Ludwig Tieck
Die Reisenden
Ludwig Tieck

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Der Rath Walther hatte sich indessen mit dem Arzte auf die Reise begeben. Ihr Weg führte sie durch anmuthige Gegenden, und Walther wurde nicht müde, seinen Begleiter von der Trefflichkeit des jungen Raimund zu unterhalten. Der Arzt war sehr darauf gespannt, einer so wunderbaren Erscheinung im Leben zu begegnen; nur fürchtete er, ihre feine Harmonie jetzt durch Schmerz und Wahnsinn zerrissen zu finden. Manchmal stieß ihm wohl ein Zweifel auf, ob die Schilderungen des Rathes, der in allen andern Dingen, außer dieser Verherrlichung seines jungen Freundes, ein ruhiger und kalter Mann war, nicht übertrieben poetisch seyn möchten. Sie näherten sich jetzt dem Dorfe, in welchem der junge Mensch leben sollte. In den engen Wegen des Gebirges fiel der Wagen um, und der Arzt ward am Fuße beschädigt; zwar nicht bedeutend, aber doch so, daß er einen Ruhepunkt zu erreichen wünschen mußte. Dies verdroß ihn um so mehr, da er in einer Waldschenke einen Mann gesprochen hatte, der ihm eine so seltsame Schilderung von einem jungen Wildfang gemacht hatte, welcher sich seit einiger Zeit in den dortigen Gegenden aufhalten sollte, daß er kaum daran zweifeln durfte, es sei der junge, ihm entsprungene Graf Birken. Der Rath erbot sich, den kurzen Umweg zu machen, indessen ihn der Arzt bei jenem Landprediger erwarten sollte, bei welchem man den jungen Raimund anzutreffen hoffte.

Der Arzt ließ sich bei dem Pfarrer melden, den er in einer Laube seines Gartens antraf. Nach den gewöhnlichen Begrüßungen leitete der Fremde die Unterredung auf den jungen Mann, welcher der Obhut des Geistlichen anvertraut sei; der Pfarrer schien aber kein großes Interesse an diesem Gespräche zu nehmen und sagte endlich: Ja, seit einem Jahre etwa hält sich ein etwas confuser Mann bei mir auf, dessen 208 ingenium und mens nicht zum Besten bestellt sind, und um den ich mich auch wenig kümmere, außer daß er uns bei Tische oft seine joci vormacht. Ich erhalte von dessen alten Domestiken eine anständige Pension, und so lasse ich ihn gewähren; denn es ist nicht meines Thuns, mich viel mit Narren einzulassen, oder sie gar curiren zu wollen. Der alte servus führt eigentlich ganz die Aufsicht über den Verwirrten, und mit wem sich dieser am meisten einläßt, ist unser gnädiger Junker, der freilich auch mit aller Macht zur dementia inclinirt. Diese beiden Thoren, wenn sie einmal bei Sonntagslaune sind, machen mir zuweilen mein kleines Haus zu enge.

Wissen Sie aber nichts Näheres von den Schicksalen des jungen Mannes? fragte der Arzt.

Urtheilen Sie selbst, verehrter Herr, erwiederte der Geistliche, ob eine solche Creatur, der es am Besten gebricht, wohl absonderliche Schicksale haben könne. Diese Personen sind ja recht eigentlich fruges consumere nati. Wir nennen ihn nur kurzweg immer den Werther.

Werther? fragte der Arzt sehr lebhaft.

Ja, mein Herr, fuhr jener fort, dieses ist ein Spitzname, der aus einem gewissen Buche entlehnt seyn soll, welches unsre junge Baronesse einmal gelesen hat. Derselbe trieb sich auch immer, wie man mir sagte, in Wald und Flur herum, statt in vernünftiger Societät ein Wort mitzusprechen, eine Pfeife zu rauchen und etwa zu hören, was es in der politischen Welt Neues giebt.

