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Sechstes Kapitel.

Am Lagerfeuer.

Hell schien die Sonne auf eine ausgedehnte Eichenlichtung hernieder und grüßte unsre Freunde, welche dieselbe langsam durchzogen. Eine anmutige Gegend war es, welche sich dem Auge der Reisenden darbot, Gehölze, Lichtungen, Teiche und kleinere Seen, welliger Boden und grasbewachsene Ebenen, oftmals von einem sanft hinfließenden Bach durchschnitten, gewährten reiche Abwechselung.

Die Gewässer waren belebt von Wasservögeln aller Art, dann und wann wurde im hohen Grase ein Bock flüchtig, den die kleine Karawane aus seiner Ruhe aufgestört hatte, oder der Schrei eines Raubvogels tönte aus hoher Luft hernieder und unterbrach die feierliche Stille, welche auf allem ruhte. Kein Singvogel ließ sich hören, denn der lebt nur an den Grenzen der endlosen Wälder und traut sich nimmer in deren Tiefe.

So schweigsam wie alles ringsum zogen auch die Männer einher, welche hier inmitten der Wildnis ihren Pfad nach Nordosten suchten.

Voran ging der Indianer, die Büchse im Arm, welche ihm Jones vor Wochen geschenkt hatte, und ließ seine Falkenaugen umherschweifen.

Hinter ihm folgten Graf Edgar und Heinrich in der Tracht, in der wir sie bereits bei ihrem Erscheinen in Grovers Hause geschildert haben.

Den Schluß des Zuges bildete ein breitschulteriger Geselle mit frischem, gutmütigem Gesicht, gekleidet in eine Friesjacke, kurze Beinkleider und Gamaschen, der ein bepacktes Maultier am Zügel führte.

Außer ihm trugen alle Waffen, Büchse, Hirschfänger, Messer, er führte nur den gewichtigen Stock, wie er dem irischen Landmann eigentümlich ist und ihm gelegentlich als furchtbare Waffe dient, als Ausrüstung.

Graf Edgar hatte auf der Agentur, welche etwas oberhalb der Mündung des Manistee errichtet war, um welche sich bereits ein kleines Städtchen zu erheben begann, welches den bescheidenen Namen Neulondon führte, seine Einkäufe gemacht, um die Häuptlinge der Ottawas zu beschenken, sich auch von dem Agenten, einem einsichtsvollen und wohlwollenden Mann, sowohl über seinen Weg, als über die Verhältnisse bei den Ottawas möglichst instruieren lassen.

Zu den Pferden, welche er an Bord des Dampfers mitgeführt hatte, erwarb er noch ein Maultier, um das durch die Geschenke ansehnlich vermehrte Gepäck zu tragen, und nahm auf die Empfehlung des Agenten einen Irländer an, um das Saumtier zu führen, welcher den hochtrabenden Namen O'Donnel führte.

Der Mann war ihm von dem Agenten als zuverlässig und treu geschildert worden, und da sein derbes, gutmütiges Aeußere die Empfehlung unterstützte, nahm ihn der Graf für seine Expedition ins Innere in Dienst.

Michael, ein untersetzter, äußerst kräftiger Bursche, der im Alter von siebenundzwanzig bis achtundzwanzig Jahren stehen mochte, war ein echter Sohn der grünen Insel und erwies sich auf ihrer bisherigen Fahrt als willig und von unverwüstlich guter Laune.

Er weilte noch nicht lange in den Vereinigten Staaten, war Arbeit suchend an den Manistee verschlagen worden und trat, da es ihm an einer Existenz fehlte, gern in des Grafen Dienste.

Während ihm dieser durch seine vornehme und doch leutselige Weise sowohl imponierte wie auch seine Zuneigung gewann, hatte Michael eine unüberwindliche Scheu vor dem Indianer, dessengleichen er bisher noch nicht erblickt hatte, was dem Grafen und Heinrich öfters ein Lächeln abnötigte, von Athoree aber gar nicht bemerkt zu werden schien.

Schweigend zogen sie noch eine Weile den nicht unmühsamen Weg fort, während die Strahlen der Sonne schräger und schräger fielen.

Die ersten Tage ihrer Reise hatten sie noch zu Pferde zurückgelegt, dann aber diese als auf dem durchschnittenen Boden und in dem hohen Grase mehr hinderlich als fördersam bei einem einsam wohnenden Farmer zurückgelassen, mit dem Ersuchen, sie gelegentlich dem Agenten am Manistee zuzusenden, von dem Edgar infolge des Empfehlungsschreibens Mister Myers' sehr freundlich aufgenommen worden war.

Um die Richtung ihres Weges zu finden, hatte sich Graf Edgar anfangs seines Kompasses bedient, dann aber die Führung ganz Athoree überlassen, der ein sichererer Wegweiser war als die Magnetnadel, welche im dichten Walde sich bald als nutzlos für die Marschbestimmung erwies, da sie jeden Augenblick befragt werden mußte und im nächsten Moment keine Gewähr für die Einhaltung der Richtung bot. In der Ebene, wo man weit entfernte Punkte ins Auge fassen und seinen Marsch, nachdem ihre Lage nach dem Kompaß bestimmt ist, nach ihnen richten kann, ist dies etwas andres.

Der Indianer hatte seine untrüglichen Kennzeichen an Baum, Busch, Wasserlauf und am Stande der Sonne, um die Reisenden, soweit es der Boden erlaubte, in fast gerader Richtung nach Nordost bis zum Baercreek zu führen, dessen Laufe sie zu folgen hatten, um zu den Dörfern der Ottawas zu gelangen.

»Die Sonne sinkt, Athoree,« redete der Graf den schweigend vor ihm einherschreitenden Indianer an, »und der Marsch, den mir zurückgelegt haben, war lang, wollen mir nicht das Lager beziehen?«

»Gut. Gehen noch bis Wald,« und er deutete auf den noch eine Meile entfernten dichten Waldsaum, »denke, dort schlafen.«

»Wie du meinst, ich folge deinem Rate.«

Der Graf blieb stehen und wartete, bis der Irländer mit seinem Maultier kam.

»Nun, Michael,« redete ihn der Graf freundlich an, denn er hatte Wohlgefallen an dem gutmütigen Burschen gefunden, »wir sind müde, was?«

»Gar nicht. Euer Gnaden, gar nicht, meiner Mutter Sohn läuft noch zehn Meilen und geht dann zum Tanze, Euer Gnaden; wenn ich nur das Beest nicht an der Hand hätte.«

»Hast du wieder viel Last mit ihm gehabt, Michael?«

»Heute ging's. Euer Gnaden, ich habe dem Vieh hie und da mit meinem Shilallah zugeredet, wenn es gar zu störrisch war, und das half. Das Tier will immer seinen eigenen Weg gehen, und oftmals bleibt's stehen, und meiner Mutter Sohn kann's kaum von der Stelle bringen,« sagte der Irländer.

