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Ein Mann näherte sich den Feldwachen. Der Ruf nach der Parole erscholl. »Ein Freund, Señores«, sagte der Mann, »ich wünsche zum Hauptquartier geführt zu werden, wo ich wichtige Mitteilungen zu machen habe.«
Der Feldwachenführer ließ den Mann kommen. »Pepe, Jaquino«, rief er zwei Soldaten zu, »führt den Señor zum nächsten Pikett.« Die Soldaten nahmen den Mann in die Mitte. Nach einiger Zeit erreichten sie eine stärkere Reiterabteilung; die Soldados übergaben den Mann einem bärtigen Sergeanten.
»Zum Hauptquartier wollt Ihr?« fragte der Sergeant mißtrauisch. »Wer seid Ihr denn?«
»Ich bin der Großneffe des Generals de Lerma, Louis de Mendez«, sagte der Mann. Er schrak zurück vor dem sonderbaren und keineswegs freundlichen Blick, mit dem der Sergeant ihn ansah. »So, Señor Mendez seid Ihr«, sagte der Sergeant. »Gut. Da ist gerade der Capitano Don Antonio d'Irala, der die Feldwachen inspiziert, er wird sich freuen, Euch zu sehen.« Er winkte einigen Reitern und sprach ein paar Worte mit ihnen, die Mendez nicht verstand. Der sah sich gleich darauf in die Mitte genommen. Die Soldaten ritten im Schritt. Vor einer Posada, in deren Nähe Truppen lagerten und Pferde weideten, hielten sie an. Vor der Tür der Posada hielten Lanceros Wache. Ein Soldat, der abgesprungen war, trat auf den Posten zu.
»Der Capitano da?« fragte er.
»Ist drin«, sagte der Lancero. Der Soldat betrat die Posada. Er kam nach wenigen Minuten zurück und forderte Mendez auf, ihm zu folgen. Gleich darauf stand der Besucher vor Don Antonio. Er wurde unwillkürlich blaß, als er dessen Gesicht sah.
»Was führt Sie hierher, Señor?« fragte d'Irala kurz.
»Das fragen Sie noch?« stammelte Mendez. »Ich habe von dem schrecklichen Unglück gehört, das mein Haus, das das ganze Land betroffen hat. Oh, Don Antonio, es ist entsetzlich.«
»Welches Unglück meinen Sie?« Die Frage kam knapp und schneidend; das Gesicht des Capitanos war starr und unbewegt, seine Blicke gingen kalt über Mendez hin.
Dem wurde unheimlich. Die Erregung preßte ihm Tränen in die Augen, und seine Stimme zitterte unwillkürlich. »Aber Don Antonio«, stotterte er, »natürlich spreche ich von meinem verehrten Großoheim. Er konnte mich nie recht leiden, aber nun, da er tot ist –«
»Oh, nun begreife ich Ihren Schmerz«, sagte d'Irala, ihn unverwandt mit der gleichen starren Kälte ansehend, »ich vermute, Sie haben die Freudenbotschaft durch Ihren Mulatten erhalten?«
Mendez zuckte zurück und unterdrückte mit Mühe einen Schrei. Fassungslos sah er in die kalten Augen des anderen. »Was«, stammelte er, »was heißt das denn? Ich verstehe nicht.«
»Ja, das denke ich mir«, sagte Don Antonio sarkastisch. »Sie haben Pech gehabt, der Mann hat Sie getäuscht. Man muß sich die Leute immer ansehen, mit denen man arbeitet. Hat er Ihnen gesagt, er habe ihn getötet? Er hat sich geirrt. Die Kugel war gut gemeint, aber sie streifte den General nur am Kopf; er war betäubt, und bei seinem Alter war das keine Kleinigkeit, aber ich kann Ihnen versichern, er ist bereits wieder wohlauf. Ob er Sie sehen will, weiß ich nicht. Darüber muß ich erst seinen Befehl einholen. Vorläufig behalten wir Sie hier.«
»Ich begreife überhaupt nichts«, flüsterte Mendez, sich mit irren Blicken umsehend.
»Oh, Sie werden schon noch begreifen«, tröstete d'Irala. »Heda!« rief er einigen Lanceros zu, die an der Tür standen, »bindet den Mann hier. Und du, Andres, stellst dich dort an die Tür, achtest auf jede Bewegung und schießt bei dem ersten Anzeichen. Du darfst ruhig schießen, du hast einen Mörder vor dir.«
»Zu Befehl, Capitano!« sagte der Soldat und entsicherte seine Pistole.
»Sind Sie verrückt geworden, d'Irala«, stieß Mendez heraus, »das wird Ihnen teuer zu stehen kommen, insbesondere, wenn mein Großoheim noch lebt.«
»Ich will Ihnen einmal etwas sagen, Mendez« – d'Irala hob langsam den Kopf und sah den Mann von unten herauf an, »falls die Tatsache, daß Sie Mörder beauftragt haben, den Conde zu töten, nicht ausreichen sollte – Sie werden sich selbst sagen, wie lächerlich das ist –, dann würde jedenfalls Ihr Brief an Sarmiento vollauf genügen, Sie ohne Federlesen an den nächsten Galgen zu hängen.«
Mendez riß den Mund auf, aber er brachte kein Wort heraus; er zitterte nun am ganzen Leibe, und seine Zähne schlugen klappernd aufeinander.
»Eines, du Lump« – d'Irala kam einen Schritt näher, »eines kann dein Los vielleicht noch mildern, denn der Conde ist ja ein unbegreiflich gütiger Mann, eines, wie gesagt: wenn du mir sagst, wo meine Pflegetochter ist.«
Mendez sah ihn an wie ein Gespenst. Er konnte vor Angst wohl gar nicht mehr denken, gleichwohl war die Verblüffung, die sich jetzt auf seinen jedes Haltes beraubten Zügen malte, zweifellos echt. Don Antonio sah es voller Schmerz.
»Ich verstehe überhaupt nichts«, röchelte Mendez, »wahrhaftig, ich verstehe nichts. Doña Maria hat doch das Unglück gehabt, bei dem Brand –«
»Den du anlegen ließest, ja, ich weiß.« D'Irala winkte ab. »Ich habe dich einen Augenblick überschätzt«, sagte er bitter, »ich war dumm genug, dir noch einen Funken Menschlichkeit zuzutrauen. Aber du warst sicher, daß sie tot ist, nicht wahr? Du hattest ja den strikten Befehl gegeben und klingende Münze aus der Erbschaft versprochen. Nun wirst du keinerlei Erbe mehr in deinem Leben antreten, trotzdem muß ich dich hinsichtlich deiner Spießgesellen noch weiter enttäuschen: sie haben dich auch hier betrogen. Doña Maria lebt noch. Ich hoffe es wenigstens. Mindestens ist sie nicht in den Flammen umgekommen, denn deine Genossen haben sie verschleppt, anstatt sie nach deinem Befehl verbrennen zu lassen.«
Man sah es, wirklich, man brauchte den Kerl nur anzusehen: Es war eine neue Enttäuschung für ihn. Er begann jetzt wirres Zeug zu stammeln. Er werde völlig verkannt. Ja, er kenne die Burschen, und er wisse auch, wo sie sich aufhielten, er sei ja hinter ihnen her gewesen, habe sie ausfindig gemacht, er sei bereit, ihr Versteck zu nennen, und wenn die Señorita noch lebe, werde man sie auf diese Weise befreien. Er machte sich anheischig, einen Suchtrupp zu führen.
Angeekelt wandte d'Irala sich ab. »Sperrt ihn ein«, sagte er, »und bewacht ihn gut, er wollte den General ermorden lassen.« Er ließ sich bei de Lerma melden und erstattete ihm Bericht.
