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Die Nacht, welche Lewin auf dem Heuhaufen verbracht hatte, war für ihn nicht ohne Früchte gewesen. Die Ökonomie, die er betrieb, widerte ihn jetzt an und er hatte alles Interesse für dieselbe verloren.
Ungeachtet der vorzüglichen Ernte hatte es – wie ihm wenigstens schien – nie soviel Mißgeschick, soviel Reibereien zwischen ihm und den Bauern gegeben, als im gegenwärtigen Jahr, und die Ursache dieser Mißlichkeiten und Reibereien war ihm jetzt völlig klar.
Der Reiz, den er bei der Arbeit selbst empfand, die für ihn daraus hervorgehende Annäherung an die Bauern, der Neid, den er diesen gegenüber, ihrem Leben gegenüber fühlte, der Wunsch, auch zu einem solchen Leben überzugehen, welcher ihm in dieser Nacht schon nicht mehr Wunsch geblieben, sondern Absicht geworden war, deren Einzelheiten betreffs der Verwirklichung er erwogen hatte – alles dies hatte seine Anschauungen über die von ihm geleitete Wirtschaft derart verändert, daß er darin in keiner Beziehung mehr das frühere Interesse zu finden vermochte, daß er nicht umhin konnte, seine wenig freundliche Stellung den Arbeitern gegenüber zu erkennen, welche die eigentliche Grundlage für alles bildete.
Die Herden seiner veredelten Rinder, alle so wie die Pawa war, sein wohlgepflügtes Ackerland, neue Felder mit Gebüsch umsäumt, neunzig Desjatinen tiefgepflügten Düngerlandes und vieles Ähnliche – alles das war ja recht schön, wenn es nur von ihm selbst oder von ihm zusammen mit den Genossen geschaffen worden wäre, mit Leuten, die mit ihm fühlten. Aber er erkannte jetzt klar – seine Arbeit an dem Werke, welches er über Landwirtschaft schrieb, und worin er als das Hauptelement der Ökonomie den Arbeiter hinstellte, half ihm viel dabei – daß die Landwirtschaft, welche er führte, nur ein grausamer und hartnäckiger Kampf zwischen ihm und den Arbeitern war, in welchem sich auf der einen Seite, auf seiner eigenen, das beständige, angestrengte Bestreben zeigte, alles auf eine Weise zur Ausführung zu bringen, die sich nach der Berechnung als die beste erwies – auf der anderen Seite die natürliche Ordnung der Dinge.
Und in diesem Kampfe sah er, daß bei der höchsten Kraftanstrengung seinerseits, und bei dem Mangel jedes Kraftaufwands oder selbst des Bestrebens dazu auf der anderen Seite nur das erreicht wurde, daß die Wirtschaft nicht unnütz geführt, die Gerätschaften, das schöne Vieh und das Land nicht zwecklos abgenutzt wurden.
Die hierbei aufgebotene Energie ging zwar nicht vollkommen verloren, doch er mußte sich jetzt sagen, daß das Ziel dieser Energie ein unwürdiges war, wenn der leitende Gedanke seiner Landwirtschaft zu Tage kam.
Und worin bestand in Wirklichkeit jener Kampf? Er bestand auf jedem Pfennig der Einkünfte – entgegengesetzt konnte er nicht handeln, weil dies für ihn in der Energie nachlassen bedeutet und er dann nicht genug Geld gehabt hätte, seine Arbeiter zu bezahlen, sie aber strebten nur darnach, ruhig und gemächlich arbeiten zu dürfen, also so, wie sie es gewohnt waren. In seinem eigenen Interesse lag es, daß jeder Arbeiter so viel als möglich arbeitete, und dabei auch nicht vergesse, daß er nicht die Futterschwingen zerbreche, oder die Mistgabeln und die Dreschflegel; daß er daran denke, was er thue, in dem des Arbeiters hingegen, daß er mit größter Muße arbeiten könne, dabei ausruhend und, was die Hauptsache war – sorglos, ohne zu denken, und sich selbst dabei vergessend.
Auf jedem Schritte hatte Lewin das in diesem Sommer wahrgenommen. Er hatte Leute hinausgesandt, damit der Kleber nach dem Heu geschnitten werde und die schlechtesten Desjatinen, die von Gras und Wermut durchstanden waren, und zur Saat nicht gut taugten, ausgewählt; aber man nahm dafür die besten Felder, mit der Ausrede, daß der Verwalter es so befohlen habe und tröstete ihn damit, daß das Heu ausgezeichnet werden würde. Er aber wußte nur zu gut, daß dies nur davon komme, weil sich diese besseren Felder leichter schnitten. Er hatte eine Maschine hinausgesandt, um das Heu aufschütteln zu lassen, aber man hatte dieselbe schon bei den ersten Reihen defekt gemacht, weil es dem Bauer zu langweilig gewesen war, auf dem Bocke unter den über ihm schwingenden Schaufeln zu sitzen, und ihm geantwortet: »Habt keine Angst, die Weiber werden das Heu schnell wenden.« Die Pflugscharen erwiesen sich als untauglich geworden, weil es den Knechten nicht in den Kopf gekommen war, das Eisen hochzuheben, so daß sie, mit der Fangleine wendend, nur die Pferde abquälten und den Boden ruinierten; aber immer bat man Lewin, nur ruhig zu bleiben.
