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Illusion

– Wie geht es deiner Frau? fragte ich ihn, als ich ihn allein im Kursaal von Ostende traf. Er saß auf der breiten Terrasse, dicht an einem der großen, in die Erde hinabgelassenen Fenster, mit dem Blick auf die unruhige See, abseits von der Menschenmenge, die sich drinnen in dem lichtdurchfluteten Saale drängte, wo die Farrar heute abend sang.

– Ich habe keine Frau mehr, antwortete er mir, während ich mich zu ihm setzte.

– Ach, entschuldige! ich hatte keine Ahnung. Armer Kerl, wann hast du sie verloren?

– Ich habe sie nicht verloren. Ich bin von ihr geschieden.

– Geschieden? –

– Ja! schon vor zwei Jahren.

– Da bist du also nur ein Jahr mit ihr verheiratet gewesen? .. Aber wie ist das denn gekommen? ..

– Wie soll so was kommen? –

– Ihr schient doch ein Herz und eine Seele.

– Wir schienen, ja! – aber wir waren es nicht.

– Was ist vorgefallen? ..

– Eigentlich vorgefallen ist nichts; und es war schwer, die Scheidung herbeizuführen, denn es gab keinen direkt sinnfälligen Grund. Aber vielleicht gibt es vieler solcher Frauen, wie Mine war. Nur die meisten Männer wissen es nicht, daß sie die Betrogenen sind, daß ihre Frauen ihnen täglich untreu sind, – untreu nicht in direkten Handlungen, sondern in ihren Gedanken.

– Aber erlaube mal! ..

– Ich erlaube gar nichts! Ich sage: untreu mit jedem ihrer Gedanken, mit jedem Blicke, mit ihren Erinnerungen, die sie hineintragen in das intimste Leben. Und dabei bleiben sie ganz korrekt, tadellos korrekt, begehen nicht die kleinste Handlung, die man ihnen vorwerfen könnte. Vor dem Richterstuhle jedes Uneingeweihten müßten sie, da nichts Ersichtliches vorliegt, glatt freigesprochen werden. Ja, sie sind oft zärtlicher und hingebender als die meisten anderen Frauen. Aber jede ihrer Zärtlichkeiten, jede noch so leidenschaftliche Hingabe ist eine Untreue, schlimmer vielleicht als es eine im Affekt begangene wirkliche und physische Hingabe an einen anderen sein kann. Es ist die absolute Untreue ihrer ganzen Person, ihrer Psyche, ihrer innersten Empfindung; und deshalb für mich weit häßlicher und viel gröber, als eine offensichtliche Treulosigkeit.

– Das verstehe ich nicht ganz.

– Ich habe es auch nicht verstanden. Es hat Monate gedauert, bis ich dahinter gekommen bin, daß Aline mich betrogen hat, betrogen ... mit mir selbst!

– Was heißt das: mit dir selbst?

– Ja, mit mir selbst! – Du verstehst ganz recht.

– Nun weiß ich gar nichts mehr ...

Der Applaus von drinnen im Saale und das Echo draußen von der Digue, wo die Menge dunkel hin und her wogte, ließ ihn einen Augenblick mit der Antwort zögern. Dann sagte er:

– Aber das ist doch ganz einfach. Sie hat in meinen Armen immer an einen andern gedacht.

– Woher willst du das wissen? – Unmöglich!

– Ich weiß es eben. – In den ersten Wochen natürlich nicht. Da ist sie mir treu gewesen. Aber gar bald hatte ich offenbar kein Interesse mehr für sie. Sie war gleichgiltig und abweisend gegen mich. Ganz kalt, daß ich gar nicht wußte, was mit ihr war. Ich ließ sie in Ruhe, denn ich dachte und sagte mir, daß junge Frauen leicht solche Perioden offenbaren Widerwillens haben können. Das war nicht etwas so Abnormes. – Aber dann irritierte mich ihr Benehmen doch. Denn sie ging neben mir her, wie neben dem fremdesten Menschen. Da fing ich an, sie aus ihrer Lethargie aufzurütteln; es gelang mir nicht. Sie blieb steif und abwehrend, so frostig, daß einen grausen konnte. Ich suchte es zu erzwingen; aber davon ließ ich selbst bald wieder ab, denn das war geradezu abstoßend häßlich. –

Aber eines Tages änderte sich ihr Benehmen. Ganz plötzlich, nach einer Abendgesellschaft, in der ich mich gar nicht um sie gekümmert hatte, während sie sich intensiv von andern den Hof machen ließ. Da fing sie wieder mit mir an.

