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Kapitel XIV.
Minas Geraes.

Die nächsten Tage sind dem Besuch der Provinz Minas Geraes gewidmet Diese Provinz, welche an sich allein die Grösse Deutschlands übertrifft, ist eine der wenigen Provinzen Brasiliens, die nicht bis an die Küste reichen. Sie hat einen Flächeninhalt von 574 855 qkm, erstreckt sich durch neun Breitengrade hindurch und entfällt ganz auf das grosse brasilianische Binnenplateau, welches sich hier zu einer Höhe von 400 bis 900 m erhebt. Den Hauptcharakter der Vegetation bilden die Campos mit ihren verschiedenen Waldformen, den Catingas, Capões und Carrascos. Im Norden und Nordosten fehlt auch der Sertão nicht, der jeglichen Pflanzenwuchses entbehrt. Daneben aber dringt der Küstenurwald. wenn auch in abgeschwächter Ueppigkeit, von Osten her in den Thälern ziemlich weit in das Innere der Provinz vor. Eine dritte Vegetationsform, die man jedoch füglich zu derjenigen der Campos rechnen darf, ist in diesem Hauptgebirgsland Brasiliens die alpine; sie erstreckt sich von 1100 m an aufwärts.

An Verschiedenartigkeit der Bodenkultur ist Minas Geraes reich. Neben den gewöhnlichen Kulturen, dem Kaffee, Tabak, Zuckerrohr und der Baumwolle, wird in ausgedehnter Weise der Anbau von Mais betrieben und in geringerer der von europäischen Cerealien, Gemüsearten und Weinreben. Die Viehzucht ist, Dank der vielen Campos, sehr entwickelt, namentlich die Zucht von Rind- und Borstenvieh. Die Milchwirtschaft produzirt hauptsächlich fette Käse, welche unter dem Namen Queijos de Minas in grossen Mengen exportirt werden.

Charakteristischer als die Vegetation ist für Minas Geraes der Reichthum an Metallen und Edelsteinen, dem es auch seinen Namen verdankt Minas geraes = allgemeine Minen.. Von zahllosen Gebirgszügen durchzogen, birgt es in seinem Schoosse Mineralschätze, wie sich solche in gleicher Fülle auf der Erde nirgends mehr vorfinden. Die mögliche Ausbeute an Eisen wird bei Ouro-Preto allein, in einem Umkreis von l0 km, auf 100 Millionen Tonnen im Werthe von á 132 Mürels geschätzt. Das bisher, im Verlauf von fast 200 Jahren, in der ganzen Provinz produzirte Gold berechnet sich auf 658 228 kg im Werth von mehr als anderthalb Milliarden Mark, indessen Gesammtbrasilien in ungefähr der gleichen Zeit 1 037 050 kg im Werth von 2 893 369 500 Mark produzirt hat. Die Bergwerke von Minas sind noch lange nicht erschöpft, jedoch hat aus verschiedenen Ursachen in den letzten Jahren die Goldgewinnung sehr abgenommen und sind manche Gruben verlassen. Auch die Erzeugung von Eisen lässt sehr viel zu wünschen übrig, obwohl sie sich zu heben beginnt. An Diamanten liefert Minas Geraes sechs Zehntel des Werthes der gesammten Diamantenproduktion Brasiliens. Das diamantführende Gestein, welches hauptsächlich im Bassin von Diamantina ausgebeutet wird, besitzt eine grosse Ausdehnung. Im Jahre 1887 wurden in der ganzen Provinz 5673 Gramm Diamanten gewonnen. Doch ist in Folge der südafrikanischen Konkurrenz, die Produktion gegen früher bedeutend zurückgegangen und kann sie sich überhaupt nur durch die unerreichte Schönheit des brasilianischen Diamanten noch über Wasser halten.

Die Provinz Minas hat eine Bevölkerung von mehr als 3 Millionen, so dass 5 Seelen auf den Quadratkilometer treffen. Die Weissen sind mit 40 pCt die an Zahl überwiegende Rasse. Ihnen zunächst stehen die Mischlinge, welche 39 pCt. betragen, dann folgen die Neger mit 23 pCt. und endlich die civilisirten Indianer mit nur einem Procent Diese etwas zu hoch gegriffenen Zahlen sind auf Rechnung der in Levasseur: Le Brésil p. 50 nicht angeführten Brüche zu setzen.. Diese civilisirten Indianer gehören den Coroados und Purí, Stämmen aus der Gruppe der Goayatacá, den Cayapó, Monochó, Machacali, Copochó, Panhamé und Botocudos, Stämmen aus der Gruppe der Gês, und endlich den Malali an, welche in der neueren Gruppeneintheilung zu den nicht oder noch nicht klassifizirbaren Stämmen gerechnet werden. Tausende von wilden Indianern hausen im östlichen Theile der Provinz. Es sind dies weit überwiegend Botokuden, in allerhand, manchmal unter sich feindliche Horden gespalten. Ausser diesen Botokuden gibt es in Minas an wilden Indianern noch solche aus all den übrigen, gelegentlich der civilisirten Rothhäute oben schon genannten Stämmen und solche aus den zur Gês-Gruppe gehörigen Stämmen der Macuní und Chicriabá, und dem zur Gruppe der Goyatacá zählenden Stamme der Coropó. Die meisten dieser kleineren Stämme sind übrigens schon bedenklich zusammengeschmolzen, wenn nicht gar als selbstständiger Stamm verschwunden.

Das Klima von Minas Geraes ist je nach den verschiedenen Landestheilen sehr verschiedenen Charakters. In der niedriggelegenen Urwaldregion des Ostens herrscht eine subtropische Temperatur; auf den centralen und westlichen Hochplateaux finden wir einen klimatischen Uebergang von der subtropischen zur warmen gemässigten Zone Siehe weiter oben S. 239. Anmerk. 2.. Die Jahresisotherme der Provinzhauptstadt Ouro-Preto, welche unter dem 20° s. Br. und 1145 m hoch liegt, ist 19 ° C. Diese Region des Landes hat eine Isothere von ca. 24-25° C, eine Isochimene von ca. 15°. Das Klima ist ein kontinentales. Im Sommer steigert sich die Hitze oft zu einer sengenden; im Winter sinkt das Thermometer bis unter Null, Schnee und Reif kommen nicht allzu selten, Fröste jedoch nur sehr ausnahmsweise vor. Die niederste der beobachteten Temperaturen ist in Ouro-Preto -3.5°, in dem südlicheren und etwas höheren Barbacena -6° C. In Queluz, welches zwischen beiden letztgenannten Städten liegt und dieselbe Jahresisotherme hat wie Ouro-Preto, beträgt das Temperaturmaximum 32,4° C, das Minimum  1° Die interdiurnen Temperaturschwankungen müssen, meiner kurzen Erfahrung nach zu schliessen, in diesen hohen Camposregionen ebenfalls ziemlich bedeutend sein; die mir zu Gebote stehenden Quellen enthalten hierüber keine näheren Angaben. Je nach den einzelnen Orten ist die jährliche Niederschlagshöhe sehr wechselnd; während sie in Itabirá do Campo nur 1303 mm beträgt, steigt sie in dem unfernen Congo-Soco auf 2939 mm. Die Hauptregenzeit ist der Sommer, im Winter ist die Regenmenge sehr gering, ja in Itabirá do Campo sogar Null. Gewöhnlich bilden heftige Gewitter die Form der sommerlichen Niederschläge.

*

Rio de Janeiro – Lafayette. Freitag, den 17. August.

Heute früh um fünf Uhr verliessen wir Rio de Janeiro, um uns nach Ouro-Preto, der Hauptstadt von Minas Geraes, zu begeben. Dahin zu gelangen, müssen wir anderthalb Tage lang die Staatsbahn Dom Pedro II. Diese Bahn führt seit der Republik den Namen Ferro-via (Estrada de ferro) central. benutzen. Es ist dies die wichtigste Eisenbahn Brasiliens, deren erste Strecke im Jahre 1858 dem Betrieb übergeben wurde und von welcher jetzt an 800 km fertig gestellt sind. Im verflossenen Jahre wurden auf ihr über vier ein halb Millionen Reisende und fast 400 000 Tonnen Waaren befördert. Die Nettoeinnahme betrug nahezu zehn ein halb Millionen Milreis und berechneten sich die Ausgaben auf 64 pCt. der Einnahmen. Santa-Anna Nery: Le Brésil en 1889, p. 407 et s. Nachdem wir an brasilianischen Bahnen bisher nur die Bahn Forlaleza-Maranguape kennen gelernt hatten, auf welcher die Beförderung eine äusserst mangelhafte ist, waren wir heute sehr angenehm überrascht, einem auf der Höhe der Zeit stehenden Betrieb zu begegnen. Anfangs, bis Belem, fuhren wir sehr rasch, nämlich über 66 km die Stunde, von da an durchschnittlich gegen 40 km. Da nirgends Schranken an der Bahn angebracht sind, werden auf dem Zuge ziemlich häufig Pfeifsignale gegeben, um sein Herannahen anzumelden. Die Stationen werden auf dem Perron nicht ausgerufen, doch geht der Schaffner zwischen einer Station und der anderen jedesmal durch die Waggons, den Namen der folgenden Station nennend. Die Waggons sind nicht in Coupés getheilt, sondern bestehen wie diejenigen in anderen amerikanischen Staaten aus einem einzigen Raum. Rechts und links in denselben sind Querbänke angebracht, welche in der Mitte die Cirkulation gestatten. Für Nachtfahrten ist nicht vorgesorgt, da es deren nicht giebt; wenn die Strecken zu gross sind, um in einem Tage zurückgelegt zu werden, bleibt der Zug Abends in einer Station liegen und nimmt erst am nächsten Morgen seine Fahrt wieder auf. Die Lokomotiven haben vorn einen breiten Pflug zum Wegräumen von Hindernissen, eine Einrichtung, welche sich in diesen halbcivilisirten Ländern jedenfalls als nützlich erweist.

