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– Nee, Frau Grieser, das können Sie sich nich vorstellen, was ich für einen Schrecken gestern gehabt habe! Ich hätte geschworen, es is Ihr Seliger, wenn ich ihn nich selbst mit eigenen Augen auf seinem Totenbette gesehn hätte.
– Is nich möglich, Frau Hempel, wieso denn?
– Also passen Se auf: Ich habe doch den Prozeß mit der Berger, und da kommen nu alle paar Tage Schreiben von's Gericht, und da bin ich hier nach Nr. 7 in unsere Straße gewesen, und wollte mir da im Rechtsbureau 'ne Eingabe aufsetzen lassen. Wissen Se, wenn ich allein da gewesen wäre, ich glaube, ich hätte den Schlag gekriegt. So war schon eine Frau da, mit der er noch verhandelte, und so kam ich wieder zu mir.
– In der Erdbergstraße ist das?
– Ja, Nummer sieben. Es is ja zu komisch, daß ich den Menschen bis jetzt nie gesehen habe, und das Bureau is dabei schon bald zwei Monate da.
– Und er sieht meinem Theodor wirklich ähnlich?
– Ich sag Ihnen, Frau Grieser, wie ein Ei dem andern.
– Bloß im Gesicht, oder –
– Im Gesicht is es ganz verblüffend. Sonst, glaube ich, is er ne Idee kleiner un nich ganz so stark.
– Den müßt ich mir doch mal ansehn. Warten Sie mal, Frau Hempel, ich hole die Bilder.
Die Frau Grieser, die die halbe erste Etage in dem stattlichen Hause bewohnte, das ihr Seliger ihr hinterlassen hatte, war eine Frau, die sich den Vierzigern näherte, aber weit jünger aussah. Sie war lebhaft und lebenslustig, ließ sich nichts abgehen und hatte vielerlei Freundschaften in der Gegend, ausgenommen die Mieter in ihrem Hause, die sie alle für ihre geschworenen Feinde erachtete.
Mit denen sprach sie nur das Notwendigste; während sie sonst gern mit aller Welt schwatzte und nichts lieber hatte, als wenn man zu ihr am Nachmittage zu Besuch kam, zum Klockenkaffee, wie sie das nannte. Das konnte sie sich ebensogut leisten, meinte sie, wie die ganz feinen Leute, von deren nachmittäglichen Zusammenkünften mit Tee man alle paar Tage in der Zeitung zu lesen bekam.
Das war ihr Hauptvergnügen.
Natürlich war sie ein rechtes Objekt für alle Mitgiftjäger und hätte zwanzigmal wieder heiraten können, aber sie war zu vorsichtig. Ihr tat das schöne Haus leid. An einer Freundin hatte sie gesehen, wie schlimm es einem ergehen konnte. Die hatte solch ein Mann um all ihr schönes Geld gebracht, daß sie schließlich in ein Geschäft gehen mußte, damit sie überhaupt leben konnte.
Vor allem aber hatte sie ihren Theodor geliebt. Gegen den kam keiner an. Die Leute lachten zwar über ihn, weil er eine so hohe piepsige Stimme hatte, die gar nicht im Einklang zu seiner robusten Erscheinung stand, aber sonst war er seelensgut gewesen. Er hatte sie aus kleinen und dürftigen Verhältnissen herausgeholt und ihr jeden Wunsch erfüllt. Aber sie hatte gar keine besonderen Wünsche. Sie war glücklich, in diese solide Lebenslage gekommen zu sein, und tat ihm alles zu Gefallen.
Er hatte so sentimental Flöte spielen können. Das gefiel ihr am meisten, wenn er sich in der Dämmerstunde an das Fenster setzte und sein Repertoire herunterblies. Zum Schluß tat er ihr dann die Liebe und pfiff ihr auf seinem Blechinstrument die letzten Gassenhauer vor, irgendeine Operettenmusik, zu der sie leise den Text summte.
