Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wronskiy hatte schon mehrfach, wenn auch nicht so entschieden, versucht, wie jetzt, Anna zu einer Beurteilung ihrer Lage zu veranlassen. Er war stets auf jene Oberflächlichkeit, jenen Leichtsinn im Urteilen gestoßen, mit dem sie ihm auch jetzt geantwortet hatte auf seine Aufforderung.
Es lag etwas darin, was sie sich gleichsam nicht klar machen konnte oder wollte, gleich als ob, sobald sie nur hierüber zu sprechen begann, sie selbst in sich selbst hineingehen müßte, und als eine ganz andere wieder aus sich herauskäme, als eine seltsame, ihm fremde Frau, die er nicht liebe und nur fürchte, und welche ihm Widerstand leiste.
Heute aber hatte er den Entschluß gefaßt, ihr eine volle Erklärung zu geben.
»Weiß er nun etwas oder nicht,« frug Wronskiy in seinem gewohnten, festen, ruhigen Ton, »weiß er nun etwas oder nicht, uns geht das nichts an. Wir können nicht – Ihr könnt unter obwaltenden Verhältnissen nicht so bleiben, besonders jetzt.«
»Aber was ist zu thun, nach Eurer Meinung?« frug sie mit dem alten leichtsinnigen Spott.
Sie, die so sehr gefürchtet hatte, er möchte ihre Hiobspost zu leicht auffassen, sie fühlte sich jetzt davon gekränkt, daß er infolge derselben ausführte, es müsse gehandelt werden.
»Man muß ihm alles erklären und ihn verlassen.«
»Nicht übel, wenn ich dies thäte,« antwortete sie.
»Ihr wißt wohl, was aus alledem folgen müßte?«
»Ich kann Euch alles im voraus erzählen« – ein böser Glanz entzündete sich in diesen noch vor einer Minute so weichgewesenen Blicken: »Aha, Ihr liebt einen anderen und seid mit diesem in ein verbrecherisches Verhältnis getreten« – bei der Nachahmung ihres Gatten that sie, was Aleksey Aleksandrowitsch gethan hatte; sie legte einen Nachdruck auf das Wort verbrecherisch. »Ich habe Euch vorher auf die Folgen eines solchen in religiöser, in bürgerlicher und familiärer Beziehung aufmerksam gemacht. Aber Ihr habt mich nicht gehört. Jetzt kann ich meinen Namen nicht der Schande überliefern – ebensowenig wie meinen Sohn,« wollte sie hinzufügen, aber über den Sohn vermochte sie nicht zu scherzen, »der Schande nicht überliefern,« ergänzte sie und sprach noch weiter in dieser Weise. »Im allgemeinen wird er mit seiner aristokratischen Manier, seiner Klarheit und Präzision sagen, er könne mich nicht von sich lassen, sondern werde Maßregeln, die von ihm abhingen, ergreifen, um den Skandal zu vermeiden. Und er wird ruhig und gewissenhaft thun, was er sagt. So wird es kommen. Er ist kein Mensch, sondern eine Maschine, aber eine gefährliche Maschine, wenn sie erzürnt ist,« fügte sie noch hinzu, in der Erinnerung an Aleksey Aleksandrowitsch und an alle Einzelheiten seiner Erscheinung, seiner Sprechweise, und ihm alles zum Fehler anrechnend, was sie nur Übles an ihm zu entdecken vermochte, und ohne ihn um Verzeihung zu bitten für die furchtbare Sünde, deren sie sich vor ihm schuldig gemacht hatte.
»Aber Anna,« fuhr Wronskiy mit überzeugender weicher Stimme fort, sich bemühend, sie zu beruhigen, »es ist doch notwendig, ihm alles zu sagen und sich dann dem zu fügen, was er unternehmen wird.«
»Und wie stände es mit einer Flucht?«
»Weshalb nicht fliehen? Ich sehe überhaupt keine Möglichkeit, dieses Verhältnis fortzusetzen, und spreche nicht in meinem Interesse, sondern ich sehe, daß Ihr leidet!«
»Ja, fliehen; und ich muß alsdann Eure Geliebte werden,« sagte sie bitter.
»Anna,« antwortete er vorwurfsvoll zärtlich.
