Ludwig Thoma
Der Wittiber
Ludwig Thoma

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Sechstes Kapitel

Ganz nüchtern war der Schormayer selbst nicht mehr, wie er nun am Waldrande dahinging und mit dem Stecken fröhlich an die Baumstämme schlug. Alles, was er an diesem Tage erlebt hatte, war ihm ein rechtes Gaudium gewesen, und seine Fröhlichkeit war nicht trocken gelegt. Wie das schieche Weibsbild einmal grantig und einmal zutulich gewesen war, und sich gleich gar schon ausrechnete, was sie mit ihren Kindern tun werde! »Für den Fall, daß 's eppas wurd' mit ins zwoa.« Freilich. Her und am Baum nauf! Das hätte er sich ja so gedacht! Ein zuwideres Frauenzimmer aus dem Hause hinaus, und noch das grimmigere dafür herein, und schlechte Tage, einen für den anderen, bis zum letzten.

Was sie dem Tretter versprochen haben mußte, daß der gar so bärig auf die Heirat wurde? Und wie schnell sich die verstanden hatten! Han?

Ein paar Minuten war er draußen geblieben, und da waren sie schon einig. Die Limmerischen auch. Für die hätte wohl auch geschwind was abfallen sollen; und der Zahler wäre er, der Schormayer, gewesen. Jetzt hockten sie gewiß noch beieinander und rechneten dem schiechen Weibsbild vor, was es für ein Glück machen könne auf dem größten Hof von Kollbach mit gutding hundert Tagwerk Grund, sechs Roß und an die vierzig Stück Vieh. Da könnte die Kaltnerin den Hintern gar stolz drehen, wenn sie als Bäuerin in dem allerschönsten Sach herumginge und alles kommandierte und ihre scharfe Stimme ertönen ließe. Was die sich bloß einbilden! Braucht gar nix, als nur gerade wollen, und das Weibsbild hockte sich mit seinen fünfzehntausend Mark – oder nein, bloß mit der Hälfte! – als Schormayerin nach Kollbach hinein.

Aber das war hernach lustig gewesen, wie er sie alle miteinander zwei Stunden lang an der Nase herumgeführt hatte, und den ganz gescheiten Tretter erst recht. »Du muaßt it glaab'n, daß i was davo hab! Vo mir aus derfst du gnua ledi bleib'n, und zweg'n dem bin i um koan Pfenning net ärmer.« Hat sie dir nichts versprochen hinter der Tür, und meinst du, andere Leute sind dümmer wie du? Du Tröpferl! – Hopp auf! Ein vorspringender Ast streifte dem Schormayer den Hut vom Kopfe, und da war er auch schon am Walde vorbei und stand auf der Höhe oberhalb Kollbach. Er strengte die Augen an und schaute nach der Richtung, wo sein Haus lag. Kein Licht schimmerte darin.

War die Ursula noch nicht daheim, oder lag sie schon im Bett?

Und wenn sie daheim war und nicht ihn und nicht die Zollbrechtin gefunden hatte, dann mußt sie die Augen aufgerissen haben. Herrgott, sie hätte ihn heute sehen sollen beim Limmer in Weichs, wie sich vier Leute die schönste Mühe mit ihm gaben und ihm wie einem jungen Hochzeiter um den Bart gingen. Bist doch nicht ganz und gar der alte Dadädl und Austragler, der für nichts mehr gut ist auf der Welt! Muß doch noch was sein an dir, wann die Weibsbilder liebreich werden, daß sie dir gefallen! Wer weiß, ob der Prückl Kaspar heute drüben in Arnbach der Ursula so schön getan hatte wie ihm die Kaltnerin, der die Augen glanzig wurden vor hoffnungsvoller Erwartung!

Jawohl, du Schneegans, das hättest du dir nicht einfallen lassen, daß der Vater die Zollbrechtin hinauswürfe und auf die Brautschau ginge und beim erstenmal ein Weibsbild an der Angel hätte! – Die Vorstellung, wie er heute aber schon auch alle Mitmenschen, und seine Tochter am allermeisten, hinters Licht geführt hatte, machte den Schormayer immer noch fröhlicher, und er stolperte seelenvergnügt in seinen Hof. Der Hund schlug an.

»Sei staad, Russel! Kennst d' mi net?«

Da schloff der Schnauzl in seine Hütte zurück, und der Bauer holte unter einem Steine den Schlüssel heraus und sperrte auf.

Er tappte schwer in das Hausflötz und tastete etwas unsicher nach der Stubentür. Jetzt knarrte oben im Gang ein Brett, und ein Licht blitzte auf.

»Hö! Urschula, bischt as du?«

»Na, i bin 's.«

»Ah, d' Zenzi! Bischt du no auf?«

»I bi scho g'leg'n, aba i bin aufg'stanna, wia'r i di g'hört ho.«

»Is na d' Urschula no it dahoam?«

»Na. Sie is no it kemma.«

Zenzi war bis zur Stiege vorgegangen, und da sah sie der Schormayer im Unterrock und Hemd oben stehen; sie hielt ein Kerzenlicht, das sie mit der Hand gegen den Zug schützte, und der Schein fiel auf ihr Gesicht und die bloßen Schultern.

