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Eine gute Frau ist der beste Diamant, den ein Mann an seiner Brust tragen kann
»Madam Titmarsh,« sagte Frau Stokes zu meiner Mutter, »ehe ich Ihre Neugier befriedige, Madam, gestatten Sie mir, zu bemerken, daß Engel selten sind, und daß es selten einen, noch viel weniger zwei in einer Familie gibt. Aber Ihr Sohn und Ihre Schwiegertochter, Madam, sind von dieser seltnen Art, sie sind es wirklich, ganz wirklich, Madam.«
Meine Mutter entgegnete, sie danke Gott für uns beide, und Frau Stokes fuhr fort: –
»Als das Begräb– die Zeremonie diesen Morgen vorüber war, Madam, trat Ihre arme Schwiegertochter freundlich in mein bescheidenes Zimmer, Madam, und weinte sich aus und erzählte tausend Geschichtchen von dem kleinen dahingegangenen Cherub. Guter Gott! er war kaum einen Monat alt, und niemand sollte gedacht haben, daß er in dieser kurzen Zeit schon alles das getan haben könnte. Aber die Augen einer Mutter sehen scharf, Madam, und ich hatte ja gerade solchen kleinen Engel, meinen lieben kleinen Anton, der vor Jemima geboren wurde und der, wenn er in dieser bösen Welt geblieben wäre, nun dreiundzwanzig Jahr alt wäre, Madam. Aber von ihm wollte ich ja nicht sprechen, Madam, sondern von dem, was geschehen ist.
Also, Sie müssen wissen, Madam, daß Frau Titmarsh unten blieb, während Herr Samuel mit seinem Freunde, Herrn Hoskins, sprach; und das arme Wesen wollte keinen Bissen zu Mittag essen, obwohl wir unser Bestes gegeben hatten; nach Tisch erst brachte ich sie mit Mühe dazu, ein wenig Wein und Wasser zu nehmen und eine geröstete Brotschnitte hineinzutauchen. Es war der erste Bissen, den sie nach langen, langen Stunden über ihre Lippen brachte, Madam.
Nun, sie wollte auch nicht sprechen, und ich hielt es für das beste, sie nicht zu stören, denn sie saß da und blickte auf meine beiden Jüngsten, die auf dem Teppich spielten, und gerade als Herr Titmarsh und sein Freund Gus ausgingen, brachte der Knabe die Zeitung, Madam – sie kommt immer zwischen drei und vier, und ich fing an, sie zu lesen. Aber ich kam nicht recht weiter, denn ich dachte immer an des armen Herrn Sams trauriges Gesicht beim Fortgehen und an die traurige Geschichte, die er mir von seinen schlechten Geldverhältnissen erzählt hatte, und so hörte ich alle Augenblicke mal auf zu lesen und bat Frau Titmarsh, sich nicht so zu grämen, und erzählte ihr ein paar Geschichtchen von meinem lieben kleinen Anton.
›Ach!‹ sagte sie schluchzend, und blickte auf die Kleinen, ›Sie haben noch andere Kinder, Frau Stokes; aber dies – dies war mein einziges;‹ und damit warf sie sich in ihren Stuhl zurück und weinte, als ob ihr das Herz brechen sollte, und ich wußte, daß das Weinen ihr gut tun würde, und nahm darum meine Zeitung wieder vor, die Morning Post, Madam – ich lese sie immer, denn ich erfahre gern, was im West-End vorgeht.
Das allererste, worauf meine Augen fielen, war dies: ›Sofort eine respektable Person als Amme gesucht. Zu melden in Nr. – Grosvenor Square.‹ ›Guter Gott, steh' uns bei!‹ sagte ich, ›da ist die arme Lady Tiptoff krank;‹ denn ich kannte die Adresse Ihrer Ladyschaft und wußte, daß sie an eben demselben Tage wie Frau Titmarsh niedergekommen war, und daher kennt Ihre Ladyschaft auch meine Adresse, denn sie hat hier vorgesprochen.
Ein plötzlicher Gedanke schoß mir durch den Kopf. ›Meine liebe Frau Titmarsh,‹ sagte ich, ›Sie wissen, wie arm und wie gut Ihr Mann ist.‹
›Ja,‹ entgegnete sie etwas erstaunt.