Das nannten sie ihre Hausandacht, in der sie sich von niemandem stören ließen.
Dabei aß er gut, am liebsten Zusammengekochtes, Fleisch und Gemüse, und abends wenn sie zu Hause waren beim Zeitungslesen, rauchte er lange Pfeife; aber das durfte niemand wissen. Die Pfeifen waren wohlversteckt in einem Wandschrank. Nicht mal das Mädchen wußte von deren Existenz. Sonst hätten ihn die guten Freunde gewiß damit aufgezogen.
Einmal hatte er sich von einem jungen Maler, der oben in einem winzigen Atelier hauste, in Öl malen lassen. Das Porträt hing in der großen Erkerstube und zeigte ihn in all seiner Behäbigkeit, mit dem zu dicken Halse, der speckig über den niederen Stehkragen hervorquoll. Die Augen erstaunt groß aufgerissen, das ganze Gesicht rot und sehr gesund, mit einem unendlich gutmütigen Ausdrucke.
Ein ganz hübsches Gesicht. Die Haare waren links glatt gescheitelt, – das hatte er von seiner Militärzeit so beibehalten, wie er denn eifrig im Kriegerverein sich betätigte und sich viel darauf einbildete, daß er es in der Reserve bis zum Unteroffizier gebracht hatte.
So war ihr seliger Theodor gewesen. –
Und nun sollte es einen Menschen geben, der ihm sprechend ähnlich war, wie die Frau Hempel behauptete? – Davon mußte man sich doch überzeugen.
– Nee wirklich, Frau Grieser, sagte die Hempel, als sie die Photographien in der Hand hielt, wissen Se, auf dem Ölbild sieht er ja jünger aus, aber hier diese Bilder, das is der Rechtskonsulent, wie er leibt und lebt! Wahrhaftig, der brauchte sich gar nich photographieren zu lassen. Der könnte einfach für sich nachbestellen. Es is richtig unheimlich.
– Aber wie kann ich mich davon überzeugen?
– Gehn Sie doch mal hin.
– Ach, Frau Hempel, das traue ich mich nicht.
– Sie können sich ja irgend ne Auskunft geben lassen. Sie haben doch alle Augenblicke was mit dem Hause. Da findet sich doch leicht ein Grund. Danach braucht man doch nich lange suchen, wenn man nur will.
– Das ist ja richtig, aber man muß auch den Mut dazu haben, und den habe ich nicht.
– Soll ich mit Ihnen gehen? ...
– Ach, wenn Sie das täten, Frau Hempel! Oder noch besser: kommt der Mann nicht zu einem? ... Wenn er dafür extra bezahlt wird, doch ganz gewiß. Da könnte man ihn ja einfach mal bestellen.
– Ich werde mal bei ihm anfragen.
– Ach ja, Frau Hempel, tun Sie das doch mal. Ich habe sogar was, das ich fragen könnte. Die Gemüsefrau quengelt immer so wegen der Keller hinten, die gar nicht in ihrem Kontrakt stehen. Aber sie wohnt schon sechs Jahre drin, und ich weiß nicht, ob man sie ihr nicht einfach wegnehmen kann, wenn sie doch nicht zufrieden ist.
– Schön, Frau Grieser, da werde ich gleich mal fragen; bloß der Mann hat den ganzen Tag seine Sprechstunden, ob er abkommen kann? –
– Er wird schon mal auf ne halbe Stunde herumkommen können. So doll wird sein Geschäft nicht gehn.
– Schön, Frau Grieser, werde ich alles bestellen, und dann komm ich, Ihnen Bescheid sagen.
– Adje, Frau Hempel!
– Adje, Frau Grieser! –
Damit ging sie, und nun verfolgte Frau Grieser der Gedanke, daß da ganz in ihrer Nähe ein Mensch wohnte, der ihrem Theodor so ähnlich sehen sollte wie ein Ei dem andern.
Was sie auch anfing, sie mußte beständig daran denken. Ein paarmal stand sie vor dem Ölbilde und fragte sich, ob das wohl möglich sei. Das mußte zu merkwürdig sein.
