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Tenanga verhielt sein Pferd an der Stelle, bis zu der er die Spuren Tamays und des Negers verfolgt hatte. »Reite auf der Straße weiter«, wandte er sich an Pablo, »ich will hier zur Seite gehen.« Während der Königsenkel langsam weiterritt, war sein Begleiter vom Pferd gestiegen und ging, das Tier führend, einem Spürhunde gleich, durch Gras und Gebüsch. Plötzlich stutzte er und winkte, stehenbleibend, Pablo heran. Der stieg vom Pferde und näherte sich.
»Sieh her«, sagte Tenanga, auf den Boden deutend, »hier haben sie gehalten mit ihrer Last – siehst du die Spuren?« Pablo erkannte nur wenig.
»Aber hier – diese Spur wirst auch du erkennen«, sagte triumphierend der junge Fährtensucher. Er wies auf den deutlichen Abdruck eines kleinen, sehr schmalen Fußes. »Mein Gott«, stammelte er, »sollte das – – sollte Maria – –?«
»Hier hat die Señorita gestanden«, sagte Tenanga.
»Und lebte also noch«, jubelte Pablo. »Herrgott, ich danke dir.« »Es ist wenig erreicht«, sagte Tenanga, »dort sind sie auf die Maultiere gestiegen« – er wies auf die Stelle – »und auf der Straße sind Spuren nun nicht mehr zu erkennen. Reite weiter, Herr, ich will an deiner Seite bleiben.«
Pablo stieg auf und ritt langsam weiter, während Tenanga nach wie vor durch das Buschwerk schlich; sie kamen nur sehr langsam vorwärts.
Schließlich blieb Tenanga wieder stehen. »Hier haben sie die Straße verlassen und sind nach Norden geritten«, sagte er.
»Die Straße verlassen?«
»Ja. Und hier – –«, er bückte sich und hob einen zierlichen Damenschuh auf, eine Art Pantoffel eigentlich, wie er hierzulande von den spanischen Damen getragen wurde. Er reichte ihn Pablo, und der stieß einen Überraschungslaut aus. Er kannte den Schuh; es war nun kein Zweifel mehr.
»Bleib hier«, sagte Tenanga. Er ging allein weiter und kam bald zurück. »Sie sind in den Bach gegangen, der dort fließt«, sagte er. »Ich kenne die Gegend nicht. Wohin fließt der Bach, und woher kommt er?«
»Er kommt aus den Bergen und mündet in den Rio Pacio. Wenn sie ihn nicht schon bald wieder verlassen haben –«
»Nein.«
»So müssen sie hinaufgeritten sein, denn nach unten zu wird der Bach tief und seine Ufer sumpfig.«
»Wir wollen nachreiten.«
Als sie die Stelle des Baches erreichten, an der nach Tenangas Behauptung die Maultierspuren in das Wasser führten, ritten sie hinein und bewegten sich, Tenanga voran, langsam vorwärts. Nach geraumer Weile sagte der Fährtensucher: »Hier haben sie das Wasser verlassen. Dir wird nichts auffallen, aber es ist gewiß so. Ein Maultier ist hier ausgeglitten, der Abdruck ist nicht zu verkennen.« Tenanga stieg ab und ging an Land. Pablo folgte ihm. Der Wald zeigte nur wenig Unterholz.
»Sie sind nach oben geritten, Herr.«
»Also, folgen wir ihnen.«
»Kommen wir dort in Felsengebiet?«
»Ja, allerdings, und das bald.«
»Das ist nicht gut.« Tenanga bewegte zweifelnd den Kopf. »Du hast oft mit Tamay in diesen Wäldern gejagt, Herr«, sagte er, »weißt du nicht, ob der Jäger hier irgendwo einen Schlupfwinkel hat?«
»Wir haben weiter oben des öfteren in einer Gesteinshöhle gerastet und uns vor Regen geschützt«, sagte Pablo.
»Dorthin wollen wir gehen. Doch zunächst will ich der Spur nachreiten.«
Nach etwa zwei Stunden sehr beschwerlichen Reitens, stellenweise durch Gestrüpp und Dornen, erreichten sie, aus dem Walde heraustretend, eine abschüssige Fläche, auf der aus dem Geröll heraus spärliche Grashalme wuchsen. Dahinter ragten dunkle Felswände auf.
»Wo ist die Höhle, Herr?« fragte Tenanga.
»Vor uns – dort!« Pablo wies mit der Hand.
»Reite voran; wir wollen sie untersuchen.«
Sie traten bald darauf zwischen die Felsen und erreichten nach einiger Zeit eine kleines Tal, schwach mit Gras bewachsen und von einigen Bäumen bestanden.
»Dort ist die Höhle.« Pablo deutete auf eine von Büschen eingefaßte dunkle Öffnung im Fels.
Tenanga stieg vom Pferd, machte seine Büchse schußfertig und ging vorsichtig auf die Höhle zu. Er lauschte einige Zeit, ging dann hinein und kam gleich darauf zurück.
»Sie waren hier«, sagte er, »komm.«
Auch Pablo stieg nun ab; sie banden die Pferde an und betraten gemeinsam die Pablo von früher her bekannte Höhle.
»Hier die Spur Tamays«, sagte Tenanga.
»Sie könnte älter sein.«
Tenanga schüttelte den Kopf. »Da die Spur des Negers«, sagte er, »und hier, sieh, der Fußabdruck der Señorita, ein Fuß mit, einer ohne Schuh.«
Nein, es war kein Zweifel, sie hatten hier gerastet. Pablo fühlte, wie seine Pulse vor Aufregung jagten. Es drängte ihn weiter, aber Tenanga machte ihm klar, daß eine kurze Rast unerläßlich sei, wenn sie bei Kräften bleiben wollten; er sah es ein. Tenanga pflockte die Pferde mit den Lassos an, damit sie Weidefreiheit hätten, und holte dann seine in der Küche des Majordomos wohlversehene Jagdtasche herbei. Zum ersten Male seit Tagen aß Pablo mit einigem Appetit.
»Glaubst du, daß der weiße Señor, von dem der Majordomo sprach, seine Hände im Spiel hat?« fragte Tenanga, während sie aßen.
»Es ist mehr als wahrscheinlich«, antwortete Pablo, »ich kenne den Mann, er ist zweifellos ein Lump. Und das Erbe des Conde hätte ihn, den verschuldeten Spieler, zum reichen und unabhängigen Manne gemacht.«
»Ich verstehe dergleichen nicht«, versetzte Tenanga lakonisch.