Der Conde lächelte gequält und trübe vor sich hin. »Es ist gleich, was mit dem Kerl geschieht«, sagte er, »wichtiger als er ist das Leben des Kindes. Da seine Helfershelfer ihn betrogen haben, ist wenigstens Hoffnung, daß sie noch lebt.«
»Schick eine Anzahl geübter Scharfschützen aus, Don Antonio«, sagte er weiter, »sie mögen sich verkleiden. Nimm Männer, die die Berge kennen; vielleicht können sie deinem Pflegesohn behilflich sein. Was Mendez betrifft: sein Brief an Sarmiento bringt ihn an den Galgen. Ich bin aber nicht Römer genug, um den Enkel meiner Schwester dem Henker auszuliefern. Gib ihm Gelegenheit, zu entfliehen. Entkommt er unseren Vorposten, mag er sich anderswo hängen lassen. Hier im Lande könnte er ohnehin nicht mehr bleiben. Ach, ich bin müde, Don Antonio, den Angriff auf mein Leben trage ich ihm nicht nach.«
»Wie Exzellenza befehlen«, sagte d'Irala. Nun, wenn er den Vorposten entkommt, muß er schon ungewöhnliches Glück haben, dachte er. Er verließ den General und ließ die Scharfschützen auswählen.
Sie kamen am zweiten Tage zurück, hatten aber nichts Wesentliches zu melden, da es ihnen nicht gelungen war, die Sperrkette der feindlichen Truppen zu durchbrechen. Sie brachten einen Mulatten mit, den sie unter verdächtigen Umständen gefangen hatten. Der Mann wurde Mendez gegenübergestellt, und der bekannte, daß der Mulatte ein Gefährte des Indianers Tamay und eines Negers sei, eben der Männer, auf die er bereits aufmerksam gemacht habe. Übrigens halte er es für höchstwahrscheinlich, daß der Mulatte die Schüsse auf den General abgegeben habe.
»Zu denen du mich gedungen hast!« heulte der Mulatte. Dem Mann wurde schneller Prozeß gemacht. Außer dem Anschlag gegen den Conde wurden ihm mehrere Morde nachgewiesen; er wurde gehängt.
»Und nun wollen wir den Señor Mendez entfliehen lassen«, sagte Don Antonio mit unheilverkündendem Lächeln.
Der Krieg hatte sich in eine Reihe einzelner Gefechte aufgelöst; irgendeine Entscheidung war bisher nicht ergangen.
Der Kazike Chamulpo saß auf der Veranda seines Hauses in den Bergen. Er sah finster vor sich hin, obgleich er eigentlich gar keine Veranlassung hatte, schlechter Laune zu sein. Zwar, seiner Agitation unter den Stämmen der Bergmayas war durch das plötzliche Auftreten des Königsenkels und die besonnene Haltung des Generals Arana ein Ende gemacht worden, nun aber hatte ihn eine seltsame Nachricht erreicht: Der junge Bursche mit dem Königszeichen, der seiner Gewalt entronnen war, sollte auf den Conde geschossen haben. Jedenfalls war er unter Mordverdacht von Lanceros fortgeschleppt und dem Vernehmen nach erschossen worden. Das ließ alle seine Hoffnungen wieder aufleben.
Ja, es wurde Zeit für ihn, Partei im Bürgerkrieg zu ergreifen, und nunmehr war die Wahl nicht mehr schwer. Lermas Tod sicherte den Sieg Sarmientos, die Regierungstruppen hatten keinen anderen General von einiger Bedeutung. Jetzt, wie er da saß, war die Entscheidung schon gefallen. Dreitausend Mayas, seine ganze bisher verfügbare Macht, waren unterwegs zu Sarmiento, nur die persönliche Leibwache war bei Chamulpo zurückgeblieben.
Ein Reiter kam in vollem Galopp herangejagt und sprang vor der Veranda vom Pferde. Chamulpo stand auf. »Was gibt's?«
»Señor, die Mayas des Nordens sind in Bewegung und ziehen nach Süden.«
»Oh! Endlich! Weißt du, wie viele?«
»Soweit ich erfahren konnte, viele Tausende.«
»Und das erfahre ich erst jetzt?« Dem Kaziken schwoll die Stirnader.
»Der Aufbruch geschah ganz plötzlich«, berichtete der Mann. »Es sind Nachrichten in den Bergen verbreitet worden, welche die Mayas zum sofortigen Eingreifen veranlaßten.«
»Was sind das für Nachrichten?«
»Ich weiß es nicht, Herr. Ich bin abgeritten, um dir zu sagen, daß die Mayas kommen.«
»Aber du wirst doch wissen, gegen wen sie ziehen, ob gegen Sarmiento, ob gegen die Regierung?«
»Ich glaube bestimmt gegen die Regierung.«
»Ich muß es genau wissen, Cochino.«
»Ich war überzeugt, Herr, daß sie dir zuziehen.«
»Hast du von Arana gehört? Ist er dabei?«
»Ich weiß es nicht, Herr, habe seinen Namen nicht gehört.«
»Ruhe aus. Du bist willkommen.« Der Kazike wandte sich ab, und der Mann verschwand.
Ruhelos ging Chamulpo auf und ab. Der Norden in Bewegung! Das war die Entscheidung. Stoßen sie zu mir, und sie können ja wirklich nur zu mir stoßen, wie die Dinge liegen, dann gibt mir das diesem Zambo Sarmiento gegenüber eine ganz andere Stellung, dachte er. Dann bin ich der Herr der Situation und bestimme, was in Guatemala geschieht.
Der Bote war kaum verschwunden, da tauchte bereits ein neuer Reiter auf. Auch er hatte sein Pferd halb zuschanden geritten.
»Die Mayas der Berge kommen mit starker Kriegsmacht, General«, keuchte der Mann.
»Wieviele?«
»Acht- bis zehntausend Mann.«
»Unmöglich! Wo sind sie?«
»Sie haben gestern die Sierra de los Minas überschritten, und zwar in drei großen Abteilungen. Sie erhalten überall weiteren Zuzug.«
»Aber der Grund, der Grund für diesen plötzlichen Aufschwung?«
Irgend etwas schien dem Kaziken nicht geheuer angesichts der ihm genannten Zahlen.
»Herr, Ihr hörtet doch sicher: der Enkel der Könige« – der Mann hielt inne, die Stirn des Kaziken runzelte sich. »Der junge Mann, den die Menschen so nennen«, fuhr der Reiter fort, »er soll von den Truppen der Regierung gefangen und hingerichtet worden sein. Das hat die Tausende entflammt und zu den Waffen gerufen.«
Auf Chamulpos finsterem Gesicht erschien ein häßliches Lächeln. »Ausgezeichnet«, sagte er, »sehr gut! Jetzt fegen wir die ganze Regierungspartei mit einem Atemzug weg. Den Göttern sei Lob! Wir werden den Sohn Jungunas an seinen Mördern rächen!«
Der Kazike, plötzlich guter Laune, verabschiedete den Boten und fertigte alsdann drei Reiter ab: den einen mit Botschaft an Sarmiento, den anderen mit dem Befehl, über das Nahen der Mayas weitere Nachrichten einzuholen und deren Führern den Standort des Rebellenchefs mitzuteilen, den dritten mit dem Auftrag, die genaue Stellung der Regierungstruppen zu erkunden. Die Reiter jagten auf fliegenden Pferden davon.
Der alte Neger erschien. »Mein Pferd! Meine Wache!« befahl Chamulpo, »wir reiten!«
Gleich darauf ritt er, von fünfzig Männern, dem Neger und einigen Peons gefolgt, davon.
Die Nachrichten, die Chamulpo zugegangen waren, beruhten auf Wahrheit. Die Kunde von der Hinrichtung des Königsenkels durch die Truppen der Regierung hatte unter den Bergmayas eine ungeheure Empörung ausgelöst und nahezu alle Stämme in Bewegung gebracht. In drei gewaltigen Heerhaufen eilten die besten und erfahrensten Jäger und Krieger der Mayas, ausgezeichnet bewaffnet und in Bataillons und Escuadores eingeteilt, nach Süden.