›Nun, liebe Frau Titmarsh,‹ sagte ich und sah ihr scharf ins Gesicht, ›Lady Tiptoff, die ihn kennt, braucht eine Amme für ihren Sohn, Lord Poynings. Wollen Sie eine brave Frau sein, sich um die Stelle bewerben und vielleicht einen Ersatz für das Kindchen gewinnen, das Ihnen der liebe Gott genommen hat?‹
Sie begann zu zittern und rot zu werden, und dann erzählte ich ihr, was Sie, Herr Sam, mir neulich von Ihren Geldangelegenheiten gesagt hatten, und noch kaum hatte sie es zu Ende gehört, als sie schon nach ihrem Hut lief und mir zurief: ›Kommen Sie, kommen Sie‹; und in fünf Minuten hing sie an meinem Arm, und wir gingen zusammen nach dem Grosvenor Square. Die Luft tat ihr nichts, Herr Sam, und während des ganzen Weges weinte sie nur ein einziges Mal, und das war, als sie ein Mädchen mit Kindern auf dem Platze sah.
Ein großer Mensch in Livree öffnete die Tür und sagte: ›Sie sind die Fünfundvierzigste, die wegen dieser Stelle kommt, aber beantworten Sie mir vorläufig nur eine Frage: Sind Sie eine Irländerin?‹
›Nein,‹ sagte Frau Titmarsh.
›Das genügt,‹ sagte der Mensch in Plüschhose; ›ich höre es an Ihrem Akzent. Gehen Sie gefälligst hier herauf, meine Damen. Sie werden noch eine andere Bewerberin für die Stelle dort oben finden, und dreiundvierzig Bewerberinnen habe ich schon fortgeschickt, weil sie Irländerinnen waren.‹
Wir wurden nun über sehr weiche Teppiche die Treppe hinauf in ein Zimmer geführt, und eine alte Dame, die dort war, sagte uns, wir möchten sehr leise sprechen, denn Mylady wäre nur zwei Zimmer von uns entfernt. Und als ich fragte, wie das Baby und Ihre Ladyschaft sich befänden, sagte die alte Dame mir, es ginge beiden recht gut, nur hätte der Doktor gesagt, Lady Tiptoff sei zu zart, um länger nähren zu können, und daher wäre eine Amme für nötig erklärt worden.
Noch eine andre junge Frau war in dem Zimmer – ein großes, stattliches Frauenzimmer, wie man je nur eines sah – die Frau Titmarsh und mich sehr ärgerlich und verächtlich ansah, und meinte: ›Ich habe einen Brief von der Herzogin mitgebracht, deren Tochter ich genährt habe, und ich glaube, Frau Blenkinsop, Mylady Tiptoff kann lange suchen, ehe sie eine zweite Amme wie mich findet. Ich messe fünf Fuß, sechs Zoll, habe die Kinderblattern gehabt, bin an einen Korporal der Leibgarde verheiratet, bin vollkommen gesund, habe die besten Zeugnisse, trinke nur Wasser, und Nahrung, Madam, hab' ich für sechse genug.‹
Als die Frau eben diese Rede hielt, kam ein kleiner Herr in Schwarz, der wie auf Sammetsohlen ging, aus dem Nebenzimmer herein. Die Frau stand auf, machte ihm einen tiefen Knix, kreuzte die Arme über ihrer vollen breiten Brust und wiederholte die Rede, die sie gerade eben gehalten hatte. Frau Titmarsh stand nicht von ihrem Stuhle auf, sondern machte ihm nur eine leichte Verbeugung, was ich wirklich für eine Unschicklichkeit hielt, denn der Herr war offenbar der Arzt. Er sah sie prüfend an und meinte: ›Nun, liebe Frau, sind Sie auch der Stelle wegen gekommen?‹
›Jawohl, Herr,‹ sagte sie errötend.