Die erste Strecke Weges von Rio ab, welche sich ziemlich in der Ebene hält, legten wir noch bei Dunkelheit zurück. Es dämmerte und war schliesslich taghell, als unser Zug in nordwestlicher Richtung die Serra do Mar überschritt. Diese Strecke durch das Gebirge mit ihren Tunnels bis zu 2237 m Länge, ihren Stützmauern, gewaltigen Dämmen und tiefen Einschnitten gilt für eine der ausgezeichnetsten Bahnbauten der Welt. Hohe Berge thürmen sich zu beiden Seiten der Bahn, waldbedeckte enge Thäler ohne Thalsohle durchziehen rechter und linker Hand die gebirgige Gegend. Nach Passiren des höchsten Punktes, bei 460 m absoluter Höhe, senkt sich der Bahnkörper zum Thal des Rio Parahyba hinunter und erreicht den Fluss bei Barra do Pirahý.

Der Rio Parahyba, welcher zwischen den beiden Gneissgebirgsketten, der Serra do Mar und der Serra da Mantiqueira, in nordöstlicher Richtung und parallel der Küste fliesst, hat eine Lauflänge von 1060 km. Da der Fluss in einer Höhe von 1500 m entspringt, bedingt dies ein im Verhältniss zu dem des Amazonas sehr bedeutendes Gefäll. Bei Barra do Pirahý ist der Rio Parahyba schon ziemlich breit, doch noch lange nicht schiffbar. Sein Bett ist daselbst ganz übersät mit rundgewaschenen, schwärzlichen Felsen.

Nun verfolgt die Bahn zwei Stunden lang, bis Entre Rios, den Lauf des Flusses abwärts. Hellgrüne Zuckerrohrfelder breiten sich an seinen Ufern. Wir sahen die ersten Kaffeeplantagen, die hier sehr zahlreich auftreten und uns sehr hässlich erschienen, namentlich wenn die Bäumchen ganz steif in Reihen gezogen waren. Von Strecke zu Strecke erhoben sich weisse, einstöckige, fast quadratische Gebäude inmitten der Kaffeefazendas. Auch fehlten nicht einige Engenhos centraes, das heisst auf Aktien gegründete, grosse Zuckerfabriken, bestimmt, durch rationelleren Betrieb mit ihrer Waare auf dem ausländischen Markte die Konkurrenz leichter überwinden zu können.

Zwischen den kultivirten Ländereien dehnten sich grosse Waldungen echt tropischen Charakters, welche sicher noch manche Parzelle Küstenurwaldes in sich schliessen. Höhere Bäume mit schirmförmigen Kronen, von welchen die Lianen und Luftwurzeln wie Tauwerk herabhingen, ragten oberhalb der durchschnittlichen Waldlinie in die Lüfte. Wunderbare Schlingpflanzencascaden und Laubdraperien verhüllten das Waldinnere dem forschenden Blick. Es war entzückend, von der hochgelegenen Bahn aus in dieses wellige Meer von Grün hinabzuschauen. Unschön nahm sich dieser Waid blos in der Ferne aus, weil da die reizenden Einzelheiten verschwanden und nur der Eindruck einer unruhigen und zausigen Waldlinie übrig blieb. Letztere entstand durch die vielen, aus dem Dickicht gen Himmel aufragenden Bäume, welche bis hoch hinauf astfrei waren. In dem Landschaftsbilde fehlten die hässlichen, steifen Cecropien nicht. Aber auch einzelne Palmen schmückten die Gegend, Anfangs solche mit reicher, dann nur mehr solche mit magerer Blätterkrone. Es werden Steincocospalmen gewesen sein, sowohl die kurzstämmige Attalea humilis Mart., wie die hochgewachsene Attalea Indaya Dr. Da wo kein Wald den Boden deckte, wuchsen an einzelnen Stellen überaus üppige Bambusdickichte.

Wir verliessen nun den Parahyba und fuhren Anfangs in direkt nördlicher Richtung längs des goldführenden Rio Parahybuna aufwärts. Es ist dies ein echter Gebirgsfluss, der, schäumend und Stromschnellen bildend, zu Thale eilt. Die Bahn tritt aus der Provinz Rio de Janeiro in die Provinz Minas Geraes über. Wir erreichten Juiz-de-fôra, eine im Aufblühen begriffene, 700 m hoch gelegene Stadt von bald 15 000 Einwohnern. Sie trägt, wie so viele brasilianische Städte, zwei Namen, nämlich ausser dem obengenannten, auch den indianischen Parahybuna. Vor Allem ist sie ein Stapelplatz für landwirtschaftliche Produkte, sie entbehrt aber auch keineswegs der Industrie. Eine grosse, vornehme Gartenanlage mit den verschiedensten Palmen und einem von Schwänen besetzten Teich verräth einen eleganten Landsitz. Die anstossende deutsche Kolonie unterscheidet sich von portugiesisch-brasilianischen Niederlassungen weniger durch den Stil ihrer Häuser, als durch die ziemlich verschiedene Kleidung ihrer Bewohner.

Weiter ging es, immer den Rio Parahybuna entlang. Bromeliaceen in Blüthe sassen auf verschiedenen Waldbäumen, und gelbrothblühende Schlinggewächse rankten sich in die Höhe. Wir erkannten letztere als Kapuzinerkresse, deren Brasilien zwei Arten besitzt, Tropacolum Brasiliense Casar, und T. Warmingianum Rohrb. Einzelne blattlose, über und über mit ganz mennigrothen Blüthen bedeckte Bäume, sicher irgendwelche Erythrina, hoben sich durch ihre auffallende Färbung vom Grün des Waldes ab, Ziemlich viele Fourcroya, Agaveen mit riesigen Blüthenschäften, wuchsen auf den Hängen. Kulturen von Tabak, Mais und Mandioca wechselten mit Pflanzungen von Orangenbäumen. Goldroth glühten die Früchte im dunklen Laub, nicht blassgelb und blassgrün wie am Amazonas. Sie werden folglich eine andere und hoffentlich dem Europäer zuträglichere Sorte sein; denn die Orangen der Amazonasgegend sind das für den Fremden allergefährlichste Obst und darf man sich durch ihren ganz besonders anziehenden Geruch zum Genusse nicht bethören lassen.

Die Gegend war fortwährend bergig. Wir stiegen auf wunderbaren Bauten, auf Terrassen und Kurven die Serra do Espinhaço hinan. Es ist letztere ein von der Serra da Mantiqueira nach Norden sich abzweigender Gebirgszug, der durch einen grossen Theil von Minas streicht, in seinen Unterabteilungen verschiedene andere Namen führt und unzählige kleine Serras nach Osten und Westen aussendet. Dieses in seinen höchsten Punkten bis gegen 2000 m ansteigende Gebirgssystem bildet die Wasserscheide zwischen dem Quellengebiete des Paraná, dem des Rio Doce nebst anderen Parallelflüssen und dem des mächtigen Rio São Francisco, welcher nicht wie die eben genannten östlich fliessenden Rios ziemlich direkt, sondern erst mittelst eines grossen Bogens den Atlantischen Ocean erreicht. Die Serra do Espinhaço, die in ihren höheren Partien aus vermuthlich Orville A. Derby; Os picos altos do Brazil 18. silurischem oder noch älterem Sedimentgestein besteht, ist durch ihren Gold- und Diamantenreichthum weltberühmt geworden.

