Leo N. Tolstoj
Anna Karenina. Erster Band
Leo N. Tolstoj

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6.

Die Fürstin Bezzy verließ das Theater, ohne den Schluß des letzten Aktes abzuwarten.

Sie war kaum in ihrem Toilettezimmer angelangt, und hatte kaum ihr schmales, bleiches Gesicht frisch gepudert, abgerieben, sich wieder empfangsfertig gemacht und den Thee nach dem großen Salon befohlen, als schon die Equipagen, eine nach der anderen, vor ihrem großen Palast in der Bolschaja Morskaja angerollt kamen. Die Gäste kamen zur breiten Einfahrt herein; ein trunksüchtiger Portier, welcher des Vormittags zur Erbauung der Vorübergehenden hinter der Glasthür Zeitungen las, öffnete geräuschlos die mächtige Pforte und ließ die Ankömmlinge an sich vorbei hereindefilieren.

Fast zu der nämlichen Zeit kamen die Dame des Hauses in erneuter Frisur und mit erfrischtem Gesicht aus der einen Thür, die Gäste aus der anderen; sie traten in den großen Saal mit den dunkelen Wänden, den prächtigen Teppichen und der hellerleuchteten Tafel mit dem unter dem Glanz der Kerzen hellschimmernden weißen Tafeltuch, dem silbernen Samowar und dem durchsichtigen Porzellan des Theegeschirrs.

Die Dame des Hauses setzte sich an den Samowar und entledigte sich der Handschuhe. Die Stühle mit Hilfe geräuschlos thätiger Diener heranbewegend, setzte sich die Gesellschaft, in zwei Teile geteilt, nämlich am Samowar bei der Dame des Hauses und am entgegengesetzten Ende des Saals, bei der schönen Gattin eines Gesandten, in schwarzem Sammet und mit scharfen, schwarzen Brauen.

Das Gespräch in den beiden Gruppen schwankte, wie gewöhnlich während der ersten Minuten, durch den Eintritt neu Ankommender, durch Begrüßungen, durch das Anbieten des Thees unterbrochen; es war, als suche man ein Thema, bei welchem man verweilen könnte.

»Sie ist ungewöhnlich hübsch als Schauspielerin und es ist klar ersichtlich, daß sie Kaulbach studiert hat,« sagte ein Diplomat in dem Kreise der Frau des Gesandten, »habt Ihr bemerkt, wie sie in Ohnmacht fiel?«

»O bitte; wir wollen doch nicht von der Nilson reden; von der läßt sich nichts Neues mehr sagen,« äußerte eine dicke rote Dame ohne Augenbrauen und Chignon, blond und in einem altmodischen Seidenkleide. Es war die Fürstin Mjagkaja, eine wegen ihrer Einfachheit und Derbheit im Verkehr enfant terrible benannte Dame.

Die Fürstin Mjagkaja saß in der Mitte zwischen beiden Kreisen und nahm, aufmerksam zuhörend, bald an dem Gespräch des einen Kreises teil, bald an dem des anderen.

»Mir haben heute nicht weniger als drei Menschen diese nämliche Phrase über Kaulbach gesagt, gleichsam als hätten sie sich dazu verabredet. Die Phrase hat ihnen, ich weiß nicht warum, so ausnehmend gefallen.«

Die Unterhaltung stockte infolge dieser Bemerkung und es war notwendig, ein neues Thema ausfindig zu machen.

»Erzählt uns doch etwas Lustiges – aber nichts Schlechtes,« wandte sich die Gattin des Gesandten, eine große Meisterin in der schöngeistigen Konversation, wie man sie auf englisch small talk nennt, an den Diplomaten, der gleichfalls nicht wußte, was er jetzt beginnen sollte.

»Man sagt, das sei sehr schwer auszuführen, denn nur das Böse sei lustig,« begann er jetzt lächelnd.

»Doch ich will es versuchen. Gebt mir ein Thema, alles liegt in einem Thema, ist dieses gegeben, so kann man leicht daran anknüpfen. Ich denke oftmals, daß es doch den großen Rednern des vorigen Jahrhunderts jetzt sehr schwierig werden müßte, verständig zu reden, denn alles Verständige langweilt.«

»Das ist eine alte Geschichte,« lachte die Gattin des Gesandten. Die Unterhaltung wurde sehr energielos geführt, aber eben deshalb, weil sie zu energielos geführt wurde, stockte sie wieder. Es war daher notwendig, seine Zuflucht zu einem sicheren, einem nie versagenden Mittel zu nehmen, dem des Klatsches.

»Findet Ihr nicht, daß Tuschkewitsch etwas von Ludwig dem Fünfzehnten hat?« fuhr der Diplomat fort, mit den Augen auf einen hübschen blonden jungen Mann weisend, welcher am Tische stand.

»O ja; er ist von der nämlichen Geschmacksrichtung wie die Dame des Hauses; und daher ist er auch so häufig hier.«

Dieses Gespräch wurde unterstützt, indem durch Winke über etwas gesprochen wurde, was man in diesem Salon nicht aussprechen durfte, nämlich über die Beziehungen Tuschkewitschs zu der Fürstin Bezzy.