Irgend etwas trieb den Schormayer dazu, daß er die Stufen hinaufging und nun auf einmal neben der Dirne stand und sie an der Schulter faßte.

»Herrgott, du bischt aba g'stellt!«

»Jessas, dös wenn d' Ursula wisset!«

»Was paß denn i auf de auf?«

»Du paßt scho auf! Host d' mi ja de ganz Zeit nimma o'schaug'n derfa!«

»A was! Dös is grad a so g'wen!«

»Laß 's guat sei! Hör auf!«

»Teufi no a nei! Aba du bischt sauber g'wachs'n!«

»Hör auf, sag i!«

»Sei g'scheit, Madl!«

Dem Schormayer ging der Atem schwer, und die heiße Gier stieg ihm zu Kopf, und er kam ins Ringen mit dem üppigen Frauenzimmer. Da losch das Licht aus.

»Jessas na! Jetz is d' Kirz'n aa no ausganga!«

»Was braucha denn mir a Liacht?«

»Geh abi in dei Stub'n!«

»I mag it, und i bleib amal bei dir!«

»Na, dös derfst it!«

»Jo, sag i! Herrgott, wo bischt denn?«

Die Zenzi war ihm entwischt, und er hörte sie auf dem Gange, und da schnappte eine Türklinke ins Schloß, und ein Riegel wurde vorgeschoben.

Der Schormayer tappte im Dunkeln vorwärts. Er stieß mit dem Fuße an seinen Stock, den er hatte fallen lassen, und dann suchte er an der Wand, bis er die Magdkammer fand. Die Tür war verschlossen.

»Zenzi, mach auf!«

Er horchte und hielt den Atem an, weil er vor seinem eigenen Schnaufen nichts hörte.

Drinnen kicherte es.

»Geh, Madl, sei g'scheit und laß mi eini! Es reut di g'wiß it!«

Wieder war es still.

»Du, paß auf! Wann's d' mi eini laßt, is dei Schad'n net.«

Da antwortete die Zenzi endlich.

»Na, dös sell derf it sei!«

»Warum it? Auf wen hamm denn mir aufz'pass'n?«

»Was that'n denn deine Leut' sag'n?«

»Dös is mir wurscht. Jetz mach amal auf!«

»Geh abi! D' Urschula ko all' Aug'nblick kemma!«

»Vo mir aus kimmt s', wann s' mag. Und bals d' jetzt net aufmachst, tritt i d' Tür ei!«

»Jessas na! Gib do an Ruah!«

»Himmisaggerament!« Der Schormayer rannte wütend gegen die Tür.

Da raschelte es in der Kammer, der Riegel wurde leise zurückgeschoben, und der Bauer fiel beinahe über die Schwelle der sich öffnenden Tür.

»Du bischt aba wild!« sagte Zenzi vorwurfsvoll. »Und jetz gehst abi!«

»Jetz wer i geh! – Freili!«

Mit festen Griffen hielt er die Dirne.

»Loß do aus! I muaß ja d' Tür zuasperr'n!«

Er hielt sie am Arme, indessen sie die Kammer verriegelte, und dann umfaßte er sie und drängte sie vor.

»Na, du bischt oana! Aba na! Aba na!«

*

Eine Stunde später rumpelte ein Fuhrwerk in den Hof.

Zenzi fuhr auf und stieß den Bauern, der angekleidet neben ihr lag, unsanft an.

»D' Urschula is kemma!«

Der Schormayer brummte unwillig und wachte nicht auf.

»Jessas na! Jetz flackt a do, und de ander muaß scho glei herob'n sei!«

Sie schrie ihm halblaut ins Ohr: »Du, d' Urschula is do!«

Er gab keine Antwort und schnarchte weiter.

»Dös werd it schlecht!« seufzte die Magd und horchte hinaus.

Indem war aber die Ursula schon ums Haus herumgegangen und zur Küche hereingekommen. Sie machte Licht und schaute nach der Wanduhr.

»Elfi vorbei!«

Da hatte sie sich doch ein wenig lang verhalten beim Ratschen mit der Base und dem Prückl Kaspar, der ihr nicht übel gefallen hatte. Und er war auch gar nicht dagegen, die Schormayertochter zu nehmen; denn so fünfzehntausend Mark auf die Hand kriegte nicht eine jede mit. Ihr Sonstiges an Vorzügen hatte die Base auch redlich herausgestrichen, so daß der Kaspar sie frischweg eingeladen hatte, mit der Base auf Hirtlbach hinüberzufahren und sein Anwesen anzuschauen. Bis man alles gesehen hatte, war es Abend geworden, und hernach zog sich in Arnbach bei der Base wiederum der Diskurs in die Länge, denn es mußte alles beredet werden, bis sie dann endlich der Vetter heimfuhr.

»Schon elfi durch!« Der Vater schlief wohl längst und hörte sie nicht.

