Ludwig Tieck
Peter Lebrecht
Ludwig Tieck

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Peter Lebrecht

Eine Geschichte ohne Abenteuerlichkeiten

Zweiter Teil

Erstes Kapitel

Das versprochene Kapitel über die Kopfneigungen und Rückenbeugungen

Der Verfasser und der Leser stehn sich in diesem Kapitel wieder gegenüber, und begrüßen sich gegenseitig. Daß ich mit krummgebogenem Rücken als Portier vor dem Eingange dieses Teiles stehe, und daß mir die Leser bald mit vornehmen oder beschützenden, bald mit rezensierenden Mienen und Sonntagsgesichtern vorübergehen, versteht sich von selbst. Die Verfasser von Büchern müssen sogar so untertänig sein, daß sie die Vorübergehenden gar nicht einmal fragen dürfen, wie sie sich seit dem ersten Teile befunden, wie sie geschlafen haben.

Aber wenn ich auch der erste Autor sein sollte, so will ich dennoch gegen dieses alte Herkommen verstoßen. Ich will selbst unter die gebetene Gesellschaft treten, und mich nach dem hohen Wohlsein der allerseitigen Gäste erkundigen; denn ich sehe gar nicht ein, warum ein Verfasser, und arbeitete er auch nur in der Camera ObscuraEin damals in Berlin erschienenes, ganz schlechtes Wochenblatt; deren Herausgeber eine vornehme Miene annahmen, und nachher, durch andre mehr gefallende Produkte, sich einen Namen gemacht haben. , stets den untertänigen Bedienten oder Tafeldecker machen soll, der ehrerbietig und stumm hinter dem Stuhl stehenbleibt, wenn er die Speisen aufgetragen hat. Statt, daß man sich in Kritiken und Antikritiken herumzankt, sollte man lieber in den Büchern, die man schreibt (auf eignem Grund und Boden, wo man als Gutsbesitzer immer noch die meisten Rechte hat), sagen, was man auf dem Herzen hat.

Ich, Peter Lebrecht, trete also hinter der Staffelei hervor (die, beiläufig gesagt, weiter nichts als ein kleines Fruchtstück zeigt) und mische mich keck unter die Zuschauer.

Viele von Ihnen, wertgeschätzte Anwesende, haben ohne Zweifel den ersten Teil schon rein vergessen, und das kann ich Ihnen vors erste gar nicht übelnehmen, zweitens hat es auch gar nicht viel zu sagen. Denn in unserm Zeitalter, das ganz ohne Zweifel den Namen des vielbelesenen verdient, werden die meisten Bücher schon für die meisten Leser so eingerichtet, daß sie anfangen und aufhören können, wo sie wollen, und ich hoffe, daß ich in dieser meiner Lebensbeschreibung auch hinlänglich dafür gesorgt habe. Wieviel Unglück würde auch daraus entstehn, wenn die Leser nicht das wieder vergessen sollten, was sie gelesen haben? Wenn sie nicht deswegen läsen, um zu vergessen? Wer möchte dann Schriftsteller sein? man würde dann gewiß mit einem verehrungswürdigen Publikum gar nicht auskommen können; es würde unsre neusten Bücherverfertiger unaufhörlich anklagen, daß sie alle die schönen Empfindungen schon hundert- und zweihundertmal gelesen hätten; es würde der Liebe, der Turniere und schrecklichen Hahnenkämpfe der Ritterwelt endlich überdrüssig sein, weil es immer dasselbe, und fast mit den nämlichen Worten wiedergesagt, ist; es würde unter der ungeheuren Menge von neuen Produkten doch auch nach etwas Neuem suchen, und sich dann gewaltig betrogen finden. Kurz, das liebe Publikum würde wahrhaftig, wenn es Gedächtnis hätte, am Ende darauf verfallen, die guten Bücher lieber mehrmals zu lesen, als die schlechten Wiederholungen schlechter Bücher.

Ich verspreche hier dem rüstigen Leser feierlich, daß dieser zweite Teil mit dem ersten meiner Lebensbeschreibung eben nicht weiter zusammenhängen soll, und daß er also mit vieler Erbauung fortfahren kann, wenn er auch alles, sogar bis auf den Namen, vom ersten Teile vergessen hat.

Es ist mir immer sonderbar vorgekommen, daß sich alle Autoren vor ihren Büchern an den Leser wenden, daß man in den Büchern selbst immer von einem Leser sprechen hört, der dies und jenes zu erfahren wünsche, der dem Schluß einer Geschichte entgegensehe, der dem Verfasser oft erlauben muß, bei zu rührenden Szenen die Feder aus der Hand zu legen; sogar die Druckfehler eines Buches zu korrigieren, muten die meisten Verfasser einem geneigten Leser zu.