Jedoch als ich dann mit ihr sprach, sie fragte: was sie nur gehabt und weshalb sie sich jetzt mit einem Male wieder wie früher gab, da war ihre ganze Stimmung wie fortgeweht; und es wurde genau wie die Zeit vorher, daß sie sich mir entzog, und ich kaum für sie vorhanden zu sein schien.

Ich aber war froh, daß es überhaupt zu einer Regung von ihrer Seite gekommen war; und wartete von nun ab, daß sich diese erfreuliche Wendung wiederholen würde.

Aber die Tage gingen hin, – und die Nächte kamen und blieben leer wie zuvor.

Plötzlich wiederholte sich ein Temperamentsausbruch. Wir waren in einer Operette gewesen, und Aline hatte den ganzen Abend das Glas nicht von einem jungen Sänger gelassen, dem der Ruf nachging, daß er Abenteuer auf Abenteuer erlebe.

Wir gingen hinterher mit Freunden in ein Hotel essen, und Aline war zurückhaltend und kühl wie immer. Nur ihre Augen schienen mir verändert. Darin lag etwas versteckt Glimmendes, wie auf der Lauer.

Daheim war ich ein wenig in der Stimmung des Weins; aber ich gab es vorher schon als völlig nutzlos auf.

Wir schliefen noch immer im selben Zimmer, und das Licht war gelöscht. Da ... nach einer ganzen Weile tastete sie nach mir, und es bedurfte dessen nur, daß sie meinen Arm streifte, daß ich alle Müdigkeit abschüttelte.

Aber mitten in ein paar Worten der Zärtlichkeit, die mir entschlüpften, sagte sie schroff und hastig:

– Nicht sprechen! .. bitte, nicht sprechen! ..

Und stumm gehorchte ich. –

Diese Szenen im Dunkel, die sich von Zeit zu Zeit wiederholten, spielten sich in völligem Schweigen ab. Das kleinste Wort von mir genügte, daß sie sich mir jäh entzog. –

Mit dieser Wunderlichkeit fand ich mich ab. Ich weiß sehr wohl, wie Worte die Illusion einer Empfindung zerstören können, und fand nichts gar so Befremdendes dabei; wenn ich anfangs auch ein wenig erstaunt war. Denn in früherer Zeit war sie selber es gewesen, die ihrer Stimmung manchmal beredt Worte gegeben hatte. Allein was man selber getan, braucht man deshalb nicht bei andern als angenehm zu empfinden. Dagegen kann sich unser Gefühl aufbäumen.

Allmählich fing ich an, mißtrauisch zu werden, und sie zu beobachten. Und bald hatte ich es heraus, daß ich ihr auch in den Momenten der Leidenschaft persönlich nichts galt.

Ohne mein Zutun, durch eine Stimmung von anderer Seite her wurde etwas in ihr ausgelöst, das nach Befriedigung verlangte.

Anfangs hielt ich dieses Dritte für etwas Zufälliges, eine vage Stimmung, irgend ein Bedürfnis nach Zärtlichkeit; aber bald kam ich dahinter, daß ich mich täuschte, daß jedesmal eine ganz bestimmte Ursache dabei im Spiele war. Ich beobachtete genau. Zuerst war es die bloße Nachwirkung des Theaters, der Eindruck eines Buches. Bald war es schon der Einfluß eines Sängers oder Schauspielers. Auch das ließ ich mir noch gefallen; denn es lag die ganze Weite der Entfernung dazwischen. Es gab keine unmittelbare Brücke. Aber auch das hörte bald auf, und nun wußte ich, daß ich ihr nur das Surrogat war für eine Begegnung mit einem Fremden.

Ein Mensch, den sie in Gesellschaft getroffen, für den sie sich zuvor lebhafter interessiert hatte, führte sie dazu, daß sie sich mir gab. Deshalb durfte ich nie ein Wort sprechen. Deshalb mußte sich all das im Dunkel abspielen, damit ihre Illusion nicht gestört werde. Sie betrog mich; mich selbst in meinen Armen. All ihre Gedanken und Empfindungen waren bei dem andern, den ich ihr vortäuschen mußte.

Und doch war ich so vernarrt in sie, begehrte sie noch immer, daß ich es trotz der Erkenntnis hinnahm und ausnutzte ...

Aber dann kam eine Zeit, da ich mir nichts mehr vorlügen konnte, weil sich ihr Interesse nun auf einen ganz bestimmten Menschen konzentrierte. Ich wußte es genau. – Ich beobachtete ... Sie suchte, so oft es ging, mit jenem zusammenzukommen, und jedesmal wurde sie leidenschaftlicher in ihren Träumen und Wünschen, die sie mit mir der Erfüllung zuzuführen suchte.

