem die so lange verzögerte Hochzeit noch einmal auf günstigere Zeiten verschoben worden war. Er war froh, den Staub dieses unseligen Ortes von seinen Füßen schütteln, dem von ihm so bitter gekränkten Weibe Lebewohl sagen und in einer neuen Umgebung ein neues Leben beginnen zu können.
Die Aehren reisten unter den Strahlen der Augustsonne der Sichel entgegen, als Basil Haworth sich einsam auf den Weg machte. Die weißen Lilien waren tot, die Passionsblumen welkten und schrumpften zusammen in der tropischen Hitze dieses Sommers, und auch die Drossel hatte sich davongemacht.
Als er fort war, faltete Lätitia Primrose ihr Hochzeitskleid wieder zusammen und legte es mit dem nach Lavendel duftenden Leinenzeug wieder weg, wie sie es schon einmal hatte thun müssen. Es hatte so lange gewartet, daß es auch noch ein bißchen länger warten konnte.
Da sie nur ein Weib und dazu kein junges Weib mehr war, so mochten wohl einige Thränen zwischen die Falten gefallen sein, die sie so sorgsam glatt strich. Aber als ihr all die hochzeitlichen Gewänder aus den Augen waren, als sich der Schlüssel mit dem alten, ächzenden Ton, den sie so gut kannte, im Schloß gedreht hatte, da verwischte sie alle Thränenspuren in ihrem Gesicht und ging munter hinunter an ihre Arbeit. Selbst Leahs runde Augen, die jederzeit zu Thränenergüssen bereit waren, sobald Lätitia ihnen nur die geringste Aufmunterung dazu gab, konnten keine Spur von vergossenen Thränen bei der Herrin entdecken, die sie als eine Leidensgefährtin betrachtete – war doch ihr eigener Geliebter auch ohne sie in die Ferne gezogen!
Lätitia hatte nach der Abreise ihres Bräutigams keine Zeit, sich hinzusetzen, die Hände in den Schoß zu legen und ihr Schicksal zu bejammern. Im Gegenteil, sie hatte alle Hände voll zu thun; denn ihre lieben Armen waren, seit sie das letzte Mal bei ihnen gewesen war, von einem viel größeren Unglück heimgesucht worden, als es ihr eigenes gewesen war. Ein wirkliches, greifbares Uebel pochte an der armen Leute Thüren und erzwang sich den Eintritt in die dürftigen Häuser von Little Silver.
In diesem ungesunden Stadtteil war das Fieber ausgebrochen und verbreitete sich nun mit rasender Schnelle durch die schlecht oder gar nicht kanalisierten, verpesteten Höfe und Seitengäßchen von Little Silver. Die Heimsuchung ihrer »lieben Armen« lenkte Lätitia von sich ab. Wie konnte sie angesichts dieser rasend um sich greifenden, Tod und Verzweiflung verbreitenden Krankheit stillsitzen und über ihr eigenes Leiden brüten?
Da der Pfarrer von Anfang an gar keinen Versuch gemacht hatte, etwas zu thun, so blieb ihr der ganze Distrikt unbestritten. Der Pfarrer war Familienvater, und als solchem geziemte es ihm, vorsichtig zu sein. Seine Lieblingsheilige, die Nächstenliebe, und die Laren seines häuslichen Herdes verboten ihm, sich persönlich in die durchseuchte Gegend zu wagen; aber er sandte den armen, schwergeprüften Seelen hübsche kleine Traktätchen, und Lätitia brachte den Armen in ihrem umfangreichen Korb hübsche kleine Mittagessen. Mochte die Sommerhitze noch so sengend sein, mochte der Himmel wie glühendes Erz über der Erde hängen, mochte die Erde selbst wie heißes Eisen brennen, mochten von den stehenden Beiwassern der Exe noch so giftige Miasmen aufsteigen und die Luft ringsum verpesten – Lätitia hatte das ganze ungesunde Reich für sich allein, und Tag um Tag war ihr schwarzer Hut mit seiner Sommergarnitur in Little Silver zu sehen.
Ihre Nachbarn fanden die Art, wie sie die Kranken pflegte und verhätschelte und sich für die vom Fieber heimgesuchte Bevölkerung opferte, fast übertrieben. Keinen Augenblick dachte sie daran, sich zu schonen, oder überlegte gar, was die exklusive Gesellschaft von Silverton, die Familien, die schon mit dem Eroberer herübergekommen waren, zu dieser neuen Art von Donquixotiade zu bemerken haben würden.
Es gewährte dem unglücklichen Mädchen Erleichterung, andern beistehen zu können, die von noch härteren Schlägen getroffen waren, als sie selbst, und so verbrachte sie ihre Tage und häufig genug auch ihre Nächte inmitten der heimgesuchten Armen. Nicht nur, daß sie die Kranken pflegte – nein, wenn kein Nachbar wagte, über die Schwelle zu treten, sie verrichtete auch die gröbsten Arbeiten in diesen Haushaltungen, sie kochte das Essen, wusch die Kinder, ordnete und lüftete die ärmlichen Stuben und suchte die Mutlosen aufzurichten. Kein Wunder, daß die schlichten Leute sagten, ihre »liebe Dame« nütze ihnen mehr, als der Arzt und der Geistliche, von ihr erhielten sie gar viel, und von dem letzteren nichts – abgesehen von den Traktätchen natürlich.
