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Neuntes Kapitel

Sam nebst Frau und Tante und Diamant kehren nach London zurück

 

Wir brachten die Flitterwochen damit zu, Pläne für unser Leben in London zu schmieden und uns in Gedanken ein irdisches Paradies zu bauen! Nun, wir zählten beide zusammen nicht mehr als vierzig Jahre, und ich meinesteils habe nie gefunden, daß Luftschlösserbauen jemandem schadet, wohl aber viel Vergnügen macht.

Bevor ich London verließ, hatte ich mich natürlich nach einer Wohnung umgesehen, wie sie für Leute von unserem kleinen Einkommen paßte; Gus Hoskins und ich waren nach den Kontorstunden gemeinschaftlich auf die Wohnungsjagd gegangen und hatten endlich ein sehr hübsches kleines Landhäuschen in Camden Town gemietet; es hatte auch einen Garten, worin »gewisse kleine Leute«, wenn sie bei uns ankamen, spielen konnten, einen Pferdestall und eine Wagenremise, wenn wir dies je brauchen sollten, – und warum denn nicht in ein paar Jahren? – außerdem gute gesunde Luft, lag in mäßiger Entfernung von der »Börse« und kostete alles in allem dreißig Pfund jährlich. Ich hatte Mary diesen kleinen Fleck so enthusiastisch beschrieben, wie Sancho dem Gil Blas Lizias beschreibt, und mein liebes Weibchen war entzückt von der Aussicht, dort allein schalten und walten zu können; sie beteuerte, sie wolle die besten Gerichte immer selbst kochen (besonders einen Marmeladepudding, den ich sehr zu lieben eingestehen muß), und versprach Gus, ihn jeden Sonntag zu uns nach der »Clematislaube« einzuladen, nur dürfte er seine schrecklichen Zigarren nicht mehr rauchen. Gus seinerseits verschwor sich auch, er wolle ein Zimmer in der Nachbarschaft nehmen, denn er könnte es nicht über sich gewinnen, nach Bell Lane zurückzugehen, wo wir beide so glücklich zusammen gewesen waren, und da sagte die gutherzige Mary, sie wolle sich zur Gesellschaft meine Schwester Winny einladen, worauf Hoskins rot wurde und sagte: »Puh! Unsinn!« Aber all unsere Hoffnungen auf ein heiteres niedliches Clematishäuschen fielen in nichts zusammen, als bei unserer Rückkehr von unserem kleinen Flitterwochenausflug Frau Hoggarty uns erklärte, sie sei des Landlebens müde und hätte beschlossen, mit ihrem lieben Neffen und ihrer lieben Nichte nach London zu gehen, ihnen dort das Haus zu führen und sie ihren Freunden in der Metropole vorzustellen.

Was konnten wir tun? Wir wünschten sie vielleicht nach Bath, nach London aber keinesfalls. Aber dem ließ sich nicht abhelfen; wir mußten sie schon mitnehmen; denn, wie meine Mutter meinte, wenn wir sie beleidigten, ging unserer Familie ihr Vermögen verloren, und wir beiden jungen Leute konnten wohl in die Lage geraten, es zu brauchen.

So kamen wir denn im Wagen meiner Tante ziemlich trübselig gestimmt nach London; wir hatten den ganzen Weg mit Extrapostpferden zurückgelegt, denn eine Dame von dem Range meiner Tante konnte nicht in der Landpostkutsche fahren, und ich hatte dafür nicht weniger als vierzehn Pfund zu bezahlen, was den kleinen Bestand meiner Kasse so ziemlich erschöpfte.

Zuerst bezogen wir eine möblierte Wohnung, und wechselten dieselbe dreimal in drei Wochen. Wir gerieten mit der ersten Wirtin in Streit, weil meine Tante behauptete, sie habe von einer zum Mittag aufgetragenen Hammelkeule ein Stück abgeschnitten; aus der zweiten Wohnung zogen wir aus, weil meine Tante beteuerte, das Dienstmädchen stehle Kerzen; aus der dritten gingen wir fort, weil Tante Hoggarty am Morgen nach unserer Ankunft mit schrecklich geschwollenem und zerstochenem Gesicht beim Frühstück erschien – was nun wieder daran schuld war, das weiß ich nicht. Genug, um eine lange Geschichte kurz zu erzählen, dies ewige Umziehen und die endlosen Geschichten und Streitereien meiner Tante machten mich halb wahnsinnig. Von ihren vornehmen Bekanntschaften war niemand in London, und es war ein steter Grund zum Zwist zwischen uns, daß ich sie noch nicht bei John Brough, Esquire, dem Parlamentsmitglied, und bei Lord und Lady Tiptoff, ihren Verwandten, eingeführt hatte.

Herr Brough befand sich, als wir in London ankamen, in Brighton, und bei seiner Rückkehr wollte ich unserem Direktor doch nicht gleich sagen, ich hätte meine Tante mitgebracht und wäre dadurch in Geldverlegenheit gekommen. Als ich ihm endlich dies letztere mitteilen mußte und um einen Vorschuß bat, sah er ziemlich ernst aus; als er aber hörte, daß mein Geldmangel durch Mitkommen meiner Tante nach London entstanden sei, änderte sein Ton sich augenblicklich.