Ursula schaute sich in der Küche um und bemerkte mit Wohlgefallen, daß die Zollbrechtin sauber aufgeräumt hätte. Es war alles an seinem Platze, wie sie es verlassen hatte.

Sie nahm nun das Licht und ging die Stiege hinauf. Was war nun das? Vor ihrer Tür lag ein Stock; und wie sie ihn aufhob, sah sie, daß es dem Vater der seinige war.

Wie kam jetzt der herauf?

Sogleich war ihr Verdacht geweckt, und sie überlegte, wie sie den Alten zur Rede stellen werde.

Da kam ein leises Geräusch aus der Nebenkammer. Leise schlich sie vorwärts und horchte.

Es war wie Schnarchen und hörte plötzlich auf.

Ursula blieb auf ihrem Posten und drückte das Ohr an die Tür.

Und wirklich, es war wieder ein tiefes Schnarchen, das schnell erstickte und in ein Brummen überging. Denn drinnen hielt Zenzi ihre Hand dem Schormayer auf Maul und Nase, und er wehrte sich dagegen.

Jetzt klopfte Ursula.

»Zenzi!«

Keine Antwort.

»Zenzi, hoscht g'hört!«

Eine schlaftrunkene Weiberstimme gab an.

»Wos is denn?«

»Mach auf!«

»Han?«

»Aufmacha sollst!«

»Zu wos denn? I schlof ja scho!«

»Dös sell sag i dir nacha, z'weg'n was. Jetz mach amal auf, und g'schwind!«

»Loß mi do schlafa! Wann mi an ganz'n Tag arbet, derf mi do aa'r amal sein Ruah hamm!«

»Stehst d' it auf?«

»Na! I mag it, i möcht schlafa.«

»So? Dös ander werst na morg'n hör'n!«

Zenzi gab keine Antwort.

Da schrie Ursula zornig: »I woaß, wer bei dir drin is!«

»Wo herin? Bei mir is durchaus gar neamd!«

»Ja, lüag no! Du Loas, du abscheilige! Aba morg'n schmeiß i di naus, daß d' draußd lieg'n bleibst, du schlecht's Mensch, du!«

»Mei Ruah laß mi! Derf mi net amal in da Nacht sei Rauh hamm?«

»De kriagst na morg'n! Und der sell si schama! Pfui Deifi! Pfui Deifi!«

Von ihrem Schreien wachte der Schormayer doch auf. Er rumpelte auf.

»Was is denn? Wo bin i denn?«

»Bscht!« machte Zenzi und flüsterte ihm ins Ohr: »D' Urschula is drasd und hot wos g'spannt.«

Aber Ursula war schon in ihre Kammer gegangen, und auf dem Bettrande sitzend, fing sie zu heulen an.

»Da hört sie do allssammete auf! A so a Schand!«

Derweilen rieb sich ihr Vater den Schlaf aus den Augen und wollte aufstehen. Zenzi hielt ihn zurück.

»Bleib no a wengl do, bis sie schlaft; net daß s' di no'mal hört!«

»I will in mei Bett«, brummte er.

»Na ziahg aba d' Stiefeln aus, wann's d' scho abi gehst!«

Das vertrauliche Getu war ihm so zuwider, daß er darüber nüchtern wurde; und ein heftiger Zorn stieg in ihm auf, über sich und über das Weibsbild, und am meisten über die Ursula.

»Dös Luda hat ihra Nas'n überall'n drin, und 's Mäu kunnt s' net halt'n, de!« fluchte er vor sich hin.

»Ja, die übersiecht nix«, sagte Zenzi.

Ihre Zustimmung erinnerte ihn, daß er mit der Person da, mit seiner eigenen Magd, Heimlichkeiten hatte, und er wurde erst recht unwirsch.

»Laß mi naus!« befahl er grob.

»Aba d' Stiefln ziahg aus!« bat sie.

»Dös geht di nix o! I schliaf in mein Haus net umanand wia 'r a Diab.«

Er war schon bei der Tür und öffnete sie.

»Thua mir a paar Zündhölzeln her!«

Sie gab ihm eine Schachtel und sagte schmeichelnd: »Sagst d' mir na koa pfüad Good?«

»Guat Nacht jetz, und laß mi geh'!«

Er strich ein Zündholz an und ging laut durch den Gang und fest über die Stiege, daß jede Stufe knarrte.

Eine helle Wut war in ihm.

Das sollte die Ursula erst noch sehen, ob er sündhaft und demütig wegschliche!

Er schlug seine Tür zu und zog sich aus und schmiß sich ins Bett. Wenn es eine Dummheit war, dann war es eine Dummheit, und fertig!

Die Ursula hörte ihn gut, und sie mochte es seinen Schritten anmerken, daß er nicht reumütig und sanft gestimmt war.

Sie unterdrückte ihren Wunsch, ihm etwas nachzurufen, und hörte vor Staunen auf zu weinen.

»Da schaug her!« brummte sie. »Der schamt si gar it amal!«


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