Sie konnte nicht einschlafen, mußte immer an den Verstorbenen denken, und kam sich wieder genau so einsam und verlassen vor wie in der ersten Zeit ihrer Witwenschaft. Jetzt gab es Tage nacheinander, an denen sie kaum an ihn dachte; aber nun war alles wieder lebendig geworden, als ob er wieder auferstanden sei.
Sie hatte davon gelesen, daß in der Welt nichts unterging, sondern alles wiederkam, wenn auch oft in anderer Gestalt. War es nicht möglich, daß er so zurückkam? ...
Ach! was dachte sie da für Dummheiten. Der Kopf war ihr ganz heiß geworden, sodaß sie gar nicht wußte, was mit ihr los war. Alles drehte sich, und immer hatte sie das greifbare Gefühl, als müsse er ganz in der Nähe sein.
Sie hatte eine sehr schlechte Nacht; und nahm sich vor, die ganze Geschichte zu vergessen. Es ging sie ja nichts an. Sie wollte den Menschen gar nicht erst sehen, wollte der Frau Hempel sagen, daß sie sich nicht weiter bemühte. –
Aber als sie zu ihr hinkam, empfing die sie schon mit der Erklärung, daß alles in Ordnung sei. Sie hatte schon mit dem Herrn Schöller gesprochen, und er wollte heute nachmittag um halb fünf vorkommen.
Was sollte sie nun tun? – –
Sie konnte ihn einfach abbestellen. Das war das erste, was sie dachte; aber dann nahm sie sich vor, den Mann wirklich ganz geschäftlich zu empfangen, und seinen Rat wegen des Kellers einzuholen. Da schlug sie gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Sie wurde auch die unklare Empfindung und Ungewißheit los, die seit gestern so schwer auf ihr gelegen hatte. –
Gegen halb fünf wurde sie sehr unruhig; trotzdem sie sich immer sagte, daß doch die ganze Sache nichts auf sich habe. Sie wollte sich bloß überzeugen, ob Frau Hempel die Wahrheit gesagt hatte.
Das Mädchen kam und brachte ihr eine Karte, auf der stand: Fritz Schöller, Rechtskonsulent. Rat in allen juristischen, geschäftlichen und häuslichen Angelegenheiten.
Das war bei ihr sonst nicht üblich, daß sich jemand mit einer Karte anmeldete. Es gab dem Ganzen einen feierlicheren Anstrich, der ihr gefiel.
Und dann saß er vor ihr, und sie mußte ihn anstarren. Es war wirklich nicht übertrieben, was Frau Hempel erzählt hatte. Genau das Gesicht wie ihr Theodor. Als ob er sich nur andere Kleider angezogen habe. Seine Sprache klang etwas anders. Dieser hatte ein tieferes Organ; aber die Augen waren ganz dieselben, nur der Schnurrbart war zu lang, und er ließ ihn hängen, während Theodor ihn kürzer und hochgebürstet getragen hatte. Aber am Morgen beim Aufstehen sah er genau aus wie der Herr vor ihr, dem sie stockend die Geschichte des Kellers und der Gemüsefrau berichtete. Sie hörte kaum darauf hin, was er sagte und ihr erklärte, sondern mußte ihn immerwährend ansehen.
Ihre anfängliche Bangigkeit hatte sich verloren, und sie fühlte im Gegenteil eine sehr angenehme Ruhe in und um sich. Und immer, wenn er aushören wollte, fing sie irgend etwas Neues an, damit er nicht schon fortging, sondern noch blieb.
Aber endlich mußte er doch gehen. Ein paar Klienten erwarteten ihn daheim, entschuldigte er sich. –
Nun war sie wieder allein, und nahm die Photographien ihres Mannes vor, und fand kaum einen Unterschied.