Ich raste vor Eifersucht und wartete nur den Augenblick ab, sie zu entlarven.

Plötzlich hatte sie auch bei Tage allerlei an mir auszusetzen, und sie begann an mir herumzubessern. Sie wollte sich auch im Wachen die Suggestion verschaffen. Da erfror alles in mir, und ich entzog mich diesem Gaukelspiel. Die Katastrophe blieb nicht länger aus. Ohne zu bedenken daß sie sich verriet, versuchte sie alles um mich aufs neue zu erringen. Je kälter ich wurde, um so leidenschaftlicher warb sie um mich. Eines Abends hatte sie meine Sachen mit dem eigenartigen Parfüm getränkt, dessen jener sich bediente. Da – als sie sich die intensivste Täuschung zu verschaffen gedachte, drehte ich im entscheidenden Momente das elektrische Licht an, und lachte ihr in das erstarrte Gesicht, schrie ihr all mein Wissen über ihre beständige Untreue entgegen, – und sie fand kein Wort.

Ich wußte ja alles nur zu gut.

Es gab kein Leugnen. – –

Und dann bin ich gegangen, und habe sie nie wiedergesehen. Und nur zuweilen frage ich mich, ob ich nicht blind und töricht gehandelt habe. Ob es nicht besser gewesen, wenn ich weiter mit ihr gelebt hätte, so wie ich es zuvor getan; statt daß ich jetzt vergeblich nach jener Illusion einer so leidenschaftlichen Hingabe bei anderen Frauen suche, die sie mir mit so viel raffinierter Kunst oft so berauschend vorgetäuscht hatte .....

 

Er war verstummt. –

Drinnen aber in dem hohen, goldstrotzenden Saale stand oben an der Brüstung des Orchesters die Farrar und sang mit ihrer süßen bestrickenden Stimme ein sentimentales italienisches Lied, das leise hinauszog, über die Köpfe der drinnen zusammengepferchten atemlosen Menge, über die breiten dunkleren Terrassen, und weit über dem stillen Wasser verklang ..

Dann war das Konzert zu Ende.

Die Musiker verschwanden; und die Tausende von geputzten Menschen standen rings wie verloren herum, und wußten nicht recht, was sie noch anfangen sollten. Es war erst zehn Uhr vorbei.

Die Stimme der Sängerin, die Reklame, die sich um sie breitete, die riesengroßen Plakate an allen Wänden, das alles hatte die Menschen herbeigelockt von der ganzen Küste. Sie waren in Strömen in den großen goldenen Käfig hereingekommen, der da mit all seiner Pracht in das Meer hinausgebaut war. Und nun, da sie betört im Garn saßen, fluteten sie endlich, aufs neue wieder gelangweilt in der frühen Abendstunde, in die ihrer harrenden Spielzimmer nebenan; – und sie ließen sich täuschen und fangen, und gaben ihre klingenden Goldstücke hin, ohne zu empfinden, daß die verführerische Stimme der Sängerin sie dazu allein von allen Seiten herangelockt hatte, damit sie willig in dieses von geschickter Hand daneben ausgespannte Netz des Spiels gingen.

Aus der ganzen Welt strömten die Törichten herbei an diesen von der Natur nur dürftig ausgestatteten Fleck Erde, ließen sich täuschen vom Spiel und von der Liebe, die hier noch geschminkter und falscher sich gab als sonst.

Sie kamen herbei, und wollten sich täuschen und betören lassen, und hielten krampfhaft an dem Glauben fest, daß gerade hier das allzeit trügerische Glück ihnen endlich winken müsse. – –

Der Saal hatte sich geleert ...

Auf den dunklen Terrassen wurde es noch stiller als zuvor. Und in diesem tiefen melancholischen Schweigen, das rings um uns sich dehnte, und das keiner von uns zu unterbrechen wagte, blickten wir hinaus auf das weite dunkle Meer, wo ein großer Dampfer mit seinen zahllosen Lichtpunkten in die Nacht hineinzog, sahen die vielen hellen Flecke der anderen Schiffslichter in der Ferne auf den Wogen tanzen, während auf der Promenade der hohen Steindigue die letzten gelangweilten Menschen langsam vorbeizogen ... und das Meer mit wachsendem, dumpfen Grollen sich flutend gegen die gewaltigen schrägen Steindämme bäumte, und mit nimmer ermüdendem Ansturm sich ohnmächtig an den festgefügten Quadern brach.

 


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