Sie scheinen kein Freund der Natur zu seyn, warf der Reisende ein, und bewohnen doch selbst eine der reizendsten Gegenden unsers Vaterlandes.

Natur! rief der Pfarrer aus; das Wort ist etwa seit 40 Jahren in die Mode gekommen, und so weit ich habe 209 das Verständniß davon erreichen können, meint man darunter einen etwanigen Bach oder Fluß, sammt Berg und Steingeschichten, oder die Waldsachen und dergleichen. Hat mich nie sonderlich interessirt, weil ich mich immer bestrebt habe, ein denkendes Wesen vorzustellen. Und unser Werther, wie ihn die jungen Leute heißen, oder Theophilus, wie sein eigentlicher Taufname lautet, weiß auch weder, ob Frühling oder Herbst ist, ob die Bäume blühen oder dürr sind, ob die Bergwand aus Granit oder Marmor besteht, sondern er läuft nur, wie ein Uhrwerk, so hin und her.

Der Alte war mit allerhand Papieren und Briefschaften beschäftigt, die er in einem Tischkasten zu ordnen suchte, und der Arzt sagte indessen zu sich: Der Aermste! Also auch diese Empfindung ist in ihm untergegangen, die sonst dem Unglücklichen so oft einen heiligen Trost gewährt! Denn der Natur gegenüber verklärt sich jeder Schmerz, der uns unter Menschen, in den Mauern der Städte oft zu vernichten droht, und verwandelt sich in ein himmlisches Wesen, in eine Erscheinung von oben herab. Wie eine Himmelsharfe tönt die Natur Freude und Leid mit, und setzt unsre stummen Seufzer, die Worte der Klage in überirdische Musik um.

In diesen Phantasieen, die wohl so schnell in ihm antönten, weil er so lange mit dem fast schwärmerischen Rathe gereiset war, wurde er wieder vom Pfarrer unterbrochen. Verzeihen Sie mir, sagte dieser, daß ich Sie so schlecht unterhalte, jeder macht so seine Studia. Dieselben haben sich wohl niemals mit der Astrologia eingelassen?

Nein, antwortete der Arzt.

Sehr Schade, fuhr jener fort, daß diese Wissenschaft seit neueren Zeiten so ist vernachlässiget worden. Ich habe sie immer bewährt gefunden. Und so sehe ich hier wieder das Horoskop an, welches ich meiner Tochter bei ihrer 210 Geburt stellte. Ich prognosticirte damals, daß sie sich in einen hohen Stand erheben würde, und sie ist nun auch wirklich glückliche Braut eines vornehmen Mannes. Das hat mir auch den Geist so eingenommen, daß ich fast nicht capabel bin, eine recht fortgesetzte Conversation zu führen. Doch da kommt ja unser Theophilus mit seinem alten Gesellschafter. Der junge Mann ist eine Zeit lang in einer andern Familie sehr gemißhandelt worden; man darf ihn nicht auf diesen Gegenstand bringen; denn er wird zuweilen bitterböse, wenn er sich jener Tage erinnert.

Der Arzt stand auf und sah zu seinem Erstaunen einen langen, nicht mehr jungen Mann eintreten, der sich gebückt trug, und aus dessen regelmäßiger Physiognomie die höchste Beschränktheit und Einfalt hervor leuchtete, aber auch zugleich eine so heitre Jovialität, daß er von Neuem an dem Rathe und dessen übertriebener Schilderung irre ward. Der Einfältige gab dem Pfarrer die Hand, sah den Fremden mit scheuem Blick von der Seite an, ging dann auf ihn zu und fragte hastig: sind Sie ein Edelmann?

Verzeihung, rief der Pfarrer dazwischen; ich habe noch nicht einmal Gelegenheit gehabt, mich nach Ihrem werthen Namen zu erkundigen.

Doctor Anselm, sagte der Arzt.

