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Ich mochte in meine alte Studentenbude nicht wieder einziehn, denn meine letzte Wirtin war eine alte Hexe gewesen, mit der kein leichtes Auskommen war. Sie glaubte, ihre Polstersessel seien nur zum ansehn da, und schnitt ein scheeles Gesicht, wenn sie einen dabei betraf, daß man es sich darauf behaglich machte. Jeder Besuch aber war ihr ein Greuel.
Ich zog also bei Beginn des neuen Semesters wieder einmal suchend von Haus zu Haus, aber nichts paßte mir. Überall war etwas auszusetzen. Ich war schon ganz mürbe, und entschlossen, das erste was nur einigermaßen sich bot, einfach zu nehmen, um der elenden Sucherei ein Ende zu machen. Es war ein schwüler Tag, und ich war todmüde vom Herumlaufen auf dem heißen Asphalt.
Da kam ich gegen abend in eine stille Querstraße und in ein altes Haus, und wollte eigentlich gleich wegen der engen und dunklen Treppen wieder kehrt machen, als ich schließlich, da ich nun schon mal im Hausflur war, doch hinaufstieg, um das auf dem Zettel als »sehr hübsch« gerühmte Zimmer mir anzusehn.
Eine würdige Dame mit einer Stahlbrille öffnete und zeigte mir das Zimmer. Ich blieb auf der Schwelle stehen und warf einen flüchtigen Blick hinein, indem ich fragte, was das Gelaß kosten solle. Aber darauf antwortete die Frau nicht sofort, sondern rühmte begeistert die Stille des Gemachs, die hübsche Aussicht, von der ich nichts entdecken konnte, die bequemen Verbindungen und wie gut der Ofen sich im Winter heizen lasse, was mich im Momente so kalt ließ, wie die zwanzig Grad im Schatten das überhaupt erlaubten.
Das alles kam in Windeseile von ihren Lippen; und ich überlegte mir, daß es nicht angenehm sein konnte, wenn man auf jede noch so präzis gestellte Frage gleich mit solch einem Redeschwall überschüttet wurde, und war fest entschlossen, hier nicht zu mieten.
Ehe ich noch meine Frage nach der Höhe des Zimmerpreises wiederholen konnte, um darin einen Grund zu finden, das Gespräch abzubrechen, kam aus dem Dunkel des engen Korridors ein junges Mädchen und sagte holdselig bescheiden:
– Tante, du möchtest doch mal nach hinten kommen.
– Einen Augenblick!.. mit meiner Nichte können Sie inzwischen weiter verhandeln, sagte die würdige Dame lächelnd.
Damit war sie draußen, und ließ mich mit der niedlichen Blondine allein.
Die war wirklich sehr niedlich, und ich fand, daß es sich gut mit ihr verhandeln ließ. Dabei sah ich immer nur ihr aschblondes Haar, und die zierliche Gestalt, und die schmalen Hände, die gewiß von aller Arbeit frei blieben, so blütensauber sahen sie aus.
Ich stand und schaute sie an, und verstand kaum, was sie mir sagte.
Ein Paar Augen hatte sie im Gesichte, die mich ganz fascinierten, daß ich alle guten Vorsätze vergaß, gar nicht mehr daran dachte, daß ich mir einen ganz bestimmten Preis festgelegt hatte, über den ich durchaus nicht hinausgehen wollte, sondern mich im Handumdrehen damit abfand, daß ich künftig die Hälfte mehr zahlen mußte als je zuvor.
Auch Kaffee und Bedienung waren dementsprechend teurer, aber das ließ mich kalt, denn mir war bei dem Gedanken, von jetzt ab in der Nähe dieses netten Mädels zu sein, ganz warm ums Herz geworden
Wenn sie auch wahrscheinlich keine eigentliche Hausarbeit tat, so konnte es sehr wohl sein, daß sie einem mal den Kaffee am Nachmittage aufs Zimmer brachte, daß sie eine Bestellung für mich ausrichtete, oder einen angekommenen Brief persönlich übergab.
Ehe noch die Alte wiederkam, war ich entschlossen zu bleiben; und nun erst sagte sie mit dem holdesten Lächeln, daß sie die Tante rufen wolle.
Die kam denn auch, wiederholte alle Preise, ich gab Namen und Adresse an und hatte das Zimmer gemietet. Meiner neuen Wirtin, wie dem freundlichen Mädelchen, das Pussy hieß, schüttelte ich die Hand, ja ich gab sie ihr zum Schlusse nochmal, und sie nahm sie mit einem lächelnden Blicke, in dem viel Selbstzufriedenheit zu liegen schien, und damit schied ich für heute.