Auf irgend eine Weise brachte es Lätitia fertig, ihre Armen aus ihren dürftigen Mitteln mit dem Nötigsten zu versorgen. Schon längst hatte sie die Entdeckung gemacht, daß der direkteste Weg zu den gefährdeten Seelen der Armen durch deren leere Magen führt.
In dieser Weise pflegte Lätitia also die armen, schwergeprüften Menschen, sie betete, weinte und freute sich mit ihnen, wenn sie sich durchrangen, und dies Beten und Pflegen, dies Weinen und dies Verschwenden von Mitgefühl that ihr so gut, als ihren Armen. Ihre Barmherzigkeit gereichte der, die gab, gerade so gut zum Segen, als denen, die sie empfingen, und deren waren unzählige.
Lätitia that ihr Werk und schöpfte Kraft daraus. Ihr Bräutigam, dieser Bräutigam, der ihr nun zum zweitenmal entrückt wurde, in dem Augenblick, wo sie schon den Schall der Hochzeitsglocken zu vernehmen meinte, hatte, als er Abschied von ihr nahm, feierlich gesagt: »Cynthia ist nicht tot; sie wird zu dir zurückkehren.«
Wohl hatte er diese Worte feierlich gesprochen, aber mehr hatte er nicht gesagt.
»Cynthia ist nicht tot,« wiederholte sie sich oft, während sie nach einem anstrengenden, bei ihren lieben Armen verbrachten Tag auf dem Heimweg von der Stadt den steilen Hügel erklomm, »sie wird zurückkehren; Gott behüte sie.« Dies war stets der Kehrreim: »Gott behüte sie.«
Doch der Weizen war gereift auf den gelben, herbstlichen Feldern, und die rotglühenden Sommertage vergingen einer um den andern, doch keiner brachte Nachricht von Cynthia.
Vergeblich war die Belohnung ausgeschrieben worden, die Bekanntmachungen über das Verschwinden und die Persönlichkeit des jungen Mädchens, die in allen Dörfern und Städten des Landes verbreitet worden waren, hatten keinerlei Ergebnis gehabt.
Der Herbst brach an, aber düster und traurig, nicht golden und heiter und rosigrot, wie die Herbste von ehedem.
Auf die lange Trockenheit folgte nun eine Zeit des Regens und der Stürme, nasse, stürmische Tage, an denen die weißen Nebel gar nicht aus den Thälern emporstiegen, und die Hügel von den düsteren, von der See herüberziehenden grauen Regenwolken wie von einem Mantel umhüllt wurden. Die Felder hatten sich in Moräste verwandelt, die Bäume standen vor der Zeit braun und kahl, die Singvögel waren verstummt, und die Herbstwinde seufzten klagend um das Lerchennest auf dem Hügel. In dieser Düsterheit und Trübseligkeit der Natur bewährte sich aber doch das alte Sprichwort, daß das ein schlechter Wind sein muß, der niemand was Gutes bringt. Der Regen, der gute, wohlthätige Regen, hatte die Quellen wieder belebt, die so lange vertrocknet gewesen waren, nun kam auch der stagnierende Fluß wieder in Bewegung und trug in seinem Schoß alle Krankheitskeime und Miasmen hinab nach der fernen See.
Der Wind und der Regen hatten ihr Werk, ihr wohlthätiges Werk vollbracht, und das bösartige Fieber, das über den ungesunden Pfützen und Schmutzlöchern von Little Silver hing, weggeblasen und weggespült; der Krankenstand nahm ab, und Lätitia hatte nun etwas mehr Muße, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern.
Während der letzten Monate war der kleine Garten traurig vernachlässigt worden. Finster und leer ragten die Bohnenstangen, die längst hätten sollen entfernt werden, in die Luft; die wilde Rosenhecke war verwildert und unbeschnitten und schimmerte rot vor lauter Mehlbeeren und Hagebutten; die hohen Sonnblumen und Herbstrosen waren riesig in die Höhe geschossen und ihre blätterlosen Stengel schwankten geisterhaft im Winde.
Der rauhe Herbstwind hatte die sauberen Gartenwege mit dürren Blättern bestreut, die traurig raschelten und sich bei jedem kalten Windstoß in Wirbeln erhoben und auf die Blumenbeete und deren duftende Einfassungen aus Thymian und Kümmel niederfielen.
