Ludwig Tieck
Leben und Tod der heiligen Genoveva
Ludwig Tieck

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Garten. Mondschein.

Golo mit seiner Laute.
    Ihr hohen Bäume, heilge dunkle Gänge,
    Wie blickt ihr ernst und groß auf mich danieder,
    Da singt Sirene wieder ihre Lieder,
    Die Nachtigall läßt schallen die Gesänge.

    Wie dringen durch mein Herz die süßen Klänge,
    Da fühl' ich nun die Feuerflammen wieder,
    Ich kann mich nicht erwehren, daß die Hyder
    Nicht hin zu meinen Eingeweiden dränge.

    Mich lockt der Klang, doch seh' ich die Gebeine
    Am nackten Felsenufer weiß erschimmern,
    Die vor mir ihr Verderben liebend fanden.
    So wank' ich fort im goldnen Mondenscheine,
    Indeß die Sterne freundlich oben flimmern,
    Will ich auch gern an diesem Felsen stranden.

Ja Felsen ist ihr Herz! verstumme Schall!
O schweige, liebesbrünstge Nachtigall!
Es reißt mich fort, in allen meinen Sinnen
Fühl' ich ein Treiben, innerliches Wühlen,
Doch muß ich bleiben, und kann nicht von hinnen,
Ich darf nicht gläuben, muß mich elend fühlen.
Der Mondschein saugt an meinem Herzen,
Und tiefer, tiefer gräbt die Sehnsucht ein,
O bange Angst, heißhungre Schmerzen,
Wollt ihr auf ewig bei mir heimisch sein?
Die Abendwinde gehn mit Spielen
Durch Gras und Laub mit freundlichem Gang,
Die Bäche murmeln das Thal entlang,
Ich muß es fühlen,
Wie alle Sterne nach mir mit Liebespfeilen zielen.

Genoveva und Gertrud auf dem Balkon des Schlosses.

Genoveva. Wie still die Nacht des Tages Hitze kühlt,
Wie sanft der Mondschein auf dem Grase spielt,
Wie süß das Herz sich nun beruhigt fühlt.

Golo. O wie voll Unruh sich mein Herze fühlt,
Die kühle Nacht nicht meine Flammen kühlt!

Gertrud. Die Nacht ist schön, in einer solchen Nacht
Ward Golo mir von einem Mann gebracht,
Der meine Brust als eignes Kind gesogen,
Den dann Herr Wolf zu eurem Dienst erzogen.

Golo. Sie schimmert wie ein neuer Sternenhimmel,
Ein neuer Mond ist sie emporgestiegen,
Wie blaß ist nun der helle Glanz, wie schüchtern,
Da sie die Strahlenaugen aufgehoben,
Da sie die süßen Blicke kund gethan
Und Blum und Baum und grünes Gras beschienen.
Wie kann Natur so holde Schönheit zeugen,
Sich selber durch die Schönheit zu beschämen,
Sie muß sich vor dem eignen Werke neigen,
Dies Wunder muß die innern Kräfte lähmen.

Genoveva.
Wie oft hab' ich in vorger Zeit gestanden,
Mich aus dem Klosterfenster ausgelehnt,
Was hat mein kindisch Herz damals gewähnt,
Von unbekannten, fernen, goldnen Landen.

Da wußt' ich nichts von süßen Liebesbanden,
Doch war mein Herz nach Liebe hingesehnt,
Die Wange ward von Freud' und Leid' bethränt,
Bis meine Blicke dann die Sterne fanden.

Dann fühlt' ich Himmelskräfte niedersteigen,
Und jedes Ringen war in mir gestillt,
Das Irdische lag da wie ausgeglommen:

Sah ich das Gold des Mondes zwischen Zweigen,
So war mein Herz mit Wonne ganz erfüllt, –
Dies fühl' ich jezt in mir zurücke kommen.

Gertrud. Es geht ein Mann dort in des Gartens Stille.

Genoveva. Sei still, mir deucht ich höre Lautentöne.

Gertrud. Der schöne Golo ist es ganz gewiß.

Golo spielt auf der Laute.

Genoveva.
    Wie die Töne sich entzünden
    In des Mondes goldnem Schweigen,
    Zu den Wolken aufwärts steigen
    Und die hohen Sterne finden.

    Ist es nicht als wenn die Quellen
    Leiser, lieblicher nun fließen,
    Kleine stille Blumen sprießen
    An dem Spiegel ihrer Wellen.

    Winde bringen frohe Kunde
    Aus den steilen Bergen nieder.
    Und die Bäume sumsen Lieder,
    Alles singt zu dieser Stunde.

    In dem Herzen klingen Töne,
    Die sich mit der Nacht verwirren,
    Rieselnd durch einander irren
    All' in Harmonie der Schöne.

Golo.
    Deine Worte sind im Dunkeln
    Wie die rothen Edelsteine,
    Die mit ihrem Zauberscheine
    Durch die Nacht und Dämmrung funkeln.