Am nächsten Tage schon ließ sie ihn sich wieder kommen. Am dritten ging sie zu ihm. Inzwischen schien er von Frau Hempel erfahren zu haben, welches Interesse die Witwe und Hausbesitzerin Grieser an ihm nahm, und weshalb sie ihn immer so eigentümlich ansah.
Und im Laufe der Unterredung in seinem Bureau gestand sie ihm ein, was sie zu ihm geführt hatte; und er seinerseits war neugierig, sich selbst einmal von dieser Ähnlichkeit zu überzeugen. Darauf lauerte sie nur, und forderte ihn auf, sie mal so zu besuchen; dann wollte sie ihm all die Bilder zeigen. –
Schon am nächsten Nachmittage betrat er ihre Wohnung wieder, hatte sich diesmal besser angezogen, und mit Staunen und Wohlgefallen sah sie, daß er den Bart kürzer und aufgebürstet trug, so daß die Ähnlichkeit nun ganz frappant war.
Das schmeichelte ihr nicht wenig, da er das offenbar ihr zu Gefallen getan hatte. Ganz flüchtig hatte sie es nur hingeworfen, wie ihr Theodor den Bart getragen habe. Vielleicht hatte auch Frau Hempel mit Veranlassung dazu gegeben. Jedenfalls berührte es sie sehr angenehm; und sie war noch einmal so freundlich zu ihm, als sie es so schon war.
Sie sprachen schon allerlei Persönliches miteinander; von Geschäften war kaum noch die Rede, doch erbot er sich, am folgenden Tage selbst einmal mit der Gemüsehändlerin zu verhandeln.
Das tat er denn auch und gab ihr hinterher Bescheid.
So hatte er bald jeden Tag irgend eine Veranlassung, zu ihr zu kommen.
Frau Hempel berichtete ihm getreulich, was Frau Grieser von ihm sagte; und bald war er das einzige Gesprächsthema zwischen den beiden Frauen. Immer wieder kam Frau Grieser auf die seltsame Ähnlichkeit zurück, wie sie die Empfindung habe, als ob ihr Mann neben ihr sitze. Nur die Stimme störte sie. Wenn sie nicht hinsah, fühlte sie, wie ihr Theodor doch anders gesprochen hatte, viel höher und oft hart am Überschnappen, worüber sie immer hatte lächeln müssen.
Zu gern hätte sie den Herrn Schüller gebeten, er möge doch nicht gar so tief sprechen. Er brauchte die Stimme nur ein wenig höher zu nehmen, das war doch keine Gefährlichkeit.
Sie hatte die Sachen ihres Seligen aus dem Schranke vorgeholt, wo sie noch hingen, weil sie sich nicht davon trennen konnte. Ob die ihm wohl passen würden? –
Sie war sehr neugierig darauf und hätte ihn furchtbar gern gebeten, sie einmal anzuprobieren. Allein sie hatte nicht den rechten Mut dazu. Vielleicht schlug er es ihr einfach ab, und das wäre ihr sehr unangenehm gewesen.
Ein bischen schmaler in den Schultern war er, aber das konnte nicht so bedeutend sein. Auf den Versuch mußte man es mal ankommen lassen.
Sie erhoffte jetzt schon allerlei von der Zukunft, und war fest entschlossen, daß dies eine ihrer ersten Bitten sein sollte, wenn es erst so weit war, wie sie sich in ihren Gedanken vorstellte.
Denn sie konnte bald nicht mehr ohne ihn leben, dachte Tag und Nacht an diesen Mann, der ihr so vollkommen ihren ersten Mann vorgaukelte, daß sie sich zuweilen besinnen mußte, wenn sie mit ihm sprach, daß es nicht ihr Theodor war; daß sie sich wunderte, wie sie so fremd Sie sagte und steif neben ihm saß, anstatt sich zu benehmen, wie ihr wirklich zumute war.
Einmal nannte sie ihn unversehens Theo! Da erschrak sie, und auch er wurde verlegen – und eine bange Pause entstand, aber sie war von dem Augenblicke an entschlossen, ihn künftig nie anders zu nennen.