Um den Samowar bei der Dame des Hauses hatte man während dessen ganz in der gleichen Weise einige Zeit hindurch zwischen drei unvermeidlichen Thematen geschwankt, zwischen der letzten Neuigkeit aus der Gesellschaft, dem Theater und der Verurteilung des Nächsten, und das Gespräch war gleichfalls auf dem letzten der drei stehen geblieben, bei dem Klatsch.

»Habt Ihr schon gehört, daß die Maltischtschewa – nicht die Tochter, sondern die Mutter, sich ein Kostüm von diable rose fertigen läßt?«

»Nicht möglich! Nein, das ist ja reizend!«

»Ich staune, wie die das hat ausdenken können – sie ist also doch nicht so dumm – man sieht nur nicht, wie fein sie ist.«

Ein jeder wußte einen Brocken, den er zur Verurteilung oder doch zur Verspottung der unglücklichen Maltischtschewa beisteuern konnte und das Gespräch war jetzt so munter im Gange, wie ein flammender Holzstoß.

Der Gatte der Fürstin Bezzy, ein gutmütiger Dickbauch und leidenschaftlicher Sammler von Gravuren hatte soeben gehört, daß bei seiner Gattin Gäste seien und war daher, noch bevor er in den Klub ging, im Salon erschienen. Unhörbar näherte er sich über den weichen Teppich daher der Fürstin Mjagkaja.

»Wie gefiel Euch die Nilson?« war seine Begrüßung.

»Ach, wie kann man sich doch so heranstehlen? Wie habt Ihr mich jetzt erschreckt!« antwortete sie. »Aber sprecht mir nicht mehr, um aller Heiligen willen, von der Oper, Ihr versteht ja doch wohl gar nichts von Musik. Es ist da schon besser, ich accomodiere mich Euch und rede mit Euch von Majoliken und Gravuren. Nun, was für einen Schatz habt Ihr denn da neulich gekauft?«

»Wünscht Ihr, daß ich ihn Euch zeige? Aber Ihr versteht doch nicht die Bedeutung.«

»Zeigt ihn mir. Ich habe das bei jener – wie nennt man sie doch – bei jener Bankiersfamilie gelernt – bei denen giebt es sehr gute Gravuren. Die haben sie uns gezeigt.«

»Wie, waret Ihr bei Schützburg?« frug die Dame des Hauses vom Samowar herüber.

»Ich bin dort gewesen, ma chère. Man hatte mich eingeladen, mit meinem Manne zur Tafel hinzukommen und erzählte mir, daß allein die Sauce zu Tisch tausend Rubel gekostet habe,« sprach die Fürstin Mjagkaja mit lauter Stimme in dem Gefühle, daß alles an ihrem Munde hing, »und diese Sauce war doch häßlich, sie sah so grünlich aus. Man hätte den Gastgeber seinerseits einladen müssen, ich hätte alsdann eine Sauce für fünfundachtzig Kopeken hergestellt und alle würden damit sehr zufrieden gewesen sein. Ich kann keine Saucen für Tausende von Rubeln herstellen.«

»Ist die natürlich!« bemerkte die Dame des Hauses.

»Bewundernswert,« flüsterte ein anderer.

Die Wirkung, welche die Erzählungen der Fürstin Mjagkaja hervorzurufen pflegten, war stets einzig in ihrer Art, und das Geheimnis der Erzielung dieses Effektes lag darin, daß sie, wenn auch nicht immer ganz so wie in diesem Augenblicke, einfach erzählte, und was Sinn hatte.

In der Gesellschaft, in welcher sie lebte, brachten derartige Reden den Effekt des geistreichsten Witzes hervor. Die Fürstin Mjagkaja vermochte nicht zu begreifen, wie es kam, daß ihre Worte so wirkten, allein sie wußte, daß dies der Fall war, und sie nutzte diese Erkenntnis aus.

Obwohl alles den Worten der Fürstin Mjagkaja die vollste Aufmerksamkeit widmete, und selbst das Gespräch in der Umgebung der Frau des Gesandten abgebrochen worden war, wollte gleichwohl die Herrin des Hauses das Augenmerk der Gesellschaft auf einen Punkt lenken und wandte sich daher an die Dame des Gesandten.

»Wollt Ihr in der That keinen Thee? Ihr hättet zu uns herüberkommen müssen,« begann sie.

»O nein; ich sitze recht gut hier,« versetzte lächelnd die Frau des Gesandten und setzte die angesponnene Unterhaltung fort.

Das Gespräch war sehr animiert; man richtete soeben die Karenin, Mann und Frau.

»Anna hat sich sehr verändert seit ihrem letzten Moskauer Aufenthalt. Es liegt so etwas Seltsames in ihr,« äußerte ihre Freundin.