Die Landschaft begann mehr den Camposcharakter anzunehmen, Termitenbauten bis zu 3 m Höhe, unregelmässige, konische Hügel aus rother, weisser oder gelber Erde, waren unregelmässig über die Grasfluren zerstreut und boten einen sehr eigenthümlichen Anblick. Sie werden unter den verschiedenen Termitenarten Brasiliens den hauptsächlich hügelbauenden Termes cumulans Koll. oder den ihnen nächststehenden Termes similis Hag. zuzuschreiben sein. Einzelne Cercen ragten wie gegliederte Säulen phantastisch in die Lüfte. Viele Roças Siehe weiter oben S. 39. waren zu bemerken und viele Strecken, welche man abgeholzt hatte, um Viehweiden zu gewinnen. Hingegen hatte man da, wo der Boden durch den Kaffee erschöpft war, wieder Capoeiras Siehe weiter oben S. 37. zugelassen. Die Berghänge waren zum Theil ganz kahl, zum Theil mit Farnkraut oder Gras bedeckt. Das Gras hatte, durch Frost und Schnee verbrannt, eine gelbe Färbung. Der Schnee soll hier im Winter, Juni und Juli, oft fusshoch liegen, und dieses Jahr soll das Thermometer in ersterem Monate einige Grade unter Null gezeigt haben. Jetzt, im Spätwinter, ist es auch noch nicht sonderlich warm, und hatte es z. B. heute gegen Mittag nicht mehr als 20 ° C. Mit dem nächsten Monat rechnet man den Frühjahrsanfang.

Es zeigten sich die ersten Araucarien (Araucaria brasiliana A. Rich. Lamb.). Die jungen Pflanzen erinnerten etwas an unsere jungen Fichten; die ausgewachsenen Exemplare hatten horizontale Aeste, welche bis auf das mit einem kugelförmigen Nadelbüschel besetzte Astende vollständig kahl waren. Je höher wir die Serra hinanklommen, um so häufiger traten diese Schuppentannen auf, welche, im nördlichen Theil ihres Verbreitungsgebietes auf die Höhenregionen beschränkt, vom achtzehnten bis dreissigsten Grad südlicher Breite angetroffen werden. Sie sind nicht nur eine der wenigen Coniferenspezies Brasiliens, sondern auch eine der wenigen waldbildenden Baumarten des Landes.

Die Campos äusserten sich hier durch waldlose Abhänge und durch Gestrüppvegetation. Letztere wies in der hiesigen Berggegend viel jugendliche Jatobá oder Heuschreckenbäume (Hymenea L.) auf mit spärlichen Blättern, von denen, aus der Ferne gesehen, einzelne roth zu sein schienen. Es dürften letztere vielleicht reifende Früchte gewesen sein. Zahlreiche und schöne Rinder und Schweine, in geringeren Mengen auch Pferde und Maulthiere weideten auf den Berglehnen. Die Fazendas de gado, Viehzuchttreibende Güter. deren Wohngebäude denjenigen der Kaffeeplantagen gleichen, lagen immer vereinzelt, und oft war weit und breit kein anderes Haus zu sehen. Manche der Fazendas dieses Landstriches besitzen zwölf- bis fünfzehnhundert Stück Rinder. Es wird ausgezeichnetes Zug- und Schlachtvieh gezogen, indessen das Milchvieh zu wünschen übrig lässt. Manches Stück geht, in Folge ungenügender Wartung, durch Krankheit zu Grunde, mitunter aber auch hausen klimatische Einflüsse und die blutsaugenden Fledermäuse verwüstend unter den Heerden. Siehe Tschudi: Reisen durch Südamerika I, 283, und Tschudi: Die brasilianische Provinz Minas Geraes (Ergänzungsheft No. 9 zu Petermann's Geographischen Mittheilungen S. 23 ). Die Pferde- und Maulthierzucht ist gleichfalls weit verbreitet und namentlich letztere als wichtig anzusehen, da der Waarentransport grösstentheils auf Maulthierrücken besorgt wird.

Unser Zug fuhr in Barbacena ein, einer Stadt von ca. 6000 Einwohnern, von denen manche recht wohlhabend sein sollen. Die Stadt, welche, wie man vermuthet, die höchstgelegene des ganzen Kaiserreichs ist, besitzt einige Wohlthätigkeitsanstalten und ziemlich viele Fabriken. Seit Rio de Janeiro hatten wir mm 379 km zurückgelegt und waren 1135 m gestiegen. Wir befanden uns jetzt in der alpinen Region, worauf, ausser der Höhe über dem Meere, auch die früher besprochene Siehe S. 260. niedere Temperatur von Barbacena hinweist. Einige Stationen vor Erreichung dieser hochgelegenen Stadt hatten wir nach Westen die Wasserscheide überschritten und waren in das Quellengebiet des Paraná eingetreten.

Nachdem uns an Camposwaldvegetation bisher nur der Carrasco, der Gestrüppwald begegnet war, begannen hinter Ressaquinha Catingas mit ihm und mit Campos cerrados zu wechseln. Diese Catingas erwiesen sich als unschöne, mittelhohe, aus dicht zusammengedrängten Bäumen und Sträuchern bestehende Waldungen. Die Bäume waren dünnstämmig und mager; wenig Bromeliaceen sassen auf ihren Aesten, fast gar keine Lianen schlangen sich an ihnen hinauf. Dieser niedrige Wald sah sehr unordentlich und zerzaust aus, und war streckenweise unbelaubt, das heisst, hatte noch sein winterliches Gepräge. Die ganze Gegend zeigte einen hügeligen, bergigen Charakter und machte den Eindruck, überaus öde und menschenleer zu sein. Speziell diese höheren Bergregionen, in denen man sich gar nicht mehr in tropischen Breiten wähnt, entbehren der menschlichen Absiedlungen. Im Uebrigen erscheint Minas Geraes ziemlich bewohnt, da sich daselbst viel kleiner Grundbesitz entwickelt hat. Die weisse Bevölkerung, welche durch grössere Thätigkeit und reelleren Charakter vortheilhaft von der weissen Bevölkerung der übrigen Provinzen absticht Tschudi: Die brasilianische etc. (Ergänzungsheft etc. S. 20 und 21)., überwiegt gegen die Andersfarbigen namentlich dadurch immer mehr, dass die freigewordenen Neger beginnen wegzuziehen.

Die auf unserem heutigen Wege gelegenen Ortschaften mit weissgetünchten Häusern waren nüchtern, hässlich und genau wie die im übrigen Brasilien bisher von uns gesehenen. Die hier und da eingestreuten Hütten mit Lehmwänden und Strohdach versöhnten hinwieder das Auge durch ihren malerischen Anstrich. Neben dieser Art von Wohngebäuden giebt es in den hiesigen Hochlanden auch Hütten, welche Wände blos aus Stroh haben. Man begreift nicht, wie das doch eher kalte Klima den armen Leuten erlaubt, in denselben auszuharren. Uebrigens scheinen die Mineiros Mineiros = Bewohner der Provinz Minas Geraes. gegen niedere Temperaturen im Ganzen unempfindlich zu sein, denn auch in den gemauerten Häusern wird die Kälte oft fühlbar, und doch findet man weder Oefen noch Kamine.

Ehe wir unser heutiges Nachtquartier erreichten, zog sich die Bahn wieder mehr thalwärts. Wir hatten den von Westen her in rechtem Winkel auf die Serra do Espinhaço stossenden Espigão geral dos Vertentes Espigâo geral dos Vertentes = Hauptgrat der Wasserscheiden, gemeinschaftlicher Name einer Reihe verschiedener kurzer Bergketten. hinter uns gelassen und waren in das Quellengebiet des Rio São Francisco gelangt. Die Araucarien blieben zurück und es erschien wieder eine Cocospalme (Cocos flexuosa Mart.), uns zu erinnern, dass wir uns wirklich im Süden befanden. Auf die nahen, grünen Höhen warf die scheidende Sonne ihren letzten Schein. Um fünf ein viertel Uhr waren wir in Lafayette, der Station für das wegen seiner Baumwollfabrikate bekannte Städtchen Queluz. Wir sind genöthigt in Lafayette, einem Neste in baumloser, öder Berggegend zu übernachten, denn unser Zug geht erst nächsten Morgen weiter. Hier beginnt die schmalspurige Bahn und müssen alle Waaren umgeladen werden.

Die sämmtlichen Passagiere des Zuges wurden in dem einzigen kleinen Gasthaus, das von einem Italiener gehalten wird, eingepfercht. Die Temperatur war für uns durch die Aequatorialgegenden Verwöhnte nicht sonderlich hoch. Nachdem wir Nachmittag, unterwegs, nur 17° C. gemessen, ergaben die Messungen Abends 9 Uhr wieder 18° C.

Lafayette – Ouro-Preto. Samstag, den 18. August.