»Ja, ja,« fuhr sie fort, »ich werde Eure Geliebte werden und alles ins Unglück stürzen.«
Sie wollte wiederum hinzufügen »auch mein Kind«; aber sie vermochte nicht, dieses Wort auszusprechen.
Wronskiy konnte nicht begreifen, wie sie mit ihrer starken, ehrenhaften Natur imstande war, diese Situation voller Lug und Trug noch zu ertragen, daß sie nicht wünschte, sich derselben zu entziehen, doch er ahnte ja nicht, daß der hauptsächlichste Grund hierfür das Wort »Sohn« bildete, das sie nicht über die Lippen zu bringen vermochte.
Wenn sie ihres Sohnes dachte und seiner künftigen Beziehungen zu der Mutter, die seinen Vater verließ, wurde es ihr so entsetzlich zu Mute über das, was sie gethan, daß sie nicht mehr überlegte, sondern, als echtes Weib, sich bemühte, nur noch Beruhigung zu erlangen, mit Trugschlüssen und Worten, in dem Wunsche, es möchte alles beim alten geblieben sein und die furchtbare Frage in Vergessenheit kommen, was mit dem Sohne werden solle.
»Ich bitte, ich beschwöre dich,« sagte sie mit plötzlich völlig verändertem, aufrichtigem und zärtlichem Tone, ihn bei der Hand nehmend, »sprich nie mit mir hierüber!«
»Aber, Anna« –
»Nie! – Überlaß mir alles. All die Niedrigkeit, all das Entsetzliche meiner Lage kenne ich, aber es ist bei alledem doch die Entscheidung nicht so leicht, als du meinst. Überlaß alles mir und gehorche mir; sprich auch nicht mehr hierüber mit mir. Willst du mir das versprechen? Nein, nein, versprich« –
»Ich verspreche alles, kann aber nicht ruhig sein namentlich angesichts dessen, was du da gesagt hast. Ich kann nicht ruhig sein, wenn du nicht Ruhe finden kannst.«
»Ich?« fuhr sie fort. »Ja, bisweilen empfinde ich ja Schmerz, aber dies geht schon vorüber, wenn du niemals mit mir davon sprechen willst. Thust du es dennoch, dann erst werde ich Qualen empfinden.«
»Ich verstehe dich nicht,« sagte er.
»Ich weiß wohl,« unterbrach sie ihn, »wie schwer es deiner ehrenhaften Natur fällt, zu lügen, und ich bemitleide dich. Gar oft denke ich daran, wie du für mich dein Leben untergraben hast.«
»Ganz ähnlich habe auch ich soeben gedacht,« sagte er, »wie konntest du meinetwegen dich ganz und gar zum Opfer bringen? Ich kann es mir nicht vergeben, daß du so unglücklich geworden bist.«
»Ich unglücklich?« sagte sie, sich ihm nähernd, und ihn mit verzücktem Lächeln der Liebe anblickend, »ich erscheine mir wie ein hungriger Mensch, den man Speise gereicht hat. Mag sein, daß er dabei friert und sein Kleid zerrissen ist, daß er sich schämt darob – er ist aber doch nicht unglücklich. Ich unglücklich? Nein, hier ist mein Glück!«
Sie vernahm die Stimme ihres heraneilenden Söhnchens und erhob sich jäh, die Terrasse mit schnellem Blick überfliegend.
Ihr Blick erglühte in jenem Feuer, das er kannte, mit schneller Bewegung erhob sie ihre mit Ringen bedeckten schönen Hände, nahm ihn beim Kopfe und blickte ihn mit langem Blicke an, dann näherte sie ihr Antlitz mit halbgeöffneten lächelnden Lippen, küßte ihn schnell auf den Mund und beide Augen und stieß ihn dann von sich. Sie wollte forteilen, doch er hielt sie.
»Wann?« frug er flüsternd, sie mit entzückten Blicken messend.
»Heute, um ein Uhr,« flüsterte sie und ging dann, unter einem schweren Seufzer, mit ihren leichten und schnellen Schritten dem Sohne entgegen.
Sergey hatte den Regen im großen Parke abgewartet, mit seiner Amme in einer Laube sitzend.
»Also auf Wiedersehen,« sagte sie zu Wronskiy. »Nun muß ich bald zu den Rennen. Bezzy hat versprochen, mich abzuholen.«
Wronskiy blickte nach seiner Uhr und ging eiligst von dannen.