»Das ist ganz was anderes, mein lieber Junge; Frau Hoggarty ist in einem Alter, wo man ihr nichts abschlagen darf. Hier sind hundert Pfund, und wenn Sie irgendwie mehr Geld brauchen, so ziehen Sie, bitte, nur auf mich.« Dies half mir aus der Verlegenheit, bis sie ihren Anteil an den Haushaltungskosten bezahlen würde. Und sofort am nächsten Tage machten Herr und Frau John Brough in ihrem prächtigen vierspännigen Wagen Frau Hoggarty und meiner Frau in unserer Wohnung in Lambs Conduit Street ihre Aufwartung.

Es war an demselben Tage, wo meine arme Tante mit einem so traurig zugerichteten Gesicht erschien, und sie ermangelte auch nicht, Frau Brough von der Ursache in Kenntnis zu setzen und hinzuzufügen, daß sie auf Castle Hoggarty oder auf ihrem Landsitze in Sommersetshire von so greulichen entsetzlichen Dingen nie gehört hätte.

»Gott im Himmel!« rief John Brough Esquire, »daß eine Dame Ihres Ranges in dieser Weise leiden muß! – Die treffliche Verwandte meines lieben jungen Freundes Titmarsh! Niemals, Madame – niemals soll man sagen können, daß Frau Hoggarty von Castle Hoggarty solch schrecklicher Demütigung ausgesetzt sein muß, solange als John Brough ihr ein Heim zu bieten hat, – ein bescheidenes, glückliches, christliches Heim, Madame, obzwar es vielleicht hinter der Pracht zurückbleibt, an die Sie im Laufe Ihres vornehmen Lebens gewöhnt worden sind. Isabella, meine Liebe! – Belinda! – sprecht mit Frau Hoggarty. Sagt ihr, sie solle John Broughs Haus vom Boden bis zum Keller als das ihrige betrachten – ich wiederhole es, Madame, vom Boden bis zum Keller. Ich wünsche, verlange, ja befehle, daß die Koffer der Frau Hoggarty vom Castle Hoggarty sofort in meinen Wagen gebracht werden! Haben Sie die Güte, Frau Titmarsh, selbst danach zu sehen, und sorgen Sie dafür, daß die Bequemlichkeit Ihrer lieben Tante fortan besser berücksichtigt wird, als bisher.«

Mary ging ein wenig verwundert über diesen Befehl hinaus. Aber Herr Brough war doch ein zu großer Mann und ihres Samuel Wohltäter, und obgleich das törichte Kind durchaus anfangen mußte zu weinen, als sie die ungeheuren Koffer der Tante mühsam packte, so vollendete sie doch die Arbeit und kam mit lächelndem Gesichte zu meiner Tante hinunter, die Herrn und Frau Brough inzwischen mit einem langen und ausführlichen Bericht über die Bälle im Dubliner Schloß, zu Zeiten Lord Charlevilles, regaliert hatte.

»Ich habe die Koffer gepackt, Tante, aber ich bin nicht stark genug, sie herunterzubringen,« sagte Mary.

»Gewiß nicht, gewiß nicht,« sagte John Brough, vielleicht etwas beschämt. »Holla! Georg, Friedrich, August, kommt gleich hinauf und holt die Koffer der Frau Hoggarty von Castle Hoggarty, diese junge Dame wird sie euch zeigen.«

Ja, so groß war Herrn Broughs Zuvorkommenheit, daß, als einige von seinen eleganten Dienern sich weigerten, die Koffer zu tragen, er selbst mit jeder Hand einen von ihnen ergriff, nach dem Wagen trug und so laut, daß es die ganze Lamb Conduit Street hören konnte, rief: »John Brough ist nicht stolz – nein, nein, und wenn seine Bedienten sich zu groß und vornehm dünken, so wird er sie lehren, was Demut ist.«

Frau Brough lief ebenfalls die Treppen hinab und wollte ihrem Mann die Koffer aus den Händen nehmen, aber sie waren ihr ebenfalls zu schwer, und so begnügte sie sich damit, sich auf den einen niederzusetzen und jeden Vorübergehenden zu fragen, ob John Brough nicht ein Engel von Mann sei?

In dieser Weise verließ uns also meine Tante. Ich erfuhr von ihrer Abreise nichts, denn ich war gerade im Kontor und erblickte, als ich um fünf Uhr mit Gus nach Hause schlenderte, am Fenster meine liebe Mary, die uns lachend zuwinkte und uns Zeichen machte, wir möchten beide heraufkommen. Das schien mir ziemlich verwunderlich, weil Frau Hoggarty Hoskins nicht ausstehen konnte und mir tatsächlich wiederholt erklärt hatte, entweder sie oder er müßte das Haus meiden. Nun, wir gingen also hinauf, und Mary, die ihre Tränen getrocknet hatte, empfing uns mit dem heitersten Gesicht, lachte, klatschte in die Hände, tanzte und schüttelte Gus die Hand. Und welchen Vorschlag, meinen Sie wohl, hatte uns der kleine Schelm zu machen? So wahr ich ein ehrlicher Mann bin, sie sagte, sie hätte die größte Lust, nach Vauxhall zu gehen!

Da der Tisch nur für drei Personen gedeckt war, so nahm Gus seinen Platz mit Furcht und Zittern ein; aber nun erzählte Frau Sam Titmarsh, was sich zugetragen hatte und wie Frau Hoggarty in Broughs prächtiger vierspänniger Kutsche nach Fulham entführt worden war. Ich muß leider gestehen, daß ich nichts weiter sagte, als: »Laß sie gehen!«, und wir ließen uns denn auch unsere Kalbskoteletten und unseren Marmeladepudding vielleicht weit besser schmecken, als Frau Hoggarty ihr auf Silber serviertes Diner in der Rookery mundete.