Das Haus sah ich mir noch einmal von außen an, und ging sehr gehoben zu meinem Bekannten, bei dem ich bis zum Ersten Unterkommen gefunden hatte, denn früher war das Zimmer nicht frei. Er mußte mich also noch drei Tage beherbergen.
Am folgenden Tage, nachdem ich am Abend auf der Kneipe sehr aufgeräumt gewesen, und allerlei dunkle aber vielversprechende Andeutungen hatte fallen lassen, wie vorzüglich ich es diesmal mit der Bude getroffen, ging ich gleich nochmal hin, unter dem Vorwande, Bescheid zu geben für den Fall, daß meine Koffer ankamen. Was aber gar nicht eilte, da dies erst geschehen konnte, nachdem ich nach Hause geschrieben hatte. Es hätte gut Zeit gehabt bis zum Einzuge, allein so lange konnte ich nicht warten. –
Die kleine Holde war leider nicht anwesend. Ein ziemlich mürrisches Dienstmädchen empfing mich und sagte brummelnd, sie wolle es schon bestellen. Ich fragte nach dem Fräulein.
– Was vor ein Fräulein?
– Nun, die Nichte von Frau Dingsda.
– Nee! die is nich da. –
Das war die ganze Ausbeute.
Na, es dauerte ja nur noch einen Tag; am übernächsten würde ich dann mit ihr unter einem Dache, womöglich Wand an Wand schlafen.
Wahrscheinlich war sie irgendwo in Stellung, oder heute grade mit der Tante fort, um Besorgungen zu machen, oder spazieren gegangen.
– Jaja, sagte ich abends meinen Freunden. Glück muß der Mensch haben. Na, ihr werdet ja Augen machen. Also einfach nicht zu sagen! Ein Fund! ... pyramidal! –
Und der Tag meines Einzuges kam. Es war ausgemacht, erst am Nachmittage um vier Uhr, damit das Zimmer inzwischen gründlich reingemacht werden konnte, was mir sehr nötig schien.
Da kam ich mit der Droschke vorgefahren und blickte zu den Fenstern hinauf, ob ich nicht einen blonden Kopf erspähte, – aber es war nichts zu sehen.
Sie hatten vermutlich noch mit meinem Zimmer zu tun.
Ich muß gestehen, mir klopfte ein wenig das Herz, als ich die Treppen hinaufstieg und oben angekommen energisch schellte.
Wieder das unfreundliche Dienstmädchen, das mich bloß dumm anstarrte und die Tür erst freigab, als ich ihr sagte, ich sei der neue Herr. Da machte sie mir ohne ein Wort das Zimmer auf, und rührte sich auch nicht helfend, als der Kutscher meine Sachen abstellte.
Aber nun, – nun kam sie vom Korridor! ...
Allein es war nur die Wirtin, die stählerne Brille auf der Nase, die mich nochmals genau inspizierte, mir den Hausschlüssel übergab und mir den Ort der allgemeinen Sterblichkeit freundlich wies. Dann zog auch sie sich zurück, und ließ mich allein in meinen vier Wänden.
Nun konnte ich mir zum erstenmal mein neues Zimmer genauer betrachten. Dieser Rundgang fiel nicht grade ermutigend aus. Die Tapete nicht auf der Höhe, die Polstersessel mit Sprungfedern, deren Härte man spürte, das Sofa arg schmal und höchst unbequem, der Schreibtisch gebrechlich und ohne rechte Fächer. Und wo sollte ich meine Bücher lassen? Das war gar nicht abzusehen, wohin damit.
Begierig war ich auf das Bett. Nun, das ging wie es schien, war auch offenbar neueren Ursprungs, und nicht so abgebraucht wie die meisten anderen Möbel. Es war wenigstens ein Trost. Allein was besagten all diese Äußerlichkeiten gegen das wonnige Gefühl, in der Nähe einer so reizenden, blonden, kleinen Philine zu sein, wie sie niedlicher nicht zu denken war.
Ich klingelte ....
Nach einer Weile, die mir endlos schien, klopfte das mufflige Dienstmädchen, bei der ich Kaffee bestellte.
Nun saß ich da ... und harrte in Geduld über zwanzig lange Minuten, die mir wie zehn Stunden vorkamen. Endlich erhielt ich den Kaffee. Verlockend sah das Arrangement nicht aus. Ich war es entschieden anders gewöhnt. Auf peinliche Sauberkeit schien man kein so großes Gewicht zu legen; Reinlichkeit also nur mäßig. Der Kaffee dünn, mit dem leichten Beigeschmack von Blech, daß mich schauderte. Ach Gott! was man nicht alles in Kauf nehmen mußte.
