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Nach ruhig verbrachter Nacht hatte die kleine Karawane Edgars am frühen Morgen ihren Weg nach dem Fort wieder angetreten, und es bedurfte, nach Johnsons Angabe, eines tüchtigen Marsches, wenn sie dasselbe noch am Abend erreichen wollte. Doch selbst die alte Sumach, an Anstrengungen aller Art von früher Jugend auf gewohnt, zeigte sich der Aufgabe durchaus gewachsen.
Athoree, der die Beine eines Hirsches zu haben schien, umkreiste oft in weitem Bogen den Zug, welchen Johnson mit großer Sicherheit führte, oder eilte voran, um zu erspähen, ob der Weg keine Gefahren berge.
Oftmals tauchte dann sein braunes Gesicht plötzlich aus den Büschen auf, er wechselte einige Worte mit seiner Mutter, rief dem Grafen zu » Alls well!« und verschwand wieder.
Michael zog, seinem fröhlichen, leichtherzigen Wesen angemessen, durchaus sorglos einher; ihm bereitete nur das Tier manchmal Kummer, wenn es sich störrisch zeigte, und er selbst seine gälischen Schmeichelworte vergeblich verschwendete.
Den beiden Deutschen war bei diesem mit so großer Vorsicht betriebenen Marsche in den endlosen dunklen Wäldern etwas unheimlich zu Mute, und sie durchforschten, die Büchse bereit haltend, oftmals mißtrauisch die Dickungen, welche sich an ihrem Wege zeigten. Ein Gleiches tat übrigens der walderfahrene Johnson, wenn er auch seinen vollen Gleichmut dabei bewahrte.
Die Augen der alten Indianerin, welche noch scharf genug waren, spähten unaufhörlich umher, oder überflogen forschend den Boden. Gesprochen wurde wenig und dann nur in gehaltenen Tönen, selbst Michael, welcher im Hintertreffen mit dem Maultier und seinem schweren Shilallah einherschritt, mußte seine Lust an lebendiger Unterhaltung zügeln.
»Als Knabe habe ich,« äußerte, nachdem sie längere Zeit schweigend nebeneinander hergeschritten waren, der Graf zu Johnson, »Ihres heimischen Dichters Cooper Indianererzählungen, wie wohl unsre gesamte Jugend, mit der Freude gelesen, welche die werdende Generation an romantischer Begebenheit hat. Mich will bei unserm Marsche fast bedünken, ich erlebe einen Cooperschen Roman.«
»Ich kenne die Erzählungen nicht, Herr, ich bin im Hinterwalde aufgewachsen, und wenn ich auch zeitig lesen und schreiben lernte, so gab es doch bei uns wenig Bücher, die Bibel ausgenommen, welche wohl in keinem Hause fehlte. Wenn unser Zug Ähnlichkeit mit den Beschreibungen des Mannes hat, so muß er wohl gut erzählt haben.«
»Mich überkommt bei unsrer Art und Weise durch den Wald zu ziehen ein Gefühl, als ob mir uns auf dem Kriegspfade befanden.«
Johnson sah ihn an und sagte nach einer Weile: »Sie sind unsern Wäldern und den Gefahren, welche sie bergen, fremd, Herr, und könnten doch leicht sehr richtig fühlen. Mich selbst hat Unruhe befallen, als wir den Leichnam fanden und damit festgestellt war, daß weiße Mörder sich im Walde befinden. Doch können diese unmöglich so zahlreich sein, um uns Schaden zuzufügen. Indes ist Wachsamkeit vonnöten.«
»Aber Sie hegen Besorgnisse, Johnson?«
»Ich muß gestehen, ich halte alle Vorsicht für geboten. Ich selbst habe von den Indianern nichts zu befürchten, aber Ihretwegen beunruhigt mich diese außergewöhnliche Bewegung unter den Roten, denn es ist nicht die Jahreszeit, wo sie ihre große Medizin machen.«
»Was heißt das?«
»Auf den Ruf ihres Medizinhäuptlings, ihres ersten Propheten und Wahrsagers, kommen die Indianer im Herbst zusammen, und dann werden ihre abergläubischen und geheimnisvollen Zeremonien ausgeführt, die Zukunft des Stammes und der Einzelnen vermittelst aller möglichen albernen Zauberkünste befragt, der Medizintanz getanzt und große Schmausereien gehalten. Aber das geschieht, wenn die Blätter fallen, nicht jetzt.«
»Und worauf gründen Sie die Befürchtungen, die Sie augenscheinlich hegen?«
»Es ist ganz klar, daß die Indianer irgend etwas vorhaben, was, vermag ich um so weniger zu ergründen, als ich gar keine Verbindung mit ihnen habe. Mehr aber noch beunruhigt mich das Verhalten unsrer roten Freunde. Ich verstehe mich auf die indianische Natur und kenne Sumach seit drei Jahren. Ihr Athoree würde nicht gleich einem Schweißhunde uns unaufhörlich umkreisen, wenn er nicht für uns fürchtete, und wenn Sie Sumach beobachten wollen, so werden Sie bemerken, wie ihre Augen unaufhörlich spähend umherwandern mit einer Unruhe, die ich noch nicht an ihr bemerkt habe. Diese Leute wittern die Gefahr gleich wachsamen Hunden. Es schwebt etwas Unheildrohendes in der Luft, das sagt mir das Gebaren der beiden Indianer, wie man nach dem der Vögel und Tiere auf ein herannahendes Gewitter schließen kann.«
»Nun, wenn das der Fall ist, so wünsche ich nur, daß sie uns bald in greifbarer Gestalt entgegentritt, denn das Gefühl, aus jedem dichten Busche hervor könnte plötzlich eine Büchse krachen, ist kein sehr angenehmes.«
»Sie dürfen sich auf die Wachsamkeit des Indianers, auf die Sumachs, welche trotz ihres Alters noch die Augen eines Falken hat, und auf mich, der ich mich auf den Wald und auch ein wenig auf indianische Teufeleien verstehe, verlassen, ganz unvorbereitet wird uns keine Gefahr finden. Es ist die Möglichkeit denkbar, daß die Roten unter sich in Streit geraten sind, und da könnten wir natürlich leicht zwischen zwei Feuer kommen. Ich werde sehr befriedigt sein, wenn wir die Wälle des Forts hinter uns haben.«
Der Graf gesellte sich zu Heinrich und teilte ihm den wesentlichen Inhalt seines Gesprächs mit Johnson mit.
»Ich habe schon längere Zeit das Gefühl, Herr Graf, als ob wir uns zwischen Franktireurs befänden und lasse nichts außer acht. Wir haben in Frankreich solche Kriegszüge, wo hinter jedem Baume einer von diesen Spitzbuben lauern konnte, kennen gelernt. Ich bin auf der Hut.«
Sumach ließ einen leichten Ausruf vernehmen, worauf Johnson sofort stillstand, ein Beispiel, dem die andern folgten, auch Michael.
»Was gibt's, Sumach?«
»Athoree muß sehen,« sagte die Alte und deutete auf die Erde.
Sie ließ einen leisen, aber sehr durchdringenden Pfiff vernehmen, wie ihn das Eichhorn oftmals hören läßt, der sofort von vornher erwidert wurde. Johnson trat näher und richtete seine Augen auf den Boden: »Das ist die Spur eines Weißen, Sumach, die wir da kreuzen.«
»Weißer Mann, ja. Athoree sehen.«
Eilig schritt dieser schon heran. Seine Mutter unterrichtete ihn von der Entdeckung. Er beugte sich nieder, betrachtete die Spur, welche Edgar und Heinrich nur undeutlich erkannten und über welche sie achtlos hinweggegangen sein würden, selbst wenn sie mit dem Vorsatz ausgezogen wären, sie zu suchen. Der Indianer richtete sich auf und sagte lakonisch, auf die Spur deutend: »Iltis!«
»Iltis? Und dort Burton ermordet? So wirst du wohl recht haben, daß dieser seinen Gefährten meuchlerisch überfallen hat.«
»Er allein, nicht gefährlich. Müssen weiter gehen.«
Er schritt wieder davon und der Zug setzte sich von neuem in Bewegung.
»Diese Spitzbuben vom Muskegon scheinen sich hier ein Stelldichein gegeben zu haben, Heinrich,« sagte Edgar zu diesem. »Die andern Herren werden nicht weit sein.«
»Nun,« entgegnete der Jäger, »begegne ich einem derselben, so will ich ihn die Angst, welche ich bei dem Prairiebrande ausgestanden habe, büßen lassen.«
»Unrecht geschieht ja allem Vernehmen nach keinem von diesen Gesellen, wenn eine Kugel ihn niederstreckt, indessen ist es doch besser, wir gehen ihnen aus dem Wege, wir haben andre Dinge zu tun. Ich muß gestehen, ich habe mir diesen Zug zu den Ottawas leichter vorgestellt, die Leute am Muskegon und der freundliche Mister Baring hatten doch recht, als sie mir einige Gefahr in Aussicht stellten, ob ich gleich keine Ahnung habe, woher sie kommen soll. Welch ein Glück, daß wir Johnson gefunden haben, der in diesen Wäldern zu Hause ist.«
»Es ist ein wildes Land, Herr Graf, und wilde Menschen bewohnen es, rote und weiße. Ich habe mich mehr als einmal mit Wilddieben herumgeschossen, aber das ist doch kein Vergleich gegen ein Feuergefecht in diesen Wäldern. Kommt aber meine Zündnadel in Tätigkeit, so sollen sie auch erfahren, was eine preußische Jägerbüchse leistet.«
»Du hast doch noch Patronen genug?«
»Zwanzig habe ich bei mir und zweihundertfünfzig trägt das Maultier, damit muß ich auskommen.«
Sie schritten schweigend weiter. Dann blieb der Graf etwas zurück, um dem guten Michael, der unfreiwillig schweigend und sich gelegentlich mit dem Maultier veruneinigend einherzog, einige freundliche Worte zu sagen. Mit behaglichem Grinsen nahte sich ihm der Sohn Erins.