Unsere Partie nach Vauxhall fiel recht lustig aus, und Gus bestand darauf, uns freizuhalten, und nichts konnte uns willkommener sein, als daß die Abwesenheit meiner Tante sich auf drei Wochen ausdehnte, denn wir fühlten uns ohne sie um vieles froher und behaglicher. Meine kleine Mary pflegte mir mein Frühstück zu bereiten, ehe ich morgens nach dem Kontor ging, und jeden Sonntag hatten wir ein Fest, wenn wir zusahen, wie die lieben kleinen Kinderchen im Findelhause ihr gekochtes Rindfleisch mit Kartoffeln verzehrten, und ergötzten uns dann an der schönen Musik; so schön die letztere aber auch war, so erschienen mir die Kinder doch noch schöner, und der Anblick ihrer unschuldigen glücklichen Gesichter war erbaulicher, als die beste Predigt. An Wochentagen machte meine Frau gegen fünf Uhr abends auf der linken Seite der Lambs Conduit Street (wo man nach Holborn geht), einen Spaziergang – ja, sie setzte denselben manchmal bis nach Snow Hill fort, wo zwei junge Leute von der I.-W.-D.-Feuer- und Lebensversicherung ihr ziemlich sicher begegnen mußten, und dann gingen wir alle drei seelenvergnügt zum Essen! Eines Tages kamen wir gerade dazu, als ein abscheulicher Kerl, mit hohen Absätzen unter den Stiefeln, einem Spazierstock mit goldnem Knopf in der Hand, und mit einem Backenbart, der das ganze Gesicht bedeckte, der Mary unter den Hut guckte. Und dicht bei Day & Martins Wichsegeschäft (das damals nicht annähernd so schön war, wie jetzt) – da war also der Kerl im besten Reden und Aeugeln, als wer herankam? Natürlich Gus und ich. Und schon im allernächsten Augenblicke war mein Gentleman am Rockkragen gepackt und fand sich zappelnd unter den Rädern der dort haltenden Droschken wieder, zum nicht geringen Vergnügen aller Kutscher. Das beste von allem war, daß er seine Perücke samt seinem ganzen Backenbart in meiner Hand ließ. Mary sagte: »Tu ihm nicht zuviel, Samuel, er ist ja nur ein Franzos.« Und so gaben wir ihm seine Perücke zurück, die einer von den grinsenden Kutschern sich aufsetzte und dann dem im Stroh liegenden Eigentümer zurückbrachte.

Dieser rief uns etwas nach, wie: » Arrêtez« und » Français« und » champ d'honneur«, aber wir schritten weiter, wobei Gus den Daumen an seine Nase legte und seine Finger nach Meister Franzmann hin ausspreizte. Das erregte allgemeines Gelächter, und so endete das Abenteuer.

Etwa zehn Tage nach der Abreise meiner Tante kam von ihr ein Brief, den ich hiermit wörtlich wiedergebe:

»Mein teurer Neffe, – es war mein ernstlicher Wunsch, schon eher nach London zurückzukehren, denn ich bin gewiß, daß du und meine Nichte Mary mich sehr vermissen werden, besonders da sie, das arme Ding, in den Verhältnissen der großen Stadt ganz unerfahren ist, von der Führung eines Haushalts gar nichts versteht und in jeder Weise, sowohl als Hausfrau wie auch als Familienmutter, wohl schwerlich ohne mich fertig zu werden vermag.

Sage ihr, daß sie unter keiner Bedingung für die besten Stücke Fleisch mehr als 6½ Pence, für das Suppenfleisch aber nur 4½ Pence bezahlen soll, und daß man die allerbeste Londoner Butter für 8½ Pence kauft; natürlich nimmt man für Puddings und sonst in der Küche eine geringere Sorte. Meine Koffer hat Frau Titmarsh sehr schlecht gepackt, und die Haspe des Mantelsackschlosses ist durch mein gelbes Atlaskleid hindurchgegangen. Ich habe es aber ausgebessert und schon zweimal bei eleganten (wenn auch kleinen) Abendgesellschaften getragen, die mein gastfreier Wirt gab. Mein erbsengrünes Sammetkleid hatte ich am Sonnabend bei einem großen Diner an, wo Lord Scaramouch mich zu Tische führte. Es ging dabei sehr großartig her. Suppe am oberen und unteren Tischende (weiße und braune), Steinbutt und Lachs mit ungeheuern Terrinen voll Hummersauce. Der Hummer kostete allein fünfzehn Schilling, Steinbutt drei Guineen. Der Lachs wog sicherlich fünfzehn Pfund und kam nicht wieder auf die Tafel. Selbst marinierter Lachs wurde die ganze Woche darauf nicht auf den Tisch gebracht. Solche Verschwendung würde gewiß Frau Samuel Titmarsh sehr gefallen, die, wie ich immer zu sagen pflege, das Licht gern an beiden Enden anzündet. Nun, zum Glück habt Ihr, junges Volk, eine alte Tante, die die Sache besser versteht und einen großen Geldbeutel hat, ohne den gewisse Leute freilich ihr Gehen lieber sehen würden, als ihr Bleiben. Ich meine nicht Dich, Samuel, Du bist, das muß ich gestehen, immer ein pflichtgetreuer Neffe gegen mich gewesen. Nun, ich werde wohl nicht mehr zu lange leben, und gewisse Leute werden sich nicht grämen, wenn ich in meinem Sarge liege.