›Sie scheinen sehr zart zu sein. Wie alt ist Ihr Kind? Wieviele haben Sie gehabt? Was für Zeugnisse haben Sie?‹
Ihre Frau antwortete keine Silbe, und so trat ich vor und sagte: ›Werter Herr,‹ sagte ich, ›diese Dame hat eben ihr erstes Kind verloren und ist es nicht gewöhnt, sich nach einer Stellung umzusehen, denn sie ist die Tochter eines Seekapitäns; darum werden Sie auch ihren Mangel an Manieren entschuldigen, und daß sie nicht aufstand, als Sie hereintraten.‹
Der Doktor setzte sich zu ihr und fing an, sehr freundlich mit ihr zu sprechen; er sagte, er fürchte, ihre Bemühung würde ohne Erfolg sein, da Frau Horner von der Herzogin von Doncaster, einer Verwandten von Lady Tiptoff, sehr dringend empfohlen worden wäre; und bald kam auch Mylady selbst; sie sah sehr hübsch aus und trug ein elegantes Spitzenhäubchen und ein Negligée von weißem, weichem Musselin.
Eine Wärterin folgte Ihrer Ladyschaft, und während Mylady mit uns redete, ging jene, ein weißes Ding auf ihren Armen tragend, im Nebenzimmer auf und ab.
Zuerst sprach Mylady mit Frau Horner und danach mit Frau Titmarsh, aber während des ganzen Gesprächs blickte Frau Titmarsh unverwandt und, wie mir schien, etwas unhöflich in das Nebenzimmer und sah nach nichts anderm als nach dem Kinde dort. Mylady fragte sie nach ihrem Namen und ob sie ein Zeugnis hätte, und da sie nicht antwortete, so sprach ich für sie und erzählte, sie sei die Frau eines der besten Männer von der Welt, und Ihre Ladyschaft kenne den Mann auch und habe ihm einmal eine Hirschkeule gebracht. Da machte Lady Tiptoff ein sehr erstauntes Gesicht, und ich erzählte ihr nun die ganze Geschichte, daß Sie erster Kommis gewesen wären, und daß Brough, dieser Schuft, Sie zugrunde gerichtet hätte. ›Arme kleine Frau!‹ sagte Mylady; Frau Titmarsh antwortete nicht, sondern sah nur immerfort das Kind an, und der große, dicke Grenadier Frau Horner warf ganz ärgerliche Blicke auf sie.
›Armes Frauchen!‹ sagte Mylady wieder und nahm Frau Titmarsh sehr freundlich bei der Hand, ›Sie scheint noch sehr jung zu sein. Wie alt sind Sie denn, meine Liebe?‹
›Fünf Wochen und zwei Tage!‹ sagte Ihre Frau schluchzend.
Frau Horner lachte laut auf, aber Lady Tiptoff hatte eine Träne im Auge, denn sie wußte, woran das arme Ding dachte.
›Schweigen Sie still, Sie!‹ sagte sie ärgerlich zu dem großen Grenadierweibe, und in diesem Augenblick fing das Kind im Nebenzimmer zu weinen an.
Kaum hörte Ihre Frau diesen Laut, als sie von ihrem Stuhl aufsprang, einen Schritt vorwärts tat, beide Hände auf die Brust drückte und sagte: ›Das Kind – das Kind – geben Sie mir das Kind!‹ Dann fing sie wieder zu schluchzen an.
Mylady sah sie einen Augenblick an, dann eilte sie in das Nebenzimmer und brachte ihr das Kind, und der Kleine schmiegte sich an sie, als ob er sie kenne. Es war ein schöner Anblick, das liebe Frauchen mit dem Kinde an der Brust zu sehen.
Als Mylady das sah, was meinen Sie wohl, was sie da tat? Nachdem sie ein Weilchen zugesehen hatte, schlang sie ihre Arme um den Hals Ihrer Frau und küßte sie.
›Meine Liebe,‹ sagte sie, ›ich bin überzeugt, Sie sind ebenso gut wie hübsch, und Sie sollen auch das Kind behalten, und ich danke Gott, daß er Sie mir geschickt hat!‹
Das waren ihre eignen Worte, und Dr. Bland, der dabei stand, sagte: ›Das ist ein zweites Urteil Salomonis!‹
›Ich glaube, Mylady, Sie brauchen mich nun nicht?‹ sagte die große Frau mit einem abermaligen Knix.