»Nun, Michael, wie geht es mit dem Tiere?«
»Es ist eine störrische Bestie, Ew. Gnaden, und ich wollte, ich dürfte ein wenig fluchen, dann sollte es schon besser gehen. Nichts erleichtert die Seele mehr, als ein kräftiges Wort, Ew. Gnaden dürfen mir glauben.«
»Nun, zu Zeiten,« lächelte der Graf, »mag das ja sein. Aber wir dürfen kein Geräusch verursachen; Vorsicht ist geboten, Michael.«
»Aber warum denn nur, Ew. Gnaden? Wir sind doch ganz friedliche Leute und bringen den braunen Menschen Geschenke; wer will uns denn was anhaben?«
»Ich weiß nicht, ob uns eine wirkliche Gefahr bedroht, Michael, obgleich Johnson und dein Freund Athoree nicht ganz ruhig zu sein scheinen. Gleichviel. Tritt etwas Störendes ein, so laß augenblicklich das Maultier laufen und komm zu uns oder wirf dich zu Boden. Es ist bedauerlich, daß du keine Büchse führst.«
»Ach, Ew. Gnaden meinen, weil so ein paar Schufte etwa auf uns schießen könnten? Meiner Mutter Sohn fürchtet sich nicht, vor niemand, auch wenn er kein solch Schießeisen hat, und wenn sie herankommen, so wird mein Shilallah mit sechsen fertig, darauf können sich Ew. Gnaden verlassen.«
»Das glaube ich dir, Michael, nach der, Probe, welche du mit der Bärin abgelegt hast. Hätte ich übrigens gewußt, welche Gefahren uns hier bedrohen könnten, so würde ich dich, der du der Waffen und des Waldes unkundig bist, denselben nicht ausgesetzt haben.«
Michael mißverstand ihn und sagte ganz treuherzig: »Ich werde Ew. Gnaden nicht verlassen und wenn hundert Stück von solchen Strolchen kommen, das tut Michael O'Donnel nicht. Und ich werde, wenn's not tut, für Ew. Gnaden fechten, wie nur der beste Bursche aus Leitrim fechten kann.«
»Nun, es ist recht, mein braver Michael, mir müssen jetzt schon zusammenhalten und uns gegebenen Falles unsrer Haut wehren.«
»Darauf dürfen Ew. Gnaden rechnen,« und der kräftige Paddy schwang seinen schweren Stock, »meiner Mutter Sohn stellt seinen Mann. Nur daß man gar nicht reden darf, ist sehr unangenehm.«
»Es darf nicht sein, Michael.« Auch diese Unterredung wurde in leisem Tone geführt. »Hoffentlich sind wir noch vor Nacht im Fort, da wirft du wohl Gelegenheit finden, deinem irischen Herzen Luft zu machen.«
Der Graf ging wieder an die Spitze des Zuges, als Athoree zurückkehrte und Johnson anredete. Er deutete nach der Seite hin, nach welcher ihr Weg führte, und sagte: »Dort Fluß, tief, wie hinüber kommen?«
»Liegt dort kein Baum quer über das Wasser?« fragte Johnson erstaunt.
»Nicht Baum dort.«
»Sollte ich den Weg verfehlt haben?« Er sah sich aufmerksam um. »Es kann nicht sein,« sagte er dann, »einige Hundert Schritt oberhalb oder unterhalb unsrer Marschlinie muß ein Baum das Wasser überbrücken, ich habe ihn selbst im verflossenen Jahre gefällt.«
»Komm und sieh.«
Beide gingen rasch voran und die andern folgten ihnen in gleichem Schritte. In wenigen Minuten hatten sie das Ufer eines kleinen Flusses erreicht, der, ohne starke Strömung zu haben, ziemlich tief zu sein schien und wohl dreißig Schritt breit sein mochte.
Johnson prüfte die Gegend und sagte dann, stromab deutend, mit Bestimmtheit: »Dort lag der Baum, nicht hundert Schritt von hier.«
»Ihn Frühjahrswasser wegschwemmen? He?«
»Nein, ich bin noch vor drei Monaten hier gewesen, und habe auf ihm den Fluß überschritten, das kann nicht sein.«
Sie gingen das Flußufer hinab.
»Hier lag der Baum,« und Johnson deutete auf eine Stelle, einige Schritte vor sich, wo deutlich der tiefe Eindruck zu bemerken war, den der schwere Stamm des Baumes im Erdreich hinterlassen hatte.
»Was bedeutet das?« sagte Johnson besorgt.
Athoree war einige Schritte vorausgegangen und stieß einen leisen Ruf jäher Ueberraschung aus. Augenblicklich stand Johnson ihm zur Seite. Beide starrten ernst zu Boden. Auch der Graf und Heinrich kamen heran. Des Indianers Augen funkelten und durchforschten mit den Blicken eines Raubtieres das gegenüberliegende Ufer.
»Was gibt's?« fragte leise Graf Edgar.
Johnson deutete auf tief in dem weichen Boden ausgetretene Spuren, ähnlich denen, welche im Schnee zurückbleiben, wenn zwei hintereinander gehen, und der Folgende sorgfältig in die Fußstapfen des Vorangehenden tritt.
»Was ist es?«
»Die Ottawas sind auf dem Kriegspfade, Herr,« sagte Johnson mit tiefem Ernste.
»Woraus schließen Sie das?«
»Weil sie in indianischer Ordnung marschiert sind, das heißt einer in die Spur des andern tretend. Wenn sie in friedlicher Absicht durch die Wälder ziehen, tun sie das nicht. Gerechter Gott, die Roten auf dem Kriegspfade? das bedeutet Unheil für mancher Mutter Sohn.«
Der Graf betrachtete die tiefe Spur, nicht ohne Besorgnisse aufsteigen zu fühlen, und übertrug Heinrich dann die Worte Johnsons.
Athoree hatte den Boden ringsum durchforscht.
»Ottawa Streitaxt ausgraben.«
»Aber wem kann es gelten? An das Fort werden sie sich unmöglich trauen, das ist wohl bewacht, und wollten sie in die Ansiedlungen fallen, wären sie nicht dieses Weges gekommen. Das ist mir ein Rätsel. Wieviel glaubst du, daß es waren, Indianer?«
»Fünfzig, sechzig Krieger, vielleicht mehr.«
»Eine solche Schar wird das stark befestigte Fort nicht anzugreifen wagen, welches zwanzig Mann lange verteidigen können. Haben die Ottawas den Baum ins Wasser gestürzt?«
»Er so tun, du hier sehen,« und er zeigte, wie die Füße derer, welche den Baum umwälzten, sich in den Boden gegraben hatten. Ein Versuch, die Spuren zu verwischen, war nicht gemacht worden.
»Aber warum?«
»Andre nicht sollen folgen auf Baum.«
»Das verstehe wer kann.«
»Lassen Sie uns hinter die Büsche treten, hier könnten uns Späheraugen treffen.«
Sie begaben sich in das nahe Unterholz, wo sich auch Michael mit seinem Maultier einfand.
»Da sind mir in eine Lage geraten, Herr Graf, die nicht vorauszusehen war, sonst hätte ich Sie nimmer hierhergeführt.«
»Wenn überhaupt eine Gefahr für uns besteht, Mister Johnson,« entgegnete der Graf ruhig, »so wäre sie dort, von wo wir kommen, gewiß nicht geringer gewesen als hier, und ich freue mich jetzt doppelt, daß wir Ihres Beistandes in einer Situation, welche verwickelt zu werden droht, nicht entbehren. Ohne Athoree und Sie wäre ich ratlos in diesen Wäldern.«
»Was können die Ottawas planen? Streit mit den Pottawatomies? Deren Dörfer liegen weitab.«
Athoree hatte sich ruhig neben seine Mutter auf einen umgefallenen Baumstamm gesetzt.
»Was meint der Wyandothäuptling?« wandte sich Johnson ernst an den Indianer, ihm zum erstenmal diese Bezeichnung gebend, welche der Sohn Sumachs durch die ernste, würdevolle Haltung, welche er, seit er den Kriegspfad gesehen, angenommen hatte, herausforderte.
»Er Häuptling, du recht, Athoree Häuptling der Wyandots,« entgegnete mit gelassener Höflichkeit der Indianer, der so ruhig dasaß, als ob keine Gefahr irgend einer Art vorhanden sei. »Er denken so: Ottawa auf Kriegspfad, da nicht Zweifel. Fort angreifen, nicht genug Krieger hier,« er wies auf die Spur, »vielleicht an ander Stelle mehr Krieger über Fluß gehen. Hier nicht mehr kommen, sonst nicht Baum in Wasser werfen.«
»Für wie alt hältst du die Spur. Sind sie heute vorübergezogen?«
»Nicht heute, gestern. Tau auf Spur gefallen, Ottawa weit von hier.«
»Aber wohin rätst du, daß mir uns jetzt wenden?«
»Athoree fremd hier. Ansiedlungen weit, Ottawa nah. Wenn auf Kriegspfad gegen weißen Mann, er Spur von weißem Manne folgen, nicht verbergen können, schießen tot, nehmen Skalp.«
»Verwünschte Geschichte mit den Skalpen das,« sagte Michael, der wie alle mit gespannter Aufmerksamkeit zuhörte.