Ich dachte, Sie wären mein Vetter, rief der Einfältige, weil Sie eine solche ästhetische superfeine Nase haben. Zugleich sprang er in die Höhe, und schlug wie ein muthwilliges Füllen mit den Beinen hinten aus.

Der Arzt, der sich auf eine ganz andere Stimmung vorbereitet hatte, mußte laut lachen, indem der Pfarrer mißbilligend das Haupt schüttelte, und sehr ernste Runzeln in sein Gesicht zog.

Sehn Sie nur, sagte Theophil, indem er den Arzt etwas 211 bei Seite führte, das Perlmutter-Gesicht von meinem alten Prediger; so debattirt er immer mit sich, als ob er an einem Obscuranten-Almanach arbeitete.

Sie drücken sich seltsam aus, sagte der Arzt, aber vergnüglich.

Er weiß nie, was er spricht, unser junger Freund, rief der Prediger; weder kennt er die Bedeutung der Worte, die er braucht, noch will er überhaupt etwas damit ausdrücken. Es ist wie Wiederhall von Felsen, oder Waldesbrausen. Mein ehrwürdiges Alter ist einmal immer das Stichblatt seines falschen Witzbestrebens.

Der Herr Prediger, sagte der Simple, hat eine rechte Hosiannah-Stimme und sitzt so mächtig auf seiner Bank da, als wenn er Habakuk und alle zwölf kleine Propheten zu künftige Pfingsten confirmiren wollte. – Pankraz! rief er dem alten Diener zu, Du mußt mir wieder Taschengeld geben!

Haben Sie denn schon Alles ausgegeben? fragte dieser.

Dummer Teufel! rief Theophilus; freilich! Denken Sie nur selbst, mein fremder Herr Vetter, draußen vor dem Dorfe begegnen mir die Mädchen, die drüben in der Stadt allerhand auf dem Jahrmarkt eingekauft hatten, Tücher, Schürzen, Mieder, Hauben, Spielzeug für die kleinen Geschwister. Sie hatten noch eine volle halbe Meile, und ließen mich nun die Sachen herüber tragen. Wie ich sie ihnen wieder abgab, mußte ich ihnen doch wohl ein Trinkgeld geben, daß sie mir Alles so hübsch anvertraut hatten? Aber Pankraz ist faul; der trug nichts, und drum hat er auch sein Geld in der Tasche behalten.

Das ist ein schöner Zug von Ihnen, sagte der Arzt; sind Sie aber immer so vergnügt?

Wie's kommt, antwortete jener lachend; nur wenn die Leute dumm sind, kann ich mich sehr ärgern, wenn sie nicht 212 capiren. Sehn Sie, es ist sehr traurig, wenn man allein klug seyn soll. In Gesellschaft habe ich noch einmal so gern Verstand.

Sie denken trefflich, sagte Anselm.

Was sagen Sie aber vollends dazu, schwatzte jener weiter, daß, wenn ich einmal so recht superklug bin, die Leute mir beweisen wollen, ich wäre dumm? Nicht wahr, die Welt liegt im Argen; wie unser Herr Pastor Kilian letzt einmal in der Kirche sagte.

Ich werde sorgen, daß Sie niemals mehr hinein gelassen werden, rief der alte Mann.

Ich bin ja aber doch ein getaufter Christ, sagte Theophil mit der größten Ernsthaftigkeit und ging traurig zum Prediger hin.

Lassen Sie sich dienen, Herr Doctor, fuhr der Alte fort, daß es nicht angeht, weil er sich laut mit seinem Bedienten während des Gottesdienstes zankt. Was thut er aber neulich? Indem ich in der Predigt aufsehe, hat er unsern Hund in meinen Sitz gebracht, läßt den Pudel aufrecht stehn, der nun über das Chor gucken und ein Gesangbuch zwischen den Pfoten halten muß. Heißt das nicht die Gemeine stören?