›Nein, durchaus nicht!‹ erwiderte Mylady von oben herab, und der Grenadier verließ das Zimmer; dann erzählte ich noch einmal lang und breit Ihre ganze Geschichte, und Frau Blenkinshop behielt mich zum Tee, und ich sah das herrliche Zimmer, das Frau Titmarsh neben dem von Lady Tiptoff bewohnen soll, und als Mylord nach Haus kam, was tat er da wohl? Er bestand darauf, mit mir in einer Droschke hierher zurückzufahren; denn er behauptete, er müsse sich bei Ihnen entschuldigen, weil er Ihre Frau zurückbehalte.«
Ich konnte nicht umhin, in meinen Gedanken dieses seltsame Ereignis, das uns inmitten unsrer Sorgen Trost brachte und uns in unsrer Armut Brot gab, mit der Diamantnadel in Verbindung zu bringen, und bildete mir ein, der Verlust des Schmuckstückes habe vielleicht meiner Familie ein anderes und besseres Glück gebracht, als sein Besitz. Und wenn auch manche von den Lesern dieser Geschichte mich einen erbärmlichen Burschen nennen mögen, weil ich meiner Frau, die als Dame erzogen war und selbst hätte Bedienung haben müssen, erlaubte, in den Dienst andrer Leute zu treten, so muß ich doch gestehen, daß ich keinen Augenblick Zweifel oder Gewissensbisse darüber empfand. Ist es nicht ein Glück, sich einem Menschen verpflichtet zu fühlen, den man liebt? Und dies empfand ich. Ich war stolz und glücklich, denken zu können, daß meine liebe Frau imstande war, Brot für uns beide zu erwerben, jetzt, wo das Unglück mich außerstand gesetzt hatte, mich und sie zu erhalten.
Und nun will ich, anstatt irgendwelche Betrachtungen über den Nutzen des Schuldgefängnisses anzustellen, meinen Lesern anempfehlen, das wundervolle Kapitel in den Pickwickiern zu studieren, worin dasselbe Thema behandelt und nachgewiesen wird, wie töricht es ist, ehrliche Menschen gerade in dem Augenblicke der Mittel zur Arbeit zu berauben, wo sie ihrer am meisten bedürfen. Was konnte ich tun? Es gab im Gefängnis einen oder zwei Menschen, die imstande waren, zu arbeiten (Schriftsteller, – der eine schrieb hier über seine Reisen in Mesopotamien, und der andre Skizzen über Subskriptionsbälle); aber ich konnte keine andre Beschäftigung finden, als die Bridge Street hinab und dann wieder hinauf zu wandern, in Alderman Waithmans Fenster zu starren und dann den Neger anzusehen, der den Straßenübergang fegte. Ich gab ihm niemals etwas, aber ich neidete ihm sein Handwerk und seinen Besen und das Geld, das immerzu in seinen alten Hut fiel. Aber mir war ja nicht einmal vergönnt, den Besen zu führen.
Zwei- oder dreimal – denn Lady Tiptoff wünschte nicht, daß ihr Söhnchen oft die Luft eines so eingeschlossenen Platzes wie Salisbury Square atmen sollte – kam meine geliebte Mary in rollender Equipage, um mich zu sehen. Das war dann ein süßes Zusammensein, und – um die Wahrheit zu sagen – zweimal, als niemand dabei war, sprang ich in den Wagen und machte eine Fahrt mit ihr; und wenn ich sie dann nach Haus gebracht hatte, sprang ich in eine Droschke und fuhr zurück. Aber dies geschah nur zweimal, denn die Sache war gefährlich und konnte mir Unannehmlichkeiten bereiten, und überdies kostete die Fahrt von Grosvenor-Square bis Ludgate Hill drei Schillinge.
Dort leistete inzwischen meine gute Mutter mir Gesellschaft. Und was lasen wir eines Tages? Die Anzeige von der Verheiratung der Frau Hoggarty mit Seiner Ehrwürden Herrn Grimes Wapshot! Meine Mutter, die Frau Hoggarty nie gern gehabt hat, sagte jetzt, sie müsse all ihr Lebtag bereuen, daß sie mir erlaubt habe, so viel Zeit an diese abscheuliche, undankbare Frau zu verschwenden, und fügte hinzu, wir beide hätten die gerechte Strafe bekommen für unsre Anbetung des goldenen Kalbes und für das Verleugnen unserer natürlichen Gefühle um meiner Tante schnöden Geldes willen. Nun, ich sagte: »Amen! Dies ist das Ende all unsrer schönen Pläne! Das Geld meiner Tante und der Diamant meiner Tante waren die Ursachen meines Ruins, und jetzt ist beides, Gott sei Dank! für immer dahin, und ich hoffe, daß die alte Dame glücklich sein wird, denn ich muß gestehen, ich beneide den ehrwürdigen Grimes Wapshot nicht.« So schlugen wir uns denn Frau Hoggarty aus unsern Gedanken und richteten uns so bequem ein wie möglich.