Ich fragte die muffelnde Maid einiges, aber erzielte keine besondere Wirkung. Es hieß also, sich in Geduld zu fassen.
Nach einer Stunde klingelte ich, damit das Geschirr abgeräumt wurde. Wieder das Muffel, das mich wissen ließ, daß sie so wie so das Geschirr geholt, wenn sie das Bett gemacht hätte. Deshalb brauchte ich sie also künftig nicht extra zu bemühen. Das hatte ich für meine Ungeduld.
Nach einer weiteren Stunde ging ich, und suchte auf dem Korridor, um das Gemach der Wirtin und deren Nichte zu erkunden. Die erstere fand ich, und sagte ihr, was ich noch an Wünschen auf dem Herzen hatte. Heute war sie nicht so redselig, sondern fertigte mich ziemlich schnell ab.
Von meiner Sehnsucht war nichts zu entdecken, aber auch gar nichts. – –
Der erste Abend fing also nicht sehr erbaulich an, nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Und über die fragenden Gesichter der Bundesbrüder ärgerte ich mich, ließ sie in die Kanne steigen, daß es nur so die Art hatte, bis ich merkte, daß sie offenbar dadurch Unrat witterten, sodaß ich nun kühl ironisch tat, als ob ich schon allerhand Wundersames zu verbergen habe. –
In der Nacht beim Heimkommen schlich ich auf den Zehen, um die Holde nicht im Schlafe zu stören. Dabei hätte ich zu gern gewußt, wo sie schlief; allein das war mir noch schleierhaft dunkel; sollte aber bald ergründet werden. –
Allein so leicht war das nicht. Der nächste Tag verging, – der folgende auch, – nichts ließ sich sehen.
Am sechsten erst fand ich den Mut, die Wirtin nach ihrer lieben Nichte zu fragen.
Mit dem treuherzigsten Gesichte erzählte sie mir, daß diese telegraphisch abgerufen sei, da ihre Mutter plötzlich erkrankt war.
Ob sie bald zurückkehre? wagte ich weiter zu forschen.
Aber selbstverständlich! sobald die Mutter sich wieder besser befand. Die Kleine hing ja so an der Großstadt, die hielt es nicht lange auswärts aus. Allein wohin der Gegenstand meiner Sehnsucht sich zurückgezogen, erfuhr ich nicht. –
Da saß ich nun in meiner Bedrängnis, arg betrübt. Das Zimmer taugte nichts, für den Preis konnte ich viel was Besseres haben. Das dienende Mädchen putzte die Stiefel schlecht, der Kaffee schmeckte manchmal undefinierbar; und muffeliger konnte so leicht kein Besen sein. Also daß ich bei mir erwog, ob ich nicht umziehen sollte, denn die Mutter meiner Unbekannten schien keinerlei Neigung zu verspüren, in absehbarer Zeit wieder gesund zu werden.
Die ungewisse Geschichte machte mich allmählich nervös. Allein ich ließ den fünfzehnten vorübergehen, und kündigte nicht. Ewig pflegten ja Krankheiten im allgemeinen nicht zu dauern, oder sie nahmen ein schlimmes Ende; und so tröstete ich mich mit der Hoffnung auf baldige Genesung.
Ein paar Tage später holte ich den muffelnden Dienstbolzen aus, der sich gerade mit der Wirtin gezankt hatte und zum ersten Male voller Wut, mir die ganze Wahrheit enthüllte. Ich erfuhr, daß die Nichte überhaupt nur den einen Tag zu Besuch dagewesen sei und gleich wieder verschwunden war. Wohin, sei ihr nicht bekannt. Sie glaubte aber nicht, daß sie abgereist sei. Sie wohne überhaupt gar nicht da, sondern komme nur gelegentlich zu Besuch. Ich war wütend.
Da hatte es wirklich keinen Zweck, die teure Miete weiter zu zahlen. So wollte ich denn kündigen, und ging schon jetzt mit Muße und Vorsicht auf neue Wohnungssuche.
Und wie ich so suchte, kam ich eines Tages zu einer Wirtin, deren Zimmer auch in keinem rechten Verhältnis zu dem geforderten Preise stand. Und während ich schon gehen wollte, wurde die Wirtin von ihrer Nichte abgerufen, und als besagte Nichte in das Licht trat, da war ich denn doch im ersten Moment sprachlos. Dann wollte ich wettern und fluchen, – aber da ich ihr bestürztes Gesicht sah, fing ich an zu lachen, und lachend fragte ich die endlich Wiedergefundene:
– Das ist also hier auch Ihre Tante?
– Ja! sagte sie keck, warum nicht? Der Mensch kann doch mehrere Tanten haben.