Arana, der durchaus nicht zu glauben vermochte, daß Pablo auf den General Lerma geschossen habe, war unfähig, dem entfachten Sturm zu gebieten, er mußte sich von ihm mitreißen lassen, wenn er nicht jeglichen Einfluß verlieren wollte. Bisher hatte er alles getan, um die nördliche Bevölkerung vom Kriege fernzuhalten. Denn, wenn er auch nicht gesonnen war, das Leben der Seinigen für eine Regierung einzusetzen, die sie als Stiefkinder behandelte, so war er doch noch entfernter dem Gedanken, Sarmiento zu unterstützen. Aber einem Wirbelwinde gleich riß die ungestüme Leidenschaft des Volkes ihn mit; er konnte nur noch zu lenken, nicht mehr zu hemmen versuchen. Die Würfel waren im Rollen.
Als Pablo im »Haus des Unglücks« erwachte, stand schon die Sonne am Himmel. Tenanga hatte bereits ein Feuer entzündet und das Frühstück vorbereitet. Maria schlief noch; sie schlief wohl zum ersten Male ruhig seit langer Zeit. Die Freunde warteten geduldig, daß sie erwachen möchte. »Wir werden zunächst sehen müssen, daß wir unsere Pferde wiederfinden«, sagte Pablo, »dann müssen wir ein Pueblo aufsuchen, um für Doña Maria ein Maultier und etwas wetterfeste Kleidung zu beschaffen.«
»Ich denke, wir suchen das Pueblo San Martino auf, dort kennen sie dich, Herr«, sagte Tenanga.
»Das wird gut sein. Und von da aus werde ich dann wohl auch Don Antonio benachrichtigen können, denn er wird ja entscheiden müssen, wohin Maria zunächst gehen soll.«
»Und was wirst du selbst machen, wenn für Doña Maria gesorgt ist?« fragte Tenanga.
Pablo sah nachdenklich vor sich hin: »Ich weiß es noch nicht. Mein Leben ist plötzlich in andere Bahnen gelenkt worden. Ich muß erst ein wenig zur Ruhe kommen.«
»Willst du nicht am Kampf teilnehmen? Die Mayas werden dir alle folgen, wenn du sie rufst.«
»Ich muß zunächst mit Arana sprechen. Er hat bisher von jeder Beteiligung der Mayas am Bürgerkrieg abgeraten. Ohne ihn kann ich nichts tun. Ich bin viel zu jung und habe gar keine Erfahrung. Aber um das Leben der Mayas werde ich mich kümmern, da nun einmal das Blut ihrer Könige in meinen Adern rollt. Zwei Dinge vor allem beschäftigen mich: der blutige Aberglaube, der in weiten Kreisen unseres Volkes noch herrscht – ich denke mit Schaudern an das Erlebnis bei der Tempelpyramide –, muß überwunden werden; zweitens, wenn die Indianer den Weißen gleichgestellt sein wollen, dann müssen sie zunächst einmal lernen, dürfen nicht an Wissen und Können hinter ihnen zurückstehen. Darum will ich mich kümmern. Ich bin ein Maya und habe die Erziehung eines spanischen Caballero genossen, nicht durch mein Verdienst, aber es ist einmal so. Ich will mein Wissen für die Zukunft meines Volkes nützen.«
Tenanga strahlte ihn an; begriffen hatte er wohl nur wenig von dem, was Pablo da sagte. »Du brauchst nur zu befehlen, Herr«, sagte er, »und alle Mayas gehen, wohin du sie führst. Der rote Mann ist verachtet bei den Blancos, aber er braucht es nicht länger zu sein. Du kannst die Mayas zu Herren im Lande machen.«
Pablo schüttelte lächelnd den Kopf. »Du träumst«, sagte er, »und du weißt nicht, wie es in der Wirklichkeit aussieht. Es wäre Wahnsinn, gegen die Weißen zu kämpfen und die Vergangenheit zurückholen zu wollen. Nein, ich will sie zwingen, den roten Mann zu achten. Ich will, daß er sich aneignet, was den Weißen ihm gegenüber auszeichnet und was ihm seine Überlegenheit verschafft.«
»Du bist der König der Mayas«, sagte Tenanga, »du kannst tun, was du willst.«
»Überschätze das nicht«, lächelte Pablo. »Es ist schön, um die Liebe und Anhänglichkeit der Menschen zu wissen, die politische Bedeutung dieses alten Königsnamens ist sehr gering.«
Tenanga schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht alles, was du sagst«, versetzte er, »aber in einem hast du gewiß recht: Die Blancos sind klüger als wir, und deshalb sind sie auch mächtiger.«
»Siehst du; deshalb müssen wir ebenso klug werden wie sie.«
»Guten Morgen, Pablo. Guten Morgen, Tenanga«, sagte eine frische Mädchenstimme. Sie fuhren herum, und Pablo sprang auf; Maria stand vor ihnen, in einen Poncho gehüllt.
»Oh, du bist schon auf?«
»Ich war schon am Quell draußen und habe mich gewaschen. Oh, ich habe wundervoll geschlafen.«
Die jungen Männer räumten ihr einen Platz ein. »So komm und frühstücke mit uns«, sagte Pablo, »es ist kärglich, aber Tenanga war weise genug, etwas Schokolade für dich aufzuheben.«
»Ich bin mit allem zufrieden«, lächelte Maria, »es ist wundervoll, wieder in der Freiheit zu atmen. Wenn ich an die zurückliegenden Wochen denke« – ein Schauder überlief ihr noch immer blasses Gesicht. »Aber ich will jetzt nicht mehr daran denken. Zu meinem eigenen Unglück kam noch die Sorge um dich, Pablo. Es ist ein Wunder, daß du plötzlich da bist. Und ich weiß noch nicht einmal, wie du freikamst.«
»Später werde ich dir alles in Einzelheiten erzählen«, sagte Pablo, »wir werden noch viel Zeit haben, jetzt wird es gut sein, wenn wir bald aufbrechen.«
Aber er berichtete, während Maria aß, doch in kurzen Zügen von seinen Erlebnissen seit seiner Verschleppung durch Tamay. Er bemühte sich, die Dinge so harmlos und unbedeutend wie möglich hinzustellen, aber er konnte doch nicht verhindern, daß Marias Gesicht sich verdüsterte. Sie faßte schließlich seine Hand. »Es war wie ein böser Traum«, sagte sie leise, »wir wollen ihn vergessen. Er ist vorüber.«
Bald darauf brachen sie auf. Sie gingen das Tal entlang und begannen den Abstieg durch die Wasserrinne. Maria war noch sehr schwach, und ihre für solche Kletterpartien völlig ungeeignete Kleidung erschwerte ihr jeden Schritt. Aber die beiden jungen Männer hatten kräftige Arme, sie halfen dem Mädchen leicht über schwierige Stellen hinweg.
Auf der Felsterrasse angelangt, ruhten sie ein Weilchen und kletterten dann weiter zu Tale. Nach langwierigem, mühevollem und nicht immer ungefährlichem Abstieg erreichten sie schließlich die Felsenhöhle, vor der sie die Pferde zurückgelassen hatten. Den Braunen hatte Pablo selbst erzogen; er gehorchte ihm wie ein Hund. Sie sahen zunächst weit und breit nichts, und als sie das Tal eine Weile nach allen Seiten hin durchsucht hatten, legte Pablo zwei Finger an den Mund und ließ einen hellen, weithin schallenden Pfiff ertönen, den er nach einiger Zeit wiederholte. Gleich darauf hörten sie ein Schnauben, ein helles Wiehern und schnell sich näherndes Hufgetrappel. Der Braune kam heran, tänzelte und wieherte vor Freude.