Dieses unsichtbare und unbegreifliche Wesen wird auch selbst in Büchern angeredet, die niemand liest; man findet selbst auf Makulaturbogen Anrufungen an diese unbekannte Gottheit, deren Altar nirgends und allenthalben steht. Ich nannte den Leser eine Gottheit, nicht etwa bloß um dem meinigen etwas Schmeichelhaftes zu sagen, sondern weil ich überzeugt bin, nachdem ich eine Menge von Stellen aufgeschlagen habe, daß ihn sich die meisten Autoren unter diesem Bilde vorstellen. Sie denken ihn sich als einen ziemlich breitschultrigen Heros, der vieles dulden und ertragen kann, der es gleich einem Herkules wagt, das dickste Buch, selbst wenn es dialogiert ist, aufzuschlagen, es zu Ende zu lesen, und selbst nach dem zweiten und dritten Bande zu greifen. Dieser Leser ist zugleich so geformt, daß er mit allen Teilen aller Wissenschaften ziemlich vertraut ist, daß er sich für Vergangenheit und Zukunft interessiert, nur daß ihm in den meisten Fällen der gesunde Menschenverstand fehlt; er hat, trotz seiner robusten Konstitution, doch viele Schwächen, und das Unglück ist, daß Autoren und Buchhändler diese recht gut kennen; denn dieses seltsame Wesen läßt sich zum Beispiel durch ganz schlechte Kupferstiche und ganz abgeschmackte Büchertitel anlocken: statt einer Allwissenheit ist dieser Halbgott mit einer Allneugier begabt; das Vorzüglichste an ihm ist seine Güte, darum wird er auch der Nachsichtige genannt, bei welchem Namen er sich fast auch am liebsten rufen hört. Gewisse Wesen, die die Sterblichen Rezensenten nennen, machen ihm seit einiger Zeit dieser Nachsichtigkeit wegen Vorwürfe genug, aber er legt diese Tugend nicht ab, und ich und alle Autoren mit mir, bitten ihn inständigst, daß er es nie tun möge. Diese Rezensenten sind nichts anders als eine schädliche Oppositionspartei, die die einmal hergebrachte ordentliche Ordnung der Dinge umkehren wollen; sie werfen mit schädlichen und fast giftigen Reden um sich, und wollen den oftgenannten Leser gewissermaßen zwingen, Geschmack zu haben, als wenn dieses arme Wesen nicht schon von der Langeweile und von tausend Übeln, von denen sich ein vernünftiger Mensch kaum eine Vorstellung machen kann, gequält genug wäre, daß man ihm auch noch die Freude rauben will, die Cramerschen Romane gut zu finden.

Doch, ich vergesse ganz, wovon ich sprechen wollte. – Ich stehe hier am Eingange und mache meine demütige Verbeugung, und vergesse in der Zerstreuung, daß Leute um mich her stehen, die mich grüßen, die sich wundern, warum ich in dieser Rückensenkung so lange verharre.

Also, meine wertgeschätzten Herren und Damen – viele von Ihnen sind mit dem ersten Teile unzufrieden, und ich muß Ihnen leider gestehn, daß Ihnen dieser zweite noch weit weniger gefallen wird.

Oh, um des Himmels willen! lassen Sie mich von einem so kleinen, unbedeutenden und uninteressanten Buche nicht selbst so viel sprechen, oder ich werde so schwermütig, daß ich es gar nicht wage, Ihnen über die Komplimente meine Bemerkungen mitzuteilen. – Was sind diese kleinen Blätter im lauten, rauschenden Strome der Zeit? – Sie können nur dazu dienen, Ihre Aufmerksamkeit etwas von diesem fürchterlichen Geräusche abzulenken. Mancher Leser, der meine Lebensgeschichte in einer mäßigen, nachher ganz vergessenen Stunde durchblätterte, hat indes vielleicht einen großen Verlust erlitten, oder sich in seinem Innern auf eine gewaltsame Art verändert; er blättert nun vielleicht in diesem zweiten Teile, um nicht bei sich zu sein, um sich vor sich selber verleugnen zu lassen, und wie kann ich wissen, mit welchen umgewandelten Empfindungen er dann einst in starrer Hand das Zeitungsblatt hält, und er kaum noch darin bemerkt, daß der dritte Teil angekündigt wird.