»Nun, wir sind bald am Ziele unsrer Reise, und dann wirst du des, wie ich bemerkt habe, leider sehr störrischen Tieres ledig.«

»Michael O'Donnel wird darum nicht weinen. Euer Gnaden.«

Er warf einen Blick auf den Indianer, der ruhig etwa fünfzig Schritt vor ihnen einherging, und ließ sich, die Stimme dämpfend, vernehmen: »Können denn Euer Gnaden dem roten Mann da vorn auch ganz trauen?«

»Ich denke wohl, Michael, er hat uns gute Dienste geleistet und wird sie uns gewiß noch leisten.«

»Seien doch Euer Gnaden ja recht vorsichtig,« fuhr Michael fort, den des Grafen gütige Weise zu vertraulichen Aeußerungen ermutigte, »es kann ja in diesen braunen Kerlen nicht viel Gutes stecken. Ich habe schon genug an diesem und mich überläuft's jedesmal, wenn mich der Mensch mit seinen schwarzen Augen, die manchmal wie Kohlen funkeln, ansieht.«

»Nun, du wirst dich mit der Zeit an ihn gewöhnen, er ist ein ganz ehrlicher Mann.«

»Aber, Euer Gnaden, er tut ja den ganzen Tag den Mund nicht auf,« meinte Michael, der stets zur Unterhaltung aufgelegt war, »und solchen stillen, finstern Leuten ist nie recht zu trauen.«

Der Graf, welcher des Iren Schwäche, sich gern und lebhaft zu unterhalten, bald kennen gelernt hatte, lächelte über diese Aeußerung, denn einen größeren Gegensatz als den stolzen, wortkargen Indianer und den redseligen Iren konnte es wohl kaum geben.

»Es ist die Art dieser Leute, Michael, sich schweigend zu verhalten, und du darfst deshalb keine üble Meinung von ihm haben.«

»Euer Gnaden, ich will wünschen, daß alles gut geht, aber der Mann ist mir ganz unheimlich. Und wie er so seinen Weg findet in diesen schauerlichen Wäldern und Grasebenen ohne Kompaß und Wegweiser, das geht doch sicher nicht mit rechten Dingen zu.«

»Diese Fähigkeit, den Weg nach Anzeichen zu finden, die wir nicht bemerken und uns so sicher zu führen, ist es ja, welche ihn für unsern Marsch so wertvoll macht. Du hast ja selbst gesehen, wie unnütz der Kompaß im Walde war.«

»Euer Gnaden mögen ja das alles besser verstehen als ich, der ich nur ein armer Bursche aus Leitrim bin, aber Euer Gnaden müssen doch vorsichtig sein, und wenn wir nun gar noch mehr von der Sorte bekommen?« der Ire machte ein ganz bedenkliches Gesicht, »so –«

»Gib dich zufrieden, wir werden mit den roten Herren die beste Freundschaft halten.«

Der Graf verließ ihn und ging wieder zu Heinrich.

Athoree, war es Zufall oder hatte er etwas von der Unterredung des Grafen mit dem Iren erhascht, blieb jetzt ebenfalls stehen und erwartete Michaels Herankommen.

Der kluge Indianer hatte sehr bald bemerkt, daß er dem Manne aus Leitrim unsympathisch war, aber dies nicht beachtet, und da er das gutmütige, ehrliche Wesen des Burschen nicht verkannte, ihm den Widerwillen, den er gegen ihn zu haben schien, nicht nachgetragen. Bis jetzt hatte er aber auf den langen Märschen und abends an dem Lagerfeuer noch nicht einmal das Wort an ihn gerichtet.

Michael war höchst erstaunt und gar nicht angenehm berührt, als Athoree, nachdem er zu ihm gelangt war, ihn erst mit seinen dunklen Augen anstarrte und dann ruhig neben ihm herging. Er brummte auf Gälisch in sich hinein: »Hol dich der Teufel, brauner Bursche, was willst du hier neben meiner Mutter Sohn?«

Noch größer ward die Ueberraschung Michaels, als ihn der Indianer jetzt, zum erstenmal seit ihrem Zusammensein, anredete.

»Warum trägt Rothaar,« es war nicht zu leugnen, Michael erfreute sich eines ungewöhnlich starken, blondrötlichen Haarwuchses, der unter seiner wollenen Mütze in wirren Locken hervorquoll, »keine Waffen?«

»Rothaar? Rothaar? Wen meinst du denn damit?«

»Ihn meinen.«

»So? Na,« brummte Michael, »hättest du mir das woanders gesagt, so sauste jetzt mein Shilallah auf deinen Schädel, daß dir Hören und Sehen vergehen sollte. Was so ein Kerl einem für Namen gibt? Rothaar?«

Der Indianer wiederholte ruhig seine Frage.

»Waffen? Waffen? Was sagst du denn hierzu, Indianer?« und er zeigte seinen gewichtigen zugespitzten Stock aus ebenso zähem als festem Holze. »Damit fertige ich ein Dutzend von deiner Art ab.«

Ueber des Indianers Angesicht zog ein kaum bemerkbares Lächeln.

»Büchse trägt weiter als dicker Stock, he?«

»So gescheit bin ich auch, um das zu wissen.«

»Puff, kleines Loch in Brust und der Irisch tot.«

»Nu, nun hör auf mit solchen Geschichten, unheimlicher Kerl,« brummte er dazwischen, »wer soll denn hier schießen, es sind doch hier keine Räuber und Mörder?«

»Gutherz tragen Flinte, andrer Mann, Athoree tragen Flinte, warum du keine Flinte?«

»Ach, ich versteh' mit dem Schießeisen nicht umzugehen, ich habe in meinem Leben noch keine Büchse abgefeuert. Nein, Indianer, im gesegneten Erin machen wir die Sache ehrlich mit dem Shilallah ab.«

»Flinte gut, kommen jetzt zu wildem Indianer, nicht wissen, ob nicht fechten müssen.«

»So? Fechten? Das ist mir schon recht, aber es muß dann regelrecht hergehen,« und er schwang den gewichtigen Stock mit einer Leichtigkeit ums Haupt, die auf außerordentliche Körperkraft schließen ließ.

»Fechten? Mit der braunen Bande? Na, da haben wir es ja. Ich habe es Seiner Gnaden gesagt, daß hier nicht zu trauen ist. Na, wehren werde ich mich,« sagte der Ire, dem es weder an Mut noch an Kampfeslust fehlte.

»Rothaar müssen Flinte tragen.«

»Ich will dir einmal etwas sagen, Indianer, wenn wir gute Freunde bleiben sollen. Der Herr Graf sagt ja, du wärst ein ganz reputierlicher Kerl trotz deiner verwünschten Hautfarbe, also wenn wir gute Freunde bleiben sollen, dann nennst du mich Michael, wie ich getauft bin, der heilige Michael ist mein Schutzpatron. Verstehst du?«

»Warum nicht nennen Rothaar? Guter Name, he?«

»Ich sage dir, laß es gut sein, Rotfell,« brummte Michael, der anfing ärgerlich zu werden, mürrisch.