»Oh, Pablo, das ist ja dein Presto«, rief Maria, »du reitest ihn schon wieder?«
»Ich war doch in del Roca. Für dieses Unternehmen hätte ich kein anderes Pferd brauchen können.« Er streichelte dem Braunen den Hals. »Dachte mir schon, daß du mir nicht davonlaufen würdest«, lächelte er, »ja, bist ein braves Tier. Und nun wirst du also einstweilen eine Dame tragen, was sagst du dazu? Kennst du die Dame noch?« Das Mädchen war herangekommen. »Presto«, sagte sie leise, »kennst du mich noch, Presto?« Presto wandte ihr den Kopf zu und sah sie aus seinen großen Augen an. Sie strich ihm sacht über die Nüstern. Tenanga, der sich weiter im Tal umgesehen hatte, kam kurze Zeit später zurück und führte sein Pferd an der Hand, das er ruhig weidend gefunden hatte. Sie holten die Sättel aus der Höhle und machten die Pferde fertig. Pablo schnürte den Poncho so geschickt auf den Sattel des Braunen, daß Maria nach Damenart reiten konnte und hob sie herauf, »Du bist leicht wie eine Feder«, lachte er. »Reite voraus und sieh dich nach Streiftrupps der Regierungsarmee um«, sagte er dann zu Tenanga, der bereits im Sattel saß. »Ich möchte nicht gerne mit Insurgenten in Berührung kommen; wir kommen langsam nach. Triffst du Regierungssoldaten, dann sage ihnen, daß die Enkelin des Generals Lerma, die Tochter Señor d'Iralas, ihres Schutzes bedarf.« Tenanga nickte und sprengte davon.
Pablo ergriff den Zügel des Braunen. »Fühlst du dich wohl, Mariquita?« fragte er.
»Das kannst du dir wohl denken«, lächelte das Mädchen. »Es hat mich ein bißchen mitgenommen, das kann ich nicht leugnen, aber meine Kräfte wachsen, du brauchst dir meinetwegen keine Sorgen zu machen.«
»Wir gehen zunächst zu einem Pueblo, in dem auch einige Weiße wohnen«, sagte Pablo, »dort wird man dir hoffentlich etwas zweckmäßigere Kleidung geben können.« Sie sprachen nicht viel unterwegs; Maria war doch matter, als sie selbst zugeben wollte. Als sie eben im Begriff waren, die Sierra zu verlassen, kam Tenanga zurück. »Wir haben aufständische Truppen vor uns«, berichtete er, »sie haben auch das Pueblo San Martino besetzt.«
»Das ist schlimm«, sagte Pablo bestürzt. »Damit wäre uns der Weg zu der Stellung der Regierungstruppen verlegt.«
»Ich habe auf meinem Ritt das Castillo einer großen Hazienda berührt«, sagte Tenanga.
»Gut. Wir werden sie aufsuchen müssen; wir können nicht endlos mit Doña Maria umherziehen. Abgesehen von ihrer unzureichenden Kleidung ist es viel zu gefährlich.«
»Ich weiß nicht«, sagte Maria, »seit ich bei euch bin, habe ich keine Angst mehr. Aber du hast vielleicht recht; ich würde euch hinderlich sein.«
Tenanga ritt einige hundert Schritte voran, und Pablo führte seinen Braunen behutsam über Wiesen und durch kleine Wälder, bis sie schließlich eine Straße erreichten, die zur Linken und Rechten von angebauten Feldern begrenzt wurde. Bald darauf erblickten sie auf einer kleinen Anhöhe das breit hingelagerte Herrenhaus einer großen Hazienda. Als sie näher heran waren, bat Pablo den Freund, einen Augenblick bei Maria zu bleiben und ging auf die Veranda des Hauses zu. Hier lag ein Herr in einer Hängematte; er hob den Kopf, als Pablo herankam. Der grüßte sehr höflich und fragte, ob er die Ehre habe, den Besitzer dieser Hazienda vor sich zu sehen.
»Wer bist du? Was willst du?« fragte der Mann in der Hängematte und sah Pablo halb verblüfft, halb mißtrauisch an.
»Ich komme, Ihre Gastfreundschaft für eine Señorita zu erbitten, die meinem Schutz anvertraut ist«, sagte Pablo, noch immer höflich, obgleich ihn der Ton des Mannes schon zu ärgern begann.
»Man sollte es nicht für möglich halten«, ließ sich jetzt eine scharfe weibliche Stimme vernehmen, und Pablo gewahrte jetzt erst eine reichlich füllige Dame, die in einer anderen Hängematte ruhte. »Diese Indios werden von Tag zu Tag frecher«, fuhr die Stimme fort, »und neuerdings scheinen sie sich auch schon wie die Caballeros herauszuputzen. Geh zu deinesgleichen, mein Junge, da drüben sind die Arbeiterwohnungen. Da wirst du schon ein Unterkommen finden.«
Pablo sah an sich herab. Seine Kleider waren durch die Strapazen und Klettereien der letzten Tage ziemlich mitgenommen; es mochte sein, daß er einen nicht besonders vertrauenerweckenden Eindruck machte, und es mochte weiter sein, daß sich allerlei Gesindel auf den Straßen herumtrieb. Dies bedenkend, blieb er weiterhin höflich. »Ich bin zwar kein Arbeiter«, sagte er, »aber es handelt sich auch gar nicht um mich. Es handelt sich um die Señorita Maria d'Irala, die Hilfe braucht.«
»Laß mich mit deinen braunen Señoritas zufrieden«, schrie jetzt der Mann. »Was fällt dir überhaupt ein, du Cochino, weiße Herrschaften mit deinen dreckigen Angelegenheiten zu behelligen! Wer bist du überhaupt?«
»Jedenfalls ein Mann von höflicheren Manieren als der Herr dieses Hauses«, sagte Pablo verächtlich, der seinen Zorn nun nicht mehr meistern konnte.
»Ein brauner Spitzbube bist du!« brüllte der Haziendero.
»Laß ihn davonpeitschen, Felipe, samt der Dirne, die er bei sich hat«, kreischte die Frau. »Das mag eine schöne Señorita sein.«
Aus dem Hause heraus näherten sich einige Peons, welche die lauten Stimmen der Herrschaft herbeigelockt haben mochten. Pablo wandte sich, seinen Zorn bezwingend, mit gelassener Verachtung ab. »Der Kerl ist ja bewaffnet; nehmt ihm die Büchse ab«, kreischte die Frau. Da hatte Pablo das Gewehr schon in der Hand. »Man mag sich in acht nehmen«, sagte er, die verblüfften Peons finster ansehend, »es würde Blut kosten.«
In diesem Augenblick kam Tenanga herangesprengt, der den Vorgang auf der offenen Veranda beobachtet haben mochte.
»Caracho!« schrie der Hausherr und richtete sich in seiner Hängematte auf, »das ist ja ein Überfall.«
»Laß es gut sein, Felipe«, beschwichtigte ihn die Señora, der plötzlich Bedenken kommen mochten, »es treibt sich jetzt so viel farbiges Gesindel mit Waffen herum, daß man froh sein muß, wenn man in seinem eigenen Hause unbelästigt bleibt. Laß den Burschen laufen.«
»Verschwinde, Cochino!« rief der Haziendero, »und das auf der Stelle.«
Pablo ging an den Peons vorbei; sein Gesicht war finster wie die Nacht. »Komm, Maria«, sagte er, den Braunen am Zügel ergreifend, »wir müssen weiter.«
»Aber warum denn? Was gab es denn da?«
»Ich hatte vergessen, daß ich ein roter Cochino bin. Ein Hund, den man in den Hundestall sperrt«, knirschte Pablo. Tenanga kam heran; sein Gesicht sah noch finsterer aus.
»Das ist entsetzlich«, flüsterte Maria, »du hättest mich gleich mitnehmen sollen, da hätten sie es nicht gewagt –«; Pablo preßte nur die Lippen zusammen. »Laß es gut sein, Mariquita«, sagte er nach einer Weile, während sie schon wieder unterwegs waren, »es ist einmal so. Aber sei versichert: es wird nicht so bleiben.«
Sie ritten auf der nach Osten laufenden Straße zwischen Feldern und kleinen Hainen langsam dahin; Pablo führte den Braunen. »Wenn ich dir nur ein Maultier beschaffen könnte, Mariquita«, sagte er nach einer Weile, »wir kämen sehr viel schneller vorwärts.«
Während sie ein kleines Wäldchen passierten, begegneten ihnen einige Reiter, die zwei Damen zu geleiten schienen. »Aus dem Weg, rotes Gesindel«, schrie einer der Caballeros.