Ich bin ja aber doch ein getaufter Christ! sagte der Angeklagte mit weinerlicher Stimme. Der Arzt, der eine ernsthafte Wendung des Gespräches fürchtete, fragte den Klagenden, was das neulich gewesen sei, wo er so allein klug und die Andern dumm gewesen wären. Ja so! sagte Theophil plötzlich laut lachend; das war eine lustige Geschichte! Die Mamsell Kilian hatte mir ganz neue Schnupftücher gekauft. Nun sollte ich den andern Tag mit dem Junker auf den Fischfang gehn, da nahm ich mir vor, den Pankraz zu erinnern, daß er mich erinnern sollte, damit ich es nicht 213 vergessen möchte. Um aber auch gewiß daran zu denken, daß ich ihn zu rechter Zeit erinnern möchte, damit er mich ja erinnern könnte, machte ich einen Knoten in mein Schnupftuch. Sie wissen ja, das ist ein altes Herkommen, wenn man etwas nicht vergessen will.

Ja wohl.

Nun gut; ich wache den Morgen auf, da finde ich den Knoten. Da besinne ich mich auch gleich, daß ich den Pankraz erinnern muß. Pankraz, Du sollst mich an was erinnern! Ganz recht, gnädiger Herr, Sie wollen mit dem Junker auf den Fischfang gehn. Ich geh' auf den Fischfang und denke nichts Böses. Den andern Tag aber ist der Knoten noch im Tuche. Das ängstigte mich, denn es gab nun nichts mehr zu erinnern, und wenn ich den Knoten anfaßte, wollte ich mich immer auf etwas besinnen. Den Knoten hatte ich aber so fest gezogen, daß ich ihn gar nicht wieder aufkriegen konnte. So nehm' ich im Verdruß eine Scheere, und schneide bloß den Knoten, verstehn Sie, bloß den Knoten ab, und werfe ihn aus dem Fenster. Wie nun das Tuch wieder gewaschen ist, sagt die Mamsell sammt allen Menschen im Hause, ich hätte es entzwei geschnitten; es fehlte auch wirklich ein großes Stück davon. Nun sagen Sie selbst, ob ich etwas dabei versehn habe, und wer Recht hat!

Der Knoten, sagte der Arzt, war aber doch natürlich vorher ein Stück des Tuches, folglich mußte dieses nachher fehlen.

Sie begreifen nicht! sagte Theophil im großen Zorn, und faßte die Hand des Arztes heftig und stark; ich schnitt ja nicht das Tuch ab, sondern nur den Knoten, den ich erst hinein gemacht hatte, der vorher nicht drin war.

Wir wollen nicht streiten, sagte Anselm, Sie können wohl Recht haben; ich habe bisher dieses Experiment noch 214 nicht gemacht, und Vieles begreift man gewiß erst durch die Erfahrung.

Hat man Ihnen wohl schon einmal Gesellschaft geleistet? fragte der junge Mann mit listiger Miene.

O ja, sagte der Arzt, mehr als einmal; und Sie leisten mir jetzt eben auch Gesellschaft.

Sie würden sich dafür bedanken, fuhr jener fort, wenn ich's in der Manier thun wollte, wie mein Gesellschafter Walz da drüben in der kleinen Stadt mir die Zeit vertrieb. Da sagten sie, ich müßte einen Gesellschafter haben. Da kam Herr Walz, der dazu bestellt war. Das gab ein Gesellschaftsleisten, daß mir des Abends alle Rippen weh thaten.

Wie so?

Er schlug immer um sich, und wir konnten uns gar nicht vertragen; aber ich durfte ihn niemals wieder prügeln. Ja, wie gern möcht' ich ihm auch einmal so recht Gesellschaft geleistet haben! Wenn ich verdrießlich war, schlug er; war ich nicht aufgeräumt, ließ er mir zur Ader; ein paar Mal ließ er mir auch Zähne ausziehn, – die beiden hier: weil er sagte, ich wäre zu böse, die Zähne wären schon nichts nütz und thäten mir nur jetzt oder in Zukunft einmal weh. Den andern habe ich einmal beim Essen verloren.