Am Sonntag hatte ich sehr arge Magenschmerzen und dachte erst, es könnte von der Hummersauce sein; aber Doktor Blogg, der herbeigerufen wurde, sagte, er fürchte sehr, das Uebel sei auszehrender Art; aber er gab mir Pillen und ein Tränkchen, worauf es besser wurde. Bitte, geh' doch zu ihm – er wohnt in Pimlico und Du kannst nach Schluß des Kontors dorthin gehen – und überreiche ihm mit meinen besten Empfehlungen 1 Pfund, 1 Schilling. Ich habe außer einer Zehnpfundnote kein Geld hier, alles andere habe ich eingeschlossen in meiner Schatulle in Lambs Conduit Street zurückgelassen.

Obwohl nun der Körper in Herrn Broughs großartigem Hausstande nicht vernachlässigt wird, wie Du siehst, so kann ich Dir doch versichern, daß ebenso für den Geist gesorgt wird. Herr Brough liest jeden Morgen eine Andacht, oh! und wie diese geistlichen Uebungen die Seele vor dem Frühstück erfrischen! Alles ist im besten Stil eingerichtet, – silberne und goldne Teller zum ersten und zweiten Frühstück und zum Diner; alles ist mit Broughs Namenszug und seinem Wappen gezeichnet, einem Bienenstock mit der lateinischen Unterschrift Industria, was soviel heißt wie Industrie – selbst die porzellanenen Waschschüsseln und andere Geräte in meinem Schlafzimmer sind so gezeichnet. Am Sonntag wurden wir durch eine besondere Andacht beglückt, die der ehrwürdige Rev. Grimes Wapshot von der Anabaptistenkapelle hier leitete, der uns auch am Nachmittag in Herrn Broughs Privatkapelle eine dreistundenlange Predigt hielt. Als Witwe eines Hoggarty bin ich stets eine zuverlässige und getreue Anhängerin der Hochkirche gewesen, aber ich muß gestehen, Herrn Wapshots Predigt war bei weitem besser, als die des Reverend Bland Blenkinsop, der zu dieser Kirche gehört und mit uns nach Tische eine kurze zweistündige Andacht hielt.

Frau Brough ist, unter uns gesagt, ein armes einfältiges Geschöpf, das nicht den geringsten eigenen Willen besitzt. Fräulein Brough – hm – die ist so unverschämt, daß ich ihr beinah einmal eine Ohrfeige gab und sofort aus dem Hause gegangen wäre, wenn nicht Herr Brough meine Partei genommen und wenn das Fräulein sich nicht angemessenerweise entschuldigt hätte.

Ich weiß noch nicht – weil ich hier wirklich so gut aufgenommen bin – wann ich zur Stadt zurückkehren werde. Doktor Blogg sagt, die Luft von Fulham sei für meinen Zustand die beste der Welt, und da die Damen des Hauses nicht mit mir spazieren gehen, so hat der Rev. Grimes Wapshot schon mehrere Male die Güte gehabt, mir seinen Arm zu leihen; es ist ein großer Genuß, mit einem solchen Führer nach Putney und Wandsworth zu wandeln und die wunderbaren Werke der Natur zu betrachten. Ich habe mit ihm auch über meinen Besitz in Slopperton gesprochen, und er teilt nicht Herrn Broughs Meinung, daß ich ihn verkaufen solle; aber ich werde in diesem Punkte ganz nach meinem eigenen Willen handeln.

Inzwischen mußt Du eine bequemere Wohnung nehmen und mein Bett jeden Abend wärmen und an Regentagen ein Feuer im Kamin machen lassen, und Frau Titmarsh soll auch nach meinem blauseidenen Kleide sehen und es, bis ich wiederkomme, gewendet haben; meinen Purpurspenzer kann sie für sich nehmen, denn ich hoffe, sie trägt die drei schönen Kleider nicht, die Du ihr gegeben hast, sondern hebt sie bis zu besseren Zeiten auf. Ich werde sie demnächst bei meinem Freunde, Herrn Brough, einführen und bei einigen anderen Bekannten und schließe als Deine Dich stets liebende Tante.

P. S. Ich habe angeordnet, daß man eine Kiste Rosoglio von Sommersetshire schicken soll. Wenn sie ankommt, bitte ich Dich, die Hälfte hierher zu senden (und natürlich das Porto zu bezahlen). Es wird dies ein passendes Geschenk für meinen liebenswürdigen Gastfreund Herrn Brough sein.«

Diesen Brief brachte Herr Brough mir selbst ins Kontor; er entschuldigte sich, daß er aus Versehen das Siegel erbrochen habe, denn der Brief sei unter die seinigen geraten, und er habe ihn aufgemacht, ohne nach der Adresse zu sehen. Natürlich habe er ihn nicht gelesen, und das war mir sehr lieb, denn ich hätte nicht gewünscht, daß er meiner Tante Meinung über seine Tochter und Frau erführe.

Am nächsten Tage schickte man mir aus Toms Kaffeehaus, Cornhill, ins Kontor die Nachricht, daß ein Herr mich in einer besonderen Angelegenheit zu sprechen wünsche; ich begab mich dorthin und fand meinen alten Freund, Anwalt Smithers, von der Firma von Hodge und Smithers, der eben mit der Blauen Kutsche angekommen war und seine Reisetasche noch zwischen den Knien hielt.