    Mag doch Mond nun untergehen,
    Willst du nur so hold noch sprechen,
    Wird uns Schimmer nicht gebrechen,
    Bleibt der Mondglanz golden stehen.

    Horch! die Bächlein nicht mehr rauschen,
    Nachtigall hat ausgesungen,
    Still der Bäume grüne Zungen,
    Weil sie alle dir nur lauschen.

    Deine Blicke, schießende Sterne,
    Deine Worte Flötentöne,
    Frühling deines Lächelns Schöne;
    Ach wie erfreun
    In deinem Schein
    Sich all' Creaturen so gerne.

Genoveva. Haltet inne Golo mit den Schmeichelworten,
Die in der stillen Nacht mein Ohr bezaubern,
Wie Fabel und Gedicht aus ferner Zeit;
Der Mondenschimmer lädt' zum Dichten ein
Und zum Erfinden, das der Wahrheit fern
So wie dem ernsten Schein des Tages ist.
Doch wenn ihr uns poetisch wollt ergötzen,
So singt uns zu der Laute eins der Lieder,
Der vielen eins, die euch geläufig sind,
Mich hat die wackre Gertrud, eure Amme,
Auf diesen Altan herbegleitet.

Golo.                                                 Gern
Sing ich ein schlichtes Lied, das gestern mir
Den Sinn erfüllte.

    Da irr' ich in den Steinen
    In wilden Büschen hin,
    Einsam, und kann nicht weinen,
    Die milden Sterne scheinen,
    Gebrochen ist mein Sinn,
    Die Kraft dahin.

    Ich war ein junges Blut
    Zu Lust und Tanzen munter,
    Hochfliegend war mein Muth,
    Die ganze Welt mir gut,
    Geht alles jezt bergunter,
    Zur Nacht hinunter.

    Mich sehn die Waffen an,
    Mein Roß giebt mir die Blicke,
    Ich bin ein andrer Mann,
    Daß ich's nicht sagen kann:
    Verschwunden all mein Glücke
    Im Augenblicke.

    Sonst hört' ich gern von Schlachten
    Und wünschte mich ein Held,
    Jezt mag ich nichts mehr achten,
    All' Sinne nicht mehr trachten
    Hinein in volle Welt,
    Mir nichts gefällt.

    Sie ist mir hart und spröde,
    Hoffnung ist mir vergangen,
    So bin ich still und blöde,
    Drum geh' ich in die Oede,
    Und naß sind meine Wangen
    Vor Pein und Bangen.

    Kein Wort wag' ich zu sprechen,
    Sie frägt mich nicht darum,
    Ich will die Sorge brechen,
    Mich an mir selber rächen,
    Der Kummer bringt mich um,
    Er bringt mich um.

Genoveva. Ihr Golo habt dies Lied nicht selbst gedichtet.

Golo. Ich habe gestern Wort' und Weis' erfunden.

Genoveva. Doch paßt es nicht in euer froh Gemüthe.

Golo. Mir ist wohl mit des Frühlings schöner Blüte
So Lust wie Freude bald hinweggeschwunden.

Genoveva. Es wechseln auf und ab des Lebens Stunden,
Ich weiß nicht, wen ihr liebt, wenn ich auch riethe.

Golo. Ihr kennt sie wohl, doch sie zu nennen hüte
Ich mich mit Recht, ihr höhnt nur meine Wunden.

Genoveva. Hier mag das wild Gespräche lieber enden,
Es schafft der Mensch sich Trauer so wie Freude,
Die Nacht bethaut den Sinn mit Schwärmereien.

Golo. Nie wird die bleiche Angst sich von mir wenden,
Mein Herz verblutet am verborgnen Leide,
Ich will mich gern für sie dem Tode weihen!

Man hört eine Trompete.

Genoveva. Kommt mit hinein, Gertrude, dieser Schall
Verkündigt uns wohl einen lieben Boten.

Gertrud. Vielleicht von unserm Herrn, dem edlen Siegfried.

beide ab.

Golo.
Sieh, Laute, sieh, so reiß' ich dich in Stücke,
Kein Lied soll mehr in deinen Saiten zittern,
Und so zertrümmr' ich selbst mein gutes Glücke,
Wie ich dich tausendfältig will zersplittern.
Ruh und Frieden,
Stille Nächte,
Freud' am Tage,
Lustge Morgen,
Sind mir ferner nun nicht mehr beschieden.

Ihr Sterne all, du Mondschein, sinke nieder!
Doch dann kömmt ja zurück der helle Morgen,
Er bringt mir alle meine Schmerzen wieder,
Und tausend neue Quaal und Pein und Sorgen:
All' die Blicke,
All' die Süße,
Klang der Rede,
Mundeslächeln,
Alles bringt der Tag mir neu zurücke.

Dürft' ich sie einmal an den Busen schließen,
Nur einmal dieses Herz am mein'gen fühlen,
Ein einzig armes mal die Lippen küssen,
So würde sich der Brand im Innern kühlen:
Doch vergebens,
Nein, beschlossen
Ist vom Himmel,
Von der Holden
Ohn' Widerspruch das Ende meines Lebens. ab.



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