»Nicht verstehen.« Er deutete auf sich: »Roter Mann du sagen, ich sage Rothaar – Rothaar schön.«

»Nun, ja, schlecht ist es ja nicht, es tragen's« bei mir zu Hause ziemlich viele,« sagte der Irländer, der sich doch geschmeichelt fühlte, daß der Indianer seine Haarfarbe schön fand.

»Warum Rothaar nicht Flinte tragen?« fuhr der hartnäckige Indianer fort.

»Bei St. Patrick, ich habe es ja schon gesagt, ich kann nicht schießen.«

»Womit dann Skalp verteidigen, wenn Feinde kommen, wollen nehmen Skalp?«

»Was ist das? Was wollen sie nehmen? Skalp? Meinen Skalp?«

»Wenn roter Mann Krieg, er schießen Feind tot, puff, gehen zu ihm, fassen Skalplocke so,« er fuhr mit der einen Hand nach seinem Kopfe und faßte einen Büschel seines schwarzen, lang herunterhängenden Haares, während er mit der andern sein Messer zog, »und schälen Kopfhaut ab,« hierbei fuhr er mit der messerbewehrten Hand ums Haupt, »so – das Skalpnehmen.« Dies und der grimmige Gesichtsausdruck des Indianers erschreckten den guten Michael sehr.

»Jässus? Was meinst du, Indianer? Willst du damit sagen, daß sie einem hier die Haut vom Kopfe abziehen?«

»Das gerade so – jeder Krieger nehmen Skalp.«

»Na, da bin ich in eine schöne Gegend gekommen.«

»Aber erst schießen tot,« sagte beruhigend der Indianer, »erst tot, dann Skalp.«

»Darin kann ich nicht viel Tröstliche« finden,« brummte Michael.

»Manchmal auch nehmen Skalp, wenn noch leben.«

»Heiliger Michael, schütze uns,« sagte der Ire und fuhr unwillkürlich mit der Hand nach seinem Haupte, »das ist ja schauderhaft. Gott bewahre jeden Christenmenschen davor.« Dann murmelte er in sich hinein: »Ich werde jetzt den Grafen nicht sitzen lassen, aber ich wollte, ich wäre zu Hause geblieben, schon dieses unheimlichen Kerls wegen mit seinem Skalpnehmen.«

»Darum du tragen Büchse,« sagte der Indianer, »und retten Skalp.«

»Rette du nur deinen,« brummte wieder Michael, »vor meinem Shilallah, der dir gelegentlich darauf sausen könnte.«

Der Graf blieb mit Heinrich vorn stehen, zog sein kleines Fernglas und lugte nach dem Walde. Mit einigen Sprüngen war der Indianer, als er dies bemerkte, bei ihm. »Was ist das dort am Walde, da wo die Tanne ragt, Athoree?«

Er wollte dem Indianer ein Glas reichen, aber dessen Falkenaugen hatten schon erkannt, was dem Grafen selbst durch das Glas nicht genügend deutlich wurde, und sagte mit einem leisen Ausrufe: »Bären!«

»Alle Wetter, ja. Wahrhaftig, jetzt erkenne ich sie auch. Bären, Heinrich!«

»O, Herr Graf,« sagte dieser und riß die Büchse von der Schulter, während ihm die Jagdlust aus den Augen blitzte.

Sie hatten zwar auf ihrer Fahrt vom Manistee herauf wiederholt Bären gesehen, die sich aber beim Anblick von Menschen stets so hastig entfernten, daß ein Anpirschen nicht möglich gewesen war.

»Was meinst du, wollen wir einen Gang mit Meister Braun machen?«

»Mit tausend Freuden, Herr Graf, einen Bären habe ich doch noch nicht geschossen.«

»Athoree, wollen mir jagen?«

Dieser hatte ebenfalls bereits die Büchse von der Schulter genommen und schaute eifrig nach dem Wild aus.

»Bär gut, ihn schießen.«

»Dann Weidmannsheil! Wollen uns anpirschen,«

Graf Edgar schlich gebückt voran unter sorgfältiger Beobachtung des Luftzuges, um Meister Petz den Wind abzugewinnen und so in Schußnähe gelangen zu können.

Michael war vom Grafen bedeutet worden, ruhig mit seinem Maultier da zu bleiben, wo er sich befand. Dieser band darauf das Tier an einen Baum und legte sich ruhig ins Gras nieder.

Als die Jäger näher kamen, bemerkten sie, daß die Bären, es waren zwei, eifrig mit der Untersuchung eines entwurzelten Baumes beschäftigt waren, der, vom Sturm danieder gestreckt, wohl ein Bienennest enthalten mochte, dessen Vorräten die Tiere nachspürten.

Es war augenscheinlich ein Paar, Meister Braun mit seiner Ehegattin, beide stattliche Exemplare.

Vorsichtig bewegten sich die Jäger vorwärts, der Graf an der Spitze, etwa fünfzig Schritte hinter ihm Heinrich. Es galt nicht nur in Schußweite zu kommen, sondern dem Wild auch den Weg nach dem Walde zu verlegen, wo es, wenn es sich dahin zurückzog, für sie, die keine Hunde mit sich führten, um das Wild zum Stehen zu bringen, nicht mehr erreichbar war. Der Indianer ging ziemlich weit hinter Heinrich einher. Als sie auf etwa hundertundfünfzig Schritte an die Tiere herangekommen waren, brach unter dem Fuße des Grafen ein dürrer Ast, die Bären stutzten und windeten nach der Richtung des verdächtigen Geräusches hin. Jetzt gab Graf Edgar Feuer. Der Bär war augenscheinlich getroffen und richtete sich mit großer Schnelligkeit auf. Die Bärin stutzte bei dem Schusse, wurde aber dann sofort flüchtig nach dem Walde zu, während ihr Gemahl brummend nach dem Gegner ausspähte, der ihn so heimtückisch überfallen hatte. Als Heinrich die Bärin zu Holze ziehen sah, während der Graf eifrig lud, sandte er ihr eine Kugel nach, die auch, dem Verhalten des Tieres nach zu urteilen, getroffen haben mußte, obgleich es bei dem mit Bäumen besetzten Terrain, dem hohen Grase und der Entfernung ein schwieriger Schuß war.

Die Bärin blieb einen Augenblick stehen, untersuchte ihre Wunde, setzte dann aber ihre Flucht fort. Graf Edgar, der dem Walde am nächsten war, erhob sich aus seiner gebückten Stellung und lief rasch vorwärts, um ihr den Weg abzuschneiden oder wenigstens, ehe sie im Dickicht verschwand, noch einen Schuß auf sie abzugeben. Bei dem Erscheinen eines Menschen erschrak das Tier und setzte sich, nach dem Grafen hin windend, einen Augenblick nieder. Graf Edgar feuerte von neuem, ohne aber zu treffen, und das Tier, welchem die Kugel dicht an der Nase vorbeigeflogen sein mochte, änderte jetzt seine Richtung und lief mit großer Schnelligkeit in die Lichtung hinein.