»Fort, wie weit?«
»Am Abend können wir dort sein.«
»Ottawa nicht Fort angreifen bei Tag, zu wenig Krieger, nicht bei Nacht, roter Krieger nur bei Nacht fechten, wenn müssen, sonst, wenn sterben, er in glückliche Jagdgründe auch in ewiger Nacht bleiben. Möglich, daß lauern um Fort, bis Soldat herauskommt, das möglich. Wenn Ottawa Beil ausgraben gegen weißen Mann, hier Gefahr, dort Gefahr, drüben bei Fort nicht größer als hier. Gehen hin, und wenn dunkel, schleichen leise in Fort.«
»Das scheint mir auch das einzig Richtige, Häuptling; ich sehe, du bist ein kluger und entschlossener Mann. In der Tat, Herr Graf, es bleibt unter diesen Umständen nichts übrig, als auf jedes Fährnis hin zu versuchen, ins Fort zu gelangen. Vielleicht beunruhigen mir uns ja ohne Not, aber ich pflichte dem Indianer vollkommen bei.«
»Nun, wenn zwei solche erfahrene Männer dieser Meinung sind, so schließe ich mich derselben natürlich an. Ich verlasse mich durchaus auf Ihre Führung und werde Sie mit Heinrich nach Kräften in allem unterstützen, was Sie für unsre Sicherheit nötig halten anzuordnen. Sind wir gezwungen, zu kämpfen, nun, Heinrich und ich sind hinreichend an Gewehrfeuer und Kanonendonner gewöhnt, wir werden nicht ungefährliche Gegner sein.
»Dann also nach dem Fort,« sagte Johnson entschlossen, »es bleibt nichts andres übrig. Aber jetzt der Uebergang über den Fluß hier? Ich fürchte, wir dürfen nicht wagen, einen Baum zu fällen, um uns einen Uebergang zu bereiten.«
»Axt weithin hören,« sagte Athoree, »nicht gut.«
»Es ist freilich etwas oberhalb eine Furt, aber sie ist schwer zu passieren, besonders für das Maultier, das Wasser ist tief.«
»So lassen wir das Tier zurück,« meinte der Graf.
»Es wäre nicht gut, denn stoßen wir wirklich auf die Ottawas, so liefern die Geschenke und Schreiben, welche Sie, wie Sie mir sagten, mitführen, den Beweis, daß Sie in der freundschaftlichsten Absicht hierhergekommen sind. Wir müssen den Uebergang versuchen, nasse Kleider wird's freilich geben.«
Sie schritten einige Hundert Schritt am Wasser hinauf und Johnson sagte stehenbleibend: »Hier ist die Furt, sie erstreckt sich direkt in der Richtung von hier nach jener Schierlingstanne drüben. Erst will ich die alte Frau ans andre Ufer bringen, der Irländer kann warten, bis ich zurückkomme.«
»Athoree alte Mutter tragen.«
»Das überlaß nur mir, Häuptling, ich kenne die Furt besser und bin stärker als du.«
Er nahm Sumach auf den Arm und schritt ins Wasser, welches ihm bald bis unter die Achseln reichte, aber festen Schrittes, Athorees Mutter auf der linken Schulter tragend, mit der Rechten die Büchse emporstreckend, während die Alte ihm Pulverhorn, Kugelbeutel und Jagdtasche hielt, schritt er hinüber und setzte seine Bürde ans Land.
Ihm auf dem Fuße war Athoree gefolgt.
Johnson ging wieder zurück.
Der Graf und Heinrich wateten hinüber, gleich Johnson, hoch in den Händen empor haltend, was nicht naß werden durfte.
»Nun du, mein guter Bursche,« sagte Johnson zu Michael. »Nimm die Ladung auf deinen irischen Schädel und kreuze den Fluß, ich komme mit dem Tiere nach.«
Wie er gesagt, tat Michael und brachte auch seine Last trocken auf die andre Seite. Das Saumtier hinüber zu führen, konnte aber nur einem Mann von der Körperkraft gelingen, wie sie Johnson besaß. Das starke, bockige Tier scheute und stemmte sich mit aller Kraft dem Versuche entgegen, es ins Wasser zu ziehen. Aber Johnsons eiserner Arm zwang es hinein. Mit derselben Kraft hielt er dem in der Flut in wilder Angst kämpfenden Tier den Kopf über Wasser und brachte es glücklich ans andre Ufer, wo es zitternd anlangte.
Alle, selbst Michael, der ein ungewöhnlich starker Bursche war, staunten bei dieser Kraftprobe, und der Ire sagte: »Das hätte meiner Mutter Sohn nicht fertig gebracht. Bei St. Patrick, das sind Muskeln.«
Michael belud dann das Tier wieder, alle rangen sich so gut sie konnten die Kleider aus, und von neuem begann in tiefem Schweigen der Marsch, unter Beobachtung der größten Vorsicht. Die Stimmung war eine sehr ernste geworden, und jeder hielt seine Büchse schußfertig im Arm, selbst Michael, welchem das Tier, nachdem Johnsons machtvoller Arm es gebändigt, ruhig folgte, hielt seinen Stock kampfbereit.
Athoree ging mit den Schritten einer Katze voran, ohne sich aber weit von dem Zuge zu entfernen, so daß ihn die Folgenden stets im Auge hatten.
Lautlose Stille herrschte hier im tiefen Walde. Kein Vogel ließ sich hören, kein Eichhörnchen kletterte munter in den Aesten, kaum ein Luftzug war zu spüren. Hoch lag das welke Laub am Boden und dämpfte das Geräusch der Schritte. Mit Vorsicht vermieden es nach Johnsons Anweisung die Dahinschreitenden, am Boden liegende dürre Aeste mit dem Fuße zu berühren, ob es gleich trotz der Warnung oft genug vorkam, daß das Knacken eines solchen hörbar wurde.
Seltsam war Graf Edgar zu Sinne, als er so mit der Büchse in der Hand in der Dämmerung des amerikanischen Urwaldes einherschritt, vor sich des Indianers schattenhaft nur erscheinende Gestalt, dessen Schritte auf dem Laub und bei dem von weichem Hirschleder umhüllten Fuß nicht vernehmbar waren, über sich das dichte Laubdach, welches kaum hie und da ein Sonnenstrahl durchdrang, ringsumher aufragende Waldesriesen und mehr oder minder dichtes Buschwerk, zu seinen Füßen oftmals vermoderte Baumstämme, welche den Weg versperrten. Sorglos hatte er den ersten Teil seiner Waldreise zurückgelegt, und das Gefühl, gefährdet zu sein in dieser Einsamkeit, war ihm erst seit seiner Zusammenkunft mit Johnson aufgestiegen und durch die jüngsten Entdeckungen wesentlich gestärkt worden. Er sowohl als auch Heinrich waren Männer von unbezweifelter Tapferkeit, die in mehr als zwanzig Schlachten und Gefechten die Kugeln um sich pfeifen hörten, aber dieses leise Einherschleichen im düsteren Walde, in dessen Halbdunkel möglichenfalls das Leben nur vom scharfen Auge und seinen Gehör abhing, diese ununterbrochene Anspannung aller Sinne hatte etwas unheimlich Aufregendes. Mit Hurra! und schlagenden Tambours gegen eine Batterie anzustürmen, schien den europäischen Kriegern leichter, als so zwischen Baum und Busch, wo die tiefe geheimnisvolle Stille jeden Augenblick vom Donner einer Büchse unterbrochen werden konnte, einherzumarschieren.
Dabei bevölkerte die erregte Phantasie die düstere Umgebung mit den Gestalten wilder Feinde, und mehr als einmal, wenn ein Tier flüchtig wurde oder die Blätter stärker rauschten, wurde die Büchse emporgerissen. Mit ernstem, doch gleichmütigem Gesicht ging Johnson einher, dessen schneeiges Haar und weißer Bart ihn in dieser Umgebung wirklich wie den Geist des Urwalds erscheinen ließen, ein Name, den ihm der Offizier des Forts nicht unpassend erteilt hatte.
Ihr Weg lief fortwährend neben dem tief ausgetretenen Kriegspfad her, welchen die Schritte der Ottawas hinterlassen hatten, denn dieser führte in seiner Verlängerung direkt auf das Fort zu.
Nachdem sie einige Meilen auf diese Weise zurückgelegt hatten, immer den Spuren der Indianer entlang, machte Athoree die Folgenden aufmerksam, daß die Ottawas sich geteilt haben müßten.
Dies war am Boden leicht zu erkennen, sie waren fast im rechten Winkel auseinander gegangen. Beide Teile aber in derselben Ordnung, in welcher der ganze Zug einhergeschritten war.
»Wo der See?« fragte er Johnson.
Dieser deutete gerade auf sich hin.
»Wo Fort?«
Johnson gab ihm die Richtung an.
