Graf Alexei N. Tolstoi
Aëlita
Graf Alexei N. Tolstoi

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Die Rast

Man führte die Gäste in kleine, fast leere Zimmer, deren schmale Fenster nach dem Park gingen. Die Wände des Speisezimmers und der Schlafräume waren mit strohfarbenen Matten bedeckt. In den Ecken standen Kübel mit blühenden Bäumchen. Gussjew fand die Zimmer sehr ansprechend: »Wie in einem Reisekorb ist es, sehr nett!«

Der Dicke im gestreiften Schlafrock, der sich als Hausverwalter herausstellte, tat sehr geschäftig, schwatzte, rollte wie eine Kugel von Tür zu Tür, wischte sich mit einem braunen Taschentuch die Glatze und erstarrte zuweilen zu Stein, die Gäste mit erstaunten Augen anglotzend.

Er führte Lossj und Gussjew jeden in ein eigenes Badezimmer und ließ das Wasser laufen, dichte Dampfwolken stiegen vom Grunde der Marmorbecken auf. Die Berührung des heißen, sprudelnden, leichten Wassers tat dem maßlos ermüdeten Körper so wohl, daß Lossj in seiner Wanne beinahe eingeschlafen wäre. Der Verwalter zog ihn bei der Hand heraus und bekleidete ihn mit einem rauhen Bademantel.

Lossj schleppte sich mit Mühe ins Eßzimmer, wo auf dem Tische eine Menge kleiner Tellerchen mit gebackenen Fischen, Pasteten, Geflügel, winzigen Eiern und Zuckerfrüchten standen. Die knusperigen, nußgroßen Brötchen wurden heiß in einer Serviette gereicht.

Man aß mit kleinen Schäufelchen. Der Verwalter erstarrte wieder zu Stein, als er sah, mit welcher Gier die irdischen Gäste die delikatesten Speisen herunterschlangen. Gussjew hatte solchen Appetit, daß er sein Schäufelchen weglegte und einfach mit den Händen zu essen begann. Besonders gut war der Wein – weiß, mit einem bläulichen Schimmer, kühl und nach Johannisbeeren duftend. Er verflüchtigte sich im Munde und floß durch die Adern wie Feuer.

Der Verwalter brachte sodann die Gäste in ihre Schlafzimmer; er steckte ihnen die Decken zurecht, ordnete die kleinen Kissen und tat überhaupt sehr geschäftig. Ein fester und langer Schlaf hatte sich schon der ›weißen Giganten‹ bemächtigt. Sie atmeten und schnarchten so laut, daß die Fensterscheiben klirrten, die Pflanzen in den Zimmerecken bebten und die Betten unter ihren so gar nicht marsianisch mächtigen Körpern knarrten.


Lossj öffnete die Augen. Ein bläuliches, künstliches Licht ergoß sich von der Zimmerdecke wie aus einer Schale. Es war so warm und angenehm zu liegen. »Was ist geschehen? Wo liege ich?« Aber er brachte es doch nicht fertig, sich auf alles zu besinnen. Mein Gott, diese Müdigkeit, dachte er sich mit Wonne und schloß wieder die Augen.

Leuchtende Flecken schwebten an ihm vorbei – es war, als spielte Sonnenlicht durch himmelblaues Laub auf einem Wasserspiegel. Die Vorahnung einer wunderbaren Freude, die Erwartung, daß einer dieser leuchtenden Flecken sogleich in seine Träume hineinspielen würde, versetzte ihn in eine wunderbare Erregung.

Er zog lächelnd die Brauen zusammen und bemühte sich noch, durch die dünne Schicht der gleitenden Sonnenflecke zu dringen. Aber ein noch tieferer Schlaf deckte ihn wie eine Wolke zu.


Lossj ließ die Füße vom Bettrande hängen. Er setzte sich auf. So saß er eine Zeitlang mit gesenktem Kopf. Dann stand er auf und zog den dicken Fenstervorhang zurück. Hinter dem schmalen Fenster leuchteten mit eisigem Lichte riesengroße Sterne – ihre ihm unbekannte Anordnung war so sonderbar und unheimlich.

»Ja, ja, ja,« sagte Lossj, »ich bin nicht auf der Erde. Die Erde ist dort geblieben. Eine eisige Wüste, unendliche Räume. So weit zu fliehen! Ich bin in einer neuen Welt. Nun ja, ich bin doch tot. Ich weiß es. Meine Seele ist dort.«

Er setzte sich wieder aufs Bett und bohrte sich die Nägel in die Brust, dort wo das Herz war. Dann legte er sich auf den Rücken.

»Es ist weder Tod, noch Leben. Ein lebendes Gehirn, ein lebender Körper. Aber ich bin ganz verlassen und leer. Da ist sie, da ist sie, die Hölle.«

Er biß die Zähne in das Kissen, um nicht aufzuschreien. Er konnte selbst nicht begreifen, warum ihn schon die zweite Nacht so unerträglich die Sehnsucht nach der Erde quälte, eine Sehnsucht nach sich selbst, der er dort jenseits der Ferne gelebt hatte. Als wäre ein lebendiger Faden gerissen, als ersticke seine Seele in einer eisigen, schwarzen Leere.

»Wer ist da?«

Lossj sprang auf. Ein Morgenstrahl drang durchs Fenster. Das kleine strohfarbene Zimmer war blendend sauber. Draußen rauschten die Blätter und zwitscherten die Vögel. Lossj fuhr sich mit der Hand über die Augen und holte tief Atem. Sein Herz war erregt, aber voller Freude.

An die Türe wurde wieder leise geklopft. Lossj machte die Tür auf, draußen stand der gestreifte Dicke, eine schwere Tracht hellblauer, taubedeckter Blumen in beiden Händen.

»Aiu utara Aëlita«, piepste er, ihm die Blumen reichend.


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