Bei seinem Eifer, der Bärin einen Schuß beizubringen, hatte der junge Mann des Bären nicht geachtet. Dieser war indessen streitlustiger als seine Gattin, und der Graf sah mit einemmal den Bären auf kaum zwanzig Schritte vor sich, er warf die entladene und deshalb nutzlose Waffe fort, zog entschlossen den Hirschfänger und stellte sich zum Kampfe.

Da krachte Heinrichs Büchse, der die Gefahr, welche seinem Herrn drohte, wohl erkannt hatte. Die Kugel traf schräg den mächtigen Schädel des Bären und prallte machtlos an diesem massiven Knochenbau ab. Das Tier schüttelte sich einen Augenblick, richtete sich dann aber empor und nahm, auf den Hinterbeinen schreitend, mit den Vorderpranken wild in der Luft herum fuchtelnd, den Grafen an, der ihn in fester Stellung, den Hirschfänger zum Stoß bereit, erwartete. Bis auf zwei Schritte war das wütende Tier herangekommen, als von neuem Heinrichs Büchse aufblitzte; der Bär, augenscheinlich schwer getroffen, sank zusammen, sprang aber schnell wieder empor und machte eine Bewegung nach Graf Edgar zu, so daß dieser schon den heißen Atem des Tieres fühlte. Heinrich lud mit einer unvergleichlichen Schnelligkeit. Graf Edgar, welchem die Fechtkünste Meister Brauns nicht unbekannt waren, führte seinen Hirschfänger mit solcher Geschicklichkeit, daß er die Waffe dem hochaufgerichteten Tiere tief in den weitgeöffneten Rachen zu stoßen vermochte, dann sprang er zur Seite, den Stahl im Rachen des Bären lassend. Wiederum krachte Heinrichs Büchse, das Tier stürzte zusammen und wälzte sich, wild um sich schlagend, in Todeszuckungen auf dem Boden. Heinrich sprang herbei – aber er sowohl als der Graf hielten sich wohlweislich von dem sterbenden Tiere entfernt, bis es verendet war. Graf Edgar gab dem Jäger die Hand und sagte einfach: »Ich danke dir.«

Als der Indianer bemerkte, daß die Bärin die Lichtung wählte, um zu entfliehen, sprang er rasch vorwärts, um ihr auch diesen Weg abzuschneiden, doch vorsichtig genug, um von dem Tiere nicht bemerkt zu werden. Auf etwa hundert Schritte nahe gekommen, feuerte er und verwundete das flüchtende Tier. Die Bärin richtete sich zornig auf den Hinterbeinen auf, rings umher windend. Da Athoree sich niedergebeugt hatte, während er rasch wieder lud und der Wind ziemlich scharf von dem Tiere her blies, bekam dieses keine Witterung von ihm und setzte mit tiefem Brummen, aber augenscheinlich langsamer, seine Flucht fort. Der wackere Michael O'Donnel, welcher sich, als die Jagd begann, behaglich niederließ, ein Stück geräuchertes Fleisch aus seiner Tasche zog und diesem eifrig zusprach, hatte sich doch, als die Büchsen wiederholt knallten, erhoben und sah aus der Entfernung, wie der Bär auf den Grafen zuging und unter Heinrichs Schüssen endlich zusammenfiel.

Auch die Bärin bemerkte er, als sie sich erhob, um zu winden.

Diese nahm, als sie die Flucht fortsetzte, ihren Weg gerade auf ihn zu.

Michael legte sein Fleisch beiseite, ergriff seinen schweren Irenstock und ging ihr furchtlos entgegen.

»So entkommst du nicht, Bursche,« brummte er, »hier steht Michael O'Donnel mit seinem Shilallah.«

Er hatte wohl auf Jahrmärkten hie und da Bären gesehen, die ihm wenig imponiert hatten, und kannte die Gefahr nicht, welcher er sich aussetzte.

Als das durch seine Verwundungen wütend gemachte Tier ihn erblickte, richtete es sich auf und mit aufgerissenem Rachen, der das furchtbare Gebiß zeigte, und unheimlich funkelnden Augen drang es auf den Iren ein.

Michael stutzte zwar bei diesem schreckenerregenden Anblick, verlor aber keinen Augenblick seine Zuversicht, und als das schnaubende Tier in gehöriger Nähe war, führte er mit seinem schweren Stocke so blitzschnelle und wuchtige Schläge nach ihm, daß die Bärin ins Wanken kam und den Kopf schüttelte. »Ja,« brummte Michael, »das ist Irenarbeit, Brauner, komm nur an.«

Immer wütender wurde unter seinen Streichen das Tier und focht entsetzlich mit seinen Vorderpranken durch die Luft, Michael mußte unter dem Andrang zurückweichen, führte aber unverdrossen seinen Stock mit großer Kraft.

Ein Prankenschlag der Bärin traf denselben für Michael so unglücklich, daß er ihm aus der Hand flog.

Der verblüffte Ire stand wehrlos dem rasenden Tiere gegenüber.

Im selben Augenblick krachte in seiner Nähe ein Schuß, die Bärin zuckte zusammen, stand, führte noch einige wilde Prankenhiebe in die Luft, drehte sich um sich selbst und sank tot nieder.

Zehn Schritte von ihm stand ruhig der Indianer, dessen Nahen Michael während seines wütenden Kampfes nicht bemerkt hatte, und lud seine Büchse.

Seine Kugel, aus geringer Entfernung abgesandt, hatte der Bärin Herz gefunden.

Trocken sagte er: »Stock gut, Flinte besser. Rothaar, he?«

Der mehr verblüffte als erschreckte Mann aus Leitrim sprach, mehr zu sich als zu dem Indianer, während er das so rechtzeitig erlegte Tier anstarrte: »Nun, bei St. Patrick und St. Michael, meinen Schutzpatronen, ich handhabe nun den Shilallah seit meiner Jugendzeit, aber daß mir ihn einer, und wenn er der Beste gewesen wäre, so aus der Hand geschlagen hätte, das habe ich nicht erlebt.«

»Können fechten, Bar? Wie?« meinte Athoree nicht ohne Humor.

»Das muß ich sagen, solche Bestie ficht geschickter, wie der Beste in Lenrim. Die schönsten Hiebe hat sie mir pariert.«

»Rothaar jetzt in Stücke, wenn nicht Büchse. He?«

»Höre einmal, roter Mann,« sagte Michael, dem jetzt erst die ganze Gefahr klar wurde, welcher er entgangen war, »ich würde lügen, wenn ich sagte, daß ich für dich und deinesgleichen eine besondere Vorliebe hätte, aber wenn ich dir das je vergesse, oder wenn ich nicht, wenn du einmal in einer Gefahr bist, dir nicht Gleiches mit Gleichem vergelte, dann will ich nie in den Himmel kommen. Gib mir die Hand.«

Er ging auf den Indianer, der mit Staunen gesehen hatte, wie der Ire mit seinem Stocke gegen die wütende Bärin kämpfte, zu und streckte ihm seine markige Rechte hin.