»Ich verstehe auch manches nicht«, sagte Pablo. »Wenn Mendez der Anstifter dieser dunklen Geschichte ist, warum ließ er Maria lebend verschleppen? Beim Brand umgekommen, das wäre doch ein sehr plausibler Tod gewesen; ohnehin glaubte es jeder bereits. Solange sie lebt, kann er nicht erben.«
»Du vergißt, daß Tamay im Spiel ist«, lächelte Tenanga. »Und Tamays Gründe verstehe ich besser. Haß kann ich verstehen«, sagte er. »Vielleicht weiß der Blanco gar nicht, daß die Señorita noch lebt.«
»Wenn sie noch lebt!« Pablos Blicke verdüsterten sich. »Was nun?« fragte er leise, »wie finden wir sie?«
»Wir werden sie finden, es gibt so viele Möglichkeiten nicht«, sagte Tenanga. »Überall, wo freie Mayas leben, kann Tamay sich nicht sehen lassen; er ist geächtet. Möglich, daß er sich zu Chamulpo geflüchtet hat; durch ihn hoffte er ja wieder zu Ehren zu kommen, deshalb hat er dich, Herr, ja an den Kaziken verraten. Möglich, daß er auch irgendwo ein Versteck hat, wo er seine Beute verborgen hält, bis sie ausgelöst wird.«
Pablo erhob sich seufzend. Sie tränkten die Pferde noch an dem nahen Quell und setzten dann ihren Weg fort. Eine Zeitlang vermochte Tenanga den Maultierspuren noch zu folgen, dann wurde der Boden felsig, und es war nichts mehr zu erkennen.
Sie ließen die Tiere ruhig fortschreiten, standen aber bald vor steil aufgetürmten Felswänden, die sich in mächtigen, wild zerklüfteten Formationen schichteten, endlos nach links und nach rechts. Was nun?
»Irgendwo muß hier der Engpaß sein, der über das Gebirge führt«, sagte Pablo, »der einzige Weg durch die Felsmassen auf viele Stunden weit. Tamay kannte ihn, das weiß ich genau. Aber wo ist er? Wir müssen ihn suchen.«
Nirgends waren Tier- oder Menschenspuren zu erblicken, und auch das schärfste Auge vermochte in den zerklüfteten Felsmassen keinen Eingang zu gewahren.
»Lassen wir die Pferde suchen, Herr«, sagte Tenanga, »sie wittern vieles, von dem der Mensch nichts sieht.«
Das mochte richtig sein. Guatemala bringt wohl mit die trefflichsten Pferde der Welt hervor. Von edlem arabischem Blut, aus Spanien eingeführt, sind sie nicht nur ausdauernde Renner, sondern wetteifern auch mit den Maultieren in der sicheren Ersteigung der Felspfade. Kein anderes Pferd vermöchte auf den schmalen Pfaden, an grausigen Abgründen vorbei, mit solcher Sicherheit zu gehen.
»Gut«, sagte Pablo, »wir haben keine Wahl. Überlassen wir es den Pferden, den Paß zu finden.«
Sie gaben den Tieren die Zügel frei, und Pablos Brauner ging langsam und mit unendlicher Vorsicht, unruhig witternd, an den Felsen entlang. Er bog schließlich ganz von selbst in eine Öffnung ein, die sich scheinbar gleich wieder schloß. Sie schloß sich aber nicht, sondern mündete nach wenigen Schritten zur Rechten in einen schmalen Pfad. Hier, zwischen himmelan ragenden Felsen, an gähnenden Abgründen entlang, trug der Braune seinen Reiter mit unfehlbarer Sicherheit dahin. Sie legten langsam einen furchtbaren Weg zurück, den sie ohne den Instinkt des Tieres sicherlich niemals gefunden hätten.
Die Sonne begann schon zu sinken, als sie aus dem Felsengewirr heraus ins Freie traten. Kein Zweifel, sie hatten den Paß über den Rücken der Sierra gefunden, den nur ganz wenige Menschen kannten. »Ein glücklicher Stern hat uns geführt, Tenanga«, jubelte Pablo, »ich will weiter an diesen Stern glauben.«
»Ihre Tiere sind hier gegangen«, sagte Tenanga, »hier und da hat ein Huf das Geröll gestreift; ich sah es.«
Nach wenigen hundert Schritten tat sich ein liebliches Tal vor ihnen auf, in dessen Mitte sich zwischen grünen Fruchtbäumen ein kleines Pueblo erhob. Sogleich begann Tenanga wieder, den Boden nach Spuren zu durchsuchen, doch gewahrte er nichts, das auch nur den geringsten Anhaltspunkt hätte gewähren können. »Es hat auf dieser Seite der Sierra geregnet«, sagte er, »alle Spuren sind verwischt.«
»Was beginnen wir?«
»Kennt man dich dort im Pueblo, Herr?«
Pablo schüttelte den Kopf. »Ich glaube es nicht. Hier wohnen nur Xinkas, ebenso wie an der Küste, und die rühren sich nicht von der Stelle, wenn sie nicht unbedingt müssen. Auch dehnen sich die Sierra und der Wald zwischen dem Dorf hier und den Haziendas an der Küste.«
»So wollen wir hinabreiten und uns zunächst ein Obdach suchen«, versetzte Tenanga, »vielleicht erfahren wir auch etwas, das wissenswert ist.«
»Vorwärts, wir wollen das Dorf aufsuchen.«
Der Weg erlaubte nun, daß sie schneller ritten. Vor dem Dorf holten sie einen alten Indianer ein; der blieb an der Seite des Weges stehen und betrachtete sie aufmerksam. Das Gesicht des Mannes hatte nicht viel Vertrauenerweckendes.
Pablo grüßte freundlich und fragte in spanischer Sprache nach einem Nachtlager. Der Mann mochte noch nie einen Indianer in der Kleidung eines Weißen gesehen haben; er starrte Pablo an, ohne zunächst zu antworten. »Nun«, fragte Pablo eine Tonlage schärfer, »verstehst du kein Spanisch?«
»Wenig spanisch«, radebrechte der Mann, »spreche wie ein Xinka.«
Pablo, dem der Xinkadialekt von seinem Umgang mit den Arbeitern auf del Roca im wesentlichen geläufig war, wiederholte seine Frage in diesem Idiom.
»Wirst Raum genug finden«, sagte der Alte, »alle jungen Männer sind in den Krieg gezogen.«
»So führe uns.«
Der Mann besann sich ein wenig und sagte dann: »Ihr könnt bei mir bleiben. Bohnen und Tortillas kann ich euch bieten.«
»Es ist uns ganz gleich, wo wir bleiben«, versetzte Pablo, »führe uns also.«
»Wo kommt ihr her?« fragte der Xinka, neben ihnen hergehend.
»Von der Hazienda San Pedro, die Señor Mendez gehört«, sagte Pablo und sah den Alten forschend an. Aber der schien diesen Namen noch nicht gehört zu haben. »Wie seid ihr durch die Felsen gekommen?« fragte er.