»Halt Fernando, das ist ja ein weißes Mädchen, das der Peon da führt«, sagte ein anderer. »Sieht auch sonderbar genug aus«, brummte der erste.
Da ritt Maria auf die beiden Damen zu und sagte: »Darf ich Sie um eine Gefälligkeit bitten, Señoras. Ich bin Maria d'Irala, die Tochter Don Antonios.«
»D'Irala«, sagte eine der Damen verblüfft, »ich habe den Namen schon gehört. Wie sind Sie in diesen Aufzug geraten, Señorita?«
»Ich suche meinen Vater, der beim Heer des Conde ist.«
»Das – verstehe ich. Aber es erklärt noch nicht den sonderbaren Zustand, in dem Sie sich befinden.« Sie musterte den rauhen, verwitterten Poncho, der das Mädchen einhüllte, die sonderbare Art der Sattelung.
»Unsere Hazienda del Roca ist abgebrannt, und ich bin entführt worden«, sagte Maria leise, »dieser Caballero« – sie wies auf Pablo – »hat mich gerettet.«
»Caballero ist gut!« lachte einer der begleitenden Männer. »Wie verhält sich das, mein Junge?« wandte er sich an Pablo.
»Genau so, wie die Señorita sagt«, entgegnete Pablo lakonisch.
»Verdammt kurz angebunden, der braune Prinz.«
Ein anderer der männlichen Begleiter kam heran. »Ich kenne Señor d'Irala«, sagte er, »er hat eine Tochter.«
»Ich werde die Kleine mitnehmen«, erklärte in plötzlichem Entschluß die ältere Dame zu dem Herrn, der zuerst gesprochen hatte, »sie scheint in jedem Fall guter Abkunft zu sein.«
»Meinetwegen«, brummte der, offenbar nicht sonderlich erfreut. Und sich Pablo und seinem Begleiter zuwendend: »Macht euch fort, Indios! Die Señorita geht mit uns.«
»Aber nicht ohne Pablo«, sagte Maria jetzt ruhig und fest. »Er ist mein Pflegebruder, und ich trenne mich nicht von ihm.«
Der Mann lachte kurz auf. »Da hörst du's, Juana«, sagte er, »laß die Bande laufen, die Señorita samt ihrem braunen Kavalier. Man hat nur Ärger von solchen Geschichten, zumal in den jetzigen Zeiten. Wie sollte ein Fräulein d'Irala wohl in solchem Aufzug hier inmitten zweier brauner Halunken auf die Straße kommen. Schwindler sind's, und wer weiß, was sonst noch. Kommt.«
Die Damen schienen nicht ganz sicher; Maria fing einen teilnehmenden Blick der älteren Señora auf; aber sie ritten davon. Maria war dem Weinen nahe, und die beiden Indianer machten Gesichter, daß man sich vor ihnen fürchten mochte.
»Wir gehen weiter, Pablo«, sagte Maria und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. »Ich lerne allerlei. Ich habe die Menschen nicht gekannt.« Pablo schwieg, und sie setzten ihren Weg fort, immer sorgfältig nach etwa auftauchenden Truppen ausschauend. Sorgenvoll dachte Pablo an die Nacht. Maria war schwächer als sie wahrhaben wollte, und es schien ihm nicht ungefährlich, eine Übernachtung irgendwo im Freien zu wagen. Als sie deshalb gegen Abend wieder das Herrenhaus einer Hazienda erblickten, überwand er seinen Widerwillen, seinen Grimm und den schon inwendig schwelenden Haß und ging auf das Haus zu.
Er traf den Haziendero mit Frau und Kindern auf der Veranda und näherte sich, den Hut in der Hand, mit höflichem Gruß.
»Was willst du, Indio?« fragte der Mann.
»Ich bitte um Gastfreundschaft für die Señorita Maria d'Irala.«
»Für die Señorita d'Irala?« rief überrascht die noch junge Señora, »die Tochter Don Antonios?«
»Sehr wohl, Señora. Für die Tochter Don Antonios.«
»Wie kommt das Kind hierher?«
»Das ist eine lange und nicht eben heitere Geschichte, Señora«, versetzte Pablo, »Doña Maria mag sie Ihnen selber erzählen.«
»Wo ist sie? Ich habe sie als Kind auf del Roca gesehen, sie und den braunen Jungen, den Don Antonio seinerzeit zusammen mit ihr aus der See gerettet hat. Oh, Ricardo«, wandte sie sich an ihren Mann, »laß sie gleich kommen. Ihre Mutter, Doña Inez, ist mir seit vielen Jahren bekannt.«
»Bring die Señorita her, mein Junge«, sagte der Haziendero. Pablo ging und kam gleich darauf mit Maria wieder.
Der Señor und die Señora Avila waren höchlichst befremdet über den sonderbaren Aufzug, in dem sie die junge Dame erblickten. Aber die Señora sah vor allem doch das blasse Gesicht, die umschatteten Augen und die Mattigkeit, mit der das Mädchen daherkam. »Komm her, mein Kind«, sagte sie, »wie bist du in diesen entsetzlichen Zustand geraten?«
Und nun konnte Maria sich nicht mehr halten; es war alles doch ein bißchen viel gewesen. Sie sank in einen Sessel und schlug die Hand vor das Gesicht; ihre Schultern zuckten. »Beruhige dich, beruhige dich doch nur, du bist ja nun in Sicherheit«, sagte die Señora und legte ihr sanft den Arm um die Schulter.
»Wo kommt ihr denn nur her?« fragte der Hausherr Pablo.
»Von der westlichen Sierra.«
»Das ist doch wohl nicht möglich!«
»Doña Maria war von dem Jäger Don Antonios aus Rache entführt und verschleppt worden, möglicherweise auch, um ein Lösegeld zu erpressen. Mein Gefährte dort und ich haben sie befreit.«
»Bist du etwa der Indio, den Don Antonio im Hause hatte?«
»Der bin ich, Señor.«
»Ausgezeichnet, mein Junge.« Der Haziendero sah Pablo nicht ohne Wohlgefallen an. »Brav, daß du deinen Wohltätern gegenüber so dankbar und anhänglich bist. Such dir irgendwo auf der Hazienda ein Unterkommen und laß dir zu essen geben; wir reden morgen weiter.« Die Señora war mit Maria bereits ins Haus gegangen, und der Haziendero folgte ihnen nun.
Da stand nun der letzte Sproß eines uralten Königsgeschlechtes, der Haziendero Pablo-Diego Reynador, und durfte sich und seinem Gefährten in der Gesindeküche ein Essen und bei den Dienern und Arbeitern ein Nachtlager suchen. Er atmete schwer, und der Haß in ihm wuchs. Mit einer schroffen Gebärde wandte er sich zu Tenanga um: »Wo bleiben wir diese Nacht?«
Tenanga sah ihn betroffen an: »Bleiben wir denn nicht hier?«
»Nein«, knirschte Pablo.
»In der Nähe ist ein Pueblo. Dort wird man uns aufnehmen.«
»Laß uns reiten.« Pablo verließ die Veranda und saß gleich darauf im Sattel, von dem er den zusammengerollten Poncho entfernt hatte. Er fühlte nach seiner Börse; an Geld fehlte es ihm nicht. Sie fanden das Pueblo und auch eine Posada.
»Seid ihr Soldados?« fragte der Posadero ein wenig mißtrauisch.
»Nein. Sind Soldados in der Nähe?«
»Oh, nahe genug. Sie waren schon mehrmals hier, um zu fouragieren. Sie nehmen alles, was sie finden, ohne zu fragen.«
»Was weiß ich! Ladrones jedenfalls!« brummte der Wirt.