Reiche und vornehme Leute nehmen sich mehr Zeit, ihre Kinder Christen werden zu lassen, als wir Armen, und so wurde denn auch der kleine Lord Poynings erst im Monat Juni getauft. Der eine Pate war ein Herzog, Herr Edward Preston, der Staatssekretär war, der andre, und die liebe Lady Jane Preston, von der ich früher erzählt habe, war Patin bei ihrem Neffen. Sie hatte längst von der Geschichte meiner Frau gehört, und sowohl sie als auch ihre Schwester hatten Mary herzlich lieb und waren sehr gütig zu ihr. In der Tat gab es im Hause keinen einzigen Menschen, hoch oder niedrig, der nicht für das gute, sanfte Geschöpf eingenommen gewesen wäre, und sogar die Lakaien bedienten sie so willig, als ob sie ihre Herrin gewesen wäre.
»Ich will Ihnen was sagen, Herr Titmarsh,« sagte einer von ihnen, »sehen Sie, Tit, ich bin Kenner und weiß, was 'ne Sache ist; und wenn ich je in meinem Leben 'ne Lady gesehen habe, so ist es Frau Titmarsh. Man kann sich nicht familiär mit ihr machen – ich habe es versucht –«
»So, haben Sie das?« fragte ich.
»Sehen Sie mich doch nicht so grimmig an! Ich meine nur, man kann nicht so mit ihr umgehen, wie etwa mit Ihnen. Sie hat so ein gewisses Etwas, das einen nicht näher kommen läßt, Herr Titmarsh! Und sogar Mylords Kammerdiener, der so viel Erfolge gehabt hat wie nur je ein Gentleman in ganz Europa – auch er sagte neulich, er wolle verdammt sein –«
»Herr Charles,« sagte ich, »bestellen Sie doch dem Kammerdiener Sr. Lordschaft, er solle sich, wenn ihm sein Platz und seine gesunden Knochen lieb seien, nicht unterstehen, ein einziges Wort zu dieser Dame zu sagen, das ein Diener nicht in Gegenwart seiner Herrin äußern dürfte, und merken Sie sich, daß ich ein Gentleman bin, wenn auch ein armer, und daß ich den ersten, der ihr nahe tritt, kalt mache!«
Herr Charles sagte nur: »Mein Himmel!« dazu, aber bah! indem ich mit meinem eignen Mut prahle, vergaß ich zu sagen, welch großes Glück mir um meines lieben Weibes willen zuteil wurde.
Am Tauftage bot Herr Preston ihr zuerst eine Fünf- und dann eine Zwanzigpfundnote, aber sie schlug beide aus; aber sie lehnte ein Geschenk nicht ab, das die beiden Damen zusammen ihr machten, und dies war kein anderes, als meine Befreiung aus dem Fleetgefängnisse. Lord Tiptoffs Anwalt bezahlte alle meine Schulden, und dieser glückliche Tauftag machte mich zum freien Manne. Oh! wer beschreibt das Glück dieses Tages und das heitere Mittagessen, das wir auf Marys Zimmer in Lord Tiptoffs Hause einnahmen, worauf Mylord und Mylady hineinkamen, um mir die Hand zu schütteln.
»Ich habe mit Preston gesprochen,« sagte Mylord, »mit dem Herrn, mit dem Sie jenen denkwürdigen Streit hatten, und er hat Ihnen verziehen, obgleich er im Unrecht war, und hat versprochen, etwas für Sie zu tun. Wir gehen demnächst nach seiner Besitzung in Richmond, und verlassen Sie sich darauf, Herr Titmarsh, ich werde dafür sorgen, daß er Sie nicht vergißt.«
»Das wird schon Frau Titmarsh tun,« sagte Mylady, »denn Edmund ist ganz bezaubert von ihr!« Und Mary errötete, und ich lachte, und wir waren alle sehr glücklich, und wirklich erhielt ich auch ein Schreiben aus Richmond, welches mir anzeigte, daß ich zum vierten Beamten im Bureau des Bindfaden- und Siegellackamtes mit einem Jahresgehalt von 80 Pfd. ernannt sei.