»Sam, mein Junge,« begann er, »Sie sind der Erbe Ihrer Tante, und ich habe in bezug auf ihr Vermögen eine Neuigkeit, die Sie wissen müssen. Sie schrieb, wir möchten ihr eine Kiste des von ihr selbst bereiteten Weines, den sie Rosoglio nennt, schicken, und der mit all ihren Sachen in unserem Speicher liegt.«

»Nun,« sagte ich lachend, »meinetwegen kann sie soviel Rosoglio verschenken, wie sie Lust hat. Ich begebe mich jeden Anspruchs.«

»Bah!« sagte Smithers, »das ist's doch nicht, obwohl uns ihr Haushalt freilich verteufelt im Wege ist, – das ist's aber nicht; sondern im Postskriptum des Briefes beauftragt sie uns nämlich, Slopperton und Squashtail sofort zum Verkauf auszubieten, weil sie ihr Geld anderswo anlegen wolle.«

Ich wußte, daß die beiden Besitzungen Slopperton und Squashtail für die Herren Hodge und Smithers die Quelle eines recht hübschen Einkommens gewesen waren, denn meine Tante lag mit ihren Pächtern stets im Prozeß und bezahlte ihre Streitsucht ziemlich teuer, so daß mir die Besorgnis des Herrn Smithers wegen des Verkaufs derselben nicht ganz uneigennützig schien.

»Und sind Sie ganz expreß nach London gekommen, Herr Smithers, um mich mit dieser Tatsache bekannt zu machen? Ich glaube, Sie hätten besser getan, entweder die Anordnungen meiner Tante gleich auszuführen oder zu ihr nach Fulham zu gehen und die Angelegenheit mit ihr zu besprechen.«

»Aber zum Henker, Herr Titmarsh! merken Sie denn nicht, daß Ihre Tante die Besitzung nur verkaufen will, um Brough das Geld zu geben, und wenn Brough das Geld bekommt, so –«

»So wird er ihr sieben anstatt drei Prozent geben, – das ist doch kein Unglück.«

»Aber Sie müssen doch auch die Sicherheit bedenken. Er sitzt jetzt ohne Zweifel in der Wolle – sehr sogar – vollkommen respektabel – über jeden Zweifel respektabel. Aber wer kann wissen, wie alles kommt? Eine Krisis kann eintreten, und dann richten ihn diese fünfhundert Gesellschaften, bei denen er beteiligt ist, sicher zugrunde. Da ist die Ingwerbiergesellschaft, deren Direktor Brough ist und über die sich sehr bedenkliche Gerüchte verbreiten. Da ist ferner die vereinigte Baffinsbai- Muff- und Pelzgesellschaft – die Aktien stehen jetzt sehr niedrig, und Brough ist ebenfalls dort Direktor. Dann haben sie die Patentschuhgesellschaft – die Aktien stehen auf 65, und es ist eine neue Einzahlung ausgeschrieben, die niemand leisten wird.«

»Unsinn, Herr Smithers! Besitzt nicht Brough allein für fünfhunderttausend Pfund Aktien der Independent West-Diddleser, und steht die etwa schlecht? Und überdies, wer hat denn meiner Tante angeraten, ihr Geld in diesem Unternehmen anzulegen? Das möchte ich doch wissen.«

Da hatte ich ihn gefangen.

»Ja, freilich, es ist auch eine ganz gute Spekulation und hat Ihnen, Sam, mein lieber Junge, jährlich dreihundert eingebracht, und Sie können uns für das Interesse, das wir an Ihnen nehmen, nur Dank wissen (wir haben Sie lieb wie einen Sohn, und Fräulein Hodge hat sich noch immer nicht über eine gewisse Heirat getröstet!), und Sie werden uns doch hoffentlich nicht tadeln wollen, weil wir Ihr Glück mitbegründet haben, nicht wahr?«

»Nein, zum Henker, gewiß nicht!« sagte ich, schüttelte ihm die Hand und nahm ein Glas Sherry und ein paar Zwiebäcke an, die er bestellte.

Aber Smithers gab seine Sache noch nicht verloren. – »Sam,« meinte er, »beherzigen Sie meine Worte und nehmen Sie Ihre Tante von der Rookery fort. Sie hat an Frau Smithers ein langes und breites von einem geistlichen Herrn geschrieben, mit dem sie da lange Spaziergänge macht, – dem Reverend Grimes Wapshot. Der Mann hat es auf sie abgesehen. Er war im Jahre 1814 in Lancaster der Fälschung angeklagt, und fast wäre es ihm damals an den Kragen gegangen. Nehmen Sie sich vor ihm in acht, Sam – er hat ein Auge auf ihr Geld.«

»Keine Spur,« entgegnete ich und zog Frau Hoggartys Brief aus der Tasche, »da lesen Sie selbst.«

Er überlas den Brief sehr aufmerksam, schien sich darüber zu amüsieren und gab ihn mir dann zurück. »Gut, Sam,« sagte er dann, »nun habe ich Sie nur noch um zweierlei zu bitten, – einmal, daß Sie keiner lebenden Seele etwas von meinem Hiersein sagen, und zweitens, daß ich in Lambs Conduit Street mit Ihnen und Ihrem hübschen Frauchen zu Mittag essen darf.«

»Ich verspreche Ihnen beides von Herzen gern,« sagte ich lachend. »Aber wenn Sie mit uns essen, wird auch Ihre Anwesenheit in London bekannt werden, denn mein Freund Gus Hoskins speist ebenfalls mit uns, was er, seitdem meine Tante fort ist, beinahe täglich getan hat.«

Er lachte ebenfalls und meinte: »Wir lassen Gus auf eine Flasche schwören, daß er das Geheimnis bewahren will. Und so gingen wir denn zur Tischzeit zusammen nach meinem Hause.