Sie aßen und legten sich zur Ruhe. Pablo war glücklich, Maria in guter Obhut zu wissen, aber der fressende Grimm raubte ihm lange den Schlaf.
Am anderen Morgen machten sie den Versuch, sich bessere Kleidung zu verschaffen, aber das war aussichtslos. In dem Pueblo war nichts aufzutreiben. Pablo ging es jetzt, da er Maria geborgen wußte, vor allem darum, Don Antonio von der Rettung des Mädchens zu benachrichtigen und ihm ihren gegenwärtigen Aufenthalt mitzuteilen. Mit großer Überwindung entschloß er sich schließlich, die Hazienda Avilas noch einmal aufzusuchen, um sich von Maria zu verabschieden.
Er betrat, während Tenanga draußen wartete, die Veranda und bat einen Diener, ihn zu melden.
Der Diener sah ihn von oben bis unten an. »Indios werden nicht gemeldet«, sagte er, »sie warten in der Küche oder im Patio.«
Pablos Blut kochte; er machte unwillkürlich einen Schritt auf den Peon zu, bezwang sich indessen Marias wegen. Er rührte sich nicht von der Stelle und machte eine so drohende Miene, daß der Diener davonschlich. Er mußte sehr lange warten, bis die Señora zufällig auf der Veranda erschien. Sie sah ihn erstaunt an. »Nun?« fragte sie, »was führt dich her?«
»Ich will mich von Doña Maria verabschieden.«
»Sie ist krank und fiebert«, erwiderte die Dame, »ich habe bereits nach dem Arzt geschickt. Ich werde ihr sagen, daß du da warst.«
Das Du, das ausschließlich seiner Farbe galt, trieb ihm das Blut in den Kopf. Er zwang die Erregung nieder und sagte mit kalter Höflichkeit: »Ich fürchte, Doña Maria würde es schmerzlich empfinden, wenn ich ohne Abschied davonritte.«
»Schmerzlich empfinden?« Die Dame lächelte sonderbar.
»Wir sind Gespielen seit früher Jugend. Außerdem hat Doña Maria ihrem Vater möglicherweise etwas zu bestellen. Vielleicht gestattet die Señora doch eine Anfrage bei Doña Maria selbst.«
Die Señora zuckte die Achseln, aber sie schickte eine Dienerin hinein, die bald darauf mit der Meldung zurückkam, daß die Señorita sich freuen würde, Don Pablo zu sehen. Die Señora zuckte bei dieser Meldung zusammen, erwiderte aber nichts. Sie wies die Dienerin an, Pablo zu führen, der bald darauf Maria gegenüberstand, die auf einem Sofa lag und ihm lächelnd die Hand entgegenstreckte. Er ergriff die Hand und fühlte nach ihrem Puls. Sie hatte ein wenig Fieber, es erschien aber nicht weiter beunruhigend.
»Ich komme, um vorläufig Abschied zu nehmen, Maria«, sagte Pablo. »Ich will sehen, so schnell wie möglich Don Antonio zu erreichen. Auch Doña Inez muß sobald als möglich erfahren, daß sie sich deinetwegen nicht länger grämen muß.«
»Ja, tue das«, sagte das Mädchen. »Grüße die Eltern von mir und sage ihnen, daß ich es hier gut habe. Die Señora tut mir alles zuliebe. Grüß auch – – meinen Großvater. Ich kann mich immer noch nicht daran gewöhnen, daß ich einen richtigen Großvater habe. Grüße ihn sehr herzlich; ich mag ihn sehr gern.«
Pablo durchzuckte es; er hielt Lerma für tot, aber er mochte das jetzt nicht sagen; Maria mußte erst kräftiger werden. »Ich werde alles bestellen«, sagte er leise.
Die Señora trat ein und streifte die Szene mit einem seltsamen Blick. »Doña Maria braucht Ruhe«, sagte sie, und sinngemäß hieß das nichts anderes als: mach, daß du endlich herauskommst! Pablo stand auf und reichte dem Mädchen die Hand. »Du wirst bald wieder bei den Deinen sein, Mariquita«, sagte er, »dann werden wir viel zu erzählen haben.« Er nickte ihr noch einmal zu, grüßte die Señora mit einer kurzen, kalten Verbeugung und entfernte sich.
Auf der Veranda saß, als er heraustrat, der Haziendero, ein Mann in den mittleren Jahren. »Na, mein Junge«, fragte er, »hast du dich von deiner Herrin verabschiedet?«
»Von meiner Freundin, ja!« sagte Pablo kalt. Der Haziendero sah ihn befremdet an, sagte aber nichts. »Kann ich dir mit irgend etwas behilflich sein?« fragte er schließlich.
Pablo überwand sich. »Ich wäre recht dankbar, wenn ich etwas Kleidung bekommen könnte«, sagte er, »die meine ist durch die Irrfahrten, die hinter mir liegen, ziemlich mitgenommen.«
»Ich werde dem Majordomo Befehl geben, dir einen Arbeiteranzug auszuhändigen«, sagte der Mann. Und auf Pablos hochmütig erstarrenden Blick: »Ja, Caballeroanzüge habe ich für Indios nicht. Da, steck die halbe Unze ein«, setzte er hinzu, ihm eine Goldmünze vor die Füße werfend.
In Pablos Augen flimmerte es gefährlich; alle Muskeln seines schönen Gesichtes waren gespannt. »Ich weiß nicht«, sagte er, »wie ich dazu komme, von Señor Avila auf diese Weise behandelt zu werden. Meine Hazienda dürfte die Ihre an Umfang übertreffen. Und als ihre Vorfahren noch Straßenräuber waren und arme Indios bestahlen, herrschten die meinen als Könige in diesem Land.« Er wandte dem wie versteinert dasitzenden Manne den Rücken und ging zu seinem Pferd, das Tenanga draußen am Zügel hielt.
Der Haziendero kam zu sich; er war blaurot im Gesicht und hatte mit einem Erstickungsanfall zu kämpfen. »Na, warte, Canaille«, rief er dem Abreitenden hinterher, »wäre das kranke Mädchen nicht, ich würde dir das Fell gerben lassen, daß du beim bloßen Gedanken daran zukünftig vor jedem Caballero auf die Knie fallen solltest.«
In tiefer Erbitterung ritt Pablo schweigend dahin. Es war ein bißchen viel an Demütigung, was er in so kurzer Zeit hatte erdulden müssen. Gleichwohl, sprach er in sich hinein, nicht alle Menschen sind gleich, auch nicht alle Weißen. Ich will Maria und Don Antonio gegenüber meine Pflicht erfüllen. Damit aber ist alles getan; hinfort will ich nichts mehr mit den Blancos zu schaffen haben.
Die beiden Jünglinge mußten auf ihrem Weg große Vorsicht aufbieten, um den herumschweifenden Scharen der Aufständischen zu entgehen. Ihrer Vorsicht und Klugheit gelang es schließlich; am Abend des dritten Tages näherten sie sich den Vorposten der Regierungstruppen. Ein glücklicher Zufall wollte es, daß sich unter den ersten Wachen, die sie anriefen, ein Mann befand, der bei dem Reitergefecht dabei gewesen war, als Pablo an der Seite Don Antonios focht.
»Ah, du bist das«, rief der Mann erfreut, »willst du Dienste bei uns nehmen? Dich können wir gut gebrauchen.«
»Ich suche Don Antonio d'Irala«, antwortete Pablo, »ich habe ihm wichtige Nachrichten zu bringen.«
»Das triffst du leider schlecht. Der Capitano ist nicht im Lager, er ist seiner Señora entgegengeritten. Aber wenn du wichtige Nachrichten hast, will ich dich zum Hauptquartier führen lassen. Dann kannst du deine Mitteilungen dem General Callego oder dem Conde selbst machen.«
»Dem Conde?« fragte Pablo überrascht, »er lebt also?«
»Gott sei Dank, lebt er. Er ist völlig wiederhergestellt. Der Halunke hatte seinen Kopf nur gestreift.«
»Lassen Sie mich hinführen«, sagte Pablo erregt, »den General werden meine Mitteilungen nicht weniger erfreuen als Don Antonio.«
Pablo und Tenanga wurden nun unverzüglich zu dem Hauptgebäude einer Hazienda geführt, in dem General de Lerma sein Quartier hatte. Überall waren Truppen gelagert, und selbst der Patio des Hauses wimmelte von Soldaten aller Waffengattungen.