Nach ungefähr zwölf Stunden, um fünf ein halb Uhr früh, setzte sich unser Zug wieder in Bewegung. Den Charakter einer bergigen Hochebene behielt die Gegend auch ferner bei. Viele Catingas, in denen etliche Farrenbäume zu bemerken waren, wechselten namentlich mit Strecken, welche, wie mir schien, Saumfarne (Pteris aquilina L.) bedeckten. Um sieben einhalb Uhr zeigte das Thermometer noch nicht mehr als 13,5° C.; es war die niedrigste Temperatur, die wir bisher in Brasilien erlebt. Wieder stieg die Bahn höher und höher in die Berge hinauf und schliesslich bei 1362 m nach Nordosten über die Serra de Ouro Branco hinweg, über ein ödes, baumloses, nur grasbewachsenes Gebirge von kuppigen Formen. Thäler ohne Thalsohle, in welche man aus der Vogelperspektive hineinsah, thaten sich zu Dutzenden rechts und links vom Bahnkörper auf. Einzelne Schluchten bargen Waldstreifen im Grunde. Die tiefen Rinnen, welche das Wasser in die durch keinen Wald geschützte Erde der Gehänge gerissen, zeichneten scharfe Schattenlinien in die sonnenüberfluthete Bergwelt. Weit schweifte der Blick über die ausgedehnte Gebirgslandschaft, man wähnte auf dem höchsten Kamm zu fahren und die ganze Gegend zu beherrschen, in welcher Gipfel hinter Gipfel aufragte. Die Bahn war hier nicht wie unsere Bergbahnen in einer durch Dämme und Einschnitte gleichmässig gehaltenen Steigung geführt, sondern bequemte sich dem Terrain an, indem sie in stetem Wechsel bergauf und bergab ging. Da wo der Zug nach stundenlanger Fahrt auf den Höhen endlich wieder thalwärts lenkte, begannen neuerdings die Catingas mit ihren zausigen Bäumen und der Carrasco, der Halbwald, die reinen Campos zu unterbrechen. Etliche Pahnitos do campo (Cocos flexuosa Marl.) und Schuppentannen (Araucaria brasiliana A. Rich. Lamb.), die wie jeglicher Baum- oder auch nur Strauchwuchs auf der Höhe ganz fehlten, traten wieder auf. Wir passirten die Topasminen von Boa-Vista, wo gelbe und rosa Topase in Nestern gewonnen werden, und langten um zehn einhalb Uhr Vormittags in Ouro-Preto an, dem Ziele unseres Ausfluges nach Minas Geraes.

Ouro-Preto ist eine Stadt, welche in Folge des Erschöpftseins der daselbst befindlichen Goldminen, von den früheren 20 000 Einwohnern auf zwölf oder zehntausend heruntergegangen ist. Es ist eine echte Bergstadt, in einem engen Hochthal der Serra do Espinhaço gelegen, zwischen dem Südostabhang des Morro da Villa Rica und dem Nordwestabfall des Itacolumýgebirges. Das ganze Thal besitzt keine einzige horizontale Ebene, es ist durchwegs hügelig und in nächster Nähe von einem Kranz hoher Berge umgeben. So hat sich auch die Stadt auf die verschiedenen Hügel ausgebreitet und ist an den Berglehnen hinaufgewachsen. Doch die Stadt kümmerte uns heute wenig; wir wollten noch heute den Itacolumý besteigen, einen der höchsten Berge der Serra do Espinhaco. Derselbe erhebt sich bis zu 1756 m und besteht aus Sedimentgebilden; Eruptivgesteine, wie sie die Serra de Mantiqueira aufweist, fehlen ihm gänzlich. Auch sein Name ist, wie es die meisten geographischen Namen Brasiliens sind, der Tupísprache entnommen und bedeutet »Stein mit dem Sohn«. Zu dieser eigenthümlichen Benennung gab den Indianern die oberste Felsenbildung des Berges Veranlassung, die auch von Ouro-Preto aus deutlich sichtbar wird. Neben einem gewaltigen überhängenden Felshorn, einem Itá, d. h. Stein, zeichnet sich ein zweites, kleineres, ein Curumím, d. h. Kleiner oder Junge, scharf vom Himmel ab.

Ouro-Preto mit dem Itacolumý.

Schon um 12 Uhr, anderthalb Stunden nach unserer Ankunft, standen die Pferde zum Bergritt vor unserem Gasthaus bereit, und fort ging es nun raschen Tempos in Gottes freie Natur hinaus. Noch hatten wir einige schlecht gepflasterte Stadtstrassen zu überwinden, dann aber genossen wir mit vollen Zügen das Gefühl ungebundener Freiheit in einer herrlichen, menschenfernen Gebirgswelt. Zunächst führte der Weg steil hinab in eine Schlucht, wo der Rio Funil, der mit Recht oder Unrecht die Würde, einer der Quellflüsse des Rio Doce zu sein, geniesst Darüber, welche als die Quellflüsse des Rio Doce zu betrachten seien, gehen die Meinungen weit auseinander. In Ouro-Preto selbst nimmt man den dortigen Wasserlauf als den Quellfluss an (siehe auch Archivos do Museu Nacional de Rio de Janeiro III 11 c 18) Moura (Diccionario Geographico do Brazil I 334) führt diese Ansicht als veraltet (!) an und sagt, dass, wenn der entfernteste Punkt von der Mündung als Quelle zu betrachten sei, dann müsse man den östlich von Barbacena entspringenden Rio Chopotó als Quellfluss ansehen. Wappäus endlich (Kaiserreich Brasilien 1262) erwähnt als eigentlichen Quellfluss den westlich vom Chopotó seinen Ursprung nehmenden Rio Piranga., in mehreren vegetationsumgebenen Wasserfällen tief unten rauschte. Dann ging es stundenlang steil bergauf und immer bergauf, an Schluchten vorbei, an camposbedeckten Lehnen entlang. Anfangs begegneten wir viel Carrasco, niederen Buschwäldchen, in welchen besonders die für die Anden und die ausgedehnten Grasfluren Amerikas charakteristischen Synanthereensträucher, die Baccharis, und zwar in mehreren Arten vertreten waren. Da bemerkte man die dichtbeblätterte, reich verzweigte Baccharis tarchonanthoides DC., die Baccharis retusa DC. mit ihren kleinen, stark gezahnten Blättchen, die glanzblättrige Baccharis truncata Gard. und die bis Peru verbreitete Baccharis platypoda DC. Zu diesen gesellten sich die Matayba marginata Radlk. mit ihren feinen Blättchen, verschiedene strauchförmige Melastomaceen, wie die Marcetia taxifolia DC. und Marcetia cinerea Triana, welche man aus der Ferne für Nadelhölzer halten könnte, und ferner Lippia microcephala Cham., eine in den Berggegenden Minas häufige, kleinblättrige Verbenacee. Nach diesen kleinen Zwergwaldbeständen folgten grosse Strecken baum- und strauchloser, nur von Termitenhügeln unterbrochener Grasfluren. Sie waren z. Theil dicht mit Farnen bedeckt, welche ich für eine Pterisart gehalten und welche auf halber oder dreiviertel Höhe des Berges Gabelfarnen (Mertensia Willd.) das Feld räumten. Zwischen dem kurzen Steppengrase blühten allerhand weisse, gelbe, rothe und violette Blumen, Mitracarpus frigidus var. Humboldtianus Schumann, verschiedene Arten von Vernonien, unter anderen die Vernonia scorpioides Pers. var. tomentosa Mart., auch das den Gnaphalien nahe verwandte Achyrocline saturoides var. Vargasiana DC. mit seinen gelben, atlasglänzenden Blüthenköpfchen und das den Helichrysen sehr nahe stehende Stenocline chioneae DC. mit schneeweissen Blüthenköpfen und dicht weissbefilzter Blattunterseite. An den wenigen feuchteren Stellen strebte die zarte Xyris plantaginea Mart. in die Höhe, ein auf Minas beschränktes, gelbblühendes Degenkraut. Unfern davon gediehen ziemlich viel weissblühende Eriocaulaceen, und zwar Paepalanthus planifolius Kcke. Vereinzelt standen die merkwürdigen Baccharis genistelloides Pers. var. trimera Baker mit ihren geflügelten Stengeln und vertheilten, weissen Blüthenköpfchen. Auf sonnigen, trockenen Plätzen wuchsen einzelne rothblühende Barbacenien und verschiedene Arten von Vellosien In meinen Reisenotizen stehen als daselbst gesehene ( nicht gesammelte) Species die Vellosia compacta Mart. und die Vellosia carunculata Mart., doch scheint mir dieses »Gesehen haben« nur eine Vermuthung, die sehr der Bestätigung bedarf., diese für die Camposregion Brasiliens charakteristischen Liliaceenbäume.

