Ludwig Tieck
Die Geschichte von den Haimonskindern
Ludwig Tieck

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Zehntes Bild

Die Kunst des Malegys.

Indem trat ein alter Pilgrim aus dem Gebüsche und ging auf Reinold zu. Er hatte weiße Haare und einen langen Bart, seine Augenbraunen hingen ihm über das Gesicht, so daß er durch die Haare sehen mußte, und man von ihm glauben konnte, daß er wohl an zweihundert Jahr alt sei. Er ging an einem Pilgrimsstabe und hinkte langsam daran einher. Reinold verwunderte sich über die alte Gestalt, die auf ihn zukam.

Der Alte sagte: »Ei, junger Herr, worüber trauert Ihr denn so sehr? Ich bin weit und breit die Länder durchzogen, aber nirgends, das mag ich sagen, habe ich eine Person angetroffen, die so traurig gewesen wäre, als Ihr es zu sein scheint.« – »Ich habe auch die größte Ursache zur Traurigkeit«, antwortete Reinold, »denn meine Brüder sind verloren, und ich kann ihnen nunmehro auch nicht helfen, weil man mir mein Roß Bayart gestohlen hat. Ich hatte mir große Taten vorgesetzt, und wollte sie befreien, aber Gott hat es anders gelenkt, darum will ich auch nicht länger widerstreben, sondern mich für überwunden erkennen und mein ganzes Leben aufgeben, denn ich fühle eine große Lust in mir zu sterben.« – »Das muß nie sein«, antwortete der alte Pilgrim, »richtet Euch wieder auf, die Hülfe ist oft am nächsten, wenn man sie am wenigsten vermutet, und verehret mir ein Almosen, damit ich für Euch und Eure Brüder beten könne.«

Reinold bedachte sich, weil er kein Geld bei sich hatte, da fielen ihm seine goldene Sporen ein, die ihm jetzt gar nichts mehr nütze sein konnten, da er Bayart verloren hatte. Er band sie also los und gab sie dem Pilgrim, der sie sogleich in einen Sack steckte. »Wenn Ihr mir noch etwas zu geben habt«, sagte der alte Pilgrim, »so gebt es mir, und ich will in meinem Gebete Eurer dafür gedenken.« – »Wenn ich mich nicht schämte«, fuhr Reinold auf, »so wollte ich dich das Bettlerhandwerk lehren, daß du daran gedenken solltest.« Er meinte nämlich, ihm mit dem Schwerte eins zu versetzen, wenn der Pilgrim nicht zu alt und hinfällig gewesen wäre.

»Warum werdet Ihr böse?« fuhr der Alte fort, »der guten Gaben kann man niemalen zu viele sammeln, und im Alter kommen sie einem gut zustatten; darum, wenn Ihr noch etwas zu geben habt, so gönnt es mir lieber, als einem andern.«

Reinold zog hierauf sein kostbares Unterkleid aus, und sagte: »Siehe, ich gebe dir das, davon magst du eine lange Zeit leben.« Der Pilgrim nahm das Kleid und steckte es in den Sack und sagte: »Ich danke Euch, Herr Ritter, wenn Ihr noch etwas zu geben habt, so gebt es mir, ich will Eurer Brüder dafür in meinem Gebete gedenken.« Da ward Reinold zornig, und zog sein Schwert und hieb nach dem Pilgrim; der aber sprang zurück und verwandelte sich in einen schönen Jüngling von zwanzig Jahren, aber gleich darauf war er wieder der Alte. Reinhold erstaunte, und holte noch einmal mit dem Schwerte aus, der Pilgrim sprang aber wieder zurück und stand als ein schöner Jüngling da. Darauf wurde Reinold verwirrt und sagte: »Jetzt ist mein Unglück auf das höchste gestiegen, meine Brüder sind tot, dazu ist mein Roß Bayart gestohlen, mich selber wird man aufhängen, und der Teufel kömmt nun gar noch und fängt an mich zu vexieren: das kann und soll nicht so sein!« Er stürzte mit Wut auf den Jüngling zu, um ihn niederzuhauen, der aber fürchtete sich und rief: »Seht Euch vor, was Ihr tut, denn ich bin Euer Vetter Malegys!«

Kaum hatte Reinold diese Worte vernommen, so fiel er auf seine Kniee nieder und bat um Verzeihung und Beistand. Malegys nahm ihn nun in die Arme, tröstete ihn mit kräftigen Worten und versprach ihm, ihm sein Roß Bayart wieder zu verschaffen. Reinold wurde wieder froh und so machten sich beide Ritter auf den Weg nach Paris.

