Ludwig Tieck
Die Geschichte von den Haimonskindern
Ludwig Tieck

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Fünftes Bild

Reinolds Händel am Hofe.

Haimon ritt nun mit seinen Söhnen und den Abgesandten nach Paris, und König Karl kam ihm entgegen, und freute sich ihn zu sehen, denn es war in zwanzig Jahren das erstemal, daß er ihn unbewaffnet sah. Karlmann folgte ihm sehr ungern, denn er hatte einen Haß auf Haimon und sein ganzes Geschlecht. Nach einem freundlichen Empfange ritten alle nach Paris zurück. Die Ritterschaft und alle Damen bewunderten Reinolds Schönheit und Stärke, worüber Karlmann sehr ergrimmt ward, weil er sich für den schönsten und tapfersten Ritter im Lande hielt. Er ging zu Reinold, und sagte zu ihm: »Vetter, schenkst mir Euer Pferd, so will ich Euch eine andre Gabe dagegen verehren.« Reinold antwortete: »Es tut mir leid, daß ich Ew. Majestät für jetzt diese Bitte abschlagen muß, denn ich finde sonst kein ander Pferd, das für mich stark genug wäre.« Karlmann ging zornig beiseit und sagte: »Nun wohl, soll er auch, wenn ich gekrönt bin, kein Lehn empfangen, so wie die übrigen.« Da Reinold dies hörte, ging er wieder zu ihm und sagte: »Ich danke Gott, daß mir mein Vater so viel gegeben hat, daß ich Eurer Lehne nicht bedarf.«

Als die Tafel gehalten ward, befahl Karlmann, daß man den Haimonskindern nichts zu essen geben sollte. Alle Ritter und Edle setzten sich, da erscholl Musik, und einem jeden ward aufgetragen, so viel nur sein Herz begehrte; nur die Kinder Haimons erhielten nichts, und man tat, als wären sie gar nicht zugegen. Als Reinold dieses innewurde, ging er hinaus, stieß mit einem Fuß die Tür der Küche auf, und nahm von den dastehenden Schüsseln so viel als ihm beliebte. Der Koch wollte ihm die Schüsseln nicht verabfolgen lassen, aber Reinold schlug ihn sogleich, daß er zur Erden fiel. Nun hatte er mit seinen Brüdern genug; und König Karl, der den Vorfall hörte, sagte: »Er hat recht getan.« Der Marschall näherte sich Reinold und sagte. »Junger Herr, Ihr habt groß Unrecht getan, den Koch zu erschlagen, wenn ich einer seiner Verwandten wäre, so würde ich das schwer an Euch rächen.« »Dazu habt Ihr keinen Mut«, sagte Reinold, und der Marschall ward über diese Antwort erzürnt, und schlug nach Reinold; aber dieser schlug ihn mit der Faust sogleich zu Boden, und stieß den Leichnam mit dem Fuß, daß er weit in den Saal hineinrollte. König Karl gebot Ruhe, und daß die Kurzweil und die Musik ungestört fortwähren solle; worauf denn alle guter Dinge waren, und so der Tag zu Ende ging.

Karlmann gebot, daß man in der Nacht den Haimonskindern kein Bette anweisen sollte, so daß sie in Ruhe schlafen könnten. Als dies Reinold inneward, machte er in der Nacht ein solches Getöse mit seinen Waffen, daß alles im Schlosse aus den Betten fuhr, und bekümmert war und durcheinanderlief. Nun legte sich Reinold mit seinen Brüdern in die Betten, die ihnen am besten gefielen, und diejenigen, die so vertrieben waren, brachten die Nacht unter Klagen und Murren hin.

Am folgenden Tage ward Karlmann in der Kirche feierlich zum Könige von Frankreich gekrönt. Ein schöne Musik ward aufgeführt, und der ritterliche Bischof Turpin las die Messe, und dem jungen Könige ward ein kostbares Schwert umgegürtet, und eine überaus köstliche Krone auf das Haupt gesetzt.