Aber diesen Augenzahn hier? fragte der Arzt.

Der fehlte mir schon, antwortete jener ganz ruhig, vor meiner Zeit.

Vor Ihrer Zeit? Wie verstehn Sie das?

Lieber Himmel, Sie sind recht schwer von Begriffen! Vor meiner Zeit – ach! lassen Sie mich zufrieden und haben Sie mich nicht zum Narren! sagte er ganz böse.

Verzeihen Sie, fiel der Arzt ein, ich verstehe Sie jetzt schon; ich begreife nur langsam, wie Sie ganz richtig bemerkten.

215 Haben Sie die Naturwissenschaft studirt? fragte der junge Mann wieder ganz heiter.

O ja, sie ist mein Hauptstudium.

Nun, dann gratulire ich, sagte jener laut lachend. Sind Sie auch brav darin herumgewalzt worden?

Herumgewalzt?

Sie capiren schon wieder nicht! Brav abgewammst, tüchtig gedroschen! Sie verstehn nun schon, so wie es mir dabei mit meinem Gesellschafter Walz ergangen ist.

Er nahm also die Sache so ernsthaft?

Ja freilich. Er sagte, er müsse mir die Botanik beibringen. Es war aber eigentlich die Batonik, weil er den lieben Baton so sehr dabei brauchte. Da krochen wir herum und suchten Petersilie und Wurstkraut, Rüben und Knoblauch, und das sollte ich immer alles behalten. Ein ander Mal fing er einen Maikäfer. Seht, das ist ein Maikäfer. Ja, sagte ich, das ist ein Maikäfer. – Zu welchem Geschlecht gehört er? – Doch wohl zum Geschlecht der Maikäfer. – Sehn Sie, da brach er gleich einen Haselzweig ab, und demonstrirte mir die Sache auf meinem Rücken. Der wurde überhaupt dazumal so magnetisirt, daß er fast so hellsehend geworden wäre, daß die Sonne durch ihn hätte hindurch scheinen können. Sagen Sie mir überhaupt nur, wenn einer im Kopfe nicht zu Hause ist, warum man dann immer auf dem Rücken, oder noch tiefer anklopft. Sollte denn der Geist da allenthalben lieber als in der höhern Etage wohnen? – Nun gut; dann gingen wir in den Wald. Da unten liegt, schrie er, der berühmte Linné, oder auch Pistillen, oder dergleichen alberne Gelehrtennamen. Wenn ich's nicht behielt, von der Buche ein Zweig gebrochen, und damit wieder Privatstunde gehalten. Ich war nur froh, wenn das Botanisiren im Freien geschah, da war doch etwa nur ein Gesträuch zur Hand.

216 Sie haben also, sagte Anselm, in dieser Wissenschaft auf dem Wege nichts profitiren können?

Doch, antwortete jener; aber Alles, worauf es mir auch nur abgesehen schien, mit dem Rücken; denn der kriegte durch vieles Repetiren der Studien eine so feste Memorie, daß ich noch jetzt bei jedem Stocke unterscheiden will, auf welchem Baume er gewachsen ist. Sie glauben nicht, wie anziehend die frischen Haselgerten sind! Weiden schmiegen sich mehr, sind aber weniger eindringlich. Die Eiche klingt mächtig, als Baum der deutschen Freiheit; es läßt sich aber nicht viel damit ausrichten; der Walz konnte auch immer nur die dürren Zweige abbrechen, die fast gar nichts zu sagen haben. So ist es auch mit der Tanne und Fichte nicht viel. Die Buche ist körnig; die Birke, besonders im Frühjahr, empfindlich; auch wächst das Zeug, wo kein andrer Baum fortkommt, steht also fast immer zur Hand. Von allen diesen Stauden und Gewächsen brach er seine Wünschelruthen, und alle schlugen immer auf meinen Rücken an, so daß in meinem Innern große Schätze verwahrt liegen müssen. Er schonte auch die mitleidige Trauerweide, die vornehme Weihmuthskiefer nicht; ja selbst der Tulpenbaum mußte ein paar Mal das Instrument zu meiner Weihe reichen; und so kann ich gewiß, da gar kein Tergiversiren etwas fruchtete, auf eine recht pragmatische und polyhistorische Bildung Anspruch machen. – Als ich mich genug durchstudirt, und er alle Naturreiche durchgeprügelt hatte, wurde ich hieher zu dem friedfertigen Herrn Kilian gethan; und hier ruhe ich auf meinen Lorbeern aus, die ich noch manchmal in Rippen und Seiten fühle.