Die Pferde hatte man in die Weizenfelder gelassen, weil nicht ein einziger der Arbeiter in der Nacht hatte Wache halten wollen. Selbst auf den Befehl hin, es nicht zu thun, wechselten sich die Arbeiter die Nacht hindurch mit der Wache ab und Wanka, der den ganzen Tag gearbeitet hatte, war eingeschlafen. Er bereute nun seinen Fehltritt, sagte aber nur »macht was Ihr wollt«. –
Drei ausgezeichnete Färsen wurden vergiftet, weil man sie ohne Tränke auf das Kleberfeld gelassen hatte, und niemand wollte glauben, daß sie vom Kleber aufgetrieben worden waren, zur Beruhigung aber wurde mitgeteilt, daß bei einem Nachbar hundertundzwölf Stück Vieh innerhalb dreier Tage gefallen seien.
Alles das geschah aber nicht etwa deshalb, weil man Lewin oder seiner Ökonomie etwa übel gewollt hätte, im Gegenteil, er wußte, daß man ihn lieb hatte, ihn als einen einfachen Herrn achtete – was doch als höchstes Lob gilt, – es geschah eben nur deshalb, weil man heiter und sorglos zu arbeiten wünschte und seine Interessen den Leuten nicht nur fremd und unverständlich blieben, sondern ihren eigenen richtigsten Interessen geradezu entgegengesetzt waren. Schon lange hatte Lewin Unzufriedenheit über sein Verhältnis zu dieser Wirtschaft empfunden. Er erkannte, daß sein Fahrzeug leck geworden war, fand aber und suchte auch das Leck nicht, vielleicht um sich mit Vorsatz darüber hinwegzutäuschen. Wäre ihm doch auch nichts anderes übrig geblieben, wenn er sich dessen klar bewußt gewesen wäre. Jetzt aber konnte er sich nicht mehr täuschen; die Wirtschaft wie er sie leitete, war ihm nicht nur nicht mehr interessant, sie ekelte ihn vielmehr an, und er mochte sich nicht mehr mit ihr befassen.
Hierzu war nun das Erscheinen Kity Schtscherbazkajas gekommen, die nur dreißig Werst von ihm entfernt weilte und die er so gern wiedersehen wollte und doch nicht konnte.
Darja Aleksandrowna Oblonskaja hatte ihn eingeladen, wieder zu ihr zu kommen, als er bei ihr gewesen war; er sollte wohl hinkommen, um bei ihrer Schwester seinen Antrag zu erneuern, den sie jetzt, wie sie ihm zu verstehen gab, wahrscheinlich annehmen würde. Lewin selbst erkannte, nachdem er Kity wiedererblickt hatte, daß er nicht aufgehört habe, sie zu lieben; aber er vermochte nicht zu den Oblonskiy zu fahren, wenn er wußte, daß sie sich dort befand.
Der Umstand, daß er ihr eine Erklärung gemacht, und sie ihn zurückgewiesen hatte, zog eine unüberwindliche Schranke zwischen ihnen.
»Ich kann sie nicht mehr bitten, mein Weib zu werden, schon deshalb, weil sie nicht das Weib dessen sein kann, den sie mochte,« sprach er zu sich selbst, und der Gedanke hieran stimmte ihn kalt und feindselig gegen sie. »Ich werde nicht die Kraft besitzen, mit ihr zu reden ohne die Empfindung, daß ich ihr Vorwürfe machen müßte, um sie anzuschauen, ohne daß sich der Haß in mir regte, und sie selbst wird mich nur mehr hassen, wie das je der Fall sein muß. Wie sollte ich daher jetzt, auch nach dem, was mir Darja Aleksandrowna gesagt hat, zu ihr kommen können? Vermöchte ich denn zu verhehlen, daß ich weiß, was diese mir gesagt hat? Ich kann allerdings voll Großmut kommen, ihr vergeben, sie mir versöhnlich stimmen; ich stehe ja vor ihr in der Rolle des Verzeihenden, der sie seiner Liebe für wert hält. Weshalb mußte mir Darja Aleksandrowna dies auch sagen? Ich hätte Kity doch zufällig wiedersehen können, und dann würde sich alles von selbst gemacht haben; jetzt aber ist das unmöglich, ganz unmöglich.«
Darja Aleksandrowna hatte Lewin ein Billet geschickt, in welchem sie um einen Damensattel für Kity bat. »Man hat mir gesagt, Ihr besäßet einen solchen,« schrieb sie ihm, »und ich hoffe, Ihr bringt ihn selbst?«
Er vermochte dies kaum zu ertragen. Wie konnte ein so kluges, feinsinniges Weib die eigene Schwester derartig erniedrigen? Er schrieb wohl zehn Billets, die er alle wieder zerriß, und schickte dann den Sattel ohne Antwort.
Schreiben, daß er kommen würde, konnte er nicht, weil er nicht kommen konnte; schreiben, daß er nicht kommen könnte, da er abgehalten sei oder verreisen müsse – das wäre noch schlimmer gewesen. –
Er sandte deshalb den Sattel ohne eine Antwort, allerdings im Bewußtsein, daß er damit etwas Beschämendes thue, überließ am andern Tage die ihm immer gleichgültiger werdende Ökonomie seinem Verwalter und fuhr nach einem fernergelegenen Kreis, zu einem Freunde Swijashskiy, welcher ausgezeichnete Entensümpfe besaß und ihm schon längst geschrieben hatte, endlich einmal sein Versprechen zu erfüllen und ihn zu besuchen. Die Jagdgründe im Surowskischen Kreise hatten Lewin schon lange am Herzen gelegen, aber wegen seiner landwirtschaftlichen Pflichten hatte er die Reise immer wieder aufgeschoben. Jetzt freute er sich, sowohl der Nachbarschaft der Schtscherbazkiy, als ganz besonders auch seiner Ökonomie einmal entgehen zu können, und zwar gerade der Jagd halber, die ihm in allem Leid stets der beste Trost gewesen war.