Der begleitende Lancero übergab Pablo einem diensttuenden Sergeanten mit einigen empfehlenden Worten über seine Tapferkeit bei einem unlängst stattgefundenen Reitergefecht, und dieser führte ihn in das Haus zu einem der Adjutanten des Generals.
»Was bringst du, Bursche?« fragte der Offizier.
»Eine Privatmitteilung für Seine Excellenza.«
»Excellenza sind jetzt nicht zu sprechen. Kannst du mir die Mitteilung nicht machen?«
Pablo, verstimmt, daß er Don Antonio nicht angetroffen hatte, und verletzt von dem geringschätzigen Verhalten des Offiziers, beschloß, sich seines Auftrages unverzüglich zu entledigen. »Ich bringe Excellenza die Nachricht, daß seine Enkelin, die Pflegetochter des Señor Antonio d'Irala, durch mich und meinen Begleiter ihren Entführern entrissen wurde. Die Señorita befindet sich zur Zeit auf der Hazienda Padiado bei Señor und Señora Avila, unweit des Pueblo San Urbano.«
»Oh«, sagte der Offizier, »das wird Excellenza sehr erfreuen, die Nachricht will ich ihm in den Kriegsrat bringen. Hast du sonst etwas vom Feinde gesehen?«
»Nein, ich bin seinen Streifscharen aus dem Wege gegangen.«
»Selbstverständlich. Warte. Ich bin gleich wieder zurück.«
Der Adjutant ging, und Pablo blieb zwischen Offizieren und Ordonnanzen zurück. Einer der Offiziere klopfte ihm wohlwollend auf die Schulter und sagte: »Wie wär's, mein Junge, willst du dich nicht anwerben lassen?«
»Ich bitte Sie, mich nicht zu berühren«, sagte Pablo ruhig.
Der Offizier, verblüfft zunächst, trat einen Schritt zurück. »Oh«, lachte er dann – Pablos hochmütig verschlossenes Gesicht amüsierte ihn offenbar – »ein roter Hidalgo! Tausendmal um Verzeihung, Euer Gnaden!«
Ringsumher wurde gelacht.
Pablo knirschte mit den Zähnen. Er hatte alle Kraft seines Herzens nötig, um ruhig zu bleiben.
Der Adjutant kam zurück. »Excellenza läßt dir sehr danken, mein Junge«, sagte er, »aber er war bereits durch den Señor Avila benachrichtigt worden. Excellenza wird nicht verfehlen, dir seinen Dank in gebührender Form auszudrücken. Von mir nimm einstweilen diese paar Pesos.« Und er wollte ihm einige Geldstücke reichen.
Pablo lächelte die Hand mit den Geldstücken an. »Ich bin kein Peon, Señor«, sagte er leise.
»Hm«, – der Offizier schien verblüfft, doch seine gute Laune überwog, »immerhin wirst du ein tüchtiger Lancero werden«, sagte er.
»Ist die Stelle eines Colonels frei?« fragte Pablo mit eisigem Lächeln.
Der Offizier bekam einen roten Kopf. »Mein Junge, der Ton gefällt mir gar nicht«, sagte er, »dergleichen sind wir hier nicht gewöhnt. Du wirst morgen als Reiter eingestellt«, sagte er abschließend.
»Und das wäre also der Dank dafür, daß ich Don Antonio d'Irala im Gefecht herausgehauen habe und mit Lebensgefahr die Enkelin des Generals aus Banditenhänden befreite?« Er konnte sich fast nicht mehr beherrschen.
»Ach so, du bist der braune Junge, der bei Don Antonio so eine Art Leibdiener war?«
»Ich bin der Pflegesohn Don Antonios, Señor, und außerdem bin ich ein Bürger dieses Landes, der Haziendero Pablo Reynador. Und mein Geschlecht, Señor, dürfte älter sein als das aller spanischen Hidalgos.«
»Ja, das ist ein zimtfarbener Caballero, Don José«, schaltete sich der Offizier ein, der Pablo vorhin auf die Schulter geklopft hatte, »mit dem muß man fein säuberlich umgehen.« Und wieder lachte alles ringsumher. »Wir werden uns verdammt daran gewöhnen müssen, alle rothäutigen Caballeros zu respektieren«, sagte der Offizier noch.
»Kann ich mich nun entfernen, Señores?« fragte Pablo.
»Du bleibst zur Verfügung seiner Excellenza«, sagte der Adjutant. »Warte draußen, bis man dich ruft.«
Pablo ging hinaus. Grimm und Haß in ihm konnten nun nicht mehr steigen; hätte er in diesem Augenblick alle Weißen vernichten können, er hätte es getan. Er suchte Tenanga und fand ihn, da es inzwischen dunkel geworden war, erst nach einiger Zeit. »Wir müssen fort, Tenanga«, raunte er, »kannst du mich zum Lager hinausführen?«
»Das dürfte schwerfallen, Herr, es stehen überall Posten.«
»Mögen sie auf mich schießen«, knirschte der Junge. »Ich will lieber tot sein, als mich noch länger von diesen Narren verhöhnen lassen.« Sie stiegen auf die Pferde und ritten davon; niemand hinderte sie zunächst. So näherten sie sich schließlich der Grenze des Lagers. »Komm hinter das kleine Gehölz hier«, raunte Tenanga, »hier möchte es leichter sein, durch die Posten zu kommen.« Sie verhielten eine Weile lauschend. Sie hörten den nahen Anruf einer Schildwache, der aber nicht ihnen gelten konnte.
»Wer da?«
»Freund.«
»Wohin?« »Zum Lager hinaus. Dienst.«
»Parole?«
»Compeador.« Das Wort wurde leise gesagt, aber Pablo hatte es verstanden.
»Passiert!« sagte der Posten. Der Angerufene ritt weiter.
»Komm, Tenanga«, flüsterte Pablo, »jetzt kommen wir durch. Ich habe das Wort.«
Tenanga begriff überhaupt nicht, was der andere meinte, aber er war es gewöhnt, schweigend zu gehorchen. Er führte Pablo mit Sicherheit an die gleiche Stelle, wo sie vorher hereingekommen waren.
»Wer da?« klang es ihnen entgegen.
»Freunde.«
»Laßt euch einmal besehen.« Ein Lancero kam herangeritten und sah sie an. »Oh«, sagte er, »ihr seid die Indios, die vorhin ins Lager kamen.«
»Ja, Señor.«
»Wo wollt ihr hin?«
»Dem Capitano d'Irala entgegenreiten.«
»Aber ihr müßt die Parole haben.«
»Compeador!« flüsterte Pablo ihm zu.
»In Ordnung. Reitet.«
Sie waren durch. Aber sie waren noch nicht weit gekommen, als sie zu ihrer Seite eiligen Hufschlag vernahmen, gellenden Anruf der Wachen, peitschende Schüsse. Unweit von ihnen sank ein Reiter vom Pferd, das entsetzt weiterjagte.
Der Gefallene mußte sie gesehen haben. »Helft mir«, stöhnte er. Pablo ritt hin und beugte sich nieder. Er sah in das verzerrte Gesicht Louis Mendez'.
»Oh, Ihr seid es«, sagte er kalt, »hat Euch endlich die Gerechtigkeit ereilt?«
Sie ritten weiter, während die Posten schon näherkamen. Sie hörten noch, wie der eine der Männer sagte: »Der ist fertig.«
Dann gaben sie ihren Pferden die Sporen und ritten in die Nacht hinein, um irgendwo fern vom Lager ein Obdach zu suchen.