Höher als die erste Strecke reiner Grasfluren, da wo auf weniger steilem Hang sich etwas Wasser sammeln konnte, fanden wir einige Capões Vergleiche weiter oben S. 185., in der Mitte meistens höhere, nur Laubbäume aufweisende, deutlich abgegrenzte Waldinseln. Sie bestanden aus strauch- und baumförmigen Myrtaceen, auch aus Lorbeergewächsen (Laurineae) mit grossen, glatten, glänzenden Blättern und verschiedenen anderen Pflanzen. Man sagte uns, dass das Vieh in ihnen Schutz vor Gewittern suche, und doch sollen sich da grosse Schlangen aufhalten. Wir ritten auch durch ein Stück Catinga und sahen bei dieser Gelegenheit zum ersten Male diese häufigste Form des Camposwaldes in nächster Nähe. So nahe besehen, erschien sie uns hübscher als aus der Ferne. Die Bäume standen dicht; sie trugen Bromeliaceen in den Astwinkeln, und einzelne Schlingpflanzen kletterten an ihren Zweigen hinauf. Doch von der Hylaea und dem Küstenurwald unterschied sich diese Waldvegetation durch das Fehlen jeglichen Baumes von nennenswerther Höhe oder grösserem Stammesumfange, jeglicher schönen dichten Baumkrone in ausgeprägter Schirmform und jeglichen lauben- und cascadenbildenden Lianenreichthums. Die Pflanzen waren alle klein und mager und wirkten durch ihre grosse Mannigfaltigkeit im Gesammtbilde unruhig. Palmen und Schuppentannen vermissten wir in diesen alpinen Regionen vollständig. Nachdem wir die Catingaparcelle passirt hatten, bot sich uns der Anblick einer reizenden, bromeliaceenbesetzten Felsgruppe. Zwischen und über dieser erhoben sich Bäume, auf welchen Ananasgewächse mit langem, rothem Blüthenstande sassen. In weiter Entfernung von einander folgten sich zwei elende, strohgedeckte, offene Flechtwerkhütten. Es waren dies die einzigen Spuren zeitweiliger Anwesenheit von Menschen auf diesen Höhen, und sie standen leer. Kaum ein lebendes Wesen störte die Bergeinsamkeit, nur der eintönige Ruf des João de Barro (Furnarius albigularis Spix Es wird wohl diese Species von Furnarius gewesen sein, da diese speziell für Minas Geraes genannt ist (Spix: Avium species novae I 76. Wied: Beiträge zur Naturgeschichte Brasiliens III 671 und ff.), und ist diese Species, entgegen der Angabe des Catalogue of the Birds in the British Museum XV II a. f., zweifelsohne identisch mit dem Furnarius rufus Burm., welchen Burmeister (Systematische Uebersicht der Thiere Brasiliens III 3) am Itacolumý beobachtet hat. klang durch die Stille, ein einzelner schwarzer Sperlingsvogel Das rasche Vorbeihuschen des Vogels gestattete nicht viel mehr als das Beobachten der Gefiederfarbe und so war eine sichere Bestimmung unmöglich. Seinem Gehen am Boden nach, wäre ich geneigt, ihn für den auf den Campos wohnenden Aphobus chopi Vieill., aus der Familie der Icteriden, zu halten, wenn nicht sein einsames Vorkommen dagegen sprechen würde. huschte am Boden dahin, und ein paar Truthahngeier (Oenops aura L.) spähten vergebens nach Beute aus. Und doch sollen diese Campos viel Rüsselbären, Gürtelthiere und Ameisenbären, namentlich Tamanduá mirim (Tamandua bivittata Desm.) beherbergen.

Endlich war der Weg zu steil geworden und wir mussten absitzen. Die Pferde unter der Aufsicht des Führers zurücklassend, versuchten wir ohne Führer die höchste Kuppe zu erklimmen. Das öde, camposbedeckte, sanft ansteigende Plateau mit seinem bescheidenen Wasserlaufe, seinen Felsplatten und Felsblöcken und seinen spärlichen, zerstreuten Kräutern blieb hinter uns, auch bald der grasbewachsene untere Theil des letzten, steilen Anstieges. Wir waren bis zu einem Waldgürtel gelangt, welcher die mit Campos überkleidete Spitze und Schneide das Itacolumý halskrausenartig umgiebt. Viel Bromeliaceen schmückten die Bäume dieses Niederwaldes, am Boden wuchsen grossblättrige Aroideen, schöne Farnbäume standen im Dickicht, feine Bambusgräser suchten zum Lichte emporzustreben, und Baumstämme, die mit ganz flachen weissen, und andere, die mit zinnoberothen Lichenen überzogen waren und wie weiss bezw. roth angestrichen aussahen, leuchteten aus dem Grün heraus. Es dürften diese auffallenden Lichenen Scheibenflechten (Lecidea), und zwar speziell die rothen Vermuthlich ist diese Lichenenart die nämliche, welch auch Prinz Wied (Reise nach Brasilien I S. 50) beobachtet hat. die Lecidea piperis Spreng. gewesen sein.

Wir vertieften uns in diesen Bergwald, doch bald sollten wir inne werden, dass er ohne Picada und ohne Buschmesserhilfe eben so undurchdringlich ist, wie der hohe Urwald der Niederungen. Verschiedene schmale Fusspfade führten in den Waldgürtel hinein, doch alle endeten als Sackgasse im Dickicht. Auf sechs verschiedenen Wegen versuchten wir vorzudringen, durch die Lianen, welche unsere Füsse umstrickten, uns durchzuwinden, doch jedesmal standen wir schliesslich vor einer dichten Pflanzenwand, welche keinen Durchlass mehr bot, und unseren Terçado hatten wir zu Hause gelassen. Es war unmöglich, ohne Führer sich zurecht zu finden, sogar auf dem kurzen Rückwege konnten wir den Pfad, den wir heraufgekommen, aus den anderen Pfaden, mit denen er sich kreuzte, nicht mehr herauserkennen. Der Tag ging zur Neige, zu neuen Versuchen blieb keine Zeit übrig; und so mussten wir mit schwerem Herzen auf das Erreichen der höchsten Kuppe verzichten, welche, wie ein verzaubertes Schloss von undurchdringbarem Waldring umgeben, all unseren Bemühungen spottete. Doch da ungefähr sechs Siebentel des Berges erstiegen waren, konnten wir uns zufrieden geben. Schöner und schöner hatte sich während des Aufstieges die Aussicht gestaltet. Anfangs genossen wir den Rückblick auf das hochliegende, zwischen Bergen eingebettete Ouro-Preto, dann öffnete sich der Blick gegen Norden, gegen den nördlichen Theil des Quellengebietes des Rio Doce. Unzählige Hügel- und Bergketten tauchten hintereinander auf, von denen sich die letzten in unabsehbarer Ferne verloren. Diese zahllos an- und hintereinander gereihten, langgestreckten Gebirgszüge mit ihren pyramidalen und kegelförmigen Gipfeln nahmen sich aus wie Riesenwellen eines versteinerten Meeres. Im Nordwesten und Norden stieg die gewaltige Steinwand des Hauptkammes der Serra do Espinhaço massig empor, sich in der Serra do Caraça bis zu 1955 m erhebend. Davor waren einige niedrigere, ebenfalls steil abstürzende Bergzüge gelagert. Als wir auf das obere Camposplateau gelangt waren, wurde gegen Osten, in einer Einsattelung des Itacolumý wie in einem Rahmen, ein zweites, welliges Bergmeer sichtbar, die Wasserscheide zwischen Rio Doce und Rio Itabapuana. Da wir den Gipfel nicht erreichen konnten, blieb uns die Aussicht nach Süden, nach der Serra da Mantiqueira versperrt. Aber trotz dieser Lücke im Gesammtbild, war die vor uns ausgebreitete Gebirgslandschaft ungemein grossartig und übertraf weit die von uns gehegten Erwartungen, Wir empfanden, dass wir auf einem der höchsten Punkte des Landes standen und mit dem Blick die ganze Gegend weit beherrschten. Was sich uns darbot, war eine ganz eigenartige Gebirgsscenerie, unähnlich der, welche die Gipfel unserer Hochalpen bieten. Die Abwechslung von Spitzen, Kuppen, langgezogenen Rücken und senkrechten Abstürzen, mit einem Worte, die Mannigfaltigkeit der Bergformen fehlte, statt dessen ergingen sich die Gebirgszüge in ununterbrochenen, gleichmässig wellenförmig auf- und absteigenden Linien und wirkten gerade durch diese Einförmigkeit, aber auch Einheitlichkeit, eigentümlich mächtig auf den Beschauer. Satt rothbraun war die nachmittägliche Beleuchtung der Gehänge, in welche sich die Schatten scharf und dunkel einzeichneten. Als die Sonne zur Rüste ging, erglühten, wie es unsere Berge beim Alpenglühen thun, die Bergkuppen prächtig roth, soweit es die grüngelbe Farbe der alle Höhen überkleidenden Campos gestattete. Und hinter Ouro-Preto flammte der Wolkenhimmel in grossartiger Lichtwirkung feurig purpurn auf.