Der Indianer nahm sie mit einem feinen Lächeln.

»Jetzt Indianer guter Mann, wie?«

»Ja, das muß wahr sein, Rothaut,« sagte der treuherzige Irländer, ihm die Hand schüttelnd, »du hast dich wie ein braver Kerl und guter Freund benommen. Ich sehe jetzt, daß es auf das bißchen Farbe nicht ankommt, wenn das Herz auf dem rechten Fleck sitzt. Ich danke dir.«

Athoree hatte nicht nur mit Staunen, sondern auch mit aufrichtiger Bewunderung gewahrt, mit welcher Tapferkeit, Kraft und Geschicklichkeit Michael mit dem rasenden Tiere focht, und dies hatte den Mann aus Leitrim, den er bisher der Beachtung nicht wert hielt, in seiner Wertschätzung mit einemmal sehr hoch gestellt.

Er erwiderte den Händedruck und sagte: »Du tapferer Mann, starke Hand, sehen alles. Athoree nicht mehr sagen Rothaar, du nicht gerne hören, sagen ›Starkhand‹, he?«

»Na, wenn dir mein ehrlicher Name nicht über die Lippen will, meinetwegen, es ist mir immer noch lieber als Rothaar.«

Der Bär war verendet.

»Was machen mir nun mit dem Vieh, Indianer?«

Dieser zog sein Messer, die schöne ihm vom Grafen geschenkte Waffe, warf das Tier rasch und geschickt aus, schnitt ihm die Pranken ab und sagte dann: »Lassen liegen, Fell vielleicht morgen holen. Ander Bär viel Fleisch, genug zu essen. Sonne sinkt.«

»Mir ist es recht, dann wollen wir wieder zu den andern gehen.«

Er nahm das Maultier, welches angesichts der Bärin verzweifelte Versuche gemacht hatte, sich zu befreien und noch an allen Gliedern zitterte, am Zügel, beruhigte es und nachdem er seinen Kampfstock aufgenommen hatte, schritten sie auf den Grafen und Heinrich zu, welche, als sie sie erreichten, bereits mit großer Geschicklichkeit ihre Beute der Decke entkleidet hatten. Der erlegte Bär war von ungewöhnlicher Größe, ein schönes Exemplar seiner Gattung.

»Nun,« sagte der Graf, »Frau Mumma liegt auch? Das ist eine ansehnliche Jagdbeute.«

»Hier, Starkhand mit ihr fechten, Bärin fechten, so – Starkhand mit Stock so,« und Athoree ahmte in drolliger Weise die geführten Hiebe nach.

»Was, Michael,« sagte verwundert der Graf, »du hast dich in einen Faustkampf mit der Bärin eingelassen?«

»Ja, Euer Gnaden, was sollte ich machen? Ich wollte doch das Tier nicht entwischen lassen. Habe übrigens bemerkt, daß ein Bärenschädel doch härter ist, als die dickste irische Hirnschale. Ich verstehe meinen Shilallah zu handhaben, aber gegen solch ein Vieh ist gar nicht zu fechten. Wenn der rote Mann nicht gewesen wäre, hätte mich das Tier aufgefressen, aber der kam zur rechten Zeit mit seiner Büchse und half ihr hin.«

Edgar erkundigte sich des näheren nach Michaels Abenteuer und erstaunte nicht wenig über die Naivetät, den Mut und die Kraft des Iren, als er von allem Kenntnis erhielt.

»Deine Meinung über Athoree hat nun wohl eine Umwandlung erfahren, Michael, nicht wahr?«

»'s ist ein urbraver Kerl, Euer Gnaden, und wenn er einmal einen Schädel entzwei geschlagen haben will, so will ich's für ihn besorgen, so wahr ich meines Vaters Sohn bin.«

Der Graf ergötzte sich höchlich über seines Irländers Jagdabenteuer sowohl, als seine Aeußerungen.

Da die Sonne sich zum Untergang neigte, nahmen sie außer der Haut und den Pranken einiges Fleisch des Bären mit und begaben sich nach dem nahe gelegenen Walde, an dessen Rande, wie der Indianer vermutet hatte, ein Bächlein floß.

An seinem Ufer ließen sie sich nieder, zündeten Feuer an und bald schmorte das Bärenfleisch am Spieße und kochte Wasser in dem Blechkessel, um den im Walde so unentbehrlichen und wohltuenden Kaffee zu bereiten.

Nachdem dann die Begierde nach Speise und Trank gestillt war, zogen Heinrich und der Indianer ihre Pfeifen, und aus der am Feuer behaglich hingestreckten Gruppe erhob sich bald der Duft des Virginiakrautes.

Das Maultier war seiner Last entledigt und an langer Leine angepflockt, um weiden zu können.

Ein eigener Reiz von Poesie liegt über solch nächtlichem Lager im Urwald. Ringsum die schweigende Wildnis, oben der glänzende Sternenhimmel, die nächste Umgebung von dem lodernden Feuer malerisch beleuchtet, es ist herrlich, in lauer Sommernacht so im Walde zu ruhen, und wohl begreift sich's, daß es Menschen gibt, welche ein beschwerliches aber ungebundenes Leben im Walde dem in den Ansiedlungen oder Städten vorziehen.

Das Feuer knisterte und dann und wann rauschte der leichte Wind in den Bäumen; sonst regte sich nichts weit und breit.

Graf Edgar war in Nachdenken versunken. Er dachte der fernen Heimat, dachte der nächsten Zukunft, die ihm hoffentlich Gewißheit über das Schicksal seiner Schwester bringen würde, und dazwischen tauchte das Bild von Frances Schuyler in seinem Herzen auf und leise erklangen die Töne von Orpheus' Klage vor seinem inneren Ohr.

Heinrich rauchte nachdenklich dieselbe kurze Pfeife, welcher er im deutschen Walde Dampfwolken entlockt hatte. Auch er dachte wohl der Heimat. Der Indianer sprach überhaupt wenig, und nur Michael schien das Bedürfnis zu fühlen, eine Unterhaltung anzuknüpfen, doch traute er sich nicht in des Grafen Gegenwart das allgemeine Schweigen zu stören.