Nach Tisch begann der unermüdliche Anwalt seinen Angriff von neuem und wurde dabei von Gus und auch von meiner Frau unterstützt, die sicherlich ganz unparteiisch war, – um so unparteiischer vielleicht, da sie viel drum gegeben hätte, von der Gesellschaft meiner Tante erlöst zu sein. Aber sie meinte, sie sähe die Richtigkeit der Beweisgründe des Herrn Smithers vollkommen ein, und seufzend mußte auch ich endlich dieselben zugestehen. Dessenungeachtet setzte ich mich aufs hohe Pferd und sagte, meine Tante könne mit ihrem Gelde tun, was sie wolle, und ich sei nicht der Mann, sie irgendwie bei dessen Verwendung zu beeinflussen.

Nach dem Tee gingen die beiden Herren zusammen fort, und Gus erzählte mir, daß Smithers ihm tausend Fragen gestellt habe über das Kontor, über Brough, über mich und meine Frau und über alles und jedes, was uns betraf. »Sie sind ein Glückspilz, Herr Hoskins, Sie scheinen Hausfreund dieses liebenswürdigen jungen Paares zu sein,« hatte Smithers gesagt, und Gus hatte das zugestanden und ebenfalls, daß er in sechs Wochen nicht weniger als fünfzehnmal bei uns gespeist habe, und erklärt, daß es keinen besseren und gastfreieren Menschen als mich gäbe. Ich erzähle das hier nicht etwa, um mein eigenes Lob auszuposaunen, – nein, keineswegs, sondern weil diese Fragen, die Herr

Smithers gestellt, mit den späteren Begebenheiten, die ich in dieser kleinen Geschichte erzählen werde, in engem Zusammenhang stehen.

Am nächsten Tage, als wir vor der kalten Hammelkeule saßen, die Smithers am vorangehenden Tage so gelobt hatte, und Gus wie gewöhnlich seine Füße unter unsern Tisch steckte, hielt eine Mietskutsche, die wir weiter nicht beachteten, an unserer Tür; wir hörten Schritte auf der Treppe, die, wie wir hofften, uns nichts angingen, sondern die Mietsleute des zweiten Stocks, da, wer stand da plötzlich in der Stube? Niemand anders, als Frau Hoggarty in eigener Person! Gus, der eben den Schaum von einem Kruge Porter zurückblies und sich anschickte, einen köstlichen Trunk zu tun, nachdem wir uns über seine Geschichtchen und Witze beinah halbtot gelacht, setzte den Krug nieder, als Frau Hoggarty hereintrat, und wurde ganz blaß. Recht behaglich fühlten wir uns alle nicht in unsrer Haut.

Meine Tante warf Mary einen niederschmetternden Blick zu, einen zweiten zornigen Blick bekam Gus, dann stürzte sie sich mit den Worten: »Es ist also wahr – und schon jetzt, mein armer Junge!« hysterisch schluchzend in meine Arme und gelobte, vor Schluchzen fast erstickend, mich nie, nie wieder zu verlassen.

Weder ich noch sonst jemand von uns konnte die ungewöhnliche Erregung der Frau Hoggarty begreifen. Sie wies Marys Hand zurück, die ihr das arme Ding in einer gewissen nervösen Erregtheit bot, und als Gus bescheiden meinte: »Ich glaube fast, Sam, ich bin hier im Wege, und es wäre vielleicht besser – wenn ich ginge,« sah ihm Frau Hoggarty voll ins Gesicht, zeigte mit dem Finger majestätisch nach der Tür und sagte: »Ja, Sir, ich glaube auch, daß es am besten ist, wenn Sie gehen.«

»Ich hoffe, Herr Hoskins wird bleiben, solange es ihm gefällt,« sagte meine Frau mutig.

»Natürlich hoffen Sie das, Madame,« antwortete Frau Hoggarty recht sarkastisch. Aber Marys Rede sowie die meiner Tante gingen für Gus verloren, denn er hatte sofort seinen Hut genommen, und ich hörte, wie er die Treppe hinunterstolperte.

Die Szene endete, wie gewöhnlich, damit, daß Mary in eine Flut von Tränen ausbrach, während meine Tante die Versicherung wiederholte, sie hoffe, es sei noch nicht zu spät, und sie werde mich von nun an nie, nie mehr verlassen.

»Was kann aber nun die Tante so unerwartet und in so zorniger Stimmung zurückgeführt haben?« fragte ich Mary, als wir am Abend in unserm Zimmer allein waren; aber Mary behauptete, es nicht zu wissen, und erst nach einiger Zeit wurde mir der Grund zu dem ganzen Auftritt und zu Frau Hoggartys plötzlicher Rückkunft bekannt.

Der abscheuliche, dicke, rohe, kleine Smithers erzählte mir die Sache als einen sehr guten Spaß erst im vorigen Jahre, als er mir den vorher in meinen Memoiren hier erwähnten Brief von Hixon, Dixon, Paxon und Jaxon mitteilte.

»Sam, mein Junge,« sagte er, »Sie waren damals entschlossen, Frau Hoggarty in Broughs Klauen in der Rookery zu lassen, und ich war ebenso fest entschlossen, sie fortzuhaben. Ich beschloß, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, wie man zu sagen pflegt. Es war mir ganz klar, daß es Reverend Grimes Wapshot auf das Vermögen Ihrer Tante abgesehen habe, und daß Herr Brough ganz ähnliche beutelustige Zwecke verfolgte. Beutelustig ist ein mildes Wort, Sam; hätte ich gesagt räuberisch, so würde ich die Sache weit bester bezeichnet haben.