»Wir hatten einen guten Führer.«
»Seid ihr Soldados?«
»Nein, wir sind friedliche Leute.«
»Aber was wollt ihr hier? Niemand kommt sonst in unser Pueblo.«
»Wir suchen die große Straße nach Norden. Der Majordomo auf San Pedro meinte, wir würden sie durch dieses Tal schneller erreichen.«
»Du sprichst die Sprache der Xinkas recht gut«, sagte der Indianer, »aber du bist kein Xinka.«
»Nein, wir kommen aus dem Norden.«
»Ihr seid also Mayas?«
»Du sagst es. Wir sind Yucateken auf dem Wege zur Heimat.«
Der Indianer blieb vor einem der ersten Häuser stehen. Das ganze Dorf bestand aus armseligen Hütten, aus Lehmziegeln erbaut und mit Maisstroh gedeckt; diese Hütte war eine der ärmlichsten.
»Tretet ein«, sagte der Xinka, »ihr seid bei Ixmal willkommen.«
Pablo und Tenanga stiegen ab, führten ihre Pferde nach einem kleinen, von Kaktusstauden umhegten Corral, in dem einige Maultiere weideten, nahmen den Tieren Sättel und Zaumzeug ab und begaben sich damit in das kleine Haus.
Ein altes Weib stand an dem primitiven Herd, damit beschäftigt, Tortillas zu backen. Sie starrte verwundert auf die Fremden, besonders auf Pablo; auch sie mochte in ihrem ganzen Leben noch keinen Indianer im Anzug eines Caballeros erblickt haben.
»Es sind Gäste«, sagte Ixmal zu ihr, »sie bleiben bei uns über Nacht.«
Pablo begrüßte die Frau freundlich und bat um Gastfreundschaft.
»Ihr sollt willkommen sein«, sagte die Frau, »laßt euch nieder, gleich hier nebenan könnt ihr schlafen.«
Die Hütte war jämmerlich eingerichtet; einige rohe Holzschemel und ein ebenso roher Tisch bildeten das ganze Mobiliar. Der einzige Schmuck des Raumes bestand in farbigen Heiligenbildchen an den Wänden.
Der Mann ging hinaus, um die Pferde zu füttern, und die Frau setzte die fertig gebackenen Tortillas und eine Schüssel mit den landesüblichen schwarzen Bohnen auf den Tisch. Pablo und Tenanga aßen ein wenig, um die Frau nicht zu beleidigen, dann ging Tenanga hinaus, mit dem Bemerken, er wolle nach den Pferden sehen. Er war bald darauf wieder da.
Als es dunkel geworden war, zündete die Frau einen Docht an, der in einer ölgefüllten Kokosschale schwamm; das trübe Licht vermochte den kleinen Raum nicht zu erhellen.
»Werden die Mayas fechten?« fragte der Mann, der eine Maiszigarre rauchte.
»Ich denke, daß die Bergmayas nur dann kämpfen, wenn sie angegriffen werden. Doch liegen ihre Wohnstätten weitab vom Kriegsschauplatz.«
Sie gingen bald zur Ruhe. Der Wirt ergriff die primitive Öllampe und leuchtete ihnen in den Nebenraum, in dem sich zwei aus Maisstroh notdürftig hergerichtete Lagerstätten befanden. Sie nahmen ihre Büchsen, die von dem Xinka mit großer Aufmerksamkeit betrachtet worden waren, und legten sich nieder.
»Ihr habt gute Waffen«, sagte der Xinka.
»O ja«, sagte Pablo, »und du kannst mir glauben, daß wir auch damit umgehen können.«
»Schlaft ruhig.«
»Buenos noches!« Der Alte ging hinaus.
»Ich habe die Spur des Negers gesehen«, sagte Tenanga, als sie allein waren.
»Oh – hier? War er im Haus?«
»Wenigstens dicht dabei, und zwar erst vor kurzer Zeit.«
»Danach müßte der Xinka die Bandidos kennen.«
»Höchstwahrscheinlich. Behalte die Waffe bei dir, wir sind hier nicht sicher.«
»Was fürchtest du?«
»Ich habe das Haus umschlichen. Unter dem Haufen Maisstroh dir gegenüber ist eine Öffnung in der Wand.«
»Glaubst du, daß man uns angreifen könnte?«
»Das werden die Xinkas hier angesichts unserer Büchsen schwerlich wagen; sie sind feige. Aber wer weiß, wie sie mit den Bandidos stehen? Es gefällt mir nicht, daß Tamays schwarzer Freund hier war.«
»Für was glaubst du, halten uns die Leute?«
»Sicherlich für Spione. Sie sind schon deshalb mißtrauisch, weil wir durch den Felsenpaß kamen. Und außerdem sind waffentragende Mayas diesem Gesindel immer verdächtig.«
»Schlaft ruhig, Herr«, sagte Tenanga. »Ich lege mich auf das Stroh dort, das die Öffnung verdeckt. Ich habe den Schlaf des Raubtieres, das leiseste Geräusch macht mich wach.«
»Sollen wir nicht doch lieber im Freien übernachten?« schlug Pablo vor. »Sinnen die Leute Böses, dann sind wir in dem engen Raum hier am meisten gefährdet.«
»Es ist wahr, Herr, wir wollen draußen schlafen.«
Sie warteten nun eine ganze Weile, bis schließlich das aus dem Nebenraum hereindringende Schnarchen verriet, daß die Xinkas schliefen. Da räumte Tenanga das Maisstroh vor dem Loch weg und kroch durch die gerade ausreichende Öffnung ins Freie. Pablo reichte ihm Waffen, Ponchos und Sättel hinaus und folgte dann nach. »Wir wollen uns in der Nähe des Corrals niederlassen«, sagte er, »dort sind unsere Pferde.« »Ja, Herr, das ist gut.«
Die Luft war hier in dem geschützten Tal mild, die Sterne standen ruhig am klaren Himmel und verbreiteten ein mattes Dämmerlicht. Die jungen Männer suchten sich in der Nähe des Corrals einen geschützten Platz unter dichten Lorbeerbüschen, die sie vor dem Nachttau schützten, und wickelten sich in ihre Ponchos.
Die innere Unruhe ließ sie nur leisen Schlaf finden. Der Tag graute schon, als Pablo Tenangas Hand auf seiner Schulter fühlte. Er fuhr auf. »Still!« flüsterte Tenanga.
Pablo lauschte und vernahm gleich darauf gedämpfte Stimmen. Durch das Lorbeergebüsch hindurchlugend, sahen sie in der grauen Morgendämmerung zwei Männer, die langsam näher kamen.
»Rasch, gib ein Maultier«, sagte einer der Männer, »ich muß in den Bergen sein, bevor die Sonne aufgeht.« Der Mann sprach spanisch.