Zur gleichen Zeit herrschte innerhalb des Lagers große Erregung. Chamulpo hatte, wie man soeben erfuhr, sich für Sarmiento erklärt und war mit dreitausend Mann zu ihm gestoßen. Das war für die Sache der Regierung ein kaum zu verwindender Schlag.
In der Sala des Hauses saß der Conde mit seinem Stabschef und einer Reihe höherer Offiziere beisammen, um über die Lage und die nun zu ergreifenden Schritte zu beraten.
»Es war vorauszusehen«, sagte Lerma. »Der Kerl weiß, daß wir schwach sind, und außerdem hat Sarmiento für den Fall seines Sieges mehr zu bieten als wir. Die Konfiskation unserer Güter gibt ihm die Mittel zur Belohnung. Meine Pflanzung am Jacinto wird Herrn Chamulpo sehr gelegen kommen. Was beginnen wir nun? An einen Vorstoß ist jetzt nicht mehr zu denken.«
»Durch Chamulpos Eingriff sind wir wieder auf die Defensive angewiesen«, bemerkte Callego. »Ich habe bereits Befehl erteilt, unseren linken Flügel zurückzunehmen. Sarmiento hat Chamulpo mit seinen Räuberhorden auf seinem rechten Flügel postiert. Wir müssen mit einem Angriff schon für morgen rechnen.«
»Das Geschick geht hart mit unserem Lande um«, sagte Lerma bitter, um gleich darauf wieder sachlich zu werden. »Ich möchte annehmen, daß wir nach Stellung und Zahl einen Angriff abweisen könnten«, sagte er, »dennoch bin auch ich für vorsichtigen Rückzug, sonst werden wir überflügelt und haben den Feind im Rücken.«
Der Adjutant betrat hastig den Raum. »Ein Bote vom Norden«, meldete er.
»Vom Norden? Regt es sich da auch? Lassen Sie den Mann eintreten.«
Ein bestaubter Vaquero erschien gleich darauf, ein Mann in mittleren Jahren, von Wind und Wetter gebräunt.
»Was bringst du?«
»Hier Excellenza. Ein Brief von Señor Romero.« Er überreichte ein Schreiben.
»Wer bist du?«
»José Manor, ein Vaquero«, sagte der Mann.
Lerma sah ihn prüfend an. »Ich kenne dich doch?«
Der Mann strahlte: »Ich habe unter Euer Excellenza gedient.«
Der General lächelte und erbrach den Brief; er las ihn halblaut vor. Das Schreiben lautete:
»Ich möchte Eure Excellenza darauf aufmerksam machen, daß die Mayas des Nordens in starker Zahl und großer Eile zusammenströmen und nach Süden ziehen. Soviel ich erkunden konnte, treten sie bisher in einer Stärke von acht- bis zehntausend Mann auf und werden von General Arana geführt. Sobald ich weitere Nachrichten erhalte, teile ich sie unverzüglich mit. Euer Excellenza ergebener Romero.«
Die Männer saßen wie zerschlagen; das Papier in Lermas Hand zitterte.
»Der Brief ist drei Tage alt«, sagte der General schließlich zu dem Boten gewandt.
»Ich bin in größter Eile geritten, Excellenza, aber ich mußte die Streifscharen der Aufständischen in einem großen Bogen umgehen und wäre um ein Haar doch noch in ihre Hände gefallen. Der Kazike Chamulpo ist ins Feld gerückt und hat seine Indios weit auseinandergezogen.«
»Arana rückt mit achttausend Mann heran?«
»Er muß jetzt schon ganz nahe stehen.«
»Weißt du selbst noch Näheres?«
»Ich weiß, daß die Mayas in drei großen Heerhaufen über die Sierra de los Minas gezogen sind. Das erfuhr ich noch, ehe ich abritt.«
»So kommen sie über Tecpam gerade in unsere Flanke«, bemerkte Callego.
Ein weiterer Bote wurde gemeldet. Er brachte von einem der Regierung ergebenen Haziendero die Mitteilung, daß General Arana mit sehr starker Macht in Tecpam eingetroffen sei und sich in Eilmärschen nach Süden bewege.
Der Conde war blaß. Als er langsam den Kopf hob, war sein Gesicht grau. »Das ist der Untergang des Vaterlandes, Señores«, sagte er still. »Da wir über diese nördlichen Stämme nur dem Namen nach herrschen und ihre Unabhängigkeit eigentlich nie angetastet haben, durfte man von ihnen mindestens Neutralität erhoffen, wenn sie nicht die Sache der Regierung ergriffen. So ist es diesem Chamulpo also doch gelungen, sie in Bewegung zu setzen.«
Allen war klar, daß einer solchen Machtanhäufung nicht zu widerstehen war. Die Bergmayas galten allgemein als vorzügliche und gut disziplinierte Krieger.
»Darf ich mir ein Wort erlauben, Excellenza?« fragte der zweite Bote.
»Sprich.«
»Ich habe dies und das gehört, weiß nicht, was daran ist. Die Mayas sollen sagen, Excellenza habe ihren jungen König gefangen genommen. Sie kämen, um ihn zu retten oder zu rächen.«
Lerma sah ihn verblüfft an. »Ihren jungen König?« murmelte er, »was heißt das denn? Mein Gott!« er schlug sich mit einer schnellen Bewegung der flachen Hand vor den Kopf. »Ich ahne es, glaube ich«, sagte er, und sich an den Adjutanten wendend: »Wo ist der junge Mensch, der mein Enkelkind aus den Händen der Bandidos rettete und den ich deiner Fürsorge empfahl?«
»Ich werde sogleich nachsehen, Excellenza.« Der Offizier ging. »Diesen König der Mayas haben wir ja hier«, sagte der General, sich im Kreise umsehend. »Machen Sie nicht so verblüffte Gesichter, es ist das eine sonderbare Geschichte. Es handelt sich um einen braunen Jungen, der zusammen mit meiner Enkelin erzogen wurde. Er ist ein Nachkomme der alten Mayakönige, und Sie wissen ja, was das bei den Indianern bedeutet. Er soll ein kluger und kühner Junge sein. Ich kenne die Indios und ihre Mentalität. Und ich zweifle nicht, daß es uns mit Hilfe dieses jungen Mannes, der meinem eigenen Hause durch meine Enkelin nahesteht, gelingen wird, dieser neuen Gefahr zu begegnen. Ich hätte ihn gefangen? Ah, das hängt damit zusammen, daß irgendein Narr behauptet hatte, er habe auf mich geschossen. Das hat sich dann schnell aufgeklärt.«
»Bitte, Señores«, – er wandte sich sehr ernsten Gesichtes den Offizieren zu, »behandeln wir den jungen Herrn mit denkbarster Höflichkeit; Sie ahnen nicht, wie empfindlich ein Indianer sein kann. Aber ich müßte mich sehr täuschen, wenn das Schicksal des Vaterlandes in diesem Augenblick nicht in der Hand dieses Jünglings liegt. Die nördlichen Bergmayas hängen mit unwandelbarer Treue an ihrem alten Königsgeschlecht, und ich bin überzeugt, ein Wort dieses Jünglings genügt –«
Der Adjutant kam bestürzt und sichtlich verlegen zurück. »Excellenza«, sagte er, »der junge Mensch ist nirgends zu finden; aller Wahrscheinlichkeit nach hat er das Lager verlassen.«
»Sagten Sie ihm nicht, daß ich ihm nach dem Kriegsrat für die Befreiung meiner Enkelin persönlich zu danken gedächte?«
»Gewiß, Excellenza.«
»Und trotzdem –? Ich will nicht hoffen, daß beleidigender Übermut meiner Herren Offiziere den jungen Mann vertrieben hat? Es könnte verhängnisvoll für die Zukunft des Landes werden.«
Der Adjutant schwieg; er schien sehr betroffen.
Mit der Bemerkung, daß man weitere Nachrichten über die Stellung der Mayas abwarten müsse, ehe weitere Entschlüsse gefaßt werden könnten, hob Lerma den Kriegsrat auf.