»Ich nahm also meinen Platz in der Postkutsche nach Fulham und begab mich nach meiner Ankunft sofort in die Wohnung des geistlichen Herrn. ›Werter Herr,‹ sagte ich, als ich den würdigen Mann fand, – er trank gerade Grog, Sam, um zwei Uhr nachmittags, oder wenigstens roch das Zimmer sehr stark nach jenem Getränk –, ›werter Herr‹ sagte ich zu ihm, ›Sie standen im Jahre 14 der Fälschung angeklagt vor dem Geschworenengericht in Lancaster.‹

›Und wurde freigesprochen, Herr! Die Vorsehung brachte meine Unschuld an den Tag,‹ sagte Wapshot.

›Aber in der Anklage wegen Veruntreuung im Jahre 16, Herr,‹ fuhr ich fort, ›wurden Sie nicht freigesprochen, sondern zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, die Sie dann im Stockhause zu Neuyork verbüßten.‹ Ich kannte nämlich die Geschichte des Burschen genau, denn ich hatte einen Verhaftsbefehl gegen ihn zu vollstrecken gehabt, während er Prediger in Clifton war. Ich verfolgte meinen Vorteil nun gleich weiter. ›Herr Wapshot,‹ sagte ich, ›Sie machen einer hochachtbaren Dame, die sich gegenwärtig in Herrn Broughs Hause befindet, den Hof – und wenn Sie nicht versprechen, sofort alle Pläne in bezug auf dieselbe aufzugeben, müßte ich Sie entlarven.‹

›Das habe ich ja schon versprochen.‹ sagte Wapshot etwas erstaunt, aber sichtlich beruhigter, ›ich habe Herrn Brough, der heut' morgen gerade bei mir war und alles vom Himmel herunterfluchte, bereits mein feierliches Versprechen gegeben. Oh, Herr Smithers, Sie würden entsetzt gewesen sein, einen Christenmenschen wie ihn so fluchen zu hören.‹

›Herr Brough war hier?‹ fragte ich etwas erstaunt.

›Ja, und ich vermute. Sie verfolgen alle beide dieselbe Fährte,‹ sagte Wapshot. ›Sie wollen doch die verwitwete Besitzerin von Slopperton und Squashtail heiraten, nicht wahr? Nun, nun, ich stehe Ihnen nicht im Wege. Ich habe versprochen, mich nicht mehr um die Witwe zu kümmern, und das Ehrenwort eines Wapshot ist heilig.‹

›Vermutlich, Sir,‹ sagte ich, ›hat Herr Brough Ihnen gedroht, Sie aus dem Hause zu werfen, wenn Sie sich noch einmal sehen lassen.‹

›Ich höre, daß Sie bei ihm gewesen sind,‹ sagte der ehrwürdige Herr, die Achseln zuckend. ›Und dann erinnerte ich mich daran, was Sie mir von Ihrem erbrochenen Siegel Ihres Briefes mitgeteilt hatten, und hegte nicht den geringsten Zweifel mehr, daß Brough ihn absichtlich geöffnet und jedes Wort gelesen hatte.

Nun, der erste Vogel war abgeschossen, Brough und ich hatten gleichzeitig unsern Schuß getan. Jetzt mußte ich die ganze Rookery aufs Korn nehmen, und ich zog ab, mit Pulver und Blei versehen, Sir – mit Pulver und Blei versehen.

Es war acht Uhr vorüber, als ich dort ankam, und kaum hatte ich das Torwärterhäuschen passiert, so sah ich einer im Garten auf und ab wandelnden bekannten Gestalt ins Auge – es war Ihre verehrte Tante, Sir; aber ehe ich sie sprach, wollte ich die liebenswürdigen Damen des Hauses aufsuchen, denn merken Sie auf, Freund Titmarsh, ich hatte aus Frau Hoggartys Brief ersehen, daß sie wie Hund und Katze zusammenstanden, und hoffte, sie durch einen Streit mit ihnen sofort aus dem Hause zu bringen.«

Ich lachte und gestand zu, daß Herr Smithers ein verteufelt schlauer Bursche war.

»Das Glück wollte,« fuhr er fort, »daß sich Fräulein Brough im Gesellschaftszimmer befand und entsetzlich falsch zur Gitarre sang; aber als ich in die Tür trat, rief ich dem Diener so laut als möglich ein ›Still doch‹ zu, worauf ich erst eine Weile wie festgebannt still stand und dann auf den Zehen leise vorwärts schlich. Fräulein Brough konnte im Spiegel jede meiner Bewegungen beobachten, aber sie gab sich doch den Anschein, als sähe sie mich nicht, und beendigte ihren Gesang mit einer regelrechten Roulade.

›Verzeihen Sie!‹ sagte ich, ›bitte, Fräulein, verzeihen Sie mir, daß ich diese köstliche Musik unterbreche, – daß ich unangemeldet eindrang und ohne Erlaubnis diesen entzückenden Tönen zu lauschen wagte.‹«

›Wollen Sie zu Mama, mein Herr?‹ sagte Fräulein Brough mit so freundlicher Miene, als ihr Gesicht immer nur annehmen konnte. ›Ich bin Fräulein Brough, Sir.‹

›Ich wünschte, mein Fräulein, daß Sie mir gestatten, so lange von dem Geschäft, das mich hierher geführt, zu schweigen, bis Sie noch ein zweites so zauberhaftes Lied gesungen haben.‹

Sie sang zwar nicht, aber sie sah geschmeichelt aus und sagte: ›Mein Herr, was führt Sie hierher?‹

›Ich komme wegen einer Dame, die sich als Gast unter dem Dache Ihres verehrten Vaters befindet.‹