»Die Veränderung rührt namentlich daher, daß sie als ihren Schatten mit sich den Aleksey Wronskiy gebracht hat,« sagte die Frau des Gesandten. »Was wollt Ihr doch. Grimm erzählt eine Fabel: Es war einmal ein Mensch ohne Schatten, ein Mensch der seines Schattens beraubt worden war zur Strafe für ein Vergehen. Ich vermag nicht zu begreifen, worin hier die Strafe liegen soll; indessen einem Weibe muß es allerdings unangenehm sein, keinen Schatten zu besitzen.«

»Ja, aber die Weiber, die einen solchen haben, enden meist nicht gut,« antwortete die Freundin Annas.

»Hütet Eure Zunge,« sagte plötzlich die Fürstin Mjagkaja, welche diese Worte vernommen hatte. »Die Karenina ist ein schönes Weib; ihren Mann liebe ich übrigens nicht, sie aber sehr.«

»Weshalb liebt Ihr ihren Mann nicht? Er ist doch ein so bedeutender Mensch,« frug die Frau des Gesandten. »Mein Mann sagt, daß es nur wenig solcher Regierungsbeamten in Europa gebe.«

»Das Nämliche sagt auch mein Mann, aber ich glaube es nicht,« antwortete die Fürstin Mjagkaja. »Hätten unsere Männer nichts gesprochen, so würden wir schon selbst erkannt haben, wie es mit ihm steht; nach meiner Meinung ist Aleksey Aleksandrowitsch einfach dumm. Ich sage dies nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Habe ich nicht recht, daß alles einmal herauskommt? Früher, als man mir aufoktroyiert hatte, ihn geistreich zu finden, forschte ich fortwährend, und fand mich selbst dumm, da ich seinen Geist nicht entdeckte; kaum aber hatte ich zu mir selbst gesagt, er sei dumm, natürlich ganz im geheimen, da war mit einem Male alles klar. Ist es nicht so?«

»O wie boshaft Ihr heute doch seid!«

»Nicht im geringsten. Ich habe keinen anderen Ausweg. Einer von uns beiden ist dumm; und ihr wißt ja doch, von sich selbst sagt man dergleichen nie.«

»Niemand ist zufrieden mit seiner Lage, aber jeder mit seinem Verstande,« warf der Diplomat mit einem französischen Verse ein.

»Da haben wirs; gewiß,« wandte sich die Fürstin Mjagkaja sogleich an ihn. »Etwas ganz anderes aber ist es mit der Anna; sie ist ein reizendes liebes Weib. Was soll man ihr etwa deshalb nachsagen, weil alle Welt vernarrt ist in sie und ihr wie ein Schatten folgt?«

»Ich denke auch gar nicht daran, sie deshalb zu verurteilen,« verwahrte sich die Freundin Annas.

»Wenn uns selbst niemand wie ein Schatten folgt, so haben wir deshalb noch lange kein Recht, einem anderen etwas Unrechtes nachzusagen.«

Nachdem sie derart die Freundin Annas abgefertigt hatte, wie es dieser zukam, erhob sich die Fürstin Mjagkaja und ließ sich mit der Frau des Gesandten am Tische nieder, wo sich das allgemeine Gespräch um den König von Preußen bewegte.

»Wen habt Ihr denn soeben dort verlästert?« frug Bezzy.

»Die Karenin. Die Fürstin hat uns eine Charakteristik Aleksey Aleksandrowitschs gegeben,« versetzte die Frau des Gesandten, sich lächelnd an den Tisch setzend.

»Schade, daß wir sie nicht gehört haben,« antwortete die Dame des Hauses nach der Eingangsthür blickend. »Ah, da seid Ihr ja endlich!« rief sie lächelnd dem eben angekommenen Wronskiy zu.

Wronskiy war nicht nur mit jedermann in diesem Kreise bekannt, sondern sah alle die er hier antraf, täglich, und trat daher mit jenen ruhigen Manieren ein, mit denen man in ein Zimmer kommt, das man soeben erst verlassen hatte.

»Woher ich komme?« antwortete er sogleich auf die Frage der Frau des Gesandten. »Nun, was ist zu thun, ich muß es schon sagen, aus der Operette. Ich kann sie wohl zum Hundertstenmale hören, aber stets höre ich sie mit neuem Vergnügen. Das ist reizend! Ich weiß wohl, daß mir dies nicht wohlansteht, aber in der Oper schlafe ich ein, während ich in der Operette bis zur letzten Minute vergnügt und fröhlich aushalte. Heute« –

Er nannte eine französische Schauspielerin und wollte sich über sie verbreiten, aber die Frau des Gesandten unterbrach ihn mit komischem Entsetzen.

»Bitte, nicht von diesem Theaterschrecken erzählen.«

»Nun, nun; lassen wir es; umsomehr, als alle diese Schrecken kennen.«

»Und alle würden wohl dorthin fahren, wäre dies ebenso üblich für die Gesellschaft, wie die Oper,« fügte die Fürstin Mjagkaja hinzu.


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