Ludwig Tieck
Die Reisenden
Ludwig Tieck

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Es war an einem schönen Sommernachmittage, als drei junge Männer in lebhaften Gesprächen im schattigen Lindengange auf- und niederwandelten. Keiner kannte den Andern genau; noch weniger waren sie Freunde, und daher betraf ihre Unterhaltung auch nur unbedeutende Gegenstände. Doch wurde laut und sogar heftig gesprochen, weil der jüngste der Redenden es seinem Charakter und ausgezeichneten Verstande angemessen hielt, seine Gedanken und Meinungen nicht ruhig, sondern in einem gewissen zänkischen und anmaßenden Tone vorzutragen, durch welchen er vielleicht seine Gegner eher zum Schweigen zu bringen, wenn auch nicht zu überzeugen glaubte. Sie sind, wie Sie mir gesagt haben, Arzt (so rief er eben jetzt aus), und als ein solcher haben Sie sich seit Jahren gewöhnt, das ganze Menschengeschlecht aus dem Gesichtspunkte der Kränklichkeit anzusehen. Wir Gesunden aber werden uns gewiß nicht so leicht, Ihrem Metier zu Gefallen, unsre feste Ueberzeugung nehmen lassen.

Mein Herr von Wolfsberg, erwiederte der Arzt, von meinem Metier, wie Sie es zu nennen belieben, kann hier gar nicht die Rede seyn.

Ja wohl, sagte der dritte Sprechende, welcher der Ruhigste schien. Wie kommen wir denn überhaupt dazu, zu streiten? Wir reden ja nur über allgemeine Gegenstände, die unmöglich einen von uns persönlich aufreizen können.

168 Warum nicht, mein ruhiger Herr Justizrath? rief der Baron noch lebhafter aus; denn gewiß können wir über die Leidenschaften nur dann etwas Bedeutendes aussprechen, wenn wir sie im eignen Herzen erfahren haben, und es scheint wohl, daß Sie alle Ihre klügelnden Beobachtungen nur aus mittelmäßigen Büchern schöpften.

Wenn Sie die Sache schon vorher abgemacht haben, antwortete der ruhige Mann, so thäten wir wohl besser, das ganze Gespräch zu schließen.

Es wandelt sich in der anmuthigen Kühle gut, sagte der Arzt; ereifern wir uns nicht, gönnen aber dem Herrn Baron diese Motion, die ihm nach dem Mittagsmahle wohl zuträglich seyn mag, da lebhaftere Geister und Temperamente auch im Verlauf des Tages mehr Lebenskraft verbrauchen, als wir übrigen.

So ist es, erwiederte der Baron mit vieler Selbstgenügsamkeit. Und ist es denn wohl anders mit der Liebe, über welche sich unser Streit anhob? Will ich es denn den sanften, stillen Gemüthern zum Vorwurf machen, wenn sie meinen und behaupten, ein einziger Gegenstand könne ihre Seele für die ganze Lebenszeit ausfüllen? Giebt es doch auch Menschen, die nur wenige Gedanken brauchen, noch weniger Bücher; die einen Monat lang sich an einer Flasche Wein vergnügen; die bei einem Schmause anderthalb Austern verzehren, und wenn sie in jedem Frühling einen Spaziergang mit der ganzen auferbauten Familie gemacht haben, die Natur dann wieder, wie eine Bude, bis zum künftigen Jahre verschließen. Lassen wir diese genügsamen Lämmerseelen in ihrer stillen Friedfertigkeit; nur stelle man sie uns nicht als Muster hin, wenn sie sich in grünen Tagen in eine verblaßte Amarillis vergaffen, und nachher mit erkaltetem Herzen in alberner Treue ihr Leben verwinseln, stolz sind auf diese 169 felsenfeste Tugend, und auf feurige Gemüther, auf Herzen, die der Fülle und des jugendlichen Wechsels bedürfen, mit moralischer Verachtung hinab blicken wollen.

Nach einigen Erwiederungen ließ man dies Gespräch fallen, weil es deutlich wurde, daß der Edelmann nur sich selbst und seinen Leidenschaften das Wort reden wollte. Wohin gedenken Sie von hier zu reisen? fragte endlich der Arzt.

Ich weiß es selbst noch so eigentlich nicht, antwortete der Baron; und wenn ich es auch wüßte, so würde ich es Ihnen nicht sagen.

Warum das?