»Ein Mulatte«, flüsterte Tenanga.
»Wirst du verfolgt?« hörte er den Xinka fragen.
»Die Lanceros des Conde waren wie die Bluthunde hinter mir«, flüsterte der andere. »Ich hab sie von meiner Spur abgebracht, aber mein Pferd fiel, und ich habe mehrere Leguas den Sattel schleppen müssen.«
»So sind sie hinter dir her?«
»Oh, wahrscheinlich. Aber bei Nacht werden sie den Weg nicht zu machen wagen, und ist es erst Tag, dann werden sie genug mit den Motineros zu tun haben; mein Schuß ist bestimmt gehört worden.«
»Was hast du getan, Tito?« raunte der Xinka.
»Wirst es schon erfahren«, sagte der Mulatte.
»Sprich nicht so laut«, warnte der Xinka, »ich habe Fremde im Haus.«
»Fremde?«
»Ja, zwei Mayas, von denen der eine wie ein Caballero aussieht.«
»Mayas? Spione also. Warum schneidest du ihnen nicht die Kehlen ab? – War Tamay hier?«
»Nein, aber der Negro.«
»Was wollte er?«
»Proviant holen.«
»Hat er nichts gesagt?«
»Er sagte nur, daß sie dich erwarteten, du wüßtest schon wo.«
»Hat sich der Blanco hier sehen lassen?«
»Nein.«
»Nun, seinetwegen wirst du noch Nachricht erhalten. Er wird schon hier auftauchen. Aber sei vorsichtig, ihm ist nicht zu trauen.«
»Ich verrate gewiß nichts.«
»Das möchte ich dir auch nicht geraten haben«, knurrte der Mulatte.
Ein Pferd wieherte.
»Wie?« fragte der Mulatte, »du hast Pferde?«
»Es sind die Tiere der beiden Mayas, die hier stehen.«
»Taugen sie etwas?«
»Ausgezeichnet! Ich ziehe ein Pferd einem Maultier vor. Rasch her damit.«
»Und was sage ich morgen früh?« gab der Xinka zu bedenken.
»Wenn sie dann noch leben, sagst du ihnen, es sei in der Nacht gestohlen worden«, entgegnete der Mulatte mit rauhem Lachen, »öffne, es wird Zeit, die Sterne erbleichen schon.«
»Komm!« sagte Pablo, seine Büchse aufnehmend. Er trat aus dem Lorbeergebüsch heraus und zog die Hähne seiner Waffe auf. Die beiden am Corral fuhren herum.
»Diable! Was ist das?« zischte der Mulatte.
»Quien va alla?« rief Pablo drohenden Tones.
»Amigos! Wer seid ihr?«
»Das sollt ihr gleich erfahren. Was wolltet ihr an dem Corral?«
Pablo und Tenanga traten näher, der Mulatte griff nach der auf seinem Rücken hängenden Flinte.
»Laß die Hände unten«, sagte Pablo drohend. Der Mulatte ließ die Arme fallen. Pablo und Tenanga kamen heran. »Wer seid Ihr, und was wollt Ihr hier?« herrschte der erstere den Mulatten an.
»Oh«, fiel der Xinka ein, »der Señor wollte nur eines meiner Maultiere leihen.«
»Ah, du bist da«, sagte Pablo, als sähe er den Indianer jetzt erst, »das ist etwas anderes. Ich glaubte, Spitzbuben hätten es auf unsere Pferde abgesehen.« Er trat, die gespannte Büchse immer schußbereit, auf die beiden zu und erkannte jetzt auch, trotz des mangelhaften Lichtes, in dem Fremden einen Mulatten.
»Oh, der Señor ist ein ehrenwerter Mann«, sagte der Xinka, »er will noch vor Sonnenaufgang weiter, ich kenne ihn und leihe ihm gern eines meiner Maultiere.« Während der Mulatte sprungbereit in geduckter Haltung stehen blieb, öffnete Ixmal den Corral und zog ein Mulo heraus, dem der Mulatte augenblicklich seinen Sattel auflegte. Der Xinka half ihm beim Aufzäumen. Pablo und Tenanga ließen die beiden ruhig gewähren. Gleich darauf saß der Mulatte schon auf dem Tier, flüsterte dem Xinka etwas zu, was die beiden nicht verstanden, griff an die Krempe seines Hutes und war gleich darauf im Schatten der Nacht verschwunden.
»Was hat euch ins Freie getrieben?« fragte der Xinka ganz ruhig, als der Reiter fort war.
»Ich hörte Geräusch, glaubte Stimmen zu unterscheiden und war um meine Pferde besorgt«, antwortete Pablo.
»Die sind gut aufgehoben; Diebe gibt es hier nicht.«
Pablo verzog das Gesicht zu einem finsteren Lächeln. »Gut für dich, Mann«, sagte er. »Aber wir wollen jetzt draußen bleiben. Die Nacht ist bald herum, und wir wollen weiter. Laß Feuer anzünden und bereite uns ein Frühstück, dann machen wir uns auf den Weg.«
Der Xinka ging hinein und weckte die Frau. Tenanga sattelte die Pferde und prägte sich dann genauestens die Spuren des Mulatten und des Maultieres ein, auf dem er davongeritten. Es wurde schnell heller, die ersten Sonnenstrahlen zuckten bereits über den tiefblauen Himmel. Die Xinkafrau brachte ihnen Kaffee und frische Maiskuchen. Sie frühstückten unter einer breitästigen Platane. Pablo reichte der Frau einen Silberpeso. »Du warst gut zu uns, Madrecilla«, sagte er, »sei bedankt.« Die Frau nahm das Geldstück mit vor Freude funkelnden Augen. Bares Geld war in diesen Hütten rar.
»Ihr erreicht die große Straße am schnellsten, wenn ihr immer nach Osten reitet«, sagte der Xinka, als sie in die Sättel stiegen. Er ging den Pferden voran, um ihnen den nächsten Weg zu weisen. Da trat die Frau dicht an Pablos Pferd heran und flüsterte: »Hüte dich vor den Bergen da drüben« – sie wies auf die nördliche Sierra – »es gibt böse Menschen dort.« Pablo dankte ihr mit einem Blick.
Sie ritten durch das schmutzstarrende Dorf mit seinen halb zerfallenen und völlig verwahrlosten Hütten; es waren erst sehr wenige Menschen munter. Schweigend ritten sie in die Morgensonne hinein, nachdem der Xinka zurückgeblieben war. Erst als sie ein dichtes Gehölz von Chicazamotes und Granaten hinter sich hatten, das sie vor etwaigen spähenden Augen vom Pueblo her verbarg, hielt Pablo den Braunen an.
