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Mit seiner siegellackroten Mütze und dem blankgeputzten Messingschilde: Selbständiger Dienstmann Nr. 19 stand er jeden Tag von früh bis spät an einer Ecke des großen baumbestandenen Schmuckplatzes, und ich fragte mich, wovon er wohl eigentlich leben mochte, denn außer daß ich ihn zuweilen einmal fortschickte, sah ich nie, daß er etwas zu tun hatte.
Er war trotzdem so pflichteifrig, daß er selbst zur Mittagszeit nicht fortging, sondern auf seinem Posten blieb und sich das Essen dorthin bringen ließ.
Dann setzte er sich auf eine versteckte Bank in den Anlagen; und während er den Löffel zum Munde führte, ließ er hastig die Augen links und rechts gehen, ob auch kein Schutzmann in der Nähe zu erblicken war, der ihn anzeigen konnte. Denn es war ihm nach seiner Dienstordnung verboten, sich auf eine öffentliche Bank zu setzen.
Er trug einen grauen Backenbart noch aus der Zeit Kaiser Wilhelms I. und war nur ein kleines schmalbrüstiges Männchen, das eigentlich gar nicht zu seinem Berufe paßte. Größere Lasten konnte er nicht tragen, allzu flink auf den Beinen war er auch nicht, und jedesmal, wenn man ihm einen Auftrag gab, schlug er noch einen Groschen auf, als Pferdebahngeld. Denn wenn es irgend ging, fuhr er seine Gänge.
Sein Essen brachte ihm meist ein kleines zehnjähriges Mädchen, das sich dann zu ihm setzte und wartete, um den Napf in dem Henkelkorbe wieder mit sich zu nehmen. Aber zuweilen kam auch seine Frau. Das war ein großes, vierschrötiges Geschöpf mit gewaltigen Händen und Füßen, das sich viel eher zum Packträger geeignet haben würde als er, der ihr kaum bis zur Schulter reichte.
Wenn sie kam, dann strahlte sein Gesicht; er lief ihr schon von weitem entgegen, und sah zu ihr auf, wie ein Schuljunge zu seiner Mutter, die was Gutes für ihn in der Tasche hat.
Wie diese beiden zusammen gekommen sein mochten, war mir ein Rätsel, aber sie schienen trotz ihrer Verschiedenheit überaus glücklich miteinander zu sein. Sie bemutterte ihn offenbar, streichelte ihm den Kopf, während er aß und sie seine rote Mütze hielt, und klopfte ihm beim Abschied die Backen, wenn er brav aufgegessen hatte.
Das amüsierte mich jedesmal; denn er schien darüber ganz stolz zu sein, und sah ihr nach, bis sie um die Straßenecke verschwunden war, ließ sich auch nicht stören, bis sie ganz fort war. Und als ihm einmal jemand einen Brief zur Besorgung übergeben wollte, da winkte er ab, daß er warten möge; und erst als er ihr einen letzten Gruß nachgeschickt, bevor sie um die Ecke ging, wandte er sich seinem Auftraggeber wieder zu. –
Aber eines Tages suchte ich ihn vergebens, und am folgenden erzählte er mir, daß seine Frau krank lag. Von da an lief er alle Augenblicke nach Hause. Sie aber wollte ihn dort nicht dulden und schickte ihn wieder fort. Aber er hatte keine Ruhe und wäre am liebsten ganz bei ihr geblieben. Allein das gab sie nicht zu. Er mußte vor allem seinem Berufe nachgehen.
Und so kam das kleine Mädchen eines Tages um Mittag, als er auf sein Essen wartete, ganz atemlos angerannt, um ihn eiligst abzurufen. – Seine Frau erkannte ihn noch, gab ihm auch allerlei Ratschläge im Laufe des Nachmittags, aber in der Nacht starb sie und ließ ihn allein in der Welt zurück. –
An den folgenden drei Tagen war er nicht an seinem gewohnten Platze zu sehen. Dann erschien er wieder und hatte um seine rote Mütze, unter dem Messingschilde durchgezogen, hinten mit einem dicken Schleifenknoten, einen Florstreifen, der sehr gut gemeint war, aber komisch genug aussah zu der Siegellackfarbe seiner Kopfbedeckung.
Nun kam keiner mehr, der ihm das Essen brachte, auch die kleine Nachbarin nicht. Denn ihm kochte ja niemand daheim. Er hatte keinen Menschen zu Hause und mußte sich alles selber besorgen. Zu Mittag ging er in eine nahe Destille, und ich merkte, daß er anfing zu trinken, was er früher als schlimmstes Laster verabscheut hatte. Er war immer ganz nüchtern gewesen.
Eines Tages sagte mir ein Bekannter:
– Du kennst doch den Dienstmann Nr. 19.
– Freilich kenn' ich ihn.
– Aber du kennst ihn doch nicht! Komm doch mal zu mir am Abend nach sieben, da will ich dir etwas zeigen.
– Was denn? –
– Na, du wirst ja sehen.
– Nein, nein! sagte er lachend, das kann ich dir nicht erzählen. Das muß man selbst sehen, um es zu glauben.
– Also gut, ich komme.
– Schön, kriegst auch einen guten Tropfen Mosel. –
Am Abend trat ich denn auch pünktlich an.