Reinold war vom König Karl zum Speisemeister ernannt, Adelhart zum Mundschenken, und sie versahen ihre Dienste sehr wohl, als der Zug zum Palaste zurückgekommen war; auch Ritsart und Writsart warteten überaus geschickt bei der Tafel auf, so, daß jedermann die adeligen Sitten bewunderte. Nach der Mahlzeit versammelte König Karlmann alle Edlen im Garten, und teilte die Lehen aus, aber den Haimonskindern gab er nichts, worüber Haimon ergrimmt zu König Karl lief, und ihm diesen Vorfall kundtat. Karl schalt in Gedanken die Unart seines Sohnes, und gab allen drei Brüdern sehr ansehnliche Grafschaften zur Lehen, worüber Karlmann, als er es erfuhr, äußerst erbost ward. Er sagte. »Ich will jetzt probieren an einem Steinwurfe, ob die Edeln meines Landes auch stark und gewaltig sind; ich vermesse mich, der Stärkste im Werfen im ganzen Königreich zu sein.« – Alle Ritter und Edle schwiegen still, und Karlmann wiederholte die stolzen Worte noch einmal. Der alte Haimon konnte diese Vermessenheit nicht anhören, und sagte: »Ew. Majestät sollten Gott im stillen für seine große Gnade danken, wenn dem also ist, aber ich kenne einen jungen Helden von zwanzig Jahren, der diesen Stein wohl weiter werfen könnte, wenn er nur wollte, als Ihr es je imstande seid.« – »Holt nur Euren Sohn Reinold!« rief Karlmann ergrimmt, »damit Ihr selbst gewahr werdet, wie Ihr mit Euren prahlerischen Reden zuschanden werden sollt.« Da ging Haimon abseits seinen Sohn Reinold aufzusuchen, und weinte bitterlich, denn die Rede Karlmanns hatte ihn gar zu sehr innerlich verdrossen. Reinold sah seinen Vater auf sich zukommen, und verwunderte sich über die Tränen, die diesem von den Wangen herunterliefen. Haimon erzählte ihm den Vorfall, und bat seinen Sohn, den Stein doch ja weiter zu werfen, weil er sonst als ein Lügner bestehen müsse, welches ihm in seinem ganzen Leben noch nicht begegnet sei. Reinold wandte ein, daß Karlmann sein König sei, und daß er ihn nicht erzürnen wolle; worauf Haimon sagte: »Nun gut, mein Sohn, wenn du deinen alten Vater umsonst hast weinen lassen, so muß ich sterben, denn ich kann als Lügner nicht weiterleben.« Darauf rief Reinold aus: »Nein, sterben sollt Ihr nicht, ich will den Stein weiter werfen, und wenn gleich mein Gegner der Teufel wäre.« So folgte er seinem Vater zur Gesellschaft.

Karlmann warf den Stein weit weg, die übrigen Ritter warfen auch, aber keiner erreichte Karlmanns Ziel. Reinold nahm ihn und warf ihn viel weiter, als der König getan hatte. Darauf nahm Karlmann seine ganze Gewalt zusammen, und warf den Stein noch weiter als Reinold, Reinold aber ergriff ihn wieder, und warf ihn mit großer Leichtigkeit so weit über das Ziel hinaus, daß Karlmann den Mut verlor.

Da der junge König sehr erbost war, so versuchte es der falsche Ganelon, ihn zu trösten. Er schlug ihm vor, dem Adelhart auf den Kopf zuzusagen, daß er sich vermessen habe, ihn im Schachspiel zu überwinden, er sollte also mit ihm spielen und dabei ausmachen, daß derjenige, der fünf Spiele hintereinander gewönne, dem andern das Haupt abschlagen dürfe. Dem Könige gefiel dieser falsche Rat, und er ließ Adelhart kommen; dieser weigerte sich lange, um einen so hohen Preis zu spielen, aber Karlmann zwang ihn dazu, und Ganelon bezeugte, daß er sich vermessen habe, den König im Schachspiel zu besiegen. Karlmann gewann drei Spiele hintereinander, und Adelhart war seines Lebens wegen sehr besorgt. Aber er nahm allen seinen Verstand zusammen und gewann das folgende Spiel und ebenso noch vier andre, womit er eigentlich das Haupt des jungen Königs gewonnen hatte. Er neigte sich gegen Karlmann, und sagte: »Ich begehre nicht den Vertrag zu erfüllen, aber hüte sich Ew. Majestät vor demjenigen, der Euch diesen Rat gegeben hat, denn er meint es wahrlich nicht gut mit Euch.« Karlmann aber ergriff das silberne Spielbrett, und schlug damit Adelhart ins Angesicht, daß er blutete. Adelhart ging traurig fort in den Stall, lehnte seinen Kopf an Bayart und weinte; dort traf ihn Reinold und fragte ihn, was ihm fehle; er wollte es anfangs verschweigen, weil er den Grimm seines Bruders fürchtete, da ihn aber Reinold selber zu ermorden drohte, wenn er ihm die Wahrheit nicht gestünde, so erzählte er ihm aus Furcht den ganzen Verlauf des gefährlichen Spiels. Da ward Reinold sehr zornig, und sagte. »Wie? darf man einem Bruder von mir so begegnen? Kann ich es leiden, daß ich so das brüderliche teure Blut zu Boden fließen sehe? Du hast sein Haupt gewonnen, und ich will es dir bringen.«

Er ließ hierauf Bayart nebst den andern Pferden heimlich aus der Stadt schaffen, dann ging er in Karlmanns Zimmer, bei dem sich Karl und viele Edle befanden; mit grimmigem Gesicht packte er den jungen König bei den Haaren und schlug ihm sein Haupt mit dem Schwerte ab; worauf er es seinem Bruder Adelhart gab und sagte: Hier hast du deinen Gewinst!«

Dann verließen die Brüder mit ihrem Vater die Stadt Paris.


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