»Was sagst du zu alledem, Tenanga?« fragte er.
»Tamay, der Neger und der Mulatte sind gewiß gute Freunde des Xinka, bei dem wir geschlafen haben«, antwortete Tenanga ernst.
»Das möchte ich auch glauben. Fast tut es mir leid, daß wir den Mulatten laufen ließen. Vielleicht hätte er etwas von Maria gewußt.« »Schwerlich.« Tenanga schüttelte den Kopf. »Tamay ist viel zu schlau«, sagte er, »er wird auch seinen Freunden nicht mehr als das unbedingt Notwendige verraten.«
»Sollen wir der Spur des Mulatten folgen?«
Wieder verneinte das Tenanga. »Ich würde das nicht tun«, sagte er. »Man würde uns vom Pueblo aus beobachten, und außerdem verschwinden die Spuren auf steinigem Felsen ohnehin. Auch könnte es geschehen, daß uns am Ende der Spur ein warmer Empfang bereitet würde. Ich glaube, daß die Bandidos dort in der Sierra stecken; wahrscheinlich halten sie auch die Doña dort verborgen. Laß uns weiter nach Osten reiten, wir können dann von einer anderen Stelle aus unbeobachtet in die Felsen vordringen.«
Sie ritten weiter. »Der Bursche wurde seiner Behauptung nach von Lanceros verfolgt«, sagte Pablo nachdenklich; »er sprach auch von Motineros. Danach müßten sowohl Regierungstruppen als auch Aufständische in der Nähe sein.«
»Das mag wohl sein«, versetzte Tenanga.
Aufmerksam die steinige Sierra durchforschend, ritten sie weiter. »Ich habe mich schon gefragt, ob man den Banditen nicht einfach Lösegeld bieten soll«, begann Pablo nach einer Weile. »Der Conde, Don Antonio und ich würden alles aufbieten; was kann ihnen Mendez geben? Er hat ja einstweilen selber nichts.«
»Das mag alles richtig sein«, entgegnete Tenanga, »und ich würde selbst dazu raten, wenn wir es nur mit dem Neger und dem Mulatten zu tun hätten. Ich glaube nicht, daß Tamay in erster Linie das Geld reizt. Übrigens wird er dir, Herr, von allen Menschen am wenigsten trauen; er hat dich verraten, und auch das hat er gewiß nicht des Geldes wegen getan. Erfährt er, daß du lebst und daß die Mayas in dir ihren König erkannten, muß er sich sagen, daß er keine Hoffnungen mehr hat, jemals wieder von seinem Stamm aufgenommen zu werden, und dann ist er, fürchte ich, zu Gräßlichem fähig.«
Pablo schauerte im Gedenken an Maria unwillkürlich zusammen.
»Vorerst ist wohl nichts zu befürchten«, beruhigte ihn der andere, »es liegt zu sehr im Vorteil dieser Burschen, die Señorita zu hüten. Wir wollen jedenfalls die Räuber aufsuchen. Geld kannst du ihnen immer noch bieten.« Auch Pablo fand, dieser Vorschlag sei der beste.
Gegen Mittag rasteten sie in einem Wäldchen. Als sie den schmalen Waldstreifen verließen, sahen sie wieder ein Pueblo vor sich liegen. Das Gebirge zog sich noch immer zu ihrer Linken hin. Sie näherten sich dem Dorf und erblickten kurz vor den ersten Hütten ein schlankgewachsenes Indianermädchen, das einen Wasserkrug auf dem Kopfe trug.
»Herr«, sagte Tenanga, »das ist eine Mayatochter.«
»Wie sollte die hierherkommen?« fragte Pablo.
»Die Mayas wohnen hier weit verstreut, auch zwischen Zapoteken und Xinkas.« Tenanga rief das Mädchen in der Mayasprache an. Sie erwiderte den Gruß, kam näher und blickte staunend auf Pablo.
»Du bist doch ein Maya«, sagte Tenanga, »wohnen Mayas hier in dem Pueblo?«
»O ja«, antwortete das Mädchen. »Wir sind fast alle Mayas hier, nur einige wenige Xinkas wohnen unter uns.«
»So dürfen wir unter Stammesgenossen wohl auf Gastfreundschaft rechnen?« lächelte Pablo das Mädchen an.
»Das dürft ihr gewiß«, sagte das Mädchen, »wir haben auch eine Posada im Dorf.«
»Um so besser. Leben auch Weiße zwischen euch?«
»Der Alkalde und der Cura sind Blancos, außerdem noch ein Kaufmann.«
Pablo lüftete grüßend den Hut, und sie ritten an dem Mädchen vorbei in das Dorf. Ein Indianerjunge wies ihnen die Posada. Das Pueblo war bei weitem sauberer und ordentlicher als jenes, in dem sie vorher genächtigt, doch sahen sie hier wie dort in der Hauptsache Frauen, Kinder und alte Männer in den Gassen. Neugierige Blicke folgten ihnen von allen Seiten.
Der Posadero, ein älterer Indianer, kam heraus und begrüßte sie höflich. Er nahm ihnen die Pferde ab und verwies sie in die allgemeine Wirtsstube. Während ein Junge die Pferde zum Corral führte, folgte ihnen der Posadero.
In dem ebenerdigen, ziemlich großen Raum saß nur ein einzelner alter Indianer. Er sah aus großen, dunklen Augen auf die Eintretenden, sprang plötzlich auf, riß den Hut vom Kopf und grüßte Pablo mit einer tiefen Verbeugung.
»Du kennst mich, Freund?« fragte der Jüngling.
»Ich grüße den Enkel unserer Könige«, sagte der Alte. Es erwies sich, daß der Mann bei der Zeremonie an der Tempelpyramide zugegen gewesen war. Der Posadero geriet außer sich, er wußte vor Freude nicht, was er beginnen sollte, um dem jungen Herrn den Aufenthalt in seinem Hause angenehm zu machen. Pablo dagegen wußte nicht recht, ob er sich freuen oder es beklagen sollte, daß man ihn erkannt hatte. Doch war er nun einmal erkannt, und so reichte er denn dem alten Indianer lächelnd die Hand und setzte sich zu ihm. »Du trägst Narben an der Brust, Alter«, sagte er, »warst du im Krieg?«
»Ich habe in den Bürgerkriegen gekämpft, Herr«, antwortete der Mann, »und dann unter General Arana gegen die Mexikaner.«
»So bist du ein Kriegsgefährte meines väterlichen Freundes«, sagte Pablo. »Wie ist es, habt ihr unter dem gegenwärtigen Krieg hier schon zu leiden gehabt?«
Der Mann zog die Stirn kraus. »Die Motineros waren hier«, sagte er; er schien keine gute Erinnerung an den Besuch zu bewahren.