Der Freund empfing mich vergnügt, und wir setzten uns an dem warmen Sommerabend auf den weinbesponnenen Balkon, und plauderten bei einem Glase Wein und einer guten Zigarre, bis ich endlich meinen Freund Nr. 19 die Straße herunterkommen sah.
– Na also, da kommt er! Nämlich, er wohnt hier hinten in dem Anbau, sagte mein Bekannter, schon seit langer Zeit, und ich habe die Frau gekannt, die mir zuweilen etwas besorgt hat, wenn er fort war. Wir haben noch ein bißchen Zeit, mußt dich gedulden.
Nach einer Weile verschwand mein Freund, winkte mir, und wir gingen in die hintere Wohnung.
– Siehst du, sagte er, von hier aus kann man in seine Fenster sehen, ohne daß er etwas ahnt. Die Fenster hier sind sonst alle undurchsichtig, diese Scheibe ist neulich zerbrochen und nur eine Gardine davor. Jedenfalls glaubt er sich von hier aus nicht beobachtet.
Man konnte wirklich ganz deutlich in die Wohnung hineinsehen. Ein Wohn- und Schlafzimmer und daneben die Küche.
Er hatte seine Mütze und den Dienstmannsrock abgelegt und hantierte nun an einem Schrank herum, dem er die Kleider seiner Frau entnahm und über einen Stuhl hing. Dann fing er an sich auszuziehen; und neben mir hörte ich den Freund laut lospruschen über das, was wir sahen.
Es war aber auch überwältigend komisch, wie der alte Mann, nachdem er alles abgelegt, in ein paar Frauenhosen stieg, sich einen Unterrock umband, und nun das Kleid seiner Frau anzog, das ihm natürlich viel zu weit und zu lang war. Dann trat er vor den Spiegel, befestigte vorn eine Brosche und hing sich an die Ohren, offenbar mit Fäden oder Draht, zwei lange schwarze Jettohrbommeln, die früher der Frau schon ein sehr merkwürdiges Aussehen verliehen hatten; die bei ihm aber ganz grotesk wirkten.
Zum Schluß setzte er sich den Kapottehut seiner Alten auf, den er mit den langen Bändern unter dem Kinn zusammenband.
So angetan setzte er sich nun an den Tisch, dem Spiegel gegenüber, besah sich dieses seltsame Bild, und fing an Abendbrot zu essen, indem er zwei Teller und zwei Gläser hinstellte und abwechselnd von einem und dem andern aß und trank.
– Weißt du, sagte die Stimme neben mir, das macht er nun alle Tage. Des Morgens hat er schon früher immer seine und ihre Stiefel und Kleider gereinigt. Das tut er auch jetzt noch. Aber wenn er damit fertig ist, dann zieht er eins von ihren alten Hauskleidern an und geht in die Küche, bindet sich eine Schürze um und macht Kaffee, alles immer für zwei. Dann wischt er überall sorgfältig Staub; und erst wenn die Wohnung ganz in Ordnung ist, zieht er sich seine Dienstmannsbluse an und geht auf die Straße. Jeden Abend aber kostümiert er sich so, wie du das eben gesehen hast. Er hat noch ein anderes Kleid und einen anderen Hut. Einmal wollte er durchaus Handschuhe von ihr anziehen, aber das ging nicht, damit konnte er dann nichts anfassen. Aber die langen Strümpfe von ihr trägt er, da sieht er zu komisch mit aus, und die Wäscherin hat mir erzählt, daß er nur noch die Hemden von ihr trägt. Bloß die kriegt sie noch in die Wäsche, während sie genau weiß, daß er selber noch ganz gute für sich hat. Zur Nacht legt er dann alle die Sachen der Frau neben das eine Bett, wo er sie am andern Morgen nimmt, um sie reinzumachen; und so schafft er sich offenbar die Illusion, als ob sie noch bei ihm sei. – Sieh nur, jetzt! ...
Und ich sah, wie er den Tisch abräumte, und jedesmal wenn er vom Zimmer in die Küche oder zurück ging, hob er das lange Kleid mit der einen Hand hoch, daß seine Beine zu sehen waren mit den hohen Schaftstiefeln, über die die weißen Frauenhosen fielen. Als er dann mit allem fertig war, saß er still am Fenster und sah hinaus, nahm endlich den schwarzen Kapottehut ab, der ihm beständig hin und her rutschte, und plötzlich legte er das Gesicht auf die Arme, die auf dem Fensterbrett lagen, und man sah, wie sein krummer Rücken in der bunten Frauenbluse sich hob und schüttelte; und mir schien, als ob man sein haltloses Schluchzen bis zu uns hören konnte.
– Komm! sagte ich leise zu dem Freunde und zog ihn fort.
Und still gingen wir zurück, setzten uns wieder auf den Balkon, tranken unsern Wein, und sahen die Schwalben zwitschernd pfeilschnell an uns vorüberschießen, während das Abendrot still und grau verglühte.
– Der arme Narr! sagten wir fast gleichzeitig.
Und sahen noch immer den grotesken Anblick vor uns, wie der selbständige Dienstmann Nr. 19 in den Kleidern seiner Frau so überwältigend bizarr ausgesehen hatte.
Aber vor dem haltlos weinenden Manne verstummte unser Lachen, und nachdenklich schweigend über die oft seltsame Formen zeigende Narrheit unserer Mitmenschen, tranken wir uns still zu. –