Die Temperatur auf Bergeshöhe war angenehm kühl, wir maassen 18° C. Den Rückweg, welchen die Anderen zu Pferde zurücklegten, wanderte ich, Botanisirens halber, zu Fuss. Dies gab auch Gelegenheit zum genaueren Besehen der vielen Termitenkolonien, welche eine ebene Stelle der Bergabdachung bevölkerten. Manche ihrer Bauten waren bewohnt und von frischerer, dunklerer Farbe, andere halbzerfallen, weisslich, wie von verwittertem, gänzlich ausgedörrtem Thon, und, so viel mir schien, schon längst verlassen. Sämmtliche zeichneten sich durch ausserordentliche Härte des Baumateriales aus. Der eine bewohnte Hügel, den ich näher untersuchte, war von aussen glatt und im Innern von einer Unzahl cylinderischer Gänge nach allen Richtungen unregelmässig durchzogen. Die Termiten selbst, welche sich theils am Ende der Gänge, theils an einer kleinen zerstörten Stelle der Aussenwand ihres Baues aufhielten, wimmelten nach Art der Ameisen, wenn sie sich auch nicht in so vielköpfigen Schaaren zusammen fanden, wie jene es zu thun pflegen. Sie waren, dem Augenmaasse nach, etwas grösser als unsere Waldameisen (Formica rufa), gelblich bis weisslich und so durchsichtig, dass der dunkle Darm durch die blassen Hinterleibswände durchschimmerte. Diese interessanten Thiere hatten einen dicken, wie geschwollen aussehenden Kopf und Hinterleib. Einige waren runder, andere etwas gestreckter, der Gestalt nach zu schliessen, erstere Arbeiter, letztere Soldaten. Da die Termiten für gewöhnlich nicht an der Aussenseite des Baues arbeiten, war ihr heutiges Hin- und Herlaufen auf einer Stelle des Kegelmantels sicher sowohl einer in Angriff genommenen Vergrösserung des Hügels, wie dem Ausbessern der von mir mittelst eines Stockes verletzten Oberfläche des Nestes zuzuschreiben. Vermuthlich gehörten diese Termiten der weitverbreiteten Species Termes cumulans Koll. an, doch ist nicht ausgeschlossen, dass neben ihnen auch andere Arten den Bau bewohnten, da öfters mehrere Species in einem Hügel beisammen getroffen werden.

Während des Abstieges begegnete uns das erste menschliche Wesen und auch das einzige, welches diese weite Bergeinöde zu begehen schien. Es war wohl ein Hirt, denn tiefer unten stiessen wir auf Vieh, welches zu einer am Fusse des Berges gelegenen, bescheidenen Fazenda gehörte. Den Rain daselbst schmückte die Tibouchina semidecandra Cogn., eine prachtvolle, 1-2 m hohe Melastomacee mit sammtigen Blättern und grossen violetten Blüthen.

Die Dunkelheit war schon vollständig hereingebrochen, als wir unser Gasthaus wieder erreichten. Den Rest des Abends, bei 17° C. in den Zimmern, verbrachten wir eher ungemüthlich, weil frierend. Dies hinderte uns aber nicht, mit Befriedigung an unsere heutige Gebirgstour zurückzudenken, insofern, als sie uns einen Einblick in manches Charakteristische der Camposflora und ebenso einen Begriff der orographischen Physiognomie des Landes verschafft hatte. Weniger entzückt waren wir von der Entdeckung, dass wir aus den Capões und Carrascos von den dort an den Blättern in Menge sich aufhaltenden Carapatos, d. h. Zecken, etliche mit nach Hause gebracht hatten. Unter den mindestens 18 Arten von Zecken, welche Brasilien beherbergt, gehörten die von uns wider Willen gesammelten zu einer der drei Species Amblyomma rotundatum Koch. Ixodes flavidus Koch. Ixodes humanus Koch., die unseren Ixodes ricinus L. in Farbe ähnlich und in Grösse nur wenig überlegen sind.

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Verzeichniss der von mir auf dem Itacolumý gesammelten Pflanzen:

An Malpigbiaceen:

Byrsonima mit schönem, eiförmig zugespitztem, kupferfarbigem Blatt, der Byrsonima cuprea Gr. nahestehend und vielleicht eine nov. spec., da sie mit keiner der bisher bekannten Arten vollständig übereinstimmt.

An Sapindaceen:

Matayba marginata form. 1 genuina Radlk., ein wahrscheinlich der Provinz Minas Geraes eigenthümlicher Strauch mit paarig gefiederten Blättern.

An Melastomaceen:

Microlicia fulva Cham., ein niedriger, purpurblühender, auf den Campos von Minas weitverbreiteter Strauch.

Lavoisiera compta DC., ein sowohl in Mittel- wie in Südamerika vorkommender, kleiner Strauch mit imbricirt stehenden Blättchen.

Tibouchina semidecandra Cogn., ein Strauch, der weit nach Südbrasilien hinunter geht.

Comolia violacea Triana, ein kleinblätteriges Kraut, welches, wie es scheint, auf die Camposregion von Minas beschränkt ist.

Marcetia taxifolia DC., ein auf den Campos von Minas vielfach anzutreffender Strauch.

Marcetia cinerea Triana, ein graugrüner Strauch mit weichfilzigen Blättern, der nur für die Campos von Minas angeführt ist.

Miconia macrophylla Triana var. serrulata Cogn., eine besonders grossblätterige, baumförmige Melastonaceenspecies, welche, von Guyana angefangen, bis in die Provinz Rio de Janeiro hinein gefunden wird, deren Vorkommen in Minas Geraes aber bisher nicht festgestellt war.

An Lythraceen:

Diplusodon serpyllifolius DC., ein kleinblätteriger Strauch, welcher auf die Campos von Minas beschränkt zu sein scheint.

An Rubiaceen:

Psychotria trichoclada Muell. Arg., ein kaum meterhoher, rothblühender Strauch, der nur für die Umgegend von Ouro-Preto angeführt wird.

Borreria verticiliata G. F. W. Meyer, ein in Brasilien vom Amazonas bis St. Catharina verbreiteter, auch in Afrika vorkommender Strauch mit lanzettförmigen Blättern.

Mitracarpus frigidus var. Humboldtianus Schumann, ein Kraut Mittelbrasiliens, mit für eine Rubiacee merkwürdig gestellten Blüthenköpfchen.

An Compositen:

Vanillosmopsis erythropappa Schultz-Bip., ein 3 bis 4m hoher Baum, welcher durch die graue Färbung der Unterseite seiner Blätter auffällt und dessen Standorte sich auf Bahia Minas, Rio de Janeiro und São Paulo vertheilen.

Vernonia. eine sehr schmalblätterige, rothblühende Vernonie, wahrscheinlich Vernonia desertorum Mart. var. longipes Baker, möglicherweise aber auch eine nov. spec.

Vernonia scorpioides Pers. var. tomentosa Mart. (in sched.), Die von Martins aus der Stammform als var. tomentosa ausgeschiedene Vernonia scorpioides Pers, ist sicher synonym mit der in Flora brasiliensis VI2, S, 101 als Synonym der Stammform angesehenen und noch nicht als var. ausgeschiedenen Vernonia flavescens Lessing. welche sich durch ihre befilzten Blätter scharf von der Vernonia scorpioides des brasilianischen Küstenwaldes unterscheidet.

Eupatorium serratum Spreng., var. alpestris Baker (Gesägter Wasserdosten), ein auf die mittleren Provinzen Brasiliens beschränkter Halbstrauch.

Baccharis genistelloides Pers. var. trimera Baker, ein meterhoher, immergrüner Halbstrauch, der auch im Westen von Südamerika vorkommt.

Baccharis tarchonanthoides DC,, ein Carrasco do campo genannter Strauch, welcher namentlich auf den Bergcampos Ostbrasiliens wächst.

Baccharis retusa DC., ein hauptsächlich auf den Campos von Minas verbreiteter Strauch.

Baccharis truncata Gardn., ein bis jetzt nur in Minas gefundener Strauch mit kleinen, glänzenden, stark gezähnten Blättchen.

Baccharis platypoda DC., ein auf den Bergcampos von Minas weit verbreiteter Strauch.

Achyrocline saturoides var. Vargasiana DC., ein Kraut der trockenen und bergigen Regionen Südamerikas.

Stenocline Chioncae DC., ein für die Berggegenden Minas' charakteristisches Kraut.

An Myrsineen:

Myrsine leuconera Mart., ein niedriger Baum der Capões von Minas, der auch in Bahia und Santa Catharina vorkommt.