Wenn ich zeichnen könnte, so würde ich hier das Buch sogleich mit vielen Figuren eröffnen, die mich und die verschiedenartigen Leser mit den Krümmungen ihrer Rücken, oder den Bewegungen ihrer Köpfe darstellen sollten.

Die Komplimente sind gewiß mehr als Lachen, Weinen und die Blattern, das, was den Menschen von den Tieren unterscheidet; denn ein Affe, der diese nicht einem wohlgezogenen Menschen nachmacht, wird von Natur gewiß nie auf diese Erfindung verfallen. Selbst der Verstand und der gen Himmel gerichtete Blick scheinen mir nicht so charakteristisch, denn der erste ist ziemlich unsichtbar, und das zweite Merkzeichen scheint immer seltener zu werden, und würde vielleicht ganz ausgehn, wenn ein starker Körperbau manche Menschen nicht zwänge, ihren Kopf gerade und aufrecht zu tragen. – Wenn ich in der Ferne zwei Wesen sehe, und weiß nicht, was ich aus ihnen machen soll, so schließe ich aus den gegenseitigem Verbeugungen, daß es Menschen sind.

Es hat mich oft in Erstaunen gesetzt, daß die Natur selbst durch die künstliche Einrichtung der Rückenwirbel dafür gesorgt hat, daß der Klient ohne große Unbequemlichkeit seinem Patrone den gehörigen Respekt bezeigen kann, und sehr angenehm ist es mir immer gewesen, daß ich aus den Arten, den Rücken zu krümmen, jedesmal mit ziemlicher Gewißheit schließen kann, in welchem Verhältnisse die sich bückenden Personen gegeneinander stehn. Stehn sie sich so gegenüber, daß sie ein vollkommenes Portal ausmachen, und daß einer genau auf den andern acht gibt, und sich gleich einen Zoll tiefer untertaucht, wenn jener sich um einen Zoll tiefer bückt, so sind es gewöhnlich zwei Edelleute, mittlern Alters, in Zivildiensten; sie bilden, wie gesagt, ein schönes verhältnismäßiges Portal; zwischen den beiden Frisuren fehlt nichts, als ein Schlußstein, und es ist ein schönes und kühnes Gewölbe. – Ist dieses Gewölbe um so viele Grade tiefer gedrückt, daß es ohngefähr einen Halbzirkel und kein Oval ausmacht, so, daß es wie der Eingang zu einem Begräbnisse aussieht, so will ich jedesmal darauf wetten, daß es zwei Gelehrte sind, die sich unter dieser Figur vorlügen, daß sie die größte Hochachtung voreinander haben.

Diese Verbeugungen gehören zu den gleichartigen. Wenn aber ein Adlicher mit einem Bürgerlichen sich begrüßt, so entsteht daraus eine andre Figur, die weit schwerer zu beschreiben ist. Der Bürgerliche wird plötzlich durch den Edelmann daran erinnert, daß er einen Rücken habe, und beugt diesen so künstlich, als es ihm nur immer möglich ist, bis auf den letzten Wirbel; der Edelmann im Gegenteil wird plötzlich durch den Bürgerlichen daran erinnert, daß er einen Kopf habe, und nickt mit diesem auf eine sehr angenehme Weise, ohne an den Rücken weiter zu denken, er spart diesen für die erste Zusammenkunft mit einem, der hochwohlgeboren ist. Sein Kopfnicken aber wird zuweilen durch ein gewisses Lächeln bedeutender gemacht, welches die Leute sehr gut ein gnädiges Lächeln nennen, oder er wendet wohl gar noch ein Stück der rechten oder linken Schulter daran, um das Wohlgefallen auf eine höfliche Art auszudrücken, daß man ihn gehörig gegrüßt habe.

Bürgerliche Anatomiker sagen uns, das Rückenmark sei eine Verlängerung des Gehirns; ich sehe aber gar nicht ein, warum es nicht ein Adlicher umkehren und sagen könnte: das Gehirn ist eine kugelförmige Verlängerung des Rückenmarks, eine abgerundete Zugabe, die nur dazu dient, um zu bezeichnen, daß der Körper fertig sei, und daß man nun nur noch einen großen Hut daraufsetzen dürfe, um einen ganz gemachten Mann vor sich zu sehn. Wenn dies seine Richtigkeit hätte, so wäre die Abteilung unter den Menschen ebenso notwendig als natürlich, und das Gleichheitssystem der Franzosen dürfte dadurch vielleicht den größten Stoß erhalten. Der Bürgerliche hätte dann ganz recht, wenn er seinen Kopf immer als eine schwere übergebogene Blume vorwärts trüge, und der Adliche könnte dann ganz füglich seine Rückenbeugungen ebenfalls für Kopfarbeit ausgeben.