»Sind gegenwärtig Truppen in der Nähe?«
»Ich weiß es nicht, Herr, aber es ist gut möglich. Zuweilen zeigen sich kleinere Trupps in der Ebene, bis hierher sind sie noch nicht gekommen. Kann ich dir mit irgend etwas behilflich sein, Herr, so gebiete über mich.«
»Es kann sein, daß ich deines Rates bedarf. Jetzt laß uns essen.«
Der Posadero hatte gebratene Hühner, Eier, Kuchen und Früchte gebracht und einen Tisch damit gedeckt. Pablo forderte auch Tenanga auf, sich zu ihm zu setzen; sie aßen mit gutem Appetit; der Posadero und der alte Maya ließen kaum einen Blick von Pablo.
Sie aßen noch nicht sehr lange, als draußen Hufgetrappel vernehmbar war; ein brauner Junge kam hereingestürzt und rief mit gellender Stimme: »Soldados! Lanceros kommen!«
Alle sprangen auf. »Von wo?«
»Von Westen!«
Tenanga war mit einigen Sätzen vor der Tür. »Entfliehe, Herr«, zischte der Alte, »sie stecken jeden jungen Mann, den sie sehen, in die Regimenter; alle unsere jungen Leute sind vor den Soldados in die Berge entwichen.«
»Mich gewaltsam in die Uniform zwingen?« Pablo lächelte verächtlich.
»Sie tun es bestimmt, Herr!«
Schon erschien Tenanga wieder in der Tür. »Die Pferde sind gesattelt, Herr«, keuchte er, »laß uns reiten!«
Pablo trat vor das Haus. Männer, Frauen und Kinder standen in Haufen da, dichtgedrängt; sie starrten ihn an wie ein Wunder; es wurde ihm peinlich, obgleich eitel Freude aus allen Gesichtern leuchtete. Die Männer nahmen die Hüte ab, und die Frauen kreischten und winkten. »Hualpa! König! Adler!« rief es hier und da.
»Komm, Herr, komm!« drängte Tenanga.
Pablo sprang in den Sattel; er zog den Hut und grüßte nach allen Seiten. Bevor der Braune sich indes in Bewegung setzte, erscholl donnernder Hufschlag von der Seite, wohin sich der Kopf seines Pferdes wandte. In vollem Lauf jagten acht Lanceros heran, die langen Lanzen schwingend; gleichzeitig brachen von der entgegengesetzten Seite ein Dutzend Lanzenreiter auf die Menge ein, die heulend auseinanderstob.
»Ergebt euch, Hunde!« schrie ein bärtiger Sergeant, der, die Pistole in der Faust, auf Pablo und Tenanga zujagte, dicht hinter sich seine Reiter. Pablo verhielt sein Pferd, hochmütiger Trotz verzog sein Gesicht, seine Augen glitzerten kalt. Im Augenblick hielt der Sargento vor ihm; die Reiter hielten ihre Lanzen zum Stoß bereit.
»Was soll das?« fragte Pablo mit kalter Ruhe.
»Das wirst du verdammter Mordhund gleich merken!« schrie der Sergeant. »Herunter von den Pferden, bindet die Kerle!« wandte er sich an seine Soldaten. Ein halbes Dutzend der Reiter verließ die Sättel. Tenanga machte eine Bewegung zu seiner Büchse hin. »Laß das«, befahl Pablo scharf. Mit großer Geschwindigkeit waren beiden jungen Männern die Hände gebunden.
Die Indianer ringsum standen wie erstarrt; mit geweiteten Augen sahen sie auf das Schauspiel. Pablos Gesicht glich dem einer Bronzestatue.
»So, euch Mordbuben hätten wir«, sagte der Sergeant augenscheinlich befriedigt, »und ich schwöre euch; ihr sollt baumeln, und das heute noch.«
»Ich glaube«, sagte Pablo, »der Señor Sargento irrt sich. Ich bin Pablo Reynador, ein Haziendero des Nordens; ein friedlicher Mann und kein Mordbube!«
Aus zornfunkelnden Augen sah der Sargento ihn an. »So«, schrie er, »du bist ein friedlicher Mann und schießt aus dem Hinterhalt auf das Haupt unseres Conde wie auf eine Zielscheibe!«
Pablo versetzte es einen Schlag; jetzt wußte er, auf wen der Mulatte geschossen hatte. Im Augenblick übersah er die furchtbaren Folgen, die diese Tat haben konnte. »Um Gottes willen!« stieß er heraus, »General Lerma? Auf General Lerma ist geschossen worden? Sargento, ich schwöre euch – –«
»Den Offizieren vom Standgericht kannst du schwören«, unterbrach ihn der Sergeant. »Vorwärts, Companeros!« wandte er sich den Soldaten zu, die wieder aufgesessen waren, »wir könnten mit den Motineros, den Spießgesellen dieser Mörder, zusammentreffen.«
Die Gefangenen in der Mitte, jagten die Reiter davon, von den nichts begreifenden Blicken der zurückbleibenden Indianer gefolgt.
»Nachricht an alle Mayadörfer! Sie haben den Enkel der Könige gefangen!« rief der alte Indianer, »rasch, rasch, die schnellsten Läufer!« Ein Dutzend Jungen von vierzehn, fünfzehn Jahren umdrängten ihn. »Lauft, was ihr könnt«, befahl der Alte, »tragt die Nachricht in alle Dörfer: Die Regierungstruppen haben Hualpa, den Königsenkel, verschleppt, um ihn zu töten!« Die Jungen, kleine Stäbe in den Händen, stürmten davon.
Die Lanceros jagten mit den Gefangenen eine ganze Strecke dahin und ließen die Pferde dann langsamer gehen. Der leidenschaftlich erregte Sargento war ruhiger geworden; verstohlen musterte er den nach der Sitte der Weißen gekleideten jungen Indianer; der sah wahrhaftig nicht nach einem Mörder aus. Nun, man würde ja sehen. Der alte Xinka hatte ihm die beiden Burschen genau beschrieben; ein Irrtum konnte danach als ausgeschlossen gelten.
Sie kamen an einen schmalen Felsenpaß. »Aufgepaßt, da vorn«, rief der Sargento der Spitze zu, »die guten Freunde dieser Kanaillen hier könnten uns einen Streich spielen.«
»Wir sind keine Motineros«, sagte Pablo, in dem Wut und Erbitterung tobten und dem die Zeit Marias wegen auf den Nägeln brannte, »du tätest besser, die Mörder des Conde woanders zu suchen.«
»Wird sich finden, wird sich alles finden«, versetzte der Sargento gleichmütig.
Noch während sie in dem schmalen Felsenpaß ritten, drang plötzlich das Hallen von Schüssen und lautes Geschrei zu ihnen; es kam von vorn.