Hier sollte meine Erzählung vielleicht schließen, denn ich war endlich glücklich geworden und habe seitdem, Gott sei Dank! niemals wieder Mangel kennen gelernt, aber Gus besteht darauf, ich solle noch berichten, wie und aus welchem Grunde ich den Platz im Bindfaden- und Siegellackamte wieder aufgab. Die vortreffliche Lady Jane Preston ist ja längst heimgegangen, und Herr Preston ist an einem Schlaganfalle gestorben, und so ist's wohl kein Unrecht, wenn ich den Vorgang erzähle.
Die Sache war nämlich die, daß sich Herr Preston viel ernstlicher in Mary verliebt hatte, als jemand von uns sich gedacht hatte; denn ich bin überzeugt, er hatte seinen Schwager nur nach Richmond eingeladen, um der Amme seines Neffen den Hof zu machen. Als ich nun eines Tages eilig dorthin kam, um ihm für die mir verschaffte Stelle zu danken, und von Herrn Charles in die »Flußbüsche«, wie er es nannte, verwiesen wurde, – fand ich, so wahr ich lebe, Herrn Preston auf dem Kieswege kniend, und vor ihm stand Mary, die den kleinen Lord auf ihrem Arm trug.
»Geliebtes Wesen!« sagte Herr Preston, »erhören Sie mich doch, und ich mache Ihren Mann zum Konsul in Timbuctu! Er soll niemals etwas davon erfahren, das versichere ich Ihnen, er kann niemals etwas davon erfahren. Ich gebe Ihnen mein Wort als Kabinettsminister darauf! Oh, sehen Sie mich doch nicht so spöttisch an! Beim Himmel, Ihre Augen bringen mich um!«
Als Mary mich erblickte, brach sie in ein helles Lachen aus und lief den Abhang hinab, und der kleine Lord fing auch an laut zu krähen und streckte seine fetten Patschhändchen in die Luft. Herr Preston, der ein schwerfälliger Mann war, richtete sich langsam auf und machte, als er mich erblickte, ein Gesicht, so drohend wie der feuerspeiende Krater des Aetna, – er trat zurück, verlor das Gleichgewicht und rollte in das Wasser hinab, das den Garten begrenzte. Es war nicht tief, zum Glück, und er tauchte sogleich prustend und hustend, ebenso erschrocken wie wütend, wieder auf.
»Sie verd… undankbarer Halunke!« sagte er, »was haben Sie da zu stehen und zu lachen?«
»Ich erwarte Ihre Befehle für Timbuctu, Herr,« sagte ich, mich vor Lachen ausschüttend, und Mylord Tiptoff und seine Gesellschaft, die auf dem Rasenplatz zu uns stießen, taten dasselbe, und James, der Lakai, sprang herzu und half Herrn Preston aus dem Wasser.
»O du alter Sünder!« rief Mylord, als sein Schwager den Abhang hinaufkletterte. »Wird dein Herz denn ewig so flatterhaft bleiben, du romantischer, apoplektischer, unmoralischer Mensch?«
Herr Preston eilte, ging blau vor Wut davon und quälte seine Frau den ganzen Monat hindurch.