Alle Völker scheinen die Empfindung zu haben, daß im Kopfe irgend etwas Anstößiges liege: man schämt sich beim Grüßen, daß dieser kleine, unwürdige Teil einen Tressenhut trägt, und nimmt diesen sehr tief herunter; man biegt den Kopf selbst so tief, als er nur immer sinken kann; man gibt den ganzen Rücken preis, um nur den Kopf zu verbergen; die Asiaten werfen sich auf das Gesicht nieder, und es ist ein Zeichen großer Ungnade dort, wenn der Sultan von irgend jemand den Kopf fodert. »Er hat Kopf!« ist in vielen Gegenden das Schlechteste, was man von einem Menschen sagen kann; kein Mensch macht jetzt mehr Prätension darauf, alle Schriftsteller beeifern sich um die Wette, nicht mit dem Ausdrucke beschimpft zu werden; man hört auch von keinem Buche sagen: der Verfasser verrät Kopf; sondern immer nur: es sind viel Geister und Mordtaten darin; man weiß gar nicht, wie die wunderbare Geschichte zu Ende gehn wird; so daß ich nach allem diesen auf die Idee gekommen bin, daß man den Kopf vielleicht zu den Pudendis rechne, daß man ihn für eine Satire der Natur auf den Menschen halte; daß man ihn vielleicht ganz bedeckt tragen würde, wenn es die daran angebrachten Sinne erlaubten.

Der Leser wird von mir nicht verlangen, daß ich ihm alle mögliche Ab- und Spielarten der Komplimente und Verbeugungen schildern soll, als da sind: Leute, die vor übergroßer Freundlichkeit mit den Zähnen grüßen; andere, die statt vornüber zu sinken, nach der einen Seite fallen; von Leuten, die von vielen Höflichkeitsbezeugungen schief und beinahe bucklicht geworden sind, und von andern dergleichen seltsamen Ausnahmen.

Nur den so sehr gewöhnlichen Gruß kann ich nicht unerwähnt lassen, daß man oft sieht, wie Leute sich mit den Augen ganz nahe kommen, sich erst die eine Hälfte des Gesichts, und dann ebenso die andre genau betrachten.

Es ist z. B. Gesellschaft, in der sich der Doktor X.. befindet; man erwartet den Doktor Y..., der sich auch in dieser Stadt niederlassen will; Y... tritt ein; er wird dem X.. vorgestellt; ein Kompliment wird erfolgen; sie werden sich auf jeder Seite des Mundes küssen, und um nähere Bekanntschaft und Freundschaft ersuchen. – Sie haben sich genau betrachtet, um sich voreinander zu hüten. – Geistliche schütteln sich dabei gewöhnlich noch die Hände.

Wenn sich Frauenzimmer küssen, so beobachten sie bloß, wie fein der Mousseline um den Busen der geliebten Freundin ist, um ihn mit dem ihrigen zu vergleichen, oder ihn gegen andre Freundinnen lächerlich zu machen: ohngefähr sechs Minuten nachher erfolgt dann die Frage: »Ei, wo haben Sie den schönen Zeug her? wieviel kostet Ihnen die Elle?« – Diese Frage ist nichts, als eine Fortsetzung des Kusses.

Hat irgendeiner meiner Leser mit einem andern Leser auf einem Kaffeehause achtmal Billard gespielt, so darf er diesem kühn die Hand geben, und selbst den Handschuh drauf behalten. Man klemmt sich gegenseitig die Finger ein wenig, und so äußert sich die vertraute Freundschaft; andre Leute sagen dann: »Der ist mit dem und dem intim liiert.« –

Der Druck der Hand ist ein Gruß, den nur wenige verstehn, er ist die heimliche Chiffer einer geheimen Gesellschaft, man schreibt sie Tausenden in die Hand, und keiner erwidert sie; der es tut, ist ein Freund, er komme auch aus der entferntesten Gegend. Verlassen stehn manche Menschen ihre Lebenszeit hindurch, und die Hand zittert nach diesem Drucke; kein Wanderer kommt und bringt ihnen diesen Handwerksgruß.

Alle übrigen Komplimente lassen sich leicht entbehren, dieses nur schwer.

Ich muß hier das Kapitel schließen. –


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