Die Hempel trug geschäftig von einem zum andern, und so kam es denn, daß er immer zutunlicher wurde.
Die Witwe Grieser konnte sich wohl sehen lassen. Die hätte manch einer genommen.
Das war nicht das schlechteste Geschäft, diese noch immer sehr hübsche Frau, mit ihrem ansehnlichen Vermögen, dem Hause und all den Annehmlichkeiten, die einem damit blühen konnten. Jetzt hatte er den ganzen Tag mit den Angelegenheiten fremder Leute zu tun, mußte sich abquälen und brachte es schließlich doch zu nichts Rechtem. Der Verdienst war nicht groß, es waren immer nur kleine Leute, die sich an ihn wandten, die konnten nicht viel zahlen.
Und so kam es, daß Herr Schöller eines Tages der verwitweten Grieser erklärte, wie gern er sie habe, und ob sie ihn auch wohl möge.
Da fiel sie ihm in die Arme mit dem schluchzenden Ausrufe:
– Ach, Theodor, wie kannst du nur fragen? ...
Der einstige Fritz Schüller war damit ohne ein Wort begraben. Der Name war erledigt, und er hieß von nun an Theodor, wie ihr früherer Mann.
Und in der ersten Stunde schon bedrängte sie ihn, er möge doch auf seine Stimme mehr achten, und nicht immer gar so männlich tief sprechen. Das mochte sie an ihm nicht leiden. Ihr zu Gefallen bemühte er sich, und ohne seine Absicht kam er bei diesen Versuchen in ein merkwürdiges Kicksen, so daß sie sich nun gar nicht halten konnte vor Vergnügen. Ja! so hatte Theodor genau gesprochen. So mußte er fortab immer sprechen. Ach, das war so aufregend für sie; und sie schloß die Augen, um ihn zu hören. Aber nun sprach er, trotzdem sie bat und bettelte, wie gewöhnlich; und sie mußte ihm lange zusetzen, bis er ihr wieder mal den Gefallen tat, und ihr zuliebe seine Stimme verstellte. –
Eines Tages führte sie ihren Vorsatz aus, und er mußte die alten Kleider ihres Theodor anziehen. Den langen schwarzen Gehrock, den er immer Sonntags trug.
Erst wollte er sich dagegen sträuben, dann ergab er sich drein, als er sah, wie diese Weigerung sie kränkte. Er dachte an das viele Geld, das sie besaß, an die Wohnung in dem schönen Hause, an den guten Tisch, den sie führte, dem er bereits jeden Mittag alle Ehren antat, und so fügte er sich. Die Sachen saßen ihm nicht. Alles war ihm zu weit, aber sie meinte, er würde schon mit der Zeit hineinwachsen. Allein da sie nicht gut so lange warten konnten, bis er so viel zunahm, ließ sie die Sachen heimlich umarbeiten, die Hosen verkürzen, die Westen enger machen und die Röcke und Joppen entsprechend einrichten, so daß er von nun an die alten Sachen des seligen Theodor aufzutragen hatte, ob er wollte oder nicht.
Anfangs war es ihm schrecklich, die Kleider eines Verstorbenen am Leibe zu haben, allein er sah keinen rettenden Ausweg, außer er ließ die Partie wieder zurückgehen. Das aber wollte er nicht.
Sie hatte ihm neue Kragen geschenkt, denn die vorhandene Halsweite paßte ihm doch nicht. Dafür trug er aber die Form von Theodor, und die Krawatten band sie ihm genau wie einst ihrem Ersten.
Haare und Bart trug er längst nach seinem Vorbilde. Ihm war sehr ungemütlich, denn die Leute aus dem Hause sahen ihn mit scheuen oder lächelnden Blicken an; und einmal schrie eine alte Frau, die nur selten aus ihrer Dachkammer herunterkam, entsetzt auf, als sie ihm begegnete, und erklärte aller Welt, daß sie in ihrem Leben nie solch einen Schrecken bekommen hätte, als wie sie den toten Herrn Grieser leibhaftig wieder vor sich gesehen hatte.