Es freut mich, daß Sie so fröhlich sind, sagte der Arzt; haben Sie Appetit, schlafen Sie gut?

Ich danke, sagte jener; bald so, bald so; aber ich träume 217 oft schwer und fürchterlich, und tobe dann und lärme in der Nacht. So hatte ich auch diese Nacht einen ängstlichen Traum.

Was war das für ein Traum?

Pankraz! rief Theophil dem Diener zu: was träumte mir diese Nacht?

Der Alte trat näher und sagte verdrießlich: das kann ich nicht wissen.

Sehn Sie den eigensinnigen Menschen, rief Theophil aus, ich lasse ihn bloß deßwegen in meiner Stube schlafen, daß er alles wissen soll, was ich denke und träume; aber er ist so träge, daß er sich fast nie darum bekümmert. Wenn Du es nicht weißt, wer soll es denn wissen? Dazu sollst Du die Aufsicht über mich haben!

Es ist aber nicht möglich, ereiferte sich Pankraz. So wollen Sie auch immer von mir wissen, was Sie denken, oder gedacht haben; wie soll ich das anfangen?

Durch Liebe, einfältiger Mensch! rief jener aus. Du sollst mit mir so eins werden, daß wir unsre Seelen gemeinsam haben, dann wird es mir weniger sauer werden, über Vieles nachzusinnen; denn dann denk' ich in Dir, und Du hast bloß die Mühe davon.

Dann müßte ich aber auch für uns Beide essen, sagte Pankraz mit Lächeln.

Nein, erwiederte Theophil; das würd' ich gern übernehmen, und zwar in Deinem Namen mit; ich die Wurzel und der Stamm, Du die Blume und Frucht.

Bei dieser Stimmung schien es dem Arzte möglich, den Kranken über den Gegenstand zu prüfen, den zu berühren er außerdem ängstlich würde vermieden haben. Er ging also näher und fragte ihn leise: haben Sie lange keine Nachrichten von Blanka erhalten?

218 Blanka? rief Theophil aus; das ist ja wohl ein weißes Windspiel, das ich vor langer Zeit hatte?

Blanka? nahm der alte Diener das Wort, indem er den Arzt prüfend betrachtete: wissen Sie von der etwas?

Anselm begegnete dreist dem stechenden Blicke des Alten, und meinte nun fast nichts mehr schonen zu dürfen. Er sagte daher. ich wünsche bloß etwas Näheres von Blanka und Raimund zu erfahren, deren trauriges Schicksal mich sehr interessirt hat.

Pankraz schlug die Augen nieder und sagte: ich weiß nichts von ihnen; aber Theophil fiel plötzlich in eine tolle Laune, hüpfte auf einem Beine herum, schwenkte den Hut und schrie halb singend: Da hinter des Priesters Garten, da ist ein Wiesenplan, da stehn rings Weiden und Birken, ein Wasser rauscht fließend daran; da schreien Kuckuck und Staare, da schaut wohl der Hirsch aus dem Busch; es ist ein liebes Plätzchen, voll Einsamkeit und Schatten genug. Da kommen in Herbstestagen, wenn welkes Laub schon rauscht, die liebe Fräulein Blanka, der Monsieur Raimund zusamm. Sie sehn sich mit weinenden Augen, sie drücken sich zärtlich die Hand; da giebt es herzig Umarmen, da finden sie wieder Verstand! – Er schrie und sang immer lauter, so daß der alte Pfarrer aufstand und rief: um des Himmels willen, junger Herr, in welcher Spinnstube haben Sie die alte Ballade wieder aufgehascht?