Als die ersten trockenen Wintertage kamen, gab es viel zu thun, obgleich die Erde unten aufgeweicht war, und der Himmel grau und schwer herunterhing. Vom kalten Morgen bis spät in den trüben Novembernachmittag hinein arbeitete Lätitia im Garten. Mit einer roten wollenen Kapuze auf dem Kopf und hochgeschürzten Röcken huschte die kleine Gestalt, emsig harkend und jätend, zwischen ihren Blumen herum. Zwischen ihren Blumen, obgleich sie tot und begraben unter der braunen Erde lagen und nichts mehr von ihnen übrig war, als einige kalte, welke Stengel! Mit Blatt und Blüte und Knospen mußten sie ja alle wieder erstehen zu ihrer Zeit, oder vielmehr zur Zeit Dessen, der einem jeden seine Zeit zuweist und der Arbeit und Glauben und Harren in Geduld hier oder – dort belohnt!
Und Lätitia fand ihre Belohnung in dem Frieden, den der feuchte, kalte Garten über sie ausströmte. Was hatte sie nicht alles gelernt von der braunen, durchweichten Erde, die ihre Röcke beschmutzte und deren Feuchtigkeit durch ihre Holzschuhe sickerte, welch schweigende und doch beredte Lehren hatte sie nicht von ihr erhalten durch die, wenn auch noch so lange verzögerte, Erfüllung aller Hoffnungen!
Wohl waren alle ihre Blumen verschwunden; aber sie wußte, daß sie deren traute, liebe Gesichter alle wiedersehen und begrüßen durfte, sobald der Kuß der Frühlingssonne sie zu neuem Leben erweckte, und so wußte und vertraute sie, daß sie auch jene andern Gesichter wieder begrüßen würde, die aus ihrem Leben verschwunden waren und sie als ein einsames, verzweifeltes Weib zurückgelassen hatten, gerade an dem strahlenden Morgen, an dem sie für immer der Verlassenheit hätte entrückt werden sollen.
Der Pfarrer sah sie im Garten arbeiten, als er in seinem Wagen die wilde Rosenhecke entlang fuhr, und mit wahrhaft bewundernswerter Herablassung winkte er ihr mit zwei Fingern seines Handschuhs zu, anstatt den Hut vor ihr abzunehmen.
Lätitia neigte ihre rotwollene Kapuze leicht und ging ihren Weg weiter. Im Lauf der Zeit gewöhnte sie sich an die zwei Handschuhfinger des Pfarrers und an die unfreundlichen Blicke ihrer Nachbarn. Ihr stand ja nicht das Recht zu, eine andre Moral und andre Meinungen zu haben, als ihre Nebenmenschen, und diesen ihre lächerlichen Donquixotiaden vor die Nase zu halten. Ganz abgesehen von dem Alter seiner Geschlechter war der grundbesitzende kleine Adel von Silverton ihr weit überlegen; denn die Herrschaften fuhren in ihren stattlichen Wagen zur Kirche, und ihre Wagenräder bespritzten die arme Lätitia reichlich mit Schmutz. Sobald er trocken war, ließ sich dieser leicht abbürsten, aber nicht eben so leicht vermochte sie die harten Aeußerungen abzuschütteln, die über ihren fernen Geliebten und ihre kleine verlorene Schwester gefällt wurden.
In ihrer sanften, still duldenden Weise wartete und arbeitete sie inmitten ihrer Armen; aber ihre kurzsichtigen Augen hatten den rührenden Ausdruck angenommen, der zeigt, daß man wartet und lauscht, zwar nicht leidenschaftlich – die Zeit dafür lag weit hinter ihr – aber mit jener traurigen Geduld, die die Frucht lange nicht in Erfüllung gegangenen Hoffens ist.
In diesen qualvollen Monaten waren ihre Züge noch schärfer geworden, und ihre magere Gestalt war noch dürftiger geworden; traurig, aber nicht verzweifelt blickte der Geist ihrer Mädchenzeit aus ihrem freundlichen Antlitz. Nicht einen Augenblick zweifelte sie an Cynthias endlicher Heimkehr, und ihr Geliebter – ach Gott, sie hatte so lange seiner geharrt, daß sie nun auch noch ein wenig länger auf ihn warten konnte!
Basil Haworth schrieb ihr regelmäßig und stets mit der nämlichen ernsten Anteilnahme an all ihren kleinen häuslichen Interessen, und jeder Brief schloß mit der Frage, wann sie die Hoffnungen seiner Jugend krönen wolle.
»Ich bin Deiner nicht würdig, Lätitia,« schrieb er, »aber ich bin jeden Augenblick bereit, mein vor so vielen Jahren gegebenes Wort einzulösen, wann immer Du mich kommen heißen magst.« Wenn sie diese Briefe ihres Jugendgeliebten las, wurden ihre Augen feucht und nahmen einen zärtlichen, aber auch traurigen und rührenden Ausdruck an. Sorgsam faltete sie die Blätter zusammen und legte sie in ein altmodisches Schreibpult aus Kampferholz zu einem Stoß andrer, im Lauf der Jahre vergilbter Briefe, und flüsterte leise vor sich hin: »Sobald Cynthia zurückkommt.«