An Solanaceen:

Solanum subscandens Vell., ein Nachtschatten mit stachelbewehrtem, merkwürdig klebrigem Blatt, der bisher nicht in Minas beobachtet worden war, Siehe Martins: Flora brasiliensis X, p. 91. – Ein Irrthum über die Species der von mir gesammelten Pflanze ist ausgeschlossen, da ihr Blatt ganz, mit einem aus Rio de Janeiro stammenden, im Herbarium von Kew befindlichen Blatt von S. subscandens übereinstimmt.

An Verbenaceen:

Lippia microcephala Cham., ein für die gebirgigen Gegenden Minas' charakteristischer, 1 bis 2 m hoher Strauch.

An Urticaceen:

Urostigma wahrscheinlich; jedenfalls Artocarpee.

An Xyrideen:

Xyris plantaginea Mart., ein Camposkraut der Provinz Minas.

An Eriocaulaceen:

Paepalanthus planifolius Keke., ein auf verschiedenen Bergen von Minas vorkommendes Kraut mit zusammengesetzten, wolligen Blütenköpfchen.

An Gleicheniaceen:

Mertensia rigida Kunze, ein in Südamerika weit verbreiteter Gabelfarn.

   

Ouro-Preto. Sonntag, den 19. August.

Nachdem wir gestern Abend noch 17° C. in den Zimmern gehabt hatten, war die Temperatur bis heute früh auf 14° C. gefallen. Im Freien zeigte das Thermometer 7 Uhr Morgens gar nur 5,5° C., so dass ich meinen Pelz hervorholte. In der Sonne wurde es später zwar bald warm, im Schatten aber blieb es kühl. Wir lernten das Winterklima der Gebirgsregionen im tropischen Brasilien kennen.

Der heutige Vormittag war der Bergstadt Ouro-Preto gewidmet. Es galt Hügel auf und Hügel ab zu klettern, auf zum Theil schlecht gepflasterten Strassen und zwischen malerisch gruppirten, gartenumgebenen Häusern. Einzelne Araucarien, etliche Bananen und namentlich Jabuticabas (Myrciaria cauliflora Berg), dicht und dunkelbelaubte, kugelrunde Bäume mit kirschenähnlichen, essbaren Früchten, die am Stamm wachsen, zogen unsere Aufmerksamkeit auf sich. Die gepflegt aussehenden öffentlichen Gebäude, die in besserem Stande sind als die entsprechenden Bauten aller bisher von uns besuchten Provinzhauptstädte Brasiliens, nehmen hervorragende Lagen ein, so das Gefängniss, das Provinziallandtagsgebäude und der Palast des Gouverneurs. Auch die Kirchen, deren es ziemlich viele giebt, ragen hochgelegen, manche hügelkrönend, die Privathäuser beherrschend hervor. Wir besuchten nur die Igreja de São Francisco und dies des Gottesdienstes halber, wurden aber für den mühsamen, steilen Weg hinauf und durch die wundervolle Aussicht vollauf entschädigt. Die Kirche liegt schon fast ausserhalb der Stadt, ziemlich hoch am Bergeshang. Das in eine Schlucht eingebettete Ouro-Preto mit seinen unregelmässigen Häuserreihen lagert sich zu Füssen, gegenüber steigt der mächtige Itacolumý mit seinem namengebenden Felskoloss in die Höhe.

Wie in allen küstenfernen brasilianischen Städten sahen wir auf den Strassen wenig Neger. Und Indianer, von denen wir seit Bahia keinen mehr zu Gesicht bekommen haben, vermissten wir hier so vollständig, als wenn sie, die Autochthonen, niemals in diesen Gegenden existirt hätten. Als charakteristische Strassentypen fielen uns Kettensträflinge auf; sie hatten dem Bein entlang Eisenstangen, um den Knöchel herum Eisenreife und waren mit Reinigen der Wege beschäftigt. Die Soldaten, die man in unseren Ländern nicht in einem Athem mit Sträflingen nennen dürfte, von denen aber in Brasilien manche ihnen nicht allzufern stehen, machten hier, in Ouro-Preto, einen sehr günstigen Eindruck. Auch ihre Kaserne war, wenigstens von aussen, tadellos. An eigenthümlichen Fuhrwerken begegneten uns wenig beladene Heuwagen, welche von sechs Paar Ochsen gezogen wurden und mit ihren speichenlosen, eisenbeschlagenen Rädern, einen ohrenzerreissenden Lärm hervorbrachten.

Unser Hauptinteresse in Ouro-Preto konzentrirte sich auf die Bergbauschule, einen Einblick in den Mineralreichthum von Minas Geraes und überhaupt Brasiliens zu gewinnen. Diese im Jahre 1875 gegründete Schule, deren Lehrplan 1885 neu geregelt wurde, dient zur Heranbildung von Bergbauingenieuren und gewährt unentgeltlichen Unterricht. Sie steht unter der Leitung eines französischen Gelehrten, Herrn Gorceix, der auch unser liebenswürdiger Führer durch die geologische, paläontologische und mineralogische Sammlung der Anstalt wurde und mir die nachfolgend genannten Doubletten von Gesteinen und Mineralien schenkte. Unter den Petrefakten waren namentlich solche aus der Kreideformation reichlich vertreten, welch letztere, so viel bis jetzt bekannt, in Brasilien einen ziemlich bedeutenden Theil der Gebilde aus nacharcholithischer Zeit für sich in Anspruch nimmt. Daneben sind aber auch Versteinerungen aus anderen Formationen zu nennen, wie solche aus der Silur- und der Quartärzeit. Unter ersteren fiel mir der vollständige Mangel an Trilobiten auf, die doch im Silur von Böhmen und Nordamerika eine so grosse Rolle spielen Nachträgliche Studien erklärten mir diesen Mangel. Die silurische Fauna Brasiliens ist noch wenig durchforscht und ergab bisher nur wenige fragmentarische und nicht unumstösslich sichere Trilobitenreste; im Devon hingegen sind Trilobiten reichlich gefunden worden. Siehe Orville-Derby: Contribuções para a Geologia da Região do Baixo Amazonas (Archivos do Museu National do Rio de Janeiro II. 93. 94.) Clarke: As Trilobitas do Grez de Ereré e Maccurú 1-58 (Extrahido dos Archivos do Musen etc. IX.) – Rathburn; On the Devonian Trilobites and Mollusks of Ereré. (Annals of the Lyceum of Natural History of New-York XI. p. 110 a. f.) Hartt: A Geologia do Pará (Boletim do Museu Paraense de Historia Natural e Ethnographia I 266).. Aus der Mineraliensammlung will ich nur nennen, im Gestein sitzende Diamanten, in Gestein eingesprengtes, an einigen Stücken gar nicht zu Tage tretendes Gold, verschiedene Eisenerze, Chrysoberylle, Andalusite, eine Anzahl Topase, viel Turmaline und endlich Aquamarine. Die Eisenerze waren Proben derjenigen, welche in der Serra do Espinhaço und zwar in ungewöhnlichen Mengen, vorkommen, und in der Umgegend von Ouro-Preto sehr leicht zu gewinnen sind, da sie meist zu Tage liegen. Der Reichthum an Eisen ist in manchen Gegenden von Minas so ausserordentlich, dass man mit Stücken erster Güte Strassen pflastert und Mauern aufführt Siehe Santa-Anna Nery: Le Brésil en 1889 p. 79.. Diesem bedeutenden Eisenreichthum steht in dieser Provinz eine grosse Armuth an Kupfer gegenüber.

Man zeigte uns in der Bergbauschule auch die noch etwas primitive Weise, in welcher das Gold ausgewaschen wird. Das in einem Pochwerk zu Staub zermalmte, goldführende Gestein wird nebst etwas Wasser in flachen Holzschüsseln, den Sichertrögen oder Batêas, mit den Händen so lange hin und her geschüttelt, bis das immer wieder erneute Wasser alle obenauf schwimmenden leichteren Bestandteile abgeschwemmt hat und nur mehr die schwereren, als ein kleiner, fast nur aus Goldtheilchen bestehender Bodensatz übrig bleiben. Auf diese Weise, mittelst Batêas, geschieht auch das Auswaschen des Goldes aus dem Sande der Gewässer von Ouro-Preto selbst.

Leider mangelte uns die Zeit zu einem Besuche der Goldminen, da die in Ouro-Preto nicht mehr in Betrieb, und die nächsten, in welchen das kostbare Metall noch gewonnen wird, anderthalb Stunden von der Stadt entfernt sind.