Das hab' ich selbst gedichtet, jetzt eben, schrie Theophil erfreut. Pankraz, behalt' es ja, wir wollen es nachher dem Junker vorsingen.

Ich weiß kein Wort davon, sagte Pankraz, vom Kuckuck war was in der Ode, und daß Sie gern Verstand haben möchten. Da kommt der Junker!

Ohne den Eingang zu suchen, sprang in diesem 219 Augenblick ein junger Bursche über den Zaun, mit rothem Gesicht, ohne Hut, mit Papierwickeln in den Haaren. Da sind wir wieder, schrie er ungezogen, guten Tag, Tissel, ach! Herr Pastor, wären Sie doch mit uns gewesen; da hätten Sie disputiren können!

Wo wart Ihr, lieber Görge, fragte Theophil.

Ach! liebster Freund, fuhr dieser jubelnd fort, unsre ganze Familie hat seitdem an den Narren dort den Narren gefressen; nur die Mama will nichts davon wissen, und ist auf uns alle, vornehmlich auf den Papa böse, daß er uns so ein schlechtes Beispiel giebt.

Mein lieber Junker, sagte der Pfarrer sehr ehrbar, mit Narren würde ich niemals disputirt haben; denn sie haben keine Logik.

Es waren auch nicht so eigentliche Narren, sagte Görge, sondern eine Art Künstler. Ich sage Ihnen, der Papa war ganz eingenommen, und sie hatten da oben einen Mann, der den Leuten das Reden beibringen konnte.

Heisa! Heisa! Dort kommt erst der rechte Windbeutel, rief Theophil laut jubelnd; der und ich, wir sind die beiden größten Narren im Römischen Reich; das Kloster da oben, wo unser Herr Kilian disputiren soll, in allen Ehren gehalten.

Reden Sie mit Verstand, sagte der Geistliche, und respectiren Sie in dem verehrten Herrn Grafen den Bräutigam meiner Tochter.

Auf einem kleinen Schimmel sprengte ein junger Mensch heran, hüpfte aus dem Sattel, und eilte in die Umarmung des Pfarrers, indeß schon aus dem Hause, mit der Küchenschürze angethan, ein rothhaariges Mädchen herbei stürzte, und Vater und Geliebten zugleich umschloß. Die Gruppe fuhr aus einander, als sich jetzt der Arzt, so schnell es sein 220 verwundeter Fuß erlaubte, ihnen näherte. Ist es möglich, Graf Birken, daß wir uns hier wieder treffen? Auf Sie hatte ich heute nicht gerechnet. Der junge Mensch sah sich schnell um, stieß seinen Schwiegervater so hastig vor den Bauch, daß dieser wieder in die Laube zurück taumelte, warf mit demselben Ungestüm die kleine dicke Braut von seinem Halse, ergriff den Schimmel, und ehe die Umstehenden sich noch recht besinnen konnten, war er im gestreckten Galopp schon aus dem Dorfe hinaus.

Ein Pferd! rief der Arzt. Setzt ihm nach!

Was haben Sie für Ansprüche an meinen Schwiegersohn? fragte der Pfarrer, der sich wieder gesammelt hatte.

Der Windbeutel reitet einmal! schrie Theophil jauchzend.

Um des Himmels willen ein Pferd! rief der Arzt; kommt er uns aus den Augen, so haben wir ihn Alle für immer verloren.

Verloren! schrie die Braut und rang die Hände.