War denn der nicht vor zwei Jahren gestorben?
Sie hatte doch selbst den Leichenzug gesehen. Wie war denn das nur möglich? –
Sie konnte sich in ihrem Entsetzen nicht wieder beruhigen.
Daß das ein ganz anderer, ein Herr Schöller sein sollte, wollte sie nicht begreifen, sondern redete sich ein, der Grieser müsse wohl nur scheintot gewesen sein, und man wolle es ihr nur nicht sagen, weil sie in der steten Furcht lebte, einmal lebendig begraben zu werden.
Ihm aber wurde in der Rolle des ehemaligen Herrn Grieser immer unbehaglicher.
Er bekam nur noch die Lieblingsspeisen seines Vorgängers, vor allem Kohlrüben mit Schweinebauch an jedem Dienstag, eine Fischsuppe an jedem Donnerstag und jeden Freitagabend Kartoffelpuffer. Das übrige waren gewöhnliche Gerichte, die er wie alle Menschen gern aß; aber Kohlrüben konnte er nicht riechen. Deswegen hatte er als Junge oft Prügel gekriegt, weil er sie nicht essen mochte, und vor Puffern lief er davon. Zu Anfang, – ehe er ahnte, daß es die Leibspeisen seines Vorbildes waren, – hatte er auf ihre schmeichelnden Fragen erklärt, es schmecke ihm wunderbar.
Jetzt suchte er seinen Widerwillen zu bezwingen und die Sachen, so gut es ging, hinunterzuwürgen. Vor dem Dienstag und Freitag hatte er jedesmal eine fürchterliche Angst. Er hungerte, nahm weder erstes noch zweites Frühstück, nur damit er etwas Appetit hatte, damit ihm das Essen nicht zu sehr widerstand.
Es half nichts. Sobald ihm nur der Geruch der Kohlrüben in die Nase stieg, fing sein Magen an rebellisch zu werden. Er mußte alle Energie zusammennehmen und aß, aß ganz langsam und schluckte es wie Medizin.
Sie saß dabei, mit leuchtenden Augen. Denn sie bereitete ihm eigenhändig dies Essen. Das hatte Theodor immer aus tiefstem Herzen gesagt, daß keine Köchin imstande war, so abzuschmecken, wie sie das verstand.
Er hatte nie genug davon nehmen können. Vergeblich beteuerte Schöller, daß sein Appetit nicht so groß sei, er sei kein starker Esser. Dem widersprachen seine Leistungen an anderen Tagen. Er mußte versichern, daß die Kohlrüben und der fette Schweinebauch ihm vorzüglich schmeckten, obgleich es ihm übel bekam. Was half es. Sie sah ihn mit so verliebten Augen an, daß er schluckte und schluckte, bis er die ihm aufgegebene Portion endlich bewältigt hatte.
Fischsuppe mußte er immer zwei große Teller voll auslöffeln, so hatte das Theodor auch gemacht. Mit den Puffern ging es leidlich, sie waren wirklich gut. Aber er konnte nicht danach schlafen, hatte die schrecklichsten Magenschmerzen. Trotzdem er jedesmal ein paar Schnäpse darauf setzte, nutzte es nicht viel, es bekam ihm nicht.
Er hatte in seiner Verlobungszeit keinen leichten Stand. Alles sollte er wie Theodor machen; und wenn er sich auch dazu verstanden hatte, sich eine lange Pfeife anzuzünden, darauf mußte sie verzichten, daß er ihr auf der Kinderflöte vorspielte. Nie würde er das lernen.
Das war leider sehr schlimm, daß er keine Spur musikalischen Gehörs hatte. Er konnte nur zwei Märsche falsch pfeifen, hatte dagegen einen glänzenden, Ohren erschütternden Zimmermannspfiff, wie er ihr zu ihrem Schrecken bei einem Ausfluge bewies.