Weil das eben, fuhr jener fort, auch zu meinen Eigenthümlichkeiten gehört, weshalb mich so viele bürgerliche Menschen mit dem Namen Genie verlästern wollen. Wenn ich so recht eigentlich zur Lust reise, so halte ich mir die ganze Welt mit ihren erfreulichen Zufällen offen; ohne Paß, ohne Briefe, ohne Bedienten oder Kutscher, ohne alle die Zugaben, die unser Leben nur belästigen, tauche ich, wie die Schwalbe in die blaue Luft, in die Schönheit der Natur hinein, und hinter mir muß jede Spur, so wie die der Welle im Strome, verschwinden. An einige Häuser ist schon im voraus geschrieben, wo ich Gelder finde, wenn ich sie brauche, doch führe ich so viel mit mir, als ich nöthig zu haben glaube. Dient es mir, so wechsele ich auch mit meinem Namen; und so wissen Sie von mir nur so viel, als ich für gut befunden habe, Ihnen mitzutheilen, und können nicht darauf wetten, daß der Name, den ich Ihnen genannt habe, mein wirklicher sei.

Sie können, sagte der Justizrath, auf diese Weise aber neben manchen angenehmen Zufällen auch auf sehr widerwärtige stoßen.

Jede Verwicklung wird sich doch nur lustig lösen, und 170 wer die Menschen will kennen lernen, sollte durchaus nur in meiner Manier reisen.

Der Arzt konnte sich nicht entbrechen, die Frage zu thun. Was nennen sie Menschenkenntniß? Da Sie die meisten Menschen schon vor der Untersuchung für Narren halten, so lohnt es sich schwerlich der Mühe, sie noch zu beobachten.

Zugegeben, rief jener, Sie thäten mir nicht so ganz Unrecht; ist denn nicht noch immer an den verschiedenen Modificationen eines und desselben Stoffes zu lernen? Ist es denn nicht auch erhebend und beruhigend, sich selbst an diesem und jenem zu messen? Das scheint mir eben die ächte Humanität, keinen zu verschmähen, und aufzumerken, welche Thorheit wir schon abgelegt haben, welche wohl noch unentwickelt in uns ruht, zu welcher wir keine Anlage spüren, warum wir uns für besser als andere halten dürfen, um so in uns hochfahrenden Stolz und kleinmüthige Bescheidenheit in das gehörige Gleichgewicht zu setzen.

Dann thäten Sie aber vielleicht besser, erwiederte der Arzt mit übertriebener Höflichkeit, sich gleich an die wahre Quelle zu begeben, und sich die mühseligen Umwege zu ersparen.

Und wo flösse diese?

Wie die Engländer, fuhr der Arzt fort, sich in Deutschland gern in Pension geben, um unsere Sprache zu lernen, so sollte ein Kosmopolit, der sich so für das, was man Narrheit nennt, begeistern kann, geradezu vor die rechte Schmiede gehn, und sich ein Jahr lang in einem gut versehenen Narrenhause als Kostgänger verpflegen lassen.

Sie sind ein Arzt! rief der Baron in der größten Erbitterung, man sagt mir, Ihre Reise sei auf diese Anstalten gerichtet, vielleicht um die zu finden, die Ihnen am meisten 171 behagt, und sich dort niederzulassen. – Er warf noch einen grimmigen Blick, dann eilte er schnell den Lindengang hinunter.

Sie haben unsern edeln Unbekannten überrascht, sagte der Justizrath, wir werden seine theure Gesellschaft darüber verlieren.

Er ist unerträglich, rief der Arzt aus. Sie haben es selber gehört, welche Geschichten er von sich an der Wirthstafel erzählt, wie alle Weiber ihm entgegen kommen, mit welcher Leichtigkeit er Liebschaften anknüpft und wieder löst. Gestern vertraute er mir, daß er seine Heimath plötzlich verlassen habe, weil ein unglückliches Mädchen gegründete Ansprüche an ihn mache. Die Arme wird nun vielleicht mit einem Kinde ihres Jammers nach ihm aussehn, indessen er sich mit seiner feigen Gewissenlosigkeit wie mit einer Tugend brüstet, und nach neuen Schlachtopfern seines verderbten Herzens sucht.

Der Justizrath meinte, er sei vielleicht nicht ganz so schlimm, sondern möge wohl zu jener armseligsten Gattung von Prahlern gehören, die sich mit einer Verworfenheit brüsten, zu der ihnen doch der Muth ermangle.



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