Sei still, mein Kind, rief der Geistliche; morgen ist die Trauung, und kein fremder Mensch, mag er sich auch Doctor nennen, hat das Recht, Dir Deinen Bräutigam zu entreißen.

Der Mensch ist ein Narr! rief der Arzt heftig aus, und nun er mich hier gesehen hat, kommt er gewiß nicht wieder.

Lästern Sie unsre Familie nicht! rief der Pfarrer noch heftiger, Sie fremder, unbekannter, hergelaufener Herr; und wenn mein Schwiegersohn Ihretwegen nicht wieder kommt, so gebe ich Ihnen meinen Fluch, Sie Gottloser!

Theophil und Görge waren von diesem Gezänk auf das Höchste erbaut; denn sie kannten keinen größern Genuß, als den alten Pfarrer im Zorn zu sehen. Die Tochter hatte verzweiflungsvoll den Garten verlassen. Ein Wagen fuhr 221 in den Hof, und der Rath Walther, in gespannter Eile, ohne die Andern zu begrüßen, kam herbei gelaufen, und rief schon von Weitem dem Arzte zu: wo ist er? – Wieder ein neuer Windbeutel! Heute haben wir die Hülle und Fülle! jubelte Theophil. – Der Arzt ging ihm entgegen, indem er sagte: dort steht ja Ihr Liebling. – Dieser da? fragte der Rath, indem er den Einfältigen nur flüchtig betrachtete. Ach! Pankraz! rief er dann höchlich überrascht; Du hier? Sage mir, wo ist Raimund?

Der Diener war verwirrt und erschrocken, und konnte erst keine Antwort finden; endlich stotterte er: Sie wissen es ja wohl, Herr Rath, daß ich, als ich damals plötzlich aus den Diensten des Herrn Raimund mußte –

Recht, sagte der Arzt; der Baron Eberhard gab Dir den Abschied wegen des unglücklichen Einfalls, daß Du dem kranken Jüngling die falsche Nachricht vom Tode seiner Geliebten überbrachtest.

Nun also, sagte Pankraz; seitdem habe ich von dem jungen Herrn nichts wieder gesehn und gehört. Es ist mir seitdem schlimm genug gegangen.

Aber wie kommst Du hieher?

Es ist mein Pankraz, rief Theophil, mein Gesellschafter; aber nicht in der Walzmanier.

Wie heißen Sie? fragte der Rath.

Du, Pankraz, rief Theophil, wie heiß' ich doch? Ich kriege alle Augenblicke einen andern Namen.

Sie sind, sagte der Diener, der Herr Theophil von Leitmark.

So, sagte der Thor, ich dachte Ebermann, Hardeber, oder sonst. Nun, mir kann's gleich gelten.

Der Arzt hatte sich wieder gesammelt, nahm Abschied vom Pfarrer, bat der Störung wegen um Verzeihung, und 222 zog dann halb gewaltsam den Rath zum Wagen. Lassen Sie mich nur noch ein Wort mit Pankraz sprechen, sagte dieser. Doch Pankraz und Theophil waren eiligst verschwunden, und der Pfarrer erzählte, daß Beide oft Wochen lang in der Gegend, nahe und fern, auf ihren Pferden umher streiften, und man alsdann nur selten erführe, wo sie auf ihren thörichten Irrfahrten verweilten. Der Arzt hob seinen Freund selbst in den Wagen und sagte dann laut: Lassen Sie uns doch nun unser Ziel verfolgen, den Grafen Birken suchen, nach Raimund spähen; fahre Herr Theophil und sein Pankraz wohl, und sei unser lieber Herr Pfarrer Kilian auf immer dem Himmel befohlen; denn hieher werden wir auf keinen Fall wieder kommen! Niemals, denn wir haben noch eine weite Reise vor uns!

Der Rath sah ihn verwundert an, und wollte fragen; aber das Rollen des Wagens hinderte jetzt noch das Gespräch, und sie hatten in kurzer Zeit das Dorf und die Gegend verlassen.



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