Ach diese Ausflüge! – aber Theodor hatte das nun mal heilig gehalten. Bei Wind und Wetter mußten sie Sonntag früh ausfliegen. Allen Vereinen, wo Theodor gewesen, mußte er beitreten. Einem davon schlossen sie sich jedesmal an. Er hatte bisher die Woche über tüchtig gearbeitet, und am Sonntag sich voller Behagen ausgeruht. Jetzt mußte er in aller Frühe aus dem Bette, mußte laufen und laufen, sich abends auf der Eisenbahn drängeln und schubsen lassen, und zwar immer wenn man draußen Aal mit Gurkensalat gegessen und Weißbier mit Himbeer getrunken hatte. Er hatte ein paar qualvolle Sonntagabende verbracht, an die er noch immer dachte.
Vom Weißbier war er von da ab dispensiert, das trank sie allein; aber Aal grün gab es, so oft er auf der Speisekarte stand. Er hatte schon mal den Kellner bestochen, daß er es auf ihrer Karte strich, aber das konnte er nicht jedesmal machen lassen, sie merkte es sonst. Sie erklärte auch, dann würden sie nie wieder in das Lokal gehen ...
Es war eine schwere Zeit für ihn. –
Sie waren aufgeboten, und die Hochzeit kam heran.
Wenn er die nur erst hinter sich hatte, dann würde schon alles besser werden, dann hatte er mehr Recht und konnte eher aufmucken. Allein Theodor hatte alles im voraus bestimmt. Falls sie wieder heiratete, blieb alles Erbe Vorbehaltsgut, über das sie die alleinige Verfügung hatte.
Nach ihrem Tode sollte es, falls sie ohne Leibeserben blieb, an ganz genau bestimmte Verwandte von ihm fallen. Nur über einiges konnte sie bei Lebzeiten frei verfügen.
Das erfuhr er erst ein paar Tage vor der Hochzeit, und es blieb ihm nichts, als sich auch da zu fügen. Es war auch so ganz gut für ihn gesorgt. –
Die Hochzeit wurde mit allem Pomp gefeiert.
Im gleichen Saale bei Frerking war das Hochzeitsessen, und am Abend reisten sie nach Dresden, wo sie sich schon Wochen vorher dasselbe Zimmer bestellt hatte, das sie damals mit ihrem Theodor innegehabt hatte. Denn alles war eine genaue Wiederholung ihrer ersten Ehe.
Eins nur fehlte ihr, daß der alte Pastor Klein sie nicht trauen konnte. Aber das ging nicht, denn er war kurz nach ihrem Manne gestorben. An seiner Stelle hatte ein junger Prediger sie zusammengegeben. Das gefiel ihr gar nicht, und drohte ihr alle Stimmung zu rauben.
Dieselben Reden hatte sie genau wie damals über sich ergehen lassen, und das Menu war genau dasselbe.
So waren sie endlich abgereist, er mit einem großen Gefühle der Erleichterung, und kamen am Abend in Dresden an, wo sie sich gleich auf ihr Zimmer zurückzogen. –
Da wurde sie nun ganz sentimental, tat, als ob sie wirklich noch nicht verheiratet gewesen sei, verlangte von ihm, daß er wie Theodor es getan, sich auf den Korridor zurückziehen sollte, bis sie im Bett lag.
Aber zum ersten Male gab er nicht nach. Das gute Essen und der Wein hatten ihm Mut gemacht, und so hörte er nicht auf sie, ging nicht hinaus, wollte sich auch nicht erst zu ihr auf den Bettrand setzen und ihr die Hände streicheln und eine lange Komödie aufführen.
Danach war ihm nicht zumute. Und so machte er denn keine langen Vorreden, und schließlich war es ihr auch recht; und sie war sehr zufrieden, und hatte es nicht zu bereuen, daß sie ihn genommen hatte. –
Allein am andern Tage fing sie wieder an, daß er die Rolle ihres Theodor weiterspielen sollte. Solange es ihm Spaß machte, tat er ihr den Gefallen; denn er wollte sie nicht schon in den Flitterwochen ärgern. Es behagte ihm in seinem Wohlleben. Tagüber fügte er sich, aber gelegentlich zeigte er ihr den Herrn, und hatte seine eigene Meinung.