»Jedenfalls«, sagte Mylord, »hat Titmarsh der unglücklichen Neigung unseres Freundes eine Stelle zu verdanken, und da Frau Titmarsh ihren Verehrer nur ausgelacht hat, so ist ja niemandem ein Schaden geschehen. Es ist ein böser Wind, der niemandem was Gutes zuweht, wie das Sprichwort sagt.«
»Ein Wind, Mylord, der aber auch mir, bei allem gebührenden Respekt vor Ew. Lordschaft, nichts Gutes zuführen soll. Ich habe in den vergangenen zwei Jahren gelernt, was es heißt, sich Freunde mit dem ungerechten Mammon machen, und daß aus solchen Freundschaften am Ende für rechtschaffene Menschen nichts Gutes herauskommt. Man soll niemals sagen, daß Sam Titmarsh eine Stellung bekam, weil ein vornehmer Mann in seine Frau verliebt war, und wäre diese Stelle zehnmal einträglicher, ich würde jeden Tag erröten müssen, wenn ich beim Eintritt in das Bureau an die gemeinen Mittel dächte, durch die mein Glück begründet wurde. Sie haben mich frei gemacht, Mylord, und Gott sei Dank habe ich Lust zur Arbeit. Ich kann mit Hilfe meiner Freunde leicht eine Stellung als Kommis finden, und mit dieser und dem Einkommen meiner Frau können wir rechtschaffen vor den Augen der Welt leben.«
Diese etwas lange Rede sprach ich mit einiger Lebhaftigkeit, denn, sehen Sie, ich war gar nicht übermäßig davon erbaut, daß Se. Lordschaft mich für fähig halten konnte, in irgendeiner Weise mit der Schönheit meiner Frau zu spekulieren.
Mylord wurde erst rot und machte ein ziemlich ärgerliches Gesicht, aber dann reichte er mir seine Hand und sagte: »Sie haben recht, Titmarsh, und ich habe unrecht; und ich will Ihnen auch im Vertrauen sagen, daß ich Sie für einen sehr braven Menschen halte. Sie sollen durch Ihre Bravheit nicht zu Schaden kommen, das verspreche ich Ihnen.«
Und so geschah es, denn zur Stunde bin ich Lord Tiptoffs Verwalter und rechte Hand; und bin ich nicht außerdem ein glücklicher Vater, und ist meine Frau nicht in der ganzen Gegend geliebt und geachtet, und ist Gus Hoskins nicht mein Schwager, Teilhaber von seines vortrefflichen Vaters Ledergeschäft und das Entzücken all seiner Neffen und Nichten wegen seiner Schwänke und Schnurren?
Was Herrn Brough betrifft, so würde die Geschichte dieses Herrn allein einen Band füllen. Seit er aus der Londoner Gesellschaft verschwand, ist er auf dem Kontinent berühmt geworden, wo er tausend Rollen gespielt und alle Wechselfälle des Glücks durchgemacht hat. Eines wenigstens muß man an dem Manne bewundern, nämlich seinen unerschütterlichen Mut, und ich kann mich, wie ich schon früher gesagt habe, der Vermutung nicht erwehren, daß etwas Gutes an ihm sein muß, wenn man sieht, wie treu seine Familie an ihm hängt. Von Roundhand möchte ich nur im Vorbeigehen sprechen. Der Prozeß Roundhand-Tidd ist noch in jedermanns Gedächtnis, aber ich werde nie begreifen können, was Bill Tidd, der doch so poetisch war, an solchem dicken, abscheulichen, gemeinen Weibe wie Frau Roundhand, die alt genug war, seine Mutter sein zu können, für Gefallen fand.