»Ottawa sich teilen. Fort und See umgehen? Kanoes hier?«
»Dies mag wohl sein, denn ich weiß, daß sie im Chippeway-See fischen, und so werden sie gewiß ihre Kähne hier versteckt haben.«
Der Indianer entgegnete nichts und ging nach kurzer Frist langsam weiter, dann blieb er, wie vorher der Graf, stehen und wartete, bis Michael kam, dem in der letzten Zeit bei dem Geheimnisvollen, was ihn hier umgab, die Lust zu reden vergangen war.
Athoree ging langsam neben ihm her, und da er nicht sprach, fragte Michael endlich: »Willst du etwas von mir?«
»Du starke Hand, starkes Herz; ihm sehen. Was du tun, wenn Injin kommen?«
»Du meinst, wenn deine Landsleute uns zu Leibe rücken?«
»Nicht Landsleute, Ottawa ander Volk, nicht Athorees Volk.«
»Na, 's wird sich ziemlich gleich bleiben,« murmelte der Ire.
»Was du tun, wenn kommen Injin? Mir sagen.«
»Je nun, ich werde sie behandeln wie die Bärin, und das hast du ja gesehen.«
»Gut, wenn kommen nah. Bärin keine Büchse, Ottawa Büchse, schießen gut. Was du tun, wenn schießen? Das sagen.«
Der Irländer kratzte sich den buschigen Kopf.
»Höre einmal, Indianer, zum Ausreißen ist meiner Mutter Sohn nicht gemacht, verstehst du? Und wenn sie auf uns schießen –? Hm. Du glaubst doch an Gott, nicht wahr?« »Glaube an großen Geist.«
»Nun ja, siehst du, dann muß mich der liebe Gott schützen, wir stehen alle in seiner Hand.«
»Das gut. Großer Geist mächtig. Noch besser, du kommen gleich hinter Athoree, legen in Gras, er für dich schießen. Kommt mit Tomahawk, Ottawa, du nehmen Stock und machen so wie mit Bärin. He?«
»Segne meine Seele, du bist wirklich ein guter Kerl, Indianer,« und Michael reichte ihm treuherzig die Hand, »anfangs, weißt du, mochte ich dich nicht recht, das kam davon, daß ich deinesgleichen noch nicht gesehen hatte, aber ich weiß jetzt, besonders seitdem du deine Mutter wieder hast, daß dir das Herz auf dem rechten Fleck sitzt.«
»Nicht so viel reden. So tun wie Athoree sagen.«
Der Wyandot ging zu seiner Mutter.
»Die alte Frau ist müde vom langen Wege?« fragte er in der Sprache seines Volkes.
»Der Weg ist bald zu Ende, wir sind am Fort, noch ehe die Sonne sinkt.«
»Die Ottawas haben den Kriegspfad betreten.«
»Sumach sah es.«
»Die Kugel macht keinen Unterschied zwischen einer Squaw und einem Krieger.«
»Wird Athoree fechten?«
»Athoree gehört zu Gutherz, er hat den letzten Sprossen Meschepesches vor Schmach bewahrt. Nicht gern wird Sumachs Sohn gegen die Ottawas kämpfen, sie sind nicht seine Feinde, aber greifen sie uns an, muß Athoree Gutherz schützen und fechten.«
»Gut.«
»Was wird Sumach tun?«
»Sumach wird, wenn Athoree das Zeichen gibt, im Grase liegen gleich der Schlange und lauschen.«
»Gut. Sumach ist die Frau und Mutter von Wyandotkriegern, Sumach ist klug. Athoree wird für sie fechten und mit ihr sterben.«
»Nicht sterben,« sagte die Alte eifrig, »Athoree wird fliehen, wenn die Ottawa kommen, sie werden Sumach kein Leid zufügen, die Ottawa kennen Sumach.«
»Athoree wird bei der Mutter bleiben.«
»Hört der Häuptling der Wyandots noch auf seiner Mutter Stimme?«
»Er tut es. Athoree glaubte Sumach beim großen Geiste, er vernahm ihre Stimme in dem Rauschen der Zweige und hörte auf sie. Athoree wird tun, was Sumach sagt.«
»So wird der Wyandothäuptling, der Enkel Meschepesches, seinen Skalp retten, der darf nicht trocknen im Wigwam eines hündischen Ottawa. Kann Athoree nicht sitzen am Ratsfeuer seines Volkes, soll er doch als Häuptling eingehen in die glücklichen Jagdgründe. Sumach sagt es, sie ist sicher vor dem Tomahawk der Krieger.«
Die alte Frau sprach leise, aber mit nachdrücklichem, feierlichem Ernste, und der Indianer neigte gehorsam, fast demütig das Haupt.
Nach dieser kurzen Unterredung begab er sich wieder an die Spitze des Zuges, der schweigend wie bisher im Schatten des Waldes seinen Weg fortsetzte.
Die Sonne sank, und während ihre letzten Strahlen noch die Wipfel der Bäume vergoldeten, herrschte tief unten bereits Nacht.
Endlich gewahrte das scharfe Auge des Indianers, daß es nach vorn hin lichter wurde.
»Alle niederlegen,« flüsterte er Johnson zu, »Athoree allein gehen, sehen nach Ottawas.«
Dieser nickte und teilte den andern Athorees Absicht mit, und auf seinen Wink ließen sich alle nieder und waren im Waldesdunkel nicht von Baum und Buschwerk zu unterscheiden.
Gleich einer Schlange wand sich der Sohn Sumachs schnell und geräuschlos durch die Büsche und kauerte sich am Rande des Waldes nieder. Draußen war es noch hell genug, Fort und See überschauen zu können.
In tiefster Ruhe lag das schöne Gewässer vor ihm, still und friedlich das kleine Fort an seinem Ufer.
Aber des Indianers Herz blieb unberührt von der feierlichen Schönheit eines solchen Abends; sein Adlerauge überflog den See und die Waldesränder und haftete dann lange an dem Fort, welches so schweigend vor ihm lag, als habe niemals Leben in ihm geherrscht.
Kein Laut klang von da herüber, kein Rauch stieg über die Pallisaden empor, still – alles – still.
Der Indianer wußte so viel, daß strenge Disziplin in den Garnisonen der Weißen herrsche, welche Lärm irgend welcher Art nicht gestattete, doch diese Lautlosigkeit war ihm verdächtig.
Noch einmal flog sein Blick über das Fort und den Waldsaum hin – dort an den Büschen glaubte er eine Bewegung zu bemerken, nein, es war nur der Wind, der die Zweige bewegte.
Rasch schritt er zurück zu den harrenden Freunden. »Nun, Athoree?«
»Nichts sehen. Alles still, zu still. Fort zu viel Schweigen.«
»Was heißt das?« fragte Johnson.
»Alles Schweigen, nichts hören von Langmesser, kein Rauch. Kommen sehen.«
Er ging voran und lautlos folgten ihm alle. Selbst das Maultier mußte eine Ahnung von Gefahr haben, denn es zog wiederholt in auffälliger Weise die vom Fort herkommende Luft ein und zitterte.
Bald standen der Indianer, Johnson und die beiden Deutschen am Waldesrande und sahen See und Fort vor sich.
»Das ist seltsam,« sagte Johnson, »sollte die Garnison ausgerückt sein?«
Die Nacht sank mehr und mehr hernieder. Graf Edgar hatte ein kleines aber scharfes Glas genommen und überflog das Fort.
»Da ist Küchenrauch,« sagte er endlich.
»Wo?« Und Johnson nahm das Glas.
Auch er bemerkte eine dünne Rauchsäule, die gen Himmel stieg, aber auf dem dunklen Waldhintergrunde bei dieser Beleuchtung selbst von des Indianers Auge nicht wahrgenommen werden konnte.
Dieser erbat sich das Glas, dessen Gebrauch ihm nicht unbekannt war, und sah lange hindurch, er gewahrte jetzt auch den senkrecht ansteigenden Herdrauch. Er gab es zurück und fragte Johnson: »Wo die Tür zu Fort?«
»Gerade vor uns, wir können sie nicht direkt sehen, sie ist gedeckt von einer Pallisadenreihe.«
»Nun dunkel genug, denken, gehen rasch nach Fort.«
Er rief seine Mutter zu sich, spannte den Hahn seiner Büchse, worin ihm die Männer folgten, und trat aus dem Walde hinaus. Hinter ihm folgte Johnson, dann Edgar und Heinrich, und mit seinem Maultier Michael.
Bis zum Fort hatten sie etwa zweihundert Schritt zurückzulegen.
Der dritte Teil dieser kleinen Entfernung lag hinter ihnen, als das Maultier stehen blieb und ängstlich nach rechts hin schnoberte. Der Mann aus Leitrim unterdrückte mit Mühe einen Fluch.
Gleichzeitig lösten sich vom Walde, auf der Seite, von welcher dem Tier die Witterung herkam, wohl ein Dutzend Gestalten ab, welche, schattenhaft nur wahrnehmbar, eilig herbeihuschten.
»Der Wilde!« schrie Johnson bei diesem Anblick mit mächtiger Stimme. – »Vorwärts! Lauft ums Leben!«
Von rechts her krachte ein Schuß, dem zwei andre folgten. Blitzschnell hatten die beiden preußischen Soldaten bei diesem Klang die Büchsen an die Wangen gerissen und donnernd entluden sich die Gewehre.
Mit gleicher Schnelligkeit folgten die Schüsse von Johnson und Athoree.
