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Schilderung einiger Menschen
Mich selbst mag ich nicht zu beschreiben wagen, denn unter allen Schilderungen sind die Selbstschilderungen die schwierigsten. Vielleicht hat der Leser schon aus dem ersten Teile einige meiner ehemaligen Schwächen und Torheiten kennen lernen, und ich gebe vielleicht in diesem Teile wider meinen Willen neue preis, von denen ich selbst nichts weiß. Wenn der Leser klüger ist als ich, so wird er mich in diesem Falle gleich mit dem ersten Blicke durchschauen; er wird allerhand Schwächen entdecken, die er entweder an andern bemerkt, oder selbst schon überstanden hat. Ein Schriftsteller schildert sich selbst immer am besten dadurch, wie er andre zu schildern sucht.
Von Hannchen, meiner Frau, ist wenig zu sagen. Es ist mir bei ihrem Anblick noch nie etwas anders eingefallen, als daß ich ihr gut bin. Sie ist still und bescheiden, und ruhig in sich selbst gekehrt.
Ich sollte es, wie einige dramatische Schriftsteller, machen, und auch die Kleidung meiner Personen beschreiben, aber ich muß gestehn, daß sie sich oft umziehn, und so würde der Leser doch keine deutliche Vorstellung von ihnen bekommen.
Mein Schwiegervater Martin ist ein einfältiger guter Mann, und ich möchte fast sagen, der beste Mann von der Welt, außer daß er es sehr gern sieht, wenn man ihn mit etwas gekrümmtem Rücken grüßt, er selbst dankt nur, indem er mit dem Kopfe nickt. Auf mich hält er sehr viel, und er ist in der ganzen Gegend meine Chronik, weil ich, wie er glaubt, seinem Hause so großen Glanz erteilt habe. – Er ist am Tage sehr fleißig, und besucht mich dann am Abend; zuweilen gehn wir miteinander auch wohl auf dem Felde spazieren; er hält mich im ganzen für einen guten Kopf, nur kann er es an mir nicht leiden, daß ich schreibe; manchmal bin ich ihm auch ein wenig zu freigeisterisch. – Es ist mir noch nicht vorgekommen, daß ich mich jemals zu seinem Verstande hätte herablassen dürfen; ein Vorurteil, das man nur gar zu leicht von den gemeinem Leuten hat. – Ich weiß nicht, was er dazu sagen wird, wenn er durch einen Zufall dies Buch in die Hände bekommt, und sich selbst darin beschrieben findet. Seiner Eitelkeit würde es lieb sein, daß man in gedruckten Büchern von ihm spräche, und doch würde er es nicht gut finden, daß ich ihn nicht in allen Stücken gelobt habe.
Die Aufwärter und meinen Bedienten werde ich vielleicht einmal bei einer andern Gelegenheit beschreiben. Ich eile jetzt zu einem andern mir interessantern Gegenstande.
Ein Amtmann wohnt auf dem benachbarten Dorfe, der schon ehedem auf der Schule mein vertrauter Freund geworden ist. Ich will ihn hier genau beschreiben, damit ihn jedermann, der ihn sieht, erkennt und ebenfalls liebgewinnt. Sein Name ist Sintmal. Er ist schon dreißig Jahr alt, aber er gehört doch noch zu jenen unschuldigen Menschen, die sich selbst nicht kennen. Er verwaltet seine Geschäfte mit der pünktlichsten Ordnung, und in der übrigen Zeit lebt er sich selbst und seinen Launen. – Sein Äußeres fällt auf eine sonderbare Art in die Augen, denn sein Gang und seine Gebärden sind ziemlich linkisch; sein Gesicht gleicht den Abbildungen, die wir vom Sokrates haben, außerordentlich; sein Haar ist schwarz, und gibt ihm in der Ferne ein wildes und zurückschreckendes Ansehn; kömmt man ihm aber näher, so entdeckt man in seinen kleinen blauen Augen so viele Gutmütigkeit und Menschenliebe, daß man ihm gleich gewogen wird, daß man sich zu ihm hingezogen fühlt, man weiß selbst nicht, wie. Es ist schwer, mit ihm vertraut zu werden, und man hält ihn bei den ersten Unterredungen leicht für einfältig, denn er ist nicht einer von den leuchtenden Köpfen, die uns bei der ersten Zusammenkunft am meisten interessieren, und nachher gleichgültig werden. Man muß ihn erst näher kennen, um ihn recht zu verstehn; er sagt immer das, was er für klug hält, mit einer Art von Scham; mit der gutmütigsten Weitschweifigkeit von der Welt erzählt er im Gegenteil gern Anekdoten und Familiengeschichten, die niemand hören mag. Er ist ein Freund der schönen Künste, vorzüglich der Poesie; aber auch hier ist er mit seinen Genüssen haushälterisch; er liebt sehr das Nicht-zu-viel und Nicht-zu-wenig. Wir streiten oft miteinander, weil seine Gegenwart mich leicht zu Behauptungen verführt, die ich selbst nicht glaube; seine zu ängstliche Gewissenhaftigkeit, alle Sätze gehörig abzuwiegen, verleitet mich dann, mit meinen Gedanken etwas zu frei und willkürlich zu schalten. – Ich mag hier nicht weitläuftiger von ihm sprechen, weil ich ihn nachher selber redend einführen will.
Es ist im Grunde eine betrübte Sache um die Schilderung der Menschen. Jeder hält sich für den klügsten, und für berufen, über die andern zu sprechen; jeder vergleicht sich im stillen mit dem andern, um mit sich selbst zufrieden zu sein, und das Resultat dieser untersuchenden, kleingeisterischen Träumereien ist immer das, was sich aber keiner deutlich gesteht: daß jeder einzelne unter den übrigen Menschen, denen man alles Recht wolle widerfahren lassen, der vorzüglichste sei. Aus eben diesem Kitzel wollte ich erst die Schilderung meines Freundes weit witziger einrichten: ich wollte alle seine Qualitäten viel genauer beschreiben und schärfer abschneiden; aber so manches Wahre ich auch darunter hätte sagen können, so hätte ich mich dadurch offenbar mehr, als ihn geschildert, und sein freundliches, gutmütiges Gesicht hätte mich heut abend noch beschämt, denn es ist kein Zweifel, daß er in tausend Sachen verständiger ist als ich, und doch hat er den frommen Aberglauben, ich sei im ganzen gescheiter als er.
Man sollte Vergleichungen mit sich und andern Menschen nur selten anstellen, und die recht unschuldige Seele wird auch nie darauf verfallen. Diese Parallelen sind nur gar zu leicht ein Mittel, uns zu verhärten und eigenliebig zu machen. Oh, menschenfreundlicher Sterne! wie lieb bist du mir vor allen Schriftstellern immer dadurch geworden, daß du uns nicht gegen Schwächen und Torheiten zu empören suchst, daß du nicht die Geißel der Satire schwingst, sondern dich und die übrigen Menschen auf eine gleiche Art belächelst und bemitleidest.