»Adelante! Da kämpfen unsere Männer!« rief der Sargento. Alles setzte sich in Galopp, die Gefangenen mußten notgedrungen mitjagen. Aus dem Hohlweg herausbrechend, sahen sie eine kleine Schar Lanceros in der Uniform des Staates in erbittertem Gefecht mit einer überlegenen Reitertruppe.
»Adelante! Dort kämpft Don Antonio!« rief der Sergeant.
Die Reiter jagten vor; der Sergeant, der keine andere Möglichkeit mehr sah, die Gefangenen zu sichern, richtete die Pistole auf Pablos Kopf; vor dem festen, drohenden Blick des Jünglings ließ er sie wieder sinken. »Sei's drum«, knurrte er, »fort könnt ihr ohnehin nicht.« Damit jagte er, den Säbel ziehend, seinen Männern nach.
Kaum waren Pablo und Tenanga allein, als der letztere seine Hände leicht aus den Fesseln löste. »Die Picaros verstehen es nicht, einen Maya zu binden«, lächelte er. Er hatte, während ein Soldat ihm die Hände band, einen von Indianern oft geübten Kunstgriff angewandt, der es ihm erlaubte, die Hände nach Belieben aus der Schlinge zu ziehen. Da man den Gefesselten sogar die Waffen gelassen hatte, um sie selbst nicht tragen zu müssen, war auch Pablo mit einem Messerschnitt frei. »Nun zurück, Herr!« flüsterte Tenanga.
Pablo schüttelte den Kopf; sein Blick hatte unverwandt bei den vorne Kämpfenden geweilt. »Nein«, stieß er jetzt heraus, »da vorn kämpft mein Pflegevater, Don Antonio. An seine Seite! Adelante!«
Er riß die Büchse von der Schulter und jagte nach vorn. Tenanga folgte ihm willenlos. Das Gefecht wogte, in einzelne Gruppen aufgelöst, hin und her. Es wurde mit Lanze und Säbel gekämpft. Die Regierungssoldaten hatten trotz des Eingreifens des Sergeanten und seiner Männer ein schweres Gefecht. Verwundete und tote Pferde lagen umher, verwundete und tote Reiter daneben.
Pablo hatte im vollen Jagen einen am Boden liegenden Säbel aufgegriffen. Er jagte auf die Gruppe zu, in der er Don Antonio kämpfen sah. Mit dem gellenden Ruf: »Viva la patria!« feuerte er seine Doppelbüchse ab und hob damit zwei Motineros aus dem Sattel. Dann warf er die Büchse fort und raste, den Säbel schwingend, mitten in das Getümmel.
»Pablo!« rief Don Antonio in jähem Staunen. Auch Tenanga hatte geschossen, und seine Kugeln hatten ihre Ziele gefunden. Er griff die Lanze eines gefallenen Reiters auf und sprengte mit einem gellenden »Ala!« auf die Feinde los. Er und Pablo waren die einzigen Indianer auf der Regierungsseite, während bei den Gegnern Weiße und Farbige kämpften.
»Adelante!« rief Don Antonio; die Lanceros griffen noch einmal mit voller Wucht an. Drüben fiel der Anführer unter Pablos Säbel; die Motineros wandten sich zur Flucht. Eine Strecke weit folgten ihnen die Lanceros, dann rief Don Antonios Stimme sie zurück.
»Junge! Mein Junge! Wo kommst du nur her?« rief Antonio d'Irala, als Pablo vor ihm hielt.
Pablo lächelte. »Sargento, Don Antonio, hat mich als Mörder des Conde verhaftet und hierhergeschleppt.« Der bärtige Sergeant kam schon heran; er war ob des sonderbaren Benehmens seiner Gefangenen so verblüfft, daß er überhaupt nichts zu sagen wußte, zumal er den einen nun im vertrauten Gespräch mit seinem Chef erblickte.
»Was heißt das, Sargento«, wandte sich d'Irala an ihn.
Der Mann war völlig verwirrt. »Ein Xinka-Indianer hat uns gesagt, daß zwei flüchtige indianische junge Männer bei ihm gerastet hätten. Sie seien in großer Eile gewesen, um zu den Motineros zu kommen und hätten sich gerühmt, den Conde getötet zu haben. Er beschrieb sie uns genau, zeigte uns den Weg, den sie eingeschlagen hatten, und wir folgten ihnen. Dieses hier ist der eine der beiden.«
»Dies, Sargento, ist mein Pflegesohn Don Pablo. Glaubst du immer noch, daß er die Hand gegen den General erhoben hat?«
»Nein, Capitano, das glaube ich gewiß nicht mehr. Dieser junge Mann ist ein Held, aber kein Mörder. Caramba! Der Junge hat gefochten!« fügte er hinzu. »Verübelt es mir nicht, Señorito. Ich konnte nicht ahnen – –«
Pablo gab ihm lächelnd die Hand. »Es ist schon vergessen«, sagte er. Dann berichtete er eingehend von seinem Zusammentreffen mit dem Mulatten, in dem man zweifellos den gesuchten Mordbuben zu erblicken habe.
»So war ich also doch auf der rechten Spur«, sagte der Sargento. »Der Conde konnte es nicht lassen, selbst zu rekognoszieren. Als ich ihn sinken sah, von seinem Adjutanten aufgefangen, und den davonjagenden Mörder erblickte, packte mich der Zorn, und ich bin mit meinen Leuten hinterhergeritten. Leider verstand er es, uns zu täuschen und entkam.«
Die Lanceros hatten sich gesammelt, die Verwundeten wurden aufgelesen und notdürftig verbunden; dann ritt der ganze Trupp, ein Teil der Stabswache des Generals, langsam nach Süden zu.
»Wie habt ihr euch nur eurer Bande entledigt?« fragte der Sergeant den jungen Pablo.
»Das ist ein Mayageheimnis, ich kann es nicht verraten«, lächelte der zurück.
Sie erreichten ein Wäldchen, das einige Sicherheit gewährte und machten halt. Nachdem Wachen ausgestellt worden waren, überließen die erschöpften Soldaten sich der verdienten Ruhe. Manch bewundernder Blick ruhte auf den beiden Indianern. Tenanga nahm diese Bewunderung, die ja auch ihm galt, mit vollendetem Gleichmut hin, aber innerlich war er nicht wenig stolz.