Zwei Schmerzensschreie ertönten, denen ein wildes Geheul folgte.
»Was ist das? Heiliger Michael!'« schrie der Irländer, »die Halunken haben mir das Maultier erschossen.« Es war in der Tat niedergefallen und wälzte sich in Schmerzen am Boden.
Bei dem raschen Feuer der so unerwartet Angegriffenen waren die eben noch heranspringenden Gestalten plötzlich verschwunden.
»Zum Fort!« schrie Johnson von neuem, »sie kommen im Grase heran,« faßte die alte Sumach, nahm sie, wie er einen Säugling gehoben hätte, auf einen Arm und lief nach dem Eingang zu. Zu seiner Seite Athoree, welcher im Laufen zu laden versuchte.
»Michael, hierher, rasch, es geht ums Leben!« rief der Graf.
»Ja, ja, Ew. Gnaden,« schallte es zurück, »ich komme. Die Kanaillen haben das Tier zusammengeschossen,« und Michael rannte mit großer Eile vorwärts.
Heinrich hatte bereits wieder eine Patrone im Laufe und lief jetzt Unfalls nach dem Fort hin.
Da tauchten vor ihnen und zu ihrer Rechten von neuem die unbekannten Angreifer auf, stürzten mit wildem Geschrei auf sie ein und suchten ihnen den Weg abzuschneiden.
Alsbald krachte Heinrichs Büchse. Ein Todesschrei, der mitten aus dem wilden Angriffsgeheul herausklang, war das Echo.
Johnson war den Pallisaden, welche das Tor verdeckten, am nächsten, er stieß einem Indianer, welcher mit geschwungenem Tomahawk auf ihn losstürzte, den Büchsenkolben vor die Brust, so daß dieser sofort am Boden lag, und sprang dahinter, dem zweiten fuhr Athorees Axt in die Schulter, Heinrich hieb mit dem Kolben darein, der Mann aus Leitrim aber ließ ein gellendes Juchzen hören, wie es bei den Kirchweihfesten der Irländer vernommen wird, wenn der Jubel am wildesten tobt, und sein Shillalah traf mit unvergleichlicher Schnelligkeit zwei heulende Wilde, die wie vom Blitze getroffen mit zerschmetterten Schädeln zu Boden sanken, ohne auch nur einen Laut von sich zu geben.
Die Angreifer standen bei diesem Anblick still. Im selben Augenblicke brach Johnson, welcher Sumach abgesetzt hatte, wieder hervor. Michael aber, in dem der gälische Kampfeszorn erwacht war, wiederholte seinen Jubelschrei und stürzte, den Stock schwingend, auf die Angreifer los.
Uebel hätte ihm dies bekommen können, doch jene hatten ihre Büchsen entladen und sprangen, entsetzt von den vernichtenden Streichen des Mannes, in wildester Flucht davon.
Ihnen nach krachte von neuem Heinrichs Hinterlader.
»Zurück, Michael, zurück!« rief der Graf und gehorsam wandte sich der tapfere Ire um.
Johnson und Athoree waren vorgestürmt, um Michael Hilfe zu leisten, als in wildem Sprunge ein Indianer an ihnen vorübersetzte, der sich in des Irländers Rücken zu weit vorgewagt hatte.
Johnson führte einen Stoß mit der langen Büchse nach ihm, unter dessen gewaltiger Wucht der Mann, in die Seite getroffen, zusammenbrach.
Mit einem Satze war Johnson, der ebensoviel Gewandtheit als Kraft zu besitzen schien, bei ihm. Die eiserne Hand faßte das Genick des Liegenden, und als ob er ein junger Hund wäre, den er im Nacken gefaßt hatte, hob er den stöhnenden Mann empor, reichte dem neben ihm stehenden Athoree die Büchse, faßte die Arme seines Opfers auf dessen Rücken zusammen, warf ihn über die Schulter und sprang nach den Pallisaden zurück, wo Michael eben anlangte.
»Das waren Hiebe aus Leitrim, Ew. Gnaden!« rief der erregte Mann.
»Hinein! Hinein!« rief Johnson.
Sumach war bereits im Fort, dessen Pforte offengestanden hatte, der Graf Edgar folgte mit Michael.
Von neuem erhob sich draußen Geheul, Johnson sprang durch die Türe ins Innere und warf seine Last zu Boden – Athoree ihm nach – Johnson schlug die schwere Türe zu und schob den Riegel vor.
Ein wütender Anprall draußen, dann herrschte Totenstille.
»Laden!« rief Johnson.
Es geschah.
Schon sprang Heinrich zum Wall empor, legte sein Gewehr in eine der Schießscharten und feuerte auf schattenhafte Gestalten, welche höllischen Dämonen gleich draußen herumsprangen.
Nachdem Athoree geladen, fesselte er rasch mit Hirschriemen, wie sie jeder Jäger in den Wäldern und besonders jeder Indianer bei sich trägt, den Gefangenen, welcher übrigens bewußtlos dalag, indem er ihm die Arme fest an den Körper band.
Ein Augenblick der Abspannung trat nach der furchtbaren Erregung, welche der so unerwartete heimtückische Ueberfall hervorgerufen hatte, ein, und auch draußen herrschte nach Heinrichs Schusse tiefes Schweigen. Die wilden Angreifer waren verschwunden.
»Was war das, Johnson?« fragte Graf Edgar leise.
»Blutgierige Wilde, Herr,« entgegnete dieser mit seiner gewöhnlichen sanften Ruhe. »Sie sind zum Morden ausgezogen; Gott sei jeder Menschenseele gnädig, welche in ihre Hände fällt.«
»Aber was ist hier geschehen? Die Türe offen und das Schweigen des Todes über dieser Stätte?«
Ringsum lagen die Leichen der Soldaten zerstreut, aber die tiefe Dunkelheit, verstärkt durch aufgezogene Wolken, verbarg den schaudervollen Anblick und hüllte die Toten in den Schleier der Nacht.
Heinrich kam vom Wall zurück und stolperte über einen in seinem Weg liegenden Gegenstand, er bückte sich, um nach dem Hindernisse in seinem Weg zu sehen, und fuhr zurück, als er zwei Soldatenleichen vor sich sah.
»Hier liegen Tote, Herr Graf.«
Edgar und Johnson traten näher.
»Was ist hier geschehen?« fragte der Graf, von dem Anblick erschüttert.
»Das Fort ist überfallen, ich fürchte, wir werden noch mehr zu sehen bekommen.«
»Sind wir hier vor einem Überfall gesichert, Johnson?«
Dieser, der durch seine öfteren Besuche das Fort gut kannte, entgegnete: »Es befindet sich noch eine Pforte am See.« Und rasch schritt er dorthin, der Graf und Heinrich folgten ihm. Sie fanden schon Athoree dort, welcher rasch und vorsichtig den Wall umschritten hatte.
»Tür offen, kommen Ottawas hier herein.«
Trotz des schwachen Lichtes nahmen sie doch die Leichen wahr, welche in wilder Zerstreuung dort übereinander lagen. Auf dem Wasser sahen sie die Boote des Forts und die Kanoes der Indianer schimmern.
»Kommen im Kanoe,« sagte der Indianer, auf die dunklen Punkte im Wasser deutend.
»Wir müssen die Bucht und die Türe verschließen.« Und Johnson begab sich auf der schmalen von Pallisaden eingefaßten Plattform nach dem See zu. Hier war, und Johnson wußte das, ein Verschluß angebracht, welcher den kleinen Hafen von dem See trennte. Dieser Verschluß bestand in einem schwimmenden dicken Balken, dessen obere Seite mit starken und hohen Eisenstacheln versehen war. Als am Morgen dem Kanoe zu landen gestattet wurde, war er geöffnet worden und seitdem nicht wieder verschlossen, Johnson gelang es trotz der Dunkelheit, den Balken in die Lage zu bringen, wo er den Hafen und die darin liegenden Boote sicherte. Er fügte ihn in die dafür bestimmten eisernen Krampen, und da an diesen noch das Schloß hing, bediente er sich desselben, den Balken vollständig fest zu legen.
Während dies geschah, hatte sich Athoree vorn auf die Plattform gekauert und die Mündung seiner Büchse, welche er wieder geladen hatte, auf das Wasser gerichtet.
Vor der Tür standen Edgar und Heinrich.
Ein leises, kaum vernehmbares Geräusch, ein Plätschern kam vom Wasser her. Ein roter Feuerstrahl brach aus Athorees Büchse, beleuchtete für einen Augenblick die grausige Scene und die Ufer hallten den Donner seines Schusses wider. Ein Gurgeln im Wasser, dann das Geräusch, welches entsteht, wenn kräftige Arme das Wasser schwimmend teilen.
Kaltblütig erhob sich Athoree: »Er wollen Kanoe holen. Nicht kriegen, er nicht wieder kommen.«
»Gehen mir zurück, die Boote liegen jetzt sicher, wenn mir die Tür befestigen, können wir ruhig den Morgen erwarten.«
»Sind die Wälle und Pallisaden nicht zu ersteigen?«
»Ohne lange Leitern nicht, Sir, solche haben die Wilden nicht, und außerdem greifen sie in der Nacht sehr selten an, die Morgendämmerung ist die gefährliche Zeit.«
Sie traten in das Innere des Forts und Johnson verschloß sorgfältig die Tür. »Ich glaube, wir dürfen uns hier hinreichend geschützt halten. Zu nehmen ist das Fort kaum, wenn es auch nur von wenigen Leuten verteidigt wird. Die Wilden haben es, Gott mag wissen durch welche List, am hellen Tage überrumpelt.«
»Ich möchte etwas Licht machen, Johnson.«
»Tun Sie das ruhig, wir sind hier keiner Kugel ausgesetzt.«
Der Graf nahm sein Feuerzeug aus der Tasche und zündete einen kleinen Wachsstock an.