Nach einiger Zeit nahm jedoch der Graf das Wort, indem er zu dem Jäger in deutscher Sprache sagte: »Welch ein Friede, welch feierliche Stille liegt über diesen endlosen Wäldern, Heinrich.«

»Ja, Herr Graf, sie stimmen das Herz zur Andacht; oft wenn ich im schweigenden Hochwalde weile, habe ich das Gefühl, als ob ich in der Kirche wäre.«

»Mit Recht, Heinrich, er ist der Tempel der Natur und der Geist des Ewigen flüstert in den Zweigen. Wohl begreife ich es, daß unsre Vorfahren ihre Götter in heiligen Hainen anbeteten. Kein Werk von Menschenhand ist zu vergleichen mit dieser erhabenen lebendigen Wölbung.«

Eine Weile herrschte wieder Schweigen. Michael hatte aufmerksam den ihm unverständlichen Lauten gelauscht, während der Indianer teilnahmlos mit seinem gewöhnlichen ruhigen Gesichtsausdruck seine Pfeife rauchte.

»Sagen Sie mir, Herr Graf, haben denn diese Wilden hier auch eine Religion, oder sind es bereits Christen?« Endlich hatte Michael, dem das Schweigen sehr lästig war, den Mut gefunden, es zu brechen.

»Soviel ich gelesen habe, besitzen sie religiöse Vorstellungen, sind auch wohl heutzutage, wenigstens die in den Reservationen, zum größeren Teile getauft. Wir wollen übrigens doch einmal Athoree fragen.« Er wandte sich an diesen mit den Worten: »Bekennt sich Athoree zu dem Glauben an den Gott der weißen Männer?«

Der Indianer wandte langsam das Auge auf den Grafen und sagte: »Als Athoree jung war, kam oft Bruder Missionar und sprach vom Gotte der Weißen, hören ihm zu, er guter Mann, aber nicht alles glauben, was er sagen. Er, weißer Mann, lieben seinen Gott, roter Mann andern Gott, lieben ihn auch; weißer Mann gehen in sein Himmel, Indianer in glückliche Jagdgründe. Das gut für Indianer, gut für Weißen.«

»Aber du glaubst doch an einen Gott?«

»Sehr wohl,« entgegnete der Indianer. »Glauben an großen Geist, er guter Geist, geben armen Indianer alles, Sieg über seine Feinde, Skalpe, Wild, Waffen, gutes Weib, Freunde, gute Kinder, er geben alles. Böser Geist, Degschuhvenoh, bringen alles Schlechte, Hunger, Not, Schnee und Eis – Krieger verliert Skalp, wenn böser Geist es haben will, dann nimmer kommen in glückliche Jagdgründe.«

»Aber du glaubst an eine Fortdauer nach dem Tode?«

»Schon sagen,« fuhr Athoree ernst fort, »guter Indianer gehen in glückliche Jagdgründe, er dort nie Not, viel Wild, gute Freunde, nicht Schmerz, nur Freude. Nur rote Männer dort, Streitaxt begraben, kein weißer Mann.«

»Und die Bösen?«

»Er gehen dahin, wo ewig Eis und Schnee, zum bösen Geist, er nie in glückliche Jagdgründe.«

»Auch dann, wenn er sonst auch brav ist, wenn er nur seinen Skalp verloren hat? nicht wahr?«

»Nie können Indianer ohne Skalp in glückliche Jagdgründe gehen – nie. Er bleiben in eisiger Nacht.«

»So ist mir schon erzählt worden. Doch, Athoree, willst du uns nicht sagen, wie der große Geist diese Erde und den roten Mann geschaffen hat?«

Leise und nicht ohne Feierlichkeit begann der Wyandot: »Der große Geist einst vor vielen, vielen Sommern, schaffen die Erde mit dem Hauche seines Mundes, machen das große Licht, das kleine Licht und die Sterne. Setzen die Erde auf den Rücken der großen Schildkröte, daß sie sie trage vom Morgen nach Abend. Er schaffen Bäume, Gras, lassen Sonne scheinen und Regenwolke kommen. Geben viel Wild in den Wald. Dann er nehmen rote Erde, formen daraus roten Mann, lehren ihn Bogen machen und Pfeil, das Wild erlegen, Feuer anzünden und sich Kleider fertigen aus der Haut des Wildes. Alles Gute er geben, schützen Indianer auch vor bösem Geist, der unaufhörlich lauert, wo er dem roten Mann Leid zufügen kann,« setzte er noch leiser hinzu. »Indianer leben, jagen, kämpfen, sterben und gehen dann zu Manitou, der ihn geschaffen, er guter Geist, er ihm lieben.«

Während der Indianer so sprach, leise und eindringlich, hier auf dem Boden, dem er entsprossen, er, der Sohn einer fremden Rasse, unter dem leisen Rauschen des Urwaldes, dessen Tiefen wohl selten ein Menschenfuß betreten hatte, beschlich den Grafen ein eigenes Gefühl. Vor ihm saß der Repräsentant eines dem Untergang unwiderruflich geweihten Volkes, dessen Väter viele Geschlechter hindurch hier einhergewandelt waren, und aus dem braunen ausdrucksvollen Gesichte des Indianers sprach zu ihm das herbe Schicksal eines der Vernichtung entgegeneilenden Stammes.

Es überkam ihn unwillkürlich ein Gefühl der Trauer darüber, daß ein nicht unbegabtes Geschlecht, wenn seine Entwickelung zur höheren Zivilisation auch noch so langsam sich vollzog, verschwinden mußte, ehe es auch nur eine Blüte treiben konnte.

Der Indianer schwieg und schaute vor sich nieder, ebenso der Graf.

Diese Gelegenheit aber benützte Michael, um wiederum das Wort zu ergreifen und sich über einen Punkt zu vergewissern, welcher ihm einiges Bedenken verursachte.

»Euer Gnaden werden erlauben, die Frage an Euer Gnaden zu richten, ob es wahr ist, wie der rote Mann hier sagt, daß seinesgleichen den Menschen die Haut vom Kopfe abziehen.«

»Ja, Michael, das ist Gebrauch bei den roten Kriegern.«

»Das ist aber eine ganz grausame Art und Weise, seine Gegner zu behandeln. Euer Gnaden. Einem den Schädel einschlagen, nun, das ist eine ganz regelrechte Sache, und geht manchmal nicht anders, aber so einem das Fell über die Ohren ziehen, das ist doch ganz unschicklich und unchristlich.«

»Die Kopfhaut des Feindes ist das höchste Siegeszeichen des indianischen Kriegers, nicht so, Athoree?«

Dieser nickte.

»Na, weißt du, mein roter Freund, schön ist das aber nicht, und ich hoffe, das nicht an dir zu erleben. Du hast dich heute zwar brav gegen mich benommen, das muß ich gestehen, aber solche Menschenschinderei könnte mich veranlassen, dir die junge Freundschaft zu kündigen. Du hast doch nicht schon etwa menschliche Kopfhäute abgezogen?«

Ein Ausdruck milden Triumphes flog über des Indianers dunkle Züge, der aber gleich darauf einem Ausdruck der Trauer Platz machte.

»Athoree wird keine Skalpe mehr nehmen,« sagte er langsam.