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Verzeichniss der von mir auf dem Itacolumý gesammelten und der in der Bergbauschule erhaltenen Gesteinsarten und Mineralien:

Itacolumit, ein körnig schieferiger, manchmal biegsamer, gelber Quarzit, der als vermuthlich cambrisch oder präcambrisch gilt und in seiner typischen Form zum mindesten in den Provinzen Minas, Goyaz and Bahia weit verbreitet ist. Er gehört in Minas zu den Hauptlagerstätten des Goldes und ist, sofern seine jüngeren Schichten noch künftighin als echter Itacolumit zu betrachten sind, auch diamantführend. Nach Orville A. Derby: Geologia do Diamante p. 3 e. s. (Da Revista de Engenharia IV. No. 6) und nach verschiedenen brieflichen Mittheilungen von Professor O. A. Derby aus den Jahren 1895 und 1896. In seiner Eigenschaft als Faktor für den Vegetationscharakter nimmt der Itacolumit im Vergleich zu anderem Gestein eine sehr ungünstige Stellung ein; die Campos von Minas Geraes, dessen Unterlage er bildet, haben einen äusserst ärmlichen Pflanzenwuchs, welcher nicht einmal für die Viehzucht sonderlich nutzbar gemacht werden kann, Fundort des erhaltenen Stückes; Cachoeira de Jura-mirim, Südliches Minas Geraes.

Thonschiefer. Fundort: Itacolumý.

Meteoreisen. Fundort: Bahia.

Gold in Quarz. Fundort: Mine des Coronel Domiciano de Sá. Minas Geraes.

Magnetkies mit Kupferkies. Fundort: Morro Velho. Minas Gerdes.

Eisenkies (Pyrit), goldführend. Fundort: Cinobá. Minas Geraes.

Fahlerz mit Pyrit in goldführendem Granatglimmerschiefer. Fundort: Passagem bei Ouro-Preto.

Quarz, gemeiner, farblos. Fundort: Itacolumý und sonstige Umgegend von Ouro Preto.

Quarz, gefärbt. Fundort: Itacolumý.

Quarz, Bergkrystall. Fundort: Minas Geraes.

Quarz, Amethyst. Fundort: Rio Grande do Sul.

Achat. Fundort: Rio Grande do Sul.

Zirkon (Hyazinth), in grossen, wasserklaren Krystallen, deren Habitus bedingt wird durch eine vorherrschend ditetragonale Pyramide. Ueber die krystallographischen Verhältnisse dieser Zirkonkrystalle, welche einen ganz neuen Typus repräsentiren, wird von Dr. Grünling in Groth: Zeitschrift für Krystallographie und Mineralogie, eine Notiz erscheinen. Fundort: Rio Matipó, Nebenfluss des Rio Doce.

Eisenglanz (Hämatit). Fundort; Umgegend von Ouro-Preto.

Eisenglanz (Hämatit), körnig. Fundort: Itabirá, Minas Geraes.

Martit (Pseudomorphose von Rotheisenerz nach Magneteisenerz), in prachtvollen Oktaedern. Fundort: Boa Vista bei Ouro-Preto.

Brauneisenerz (Limonit), traubig. Fundort: Umgegend von Marianna. Minas Geraes.

Magneteisenerz (Magnetit) in Pulver mit Pyrolusit (Braunstein). Fundort: Tulgo Jacutinga. Gandaréla. Minas Geraes.

Chrysoberyll (Cymophan), grünlichgelb. Fundort: Arassuahy (Calháo). Minas Geraes.

Ytterspath (Xenotim). Fundort: Diamantina.

Monazit. Ohne Fundortangabe.

Andalusit, zweifarbig. Fundort: Arassuahy (Calháo). Minas Geraes.

Topas, gelb. Fundort: Boa Vista bei Ouro-Preto.

Disthen (Cyanit), grauweiss, blättrig, strahlig. Fundort: Itacolumý.

Turmalin. Fundort: Arassuahy (Calháo). Minas-Geraes,

Granat, in goldführendem Gneisglimmerschiefer. Fundort: Pari. Minas Geraes.

Chromglimmer (Fuchsit). Fundort: Ouro-Freto.

   

Rio de Janeiro. Montag, den 20. August.

Gestern Nachmittag um 3 Uhr traten wir auf demselben Wege, auf welchem wir gekommen, mittelst Eisenbahn die Rückreise nach Rio de Janeiro an. Durch eine flussdurchrauschte, enge Bergschlucht, welche oft gerade nur Platz für die Bahn und das schäumende Gewässer bot und deren fast senkrechte Wände von kurzer, dichter Vegetation vollständig überwuchert waren, stiegen wir zunächst die westliche Serra hinauf. Die folgende Fahrt auf dem Gebirgskamm, die eine Aussicht bietet, würdig derjenigen eines Berggipfels, schien uns noch entzückender als den Tag vorher. Es mochte daran die Spätnachmittagsbeleuchtung schuld sein, welche die in ganzen Reihen hintereinander gelagerten Bergketten in satten Farben und kräftiger Schatten Wirkung deutlich auseinander hielt. Nachdem die Sonne schon unter dem Horizont verschwunden, leuchteten die Berge noch lange im Abendroth nach, bis endlich der fast taghelle Mondschein den Sieg davontrug und die öde Gebirgsgegend in seine Lichtfluthen tauchte. Es war empfindlich kalt. Auch die Leute an den Stationen schienen dies zu finden, denn einer trug eine Mütze aus dichthaarigem Biberfell, ein anderer eine aus Affenhaar, und Manche hatten eine Manta über die Schultern gelegt. Es fiel uns auf, dass in diesen Gegenden die Männer vielfach hohe Stiefel tragen. Die Vorliebe für diese Art Fussbekleidung erklärt sich dadurch, dass das Reiten, welches man am Amazonas nahezu nicht kennt, hier ein sehr gebräuchliches Beförderungsmittel ist.

In der Ferne lohte eine brennende Catinga gegen den Nachthimmel empor. Dieses Niederbrennen des Camposwaldes geschieht zum Roden und Düngen, und wird namentlich im September in ausgedehntem Maasse betrieben.

Abends sieben ein halb Uhr wurden wir in Lafayette ausparkirt, und wieder genau nach zwölf Stunden, heute Morgen, einparkirt. Als wir gestern Abend den Platz vor dem Gasthaus betraten, standen daselbst nebeneinander, unbeweglich wie Statuen, zwei Seriemas (Dicholophus cristatus III.), graue Schlangenstörche, mit einem Schopfe, ähnlich dem, den die Pfauen haben. Diese vollkommen zahmen Thiere liessen sich streicheln, wobei sie so wenig aus ihrer versteinerten Ruhe zu bringen waren, als befänden sie sich in hypnotischem Schlafe.

Kaffeefazenda.

Heute früh, eine Stunde vor Abfahrt, lag die ganze Gegend in Nebel gehüllt, und das Thermometer zeigte 9° C. Nachts musste die Temperatur noch niedriger gewesen sein, denn als wir weiterfuhren, bemerkten wir einige reifangehauchte Strecken. Beim Verlassen des Hochlandes von Minas fiel uns der Unterschied zwischen den Catingas und den weit üppigeren Wäldern der Küstenzone besonders deutlich in die Augen. An letzteren war nur das Vorhandensein von Cecropien auszusetzen, diesen hässlichen Faulthierbäumen, welche in den Catingas ganz fehlen. Bei der Station Barão de Cotegipe bemerkten wir unmittelbar an der Bahn eine grosse Kaffeefazenda, in deren geräumigem Hof der Kaffee auf dem Boden in rechteckigem Felde zum Trocknen ausgebreitet lag. Hier und weiter abwärts waren alle Hänge kaffeebepflanzt, indessen dem Zuckerrohr die tieferen Lagen vorbehalten blieben. Auch auf den Zuckerplantagen war jetzt Erntezeit; wir sahen die süsse Last auf ochsenbespannten Wagen vom Felde hereinbringen.

Die Schlussfahrt über die Serra do Commercio und den Hauptkamm der Serra do Mar bildete einen Glanzpunkt der gesammten Eisenbahnroute. Prachtvoll war der Blick hinab in die Bergwelt unter uns und hinüber auf das sich nah und fern hochaufthürmende Gebirge. Es muthete uns an, als ob wir in der Heimath wären, da der Mondschein wohl die Bergformen, welche denen unserer Alpen ähnlich, aber nicht die Einzelheiten des vom europäischalpinen so verschiedenen Vegetationscharakters zu unterscheiden gestattete. Die Bahn führte hoch oben an steilem Hang entlang und senkte sich dann endlich in das in tropischer Ueppigkeit prangende Thal von Rio de Janeiro hinab.

Um acht Uhr konnten wir unseren Zug verlassen. Er war bis zur Unerträglichkeit überfüllt, jede Armlehne zum Sitzen, jeder Gangraum zum Stehen benutzt gewesen. Man erwartet nämlich dieser Tage die Ankunft des Kaisers Dom Pedro II., der nach lebensgefährlicher Krankheit in seine Heimath zurückkehren soll, und da strömt Alles von weither der Hauptstadt zu, ihn gelegentlich seines Einzuges zu begrüssen.


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