Grausig war der Anblick, der sich ihnen im kleinen Umkreis bei dem Lichte der Kerze darbot. Fünf, sechs Tote lagen um sie her und deutlich war die gräßliche Verstümmelung der Köpfe zu bemerken.
»Das ist furchtbar,« sagte der Graf, und auch Heinrich, der wie sein Herr an den Anblick gefallener Soldaten gewöhnt war, schauderte vor diesem Anblick leicht zusammen.
Sumach hatte sich ruhig niedergesetzt und sah mit gleichgültigen Blicken vor sich hin. Nicht so Michael, der, als er die skalpierten Leichen erblickte, einen Schrei des Entsetzens ausstieß: »O, blutige Schurken! Das ist ja gräßlich, Euer Gnaden.«
»Ja, das ist es,« sagte traurig der Graf.
»Zwei habe ich heimgeschickt,« murmelte ingrimmig der Ire und faßte seinen Stock fester, »sie sollen nur kommen, ich will das bißchen Kopfhaut schon verteidigen.«
Der Graf leuchtete weiter umher, überall stieß das Auge auf gefallene Krieger.
Er blies das Licht aus. »Der Anblick ist nicht zu ertragen.«
»Erbarmungslose Tiger haben hier gehaust. Was sage ich? Die Tiere des Waldes sind milde gegen diese mitleidslosen Hunde, wenn ihre Leidenschaften entfacht sind. Der Engel der Barmherzigkeit muß sein Angesicht verhüllt haben. Das ist ein trauriger Ort, Herr.«
»Wir müssen alles untersuchen, Johnson, vielleicht ist noch einem oder dem andern Hilfe zu bringen.«
»Er alle tot, ganz tot,« sagte trocken Athoree, »Indianerkrieger lassen Feind nicht leben.«
»Eine entsetzliche, schaudervolle Weise der Kriegführung. Ich habe es für unmöglich gehalten, daß der Mensch, selbst der Wilde, zu solcher Bestialität herabsinken könne. Sie haben recht, Johnson, das ist ein trauriger Ort. Beklagenswerte Besatzung!«
»Wir müssen den Morgen abwarten, um das Elend ganz überschauen zu können, und uns für die Nacht so gut als möglich einzurichten suchen.«
Indem er so sprach, fiel sein Auge auf die schwach erkennbare Rauchsäule, welche friedlich aus dem Schornstein des dort im Winkel des Forts sich erhebenden kleinen Blockhauses gen Himmel stieg.
Johnson wies darauf hin: »Und doch ist noch Leben hier inmitten des Todes. Lassen Sie uns nachforschen.«
Sie gingen zu dem Häuschen hin. Deutlich bemerkten sie jetzt, daß durch die Spalten eines verrammelten Fensters schwacher Lichtschein fiel.
Johnson pochte an die Türe. »Ist jemand hier?«
Keine Antwort erfolgte.
Er pochte starker: »Ist jemand hier, so sage er es und öffne, hier stehen Christenmenschen.«
Man hörte einen leichten Schritt, und eine schwache Stimme fragte: »Wer ist da?«
»Ich bin's, Johnson, der Weißhaarige, Frau. Die Wilden sind fort. Oeffnet, das Fort ist jetzt sicher.«
Es verging eine Weile. Dann rasselten Riegel und Schlüssel und die Tür ging auf.
»Seid ihr Christenmenschen, so werdet ihr uns nichts zuleide tun.«
»Nein, Frau, nein, mir sind Freunde, beruhigt Euch.«
Die Frau ließ sie ein, und sie traten in ein kleines Gemach, in welchem auf einem Tische eine Lampe brannte. Die Möbel standen wild durcheinander. Schränke und Tische waren vor die Fenster geschoben. Dort auf dem Bett lag ein alter Soldat, der schwer atmete.
»Um Gottes willen, was ist hier vorgegangen?«
»Ich weiß es nicht, Herr,« sagte die bleiche Frau fast tonlos. »Der Wilde war plötzlich da, ich habe meinen todwunden Mann hereingezogen, und sitze nun bei ihm und warte auf seine und meine letzte Stunde. Gott wird gnädig sein.«
»Beruhigt Euch, mir sind jetzt in verhältnismäßiger Sicherheit. Könnt Ihr uns nicht das Nähere angeben, wie das Fort in die Gewalt der Wilden geriet?«
»Ich weiß von nichts, Herr; ich hörte nur schießen und heulen, sah meinen Mann fallen, hatte noch so viel Besinnung, ihn zu retten, und seit der Zeit ist mir's so dumpf im Kopfe, daß ich nicht denken kann. Ich habe gesessen und gebetet, dann habe ich Feuer angemacht, um Kaffee zu kochen, das weiß ich noch – aber – da liegt er – seht doch nur, Herr, da liegt er, mein guter, braver Mann.« Und die Sergeantin brach in einen Tränenstrom aus, der endlich das herbe Weh ihrer Seele linderte. Sie setzte sich ans Bett und hielt die Schürze vor die Augen.
Johnson nahm die Lampe und beleuchtete den Verwundeten.
»Bitte, halten Sie das Licht, ich will einmal nach den Verletzungen des Sergeanten sehen.«
Der Graf nahm die Lampe, während Johnson vorsichtig die von der Frau gemachten Verbände abwickelte. Er untersuchte die Wunden sorgfältig und mit der Geschicklichkeit des erfahrenen Grenzmanns und äußerte dann: »Die Sache ist nicht gefährlich. Die Kugel hier,« er wies auf die untere Verletzung, »ist um die Rippe herumgeglitten, aber die, welche den Kopf streifte, obgleich der Schädel nicht gebrochen ist, muß eine starke Gehirnerschütterung hervorgerufen haben. In vierzehn Tagen ist der Mann wieder gesund.« Er verband dann die Wunden wieder. »Trösten Sie sich,« sagte er zu der leise weinenden Frau, »die Wunden sind ungefährlich, der Sergeant hat einen gehörigen Puff gegen den Hirnschädel bekommen, aber der hält etwas aus. Die Betäubung wird weichen, legen Sie ihm nur Tücher mit kaltem Wasser auf den Kopf, die Wunden sind bald geheilt.«
Mit glücklichem Angesicht lauschte die Frau diesen Worten, während noch die Tränen in ihren Augen standen.
»O, Gott, Gott sei Dank.«
Lebhaft erhob sie sich dann.
»Mir ist alles wie ein wüster Traum, ich weiß gar nicht, was geschehen ist, mir war zu Mute, als ob ich einen Schlag auf den Kopf bekommen hätte, so plötzlich brach es über mich herein.«
»Pflegen Sie Ihren Mann, das Fort ist jetzt vor jeder Ueberraschung sicher; aber sagen Sie uns, wo wir für die Nacht unterkommen können.«
»Wo sind denn die Soldaten? Ist denn niemand draußen?«
Man zögerte, ihr die furchtbare Wahrheit, von welcher sie keine Ahnung zu haben schien, zu enthüllen.
»Widmen Sie sich dem Sergeanten, Frau, wir werden schon Obdach finden.«
In der Türe erschien des Wyandots dunkles Gesicht.
Die Sergeantin stieß einen Schreckensruf aus: »Da, da ist er.«
Man beruhigte sie über die Person des Indianers, aber die Frau konnte ihr Entsetzen nicht bemeistern.
»Was willst du, Athoree?«
»Ihm sagen, drüben schlafen, großes Wigwam da.«
»Gut, wir folgen dir. Aengstigen Sie sich nicht, Frau Sergeant, es ist kein Grund zu Besorgnissen vorhanden. Wir wollen uns drüben eine Ruhestätte suchen. Gute Nacht!«
Sie verließen das kleine Haus und gingen zur Wohnung der Offiziere.
Graf Edgar ließ seine Kerze leuchten und überblickte die Zerstörung, welche die Fäuste der Indianer hier hervorgerufen hatten. Alles lag durcheinander. Sie fanden eine Lampe und zündeten sie an.
Athoree, welcher seine Mutter bereits in einem Winkel der Haustür untergebracht, und ihr ein weiches und warmes Lager, besonders vermittelst der Felle, welche er in der Nähe des Tores gefunden, bereitet hatte – es waren dieselben, welche die Ottawas bei Beginn des Kampfes fortgeworfen hatten – erklärte, er werde wachen, die andern sollten ruhig schlafen gehen.
»Einiger Schlaf wird uns not tun,« sagte Johnson, »wer weiß, was der morgende Tag uns bringt.«
Michael, der schweigend und traurig draußen in der Nacht gesessen hatte, wurde herbeigerufen. Man begann etwas Ordnung herzustellen, und was noch von Bettzeug und Decken zu finden war, zu Lagerstätten zu bereiten.
»Herr Gott, Herr Graf,« fuhr Heinrich plötzlich empor.
»Nun? Was gibt's?«
»Die Patronen, die Patronen! Ich habe nur noch wenige Stück.«
»Das ist schlimm.«
Die Patronen lagen bei dem Maultier draußen.