»Na, das freut mich, es ist sonst eine unheimliche Sache, mit dir umzugehen. So ein richtiger Christ scheinst du auch nicht zu sein, wenn ich auch nicht alles verstanden habe, was du vorhin Seiner Gnaden auskramtest. Gehst du denn auch hie und da einmal in die Kirche?«

Der Indianer hob den Arm und deutete auf die grüne Wölbung über sich, durch welche die ewigen Sterne herniederblitzten, deutete auf die uralten Bäume, welche sich ringsum erhoben: »Dies Kirche für roten Mann, hier er beten zu Manitou.«

»Na ja, das ist ja ganz gut, aber so ein bißchen ordentliche Religion muß doch sein; was du da vorhin erzählt hast, das schmeckt doch ein wenig nach Aberglauben.«

»Ich glaube, Michael,« sagte der Graf, »wir beten alle zu demselben großen guten Geiste, jeder auf seine Weise.«

»Nun, Euer Gnaden werden das ja schon verstehen, obgleich der Athoree bei uns in Irland mit seiner Religion nicht weit kommen würde. Pater Anselmus würde ihm schon so lange einheizen, bis er einen regelrechten Glauben hätte, wie sich's auch schickt.«

»Was beginnen wir mit den Fellen der Bären?« fragte der Graf, um dieses nun genug behandelte Thema abzubrechen.

»Frisches Fell sehr schwer, wird Maultier nicht tragen können, wenn überhaupt tragen, ehe es ganz trocken.«

»Es wäre doch zu bedauern, wenn wir diese schönen Siegeszeichen zurücklassen müßten.«

Er hatte kaum ausgesprochen, als der Indianer hastig seine neben ihm liegende Büchse ergriff und nach dem Innern des Waldes zu lauschte.

»Was gibt's?« fragte leise der durch die Bewegung des Indianers beunruhigte Graf.

»Pst!« flüsterte Athoree zurück. »Mann im Walde.«

Heinrich und der Graf griffen auch nach ihren Waffen.

»Indianer, Athoree?«

»Weißer Mann. Er kommen.«

So saßen sie lauschend, die Büchsen in der Hand, während Michael erstaunt um sich sah.

Jetzt hörten auch Graf Edgar und Heinrich einen leichten Schritt nahen.

Aller Augen richteten sich dahin, woher die Laute kamen; der Indianer hatte den Hahn seiner Büchse aufgezogen.

Nach kurzem atemlosem Harren öffneten sich die Büsche und heraus trat ruhig ein Mann in den Schein des Feuers, der nicht ohne Erstaunen die um dasselbe gelagerte Gruppe betrachtete. Der Mann trug das landesübliche Jagdhemd und stand, eine hohe Gestalt, auf seine Büchse gelehnt, da. Die Augen der Lagernden begegneten den seinen. Der Mann war eine auffallende Erscheinung; unter einer kleinen Fellmütze wallte schneeweißes Haar hernieder, der ziemlich lange Bart zeigte dieselbe ehrwürdige Farbe, und die Gesichtszüge waren bleicher, als sonst Wind und Wetter im Walde zu gestatten pflegen, doch ließen das blitzende Auge, die kräftige, elastische Haltung nicht auf das Alter schließen, dem schneeiges Haar eigen ist.

»Ich bin erstaunt. Fremde, euch hier zu sehen, wo selten der Fuß eines weißen Mannes den Boden tritt,« sagte der Mann.

»Kommt näher zum Feuer, Freund,« entgegnete ihm der Graf, dem das Aeußere des Fremden jegliche Besorgnis verscheuchte, »und laßt Euch nieder, wenn Ihr unsre Gesellschaft nicht verschmäht.«

Der Mann kam näher, und genauere Betrachtung seines Aeußern bestätigte nur die ersten flüchtigen Wahrnehmungen. Er ließ sich ruhig am Feuer nieder und sah jeden der Anwesenden einzeln und aufmerksam an. Diese ließen sich das schweigend gefallen.

Dann ließ der Mann seine Augen auf dem Grafen haften und fragte: »Was tut Ihr hier im Lande der roten Männer, Fremder?«

»Wir gedenken den Ottawas einen Besuch abzustatten, Mann, und reisen deshalb friedlich im Lande einher.«

Der Mann sah hierauf Athoree an.

»Bist du ein Ottawa, Indianer?«

»Warum du fragen?«

»Ich sehe nichts an dir,« und er musterte aufmerksam Athoree von Kopf zu Füßen, »was auf einen Ottawa schließen ließe.«

»Und wenn nicht Ottawa, was dann?«

»Dann würde ich um diese Fremden beruhigter sein.«

»Verstehe ich den Sinn Ihrer Worte, Herr,« nahm der Graf das Wort, »so trauen Sie den Ottawas keine freundlichen Gesinnungen gegen uns zu.«

Der Mann antwortete nicht und richtete seine Worte wieder an Athoree: »Wo führst du die Fremden hin?«

»Viel fragen. Erst wissen, warum fragen, dann vielleicht antworten. Erst wissen, wer du bist.«

Der Weißhaarige wandte sich dann wieder an Edgar: »Wie ich aus Ihrer Aussprache des Englischen vernehme, sind Sie ein Deutscher, Sir?«

»So ist es.«

»Wollen Sie Handel mit den Indianern treiben, daß Sie ein Saumtier mit sich führen?«

»Werter Herr,« entgegnete ihm der Graf, »Sie entwickeln eine ja sehr wohltuende Wißbegierde, aber ich bin ganz der Meinung meines indianischen Begleiters, erst zu wissen, wen ich vor mir habe und aus welchem Grunde Ihre Fragen gestellt werden.«

»Hm,« sagte der Fremde, »Sie sind mißtrauisch, kalkuliere, ist recht so bei Begegnungen im Urwald, besonders im Indianergebiet. Lebe seit mehreren Jahren einige Meilen von hier und ernähre mich wesentlich mit der Jagd. Erblicke selten einen weißen Menschen, wenn ich nicht nach dem Fort gehe. Sah Ihr Feuer durch die Büsche, dachte, es seien Ottawas, kam erst näher, als ich Weiße um dasselbe sitzen sah.«

»Stehen Sie mit den Ottawas nicht auf gutem Fuße?«

»Doch. Sie gehen mir aus dem Wege, sie fürchten mich.«

»Sie fürchten Sie?«

»Ihr Aberglaube macht mich ihnen zu einem Schreckgespenst, sie behaupten, meines weißen Haares wegen, ich sei dem Grabe entstiegen und wandle ohne Berechtigung unter den Lebenden einher. Ganz unrecht haben sie nicht,« sagte er für sich, doch verstand es der Graf. »Sie dulden mich deshalb auf ihrem Gebiet und lassen mich unbelästigt, ob ich gleich hier weder wohnen noch jagen dürfte.«

Der Mann hatte etwas Unheimliches an sich.