Als sie ihn eines Abends sehr gequält hatte, weil er sich durchaus nicht so benehmen wollte, wie Theodor das getan, kehrte er ihr einfach überdrüssig den Rücken und schlief ein, ohne sie zu beachten.
Das hatte er bald heraus, daß er damit eine rechte Waffe in der Hand hatte, und die wußte er nun geschickt zu benutzen.
Er trug seither seine eigenen Kleider, die sie ihm zur Hochzeit hatte anfertigen lassen; denn als sie wieder daheim waren, hatte er stillschweigend einen Kleiderhändler kommen lassen und ihm den ganzen Krempel für ein Butterbrot verkauft. Sie wollte schmollen und auftrumpfen; aber er ließ sie ruhig ausschelten, und nachdem sie bis zum andern Mittag gebrummt hatte, wo er von ihren berühmten Kohlrüben kaum eine Gabel voll genommen, weil er zuvor gut gefrühstückt hatte, versöhnten sie sich am Abend wieder.
Ganz langsam wurde er wieder er selbst.
Die lange Pfeife blieb in der Ecke; der Flöte entlockte er zu ihrem Entsetzen die schrecklichsten Töne, so daß sie selbst ihn bat, damit aufzuhören; nur an die Puffer hatte er sich gewöhnt, und ließ sie sich gefallen.
Aber dann fing sie an ein wenig zu kränkeln, konnte selbst nichts Fettes mehr sehn. – Und es kam ein Dienstag, da gab es keine Kohlrüben und keinen Schweinebauch, um aber trotzdem im Stil zu bleiben, Mohrrüben mit Rindfleisch, was er sich ganz gern gefallen ließ.
Sein Name blieb ihm noch genommen, und er hieß Theodor – wie sein Vorgänger. Das tat nicht weiter weh; und wenn es ihr Spaß machte, ließ er sich eben von ihr Theo nennen. Ganz langsam hatte er trotzdem sein altes Ich wiedergefunden. Er war nicht mehr bloß die Kopie seines Vorgängers, – und eines Tages im Sommer, als es sehr heiß war, ließ er sich Haar und Bart kurz schneiden wie eine Bürste. Auch daran gewöhnte sie sich. Es stehe ihm gar nicht schlecht, meinte sie, und wenn er wolle, könne er es ruhig weiter so tragen. Er brauche es nicht wieder lang wachsen zu lassen, wie er anfangs zu ihrer Beruhigung gemeint hatte.
Sie war jetzt sehr schwach und weich, und nachgiebig. Überaus sentimental. Dachte immer nur an die nahe Zukunft, die mehr und mehr die Vergangenheit verdrängte.
Und eines Tages kam das Kind. Es war ein Junge und wurde natürlich Theodor genannt.
Die Freude war groß, und der Vater war nicht wenig stolz und zufrieden, denn das hieß soviel wie die Sicherung des Besitzes, den er längst ganz unter sich hatte. Er verwaltete schon allein Haus und Vermögen, seit sie das Kind erwartete und sich nicht ärgern durfte.
Er war Herr im Hause geworden.
Und eines Tages stellte es sich heraus, daß es beständig Verwechslungen gab mit Vater Theodor und Sohn Theodor, und manchmal sogar mit dem Vorgänger Theodor dem Ersten.
Und so kam es, daß als der Junge auf seinen Namen Theo hörte, der Vater wieder zu seinem richtigen Namen Fritz kam, und Fritzeken klang auch ganz nett.
So konnte er endlich ganz aus der Maske seines Vorgängers herausschlüpfen, wurde vor aller Welt wieder er selbst, und nichts erinnerte mehr an seinen Vorgänger, der nun für immer begraben war. –