»Was tue ich mit der Büchse ohne Patronen? Nein, die muß ich haben. Es ist dunkel, ich schleiche hinaus und hole sie.«
»Das geht nicht, Heinrich. Draußen lauern die Wilden.«
»Und das Gepäck werden sie wohl schon geplündert haben,« fügte Johnson hinzu.
»Der Verlust der Patronen ist ein großes Unglück.«
Athoree hatte ruhig zugehört. Die schnellfeuernde Waffe, welcher er bisher keine besondere Beachtung geschenkt, hatte ihm mächtig imponiert und er begriff, daß sie ohne die Munition nutzlos sei.
Er sagte jetzt: »Schnellfeuer,« er hatte den Namen für Heinrich gefunden, »nicht gehen, Athoree gehen, wenn ihn Ottawa sehen, denken er Ottawa; Athoree gehen.«
»Willst du dich wirklich der Gefahr aussetzen, Häuptling? Du leistest uns einen großen Dienst, aber bedenke, die Ottawas sind im Felde.«
»Ottawas sind blinde Hunde, wenn ein Wyandotkrieger kommt. Athoree gehen.«
Da es in der Tat für aller Leben von der größten Wichtigkeit war, die Patronen zurückzuerlangen, beschloß man, den Indianer den Versuch machen zu lassen, zu dem er sich erboten hatte.
Alle begaben sich leise nach dem Ausgangstor. Vorsichtig ward der Riegel zurückgezogen und die Tür gerade so weit geöffnet, daß der Indianer durchschlüpfen konnte. Michael war beordert, die Tür, welche man unverriegelt ließ, zuzuhalten und sie nur Athoree zu öffnen.
»Sie sollen nur kommen, die skalpierenden Hunde,« murmelte der Mann aus Leitrim, den eine aus Entsetzen und Wut gemischte Stimmung beherrschte, »ich will ihnen den Weg zeigen.«
Athoree hatte sich auf den Boden niedergelassen und war geräuschlos im Dunkel verschwunden. Johnson, der Graf und Heinrich begaben sich auf den Wall, um ihm im Notfall als Succurs dienen zu können. Vergeblich suchten sie indes das Dunkel zu durchdringen, das Maultier lag mindestens hundert Schritt entfernt und von Athoree war nicht das mindeste zu entdecken.
Angestrengt lauschten sie, die Büchsen zum Schuß bereit.
»Mir kommt es vor, ich höre Stöhnen,« sagte Graf Edgar nach einer Weile.
»Mein Ohr erhaschte bereits auch diese Laute.«
Auch Heinrich hatte den Ton vernommen.
»Es wird ein verwundeter Indianer sein,« meinte der Graf.
»Nein, Herr, die Roten haben ihre Toten und Verwundeten bereits hinweggeschafft. Aber vielleicht liegt solch ein winselnder Ottawa draußen, und versucht es, uns durch seine mitleiderregenden Töne hinauszulocken, indem er uns glauben machen will, einer der Unsern heische Hilfe.«
Das Stöhnen ließ sich wieder hören.
»Wollen wir nicht fragen, Johnson, wer da draußen klagt?«
»Stille. Athoree ist im Felde und hört die Töne auch, er wird schon nachsehen.«
Sie lauschten angespannt weiter.
Der Sohn Sumachs war in weitem Bogen mit größter Vorsicht, einer am Boden sich windenden Schlange gleich, nach dem Maultier hingekrochen. Er kannte den Beutel, in welchem die Patronen verwahrt wurden, und mußte, wo er zu finden war.
Schon berührte er den Kadaver des Tieres, als er auf dessen andrer Seite ein leises Geräusch vernahm. Er zog das Messer und horchte. Dann tastete er nach dem Packen, in welchem die Patronen stecken mußten, aber der war vollständig ausgeraubt. Johnson hatte recht gehabt, daß die Ottawas sich die Gelegenheit, das Maultier im Schutze der Dunkelheit seiner Last zu entledigen, nicht entgehen lassen würden. Die Packen waren leer.
Wiederum hörte Athoree das Geräusch auf der andern Seite des Tieres. Vorsichtig hob er das Haupt und sah vor sich die funkelnden Augen eines Ottawa. Nicht mit der Wimper zuckte Athoree bei dem Anblick.
»Was suchst du?« fragte sein Gegenüber ruhig.
Obgleich der Wyandot im stande war, sich mit einem Ottawa zu verständigen, denn er sprach den Dialekt der Saulteux, eines andern Zweiges des Chippewayvolkes, so begnügte er sich doch, leise etwas Unverständliches zu murmeln.
»Hier ist ein Beutel,« klang die Stimme des Ottawas, »meine jungen Männer haben ihn übersehen, trage ihn zu den Häuptlingen.«
Er nahm den ihm gereichten Beutel; – er enthielt zu seiner Freude die Patronen, – und hob sich langsam empor. Kaum war er auf den Knieen, als seine linke Hand mit einem blitzschnellen Griff des Ottawa Kehle faßte und seine Rechte ihm gleichzeitig das Messer durch den Hals zog. Dumpf röchelnd sank der Indianer um, als Athorees Hand seinen Hals losließ. Eilig kroch Athoree dann dem Fort zu. Nicht zwanzig Schritt von diesem entfernt berührte sein Ohr das leise Stöhnen, welches bis zum Wall hinaufgedrungen war.
Athoree hielt einen Augenblick inne, horchte nach allen Richtungen hin und versuchte mit dem scharfen Auge das Dunkel zu durchdringen. Wiederum vernahm er die Schmerzenslaute. Unhörbar bewegte sich Athoree nach dem Geräusch hin. Da seufzte es deutlich neben ihm. Während er das Messer in der Rechten zum Stoß bereit hielt, tastete seine Linke vorsichtig umher. Er berührte einen Rock und Metallknöpfe. Er hob das Haupt aus dem Grase und sah deutlich vor sich einen Soldaten liegen, der augenscheinlich verwundet und in Ohnmacht gefallen war. Seiner Lage nach schien es, als ob er den Versuch gemacht habe, das Tor zu erreichen und hierbei niedergesunken sei. Der ebenso kluge als entschlossene Indianer kroch hierauf nach den das Tor deckenden Pallisaden und schob den Patronenbeutel hinter diese. Dann zischte er leise. Vom Wall herab erwiderte Johnson den Laut
»Hört der tote Mann?«
»Ja,« klang es kaum vernehmbar zurück.
»Hier verwundeter Soldat, ihn holen, wenn Athoree rufen, Feuer geben. He?«
»Gut, habe verstanden.«
Sumachs Sohn kroch zurück nach dem ohnmächtigen Mann. Er faßte seinen Arm und versuchte es, ihn vorwärts zu ziehen, aber ein lauteres Schmerzensstöhnen war die Folge davon.
Hierauf richtete er den Oberkörper des Mannes langsam auf, legte dessen Kopf über seine Schulter, umfaßte seine Brust unterhalb der Arme und hob ihn empor. Kaum hatte er ihn aufgerichtet, als er schattenhaft die Gestalt eines Mannes in gebückter Stellung auf sich zukommen sah.
Die Büchse hatte er ebenfalls unter den Pallisaden gelassen, als hinderlich bei dem Hereinholen des Verwundeten.
Zweierlei blieb übrig: den Mann, den er im Arm hielt, fallen zu lassen und davonzuspringen, um den Schutz des Tores zu gewinnen, oder Feuer zu kommandieren.
Raschen Entschlusses rief er laut: »Schieß!«
Drei rote Feuerströme leuchteten an den Pallisaden auf, und mit aller Kraft schleppte der Indianer den stöhnenden Mann zu dem am Tor befindlichen Vorbau und gelangte ungefährdet hinter diesen. Draußen blieb alles still, Michael öffnete die Türe und der Indianer ließ seine Last sanft zur Erde gleiten.
Die andern kamen vom Wall herunter und trugen gemeinschaftlich den Verwundeten nach dem Offiziershause, während Athoree noch die Patronen hineintrug, Michael schloß dann sorgfältig den Eingang.
Bei der Lampe Schein erkannte Johnson in dem Geretteten den Leutnant des Forts, Sounders. Man öffnete ihm die Kleider und sah nach seinen Wunden. Diese waren nicht erheblich, und sein Zustand mochte durch Blutverlust und Ueberanstrengung hervorgerufen fein. Man zerriß ein Betttuch und verband ihn. Dann legte man ihn auf die noch vorhandene Matratze.
»Gut gemacht, Athoree,« sagte der Graf und drückte herzlich dem Indianer die Hand. »Du bist ein Krieger, den ich bewundere. Gott sei vor allem Dank, daß mir die Patronen haben, von ihnen hängt vielleicht unser Leben ab.«
Während dieser Vorgänge, welche alle Aufmerksamkeit der Männer in Anspruch nahmen und die begreifliche Erregung nicht verminderten, hatte man kaum des gefangenen Indianers gedacht.
Athoree erinnerte an diesen, indem er sagte: »Gefangenen holen.«
Er hatte ihn so fest mit seinen Riemen umschnürt, daß an Entweichen nicht zu denken war. Man fand ihn auch fast an derselben Stelle, wo er gebunden worden war. Er hatte sich nur halb aufgerichtet und saß dort, den Rücken an einen Holzstoß gelehnt.