Malegys verwandelte den Reinold in einen ganz alten und schwachen Pilger, und so machte er sich auch selber wieder zu einem alten Mann. So kamen sie in die Stadt und setzten sich auf die große Brücke nieder, und die Vorbeigehenden gaben ihnen Almosen, denn sie sahen gar zu erbärmlich aus, besonders Reinold, der für einen Todkranken in einer Ecke der Brücke lag. Es war grade an demselben Tage, an welchem Roland sein geschenktes Pferd probieren wollte und es lief viel Volks zusammen, und viele Ritter und Damen, um den Kurzweil mit anzusehn. Reinold hatte sich seine Sporen wieder anlegen müssen, ohne daß man sie sehn konnte, um desto besser gerüstet zu sein.

Es kam nun König Karl über die Brücke mit dem Grafen Roland, und Bayart ward hintennach geführt. Der König sah die Pilgrime, gab dem Malegys ein Almosen und ließ sich mit ihm in eine Unterredung ein. Malegys erzählte viel von den Ländern, durch die er gereiset war, ebenso auch von der seltsamen Krankheit seines Gefährten; indem so kam Bayart näher, weil er seinen Herrn witterte, und schnupperte den Reinold freundlich an. Da Malegys das sah, schlug er das Roß mit seinem Stabe zurück, gleichsam als wenn sich sein Gefährte davor fürchtete. Darauf sagte er zum Könige, daß ihm ein weiser Einsiedler gesagt hätte, sein Geselle würde sogleich gesund werden, wenn er nur einmal so glücklich sein könnte, auf dem Rosse Bayart zu reiten. Der König antwortete: »Welch ein glücklicher Zufall, denn das ist eben das Roß Bayart, welches wir mit uns führen, und seht, das unverständige Tier schnuppert immer nach Eurem Gesellen hin, das muß fürwahr ein wunderbarer Mann sein.«

Darauf befahl er, daß Graf Roland den kranken Pilgrim nehmen und auf das Pferd setzen möchte; es geschah, aber der Pilgrim fiel sogleich wieder ab. Roland setzte ihn zum zweitenmal hinauf, und der Pilgrim fiel von der andern Seite wieder ab, endlich als Reinold zum dritten Male in den Sattel gesetzt ward, blieb er aufrecht sitzen und das Roß spürte nun seinen Herrn wieder und bäumte sich, und wollte von dannen laufen. Da gab ihm Reinold noch die Sporen und ließ ihm den Zügel schießen, und das Roß sprang gar behende davon und kam den Rittern bald aus den Augen. Malegys erhob über seinen Gefährten ein großes Klagegeschrei, der gewiß den Hals brechen würde, und Turpin der Bischof, Roland, Olivier und Ogier ritten dem entflohenen Pferde nach.

Im Walde hielt Reinold still, weil er diese Herren nachkommen sah, und gab sich ihnen zu erkennen, denn er wußte, daß sie es alle gut mit ihm meinten. Sie versprachen ihm auch, bei dem Könige für seine Brüder zu bitten, und ritten so zur Stadt zurück. Zum Könige sagten sie, sie hätten das Roß nicht ereilen können, worüber Malegys ein noch lauteres Klagegeschrei erhob; der König bedauerte ihn und gab ihm eine Verehrung. Dann entfernte sich der listige Zauberer, als wenn er zum Besten seines verlornen Gefährten eine heilige Wallfahrt vornehmen wollte.


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