Sobald es uns wieder gut ging, machten Herr und Frau Grimes Wapshot Versuche, sich mit uns auszusöhnen, und Herr Wapshot teilte mir offen mit, wie gemein Herr Smithers sich in der Broughschen Angelegenheit benommen. Smithers hatte auch einmal, als ich nach Sommersetshire kam, den Versuch gemacht, sich mir zu nähern; aber ich wies, wie schon gesagt, all seine Versuche kurz ab. »Er war es,« sagte Herr Wapshot, »der Frau Grimes (damals noch Frau Hoggarty) veranlaßte, West-Diddleser-Aktien zu kaufen, weil er natürlich eine sehr bedeutende Provision für sich selbst erhielt. Aber sobald er fand, daß Frau Hoggarty in Herrn Broughs Hände gefallen war, und daß er die Einnahme verlieren sollte, die er aus den Prozessen mit ihren Pächtern und aus der Verwaltung ihrer Ländereien zog, beschloß er, sie von jenem Schurken Brough zu befreien, und kam zu diesem Zwecke nach London.« Herr Wapshot fügte hinzu: »Er wandte seine verleumderische Zunge auch gegen mich, aber es gefiel dem Himmel, seine gemeinen Pläne zu vereiteln. Zu den Verhandlungen, die auf Broughs Bankerott folgten, konnte Herr Smithers nicht erscheinen, denn sein eigener Anteil an den Geschäften der Gesellschaft wäre dann sicherlich aufgedeckt worden. Während seiner Abwesenheit von London wurde ich der Gatte – der glückliche Gatte Ihrer Tante. Aber, mein teurer Herr, obwohl ich das Werkzeug gewesen bin, Frau Wapshot der Gnade zuzuführen, kann ich es doch vor Ihnen nicht verhehlen, daß Frau Wapshot Fehler besitzt, die mein ganzer geistlicher Einfluß nicht auszurotten vermochte. Sie ist karg mit ihrem Gelde, lieber Herr – sehr karg; ich kann daher nicht den wohltätigen Gebrauch von ihrem Vermögen machen, wie ich als Geistlicher es tun sollte, denn sie paßt auf jeden Schilling auf und gibt mir nicht mehr als eine halbe Krone Taschengeld wöchentlich. Auch von sehr heftiger Gemütsart ist sie. Während des ersten Jahres unsrer Verbindung habe ich mit ihr gekämpft, ja, sie gezüchtigt; aber ihre Hartnäckigkeit behielt, wie ich bekennen muß, den Sieg. Ich mache ihr keine Vorstellungen mehr, sondern bin wie ein geduldiges Lamm in ihren Händen, und sie führt mich, wie sie mag.«
Herr Wapshot schloß seine Erzählung damit, daß er mich um eine halbe Krone anborgte (es war im Jahre 1832 im Sommersetkaffeehause am Strand, wo er mich aufsuchte), und ich sah ihn von dort in den gegenüberliegenden Branntweinladen gehen und nach einer halben Stunde vollständig betrunken von dort herauskommen und die Straßen entlang torkeln.
Er starb im nächsten Jahre, und seine Witwe, die sich Frau Hoggarty-Grimes-Wapshot von Castle Hoggarty nannte, erklärte, daß am Grabe dieses Heiligen aller irdische Groll vergessen sein sollte, und machte den Vorschlag, zu uns zu ziehen, natürlich gegen eine anständige Vergütung. Aber meine Frau und ich lehnten dieses Anerbieten respektvoll ab, und noch einmal änderte sie ihr Testament, das sie wiederum zu unsern Gunsten abgefaßt hatte, nannte uns undankbares Gesindel und gemästete Bedientenseelen und vermachte all ihr Hab und Gut den irischen Hoggartys. Aber als sie eines Tages meine Frau mit Lady Tiptoff im Wagen fahren sah und hörte, daß wir bei dem großen Ball auf Tiptoff Castle gewesen wären und daß ich auf dem Wege sei, ein reicher Mann zu werden, änderte sie ihren Plan noch einmal, ließ mich an ihr Sterbebett kommen und vermachte mir die Besitzungen Slopperton und Squathtail nebst ihren gesamten fünfzehnjährigen Ersparnissen. Friede ihrer Asche; sie hat mir wirklich ein recht hübsches Vermögen hinterlassen.
Obgleich ich nun selbst kein Schriftsteller bin, so behauptet doch mein Vetter Michael (der gewöhnlich, wenn er knapp bei Gelde ist, auf ein paar Monate zu uns kommt), daß meine Erinnerungen für das Publikum von einigem Nutzen sein könnten (ich fürchte fast, er meint damit sich selbst), und wenn es so ist, so soll es mich freuen, ihm und dem Publikum zu dienen, und damit nehme ich Abschied und bitte alle meine Leser, mit ihrem Gelde, wenn sie welches haben, vorsichtig umzugehen, und noch viel vorsichtiger mit dem Gelde ihrer Freunde; sie mögen daran denken, daß große Vorteile auch mit großem Risiko verbunden sind, und daß die erfahrenen großen Kapitalisten unseres Landes sich nicht mit vier Prozent für ihr Geld begnügen würden, wenn sie mit Sicherheit mehr bekommen könnten; vor allem warne ich meine Leser, sich nie in irgendwelche Spekulationen einzulassen, deren Verlauf nicht vollständig klar vor ihnen liegt, und deren Leiter nicht vollständig offen und ehrlich zu Werke gehen.