Athoree und Michael, welche hinausgegangen waren, richteten ihn ganz empor und forderten ihn auf, mit ihnen zu gehen.
Schweigend folgte ihnen der Ottawa nach dem Hause.
Michael konnte es bei dieser Gelegenheit nicht unterlassen, seinem Zorne auf die roten Leute Luft zu machen.
»So, Bursche, du ziehst ehrlichen Leuten die Kopfhaut herunter? Das sind also eure kannibalischen Teufelsstreiche? Nun, einige deinesgleichen habe ich bezahlt, Lump du. Was meinst du denn nun, wenn ich dir einen mit meinem gesegneten Shillalah geben wollte? Wie? Ich würde dir den Schädel zu Brei schlagen, du roter heimtückischer Mörder, der du bist. Und das wäre noch viel zu wenig Strafe für einen solchen im Dunkeln schleichenden Strolch. Gerädert mußt du werden, und das von unten auf.«
Unter dergleichen Trostsprüchen, denen er hie und da einen gelinden Puff zugesellte, begleitete er mit Athoree den Gefangenen und führte ihn in das Zimmer, wo die andern saßen.
Beim Scheine der Lampe betrachtete man ihn nun genauer.
Es war ein Jüngling von achtzehn bis neunzehn Jahren, von schlanker Gestalt und nicht unfreundlichen Gesichtszügen. Er suchte großen Gleichmut zu zeigen, doch erschrak er bemerkbar, als er Johnson erblickte, und die dunklen, glänzenden Augen durchforschten unruhig das Zimmer.
Johnson richtete dann die Frage an ihn: »Warum haben die Ottawas die Streitaxt ausgegraben? Der junge Krieger möge mir das sagen!«
Der Wilde starrte ihn nun an, ohne indes zu antworten.
»Will der Ottawa meine Frage nicht beantworten? Vielleicht spricht er nicht die Sprache der Inglis?«
Er wiederholte seine Frage im Dialekte der Ottawas, von dem er einige Worte sprach, aber des jungen Gefangenen Augen wanderten nur von einem der Anwesenden zum andern, hafteten am längsten auf Athoree und richteten sich dann unter demselben trotzigen Schweigen wieder auf Johnson.
»Es ist vergeblich, ihn zu verhören,« sagte dieser, »wenn ein Indianer nicht sprechen will, bringt ihn keine Macht der Erde dazu. Wir müssen den Burschen verwahren, vielleicht daß er morgen gefügiger ist.« Man nahm ihm Messer und Tomahawk, die er noch am Gürtel trug, die Büchse hatte er fallen lassen, als ihn Johnson niederwarf, lockerte seine Bande, die ihn wohl, ob er gleich keinen Schmerz verriet, arg belästigen mußten, so weit, daß dieser gemindert wurde, ohne die Sicherheit seiner Gefangenhaltung zu beeinträchtigen, und führte ihn in ein kleines Nebengemach, wo man ihn einschloß.
Athoree begab sich hinaus, um Wache zu halten, er schien keine Müdigkeit zu kennen. Graf Edgar blieb mit seinen zwei Gefährten still im Zimmer des so jäh dahingeschiedenen Davis sitzen.
Johnson, dessen gewaltige Körperkraft alle bewundert hatten, zeigte seine gewöhnliche Ruhe, beim Grafen und Heinrich aber machte sich nach den Anstrengungen des Tages und den furchtbaren Scenen und Eindrücken der letzten Stunde Abspannung geltend.
Dennoch fühlten sie nicht das Bedürfnis, zu schlafen, die seelische Erregung war zu groß. Nur der brave Michael hatte sich in einer Ecke des Zimmers eine Schlafstätte hergerichtet und schlief bereits den Schlaf des Gerechten, seinen Shillalah im Arm.
Es war ein trauriges Bild, welches das Zimmer bot. An den Wänden, Möbeln und Fenstern war die zerstörende Hand der Wilden zu bemerken, draußen herrschte dunkle Nacht und das Schweigen des Todes.
Der kleinen Lampe Schein fiel auf den verwundeten Offizier dort auf dem Bette, welcher seinen Atemzügen nach jetzt ruhig zu schlafen schien. Dann beleuchtete sie die drei ernsten Männer, welche in nachdenklichem Schweigen vor sich hinstarrten, unter ihnen die auffallende Erscheinung Johnsons.
»Welch ein Tag!« unterbrach der Graf endlich die Stille, »welch ein furchtbarer Tag! Im ganzen Kriege gegen Frankreich habe ich kein solch schauervolles Schlachtfeld gesehen, als dieses kleine Fort darbietet.«
»Ja, Herr, es ist grausig. Doch weisen unsre Grenzkriege mehr als ein solches Gemetzel auf. Ich begreife Euer Schaudern, doch ich – ich habe Dinge erlebt – die – mich ruhiger auf diese Zerstörung blühenden Lebens blicken lassen.«
»Wie wundersam, Heinrich,« wandte sich Graf Edgar an diesen, »spielt das Geschick mit uns! Wer hätte jemals im Vaterlande geträumt, daß wir eines Tages in diesen Urwäldern einsam sitzen würden, umheult von mordlustigen Wilden.«
»Ja, Herr Graf, es ist seltsam genug, und wer weiß, was uns noch für Dinge aufbehalten sind. Ich habe oftmals im stillen Wald darüber nachgedacht, wie wunderbar die Wege der Vorsehung sind. Ich weiß nicht, ob ich dem Herrn Grafen einmal mein Erlebnis von Chateaudun erzählt habe?«
»Nein, Heinrich.«
»Das war erstaunlich genug.
»Anfang der sechziger Jahre fand mein Vater auf der Landstraße einen Menschen, der krank zusammengebrochen war. Er nahm ihn mit ins Forsthaus, wo er sich als ein französischer Tapeziergehilfe auswies, der in Breslau gearbeitet hatte und sich auf dem Wege zur Heimat befand. Wir haben den erkrankten Menschen verpflegt und ihn schließlich, gesund, mit einiger Unterstützung nach seinem Vaterlande geschickt und seiner später nur selten gedacht.
»Während wir Jäger 1870 in Chateaudun lagen, wurden unsre Truppen arg von den französischen Räuberbanden, diesen Franktireurs, belästigt. Wir hatten vor allem die Aufgabe, den Burschen das Handwerk zu legen. So waren wir eines Tages mit der Kompanie ausgezogen, um die Waldränder etwas zu säubern. Wir gerieten dabei in einen Hinterhalt, wurden arg zusammengepfeffert und auseinandergesprengt. Ich flüchtete mit einem Kameraden in den Wald. Während wir den Rückweg nach Chateaudun suchen, sehen mir uns unerwartet von etwa dreißig Franktireurs umringt. Schon wollen wir feuern, um unser Leben so teuer als möglich zu verkaufen, denn diese Franktireurs schlachteten alles ab, was in ihre Gewalt fiel, als eine Stimme auf deutsch sagt: ›Laßt das, ihr seid Gefangene.‹ Hierauf ließen wir die Büchsen sinken und gaben uns gefangen.
»Der Hauptmann der Bande kam auf uns zu und betrachtete uns höhnisch, es war der, der uns die deutschen Worte zugerufen hatte. Wie ich mir den Kerl mit seinen dunkeln Augen und dem kleinen schwarzen Schnurrbart ansehe, steigt unwillkürlich das Bild des französischen Tapeziers, den wir vor sieben Jahren im Hause hatten, in mir. auf. Ich frage: ›Sind Sie einmal in Schlesien gewesen?‹ Erstaunt antwortet er: ›Ja.‹ – ›Und sind im Hause eines Försters freundlich verpflegt worden?‹
»›Ja, ja!' Und halb französisch, halb deutsch sprudelte er nun heraus: Woher ich das wisse? Wer ich wäre und so weiter. Ich sagte es ihm und daß ich ihn für den hielte, den wir damals aufgenommen hätten. Nun hätten Sie den Kerl sehen sollen, Herr Graf. Der küßte mich und umarmte mich, daß mir der Atem verging, mit Tränen in den Augen, und dann sprudelte er einen Schwall von Worten an seine Kameraden, und diese Kerls kamen und drückten mir die Hand, na, um's kurz zu machen – sie ließen uns laufen. Seit dem Tage kommt mir in der Welt nichts mehr wunderbar vor, auch unsre jetzige Situation nicht. Wir sitzen zwar einigermaßen in der Klemme, wie mir scheint, aber ich denke, Herr Graf, mir kommen auch wieder heraus, und wenn nicht, na, gestorben kann nur einmal werden, dann fallen wir als preußische Soldaten mit den Waffen in der Hand.«
»Ja, Heinrich, Kriegskamerad, ist unsre Stunde gekommen, wollen wir auf einem Haufen Feindesleichen sterben.«
Heinrich nickte stumm.
Johnson hatte schweigend der ihm unverständlichen Unterredung gelauscht, er erhob sich und gab den beiden Deutschen den Rat, die Ruhe zu suchen. »Wir haben morgen einen heißen Tag vor uns, Männer, denn der Wilde ist nicht abgezogen, es ist nötig, Kräfte zu sammeln. Versucht zu schlafen.«
Er selbst bereitete sich ein Ruheplätzchen, und Heinrich und der Graf folgten seinem Beispiele. Auch versanken sie nach so großen Anstrengungen bald in einen unruhigen, oft unterbrochenen Schlummer.