Pablo saß zusammen mit seinem Pflegevater etwas abseits auf einem Baumstamm. Des Hazienderos Gesicht war dunkel verhangen. »Nun bist du unser einziges Kind, Pablo«, sagte er leise, »und ich habe dir manches abzubitten.«
»Das verhüte Gott, Don Antonio«, antwortete Pablo ernst, »Doña Maria lebt, und sie soll dir wiedergegeben werden.«
D'Irala starrte ihn fassungslos an. »Was sagst du da, Junge?«
Pablo berichtete nun dem immer erstaunter aufhorchenden Don Antonio von seinen und Tenangas Nachforschungen und bisherigen Ermittlungen. Er sah, daß der harte Mann in der Offiziersuniform vor ihm zu zittern begann, er sah, daß Tränen in seine Augen traten. »Pablo, wenn das wahr wäre!« stammelte er, »Pablo, das ist der erste Lichtstrahl seit jenem schrecklichen Unglückstag.« Er stand auf und ging, von der Unruhe seines Herzens gejagt, hin und her. »Sie ist gar nicht mein Kind«, sagte er, »aber tiefer kann mir auch ein eigenes Kind nicht ans Herz wachsen. Ich will gern alles hingeben, wenn sie der Himmel mir wiederschenkt.«
Er blieb vor Pablo stehen. »Mendez?« sagte er, »sollte das möglich sein? Können Menschen so handeln? Ich weiß, daß der Conde die schlechteste Meinung von ihm hat. Aber dies – man sollte es nicht glauben!«
Es seien einstweilen alles Vermutungen, freilich ziemlich begründet, versetzte Pablo. Er würde jedenfalls nicht ruhen, bis diese Sache geklärt und Maria ihren Entführern entrissen sei.
»Durch welches Wunder bist du dem Kaziken Chamulpo entgangen?« fragte d'Irala, sich nun Pablos eigenen Erlebnissen zuwendend. Pablo berichtete kurz und knapp, was ihm Gelegenheit gab, den Spürsinn und die menschliche Treue seines Gefährten Tenanga gebührend herauszuheben.
»Gott hat seine Hand sichtbar über dir gehalten, mein Junge«, sagte der sehr erschütterte Offizier, »ich bin sicher, er wird dich auch weiterhin schützen.«
Pablo fragte seinen Pflegevater dann nach dem Stand der Kriegshandlungen. Don Antonios Gesicht verdüsterte sich. »Wir waren, von der Hauptstadt abgedrängt, unter harten Kämpfen nach Süden geworfen«, berichtete er, »hatten dann einige recht glückliche Gefechte und waren strategisch schon wieder im Vorteil, da mußte ein böses Geschick uns den Führer rauben, auf dem alle unsere Hoffnungen beruhten. Ich fürchte fast: jetzt ist alles verloren. Der Tod des Conde wird dem Gegner einen ungeheuren Auftrieb geben. Callego kann Lerma bei aller Tüchtigkeit nicht ersetzen. Wir waren ausgeritten, um die verlorene Fühlung mit dem Feind zu suchen und – haben sie gefunden. Treffe ich den General noch am Leben, wenn wir ins Lager kommen – denn es war noch Leben in ihm, als ich ihn verließ –, dann werde ich ihm mit der Nachricht über Maria wenigstens die letzten Stunden leichter machen können. Er hängt nicht weniger an der wiedergefundenen Enkelin als ich. Auf der Stelle muß jedenfalls alles geschehen, um Maria zu befreien, und wenn ich unseren Gegner Sarmiento um Hilfe bitten muß.«
»Tue nichts dergleichen«, sagte Pablo ernst. »Ich bitte dich, Don Antonio, laß mich und Tenanga allein weiterforschen. Tenangas Spürsinn ist unübertroffen, er ist der größte Rastreador, den ich jemals sah, und wenn überhaupt einer, wird er Marias Spur finden.«
»Du willst es wagen? Du allein mit einem Gefährten?«
»Wem käme es wohl eher zu als mir? Ist Maria nicht meine Pflegeschwester? Ich habe in ihr immer meine Schwester gesehen.«
»Ich werde dir Scharfschützen mitgeben.«
»Nein, Don Antonio. Weiße Leute würden nur schaden bei dem, was wir vorhaben. Brauche ich Hilfe, kostet es mich ein Wort, und alle Mayastämme stehen hinter mir. Nur fürchte ich, es muß jetzt, wenn der Conde stirbt oder tot ist, ohne jeden Verzug gehandelt werden.«
»Das muß es wahrhaftig. Oh, das liegt mir wie ein Stein auf dem Herzen.«
»Wo glaubst du, Don Antonio, daß die Motineros stehen?«
»Höchstwahrscheinlich nach Amatitlan zu. Von dort kam auch die Streifschar, mit der ich zusammenstieß; unsere Hauptmacht lagert bei Ixhuatan.«
»Ich werde mich, wenn du den Heimweg ins Lager antrittst, von dir trennen und mit Tenanga in die Sierra eindringen.«
»Ruf mir den jungen Mann her; ich will ihm ein paar Worte sagen.« Ein Wink Pablos, und Tenanga stand aufgerichtet vor dem Offizier.
»Du hast dich als treuer Freund meines Pablo erwiesen, und du hast wie ein Mann in unseren Reihen gefochten. Ich danke dir für beides.« D'Irala sah dem jungen Indianer mit offenem Blick in die Augen und reichte ihm die Hand. Der drückte sie und erwiderte den Blick.
»Hilf mir weiter, meine von Bandidos geraubte Tochter zu befreien, und verlange dann von mir, was du willst. Ich will es dir geben, wenn ich kann.«
»Ich diene dem Enkel der Könige«, entgegnete Tenanga, »ich bedarf keines Dankes.«
»So wirst du wenigstens immer einen Freund an mir haben.«
Tenangas Augen leuchteten auf; er verbeugte sich und trat zurück. Die Lanceros rüsteten zum Aufbruch; sie wollten noch vor Einbruch der Nacht das Lager erreichen. Antonio d'Irala verabschiedete sich von dem wiedergefundenen Pflegesohn. »Bring mir Maria, mein Junge, und achte auf dich selbst«, sagte er. »Hüte dich besonders vor den Aufständischen. Wird es bei ihnen bekannt, daß Lerma durch Mörderhand fiel, haben wir bald mit einem Angriff zu rechnen. Gott sei unserem armen Lande gnädig!«
Die Soldados saßen bereits im Sattel. Don Antonio bestieg gleichfalls sein Pferd, er reichte Pablo noch einmal stumm die Hand, dann ritt er mit den Seinen davon.
Die beiden Indianer luden ihre Büchsen. »Nun komm, Freund«, sagte Pablo, »auch wir wollen nicht länger zögern.« Sie umritten den Ort, wählten die einsamsten Pfade und erreichten kurz vor Einbruch der Nacht den Fuß der Sierra, in der sie die Bandidos und auch Maria vermuteten. Eine der in dem wild zerklüfteten Gebirgsstock zahlreichen Höhlen bot ihnen ein Nachtlager. Sie pflockten die Pferde am langen Lasso fest und legten sich zur Ruhe.