– Und Sie wohnen jetzt hier bei dieser Tante?
Da mußte sie erst nach der Antwort suchen, und sagte dann plötzlich ehrlich:
– Nein, ich bin hier heute nur zu Besuch.
– Ach, und wie ist das? Kommen Sie nun zu der Tante, bei der ich augenblicklich wohne, zurück? ...
– Ja! sogar sehr bald.
– Weil das kleine Zimmer neben mir frei geworden ist? ... und Sie helfen sollen, es an einen Dummen zu vermieten, nicht wahr? –
Da wurde sie rot und sehr verlegen.
Und ich sagte:
– Na, meines wird nächsten Ersten auch frei. Von mir aus sogar schon lieber heute wie morgen. Das können Sie man gleich mit in Pacht nehmen.
– Ach pfui, seien Sie nicht so häßlich zu mir.
– So? Das soll ich nicht sein. Wie soll ich denn sein? ... Und weshalb waren Sie die ganze Zeit nicht ein Mal da?
Da schwieg sie, und ich fragte weiter:
– Waren Sie wirklich bei Ihrer kranken Mutter auswärts? –
Sie sah mich fest an und sagte:
– Nein! ... ich habe gar keine Mutter mehr.
– Aber Tanten haben Sie, scheint mir?
– Ja! ... auch richtige! –
– Und wo wohnen Sie nun eigentlich?
– Eben bei meiner Tante.
– Ach! ...
– Ja, aber bei meiner richtigen Tante.
– Also nicht bloß so eine Zimmertante?
– Nein, wahr und wahrhaftig, bei der Schwester meiner Mutter.
– Ist das wahr?
– Gewiß und wahrhaftig!
Und nach einer Weile fragte sie:
– Sind Sie mir noch böse? Ich wäre gern einmal gekommen, aber es ging nicht, ich hatte zu viel zu tun.
– Mit Zimmer vermieten?
– Ach, Sie sind doch schlecht. Ich habe doch mehr zu tun. Sie dürfen nicht so von mir denken.
– Und weshalb nicht?
– Liegt Ihnen denn so daran, daß ich gut von Ihnen denke?
– Ja, mir liegt daran! ... sehr!
– Nun, dann wüßte ich ein Mittel, um das zu bewirken.
– Und das ist?
– Wollen Sie aber auch?
– Wenn ich kann, ja!
– Nun gut, dann sagen Sie mir, wann Sie hier fortgehen, und ich begleite Sie ein Stück, und dann verrate ich es Ihnen.
Einen Augenblick zögerte sie, dann sagte sie:
– Gut, ich will um sechs Uhr an der Ecke hier links sein.
– Abgemacht!
– Abgemacht. Und das Zimmer? ..
– Nein, Fräuleinchen, ich kann doch nicht alle Zimmer mieten, die Sie mir empfehlen. –
Da lachte sie sehr lustig auf, und ehe die neue Tante wieder auf der Bildfläche erschien, war ich fort.
Aber ich setzte mich schräg gegenüber in eine kleine Kneipe, damit sie mir nicht doch entwischte. –
Sie war pünktlich! Zwei Minuten nach sechs fand sie sich ein, und wir gingen ein Stück zusammen. Dann hatte ich solchen Hunger, daß sie mit mir essen kam. Und es war kurz vor Toresschluß, als ich sie am Hause ihrer Tante, der richtigen, bei der sie wohnte, ablieferte.
Die hatte leider grade kein Zimmer, aber vielleicht wurde eins im nächsten Monat frei. –
Drei Tage später stellte sie sich wegen des kleinen Hinterzimmers bei meiner Wirtin ein; und am Nachmittag schon war der Zettel richtig an der Haustür verschwunden. Sie hatte das kleine Zimmer sofort vermietet. Ich bat sie, ob sie nicht meins gleich mit in Kommission nehmen wollte. Ich war entschlossen, fortzuziehen. Die Wirtin hatte sich mit dem schmutzigen Muffel wieder ausgesöhnt, und das faule Ding blieb.
Das hielt ich nicht aus. –
Mit Pussy aber wurde ich sehr befreundet. Am folgenden Ersten zog ich dann zu der Tante, wo sie angeblich richtig wohnte.
Allein in der ersten Zeit war ich immer noch voller Zweifel, und glaubte jeden Tag, daß sie am andern Morgen verschwunden sei. Bis wir dann noch befreundeter wurden, und ich endlich mit bestem Willen nicht länger daran zweifeln konnte, daß sie bei dieser Tante nicht nur die Nachmittagsstunden, sondern wirklich Tag und Nacht zubrachte.