›Oh, Frau Hoggarty!‹ sagte Fräulein Brough, zur Klingel eilend. ›John, sagen Sie zu Frau Hoggarty, die Dame ist im Garten, ein Herr sei hier, der sie zu sprechen wünsche.‹

›Ich kenne Frau Hoggartys Eigenheiten, so gut wie einer, mein gnädiges Fräulein,‹ fuhr ich fort, und weiß, daß diese und ihre Erziehung nicht geeignet sind, sie zu einer passenden Gesellschaft für eine junge Dame wie Sie, zu machen, ich weiß auch, daß Sie eine Abneigung gegen sie haben, sie hat uns das nach Sommersetshire geschrieben.‹

›Wie, Sie hat uns ihren Freunden gegenüber bloßgestellt?‹ rief Fräulein Brough (das war gerade der Punkt, an dem ich sie haben wollte). ›Wenn es ihr bei uns nicht gefällt, warum verläßt sie unser Haus nicht?‹

›Sie hat ihren Besuch allerdings ziemlich lange ausgedehnt,‹ sagte ich, ›und ich bin überzeugt, daß ihre Nichte und ihr Neffe sie mit Sehnsucht erwarten. Bitte, gnädiges Fräulein, bleiben Sie ruhig, denn Sie können mir in der Angelegenheit, die mich herführt, helfen.‹

»Die Angelegenheit, die mich herführte, Herr Titmarsh, war meine Absicht, eine regelrechte offne Schlacht zwischen den beiden Damen zu eröffnen, worauf ich zum Schluß der Frau Hoggarty dringend zu sagen beabsichtigte, daß sie wirklich nicht länger in einem Hause bleiben solle, mit dessen Mitgliedern sie in so unseliger Zwietracht lebe. Und die offne Schlacht fand wirklich statt, – Fräulein Belinda eröffnete das Feuer, indem sie äußerte, sie hätte gehört, Frau Hoggarty habe sie ihren Freunden gegenüber verleumdet. Und zu Ende des Auftritts stürzte das Fräulein in voller Wut aus dem Zimmer und versicherte, lieber wolle sie selber ihr väterliches Haus verlassen, wenn dieses widerwärtige Weib nicht hinauskäme. Ihre liebe Tante antwortete: ›Ha, ha! Ich kenne die gemeinen Pläne dieser Kreatur, aber, dem Himmel sei Dank, ich habe ein gutes Herz, und meine Religion läßt mich ihr verzeihen. Ich werde ihres vortrefflichen Vaters Haus nicht verlassen und den würdigen, herrlichen Mann nicht durch mein Weggehen kränken.‹

Nun versuchte ich, Frau Hoggarty durch ihr Mitgefühl zu beeinflussen. ›Ihre Nichte, Frau Titmarsh, Madame,‹ meinte ich, ›ist kürzlich, wie Sam sagt, recht unwohl gewesen, – Uebelkeit am Morgen, Madame, – ein bißchen Nervosität und Niedergeschlagenheit, – Symptome, Madame, über die man sich bei jungverheirateten Frauen kaum täuschen kann.‹

Frau Hoggarty entgegnete, sie besitze ein vortreffliches Mittel dagegen, das sie Frau Samuel Titmarsh senden wolle, und das dieser nach ihrer festen Ueberzeugung gut tun werde.

Trotz meinem Widerstreben sah ich mich nun gezwungen, meine letzte Reserve ins Feld rücken zu lassen, und jetzt, nachdem so lange Zeit über die Sache hingegangen ist, kann ich es Ihnen auch anvertrauen, Sam, mein Junge: ›Madame,‹ sagte ich, ›noch eine Sache muß ich erwähnen, obwohl ich es wirklich kaum wage. Ich speiste gestern mit Ihrem Neffen und traf an seinem Tische einen jungen Mann – einen jungen Mann von geringer Bildung, der es aber dem Anschein nach nicht nur vermocht hat, Ihren Neffen zu täuschen, sondern dem es, wie ich noch vielmehr fürchte, auch gelungen ist, Eindruck auf Ihre Nichte zu machen. Sein Name ist Hoskins, Madame, und wenn ich Ihnen sage, daß dieser Mensch, welcher während Ihrer Anwesenheit dort nicht ins Haus kam, jetzt binnen drei Wochen sechzehnmal bei Ihrem allzu vertrauensvollen Neffen gespeist hat, so können Sie vielleicht ahnen, was ich selbst nicht – was ich selbst nicht auszudenken wage.‹

Dieser Schuß traf. Ihre Tante sprang sofort auf und befand sich nach zehn Minuten in meinem Wagen auf dem Rückwege nach London. War das nicht ein Hauptcoup Titmarsh?«

»Und Sie nahmen nicht Anstand, diesen netten Streich auf Kosten meiner Frau auszuführen, Herr Smithers,« sagte ich.

»Freilich auf Kosten Ihrer Frau, aber zu Nutz und Frommen Ihrer beider.«

»Ein Glück, Herr, daß Sie ein alter Mann sind,« entgegnete ich, »und daß die Sache vor zehn Jahren passiert ist, oder, bei Gott, Herr Smithers, ich würde Ihnen eine solche Tracht Hiebe verabfolgt haben, wie sie Ihnen noch nicht vorgekommen ist!«

Auf diese Weise war also Frau Hoggarty zu ihren Verwandten zurückgebracht worden, und dies war die Ursache, warum wir das Haus in Bernard Street mieteten, in dem sich dann zutrug, was ich weiter erzählen will.


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