»Die Ottawas nennen mich den ›toten Mann‹ und scheuen mich. Das ist mein Verhältnis zu den roten Leuten hier.«

Der Fremde sprach so ruhig, mit einer gewissen Milde, aber so, als ob er von einem andern als sich selbst spräche, und aus dem Gesicht, welches höchstens auf einen Mann von vierzig Jahren schließen ließ, sprach trotz des tiefen Ernstes, der darauf lagerte, etwas Gutes, welches den Eindruck des Unheimlichen wieder milderte.

»Ich stelle meine Fragen nicht aus müßiger Neugierde, Herr, sondern aus Teilnahme, denn ich sah bald, als ich mich heranschlich, daß ich, bis auf den roten Mann, Leute vor mir hatte, die des Landes unkundig sind.«

»Nun, fürchten Sie etwas für uns, Herr?« fragte nicht ohne Besorgnis der Graf.

»Fürchten? Wenn ich wüßte, daß der Mann dort ein Ottawa wäre, ja. Und wenn der Mann kein Ottawa ist, auch.«

»Der ›tote Mann‹ fürchten nicht für sich?« fragte Athoree mit einem finstern Gesichtsausdruck.

»Für mich, Indianer?« und dann setzte er mit einem schmerzlichen Lächeln hinzu: »Ich habe auf dieser Welt nichts mehr zu fürchten, auch nicht deine finstern Blicke, Mann.«

»Sie werden mich sehr verpflichten, Sir, wenn Sie mir den Grund Ihrer Besorgnisse für unsre Sicherheit angeben wollten.«

»Wenn ich nur erst wüßte, was Sie, einen Deutschen, der, seinem Aeußern und besonders seinen wohlgepflegten Händen nach zu schließen, weder Landmann noch Kaufmann ist, hierherführt, so würde ich eher sagen können, welcher Gefahr Sie sich aussetzen.«

»Ich bin über Ihre Andeutungen, daß mich überhaupt Gefahr bedrohen könne, erstaunt und, ich gestehe es, auch beunruhigt. Ich habe auf dem Indianerdepartement in Lansing und von dem Agenten am Manistee auch nicht die mindeste Andeutung erhalten, daß, von einigem Raubgesindel abgesehen, gegen das man sich in diesen abgelegenen Gegenden überall selbst schützen muß, mir von den Indianern, welche ich aufzusuchen im Begriff bin, Unannehmlichkeiten bereitet werden könnten. Ich habe – um Sie in den Stand zu setzen, meine Lage zu beurteilen, teile ich es gerne mit – diese Reise angetreten, eine Privatangelegenheit mit dem Häuptling der Ottawas zu erledigen und überbringe ihm Geschenke.«

»Sie kommen also nicht im Auftrage der Regierung?«

»Keineswegs. Ich bin ein Fremder, ein Angehöriger des Deutschen Reiches.«

Nachdenklich schwieg der Mann mit dem weißen Haar und sagte dann: »Wenn Sie meinem Rate folgen wollen, begeben Sie sich von hier nach Fort Jackson, es ist, wie auch die Dörfer der Ottawas, in zwei Tagemärschen zu erreichen. Unterhandeln Sie von dort aus mit Peschewa.«

»Aber warum befürchten Sie denn etwas für uns? Die Ottawas sollen doch, seit der blutigen Züchtigung, die ihnen vor drei Jahren zu teil wurde, eingeschüchtert und friedlich sein?«

»Ist der rote Mann dort ein Ottawa, Herr?«

Der Graf blickte auf Athoree und fragte ebenfalls: »Bist du ein Ottawa, Freund?«

»Nein,« sagte Athoree kurz und scharf.

»Gut,« sagte der Fremde, »mein Bruder ist kein Ottawa, ich höre es. Ein Indianer,« sagte er zum Grafen, »wird sich unter Umständen für den Angehörigen eines andern Stammes ausgeben, aber nie seinen Stamm direkt verleugnen, er ist kein Ottawa. Sie haben also Zutrauen zu dem roten Mann?« setzte er fragend hinzu.

»Vollkommen.«

»So darf ich offen reden. Ich komme zwar mit den roten Leuten hier wenig oder gar nicht in Berührung, denn sie weichen mir, wie ich schon erwähnte, in abergläubischer Scheu aus. Aber ich lebe im Walde und die Wälder reden ihre eigene Sprache, die nicht jeder versteht. Es ist seit einiger Zeit eine unerklärliche Unruhe unter die Wilden gekommen, es laufen Boten durchs Land, hin und her, es kommen fremde Indianer hierher, es werden Beratschlagungen gehalten, die Ottawas nehmen einen trotzigen Ton an; es sind dies für den Kenner alles Anzeichen, daß die Roten etwas planen, und selbstverständlich gegen die Weißen. Was die Veranlassung ist, weiß ich nicht, aber als sicher nehme ich an, daß das Fort augenblicklich ein sicherer Aufenthalt für Sie ist, als die Dörfer der Ottawas.«

»Nach allem, was ich gehört habe, ist es doch undenkbar, daß die Indianer einen Kriegszug gegen die Weißen beabsichtigen.«

»Undenkbar? Bei einem Indianer ist nichts undenkbarer als bei einem launischen Kinde, was der Indianer in gewissem Sinne ist.«

»Aber die Macht des Staates?«

»Kennen die Leute nicht.«

»Und die fühlbare Lektion, welche sie vor drei Jahren bekommen haben?«

»Wenn diesen Leuten einer ihrer Medizinmänner, der sich großen Vertrauens erfreut, sagt: ›Diesmal werdet ihr siegen, so brechen sie los und wenn sie sich gleich den Kopf dabei einrennen.‹«

»O, das ist sehr traurig für mich. Nicht, daß ich direkte Gefahr fürchtete, aber der Zweck, der mich hierherführt, wird dadurch vereitelt, wenn Ihre Befürchtungen gegründet sind. Was meinst du, Athoree?«

Der Indianer hatte aufmerksam den Worten des Fremden gelauscht und ihn scharf beobachtet.

»Weißer Mann vielleicht recht haben, können nicht sagen; morgen sehen. Nicht denken, daß Ottawa Kriegspfad gegen weißen Mann betreten, vielleicht mit anderm Stamm kämpfen, Pottawatomies oder Saulteux. Morgen sehen. Jetzt schlafen;« und der Indianer nahm seine wollene Decke und legte sich neben dem Feuer nieder.

»Wenn Ihr erlaubt, bleibe ich an Eurem Feuer die Nacht, Herr, meine Hütte ist noch weit von hier entfernt.«

»Ihr seid willkommen.«

Der weißhaarige Mann streckte sich gleichfalls am Feuer nieder, und ihm folgte der Ire, seinen Shilallah im Arm.

Der Graf und Heinrich saßen noch eine Weile zusammen und ersterer teilte dem Jäger mit, was der seltsame Mann für Nachrichten gebracht habe.

»Ehrlich sieht der Mann aus, Herr Graf, ich habe ihn scharf ins Auge gefaßt und ich würde seine Warnung nicht in den Wind schlagen.«

»Nun gut, morgen wollen wir sehen,« und beide schickten sich zur Ruhe an.


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